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»Haben Sie Feinde, Frau Petersen?«, fragt der Kommissar. »Ich gewinne den Eindruck, jemand möchte Ihnen mit Gewalt kriminelle Handlungen unterstellen.« Dörthe Petersen nutzt Putzjobs, um ihre Malerei zu finanzieren. Dabei gerät sie in einen Strudel krimineller Machenschaften. Sie soll sensible Baupläne unterschlagen und an eine Bürgerinitiative weitergereicht haben. Auch der mysteriöse Einbruch bei dem Bau- unternehmer Rauschenbach soll auf ihr Konto gehen. Doch wem liegt so sehr daran, ihr solche Verbrechen in die Schuhe zu schieben? Als Dörthe beim Putzen schließlich über einen Toten stolpert, wird zudem ihre beste Freundin Marlies verdächtigt – eine harte Probe für Dörthes Loyalität. Vollends verwirrt ist die 62-Jährige, als sie einen Einbrecher beobachtet, der etwas bringt, statt zu stehlen: Briefe, die es in sich haben, die wie Dynamit wirken. Verzweifelt fragt sich Dörthe: »Warum habe ich einst diese gefährliche Putzstelle angenommen? Jetzt geht es um Leben oder Tod - auch für mich!«
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Liebe Güte, hier sieht es wieder aus! Wie bei Hempels unterm Sofa. Ich stehe vor dem zugemüllten Flur von Rauschenbachs und schaue mich um. Ja, geht’s noch? Angeekelt starre ich auf den stinkenden Joggingschuh, der direkt vor mir liegt, und hebe ihn an den Schnürsenkeln auf, damit ich die Tür öffnen kann. Aber nur mit den Fingerspitzen, nicht allein des Gestanks wegen. Die Duftnote stammt offenbar vom Hausherrn persönlich.
Ich will den Schuh fallenlassen, aber ich beherrsche mich und lege ihn ordentlich auf den Fußboden neben einen großen Fleck. Ist das etwa Rotwein? Dann musst du tüchtig schrubben, Dörthe. Wo ist der zweite Schuh? Ach, da hinten an der Küchentür, neben den High Heels von Ihro Ladyschaft Frau R. Ich muss das behutsam aufräumen. Dies ist meine Putzstelle »Dienstag die Dritte, Rauschenbach«. Kurz: DDR. So schlecht der Witz, so schlecht die Stelle.
Aber ich brauche das Geld. Punkt.
Mürrisch übersteige ich die Hindernisse. Während ich meinen Mantel aufhänge, betrachte ich mich kurz in dem wunderschönen Spiegel im Flur. Wut macht hässlich, Dörthe, guck dich an, so willst du echt niemandem unter die Augen kommen. Mundwinkel bis zum Knie. Wieso bist du heute so empfindlich? Wenn es sauber ist, brauchen die Leute keine Putzfee, dann verdienst du keine Brötchen, und deine Kunst kommt zu kurz. Allein die Kosten für das Atelier und die Farben …
Das stimmt, allerdings komme ich gerade von Putzstelle »Dienstag die Zweite«, dort läuft das Kontrastprogramm. Bei Gitte steht immer eine Thermoskanne mit Kaffee bereit, manchmal sogar ein Stückchen Schokolade, zumindest gibt es einen freundlichen Gruß zum Abschied, ehe sie mich allein lässt. Bei Rauschenbachs bekomme ich zwar den Schlüssel, aber keine Sympathien.
Du wirst nicht bezahlt fürs Meckern, also mach zu, die Zeit hier ist knapp bemessen.
Sanfte Musik aus dem ersten Stock sagt mir, dass der Hausherr anwesend ist und heute wieder von zu Hause aus arbeitet. Wie verabredet tue ich so, als wisse ich nicht, dass oben jemand ist, während ich im Erdgeschoss sauber mache. Wie jedes Mal bewundere ich in Frau Rs Zimmer die faszinierenden Schwarz-Weiß-Fotos, mit denen sie die Wand geschmückt hat. Naturaufnahmen, denen die fehlenden Farben gerade den Pfiff geben. Dafür habe ich ein Auge.
»Meine Jugendwerke«, hat sie mir bei meinem ersten Besuch etwas von oben herab erklärt. Schade, dass sie so arrogant tun musste, denn die stolze Freude an ihrer Kunst leuchtete aus ihren Augen. Einen Moment mochte ich Frau R sogar. Leider hat sich das inzwischen verflüchtigt. Heute liegt ein dicker Fotoband auf dem Tisch. Fasziniert öffne ich ihn, blättere schnell durch die Seiten. Oh, Zeit müsste ich haben, das alles anzusehen. Eine Karte rutscht heraus. Hoppla! Ich fange sie gerade noch auf. »Alles Gute, dein Alex«, springt mir ins Auge. Offenbar ein Verehrer von Frau Rs Kunst. Ich schiebe die Karte zurück, wische schnell mit dem Tuch über das Titelblatt. Pass auf, Deern! Nur keine Flecken machen.
Als ich ins Arbeitszimmer komme, steht der Große R vor seiner Lieblingsmaske, dem kleinen Drachen mit der langen Zunge. In der Hand hält er einen winzigen Pinsel, mit dem er die Masken minutiös von jeder Fluse befreit. Rille für Rille, Augenhöhle für Augenhöhle. Stunden muss er damit zubringen. Schließlich kenne ich mich mit Putzen aus. Ich glaube, das hat für ihn etwas Meditatives.
Zwei Wände sind über und über bedeckt mit exotischen Fratzen, aus Afrika oder auch aus Ozeanien. Gruselig sind die. Am Anfang haben sie mir richtig Angst gemacht. Es geht eine geradezu magische Stimmung von ihnen aus, wie soll ich es benennen? Ist das Spökenkiekerei? Hm, dazu neige ich eigentlich weniger. Aber wenn ich den Raum betrete, fühle ich mich beobachtet. So ein Unsinn, sind doch bloß Glasaugen. Trotzdem. Zum Glück ist es mir aus-drück-lich untersagt, sie abzustauben, ja, sie auch nur zu berühren.
»Habe ich Ihnen bereits die Geschichte vom Indonesischen Drachen erzählt?«, fragt R, ohne sich zu mir umzuwenden. Erst, als ich den schweren Staubsauger unsanft auf den Boden plumpsen lasse, dreht er sich um. Er lächelt ein bisschen abwesend, ich glaube, er taucht gerade aus seinem geliebten Indonesien auf. Manchmal denke ich, er tut nur so, als würde er von hier arbeiten, in Wirklichkeit nimmt er sich einfach eine Auszeit und träumt von seinen wilden Jugendjahren und den abenteuerlichen Reisen. Dass sein Laptop aufgeklappt auf dem Tisch steht, ist genauso Schau wie die falsche Ming-Vase auf der Anrichte.
Er erwartet keine Antwort auf seine Frage, sie ist rhetorisch. Am Anfang habe ich seinen Geschichten öfter zugehört mit dem Ergebnis, dass ich Überstunden machen musste. Es kam dann allerdings mal vor, dass er mir ’nen Zehner in die Hand drückte. »Entschuldigung, Frau Petersen. Schließlich sind Sie nicht hier, um meinen Erzählungen zu lauschen.«
Er ist wesentlich großzügiger als seine Frau. Seine Frage bleibt inzwischen lediglich ein nettes Ritual. Dabei soll er ein knallharter Geschäftsmann bei der R-B-Bau sein. Inzwischen ist er wohl reich genug, um sich Sentimentalitäten leisten zu können. Oder es ist das Alter. Ich vermute, er steuert auf die fünfzig zu, falls er nicht sogar drüber ist. Da kriegen Männer eine Wampe, und manche werden rührselig.
Dörthe, die Männerversteherin, ausgerechnet. Lass stecken.
»Ich gehe erst nach nebenan, damit Sie ungestört sind.«
»Danke, gern.« Auch das ist ein wiederkehrender Dialog. Doch heute fügt er an: »Nächste Woche bin ich auf Dienstreise, da müssen Sie keine Rücksicht nehmen. Hier, nehmen Sie, wir haben Ihnen da unten ziemlich viel Dreck hinterlassen, fürchte ich.« Mit diesen Worten schiebt er mir einen Geldschein zu.
»Oh, Danke, Herr Rauschenbach.«
In dem Augenblick summt sein Smartphone. »Ja«, knurrt er knapp. Ich schleiche zu seinem angrenzenden Schlafzimmer. »Habe ich nicht!« Das klingt irritiert. Ich bekomme gerade noch mit, wie er fragt: »Wer? Die Putzfrau?«
Erstaunt werfe ich einen Blick zurück. Spricht er von mir? Tatsächlich sieht er zu mir herüber, winkt mich zu sich. »Moment, Alex, sie ist gerade hier, ich frage sie.«
»Frau Petersen, hat Ihnen eben unser Bote eine Rolle mit Plänen übergeben?«
»Mir? Ein Bote?« Ich schüttele verblüfft den Kopf. »Nein. Aber vielleicht habe ich die Klingel nicht gehört, bei dem Krach, den ...«
»Nein, nein«, unterbricht er mich. »Klingeln hätte ich gehört. Nein. Vor dem Haus soll er Ihnen begegnet sein.«
Ich kann nur mit den Achseln zucken und wieder den Kopf schütteln. »Nein, Herr Rauschenbach, mir ist niemand begegnet.«
Er muss mir meine ehrliche Verwunderung ansehen, er nickt kurz, spricht wieder in sein Smartphone. »Alex, das sind hochsensible Pläne. Wenn er die ...«
Abrupt ballt er die Faust, dreht sich zu seiner Drachenmaske um. Gedankenverloren streicht er mit der freien Hand über die lange hölzerne Zunge und hört zu. Ich glaube, mich hat er ganz vergessen. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich gehen kann oder nicht. Ich fühle mich wie ein Schulkind vor dem Rektor und zugleich wie eine Schnüfflerin. Vielleicht sollte ich husten oder so. Aber schon schnaubt er ins Telefon: »Schmeiß ihn raus, das ist ein Vertrauensbruch, das ...« Oha! Besser nicht stören. »Dein bester Mann? Mann? Dass ich nicht lache. Ein grüner Junge ist das.«
Er fährt wieder herum, sieht mich plötzlich scharf an. Mit missmutiger Bewegung wedelt er mich aus dem Raum. »Hau ab!«, drückt er auch ohne Worte klar aus. Ich beeile mich, den Raum zu verlassen, schüttele wieder für mich den Kopf.
»Heute Abend liegen die Pläne auf meinem Tisch«, höre ich R noch befehlen, ehe ich die Tür endgültig schließe. Was sollte das eben? Ich werde ihn nachher fragen, was das Ganze mit mir zu tun hat. Vielleicht habe ich etwas missverstanden.
Als ich kurz darauf zurückkomme, ist der Große R gegangen, sein Schreibtisch wie immer ein unaufgeräumter Haufen Papier, bloß der Laptop ist verschwunden. Auch sein Schreibtisch ist für mich tabu, wie die Wände. Ist mir recht, ich muss mich sowieso beeilen. Trotzdem zieht es mich immer wieder zu dem kleinen Drachen hin. Ob die Maske echt ist? Ich würde sie gerne einmal anfassen. Aber pedantisch, wie der Große R ist, entdeckt er bestimmt jeden Fingerabdruck. Ich will es mir mit dem Mann – und seiner offenen Geldbörse – nicht verderben oder gar meinen Job riskieren.
Ich bin kaum zu Hause, da klingelt es. Das muss Marlies sein, wir hatten gestern verabredet, dass sie uns Mittagessen vom Chinesen mitbringt. Heute wirkt sie richtig überdreht. »Guck, mein neuer Anti-Trump-Button, sieht der nicht geil aus?« Sie zeigt auf einen pinkfarbenen Anstecker. »women against Trump« lese ich.
»Wo hast du den denn her?«
»Internet. Ich habe noch andere, für jede Jacke einen.« Typisch Marlies, irgendein Statement trägt sie immer mit sich herum. Heute, scheint mir, ist das nicht der einzige Grund für ihre Hektik. Sie fuhrwerkt ständig mit der Gabel durch die Luft. »Was ist los, Marlies? Du bist so hibbelig.«
Sie wirft mir einen verschmitzten Blick zu, mit ihren kurzen blonden Strähnen sieht sie immer aus, als sei sie eben erst aus dem Bett gefallen, wie ein kleiner Kobold.
»Ich ... äh, ja, also. Ich muss es ja endlich mal erzählen. Ich habe ziemlichen Mist gebaut, ich habe mich verliebt!«
»Hey, fantastisch! Gratuliere! Kenne ich den Glücklichen? Wieso soll das Mist sein?«
»Na, weil klassisch, er ist verheiratet.«
»Oha!«
»Genau. Das ist eigentlich nicht mein Problem. Ich, äh, ich sage keinen Namen, nimm es nicht persönlich, ich habe es ihm versprochen, nennen wir ihn ganz fantasiereich Mister X.« Sie lacht spöttisch. Ein bisschen bitter. »Ich will den gar nicht heiraten, um Himmels Willen! Nee, Dörthe, auf Dauer und im Alltag ist er ein Langweiler erster Güte. Bei mir kann er sehr charmant sein. Wenn er seine Geschichten erzählt, lache ich mich schlapp, dabei vermute ich, dass zwei Drittel gelogen sind. Na und? Mir doch egal. Außerdem ist er einfach gut im Bett.« Wieder fuchtelt sie mit ihrem Chop Suey in der Luft herum. Dass sie überhaupt dazu kommt, etwas zu essen.
»Wie lange kennt ihr euch?«
»Seit ein paar Wochen. Ich mochte es erst nicht erzählen, ich dachte, es ist eh gleich wieder vorbei. Weißt du, er ist immer so aufmerksam, hat mich immer mal eingeladen, hier ein Geschenk, da ein Kurztrip.« Sie wird ernst. »Ich bin einsam, Dörthe. Klar, ich habe dich und noch ein paar andere Freundinnen, aber mit Männern will es bei mir nicht klappen. Ich habe mich so danach gesehnt, verstehst du? Einfach was Besonderes zu sein in den Augen eines attraktiven Mannes. Klar, ich bin nicht blöde, ich weiß, dass jeder Mann solche Sachen zu seiner Geliebten sagt, weil die ihn sonst sitzen lässt. Trotzdem. Es ist so schön. Verstehst du das?«
Ich nicke ein bisschen eifersüchtig. Meine letzte Affäre liegt schon ein paar Jahre zurück. Marlies kann Gedanken lesen. Sie legt leicht die Hand auf meine. »Nicht traurig sein, Dörthe, du bist auch mal wieder dran.«
Ich wehre müde ab. »In meinem Alter?«
»Was für ein Quatsch, es gibt genug ältere Männer. Du bist eine attraktive Frau.«
»Da müsste ich erst mal aus meinen ewigen Jeans kommen, mir ein hübsches Kleidchen kaufen«, spotte ich, blicke auf meinen ausgebeulten Pullover.
»Rede keinen Stuss. Wenn ich lesbisch wäre, würde ich mich schon allein in deine schwarzen Locken verlieben. Dann in deinen trockenen Humor. Außerdem machst du tolle Kunst.«
Ich schweige verlegen. So offen hat sie mir noch nie Komplimente gemacht. Dabei sind wir seit Jahren befreundet. Schnell wechsele ich das Thema, komme zurück auf ihre eigene neue Liebe. Und das Problem dabei.
»Was ist mit seiner Frau?«
»Tjaaa.« Marlies schweigt, schiebt sich weiteres Essen in den Mund. Aha. So locker ist das also nicht.
»Ich glaube, sie weiß, dass da eine Andere ist. Dabei bezweifle ich, dass sie meine Identität kennt.«
»Bist du ihr mal begegnet? Kennst du sie?«
»Bloß vom Sehen. Wir haben nicht das gleiche soziale Umfeld. Einmal hätte sie mich beinahe in seinem Büro erwischt, aber ich gab vor, eine Praktikantin zu sein. Ich habe Mister X gefragt, aber der hat nur gelacht, der nimmt alles irgendwie leicht, darum passen wir auch so gut zusammen, der ist nicht so engstirnig.«
Jetzt lacht sie über einen Scherz, den alleine sie versteht.
»Macht sie Stress? Ich meine, die Frau?«
»Keine Ahnung. Oder vielleicht doch, ja. Ich sollte eigentlich nächste Woche mit ihm einen Kurztrip nach Frankfurt machen, der fällt jetzt leider ins Wasser. Er hat angerufen und gemeint, das wäre zu riskant. Mist, dabei hatte ich schon Urlaub genommen. Das kann ich zum Glück canceln, die Chefin ist froh, wenn ich doch komme, wir sind ja eh immer unterbesetzt bei den Sozialen Diensten.«
Ich bin kein Moralapostel, an die Heiligkeit der Ehe glaube ich nicht. Ich habe meine eigenen miesen Erfahrungen gemacht. Allerdings beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Marlies kann manchmal so leichtsinnig sein. Wäre nicht das erste Mal, dass sie in Teufels Küche kommt, weil sie die Folgen nicht bedacht hat. Ich werde den Eindruck nicht los, dass sie etwas verschweigt, entweder nur mir gegenüber oder, weil sie es selbst nicht wahrhaben will. Ich kenne Marlies lange genug, da spürt man, wenn etwas nicht stimmt.
»Ich gönne es dir, Marlies, aber pass man auf. Betrogene Ehefrauen können zu ziemlich üblen Mitteln greifen.«
»Bisschen klischeehaft, Dörthe, meinst du nicht?«
Erst später fällt mir ein, dass ich über alldem gar nicht dazu gekommen bin, von dem komischen Telefongespräch zu erzählen. Aber letztendlich geht es mich auch gar nichts an.
Wieder ein Dienstag, wieder Putzmarathon. Heute bin ich ein bisschen früher bei Rauschenbachs. Es hat nämlich, man glaubt es kaum, tatsächlich mal nicht geregnet. Darum habe ich heute früh das Rad genommen. Zwar ist es im Grunde egal, wann ich hier anfange. Aber Frau R hat befohlen: halb zwölf. Also komme ich um halb und keine Minute früher. Vielleicht würde ich sie im Negligé erwischen. Ich grinse breit. Ich werde mich ein paar Minuten auf die Bank in ihrem Vorgarten setzen und die seltene Sonne genießen. Für Oktober hat sie richtig viel Kraft.
Ich warte, dass ich den vielbefahrenen Osterdeich überqueren kann. Jetzt, los. Ich erreiche gerade den Fußweg, als ein schwarzer Kombi aus einer Einfahrt geschossen kommt, mich beinahe erwischt. Ja, spinnt der denn? Ich zeige ihm einen Vogel, doch der junge Mann am Steuer wirft mir nur einen wütenden Blick zu und rast davon. Mistkerl.
Puh, erst mal setzen. Ich falle auf die Bank.
Mir klopft noch das Herz, als ich ein paar Minuten später versuche, die Wohnungstür zu öffnen. Etwas klemmt. Da hat sich tatsächlich wieder dieser stinkende Joggingschuh unter der Wohnungstür verhakt. Hat das Methode? Ich bücke mich grummelnd, um das edle Stück zu befreien, ehe es womöglich diesmal einen Kratzer abbekommt. Liebe Güte, hat der sich verklemmt! Ich kann die Tür kaum aufbekommen. Mühsam fummele ich an dem teuren Leder herum. Wie kann denn so was passieren? Endlich gelingt es mir, den Schuh zu lösen und die Wohnungstür aufzustoßen. Wo ist der zweite? Egal. Die Sonne hat mich froh gestimmt, ich lasse mir die Laune nicht verderben. Dann wollen wir mal.
Ich schleudere energisch die schwarzen Locken zurück und will eben ins Bad gehen, als – Bums. Es poltert im ersten Stock! Ich schrecke zusammen. Huch! Das kam aus dem Arbeitszimmer des Großen R. Der ist auf Dienstreise in Frag-mich-Wo, da kann niemand sein!
»Hallo?«, rufe ich. Warum piepst denn meine Stimme so? Dörthe, bleib locker. Vielleicht haben die Herrschaften es sich anders überlegt und sind heute doch zu Hause. Dienstreisen können abgesagt werden. Oder es ist Ihro Ladyschaft. »Frau Rauschenbach?«, rufe ich mit festerer Stimme. Keine Antwort. Hm.
Einen Moment stehe ich zögernd am Treppenaufgang. Geht es mich etwas an, wenn es oben poltert? Die Herrschaften Rauschenbach dürfen schließlich in ihrem Anwesen so viel poltern, wie sie wollen.
Dörthe, sei nicht albern, geh hoch und sieh nach. Womöglich ist ein Fenster offen geblieben, und der Wind hat etwas herunter gefegt. Wenn das die Ming-Vase war – um Himmels Willen –, läuft jetzt das Wasser auf den Perser, dann hast du doppelte Arbeit. Oder Weltuntergang: Es gibt Ming-Scherben.
Kichernd steige ich die Treppe hinauf, Ming und Perser, das gibt eine schöne Völkerverständigung.
Das Grinsen erstarrt auf meinem Gesicht, als ich das Arbeitszimmer betrete. Ganz langsam klappt mir die Kinnlade herunter. Ich starre in ein Chaos. Der Fußboden ist übersät mit Zeug! Überall Bücher, Briefe, Stifte, Fotos mit und ohne Rahmen und Papier, ganze Stapel von Papieren, die jemand aus den aufgeschlagenen Ordnern gerissen haben muss. Der Bürostuhl ist umgekippt. Selbst das blöde grinsende Sparschwein liegt mit den Füßen nach oben in all dem Durcheinander. Der Schreibtisch, normalerweise eine ungeordnete Sammlung von Blättern, ist leer. Ungläubig schüttele ich den Kopf. Das muss ein böser Traum sein. Das ist sogar für Rauschenbachs zu viel.
Und da, die Regale! Da ist jemand mit dem ganzen Arm drübergefahren. Die Bretter sind wie leergefegt. Liegt alles, alles auf dem Fußboden. Mir kommen die Tränen, die wunderschönen Bücher, wie kann man so was machen? Da, der Katalog der herrlichen Ausstellung von Monet und Camille in der Kunsthalle, herrje, das knickt doch! Ich will mich bücken, um das Buch vor weiterer Zerstörung zu bewahren, da hält mich meine innere Stimme zurück. Spinnst du, Dörthe, fass hier nichts an!
Mit klopfendem Herzen richte ich mich wieder auf, mein Blick wandert zu den Wänden. Die Masken! Ich atme erleichtert auf, sie sind heil geblieben. Allein der kleine Drachenkopf mit der langen roten Zunge lehnt am Boden gegen die Wand, gibt den Blick frei auf eine metallene Dose, deren Tür schief in den Angeln hängt. Ein Safe! Hinter einer Maske. Bisschen simpel, denke ich ungewöhnlich klar. Vielleicht sind sie allesamt fake, genauso wie die Ming-Vase aus Taiwan oder Shanghai. Nicht dein Bier, Dörthe.
Plötzlich durchzuckt es mich: Was hat eigentlich vorhin so gepoltert? Ist etwa noch jemand hier? Etwa der Regalfeger? Ich schlage die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien.
Dörthe, schrei nur, sollte hier jemand sein, hat der dich längst gehört.
Und wird alles daransetzen, dich stumm zu machen! Weg hier, Dörthe, hau ab!
Wie vom Affen gebissen stürze ich die Treppe wieder hinunter, reiße eben noch meine Jacke vom Haken, hetze aus dem Haus. Erst im Vorgarten holt mich mein Verstand wieder ein, ich begreife, dass ich die Polizei anrufen muss. Oder wenigstens Frau R. In welcher Reihenfolge? Egal, in ihren Augen wird es in jedem Fall verkehrt gewesen sein. Falls da noch einer ist, besser erst die Polizei. Hektisch wähle ich 110, gebe an, was anzugeben ist. Danach Frau R. »Frau Rauschenbach, hier Dörthe Petersen. Jemand ist bei Ihnen eingebrochen. Ich …«
»Wie bitte? Eingebrochen?« Ihre Stimme überschlägt sich fast. »Wie soll ich das verstehen?«
Ja, liebe Güte, wie versteht man das denn?
Mühsam beherrscht berichte ich: »Im Arbeitszimmer Ihres Mannes ist totales Chaos. Ich habe die Polizei alarmiert, weil ich befürchte, dass noch jemand im Haus ist«, ergänze ich tapfer.
»Wie? Die Polizei?« Für einen Moment ist es still in der Leitung, dann seufzt sie hörbar und erklärt knapp: »Ich komme.«
Erleichtert atme ich ein paarmal durch. Mein Kopf wird allerdings nicht klarer. Ob wirklich jemand im Haus ist? Wenn der türmt und mich hier stehen sieht!
Ach was, Dörthe, wenn dieser Jemand für fünf Cent Grips im Kopf hat, klettert der aus dem Küchenfenster und flüchtet durch den Garten hinterm Haus. In zwei Minuten ist er in der Brokstraße. Den findet niemand mehr. Wenn da überhaupt jemand gewesen ist. Wer weiß, woher das Geräusch gekommen ist bei dem Durcheinander. Vielleicht habe ich ja überstürzt gehandelt, so panisch, wie ich weggerannt bin. Cool ist anders.
Plötzlich werde ich hundemüde. Erschöpft plumpse ich wieder auf die Gartenbank, die ich eben noch so genossen habe. Soll kommen, wer will, ich muss mich setzen.
Ich bin zu alt für so einen Scheiß, denke ich verängstigt. Was passiert mir hier? Mit leerem Blick starre ich über die gepflegte Auffahrt zur Straße. Hinter der hohen Hecke braust der Straßenverkehr über den Osterdeich. Trotzdem liegt das Haus erstaunlich abgeschieden, wird mir auf einmal klar. Rundum ist es vom Garten umgeben, zur Straße sind es sicherlich zehn Meter. Auch die Nachbarhäuser stehen hier für sich. Komisch, wir sind mitten in der Stadt, mitten im beliebten und belebten Viertel, gegenüber am Deich sind ständig Fußgänger und Radfahrer unterwegs, trotzdem dürfte es leicht sein, hier unbemerkt einzubrechen, solange man keinen großen Lärm macht. Selbst jetzt, am hellen Tag. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Unwillkürlich ziehe ich die Schultern hoch.
Hoffentlich kommt die Polizei vor der R. Ich mag die Frau nicht, sie ist derart arrogant, die guckt sogar unter dem Teppich nach, ob da ein Krümel ist. Wenn sie einen Missstand – so nennt sie das – gefunden hat, und Frau R findet immer einen Missstand, das gehört quasi dazu, schreibt sie Zettel, dagegen waren die Anmerkungen meiner Englischlehrerin ein Vergnügen.
Ich schüttele mich. Was geht in meinem Kopf rum? Wie komme ich jetzt auf die Schule? Daran habe ich seit vierzig Jahren nicht mehr gedacht.
Du stehst unter Schock, Dörthe, ein Einbruch bei einer Putzstelle ist schließlich neu für dich. Sei gnädig mit dir.
He! Ein Gedanke lässt mich auffahren. Wie ist der Täter überhaupt reingekommen? Habe ich irgendetwas übersehen?
Ich will aufspringen, mir das Schloss am Eingang angucken, da klappen Autotüren. Ah, der Streifenwagen. Zwei Polizeibeamte, eine Frau und ein Mann, kommen auf mich zu.
Ich erkläre aufgeregt: »Ich bin Dörthe Petersen, ich bin die Putzfrau der Familie Rauschenbach, das Arbeitszimmer von Herrn Rauschenbach ist zerwühlt. Ich habe ein Geräusch gehört und glaubte, es ist noch wer im Haus, darum sitze ich lieber hier.«
Die Frau begutachtet die Tür zum Windfang, öffnet sie mit dem Fuß, geht zur Haustür. »Spuren gibt es keine«, bemerkt sie. »Schließen Sie bitte auf.«
Ich lasse die beiden ins Haus, zeige stumm nach oben. Ich will nicht mit rauf, mir ist es unheimlich. Hier im Flur komme ich mir dagegen vor wie bestellt und nicht abgeholt. Ich traue mich nicht, mich zu rühren, man weiß ja, dass die Spurensicherung alles untersuchen wird, da will ich nichts verderben.
Warum nur habe ich diese verdammte Putzstelle angenommen?, frage ich mich zum hundertsten Mal. Rauschenbachs zahlen nicht einmal besonders üppig, abgesehen von den seltenen Zuwendungen des Hausherrn, von denen Ihro Ladyschaft bestimmt keine Ahnung hat. Dazu ihr ständiges Genörgel. Aber ich wohne gleich um die Ecke in der Prangenstraße, da spare ich die Zeit für die Anfahrt. Es passte auch so gut in meinen Terminplan. Außerdem ist er ein großzügiger Mäzen der Bremer Künstlerszene. Ich vermute, die geizige Frau R spielt dabei lediglich mit, weil sie auf Vernissagen ihr neustes Outfit ausstellen darf und garantiert in die Zeitung kommt. Zwar hat er meiner Meinung nach keine Ahnung von Kunst, aber solange das Geld rollt ... Für meine Entscheidung, diese Putzstelle anzunehmen, war das ausschlaggebend. Allerdings hat es mir bisher nichts genützt. Abwarten, gut Ding will Weile haben.
Ich seufze müde. Ich brauche das Geld. Das verdammte Geld! Macht es korrupt? Was würde ich alles tun für Geld?
Mach mal halblang, eine unangenehme Putzstelle ist kaum der Einstieg in die Kriminalität. Es gibt schlimmere Jobs.
Einmal, nur einmal möchte ich ein Bild verkaufen, mit dem ich richtig was verdiene. Na gut, auch zweimal wäre nicht verkehrt. Berühmt muss ich nicht werden, ich will ja weiterhin mit einem Freund im Café sitzen können, ohne dass am Tag drauf in irgendeinem grünen oder lila Blatt unsere Beziehung durchgehechelt wird. Dörthe, zwischen einem guten Verkauf und Berühmt-sein ist viel, viel Luft. Träum weiter, du kennst den Kunstbetrieb seit mehr als dreißig Jahren, Illusionen musst du dir echt keine mehr machen.
Die Stimmen der Polizisten holen mich zurück in die Gegenwart. Die beiden müssen am oberen Treppenabsatz stehen.
»Leichtsinnig, diese Leute«, schimpft die Frau. »Beschissen gesichert, keine Alarmanlage, keine Kamera, nichts. Hier kannst du seelenruhig abräumen, wenn du einmal drin bist.«
»Hm, ja, manche lernen’s nie«, antwortet ihr Kollege. »Diesen Safe kriegt mein Halim in fünf Minuten auf.«
»Damit kann er dann im Kindergarten angeben«, spottet sie. Beide lachen verhalten. »Ob der echt seine Klunker drin hatte in dem Döschen?«
»Klar, für die Versicherung immer. Dabei war er womöglich schon vorher leer.«
»Wenn ich ’nen Safe hätte, würde ich meine Haarspangen rein tun.«
»Haarspangen? Du?« Wieder lachen sie.
»Guck, hier …«
Mehr verstehe ich nicht.
Keine Alarmanlage? Dann habe ich recht, die Ming-Vase ist fake, ebenso wie all die schönen Masken. Ich sollte es riskieren und eine umdrehen, um nach dem Label zu suchen. Made in Hongkong? So dumm werden sie allerdings nicht sein, so einen Zettel dran zu lassen.
Schnelle Schritte im Flur reißen mich aus meinen Gedanken. Knall – fliegt die Wohnungstür auf, ich schrecke automatisch einen Schritt zurück, schon stürmt Frau R herein, rennt mich fast über den Haufen.
»Was ist los? Warum stehen Sie hier herum?«, faucht sie mich an. Sie sieht einmal an mir rauf und runter, als sei ich der Putzlumpen, nicht die Putzfrau. Ganz ruhig, Dörthe. Streit lohnt nicht.
»Die Polizei ist oben«, erkläre ich kühl. »Ich will keine Spuren verwischen, darum warte ich hier.« Friss das, denke ich mürrisch.
Ohne ein weiteres Wort springt sie die Treppe rauf. Ein bisschen neidisch schaue ich ihr nach. Die vielen Stunden im Sportstudio und auf dem Tennisplatz machen sich bezahlt. Ich käme die Stufen nicht mehr so behände hoch. Aber sie ist erst um die vierzig – wie viel um die vierzig, verschweigt sie –, nicht zweiundsechzig wie ich. Ich versuche mir vorzustellen, wie Frau R in zwanzig Jahren aussehen mag, sicher weniger faltig als ich, denn sie wird sich garantiert liften lassen …
Hallo, Dörthe. Was denkst du dir zusammen? Was geht dich Frau Rs Gesicht an, soll sie sich doch liften lassen, bis die Haut platzt. Du willst dich nur nicht der Situation hier stellen. Es ist eingebrochen worden, es gibt keine Spuren an der Tür. So, wie die R gestrickt ist, wird sie schnell eine Verdächtige finden, nämlich dich.
Mich? Warum sollte ich … ?
Frau R liebt einfache Lösungen. Du hast einen Schlüssel. Also bist du dran.
Ich werde wohl beweisen können, dass ich woanders war. Ich bin den ganzen Vormittag unterwegs gewesen, Dienstag ist ja mein Putztag.
Falls das hier heute Vormittag passiert ist. Das weißt du doch gar nicht.
Außerdem, bedenke, du arbeitest schwarz, rabenschwarz. Bist du dir so sicher, dass die anderen Frauen zugeben werden, dass sie dich beschäftigen, und dir damit ein Alibi verschaffen? Die nette Gitte, die joviale Frau D? Du wirst Ärger bekommen, egal, wer da oben gewütet hat, wahrscheinlich wirst du diese verhasste Stelle hier verlieren und ihr nachtrauern. Mit einigem Pech auch noch ein paar andere Stellen. Frau D ist in der SPD irgendein mittelhohes Tier. Stell dir vor, die Bremer Zeiten kommen dahinter, dass sie schwarzarbeiten lässt. Ich sehe die Schlagzeile vor mir: »Doppelte Moral: Schwarzarbeit in der SPD!«
Lenk dich nicht ab mit blödsinnigen Gedanken übers Berühmtsein oder Frau Rs Tennisstunden. Versuch herauszufinden, was du zur Aufklärung beitragen kannst, vor allem, wie du dich von einem Verdacht befreien kannst.
Ich schließe die Augen, versuche, mir alles, was passiert ist, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Alles kann wichtig sein. Zum Beispiel dieser Safe hinter der Maske. Das ist doch kein Versteck. Selbst mir kommt das merkwürdig unecht vor, dabei bin ich gar kein Krimifan. Sollte ich darum die Masken nicht anrühren, damit ich den Safe nicht entdecke?
Uiuiuiuiui. Ich fahre zusammen. Was ist das für ein schreckliches Geräusch? Liebe Güte! Die Türklingel!
»Würden Sie bitte öffnen, Frau Petersen«, ruft die Polizistin von oben. »Das sind die Kollegen von der Kripo.«
Es wird voll im Flur, ich weiche in die angrenzende Küche aus, lasse die Leute vorbeiströmen. Frau R hat sich offenbar gefangen, mit professionell freundlicher Stimme begrüßt sie die eintreffenden Fachleute. Bestimmt hat sie ihr Berufslächeln aufgesetzt, darin ist sie perfekt. Coach nennt sie sich. Sie muss verdammt gut sein, wenn man ihren Lebensstil betrachtet. Als Putzfrau kriege ich einiges mit. Hier macht der Wohlstand nicht an der Wohnungstür halt. Doch bei Rauschenbachs habe ich immer den Eindruck, alles ist Fassade. Unter all dem vornehmen Getue, all dem dargestellten Luxus ist ... ja, was? Leere, denke ich. Alles fake, wie die Ming-Vase und der Perser. Ich bin Künstlerin, man bekommt einen Blick für gutes Material, für Geschmack.
Stopp, nicht alles ist hohl. Nicht Frau Rs Fotografien. Dass eine so aufgeblasene Null solche Bilder schaffen kann! Merkwürdige Frau.
Möchte ich also tauschen? Ich bin froh, dass ich nicht zu jedem Esel freundlich sein muss. Vielleicht ist sie darum derart muffelig zu mir, weil sie es endlich einmal sein darf. Ich bin keine Kundin. Ich habe keine Ahnung, wobei sie berät, sorry, coacht natürlich, sie muss sich sicherlich viel Müll anhören den lieben langen Tag. Wie dachte ich vorhin: Es gibt schlimmere Jobs als Putzfrau.
Hallo Dörthe, wieder lenkst du dich ab. Mag sein, alles ist fake hier. Sollte sie dich jedoch anzeigen, wird das ganz und gar nicht fake, sondern bittere Realität.
Ein älterer Mann betritt die Küche, reicht mir die Hand.
»Falkner, Kriminalkommissar. Sie haben den Einbruch gemeldet? Wann sind Sie hier angekommen?«
»Um halb zwölf, exakt, wie jede Woche. Oder nein, warten Sie, ich war ein bisschen früher hier, habe darum draußen auf der Bank gesessen. Dann war da dieser Turnschuh, der klemmte unter der Haustür, sodass ich erst nicht reinkommen konnte. Da waren die fünf Minuten wieder, äh …« Dörthe, das gehört nicht dazu. »Dann polterte es oben. Da bin ich hoch und habe das Chaos gesehen. Ich bin bloß bis zur Tür, ich habe nichts angefasst.«
»Wo waren Sie vorher? Seit zehn Uhr?«
»Bei Frau Herbig, am Brommyplatz, da habe ich von zehn bis elf geputzt.«
Der Polizist sieht mich stumm an. Wartet. Was soll ich ihm denn noch sagen? »Es gibt eine Lücke von etwa dreißig Minuten, Frau Petersen«, erklärt er. »Sie sagen, Sie haben Ihre Putzstelle im Peterswerder um Punkt elf Uhr verlassen. Gibt es dafür Zeugen?«
»Nein, aber Frau Herbig hat mich kommen sehen. Sie würde sich beschweren, wenn ich nicht geputzt hätte.«
»Sie sind um elf Uhr fünfundzwanzig bei Rauschenbachs angekommen. Wie sind Sie zum Osterdeich gekommen? Auto, Bahn, Fahrrad, zu Fuß?«
»Heute mit dem Rad, darum war ich ein bisschen früher, um die fünf Minuten.«
»Wie lange brauchen Sie?«
»Normalerweise etwa zehn Minuten. Heute habe ich getrödelt wegen der Sonne, eher eine Viertelstunde.«
»Bleiben zehn Minuten. Wo und wie haben Sie die verbracht?«
Ich sehe ihn irritiert an, zucke mit den Achseln. »Ich weiß nicht, an der Ampel, die nicht grün wurde, äh ...« Ich begreife. »Ja, glauben Sie im Ernst, man kann in zehn Minuten so ein Chaos anrichten?«
»Möglicherweise hatten Sie mehr als zehn Minuten, Frau Petersen.«
Ich spüre Panik in mir aufsteigen. »Aber warum sollte ich das tun?«
»Ja, Frau Petersen, warum?« Aufmunternd sieht er mich an. Ich kann nur den Kopf schütteln. Der wird mich doch nicht ernsthaft verdächtigen. Oder wartet er nur darauf, wie ich mich rausrede? Ich kenne mich mit der Polizei nicht aus. Was ist denn jetzt richtig?
»Wenn ich gewusst hätte, dass ich über jede Minute Buch führen muss, hätte ich es mir aufgeschrieben, aber wer achtet denn auf die Zeit, solange man eine Pause hat?«, stoße ich verzweifelt heraus. Der Kommissar nickt, lächelt dünn.
Ein jüngerer Mann lehnt sich stumm gegen den Türrahmen, als versuche er, sich unsichtbar zu machen. Ein Assistent des Kommissars, vermute ich. Vorgestellt wird er mir nicht. Macht nichts, Namen kann ich mir eh nicht merken.
»Wer weiß, dass Sie hier putzen?«