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Als Emily Goodenough und ihr Onkel das Haus in der Clarges Street 67 mieten, sieht es für die Bediensteten nach einer guten Saison aus. Die Mieter sind ruhig und anständig. Aber es ist nicht alles so, wie es scheint - denn die beiden entpuppen sich als Hochstapler! Der alte Herr ist ein ehemaliger Butler und seine "Nichte" ein entlaufenes Zimmermädchen! Zunächst ist der Schock groß, doch dann erfährt Butler Rainbird, dass der bösartige Mr. Percival Pardon einen gemeinen Plan ausheckt: Er will die schöne Emily mit seinem Wissen erpressen. Das muss verhindert werden - also schließen sich die Bediensteten mit den Goodenoughs zusammen, um sie zu den Lieblingen der feinen Gesellschaft zu machen und Emily zum Mann ihrer Träume zu verhelfen.
"Spiel der Intrigen" ist der fünfte Band der zauberhaften Regency-Romanreihe "Ein Haus für die Saison". Marion Chesney, die als M.C. Beaton vor allem für ihre Cosy-Krimis bekannt ist, erweckt in ihren Liebesromanen die Zeit des englischen Biedermeier zum Leben. Für Fans von Georgette Heyer, DOWNTON ABBEY und der Netflix-Serie BRIDGERTON.
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Seitenzahl: 234
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog
EIN HAUS FÜR DIE SAISON:
Tage der Sehnsucht
Die ungleichen Schwestern
Liebe und Eifersucht
Der galante Herzensbrecher
Ein gute Partie
Als Emily Goodenough und ihr Onkel das Haus in der Clarges Street 67 mieten, sieht es für die Bediensteten nach einer guten Saison aus. Die Mieter sind ruhig und anständig. Aber es ist nicht alles so, wie es scheint – denn die beiden entpuppen sich als Hochstapler! Der alte Herr ist ein ehemaliger Butler und seine „Nichte“ ein entlaufenes Zimmermädchen! Zunächst ist der Schock groß, doch dann erfährt Butler Rainbird, dass der bösartige Mr. Percival Pardon einen gemeinen Plan ausheckt: Er will die schöne Emily mit seinem Wissen erpressen. Das muss verhindert werden – also schließen sich die Bediensteten mit den Goodenoughs zusammen, um sie zu den Lieblingen der feinen Gesellschaft zu machen und Emily zum Mann ihrer Träume zu verhelfen.
Marion Chesney war eine schottische Schriftstellerin, die sich vor allem durch ihre zahlreichen historischen Liebesromane und Krimis einen Namen gemacht hat. Als M.C. Beaton feierte sie mit ihrer Krimi-Reihe um die Detektivin Agatha Raisin ihren größten Erfolg. Die Autorin starb im Alter von 83 Jahren in Gloucester.
Marion Chesney
Ein Haus für die Saison
Spiel der Intrigen
Ein Regency-Liebesroman
Aus dem Englischen von Claudia Rackwitz
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1987 by Marion Chesney
Titel der Originalausgabe: »The Adventuress«
Originalverlag: St. Martin’s Press, New York
Für die deutschsprachige Erstausgabe:
Copyright © der deutschen Übersetzung 1989 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG
unter Verwendung von Motiven © krugli / AdobeStock; Boonyachoat / iStock / Getty Images Plus; Tony Marturano / Shutterstock;
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-1746-5
be-heartbeat.de
lesejury.de
Für David und Alice Lynne McKee und ihre Tochter Kelly
Die Dunkelheit senkte sich noch immer früh auf die gepflegten Straßen und Plätze des Londoner West End herab, der Nebel hing in rauchigen Schwaden um die schmierig-trüben Glaskugeln der städtischen Laternen, und obwohl an den Bäumen im Hyde Park sich noch kein einziges Blatt zeigte, war doch bereits eine unterschwellige Erregung zu spüren – ein Rascheln, nicht von Blättern, sondern von Taft- und Seidenkleidern, die anprobiert und abgesteckt wurden. Überall sprossen und leuchteten köstlich duftende Seidenblüten. Dieser künstliche Frühling, der der Londoner Saison vorausging, ließ das Blut in den Adern schneller pulsieren.
Die verrußten Fensterbretter wurden wieder blank gescheuert, die Fensterläden aufgestoßen, um die Zimmer zu lüften, und zahlreiche Mitglieder der feinen Gesellschaft bereiteten sich mit grimmiger Entschlossenheit auf das qualvolle Ritual ihres halbjährlichen Bades vor.
Alle die Spielsachen der Saison wurden aus ihren Kisten und Kästen hervorgeholt – die Farben und Puder und Pomaden, die Juwelen und Fächer und die emaillierten Schnupftabaksdosen. Kein Mensch, der bei klarem Verstand war, hätte auch nur im Traum daran gedacht, diese wunderbaren Schätze an die Landluft zu verschwenden! Riesige, schwerbeladene Reisekutschen kamen Tag für Tag in die Hauptstadt gerollt. Die Insassen, Angehörige der Oberschicht, die das Land und den Zwang, dort den äußeren Schein zu wahren, um ihren Pächtern als Vorbild zu dienen, gründlich satt hatten, lockerten jetzt – bildlich gesprochen – ihr Korsett und freuten sich auf das ausschweifende Leben: Bälle, Abendgesellschaften und Einladungen.
Die Debütantinnen wussten, dass sie auf dem Heiratsmarkt feilgeboten wurden, aber ganz wenige fanden das sonderbar oder gar grausam. Es war nun einmal der Lauf der Welt. Sie konnten nur beten, dass er sich nicht als zu alt oder zu hässlich erwies. Letzten Endes würde man sich jedoch mit jedem Mann abfinden, denn nach einer teuren Saison ohne Mann aufs Land zurückzukehren, wäre Gott gegenüber, dem es gefallen hatte, diese jungen Damen in ihren Stand zu erheben, sehr undankbar.
Schließlich hätte es einem genauso gut passieren können, dass man unter der Erdoberfläche leben und sein Brot im Schweiße seines Angesichts in irgendeinem Kellergeschoss als Diener verdienen musste, wie immerhin ein Drittel der Bevölkerung.
Aber es gab solche und solche Diener. Manche hatten Glück. Sie verbrachten den Winter in großen Palästen oder Herrenhäusern auf dem Land und reisten dann mit ihren Herrschaften in ein gut ausgerüstetes Stadthaus, um da die Saison zu verbringen. Sie waren gut genährt und geschützt vor den Unwägbarkeiten des Lebens.
Für die Diener eines gewissen Stadthauses in der Clarges Street 67 war jedoch jede Saison eine Lotterie. Ihr Herr, der Duke of Pelham, war sich gar nicht recht darüber im Klaren, dass er dieses Haus besaß, weil ihm am Grosvenor Square ein großes Herrenhaus zur Verfügung stand. Das Haus in der Clarges Street wurde daher vor jeder Saison zur Miete angeboten. Ein guter Mieter bedeutete Trinkgelder für die Diener und, wenn sie Glück hatten, eine Erhöhung ihrer mageren Löhne, denn die Vermietung des Hauses oblag dem Verwalter des Duke, Jonas Palmer, der den Dienern Hungerlöhne zahlte, seinem Herrn aber höhere in Rechnung stellte und den Differenzbetrag in der eigenen Tasche verschwinden ließ.
Die Zeiten waren schwer, Arbeitsplätze rar, und die kleine Dienerschaft von Nummer 67 konnte es sich nicht erlauben, gegen den schikanösen und verhassten Palmer aufzubegehren. Der Butler, Mr. John Rainbird, und der Lakai, Joseph, hatten ihre früheren Stellungen wegen Unbesonnenheiten verloren, und Palmer drohte, auszuplaudern, sollte einer von ihnen es wagen, sich eine andere Stellung zu suchen. Die Übrigen waren aus Treue zu ihrem Butler an das Haus gebunden, aber auch, weil es so gut wie unmöglich war, ohne Referenzen eine andere Arbeit zu finden. Und Palmer würde keinem von ihnen ein gutes Zeugnis ausstellen.
Auf dem Haus lag angeblich ein Fluch. Eine Folge dramatischer Ereignisse – Mord und Selbstmord – und eine Reihe merkwürdiger Dinge, die darin passiert waren, hatten das Haus in Verruf gebracht. Man lebte in einer abergläubischen Zeit. Deshalb konnten die Diener nur jedes Jahr von neuem hoffen, dass jemand, der den Londoner Klatsch nicht kannte und daher nichts von dem Fluch wusste, der Versuchung erlag, es zu mieten. Es wurde nämlich zu einem niedrigeren Mietpreis angeboten – für nur achtzig Pfund, ein Vermögen für manche, aber wenig Geld für die Aristokratie, die oft für eine einfachere Unterkunft über tausend Pfund zahlte.
Die Ungewissheit, das harte Leben und die unerträgliche Langeweile der Winter, die in den letzten Jahren ungewöhnlich streng gewesen waren, hatten die Diener zu einer innig verbundenen Familie zusammengeschweißt. Außer Rainbird, dem Butler, und Joseph, dem Lakaien, waren da noch eine Haushälterin, Mrs. Middleton, ein Koch, Angus MacGregor, ein Hausmädchen, Alice, ein Stubenmädchen, Jenny, ein Küchenmädchen, Lizzie, und ein kleiner Topfspüler, der Dave hieß.
Sie hatten einen recht armseligen Winter verbracht, weil sie jede unnötige Geldausgabe vermieden und lieber jeden Penny in den großen Spartopf taten. Sie träumten davon, gemeinsam ein Gasthaus zu kaufen. Das war die einzige Möglichkeit, Palmer zu entkommen und die Fesseln ihres Standes abzulegen und frei zu werden, um heiraten zu können, denn Diener durften nicht heiraten.
Einer früheren Mieterin hatten sie es zu verdanken, dass sie lesen und schreiben konnten, und sie hatten ihren Selbstunterricht während des Winters wiederaufgenommen, um sich weiterzubilden. Doch hatte ihr größeres Wissen zwar ihren Horizont erweitert und ihre Gespräche über das Niveau von Dienstbotenklatsch gehoben, aber es hatte sie auch irgendwie unruhig gemacht. Nicht einer von ihnen war mehr mit der Rolle des Dieners zufrieden. Die Erfüllung des Traums von einem Gasthaus schien zum Greifen nahe und war doch gleichzeitig so furchtbar weit entfernt. Rainbird hatte gesagt, sie brauchten noch zwei gute Saisons, bevor sie alles hinter sich lassen könnten.
An einem kalten Tag, als noch der Morgenfrost draußen auf der Straße glitzerte, versammelten sich die Diener um den Tisch in ihrem Ess- und Aufenthaltsraum, um zu frühstücken und noch einmal über die bittere Enttäuschung zu reden, die sie am Tag vorher erlitten hatten.
Jonas Palmer war nämlich mit einem sehr feinen Herrn, der niemand anderer als der Earl of Fleetwood war, aufgetaucht. Der Earl war ungeheuer beeindruckend, reich und selbstherrlich. Palmer hatte die Diener nicht vorher von dem Besuch in Kenntnis gesetzt, und so war das Haus ungeheizt und die Möbel noch unter ungebleichten Leinwandbezügen verborgen.
Der Earl war von einem Zimmer zum anderen geschritten. Er brauchte nicht sehr lange dazu. Es war ein hohes, schmales Haus mit zwei Räumen in jedem Stockwerk. Im Erdgeschoss befanden sich die Eingangshalle und das Empfangszimmer, das aus dem vorderen und dem hinteren Salon bestand, im ersten Stock lagen zur Straße hin das Speisezimmer und auf der anderen Seite ein großes Schlafzimmer, im zweiten Stock zwei weitere Schlafzimmer. Im Dachgeschoss hausten die Diener, mit Ausnahme von Mrs. Middleton, die in ihrem kleinen Salon an der Hintertreppe schlief, Lizzie, das Küchenmädchen, das sein Bett in der Spülküche hatte, und Dave, dem Topfspüler, der unter dem Küchentisch kampierte.
Alice, das schöne und ein wenig langsame Hausmädchen, sagte, ihr habe der Earl sehr gut gefallen, er sei ein schöner Mann, aber Mrs. Middleton war der Ansicht, er habe zu gewieft ausgesehen, um wirklich schön genannt zu werden. Der Earl hatte dichtes schwarzes Haar und ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen, die ihm ein fast slawisches Aussehen verliehen, genau wie seine zwar strahlend blauen Augen mit schwarz umrandeten Pupillen, die aber an den Schläfen etwas schräg nach oben verliefen. Er war groß und gut gebaut, und in seinem untadelig geschnittenen Anzug von Weston, den funkelnden Reitstiefeln und mit einer äußerst raffiniert geschlungenen Halsbinde konnte er sicherlich allen Unbilden der Welt trotzen. Die Diener waren ihm alle wohlgesonnen, bis er nach dem Gang durch das Haus auf seine lässige Art gedehnt sagte: »Viel zu schäbig, Palmer. Überhaupt nicht geeignet. Und eine Kälte, dass Gott erbarm. Ich werde mir etwas anderes suchen müssen.« Und ohne den Dienern, die dabeistanden, auch nur zuzunicken, hatte er sich auf den Weg gemacht.
Vor Enttäuschung verdammten sie ihn jetzt in Grund und Boden. Sogar Dave, der nicht dabei sein durfte, weil er zu weit unten in der Rangordnung stand (und weil Palmer nicht wusste, dass der Junge im Haushalt lebte – Rainbird hatte ihn aufgenommen, um ihn vor dem bejammernswerten Los eines Kaminkehrerjungen zu bewahren –), hatte es geschafft, einen Blick durch das Geländer an der Außentreppe auf den Earl zu werfen, als dieser das Haus verließ, und er erklärte, er habe »so kalt ausgesehen wie der Kabeljau von der letzten Woche«.
»Wir wollen einen solchen Menschen ja gar nicht hier haben«, meinte Joseph, der etwas verweichlichte Lakai. »Ich habe mit Luke gesprochen, und er hat mir Sachen über ihn erzählt ...« Luke war der erste Lakai in Lord Charteris' Stadthaus nebenan.
»Was zum Beispiel?«, fragte Angus MacGregor, der schottische Koch.
»Zum Beispiel, dass er verheiratet war und seine arme Frau totgeschlagen hat«, sagte Joseph.
»Meiner Seel!«, rief Mrs. Middleton aus, und ihr etwas bleiches, ängstliches Gesicht rötete sich vor Schrecken. »Wann war das?«
»Vor acht Jahren«, sagte Joseph, der seinen affektierten Tonfall aufgab, während er den Schnorrer, den Küchenkater, von seinem Schoß herunter auf den Boden setzte, seine Ellbogen auf den Tisch stützte und sich auf einen gemütlichen Plausch einrichtete.
»Er war noch gar nicht lange verheiratet«, sagte Joseph, »als sie drunten in ihrem Haus in Sussex waren. Seine Frau war im Wald beim Haus mit ihrem kleinen Hund spazieren. Da hörten die Diener furchtbare Schreie und Schläge aus dem Wald, und ihr Hund kam ganz alleine nach Hause gelaufen. Sie sind in den Wald gerannt und haben sie gefunden, ganz blutig, erschlagen. Es war furchtbar.«
»Und wie kamen sie darauf, dass es Seine Lordschaft war?«, fragte Rainbird höhnisch.
»Bevor sie gestorben ist«, sagte Joseph, »hat sie ihre schönen blauen Augen zum Himmel gedreht und ›Peter‹ gemurmelt. Das ist der Vorname des Earl, darauf schwöre ich.«
»Warum wurde der Earl dann nicht in den Tower gebracht?«, fragte Lizzie.
Joseph schaute sie von oben herab an. Er erwartete immer noch von Lizzie, dass sie andächtig an seinen Lippen hing, obwohl ihm das Mädchen in letzter Zeit nicht mehr ganz so unkritisch ergeben zu sein schien. Bevor er ihr antwortete, bemühte er sich wieder um einen feinen Tonfall.
»Weil«, sagte er schließlich hochmütig, »er ein Angehöriger der Aristokratie ist, deshalb. Sie können sich alles erlauben. Außerdem, so sagt Luke, war der Earl irgendwo auf der Jagd.«
»Dann kann er es nicht gewesen sein«, sagte Jenny, das Stubenmädchen, das nicht viel für Luke übrighatte, schnippisch.
»Aber es war ein dunkler Tag, und eine Zeitlang hat ihn keiner im Jagdgebiet gesehen«, antwortete Joseph triumphierend. »Sie haben nicht genug Beweise gehabt, um ihn zu hängen, aber jeder weiß, dass er es war, sagt Luke.«
Rainbird warf einen Blick auf Mrs. Middletons entsetztes Gesicht. Die Geschichte von dem Mord hatte sie einer Ohnmacht nahe gebracht.
»Ich kenne Luke gar nicht anders, als dass er einen Haufen Lügen erzählt«, sagte er rundheraus.
Von draußen kam ein dunkles Grollen, das das Haus bis in die Grundfesten erschütterte.
»Was ist das?«, rief Jenny. »Ein Gewitter?«
»Nein«, sagte Rainbird. »Kohle. Wir haben schon so lange keine Lieferung mehr bekommen, dass du ganz vergessen hast, wie sich das anhört. Joseph, geh hinauf und überzeuge dich davon, dass der Deckel wieder über dem Kohlenloch befestigt wird. Palmer will, dass wir in allen Räumen Feuer machen, so wird es hier wenigstens auf seine Kosten warm.«
Joseph stolzierte mit vor Empörung steifem Rücken hinaus. Er war sichtlich der Meinung, dass die Überprüfung von Kohlenlochdeckeln weit unter seiner Würde war.
Lizzie stützte ihr spitzes Kinn auf die Hände und schaute den Butler mit ihren großen, stiefmütterchenbraunen Augen an. »Wissen Sie was, Mr. Rainbird«, sagte sie. »Ich finde, dass der Earl wie ein wirklich feiner Herr aussieht. Ich mag ihn nicht, weil ich enttäuscht bin und so, aber Lukes Geschichte kann ich nicht glauben. Ich finde, Lord Fleetwood sieht freundlich aus.«
»Aber er tat so geringschätzig«, sagte Jenny. »Und er hat uns nicht einmal angeschaut. Es war, als ob wir gar nicht vorhanden wären.«
»Nun, wir sind es auch nicht«, sagte Rainbird einsichtig, »was die oberen Zehntausend betrifft. Wir sind verwöhnt, weil wir ein paar Mieter hatten, die anders waren. He, hallo! Du hast uns wohl vergessen! Warum schickst du uns keinen Mieter, o Herr!«
»Das ist Gotteslästerung«, empörte sich Mrs. Middleton.
»Das ist ein echtes Gebet«, sagte der Butler, und ein Lächeln hellte sein kluges Komödiantengesicht auf. Angus MacGregor schälte gerade Kartoffeln. Rainbird lehnte sich über ihn, nahm sich sechs und jonglierte gekonnt mit ihnen. »Ich muss in Übung bleiben«, sagte er. »Vielleicht verdiene ich mir mein Geld wieder auf dem Jahrmarkt wie in meiner Jugendzeit.«
»So etwas dürfen Sie nicht einmal aussprechen«, verwies ihn Mrs. Middleton. Das »Mrs.« war nichts weiter als ein Höflichkeitstitel, und die Jungfer hegte die stille Hoffnung, der Butler werde sie heiraten, wenn sie erst einmal ihr Gasthaus hatten.
Wenn Mrs. Middleton dieses Gasthaus vor ihrem geistigen Auge sah, war immer Sommer, ein strahlender englischer Sommer, der erfüllt war von Rosen – und Geißblattduft und vom trägen Gebrumm der Bienen. Das Gasthaus war ein ziemlich modernes Haus, nicht etwa eines dieser schrecklichen Tudorgebäude. Die Tudors konnten nicht anständig bauen – diese niedrigen Balken, an denen man sich den Kopf stieß, diese garstigen Strohdächer, in denen die Ratten hausten. Und Abflussrohre hatten sie auch noch nicht, überlegte Mrs. Middleton, die davon überzeugt war, dass die Tudors aus reiner Bosheit absichtlich so gebaut hatten und nicht aus Unwissenheit. Sie würde nie mehr in Schwarz gehen, sondern gestreifte und geblümte Baumwoll- und Musselinstoffe tragen. Sie würde sich auch selten eine Schürze umbinden, damit die Gäste gleich erkannten, dass sie die Wirtin war und der Wirt ihr Gatte. Rainbird würde sich ändern, er würde stattlich und vornehm werden und aufhören, sich ständig an seine Jonglier-, Akrobaten- oder Zauberkunststücke zu erinnern. Wenn sie sehr erfolgreich waren, könnten sie sich vielleicht zu einer Poststation vergrößern und reihenweise Diener haben, um alle die Herren und Damen, die bei ihnen übernachteten, zu bewirten. In ihrer Vorstellung sah Mrs. Middleton schon die stattliche Gestalt des Prince of Wales aus seiner Kutsche vor der Poststation steigen, während sie und Rainbird auf der Eingangstreppe standen, um ihn zu begrüßen. Und als sie gerade einen tiefen Hofknicks vor Seiner Königlichen Hoheit machte, wurde sie mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurückbefördert, weil der Koch, Angus MacGregor, in seinem unverkennbar schottischen Dialekt sagte: »Ich frage mich, ob ich nicht einfach nach Schottland zurückgehen soll. Ich glaube nicht, dass ich für ein englisches Pub geeignet bin, so wahr ich hier stehe.«
»Oh, natürlich sind Sie das!«, rief Mrs. Middleton. Angus war ein hervorragender Koch, und seine Kochkunst würde schon allein genügen, um die Gäste in Scharen anzulocken.
»Ja, aber ich würde nur ganz wenig Geld brauchen, um mir ein kleines Stück Land in Schottland und ein paar Kühe kaufen zu können. Ich würde in meiner Heimat sein, und nicht immer nach der Pfeife eines anderen tanzen müssen, nie wieder.«
»Quatsch«, sagte Dave. »Mit einem Namen wie MacGregor würde man Ihnen gar kein Land verkaufen. Viehdiebe, das sind die MacGregors.«
Angus war zu überrascht, um beleidigt zu sein. »Woher willst du das wissen?«, rief er aus.
»Lizzie hat mir ein Buch gegeben, in dem das alles steht«, sagte Dave.
»Lauter Lügen«, murmelte Angus, aber er warf einen verstohlenen Blick auf Lizzie, die im Moment ebenso wie die Haushälterin in träumerische Gedanken verloren war. Er hatte beobachtet, wie sich Lizzie von einem unsauberen, unwissenden, verwahrlosten Kind zu einem belesenen jungen Fräulein gewandelt hatte. Aber dennoch blieb sie ein Küchenmädchen, und bestimmt fand sie ihre Stellung im Leben immer entwürdigender.
Aber Lizzie träumte ebenfalls von der Zukunft. Sie würde mit Joseph verheiratet sein, einem Joseph, der sich nicht mehr als jemand ausgab, der er nicht war, sondern mit einem männlichen Joseph, der gesund und gebräunt von der Arbeit auf dem Feld aussah. Für Lizzie bedeutete das Gasthaus nur eine andere Art von Dienen. Sie fürchtete, dass sie nur dem Namen nach zu den Besitzern gehören würde, dass man von ihr erwartete, dass sie schrubbte und putzte und bediente und nie die Freuden eines höheren gesellschaftlichen Rangs oder der Unabhängigkeit erlebte. Wenn Joseph doch nur einmal das Leben eines kleinen Bauern in Betracht zöge. Alles, was sie brauchten, wäre ein kleines Cottage und ein kleines Stück Land. Ihre Träume waren sehr ähnlich wie die des Kochs, aber während er die sich hoch auftürmenden Berge, die glitzernden Seen und die rauen Moorlandschaften Schottlands vor seinem geistigen Auge sah, sah sie die sanften Hügel von England, wo immer die Sonne schien und der Weizen reif war, wo die Rosen schwer über die Hecke hingen, wo das Gras im Garten grün und gepflegt war, in dem Garten, in dem sie am Abend stand und darauf wartete, dass Joseph die Dorfstraße herauf nach Hause geschritten kam.
Die lebhafte, dunkelhaarige Jenny war ebenfalls ganz still geworden. Für sie bildete das Gasthaus nur das Sprungbrett, von dem aus sie die Möglichkeit hatte zu heiraten. In ihren Träumen servierten sie und Alice gerade an der Theke, als zwei gutaussehende Dragoner hereinkamen, die auf der Stelle Feuer und Flamme für sie waren. Alice und sie würden eine Doppelhochzeit feiern. Danach würden sie mit ihren Männern in den Krieg ziehen und so tapfer sein, dass es der Prince of Wales erfuhr und sie mit Medaillen auszeichnete.
Nichts ahnend von den Plänen ihrer Freundin für sie, träumte die schöne blonde Alice von Kindern, von ganz vielen Kindern. Sie liebte Kinder, und wenn sie sich bemühte, das Gesicht des Mannes, mit dem sie sie haben wollte, heraufzubeschwören, gelang ihr das nie so recht. Aber dieser namen- und gesichtslose Mann würde eines Tages vor das Gasthaus geritten kommen und sie in ein Landhaus mit großen luftigen Räumen und vielen Kinderzimmern entführen.
Genau wie Lizzie betrachtete auch der kleine Dave das Gasthaus nur als eine Erweiterung seiner bisherigen Pflichten. Sie würden wieder jemanden brauchen, der die Töpfe spülte, und Dave war überzeugt davon, dass dieser Jemand immer er sein würde. Wenn er etwas hasste, dann waren es die Saucentöpfe, in denen Angus seine französischen Kreationen zu zaubern pflegte. Was da am Topfboden hängenblieb, schien aus Klebstoff zu sein. Aber wenn Mr. Rainbird sich jetzt aufmachen und wieder auf die Jahrmärkte gehen würde, dann würde Dave ihn begleiten. Sie würden ein einfaches Leben auf der Straße führen und unter dem Sternenhimmel schlafen, und er würde den Hut herumreichen, wenn die Leute Mr. Rainbirds raffinierte Tricks bestaunten und beklatschten. Der Jahrmarkt war immer bunt und farbig und heiß und sonnig, und alle Nächte waren sternklar.
Da stürzte plötzlich Joseph in den Aufenthaltsraum der Diener, und all die Träume vom Sommer und der goldenen Zukunft wirbelten um ihre Köpfe und verschwanden.
»Palmer ist da«, keuchte er. »In einer vornehmen Kutsche mit einer Lady und einem Gentleman. Sie wollen das Haus sehen.«
Er riss sich die Schürze vom Leib und warf sich in seinen schwarzen Samtrock. Sein Haar war nur stellenweise gepudert, und deshalb bestäubte er es großzügig aus der Mehltonne, so dass das Mehl seine schwarze Samtlivree wie Schuppen bedeckte.
»Vielleicht sind sie's?«, rief Rainbird. »Unsere neuen Mieter!«
Er warf seine grüne Friesschürze hin, zerrte seinen Rock von einem Haken an der Tür und sprang die Hintertreppe hinauf.
»Das da ist der Butler«, sagte Palmer, als Rainbird in die Halle gestürzt kam.
Der Hausverwalter stand mit gespreizten, stämmigen Beinen in Gamaschen da, die feisten Hände hinter dem Rücken verschränkt. Neben ihm standen eine Dame und ein Herr. Der Herr war groß und hager und hatte feine, schöne weiße Haare, die aussahen wie eine Perücke aus gesponnenem Glas. Sein Gesicht war höchst merkwürdig, weil die Nase ein bisschen nach rechts verschoben war und sich der schmale Mund in dieselbe Richtung bewegte. Es sah aus, als ob die untere Partie seines Gesichts verzweifelt versuchte, um die Ecke zu biegen, während die Augen an Ort und Stelle blieben und geradeaus schauten. Seine Kleidung war unauffällig und altmodisch, aber aus feinstem Tuch. Er machte einen leicht gebückten und merkwürdig untertänigen Eindruck. Rainbird schätzte, dass er zwischen fünfzig und sechzig war.
Dann richtete Rainbird seine klugen hellen Augen auf die Dame und musste feststellen, dass er sie nicht wieder abwenden konnte.
Schönheit ist ein mächtiger Magnet. Sie hatte klare, graublaue Augen, die von schwarzen Wimpern umrahmt waren. Ihre Haut war ungewöhnlich hell und durchsichtig. Unter ihrer modischen Haube waren schimmernde dunkelbraune Locken sichtbar, denen goldene Strähnen Glanzlichter aufsetzten. Ihr zartrosa Mund war weich und üppig. Die Augenbrauen waren zart und hübsch geschwungen, als habe ein Künstler sie mit feinem Pinsel gestrichelt. Sie hatte eine gerade Nase, einen zarten Hals über einer Halskrause aus feiner Spitze, und eine Figur, die jedem sinnlichen Menschen den Verstand rauben musste. Aber der Ausdruck ihrer Augen war hart und hochmütig.
»Hören Sie auf zu gaffen, Rainbird«, fuhr Palmer ihn an. »Führen Sie uns herum. Es ist nicht nötig, dass wir auf die umständliche Middleton warten. Wenn Mr. und Miss Goodenough das Haus gefällt, dann können Sie die Diener immer noch aufreihen.«
Rainbird ging voraus. Im vorderen Salon sprang er behände herum und riss die Schonbezüge von den Sesseln, in der Hoffnung, damit die kühle, ungemütliche Atmosphäre zu vertreiben, die den Earl of Fleetwood so abgestoßen hatte. Der Kamin war schön, und Rainbird hoffte, dass sie es bemerkten. Sein Sims war aus Marmor, und darüber befand sich ein Spiegel, den vergoldete Säulen in drei Teile teilten. Gekrönt wurde das Ganze von einem vergoldeten Architrav. Auf beiden Seiten des Kamins waren die neuen Glockenstränge befestigt, die Mrs. Middleton während der Wintermonate aus Kammgarn geflochten und die Angus, der Koch, mit Griffen aus polierten Holmen versehen hatte.
Die Stühle und Tische waren aus Mahagoni, dem Holz aus Honduras, das zurzeit in Mode war. Über einer Kommode befand sich eine Büchervitrine mit Vorhängen aus grüner Seide hinter den Glastüren, die man zuziehen konnte, um das nicht bildungswillige Auge vor dem schrecklichen Anblick unverhüllter Literatur zu bewahren.
Während er auf alle diese wunderbaren Dinge hinwies, spürte Rainbird, dass ihn ein merkwürdiges Gefühl der Vertrautheit, des Wiedererkennens, verwirrte. Er war sich sicher, dass er diesen Mr. Goodenough schon einmal gesehen hatte. Das Paar sagte nichts, während es von einem Zimmer zum anderen geführt wurde, und Rainbirds Mut begann zu sinken. Wenn ihn Palmer doch nur vorgewarnt hätte, dann hätte er vorgeschlagen, den Besuch auf den Nachmittag zu verschieben, so dass man die Zimmer hätte heizen und mit Blumen schmücken können.
Er warf immerzu Blicke in ihre Gesichter und hoffte, einen Hinweis auf Billigung oder Ablehnung erhaschen zu können. Aber Mr. Goodenoughs Augen gaben nichts preis, und sein schmaler Mund war zu einem ständigen schiefen Lächeln nach oben verzogen. Auf jeden Fall hatte die junge Dame, die bei ihm war – seine Tochter? –, eine Ausstrahlung von eisigem Hochmut, der keinerlei Mutmaßungen erlaubte.
Schließlich war der Rundgang beendet, und sie standen in der Halle, Palmer, die Dame und der Herr, und Rainbird.
»Wir nehmen es«, sagte die junge Dame. Ihre Stimme war klar und sehr kalt, ihre Sprache nicht mundartlich gefärbt. »Sie sind, wie ich verstanden habe, Rainbird, der Butler. Ich bin Miss Goodenough, und das ist mein Onkel, Mr. Benjamin Goodenough. Wir werden bis zum Ende der Saison, am vierten Juni, hier wohnen. Und jetzt möchten wir das übrige Personal sehen.«
Rainbird öffnete die Türe zur Hintertreppe, um die anderen zu rufen, aber sie waren bereits wartend dahinter versammelt. Er bat sie herein.
Mr. Goodenough war in den vorderen Salon zurückgegangen und starrte geistesabwesend auf die Straße hinaus. Die Dienerschaft stellte sich vor Miss Goodenough in Reih und Glied auf.
Ihre harten Augen wanderten die Reihe hinunter, während Rainbird die Vorstellung übernahm. Sie blieben an Joseph hängen. »Bürsten Sie Ihre Livree anständig aus, bevor Sie mir das nächste Mal unter die Augen treten«, sagte Miss Goodenough. Der Lakai errötete über und über. Dann wandte sich Miss Goodenough an Mrs. Middleton. »Sie kommen heute Nachmittag um drei Uhr zu mir, Mrs. Middleton«, sagte sie. »Bringen Sie die Haushaltsbücher mit, damit wir sie zusammen durchgehen können. Danke, das ist alles.«
»Wann wollen Sie einziehen?«, fragte Palmer.
»Heute«, sagte Miss Goodenough. »Komm, Onkel Benjamin«, rief sie.
Palmer befand sich offenbar in einem schweren inneren Konflikt. Er wollte sie nicht abschrecken, indem er die Miete forderte. Aber auf der anderen Seite waren sie aus heiterem Himmel hereingeschneit, dazu in einer Mietkutsche, nicht in einer eigenen.
»Da ist noch die Sache mit der Miete«, sagte Palmer, als die Goodenoughs auf die Haustür zugingen. Dabei warf er wütende Blicke auf Rainbird, als ob er hoffte, dass die Goodenoughs dem Butler die Schuld zuschöben, wenn sie seine Forderung unverschämt fanden.
»Ah, ja«, sagte Miss Goodenough. Sie öffnete ihre geräumige Damentasche und zog ein dickes Bündel Banknoten heraus. Rainbird schätzte, dass es mindestens fünfhundert Pfund waren. Sie zog achtzig Pfund in Fünfpfund- und Zweipfundnoten heraus.
Palmers Augen traten ihm beinahe aus dem Kopf. »Es handelt sich um einen kleinen Irrtum, Miss«, sagte er mit einem lüsternen Blick auf das Geld. »Die Miete beträgt achtzig Guineen.«
»Wie bedauerlich«, entgegnete Miss Goodenough. »Ich rechne nie in Guineen. Lästige, schwere Dinger. Papiergeld ist mir viel lieber.« Sie steckte das Geld in ihre Tasche zurück. Ihr kühler Blick blieb scheinbar eine ganze Ewigkeit auf Palmers fleischigem Gesicht hängen.
Dann sagte sie ruhig: »Sie haben dieses Haus für achtzig Pfund in der Morning Post angeboten. Ich habe den Eindruck, dass Sie in Ihrer Habgier versuchen, mich zu beschummeln. Sie bekommen nicht einen halben Penny mehr. Ich habe darüber hinaus gute Lust, Sie anzuzeigen.«
»Oh, du meine Güte!«, rief Palmer, der verzweifelt vorgab, überrascht zu sein. »Ich war wohl nicht ganz bei der Sache. Es sind achtzig Pfund.«
»Jetzt sind es nur noch sechsundsiebzig«, sagte Miss Goodenough zuckersüß. »Sie haben versucht, einen Gewinn von vier Pfund zu machen. Daher können Sie auch einen Verlust von vier Pfund verkraften, oder ich schreibe an den Duke of Pelham und unterrichte ihn von Ihrer Spitzfindigkeit.«
»Das können Sie nicht machen!«, sagte Palmer.
»Ich kann es, und ich will es«, entgegnete Miss Goodenough.