Ein Jahr in Madrid - Anne Grüttner - E-Book

Ein Jahr in Madrid E-Book

Anne Grüttner

4,4

Beschreibung

Mit Mann und Hund zieht Anne Grüttner nach Madrid und erfährt, warum die meisten Spanier ihre Arbeit hassen und von Wochenende zu Wochenende, von Puente zu Puente leben. Sie erlebt die schwere Wirtschaftskrise, in der Spanien seit vielen Jahren gefangen ist, und bewundert die langmütige Leidensfähigkeit, mit der die Madrilenos die Zumutungen der Krise wie Massenarbeitslosigkeit und Gehaltskürzungen hinnehmen. Sie erkundet die Fressmärkte Madrids und zieht von Bar zu Bar, lernt die Dörfer kennen, drückt sich erfolgreich vor gutgemeinten Einladungen zur Schweineschlachtung und zum Stierkampf und findet Erholung beim Umzug der Heiligen Drei Könige. Ein Jahr in Madrid und die wunderbaren Folgen.

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Anne Grüttner

Ein Jahr in Madrid

Reise in den Alltag

Impressum

Orginalausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption: Agentur RME Roland Eschlbeck

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Thomas Linkel/laif

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80101-3

ISBN (Buch): 978-3-451-06624-5

Für Alejandro,

der mit mir den Sprung über den großen Teich wagte

Inhalt

Juni Von meiner Landung im spanischen Immobilienboom

Spanisch für Anfänger:Puerta del Sol, traditioneller Schauplatz der Proteste

Juli Die spanische Mona Lisaund die Spuren der Vergangenheit

Spanisch für Anfänger:Tiefe Risse

August Vom Besuch im Pueblo,Ex-Kolonien und Muttersöhnchen

Spanisch für Anfänger:Iberischer Schinken

September Von Meister Horaund überdimensionierten Krankenhäusern

Spanisch für Anfänger:El Presidente

Oktober Joggen mit Schafenund die Entdeckung des Madrider Südens

Spanisch für Anfänger:Fußball, Leidenschaft der Madrilenen

November Geburtstagfest mit Nachbarnund erste Reise nach Barcelona

Spanisch für Anfänger:Katalonien will sich von Madrid lossagen

Dezember Tröten auf dem Weihnachtsmarktund Trauben an Silvester

Spanisch für Anfänger:El Corte Inglés, der spanische Dinosaurier

Januar Von magischen Königenund Unsitten im Autoverkehr

Spanisch für Anfänger:Flüche der Madrileños

Februar Die Deutschen sind an allem schuld

Spanisch für Anfänger:Nicht alles am Immobilienboom war schlecht.

März Von unserer Putzfrau Fabiolaund Bußgeldern für Bettler

Spanisch für Anfänger:Hartz IV – ein Traum

April Tapas-Touren in Madridund Ostereiersuchen im Retiro-Park

Spanisch für Anfänger:Tapas sind eigentlich gratis

Mai San Isidro, der Stierkampf und die Entscheidung

Juni Von meiner Landung im spanischen Immobilienboom

Die Zeit war gekommen. Ich war reif, nach Europa zurückzukehren. Der Gedanke hatte sich irgendwann in mein Hirn eingeschlichen und dort festgesetzt. Ich begann, immer konkretere Pläne zu schmieden. Irgendwann musste dann nur noch das Glück mitspielen.

Und es spielte mit. Als ich dem Auslandschef meiner Zeitung sagte, ich wolle zurück nach Europa, ob es da nicht einen Job für mich gäbe, reagierte er prompt: Wie wäre es mit Spanien?

Spanien. Na klar. Da kamen längst vergessene Träume hoch. Als pubertierende Jugendliche hatte ich im kleinen Feriendomizil meiner Eltern in dem touristischen Städtchen Javea an der spanischen Levante-Küste nachts auf meinem Bett am Fenster gesessen, den Beats der fernen Discos unten in der Stadt gelauscht und von einem selbstbestimmten, sonnendurchfluteten Leben in Spanien geträumt. Nun sollte es also Wahrheit werden.

Eine kleine Hürde blieb noch: Ich musste meinen langjährigen Freund, einen argentinischen Querflötisten und Musiklehrer, davon überzeugen, dass es ein guter Zeitpunkt sei, um auf den alten Kontinent, meinen Kontinent, überzusiedeln – immerhin in ein Land, wo seine Sprache gesprochen wird, in seine „madre patria“, die „Mutter-Heimat“, wie die Spanier sich als ehemalige Kolonialherren euphemistisch gegenüber Südamerika beschreiben.

Zwar sind die Argentinier ähnlich heimatverbunden wie die Spanier, wie ich später feststellen sollte. Doch ich hatte gute Argumente auf meiner Seite: Nach sieben Jahren in Argentinien war eine Veränderung fällig. Und mit meinem Job in Spanien würde ich erst mal uns beide ernähren können.

Wir versuchen es, so lautete schließlich die Abmachung. Ein Jahr lang. Wenn es uns nach einem Jahr nicht gefällt, dann geht es entweder wieder nach Argentinien oder zurück nach Deutschland. Insgeheim war ich natürlich entschlossen, Europa nicht so bald wieder zu verlassen. Aber ich ließ die Dinge auf mich zukommen.

Meine spanische Freundin und Kollegin Carmen sagte mir sogleich ihre tatkräftige Unterstützung zu. Carmen ist Südamerika-Korrespondentin für die spanische Zeitung ABC, eine konservative und sehr monarchiefreundliche Zeitung, die selbst angesichts welterschütternder Ereignisse imstande ist, ihr Blatt mit einem großen Foto des Kronprinzen Felipe und seiner Frau Letizia aufzumachen, wie sie gerade ihre Tochter in den Kindergarten bringen.

Dank Carmen und ihrer Familie erfuhr ich nun zum ersten Mal am eigenen Leib, wie ungeheuer selbstlos und hilfsbereit die Spanier sein können, wenn es drauf ankommt. Meine Freundin ließ es sich nicht nehmen, zu Alejandros und meiner kurzfristig noch in Buenos Aires anberaumten Hochzeit eine kleine Feier auszurichten. Da Alejandro nun meinetwegen den Schritt weg von seiner Heimat nach Europa machen wollte, war es uns nur logisch erschienen, vorher noch zu heiraten. Nur für Eheringe reichte die Zeit nicht mehr. Das, so nahmen wir uns vor, würden wir nachholen, sobald wir uns in Madrid richtig eingelebt hatten. Die von Carmen in der Wohnung einer anderen Kollegin organisierte wunderschöne Hochzeitsfeier, zu der sie Alejandros Familie und unsere besten Freunde eingeladen hatte, fand dann zwei Wochen vor unserer Abreise nach Spanien statt und war zugleich eine Art Abschiedsfest.

Zuvor schon hatte Carmen außerdem ihre in Madrid residierende Mutter Julia eingeschaltet, eine ungeheuer energische, effiziente und intelligente Achtzigjährige, die ich nur einmal flüchtig bei einem ihrer Besuche in Buenos Aires kennengelernt hatte. Carmen erzählte ihrer Mamá, dass ich im Juli nach Madrid umsiedeln würde und dort vor allem erst einmal eine Wohnung bräuchte.

Kurze Zeit später bekam ich eine E-Mail von Julia. Welche Vorstellungen ich denn in Bezug auf Preis und Größe des Domizils hätte. Ich bräuchte drei Zimmer, antwortete ich ihr, da mein Mann und ich beide zu Hause arbeiten würden und wir dies unmöglich im selben Raum tun könnten. Außerdem ein gemeinsames Wohnzimmer. Mein Hund Lola, eine argentinische Straßenmischung, sollte natürlich in der Wohnung willkommen sein und im Übrigen einen Park zum Auslauf in der Nähe haben.

Dann müsse ich im Norden Madrids wohnen, und sicherlich wolle ich für die heißen Madrider Sommermonate ein Schwimmbad in meiner Wohnsiedlung haben, kam sogleich die Antwort. Nun ja, wenn denn das in Madrid zur Standardausstattung gehört, dann wollte ich selbstverständlich ein Schwimmbad.

Um es kurz zu machen: Julia fand genau zwei Angebote für mich, die sie auch sogleich höchstpersönlich in Augenschein nahm. Eines der Objekte liege an einer lauten Ausfallstraße, schrieb sie mir. Die andere Wohnung, eine Dreizimmerwohnung im Vorort Alcobendas, sei dagegen sehr schön, Fotos anbei.

Die Fotos zeigten eine Neubauwohnung, Parkettfußboden, drei Bäder. Die Spanier sparen niemals an Bädern in ihren Behausungen, eine durchaus nachahmenswerte Gewohnheit, finde ich. Ein Balkon war auch dabei. Draußen im gemeinschaftlichen Garten dieser etwa achtzig Parteien umfassenden Siedlung das Schwimmbad, sehr einladend. Sogar ein kleines Gym gab es da. Direkt gegenüber war eine S-Bahn-Station, von der aus man in einer Viertelstunde ins Zentrum fahren konnte. Die U-Bahn hatte ich in fünf Gehminuten Entfernung. Was wollte ich mehr. Zumindest die ersten heißen Monate wären wir dort sicher gut aufgehoben.

Alcobendas, wohin ich also nun ziehen würde, ist auch die Heimat der Schauspielerin Penelope Cruz, so recherchierte ich. „I grew up in a place called Alcobendas, where this was not a very realistic dream“, stammelte eine emotionsgeladene Penelope, nachdem sie für ihre Rolle im Woody-Allen-Film „Vicky Cristina Barcelona“ gerade einen Oscar bekommen hatte. In ihrer Heimatstadt Alcobendas sei sie als junges Mädchen nachts aufgeblieben, um die Oscar-Verleihungen im Fernsehen anzusehen.

Penelopes Vater, so erfuhr ich später, war sogar mein direkter Nachbar. Er wohnte direkt in der „Urbanización“, wie die Spanier die überall aus dem Boden geschossenen kleinen Wohnsiedlungen mit gemeinsamer Gartenanlage nennen, neben meiner.

Als ich vom Flughafen mit dem Taxi in meine neue, aus der Ferne mit Julias Hilfe angemietete Wohnung fuhr, wurde mir doch etwas mulmig. Von der vierspurigen Ringautobahn M-40 ging es direkt in ein Neubauviertel, wo eine Urbanización sich an die nächste reihte, alles ein einheitlicher, backsteinfarbener Brei. Ich war mitten im spanischen Immobilienboom gelandet. Der war zwar zum Glück vorbei, doch hier zeigten sich seine Auswüchse in all seiner Fantasielosigkeit. Nur ein winzig kleiner alter Stadtkern ist von Alcobendas und dem Nachbardorf San Sebastian de los Reyes geblieben, die mittlerweile durch die neuen Urbanizaciónes zu einer größeren Vorstadt verschmolzen sind. Für Penelope Cruz musste es ein Riesenschritt von hier zu Almodóvar und Woody Allen gewesen sein. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann Javier Bardem und ihren beiden kleinen Kindern übrigens wieder in Madrid, und zwar in Valdelagua, noch weiter auswärts in Richtung Norden von Alcobendas aus.

Hätten sie es so richtig luxuriös haben wollen, hätten sie auch in die Moraleja ziehen können, eines der teuersten Wohngebiete Madrids ganz am Rand von Alcobendas, an dem unser Taxi auf dem Weg vom Flughafen vorbeibrauste. Die Lage direkt an der Kreuzung zwischen der Autobahn A-1 Richtung Norden und der äußeren Ringstraße M-40 war für die Bewohner mit ihren großen SUVs besonders praktisch. In La Moraleja hatte etwa der Fußballer David Beckham während seiner Jahre bei Real Madrid gewohnt. Ein Viertel mit schmalen Straßen, gesäumt von imposanten Villen und hohen Zäunen, an denen gigantische Überwachungskameras klebten. Die schmalen Bürgersteige waren leer, wurden allenfalls von Dienstmädchen in Uniformen benutzt, die den Hund der Herrschaft spazieren führten oder nach einem langen Arbeitstag zum Bus liefen, um anderthalb bis zwei Stunden in den Süden, ans andere Ende der Stadt zu fahren, wo sie eine kleine Behausung mit ihrer Familie oder mit anderen Dienstmädchen teilten.

Die Gegend, in der ich wohnen würde, entpuppte sich als ein typisches Mittelstandswohngebiet. Meine Wohnung war Teil eines gesichtslosen Backsteingebildes, das sich von den umliegenden Gebäuden auf den ersten Blick kaum unterschied.

Der Hausmeister Pedro sollte mir die von Julia deponierten Schlüssel überreichen. Ich suchte auf dem Klingelbrett vergeblich nach einem Schild, auf dem „Portero“, Hausmeister, stand. Weit gefehlt. Überhaupt gibt es in Madrid keine Namensschilder an den Türen. Es gibt nur eine Tastatur wie bei einem Bankautomaten, in den man den Code der Wohnung eingeben musste. Wenn man ihn denn hätte.

Da ich keinen Code hatte, versuchte ich stattdessen, durch eine Glaswand neben der Haustür zu spähen, konnte aber nicht viel erkennen und winkte einfach mal wild, dass mir doch jemand aufmachen solle. Nach einer Weile öffnete sich tatsächlich die Tür. Ein wackerer Mittfünfziger mit Kugelbäuchlein und einem etwas indignierten Gesichtsausdruck schaute mich an. „Hallo, ich suche Pedro“, sagte ich. „Ich bin Pedro“, entgegnete Pedro und schaute mich weiter starr an. „Ich bin Anne, ich werde hier einziehen, Julia hat Schlüssel für mich bei Ihnen hinterlegt“, sagte ich und setzte mein strahlendstes Lächeln auf. Denn eines hatte ich schon in Argentinien gelernt: Mit dem Portero muss man sich immer gut stellen. Das ist lebenswichtig.

Bei Pedro aber perlte meine Charmeoffensive ab wie das Wasser an der Seife. „Pues venga, dann kommen Sie mal mit“, sagte er und schritt voran. Pedro ist ein häufig aufzufindender Prototyp in Madrid. Wortkarg, das absolute Gegenteil von heiter, ein Lächeln traute sich selten über die schmalen Lippen. Aber gleichzeitig würdevoll und kerzengerade, das Bäuchlein geradeaus in die Luft gereckt. Diesem Typus würde ich später in Gestalt von Kellnern, Schustern oder sonstigem männlichem Dienstpersonal in gehobenem Alter immer wieder begegnen: manchmal ein wenig grob, oft auch arrogant, dem Kunden immer ein wenig das Gefühl gebend, dass man eigentlich doch etwas Besseres zu tun hätte, als ihm zu Diensten zu stehen.

Pedro nun führte mich durch den Gemeinschaftsbereich unserer Wohnsiedlung in meine künftige Behausung. Der Garten war voll, das Schwimmbad ebenso, in Madrid hatten gerade die Schulferien begonnen. Ich bemerkte, wie mich die Nachbarn unauffällig, aber eindringlich musterten. Später erfuhr ich, dass der Besitzer meiner von Julia angemieteten Wohnung der brasilianische und pechschwarze ehemalige Real-Madrid-Fußballer Júlio César war, der hier einige Zeit selbst mit Frau, Kindern und Hund gewohnt hatte. Durch ihren unbekümmert-lauten brasilianischen Lebensstil hatte die Familie wohl für allerlei Aufsehen und Lärm gesorgt, nicht zuletzt wegen des unauf hörlich bellenden Hundes, so erzählten die Nachbarn. Die eher konservativen Madrilenen hier und der Fußballer aus dem brasilianischen Maranhão – da waren wohl zwei Welten aufeinandergeprallt.

Nun würde also wieder so eine undefinierbare Ausländerin in die Wohnung einziehen. Ich bin groß und blond, entspreche überhaupt äußerlich, wie ich immer wieder zu meinem Leidwesen feststellen muss, ziemlich dem Klischee einer Deutschen, konnte mich schon in Argentinien niemals unauffällig unter die einheimische Menge mischen.

Und noch etwas lernte ich gleich: Mit Haustieren hatten es meine Mitmenschen hier nicht so. Mein in Argentinien von der Straße aufgelesener Mischling Lola, der etwa die Statur eines größeren Cockerspaniels hat, entwischte nämlich kurz nach unserer Ankunft aus der offenen Haustür und ging nach draußen in den Garten. Einige meiner neuen Nachbarn reagierten so panisch, als wäre Lola ein Wolf. „Wem gehört dieses Tier?“, hörte ich von draußen die Schreie. „Hier dürfen keine Hunde frei laufen, meine Tochter hat Panik vor Hunden!“, wurde ich von einer wohltoupierten Anfangvierzigerin angefaucht, als ich in den gemeinschaftlichen Garten stürzte, um den Hund wieder zu holen. Dabei war Lola nur ganz harmlos durch die Gegend spaziert und hatte ein bisschen geschnüffelt, um ihre neue Umgebung kennenzulernen. Auch da würden wir uns also nach dem unkomplizierten und überaus tierlieben Buenos Aires wohl etwas umstellen müssen.

Die Wohnung war einwandfrei und das Schwimmbad ebenso. Dennoch war mir an diesem ersten Abend noch überhaupt nicht so, als wäre ich der Heimat nähergekommen. Madrid fühlte sich fremder an als Buenos Aires. Europa, so hieß es in der napoleonischen Zeit, endet an den Pyrenäen. Dieser Spruch diente auch dem Diktator Francisco Franco dazu, sich vom restlichen Europa abzugrenzen. Ist das etwa noch immer so? Waren meine Erfahrungen als pubertierende Touristin in Javea, als ich noch kein Wort Spanisch sprach, mich aber trotzdem irgendwie sehr wohl und vertraut fühlte, völlig naiv gewesen?

Ich stellte ziemlich schnell fest, dass ich vor allem eine Nummer brauchte, eine Steuernummer, genau gesagt, die sogenannte NIE. Ohne sie wollte keine Bank mir ein Konto eröffnen. Ohne die NIE gab es auch kein Handy, keinen Strom- oder Wasseranschluss auf meinen Namen. Und das als Deutsche in Europa, in der EU, in der Eurozone. Gemeinsame Währung, ja, aber ein Konto eröffnen geht nicht. Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Ich klagte Julia meine Nöte, die ohne Ankündigung – ich hatte ja nur mein argentinisches Handy, das in Spanien natürlich nicht funktionierte – schon am zweiten Tag höchstpersönlich vor der Tür stand, um nach dem Rechten zu sehen. Kurz vor neun bemerkte ich sie vor meinem Küchenfenster, als ich mir gerade meinen Kaffee kochte. Die Wohnung lag im Erdgeschoss, die Zimmer waren entlang des gemeinschaftlichen Gartens aufgereiht. Das hatte zweierlei Nachteile: Erstens war sie sehr düster, dadurch immerhin nicht ganz so heiß. Zweitens konnten alle Nachbarn und ihre Kinder beim Vorbeigehen in meine Räume schauen. Wenn ich meine Ruhe haben wollte, musste ich die Rollläden herunterlassen – womit ich dann ganz im Dunkeln saß. Na toll.

Aber in diesem Fall hatte das seinen Vorteil, da mein Blick beim Kaffeemachen sofort auf Julia fiel, die ich vorher nur einmal bei einem Besuch in Buenos Aires kennengelernt hatte. Seitdem hatten wir nur per E-Mail und per Telefon kommuniziert. Julia plauderte mit Pedro, dem Hausmeister. Sie hatte gewartet, bis sich in der Wohnung etwas bewegte – sie wollte mich ja nicht aufwecken. Die Ruhezeiten, auch die Mittagsruhe am Wochenende, sind in Spanien heilig. Es gibt kaum etwas Unhöflicheres, als jemanden zu früh – wie auch immer die Zeiten des Einzelnen sind – in der Wohnung zu stören.

Julia begann, mit ihrem Handy herumzutelefonieren. Ich glaube, sie sprach mit mehreren ihrer insgesamt elf Kinder. Insbesondere zu einem ihrer Sprösslinge, der Rechtsanwalt ist, hatte sie anscheinend großes Vertrauen, dass er meine Probleme lösen könne. Und tatsächlich. Er fand eine Nummer des Ausländeramts, unter der man einen Termin für die Beantragung der NIE erbitten musste. Wir versuchten, anzurufen. Nach etwa einer halben Stunde Besetztzeichen kam Julia – sie hatte die Sache in die Hand genommen und kam nicht mal auf den Gedanken, dass ich ja nun auch selbst dort anrufen könnte – endlich durch. Ich bekam einen Termin in zwei Wochen. Dann musste ich mit meinen Papieren auf das Amt, um den Antrag auf die NIE zu stellen. Na also, geht doch.

Als ich kurze Zeit später einer Kollegin davon erzählte, war sie erstaunt. Sie hätte vor zwei Jahren noch mehrere Monate auf einen Termin warten müssen, erzählte sie mir. Und vor der Krise war die Beantragung einer NIE ein absoluter Horror. Eine Freundin, die 2007, kurz vor dem Crash des Immobilienmarktes, angekommen war, musste sich fünf Stunden lang beim Ausländeramt in der Straße Diego de Leon in der Innenstadt anstellen, wo sich die Schlange einmal um den ganzen Block wand.

Denn während des Immobilienbooms waren die Immigranten aus Lateinamerika, aus Nordafrika oder Rumänien in Scharen nach Spanien gezogen, um hier auf dem Bau schnell gutes Geld zu verdienen. Der Anteil an Ausländern schwoll in kürzester Zeit von praktisch null auf derzeit rund zehn Prozent der Bevölkerung an – und damit auf ein ähnliches Niveau wie in Deutschland.

Erst später würde ich mit Staunen und auch mit Hochachtung feststellen, dass dieser schnelle Zuzug von so vielen Ausländern in Spanien niemals für ernsthafte Probleme sorgte. Eine xenophobe oder sonst wie rechtsradikale Partei ist weder im nationalen noch in einem der regionalen Parlamente auch nur mit einem Sitz vertreten – selbst nach Jahren schwerster Wirtschaftskrise und einer Massenarbeitslosigkeit von zeitweilig mehr als 27 Prozent nicht.

Sicherlich kam den Spaniern zugute, dass es sich bei einem Großteil der Einwanderer um Latinos handelte, die die gleiche Sprache sprechen und somit leicht zu integrieren waren. Aber besonders in den großen Städten sieht man viele Schwarzafrikaner und etliche Muslime aus Nordafrika. Gerade in den Handwerksberufen sind zudem die Rumänen stark vertreten, die als zuverlässige und fähige Arbeiter von spanischen Arbeitnehmern und Kunden sehr geschätzt werden. Man könnte sagen, sie nehmen den vielen arbeitslosen spanischen Handwerkern den Job weg, die während des Booms auf den zahlreichen Baustellen reich wurden und jetzt oftmals mit nichts dastehen oder von kärglichen staatlichen Hilfen plus ein wenig Schwarzarbeit überleben müssen. Doch von Feindseligkeit gegenüber den Ausländern ist wenig zu spüren. Ausschreitungen gar gab es bisher keine.

Nachdem Julia mir den Termin beim Ausländeramt besorgt hatte, packte sie mich in ihren kleinen roten Fiat 500 Cabriolet, den ihre elf Kinder ihr gemeinsam zum 80. Geburtstag geschenkt hatten, wie ich von Carmen wusste. Wir fuhren los in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum. Pedro hatte Julia instruiert, wohin sie zu fahren hatte. Dort dirigierte mich die resolute alte Dame mit ihrem blondierten und perfekt frisierten Haarschopf und sorgfältigen Make-up in einen Laden der größten Telefongesellschaft des Landes. Ich bekam einen Router fürs ADSL ausgehändigt, suchte auch gleich ein Handy aus, und die nette, wenn auch etwas langsame Verkäuferin in dem Telefonladen versprach mir, dass beides innerhalb weniger Tage funktionieren werde. Das war ja schon mal was.

Nun war es mittlerweile halb zwei, also für Spanier fast Mittagszeit. Da war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass wir uns einfach trennten und jeder nach Hause fuhr. Die Mittagsmahlzeit ist den Spaniern genauso heilig wie das Abendbrot, beides ist in der Regel mehrgängig, warm und wird mit relativ großem Zeitaufwand zelebriert. „Ich kenne hier ein ganz nettes, ganz einfaches Restaurant, lass uns eine Kleinigkeit picken gehen“, sagte Julia. Gesagt, getan.

Als Julia mich schließlich zwei Stunden später nach einem dreigängigen Mittagessen zu Hause absetzte, beschlossen Alejandro und ich, unserer neuen, doch eher eintönigen Umgebung für ein paar Stunden den Rücken zu kehren. Wir sehnten uns nach einem stilvolleren Ambiente und fuhren in die Innenstadt mit der wunderbar bequemen, schnellen und nagelneuen S-Bahn oder Cercanias, wie die Spanier sagen. Direkt gegenüber von unserem Haus war eine Haltestelle, von der wir bis zur Puerta del Sol, also mitten ins Herz von Madrid, durchfahren konnten.

Alejandro und mir erschien die Puerta del Sol an diesem lauen Sommerabend indes nicht wirklich einladend. Vielmehr wurde man von als Mickey, Pocoyo und andere Figuren verkleideten Personen bedrängt, doch einen Luftballon zu kaufen. Zugleich musste man sich vorsehen, nicht von einem der dort arbeitenden Zigeuner beklaut zu werden.

So begnügten wir uns damit, pflichtschuldigst einen Blick auf den „Nullkilometer“ zu werfen, eine halbrunde Plakette, die vor dem Sitz der Madrider Stadtregierung in den Bürgersteig eingraviert ist: Auf der Plakette ist ein Umriss Spaniens zu sehen, und genau in der Mitte des Landes ein Punkt, von dem sechs feine Linien abgehen: Madrid und seine Autovias, die hier ein bisschen wie eine Spinne aussehen.

Auch die Bronze-Bärin am Erdbeerbaum, die auch die Fahne der Region Madrid ziert, schauten wir uns kurz in natura an. Diese Statue geht übrigens auf einen Disput im 13. Jahrhundert zwischen der Stadt Madrid und der Kirche über die Ausbeutung des Bodens und aller seiner Schätze zurück. Schließlich einigte man sich darauf, dass die Kirche die alleinigen Rechte auf die Nutzung des Bodens bekäme, die Stadt Madrid hingegen die Bäume und die Jagd für sich beanspruchen durfte. Der Klerus gab sich dann entsprechend ein Wappen, das eine grasende Bärin zeigte. Die Stadt Madrid wählte die Bärin am Baum.

Wir trollten uns weiter die wunderschöne Calle Mayor entlang, die jahrhundertealte Hauptstraße von Madrid, und kamen schließlich an unser Ziel für den ersten Abend: die Plaza Mayor, der älteste und schönste Platz in Madrid. Schon im 12. Jahrhundert war die Plaza Mayor ein Marktplatz, im 17. Jahrhundert wurde sie dann nach Plänen desselben Architekten, der auch den Habsburger-Palast El Escorial gebaut hat, zu einem geschlossenen Platz ausgebaut. Wie viele Plätze in Madrid und in anderen spanischen Städten war die Plaza Mayor damals eine Art offene Theaterbühne, die Balkone und Fenster der umliegenden Gebäude waren die Tribünen. Der König hatte seine eigene Loge in einem der Gebäude, von der aus er sich an Theateraufführungen, Reitturnieren, Stierkämpfen oder Hinrichtungen ergötzen konnte.

Wir ließen uns auf der Terrasse eines der zahlreichen Restaurants nieder. Uns war klar: Unser Lieblingsrestaurant würden wir hier nicht finden, dafür waren Preise und Qualität zu sehr auf einmalige Besuche von Touristen ausgerichtet. Als ich um mich blickte, stellte ich fest, dass wohl kaum ein Spanier unter den Gästen der Restaurants war. Wir beschlossen, nur eine Caña zu trinken. So nennt man in Madrid ein kleines Bier, das gute Bars ungefragt und kostenlos mit einem kleinen Tellerchen Oliven, Chips oder, wenn man Glück hat, sogar mit ein paar Tapas (die typischen kleinen Häppchen der spanischen Bars) servieren. Nicht so auf der Plaza Mayor.

Doch als Einstieg für den ersten Abend in Madrid war diese wunderschöne, historische Plaza mit ihrer für diesen Teil Spaniens so typischen schlichten und strengen Architektur genau das Richtige. „Vielleicht hätten wir doch lieber in die Stadt ziehen sollen“, meinte Alejandro etwas wehmütig. In Buenos Aires hatten wir mitten im Zentrum gelebt, im malerischen Tangoviertel San Telmo. Aber Buenos Aires war auch am Fluss gelegen, dort gab es immer eine frische Brise. Was man hier nicht behaupten konnte. „Zu stickig und zu wenig grün“, befand ich. Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Vor allem sind die etwas schöneren und auch größeren Wohnungen in diesem historischen Teil von Madrid noch immer ziemlich teuer. Wir beschlossen trotzdem, uns nach dem Sommer noch einmal in Ruhe auf dem Madrider Wohnungsmarkt umzuschauen.

Nach einer Weile zogen wir weiter durch das Barrio de las Letras. Ein bisschen schaute ich mich dabei schon um, ob ich meine Traumwohnung entdecken würde. Aber die Straßen in diesem historischen Zentrum waren eindeutig zu schmal und trotzdem leider für Autos zugänglich. Die Luft war abgasgeschwängert. Zu dem Schritt, die historische Innenstadt in eine Fußgängerzone umzuwandeln, hat sich die konservative Stadtregierung von Madrid scheinbar noch nicht durchringen können.

Auf der Plaza Santa Ana beschlossen wir den Abend mit weiteren Cañas und ein paar Patatas bravas, eines der Standardgerichte zum abendlichen Bier oder Wein: frittierte, relativ dicke Kartoffelstücke, die mit einer scharfen roten Sauce serviert werden. Und wir bestaunten die Kulisse: Die östliche Flanke des Platzes nimmt das ehrwürdige Teatro Español ein, das älteste Theater von Madrid. Auf der Westseite wird die Plaza vom prachtvollen Melia Hotel Reina Victoria eingerahmt. Dort pflegten angeblich die berühmtesten Stierkämpfer abzusteigen. Von der noblen Cocktailbar „Penthouse“ auf der Dachterrasse des Hotels hat man zudem einen spektakulären Blick über die Dächer von Madrid.

Als wir gegen Mitternacht die Cercanias zurück nach Alcobendas nehmen wollten, stellten wir fest, dass die letzte S-Bahn schon eine halbe Stunde zuvor abgefahren war. Nun gut. Also weiter zur U-Bahn. Dort erwischten wir gerade noch den letzten Zug, der nach Alcobendas rausfuhr. Dabei war es Freitagabend, und die jungen Madrileños sind berühmt dafür, große Nachtschwärmer zu sein. Die gingen doch um diese Zeit gerade erst von zu Hause los. Ihnen blieb dann wohl nichts anderes übrig, als bis zum ersten Zug um sechs Uhr morgens durchzuhalten. Oder man musste eben doch im Zentrum wohnen.

Am nächsten Tag legten wir uns auf den Rasen vor dem Schwimmbecken unserer Urbanización und waren erst mal wieder ganz zufrieden mit unserem Domizil. Ein Schwimmbad beim Haus, das ist doch einfach ein Luxus, vor allem im heißen, extrem trockenen und staubigen Madrider Sommer.

Spanisch für Anfänger:Puerta del Sol, traditioneller Schauplatz der Proteste

An der Puerta del Sol lag zu Zeiten der Habsburger das östliche Stadttor Madrids. Dort ging für Madrid die Sonne auf. Doch der Platz ist viel mehr als nur eine historische Stätte. Seit Jahrhunderten versammelt sich hier das spanische Volk oder Teile davon, wenn es von seinen Herrschern genug hat. Hier stellten sich im Mai 1808 spanische Aufständische den napoleonischen Besatzern entgegen – und wurden niedergemetzelt. Hier wurde auch 1931 die Zweite Spanische Republik ausgerufen. Hier, direkt vor der Nase der Regionalregierung von Madrid, werden bis heute die meisten Demonstrationen oder Protestaktionen abgehalten.

Auf der Puerta del Sol entstand am 15. Mai 2011 auch die Protestbewegung 15-M. Das war eine über die sozialen Netzwerke einberufene Demonstration, zu der verschiedene linke Grüppchen aufgerufen hatten und die rasant schnell wuchs. Über Wochen kampierte ein harter Kern der Protestler damals auf der Puerta del Sol.

Eine Zeit lang wurde der 15-M zum Ventil oder zum Sprachrohr für all die Frustrierten, die ihren Job verloren, ihr Gehalt gekürzt bekommen hatten oder aus ihrer Wohnung rausgeschmissen worden waren und die gleichzeitig sahen, wie unfähigen und korrupten Bankern mit vielen Milliarden Euro Steuergeldern die Haut gerettet wurde.

Doch wie so oft bei diesen Bewegungen war das Problem des 15-M, dass das Themenspektrum zu vielseitig war und die meisten Protestler zwar genau wussten, wogegen sie waren, aber wenig realitätsnahe Verbesserungsvorschläge zu bieten hatten. Sie waren gegen die Sparpolitik, gegen die Bankenrettung, gegen die zahlreicher werdenden Zwangsräumungen bei Leuten, die nach dem Platzen der Immobilienblase und mit einer Arbeitslosigkeit von 27 Prozent ihre Hypothek nicht mehr bezahlen konnten. Sie waren gegen das politische System, in dem sich seit der Rückkehr zur Demokratie zwei große Parteien an der Macht ablösten. Aber fast keiner war bereit, eine Partei zu gründen und eine politische Alternative zu bieten. Die einzige dieser Gruppierungen, die tatsächlich viel leistete, war die „Plataforma contra Desaucios“, die Plattform gegen Zwangsräumungen. Deren Aktivisten stellen sich bis heute bei Zwangsräumungen dem Gerichtsvollzieher und der Polizei entgegen, versuchen gleichzeitig, alternative Lösungen mit der Bank auszuhandeln, und haben so schon viele Menschen vor dem Rausschmiss aus dem Eigenheim bewahrt.

Juli Die spanische Mona Lisa und die Spuren der Vergangenheit

Es war nun wirklich brütend heiß. Tagsüber zwischen 11 und 18 Uhr tat man gut daran, sich möglichst wenig draußen zu bewegen. Höchstens im und am Schwimmbad. Genau das tat ich. Dabei nahm ich gleich meine Nachbarn etwas näher in Augenschein – ohne Hund ging das besser. Es war allerdings nicht ganz einfach, über das höfliche Grüßen hinauszukommen. Apropos Grüßen. Erst nach vielen Jahren in spanischsprachigen Ländern hatte ich kapiert, dass die Art der Grußformel sich, wie so vieles im Leben der Spanier, nach dem Essen richtet. Man sagt „Hola, buenos días“ bis zum Mittagessen, danach „Hola, buenas tardes“, und erst irgendwann ab 21 Uhr oder noch später dann „Buenas noches“.

Zunächst fühlte ich mich mit meinem Beobachterstatus ganz wohl. Ich stellte fest, dass meine Nachbarn – und das trifft, wie ich später merkte, im Großen und Ganzen auf alle Madrileños zu – am Wochenende oder in den Ferien alle etwa dem gleichen Rhythmus folgten. Morgens um 11.30 Uhr sperrte unser Bademeister, ein gut gebauter Ingenieurstudent namens Ismael, das Tor zu dem aus Sicherheitsgründen umzäunten Schwimmbad auf, nahm die Plane weg, die das Wasser nachts warm halten sollte, und setzte sich auf sein Plastikstühlchen in der Ecke. Dann dauerte es aber mindestens bis 12, oft sogar bis 13 Uhr, bis die ersten Nachbarn aus ihren Wohnungen kamen, um sich ans Schwimmbecken zu legen oder darin ihre Bahnen zu ziehen. So ab 13.30 Uhr war es dann richtig rappelvoll, da waren endlich alle aufgestanden und hatten gefrühstückt.

Zwischen 14.30 Uhr und 16 Uhr machte Ismael Mittagspause – und damit auch das Schwimmbad. Wie unlogisch, dachte ich zunächst, die schönsten Sonnenstunden. Doch in Spanien ist das schon sinnvoll, denn die Mittagsstunden sind für die Spanier heilig. Das Mittagessen, das ab 14 oder gar 15 Uhr eingenommen wird, nimmt eine bis zwei Stunden in Anspruch. Und danach wird am Wochenende oder in den Ferien Siesta gehalten. Wer nicht schläft, der läutet auf jeden Fall eine Ruhestunde zu Hause ein. „Vor 18 Uhr kommt keiner runter“, beschwerte sich der Bademeister entnervt. Er machte den Job zum ersten Mal in seinem Leben und meinte, er habe sich noch nie so sehr gelangweilt wie in den vielen Stunden allein auf seinem Stühlchen in unserem Schwimmbad.

Abends hingegen, wenn das Schwimmbad um 21 Uhr schloss und Ismael endlich nach Hause gehen durfte, tobte in diesen Ferienmonaten noch das Leben. Die Kinder, auch die kleinsten, spielten in der Gartenanlage. Die Erwachsenen saßen in kleinen Grüppchen auf Gartenstühlen beisammen und plauderten, meist sehr lautstark. Fast jeden Abend versammelten sich einige Männer jeweils zu viert um einen grünen IKEA-Kindertisch aus der Serie Mammut, den sie aus dem Spielsaal der Urbanización ausgeliehen hatten. Sie spielten Mus, ein Kartenspiel aus dem Baskenland, das unter spanischen Männern sehr beliebt ist. Leider schienen die Frauen entweder keine Lust zum Kartenspielen zu haben oder nicht erwünscht zu sein, jedenfalls habe ich in meiner Zeit in dieser Urbanización nie auch nur eine einzige Frau an einem dieser Tische gesehen. Schade, denn sonst hätte ich mich vermutlich mal dazugesetzt und mir die Spielregeln erklären lassen. Ich liebe nämlich Kartenspiele. In Deutschland habe ich mir einige Nächte mit Doppelkopfrunden um die Ohren geschlagen.

Gegen halb zehn abends begann sich das Ganze zu leeren,