Ein Gottesurteil - Elisabeth Werner - E-Book

Ein Gottesurteil E-Book

Elisabeth Werner

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Beschreibung

Ein historischer Roman vor der wilden Kulisse Österreich-Dalmatiens im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der junge Offizier Gerald von Steinach ist der Tochter seine Kommandanten, Oberst Arlow, der stolzen Edith versprochen. Doch als der Tiroler Kaiserjäger das erste Mal die Ziehtochter Arlows, die südländische und geheimnisvolle Schönheit Danira erblickt, ist es um ihn geschehen. Er riskiert alles für ihre Liebe, sogar um den Preis der Desertion. Null Papier Verlag

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Elisabeth Werner

Ein Gottesurteil

Roman

Elisabeth Werner

Ein Gottesurteil

Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 3. Auflage, ISBN 978-3-954188-23-9

null-papier.de/395

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel.

Zwei­tes Ka­pi­tel.

Drit­tes Ka­pi­tel.

Vier­tes Ka­pi­tel.

Fünf­tes Ka­pi­tel.

Sechs­tes Ka­pi­tel.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel.

Ach­tes Ka­pi­tel.

Neun­tes Ka­pi­tel.

Zehn­tes Ka­pi­tel.

Dan­ke

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Erstes Kapitel.

Es hat­te die gan­ze Nacht hin­durch ge­stürmt. Erst mit Ta­ge­s­an­bruch wur­de es ru­hi­ger in den Lüf­ten, und auch die hoch­ge­hen­den Wo­gen der See be­gan­nen sich all­mäh­lich zu le­gen.

Der Damp­fer, der drau­ßen auf dem Mee­re einen ziem­lich erns­ten Kampf mit Wind und Wel­len be­stan­den hat­te, lief so­eben in die schüt­zen­de Bucht ein, und am Ende der­sel­ben tauch­te das Ziel der Fahrt auf, ein ma­le­risch ge­le­ge­ner Ha­fen­ort, der von ei­nem star­ken Kas­tell auf fel­si­ger Höhe über­ragt wur­de.

Am Vor­der­teil des Schif­fes stand ein jun­ger Of­fi­zier in der Uni­form der ös­ter­rei­chi­schen Kai­ser­jä­ger, der mit dem Fern­gla­se in der Hand die Um­ge­bung mus­ter­te. Die leich­te Feld­müt­ze, un­ter der sich das dich­te, hell­brau­ne Haar her­vor­dräng­te, be­schat­te­te ein Ge­sicht, das voll­kom­men zu der echt männ­li­chen Er­schei­nung paß­te. Je­der Zug dar­in war ernst, fest, ge­schlos­sen, und die kla­ren, licht­brau­nen Au­gen mit ih­rem ru­hig prü­fen­den Blick ent­spra­chen gleich­falls die­sem Ant­litz. Man hät­te ihm nur et­was mehr Le­ben und Feu­er wün­schen mö­gen, die erns­te, lei­den­schafts­lo­se Ruhe be­rühr­te fast er­käl­tend in den noch so ju­gend­li­chen Zü­gen.

Auf der Ka­jü­ten­trep­pe ließ sich ein wuch­ti­ger Schritt ver­neh­men, und gleich dar­auf tauch­te dort ein jun­ger Sol­dat auf, der die glei­che Uni­form trug. Er hat­te bei den noch im­mer schwan­ken­den Be­we­gun­gen des Schiffs ei­ni­ge Mühe, über das Ver­deck und zu dem Of­fi­zier zu ge­lan­gen, der jetzt das Fern­glas sin­ken ließ und sich um­wand­te.

»Nun, Jörg, was ma­chen die Leu­te?«, frag­te er. »Wie steht es da un­ten?«

»Zum Er­bar­men, Herr Leut­nant«, lau­te­te die Ant­wort. »Die See­krank­heit setzt ih­nen noch im­mer so zu, daß ih­nen Hö­ren und Se­hen ver­geht. Sie und ich, wir sind die ein­zi­gen, die auf den Bei­nen ge­blie­ben sind.«

»Du bist wohl sehr stolz dar­auf, daß wir bei­de al­lein uns als see­fest be­währt ha­ben?«, sag­te der Leut­nant mit ei­nem flüch­ti­gen Lä­cheln.

»Ich denk' schon«, mein­te Jörg. »Wenn man so sein Leb­tag nur die Ber­ge ge­schaut hat, dann ist es nichts Klei­nes, sich mit die­ser ver­wünsch­ten, blitz­blau­en See her­um­zu­schla­gen wie wir seit drei Ta­gen und Näch­ten. Dies Cat­ta­ro liegt ja bei­na­he am Ende der Welt!«

Er sprach im reins­ten Ti­ro­ler Dia­lekt und pflanz­te sich jetzt dicht hin­ter sei­nem Leut­nant auf mit ei­ner Ver­trau­lich­keit, die auf ein nä­he­res Ver­hält­nis schlie­ßen ließ als das des Un­ter­ge­be­nen zu sei­nem Vor­ge­setz­ten.

Jörg war ein hüb­scher, stäm­mi­ger Bur­sche mit schwar­zem Kraus­haar und ei­nem fri­schen, sonn­ver­brann­ten Ge­sicht, aus dem ein paar schwar­ze Au­gen keck und fröh­lich in die Welt hin­aus­blick­ten. Ge­gen­wär­tig aber mus­ter­ten sie mit of­fen­ba­rer Neu­gier­de das Ziel der Rei­se, dem man sich im­mer mehr nä­her­te.

Die of­fe­ne See ent­zog sich be­reits den Bli­cken, und nä­her und dunk­ler stie­gen die rie­si­gen Fels­häup­ter auf, die seit Ta­ge­s­an­bruch in der Fer­ne sicht­bar ge­we­sen wa­ren. Von al­len Sei­ten schie­nen sie aus der Flut em­por­zu­wach­sen und dem Schif­fe den Weg zu ver­le­gen. Jetzt öff­ne­te sich wie ein mäch­ti­ges, düs­te­res Tor eine schma­le Fel­se­nen­ge, und nun tat sich die gan­ze Wei­te der Bucht auf vor dem Damp­fer, der in ihre Tie­fe hin­ein­steu­er­te. Die schäu­men­de, stür­men­de Flut war jen­seits zu­rück­ge­blie­ben, und lei­se wo­gend lag die Was­ser­flä­che im Kran­ze der Ber­ge, die sie schüt­zend um­ga­ben.

Schon kämpf­te die Son­ne mit dem ab­zie­hen­den Sturm­ge­wölk, ein­zel­ne gol­di­ge Strah­len zuck­ten dar­aus her­vor und tanz­ten auf den Wel­len, und brei­te schim­mern­de Licht­strei­fen er­glänz­ten in dem Ne­bel, nur über der Stadt ball­te es sich noch schwer und fins­ter zu­sam­men, und das Kas­tell war kaum sicht­bar in den Wol­ken­schat­ten, die es um­la­ger­ten.

»Ein pracht­vol­ler An­blick, die­se Boc­che!«, sag­te der jun­ge Of­fi­zier halb­laut und mehr für sich als zu sei­nem Ge­fähr­ten, aber die­ser nahm eine äu­ßerst ge­ring­schät­zi­ge Mie­ne an.

»Pah! Es sind doch nicht un­se­re Ti­ro­ler Ber­ge! Kein Wald, kein Gieß­bach, kei­ne Men­schen­woh­nung da oben! Frei­lich, hier fängt ja die Wild­nis an, und wenn wir da hin­ein­kom­men, wird es uns wohl Kopf und Kra­gen kos­ten!«

Er stieß einen so lau­ten Seuf­zer aus, daß der Leut­nant die Stirn run­zel­te und ihn mit ei­nem un­wil­li­gen Blick streif­te.

»Was soll das hei­ßen, Jörg? Willst du etwa ver­zagt sein? Da­heim ge­hör­test du doch kei­nes­wegs zu den Fried­fer­ti­gen. Wo es ir­gend et­was zu rau­fen gab, war lei­der der Ge­org Moos­ba­cher im­mer da­bei.«

»Ja, das war er!«, be­stä­tig­te Jörg mit großer Ge­nug­tu­ung. »Aber das blieb in der Freund­schaft. Wenn es ge­gen ehr­li­che Chris­ten­menschen gin­ge, hät­te ich gar nichts da­ge­gen, auch ein­mal im Erns­te zu rau­fen. Man ist da­bei doch we­nigs­tens un­ter sich, und wenn man sich wirk­lich ein­mal tot­schlägt, gibt es ein christ­li­ches Be­gräb­nis, aber bei die­sen Wil­den hört der Spaß auf. Wie ich mir habe sa­gen las­sen, schnei­den sie je­dem Fein­de die Nase ab – wenn sie ihn näm­lich ha­ben – und bei­de Ohren dazu, und das ist doch eine häß­li­che An­ge­wohn­heit.«

»Tor­heit! Du und dei­ne Ka­me­ra­den, ihr habt euch alle mög­li­chen Mär­chen auf­bin­den las­sen und schwört nun dar­auf, wie das eure Art ist.«

»Die gnä­di­ge Frau von Stein­ach war aber doch auch in tau­send Ängs­ten, als die Marschord­re kam. Sie hat mich ei­gens noch ein­mal auf das Schloß ru­fen las­sen und mir Wort und Hand­schlag ab­ge­nom­men, Ih­nen nicht von der Sei­te zu wei­chen, Herr Ge­rald – bitt' um Ver­zei­hung, Herr Leut­nant wollt' ich sa­gen.«

»Nun, laß es nur bei dem alt­ge­wohn­ten Na­men, wir sind ja jetzt nicht im Dienst«, sag­te Ge­rald ab­weh­rend, »der Re­spekt vor dei­nem Leut­nant ver­trägt sich schon mit den Erin­ne­run­gen an un­se­re Kna­ben­zeit, wo wir Spiel­ge­fähr­ten wa­ren. Also mei­ne Mut­ter hat dich ru­fen las­sen? Ja, sie bangt im­mer um das Le­ben ih­res ein­zi­gen Soh­nes und kann sich nicht an den Ge­dan­ken ge­wöh­nen, daß zu dem Be­ruf des Sol­da­ten die Ge­fahr ge­hört. Doch da kommt schon der Ha­fen in Sicht! Geh jetzt zu dei­nem Ka­me­ra­den, sie wer­den sich wohl nach­ge­ra­de er­ho­len, die Wel­len le­gen sich ja voll­stän­dig hier in der Bucht.«

»Zu Be­fehl, Herr Leut­nant!«, ver­setz­te Jörg, in­dem er sich mi­li­tä­risch auf­rich­te­te und ab­mar­schier­te, wäh­rend Ge­rald von Stein­ach sei­ne Beo­b­ach­tun­gen mit dem Fern­gla­se wie­der auf­nahm.

*

Drü­ben am Ufer war in­zwi­schen auch der Damp­fer in Sicht ge­kom­men, und sein Er­schei­nen rief eine leb­haf­te Be­we­gung in der Nähe des Ha­fens her­vor. Es ka­men zwar jetzt täg­lich Schif­fe an, die Trup­pen nach die­ser äu­ßers­ten Gren­ze des Reichs brach­ten, aber es war doch im­mer ein Er­eig­nis; und eine bun­te Men­ge, in der je­doch die Uni­for­men vor­herr­schend wa­ren, dräng­te sich am Lan­dungs­plat­ze, um die An­kom­men­den zu be­grü­ßen.

Nicht weit vom Ufer lag ein statt­li­ches Haus, das die Aus­sicht auf den Ha­fen ge­währ­te. Es war die Woh­nung des Kom­man­dan­ten der Gar­ni­son, und an dem ge­öff­ne­ten Fens­ter stand eine jun­ge Dame, die mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit dem Schif­fe ent­ge­gen­blick­te, das durch die im­mer lich­ter wer­den­de Fer­ne her­an­zog.

In dem Rah­men des Fens­ters hob sich die an­mu­ti­ge Er­schei­nung wie ein Bild auf dem dunklen Hin­ter­grund des Zim­mers ab, ein Bild, an dem al­les licht und son­nig war, das ro­si­ge, la­chen­de Ant­litz, die blon­den, lo­cki­gen Haa­re, die blau­en Au­gen voll strah­len­der Hei­ter­keit. Es lag sehr viel Über­mut und sehr viel Ei­gen­sinn in dem rei­zen­den Ge­sicht­chen, und die äu­ßerst ele­gan­te Klei­dung, die hier an dem ent­le­ge­nen Orte die neues­te Mode der Re­si­denz zeig­te, ver­riet, daß auch die Ei­tel­keit der jun­gen Dame nicht ganz fremd war. Trotz­dem lag et­was Berücken­des in der klei­nen El­fen­ge­stalt, die so gra­zi­ös an der Fens­ter­brüs­tung lehn­te und sich jetzt mit al­len Zei­chen des Un­muts um­wand­te.

»Der Damp­fer kommt heu­te gar nicht von der Stel­le!«, sag­te sie un­ge­dul­dig. »Schon seit mehr als ei­ner hal­b­en Stun­de ist er in Sicht. Er müß­te längst am Lan­dungs­plat­ze sein und schwimmt noch im­mer drau­ßen auf den Wel­len. Da­ni­ra, ich bit­te dich um Got­tes wil­len, lege dies lang­wei­li­ge Buch bei­sei­te! Ich hal­te es nicht aus, wenn du so gleich­gül­tig da­sit­zest und lie­sest, wäh­rend ich vor Neu­gier­de fast ver­ge­he.«

Die An­ge­re­de­te ließ das Buch sin­ken und warf einen flüch­ti­gen Blick durch das Fens­ter. Sie moch­te un­ge­fähr in dem glei­chen Al­ter ste­hen; die bei­den Mäd­chen konn­ten höchs­tens sieb­zehn Jah­re alt sein, aber es gab nicht leicht zwei schär­fe­re Kon­tras­te als die­se bei­den Ge­stal­ten.

In Da­ni­ras Er­schei­nung lag et­was Fremd­ar­ti­ges, das zu ih­rer gleich­falls mo­der­nen Klei­dung und zu der gan­zen Um­ge­bung nicht zu pas­sen schi­en. Das Ant­litz war dun­kel wie vom hei­ßen Son­nen­brand und doch bleich, denn es zeig­te sich kaum eine Spur von Röte auf den Wan­gen. Die über­rei­chen Flech­ten vom tiefs­ten, bläu­li­chen Schwarz schie­nen sich nur wi­der­stre­bend dem Zwan­ge zu fü­gen, der sie auf dem Haup­te fest­hielt; es war, als müß­ten sie durch ihre ei­ge­ne Schwe­re her­ab­sin­ken, um dann fes­sel­los nie­der­zu­wal­len. Die lan­gen, dunklen Wim­pern wa­ren meist ge­senkt, wenn sie sich aber ein­mal ho­ben, dann ent­schlei­er­ten sie ein Paar große, schwar­ze Au­gen mit feuch­tem Glan­ze. Sie blick­ten sehr kalt und gleich­gül­tig, und doch barg sich in ih­rer Tie­fe ein Strahl, heiß und glü­hend wie die Son­ne des Sü­dens, die un­ver­kenn­bar die­se Au­gen und dies Ant­litz ge­küßt hat­te.

Auch die Stim­me des Mäd­chens hat­te einen ei­gen­tüm­li­chen Klang, tief, aber me­lo­disch, und das Deutsch, das sie voll­kom­men flie­ßend sprach, ver­riet eine lei­se Bei­mi­schung je­nes Fremd­ar­ti­gen, das die gan­ze Er­schei­nung kenn­zeich­ne­te.

»In ei­ner Vier­tel­stun­de wird der Damp­fer hier sein«, sag­te sie. »Er kommt zur ge­wöhn­li­chen Zeit. Bist du so un­ge­dul­dig, dei­nen Bräu­ti­gam zu se­hen, Edith?«

Edith warf das Köpf­chen zu­rück. »Nun, und wenn ich es wäre! Wir sind uns ja bei­na­he fremd ge­wor­den. Ich war ein Kind, als wir die Hei­mat ver­lie­ßen, und Ge­rald kam ei­gens von der Kriegs­schu­le, um uns Le­be­wohl zu sa­gen. Hübsch war er schon da­mals, das weiß ich noch ganz ge­nau, aber et­was pe­dan­tisch, et­was lang­wei­lig und mit ei­ner ganz ent­setz­li­chen An­la­ge zum Hof­meis­tern. Nun, das wer­de ich ihm gründ­lich ab­ge­wöh­nen.«

»Nimmst du dir schon vor, dei­nen künf­ti­gen Gat­ten zu ›ge­wöh­nen‹, noch ehe du ihn ge­se­hen hast?«, frag­te Da­ni­ra mit lei­sem Spott. »Vi­el­leicht ist er nicht ganz so nach­gie­big wie dein Va­ter.«

Edith lach­te. »O, der Papa ist auch bis­wei­len streng ge­gen an­de­re – ich ma­che mit ihm, was ich will, und ge­nau so wer­de ich es mit Ge­rald ma­chen. Ge­fällt dir sein Bild?«

Sie nahm eine große Pho­to­gra­phie vom Schreib­ti­sche und hielt sie Da­ni­ra hin, die mit ei­nem flüch­ti­gen Blick dar­auf kurz und ent­schie­den ant­wor­te­te:

»Nein!«

Ediths blaue Au­gen öff­ne­ten sich weit vor Er­stau­nen.

»Wie, dies Bild ge­fällt dir nicht? Dies Ge­sicht mit den schö­nen, re­gel­mä­ßi­gen Zü­gen –«

»Und den ei­si­gen Au­gen! Der Mann kann über­haupt nicht lie­ben, das sagt sein Blick.«

»Nun, so muß er es ler­nen! Das soll mei­ne Sor­ge sein. Frei­lich in der ers­ten Zeit wer­de ich we­nig ge­nug ha­ben von die­sem Herrn Leut­nant, den man auf die Kriegs­fahrt und die Braut­fahrt zu­gleich ge­schickt hat. Jetzt soll er sich da oben in den Ber­gen erst wo­chen­lang mit dei­nen Lands­leu­ten her­um­schla­gen, an­statt mir Rit­ter­diens­te zu leis­ten. Hof­fent­lich dau­ert es nicht gar zu lan­ge, die­se In­sur­gen­ten­ban­den wer­den ja bald zer­sprengt und ver­nich­tet sein. Ich wer­de Ge­rald er­klä­ren, daß er sich be­ei­len muß mit dem Sie­ge und mit der Rück­kehr bei mei­ner Un­gna­de!«

Es lag ein über­mü­ti­ger Scherz in den Wor­ten, nichts wei­ter, aber Da­ni­ra schi­en es an­ders auf­zu­fas­sen. Ihre Au­gen flamm­ten auf, und mit ei­ner Stim­me, die fast schnei­dend klang, er­wi­der­te sie:

»Sage ihm lie­ber, er soll sich wah­ren, daß ihm dort oben nicht Rück­kehr und Hoch­zeit ver­lei­det wer­den – für im­mer!«

Edith blick­te sie ei­ni­ge Se­kun­den lang ganz be­stürzt und er­schro­cken an, dann aber brach sie em­pört aus:

»Ich glau­be, du bist im­stan­de, das zu wün­schen! Ist es denn mög­lich, daß du noch im­mer an je­nen Halb­wil­den hängst, die sich seit dei­ner Kind­heit nicht um dich ge­küm­mert ha­ben? Papa hat nur zu sehr recht, wenn er be­haup­tet, daß du kei­ne An­häng­lich­keit, kei­ne Dank­bar­keit kennst, trotz al­lem, was er für dich ge­tan hat!«

Ein halb bit­te­rer, halb schmerz­li­cher Aus­druck zuck­te um Da­ni­ras Lip­pen bei die­sen Vor­wür­fen. »Dank­bar­keit!«, wie­der­hol­te sie lei­se. »Du weißt nicht, welch eine schwe­re Pf­licht die Dank­bar­keit ist, wenn sie ge­for­dert wird.«

Trotz des her­ben To­nes lag et­was in den Wor­ten, was Ediths Zorn ent­waff­ne­te. Sie stahl sich an die Sei­te ih­rer Ge­fähr­tin und leg­te ihre Hand auf de­ren Arm.

»Und ich?«, frag­te sie vor­wurfs­voll und schmei­chelnd zu­gleich, »gel­te ich dir gar nichts?«

Da­ni­ra blick­te nie­der auf das ro­si­ge, blü­hen­de Ant­litz, das in die­sem Au­gen­blick einen flüch­ti­gen Ernst zeig­te, und ihre Stim­me mil­der­te sich un­will­kür­lich.

»Du giltst mir viel, Edith, sehr viel! Aber – wir ver­ste­hen uns nun ein­mal nicht und wer­den uns nie ver­ste­hen.«

»Weil du un­zu­gäng­lich und ver­schlos­sen bist wie ein Buch mit sie­ben Sie­geln. Ich bin dir stets eine Freun­din, eine Schwes­ter ge­we­sen. Du hast es mir nie sein wol­len.«

Der Vor­wurf muß­te wohl tref­fen, denn Da­ni­ra senk­te wie schuld­be­wußt das Haupt.

»Du hast recht«, sag­te sie ge­preßt, »es ist mei­ne Schuld al­lein. Aber du weißt nicht, kannst nicht wis­sen –«

»Was weiß ich nicht?«, frag­te Edith un­be­fan­gen und neu­gie­rig. Da­ni­ra ant­wor­te­te nicht, aber sie strich lei­se mit der Hand über das lo­cki­ge Haupt, das an ih­rer Schul­ter lehn­te, und sah in das blaue Auge, in dem eine Trä­ne glänz­te. Vi­el­leicht emp­fand das jun­ge Mäd­chen doch erns­ter und tiefer, als sie glaub­te.

Da er­tön­te das Si­gnal des Damp­fers, der so­eben an der Lan­dungs­brücke an­leg­te. Edith fuhr auf, die Trä­ne ver­sieg­te eben­so schnell, wie sie ge­kom­men war, Krän­kung und Vor­wurf wa­ren ver­ges­sen, und die jun­ge Dame stürz­te an das Fens­ter mit dem Ei­fer und der Neu­gier ei­nes Kin­des, dem ein neu­es Spiel­zeug ver­spro­chen ist, und das nun den Au­gen­blick nicht er­war­ten kann, wo es ihm ge­zeigt wird.

Über Da­ni­ras Lip­pen zuck­te wie­der je­ner her­be Aus­druck. Sie schob das Bild, das noch auf dem Ti­sche stand, mit ei­ner Be­we­gung des Wi­der­wil­lens zur Sei­te, und ihr Buch wie­der er­grei­fend, kehr­te sie dem Fens­ter den Rücken zu.

Die Un­ge­duld der jun­gen Braut war im Grun­de sehr ver­zeih­lich, denn das Bild, das sie von ih­rem Ver­lob­ten in der Erin­ne­rung trug, da­tier­te noch aus ih­ren Kin­der­jah­ren. Ihr Va­ter, Oberst Ar­low, stand vor sei­ner Ver­set­zung nach der fer­nen dal­ma­ti­ni­schen Fes­tung mit sei­nem Re­gi­men­te in der Haupt­stadt Süd­ti­rols, die nur we­ni­ge Stun­den von Schloß Stein­ach ent­fernt lag, und schon da­mals ward je­ner Plan ge­faßt. Ge­ralds Va­ter hat­te noch ster­bend sei­nem Soh­ne die­sen Lieb­lings­wunsch an das Herz ge­legt, und Edith wur­de aus­drück­lich da­für er­zo­gen. Wäh­rend der jun­ge Of­fi­zier die ers­ten Gra­de sei­ner mi­li­tä­ri­schen Lauf­bahn durch­mach­te, wuchs sei­ne Ver­lob­te, wel­che früh die Mut­ter ver­lo­ren hat­te, im Hau­se ih­res Va­ters auf, des­sen ver­zo­ge­ner und ver­göt­ter­ter Lieb­ling sie war. Die wei­te Ent­fer­nung hat­te bis­her ein Wie­der­se­hen des jun­gen Paa­res ver­hin­dert, als beim Aus­bru­che des Auf­stan­des Ge­ralds Re­gi­ment ganz un­er­war­tet nach Cat­ta­ro be­or­dert wur­de. Der Zu­fall füg­te es in der Tat, daß er mit sei­ner ers­ten Kriegs­fahrt auch die Braut­fahrt mach­te.

*

Am Lan­dungs­plat­ze hat­te in­zwi­schen die Aus­schif­fung be­gon­nen, aber in dem all­ge­mei­nen Durchein­an­der der An­kom­men­den und Be­grü­ßen­den ließ sich kaum ir­gend­ei­ne Ein­zel­heit un­ter­schei­den. End­lich lös­te sich eine Grup­pe von Of­fi­zie­ren aus dem Ge­wühl und schlug die Rich­tung nach der Stadt ein, aber es ver­ging noch eine hal­be Stun­de, bis der Kom­man­dant mit sei­nem Gast in das Zim­mer trat.

Oberst Ar­low, eine statt­li­che mi­li­tä­ri­sche Er­schei­nung in den bes­ten Man­nes­jah­ren, führ­te den jun­gen Of­fi­zier sei­ner Toch­ter zu, in­dem er scher­zend sag­te:

»Herr Ge­rald von Stein­ach, Leut­nant bei den Kai­ser­jä­gern, wünscht dir vor­ge­stellt zu wer­den, mein Kind. Sieh, ob du in die­sem jun­gen Kriegs­man­ne die Züge des ehe­ma­li­gen Ge­spie­len wie­der­fin­dest. Du, Ge­rald, wirst frei­lich das Kind von da­mals nicht wie­der­er­ken­nen, es hat sich doch ei­ni­ger­ma­ßen ver­än­dert im Lau­fe der Jah­re.«

Es lag ein glück­li­cher Va­ter­stolz in den letz­ten Wor­ten und in dem Bli­cke, der über die Toch­ter hin­g­litt, und der Stolz war in der Tat be­rech­tigt, Edith sah un­end­lich rei­zend aus in die­sem Au­gen­blick.

Ge­rald trat in vol­ler Un­be­fan­gen­heit auf sie zu und streck­te ihr mit ei­nem ein­fach herz­li­chen »Grüß Gott, Edith!«, die Hand ent­ge­gen. Der alte Gruß aus der Hei­mat klang so ver­traut in sei­nem Mun­de, als hät­te er ges­tern erst von sei­ner klei­nen Braut Ab­schied ge­nom­men. Edith sah zu der hoch­ge­wach­se­nen Ge­stalt des jun­gen Of­fi­ziers em­por, sie be­geg­ne­te sei­nen Au­gen, die ernst, aber freund­lich auf ih­ren Zü­gen ruh­ten, und ur­plötz­lich ging ihr die gan­ze Hal­tung ver­lo­ren. Eine glü­hen­de Röte über­flu­te­te ihr Ant­litz, das Be­grü­ßungs­wort erstarb ihr auf den Lip­pen, und stumm und ver­wirrt stand sie da, ohne zu wis­sen, wie lieb­lich sie ge­ra­de in die­ser Be­fan­gen­heit aus­sah.

Ge­rald küß­te rit­ter­lich die klei­ne Hand, die in der sei­ni­gen lag, doch nur für einen Au­gen­blick, dann gab er sie wie­der frei. Er emp­fing of­fen­bar einen sehr an­ge­neh­men Ein­druck von sei­ner jun­gen Braut, aber tiefe­ren oder gar lei­den­schaft­li­chen Ein­drücken war sei­ne Na­tur nicht zu­gäng­lich.

Er be­merk­te jetzt erst, daß sich noch eine zwei­te Dame im Hin­ter­grun­de des Zim­mers be­fand, und wand­te sich mit ei­ner fra­gen­den Be­we­gung an den Obers­ten.

»Mei­ne Pfle­ge­toch­ter Da­ni­ra!«, sag­te die­ser leicht­hin. Er schi­en eine wei­te­re Vor­stel­lung nicht für not­wen­dig zu hal­ten, und es lag auch eine ge­wis­se Nach­läs­sig­keit in dem Tone.

Der jun­ge Of­fi­zier ver­neig­te sich, und da­bei streif­te ein halb ver­wun­der­ter Blick die selt­sam düs­te­re Er­schei­nung des Mäd­chens, das mit kal­ter Ge­mes­sen­heit sei­nen Gruß er­wi­der­te, ohne das Auge em­por­zu­he­ben.

Ge­rald über­brach­te Grü­ße und Brie­fe sei­ner Mut­ter, und da­mit war der An­knüp­fungs­punkt zu ei­nem Ge­sprä­che ge­ge­ben, das äu­ßerst leb­haft wur­de und schon nach we­ni­gen Mi­nu­ten den letz­ten Rest von Fremd­heit be­sei­tig­te, der noch zwi­schen dem jun­gen Paa­re lag. Edith hat­te ihre au­gen­blick­li­che Be­fan­gen­heit über­wun­den und nahm nun auch ih­rer­seits den al­ten, ver­trau­li­chen Ton der Kin­der­jah­re wie­der auf. Sie sprüh­te von Hei­ter­keit und Über­mut, wie das ihre Art war, aber all ihre Leb­haf­tig­keit ver­moch­te es nicht, Ge­rald mit fort­zu­rei­ßen. Er war ar­tig, rit­ter­lich, herz­lich so­gar und gab be­reit­wil­lig Aus­kunft auf all die Fra­gen nach sei­ner Rei­se, nach der Hei­mat und der Mut­ter, aber er tat es mit je­ner erns­ten, küh­len Ge­las­sen­heit, die nun ein­mal un­zer­trenn­lich von sei­nem We­sen zu sein schi­en.

End­lich wand­te sich das Ge­spräch auf den be­vor­ste­hen­den Feld­zug. Der Oberst nahm den Auf­stand nicht von der leich­ten Sei­te wie so vie­le der Of­fi­zie­re. Er sprach mit Ernst, ja mit Be­sorg­nis da­von, und jetzt zum ers­ten­mal zeig­te sich Ge­rald wirk­lich in­ter­es­siert. Er war of­fen­bar mit Leib und See­le Sol­dat, und Edith be­merk­te mit eben­so­viel Be­frem­den als Miß­ver­gnü­gen, daß ih­rem Bräu­ti­gam die Kriegs­fahrt weit mehr am Her­zen lag als die Braut­fahrt. Ihr war es mit all ih­rer Lie­bens­wür­dig­keit nicht ge­lun­gen, einen Fun­ken aus die­ser im­mer glei­chen Ruhe her­aus­zu­lo­cken, jetzt aber, wo von Ge­birgspäs­sen, Ver­schan­zun­gen, An­grif­fen und sons­ti­gen un­in­ter­essan­ten Din­gen die Rede war, leuch­te­ten sei­ne Au­gen, und sein Ge­sicht be­gann, sich vor Ei­fer zu rö­ten.

Die jun­ge Dame war es ge­wöhnt, daß man sich in ers­ter Li­nie mit ihr be­schäf­tig­te, und fühl­te sich sehr be­lei­digt, daß man in ih­rer Ge­gen­wart an sol­chen Din­gen In­ter­es­se nahm. Ihr Mund ver­zog sich im­mer mehr zum Schmol­len, und die Fal­te auf der sonst so kla­ren Stirn ver­kün­de­te eine höchst un­gnä­di­ge Stim­mung. Lei­der be­merk­te das Ge­rald nicht ein­mal, er ver­tief­te sich im­mer mehr in die mi­li­tä­ri­schen Er­ör­te­run­gen mit dem Kom­man­dan­ten.

Nur ein­mal stock­te er mit­ten in der Rede. Er hat­te eine Fra­ge an den Obers­ten ge­rich­tet und, nach den Ber­gen hin­über­deu­tend, wand­te er sich mit ei­ner ra­schen Be­we­gung dem Fens­ter zu, als er plötz­lich Da­ni­ra ge­wahr­te, von der nie­mand wei­ter No­tiz ge­nom­men hat­te. Sie stand halb ver­bor­gen hin­ter dem Vor­hange, schein­bar ab­ge­wen­det, und den­noch ver­riet ihr Ant­litz fie­ber­haf­te Span­nung, atem­lo­ses Lau­schen, sie las die Wor­te förm­lich von den Lip­pen der Män­ner.

Ei­nen Au­gen­blick lang be­geg­ne­te ihr Blick dem des jun­gen Of­fi­ziers. Es war das ers­te Mal, daß er über­haupt ihre Au­gen sah, aber es war et­was Dro­hen­des, Un­heim­li­ches, das ihm aus die­sen dunklen Tie­fen ent­ge­gen­blitz­te. Was – das ver­moch­te er nicht zu ent­rät­seln, denn es dau­er­te eben nur einen Au­gen­blick, dann senk­ten sich die Wim­pern, und über die Züge des Mäd­chens leg­te sich wie­der jene star­re, ei­si­ge Ruhe, die sie ge­wöhn­lich zeig­ten.

Der Oberst be­ant­wor­te­te jene Fra­ge sehr aus­führ­lich, und die De­bat­ten der Her­ren wur­den im­mer leb­haf­ter. Fräu­lein Edith hör­te noch ei­ni­ge Mi­nu­ten zu, als die bei­den aber gar nicht von ih­ren Ge­birgspäs­sen und Ver­schan­zun­gen los­ka­men, war ihre Ge­duld zu Ende. Sie er­hob sich mit der gan­zen Frei­heit und Un­art ei­nes Kin­des und sag­te in ei­nem Tone, der spöt­tisch sein soll­te und sehr ge­reizt klang:

»Komm, Da­ni­ra, wir wol­len die Her­ren bei ih­ren mi­li­tä­ri­schen Ge­sprä­chen al­lein las­sen. Wir stö­ren sie nur in die­sen in­ter­essan­ten Er­ör­te­run­gen.«

Da­mit er­griff sie ohne wei­te­res den Arm ih­rer Pfle­ge­schwes­ter und zog sie mit sich in das Ne­ben­zim­mer. Ge­rald sah ih­nen höchst er­staunt nach, er hat­te au­gen­schein­lich kei­ne Ah­nung von dem Ver­bre­chen, des­sen er sich schul­dig ge­macht. Ar­low da­ge­gen lach­te.

»Ja so, wir hat­ten die Ge­gen­wart der Da­men ver­ges­sen! Sie neh­men sich die Frei­heit, uns zu zei­gen, wie sehr un­se­re Kriegs­ge­schich­ten sie lang­wei­len, und sie ha­ben am Ende recht. Du bist bei Edith in Un­gna­de ge­fal­len, Ge­rald, und wirst dir Ver­zei­hung ho­len müs­sen.«

Ge­rald schi­en durch­aus kei­ne Eile da­mit zu ha­ben, er er­wi­der­te mit voll­kom­me­ner Ruhe:

»Ich be­daue­re, aber ich glaub­te wirk­lich bei Edith ei­ni­ges In­ter­es­se für die­sen Feld­zug vor­aus­set­zen zu dür­fen, in dem ich mir die Spo­ren ver­die­nen soll.«

»Vi­el­leicht fürch­tet sie, über dem Feld­zug ver­ges­sen zu wer­den«, sag­te der Oberst mit lei­sem Ta­del. »Es hat­te in der Tat bei­na­he den An­schein. Mei­ne klei­ne Edith ist ver­wöhnt in die­ser Hin­sicht. Mög­lich, daß ich sie et­was ver­zo­gen habe, man ist im­mer schwach ge­gen sein ein­zi­ges Kind. Ich freue mich, daß du so mit Leib und See­le dei­nem Be­ru­fe er­ge­ben bist, aber jun­ge Mäd­chen wol­len in ei­nem Bräu­ti­gam nun ein­mal vor al­len Din­gen den Frei­er se­hen. Der Kriegs­held steht bei ih­nen erst in zwei­ter Li­nie. Mer­ke dir das, mein Jun­ge, und rich­te dich in Zu­kunft da­nach.«

Ge­rald lä­chel­te flüch­tig. »Sie ha­ben recht, viel­leicht bin ich zu sehr Sol­dat, aber soll­te mir Edith im Erns­te einen Vor­wurf dar­aus ma­chen? Sie ist die Toch­ter und die Braut ei­nes Sol­da­ten und lebt doch hier in­mit­ten all der Auf­re­gun­gen und Vor­be­rei­tun­gen des Feld­zu­ges. Ihre Ge­fähr­tin schi­en weit mehr In­ter­es­se dar­an zu neh­men.«

»Da­ni­ra? Mög­lich, ich habe nicht dar­auf ge­ach­tet.«

»Wer ist die­se Da­ni­ra ei­gent­lich? Es liegt et­was Ei­gen­tüm­li­ches, Fremd­ar­ti­ges in ih­rer Er­schei­nung. Sie kann un­mög­lich aus deut­schem Blu­te stam­men. Je­der Zug an ihr ver­rät die Sla­vin.«

»Ja, dies Blut ver­leug­net sie nicht«, sag­te Ar­low un­mu­tig. »Du hast ganz recht ge­se­hen, das Mäd­chen ent­stammt dem Vol­ke, das uns jetzt so viel zu schaf­fen macht, und da hast du gleich ein Bild die­ses Vol­kes vor Au­gen. Als Da­ni­ra in mein Haus kam, war sie ein Kind, das noch gar kei­ne tiefe­ren Ein­drücke der Hei­mat auf­ge­nom­men ha­ben konn­te. Sie hat die glei­che Er­zie­hung ge­nos­sen wie Edith, ist wie eine Toch­ter des Hau­ses ge­hal­ten wor­den, hat aus­schließ­lich in un­se­ren Krei­sen ge­lebt, und doch ist die­se wil­de, trot­zi­ge Sla­ven­na­tur die glei­che ge­blie­ben. Sie ist we­der mit Güte noch mit Stren­ge zu beu­gen.«

»Aber wie kam die­se Pfle­ge­toch­ter denn in Ihr Haus? Ha­ben Sie sie frei­wil­lig auf­ge­nom­men?«

»Ja und nein, wie man es neh­men will! Als ich auf mei­nen hie­si­gen Pos­ten be­ru­fen wur­de, war der Auf­stand, den man da­mals end­gül­tig zu un­ter­drücken glaub­te, und der jetzt wie ein Fun­ke aus der Asche wie­der auf­lo­dert, eben im Er­lö­schen be­grif­fen. Es gab aber noch täg­lich Ge­fech­te in den Ber­gen; bei ei­nem der­sel­ben fiel ein Füh­rer der In­sur­gen­ten schwer ver­wun­det in un­se­re Hän­de und wur­de als Ge­fan­ge­ner hier­her ge­bracht. Nach ei­ni­gen Ta­gen er­schi­en sein Weib mit ih­ren bei­den Kin­dern und be­gehr­te ihn zu se­hen und zu pfle­gen, was ihr auch ge­währt wur­de. Der Mann er­lag sei­nen Wun­den, die Frau, die sich in un­se­rem La­za­rett das da­mals lei­der herr­schen­de bös­ar­ti­ge Fie­ber ge­holt hat­te, folg­te ihm in kur­z­er Zeit, und die Kin­der, Da­ni­ra und ihr Bru­der, wa­ren völ­lig ver­waist.«

Ge­rald hör­te mit stei­gen­der Teil­nah­me zu; die jun­ge Sla­vin wäre ihm wahr­schein­lich gleich­gül­tig ge­we­sen, aber ihre Her­kunft fes­sel­te sein In­ter­es­se, und er folg­te auf­merk­sam der Er­zäh­lung des Kom­man­dan­ten, der jetzt fort­fuhr:

»Es war eine Pf­licht der Men­sch­lich­keit und zu­gleich eine Ehren­sa­che, sich der Wai­sen an­zu­neh­men, ich und mei­ne Of­fi­zie­re wa­ren ei­nig dar­in, und daß es hö­he­ren Orts nicht un­gern ge­se­hen wur­de, wenn die Spröß­lin­ge ei­nes der ge­fürch­tets­ten In­sur­gen­ten­häupt­lin­ge in un­se­rer Ob­hut und Er­zie­hung blie­ben, wuß­ten wir. Aus­gleich und Ver­söh­nung wa­ren ja da­mals die Pa­ro­le. Einst­wei­len nahm ich die Kin­der in mein Haus, aber schon nach we­ni­gen Wo­chen war der Kna­be ei­nes Mor­gens ver­schwun­den.«

»Er war ent­flo­hen?«

»Das glaub­ten wir an­fangs, aber es zeig­te sich bald, daß er von sei­nen Stam­mes­ge­nos­sen ent­führt wor­den war. Da­ni­ra ent­ging dem­sel­ben Schick­sal je­den­falls nur da­durch, daß sie in dem glei­chen Zim­mer mit Edith schlief. Die Wei­ber gel­ten ja über­haupt nicht viel bei die­sem Vol­ke. Den Sohn ih­res Häupt­lings in un­se­ren Hän­den zu las­sen, galt ih­nen für eine Schan­de, das Mäd­chen hat­te kei­nen Wert für sie.«

»Und so blieb es also in Ihrem Hau­se?«

»Ja, auf aus­drück­li­chen Wunsch mei­ner ver­stor­be­nen Frau. Ich war von An­fang an da­ge­gen, und der Er­folg hat mir recht ge­ge­ben. Alle Mühe und alle Freund­lich­keit wa­ren ver­schwen­det an die­sem Mäd­chen, das uns noch jetzt, nach Jah­ren, so fremd und, ich möch­te bei­na­he sa­gen, so feind­se­lig ge­gen­über­steht wie am ers­ten Tage. Wüß­te ich nicht, daß die hei­te­re, son­ni­ge Na­tur mei­ner Edith in­stinkt­mä­ßig sol­che Ein­flüs­se ab­wehrt, ich wür­de we­gen die­ses Um­gan­ges be­sorgt sein und hät­te ihm längst ein Ende ge­macht.«

»Mir sind sol­che rät­sel­haf­te Na­tu­ren auch nicht sym­pa­thisch«, sag­te Ge­rald rasch und mit ei­nem Aus­druck, der fast Wi­der­wil­len ver­riet. »Es liegt et­was Un­heim­li­ches in die­ser Er­schei­nung. Ich sah ihre Au­gen vor­hin nur wäh­rend ei­nes Au­gen­blickes, aber es war, als blick­te ich in eine dunkle, dro­hen­de Ge­wit­ter­nacht. Da­ge­gen er­scheint Edith nun frei­lich wie ein hel­ler Früh­lings­tag, al­ler­dings mit et­was – April­wet­ter.«

Der Oberst lach­te laut auf bei dem Ver­glei­che.

»Hast du das schon her­aus­ge­fun­den? Ja, sie ist lau­nisch wie ein April­tag. Re­gen und Son­nen­schein in ei­ner Mi­nu­te! Aber ich kann dir den Trost ge­ben, daß der Son­nen­schein über­wiegt, du mußt es nur ver­ste­hen, ihn her­vor­zu­lo­cken. Und nun geh zu ihr, da­mit euer ers­tes Wie­der­se­hen nicht gleich mit ei­nem Miß­klan­ge en­digt. Ihr macht das am bes­ten al­lein mit­ein­an­der aus.«

Er wink­te sei­nem künf­ti­gen Schwie­ger­sohn freund­lich zu und ging. Ge­rald schi­en gar nicht an ein Ein­len­ken ge­dacht zu ha­ben, die­sen Wink konn­te er aber füg­lich nicht un­be­ach­tet las­sen, und üb­ri­gens hat­te der Va­ter recht, die­se ers­te Stun­de des Zu­sam­men­seins durf­te nicht mit ei­nem Miß­klan­ge en­di­gen. Der jun­ge Mann wand­te sich da­her nach dem Ne­ben­zim­mer, wo die bei­den Mäd­chen sich ver­mut­lich noch be­fan­den.

Sein Kom­men war wohl er­war­tet wor­den, denn bei sei­nem Ein­trit­te flat­ter­te et­was da­von wie ein auf­ge­scheuch­ter Vo­gel, und er sah noch Ediths hel­les Som­mer­kleid hin­ter der Tür des an­sto­ßen­den Ge­ma­ches ver­schwin­den. Das Ver­ber­gen aber schi­en nicht sehr ernst­lich ge­meint zu sein, denn au­ßer je­nem Klei­de blieb auch noch ein Füß­chen sicht­bar, das die Stel­lung der Lau­schen­den ver­riet. Ge­rald wand­te sich an Da­ni­ra, die ih­ren Platz nicht ver­las­sen hat­te.

»Ich wünsch­te, Edith auf ei­ni­ge Mi­nu­ten zu spre­chen. Ich glaub­te, sie noch hier zu fin­den.«

»Edith hat Kopf­schmerz und wird erst bei Ti­sche wie­der er­schei­nen, sie wünscht jetzt un­ge­stört zu blei­ben.«

Wäh­rend Da­ni­ra sich gleich­gül­tig ih­res Auf­tra­ges ent­le­dig­te, trat sie et­was zu­rück, als er­war­te sie, der jun­ge Of­fi­zier wer­de das Ver­bot nicht be­ach­ten, son­dern sich trotz­dem Ein­gang ver­schaf­fen. Er muß­te ja sei­ne Braut in ih­rem Ver­steck ge­wah­ren und ein­se­hen, daß ihm die Ab­so­lu­ti­on nur er­schwert wer­den soll­te. In der Tat warf Ge­rald einen Blick dort­hin, dann aber rich­te­te er sich stramm und mi­li­tä­risch auf.

»So bit­te ich, mich dem gnä­di­gen Fräu­lein zu emp­feh­len«, sag­te er laut, grüß­te kurz und ver­ließ das Zim­mer, ohne sich um­zu­se­hen.

Kaum war er fort, so kam Edith hin­ter der Tür zum Vor­schein. Sie sah mehr er­staunt als ent­rüs­tet aus und konn­te au­gen­schein­lich die emp­fan­ge­ne Zu­recht­wei­sung nicht be­grei­fen.

»Er geht wirk­lich!«, rief sie zor­nig. »Er muß­te doch se­hen, daß ich im Zim­mer war, daß ich ihn er­war­te­te – er woll­te mich ver­mut­lich nicht fin­den.«