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Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Dass sich Dr. Rolf Wieser, Richter am Amtsgericht München, Arbeit mit nach Hause nehmen musste, war unumgänglich gewesen. Gewisse Entscheidungen konnte er nicht so einfach weitergeben. In der letzten Zeit aber brachte er sich täglich Arbeit mit nach Hause. Dann zog er sich gegen siebzehn Uhr, kaum war er heimgekommen, in sein kleines, aber sehr gemütliches Arbeitszimmer zurück, ging erst einmal zu seiner Stereo-Anlage, um eines seiner geliebten Vivaldi-Konzerte aufzulegen. Erklangen die ersten Takte, blickte er meistens nachdenklich aus dem Fenster. Und während er hinaus in den gepflegten Garten sah, schlich sich allmählich ein zufriedenes, gelöstes Lächeln auf sein Gesicht. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Seine Frau Alida trat ein. Sie war eine elegante Blondine von nicht ganz dreißig Jahren. Ihr Gesicht war feingeschnitten, aber eine Spur zu herb. »Bist du schon lange hier?«, fragte sie ihn und nestelte dabei an ihren hochgesteckten goldbraunen Locken herum. »Erst seit zehn Minuten, Alida.« Er wollte auf sie zugehen und den Arm um sie legen, aber Alida war viel zu beschäftigt, um das zu bemerken. Schnell stellte sie sich selbst ans Fenster. Dabei musste sie die Gardine zur Seite schieben, um ebenfalls hinausschauen zu können. »Da ist sie schon wieder am Rosenbeet«, stellte sie kühl fest. »Wie oft habe ich Maria gesagt, sie soll vom Rosenbeet wegbleiben.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dass sich Dr. Rolf Wieser, Richter am Amtsgericht München, Arbeit mit nach Hause nehmen musste, war unumgänglich gewesen. Gewisse Entscheidungen konnte er nicht so einfach weitergeben. In der letzten Zeit aber brachte er sich täglich Arbeit mit nach Hause.
Dann zog er sich gegen siebzehn Uhr, kaum war er heimgekommen, in sein kleines, aber sehr gemütliches Arbeitszimmer zurück, ging erst einmal zu seiner Stereo-Anlage, um eines seiner geliebten Vivaldi-Konzerte aufzulegen. Erklangen die ersten Takte, blickte er meistens nachdenklich aus dem Fenster. Und während er hinaus in den gepflegten Garten sah, schlich sich allmählich ein zufriedenes, gelöstes Lächeln auf sein Gesicht.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Seine Frau Alida trat ein. Sie war eine elegante Blondine von nicht ganz dreißig Jahren. Ihr Gesicht war feingeschnitten, aber eine Spur zu herb.
»Bist du schon lange hier?«, fragte sie ihn und nestelte dabei an ihren hochgesteckten goldbraunen Locken herum.
»Erst seit zehn Minuten, Alida.« Er wollte auf sie zugehen und den Arm um sie legen, aber Alida war viel zu beschäftigt, um das zu bemerken. Schnell stellte sie sich selbst ans Fenster. Dabei musste sie die Gardine zur Seite schieben, um ebenfalls hinausschauen zu können.
»Da ist sie schon wieder am Rosenbeet«, stellte sie kühl fest. »Wie oft habe ich Maria gesagt, sie soll vom Rosenbeet wegbleiben. Hast du’s gesehen, Rolf? Eben hat sie eine der gelben Rosen angefasst! Ich muss sofort zu Calaithis hinunter und ihn zur Rede stellen. Er soll gefälligst auf das Kind aufpassen! Sonst muss er sich eine andere Stellung suchen. Das wäre sowieso das Beste, da seine Frau ja ein zweites Kind erwartet. Wenn ich mir vorstelle, dass noch in diesem Sommer ein Baby im Wagen im Garten steht und schreit…«
Sie wollte hinaus, aber Rolf griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Bleib doch, Alida!«
»Warum? Solche Dinge müssen sofort geregelt werden, Rolf. Ich war bis eben bei meinem Steuerberater. Er hat mir geraten, einen zusätzlichen Gärtner einzustellen. Die Kosten dafür sind absetzbar…«
»Einen zusätzlichen Gärtner? Wozu denn, Alida? Theo Calaithis sorgt doch tadellos für den Garten. Noch nie hat seine Arbeit zu Beanstandungen Anlass gegeben. Ich wollt dir schon vorschlagen, ihm zu gestatten, eine Sandkiste in die äußerste Ecke des Gartens zu stellen. Das wäre doch hübsch! Die kleine Maria und ihr Geschwisterchen könnten dort spielen. Alida riss ihre blauen Augen entsetzt auf. »Spielen? Die Kinder sollen in meinem Garten spielen? Dann werden ja noch mehr Verwüstungen an den Blumenbeeten angerichtet! Und außerdem…« Sie atmete heftig, denn der Gedanke ließ sie erschaudern, »… außerdem habe ich bemerkt, dass Maria jetzt viele Freunde in unserer Nachbarschaft hat. Diese Kinder werden dann auch noch in unseren Garten kommen, Rolf! Nein, das kann doch nicht dein Ernst sein!«
Rolf legte den Arm um sie. Ein gütiges Lächeln umspielte seine Lippen, aber seine braunen Augen schauten dabei betrübt drein, als wisse er schon jetzt, mit welcher Heftigkeit Alida die Bemerkung, die er aussprechen wollte, aufnehmen würde.
»Sieh mal«, begann er trotzdem, »wir sind jetzt sechs Jahre verheiratet. Meine Arbeit beim Gericht macht mir Freude und garantiert mir ein gutes Gehalt. Warum denken wir nicht daran, selbst ein Kind zu haben, Alida… Dann würde unser Söhnchen oder unser Töchterchen auch im Garten spielen können. Gibt es etwas Schöneres für Kinder als einen Garten, in dem sie sich austoben können?«
»Mein Lieber…!« Sie lachte, aber es klang gar nicht fröhlich. »Ich habe dieses Haus von meinem Großvater geerbt. Dass außer uns noch fünf andere Parteien hier leben und gute Mieten bezahlen, das vergisst du wohl ganz, nicht wahr?«
»Nein, Alida, natürlich nicht. Und
damals, als wir hier einzogen, fand ich es auch ganz richtig, dass du in erster Linie Mieter, die keine Kinder hatten, ausgewählt hast. Aber das ist nun vier Jahre her. Wir sind älter geworden. Durch mein Arbeit beim Gericht sehe ich viele Dinge anders. Die Familie Calaithis hat mich durch ihre Anwesenheit ebenfalls beeinflusst…«
»Die Familie Calaithis? Ausgerechnet die? Warum denn, Rolf? Theo und Helene Calaithis sind unsere Hausmeister. Was gehen sie dich an?«
»Sie sind herzensgute und fleißige Leute, Alida. Noch nie haben wir über sie zu klagen gehabt. Und die kleine Maria ist bald fünf Jahre alt und mir lange ans Herz gewachsen. Ich sehe, wie sie größer und selbstständiger wird, mit welcher Heiterkeit sie ihrem Vater oder ihrer Mutter zur Hand geht, wie glücklich die Eltern über dieses kleine Mädchen sind. Manchmal beneide ich die Familie.«
»Beneiden!«, wiederholte Alida spöttisch. »Wie kann man ein Hausmeister?ehepaar beneiden? Außer, dass sie hier frei unten in der Parterrewohnung leben dürfen, erhalten sie nicht einmal ein übermäßig großes Gehalt. Was veranlasst dich, sie zu beneiden?« schloss sie erstaunt.
»Ihr Glück, Alida.«
Sie hob ihr schmales Gesicht zu ihm auf. »Sind wir nicht auch glücklich, Rolf? Die Mieteinnahmen dieses Hauses gewähren uns ein sorgloses Leben. Wir können uns alles leisten, was wir wollen…«
In diesem Moment drangen jubelnde Kinderstimmen zu ihnen hoch. Sofort entwand Alida sich der Umarmung ih?-res Mannes und verließ eilig sein Zimmer.
»Maria!«, hörte Rolf sie rufen. »Maria! Wer hat dir erlaubt, Kinder in den Garten zu bringen? Schick sie sofort hinaus. Ich will hier keinen Lärm! Das habe ich deinem Vater schon oft genug gesagt…«
Rolf folgte seiner Frau mit gemischten Gefühlen. Alida war, seitdem sie dieses Haus besaß, sehr verändert. Mit unnachgiebiger Strenge nahm sie jede Gelegenheit wahr, die kleine Maria zu tadeln. Er sah, als er neben Ahda stand, hinunter in den Garten. Dort hatte die kleine Maria mit zwei anderen Kindern einen Kreis gebildet. Nun sahen sie erschrocken zu der Hausbesitzerin hoch.
»Hast du mich verstanden, Maria?«, schrie Alida wütend.
Mit gebeugten Köpfen verließen die Kinder den Rasen und verschwanden um die Hausecke.
»Das war nicht nötig, Alida«, presste Rolf, den der Anblick der traurig abziehenden Kinder berührt hatte, hervor.
»Du musst doch daran denken, dass wir selbst einmal Kinder haben werden. Auch sie werden dort unten spielen und singen. Ihre Freude wird uns glücklich machen…«
»Bist du denn nicht glücklich?«
»Nein, Alida.«
»… weil du nicht einsehen willst, dass ich als Hausbesitzerin für Ruhe und Ordnung sorgen muss, Rolf. Dabei profitierst auch du von dem Geld, das ich einnehme. Wir werden im Herbst eine Kreuzfahrt in die Karibik unternehmen. Und du hast mir noch gestern gesagt, wie sehr du dich auf diesen Urlaub freust…«
»Ja, das stimmt. Aber ich würde den Urlaub gern mit der heiteren und zufriedenen Alida verbringen, die ich vor sechs Jahren geheiratet habe…«
»Ich habe mich nicht verändert, Rolf.«
»Doch, Alida. Das hast du. Du bist mir fremd geworden. Wenn ich dir bei deinen Strafpredigten für Maria zuhöre, wenn ich dich über den Büchern, in denen du die Mieteinnahmen einträgst, sehe, dann weiß ich, dass es die Alida, die ich einmal liebte, nicht mehr gibt…«
»Liebst du mich nicht mehr?« Sie lachte leise auf. Selbst diese Frage verriet nur, wie sicher sie sich fühlte.
»Doch, Alida. Ich liebe dich. Aber es ist die Hoffnung, dass du dich ändern wirst und der Glaube an die guten Seiten, die ich an dir kennengelernt habe, die meine Liebe ausmacht. Ich will mich noch nicht damit abfinden, dass die Veränderung, die mit dir vorgegangen ist, anhält…«
»Veränderung, Veränderung! Ich bin mit meinen Aufgaben gewachsen, Rolf! Das ist alles. Eine Hausbesitzerin kann es nicht dulden, wenn ihr die Mieter oder der Hausmeister auf der Nase herumtanzen…«
»Ein wenig mehr Güte, Verständnis und Geduld könntest du schon aufbringen.«
*
Die Hausmeisterwohnung von Theo und Helene Calaithis bestand aus zwei Räumen im Parterre und einem Zimmer im Souterrain. Dies war das Reich der kleinen Maria.
Um in dieses Zimmer zu gelangen, musste Maria die Wohnküche durchqueren. Ihre Mutter war gerade dabei, eine gute Polenta zu kochen, Theo saß über einem Gartenbuch und studierte Pflegehinweise für Ziersträucher.
Jedes Mal, wenn er von den Büchern aufschaute, sah er zu seiner geliebten Frau Helene hinüber. Ihr Leibesumfang hatte in den letzten Wochen beträchtlich zugenommen, aber ihre Bewegungen waren flink und wendig wie immer. Manchmal führte sie jetzt allerdings die Hand in den Rücken, verdrehte die Augen und stieß einen übertriebenen Seufzer aus. Dann lachte sie wieder glücklich. Sie freute sich auf ihr zweites Kind, denn sie war sicher, dass sie ihrem Mann diesmal den ersehnten Jungen schenken würde.
»Morgen«, verkündete sie jetzt, »werde ich die Klinken an den Türen polieren, Theo.«
»Du sollst dich nicht überanstrengen, Helene. Es sind nur noch sechs Wochen bis zur Geburt unseres Kindes. Du brauchst jetzt Schonung. Wenn die Klinken geputzt werden müssen, werde ich es tun.«
Helene schüttelte den Kopf energisch. Sie hatte hohe Backenknochen und volle Lippen. Ihre dunklen Augen waren von langen Wimpern umgeben und verliehen ihrem stetigen Blick etwas Verträumtes. Nur wenn sie lachte, und Helene lachte gern und viel, dann konnten diese Augen schalkhaft aufblitzen. Wie die von Maria.
»Das mache ich. Es ist nicht schwer, Theo. Und ich will nicht, dass Frau Wieser wieder unzufrieden ist.«
»Sie ist immer unzufrieden, Helene.«
»Ja«, erwiderte Helene und rührte langsam in dem Topf herum, »ja, sie ist unzufrieden. Aber das hat nichts mit deiner Arbeit zu tun. Es liegt nur an ihrem Herzen.«
Theo sah belustigt auf. »An ihrem Herzen? Wie kommst du denn darauf?«
»Es ist krank.«
»Nein, Helene. Frau Wieser ist nicht herzkrank. Sie ist eine gesunde Frau und glücklich verheiratet.«
»Das Geld hat ihr Herz hart gemacht, Theo. Und es hat auch das Glück in ihrer Ehe eingefroren.«
Theo erwiderte nichts. Aber er blickte nachdenklich auf den schmalen Rücken seiner Frau. Manchmal erschien es ihm so, als könne Helene jedermann ins Herz hineinschauen. Denn er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, so ein Urteil über Frau Wieser zu fällen.
Frau Wieser behandelte ihn kühl und streng. Sie achtete darauf, dass er seine Arbeit korrekt ausführte und nahm seine mühevollen Anstrengungen als ganz selbstverständlich hin. Theo störte das nicht. Nur manchmal, manchmal, da hätte er gern ein Lob von ihr gehört. Darum wollte er ja auch ganz genau über die Ziersträucher Bescheid wissen, die Frau Wieser noch in diesem Herbst am Rande des Rasens einsetzen wollte.
»Sie muss ja so streng sein, Helene. Ihr Mann hat keine Zeit, um sich um die Mieter und die damit verbundenen Angelegenheiten zu kümmern. Ich sehe ihn oft. Er ist freundlich, aber er bringt sich immer Akten mit.«
»Er hat viel Arbeit, weil er keine Liebe hat, Theo.«
»Helene, Helene«, warnte Theo, »sei vorsichtig, meine geliebte Frau. Du kannst nicht in die Seele der Menschen hineinschauen. Vielleicht ins Herz, aber nicht in die Seele.«
Helene legte den Löffel lachend beiseite und drückte ihre flachen Hände mit stolzem Gesicht an ihren Bauch. »Ich schaue in dein Herz und weiß, dass du glücklich bist. Und ich schaue in Marias Augen und weiß, dass sie sich auf ihren Bruder freut. Und ich fühle das Kind in mir und kann ein Lied vor Freude singen…«
»… und ich bin stolz auf dich, Helene.« Theo erhob sich, kam hinter dem Tisch hervor und legte seine Hände über die von Helene. »Und auch mein alter Vater wird stolz auf dich sein. Jetzt haben wir in der Fremde schon bald ein zweites Kind!«
Sie lehnte ihren Kopf kurz an seine Schulter. Und bevor sie sich wieder lächelnd ihrem Polenta-Topf zuwandte, küsste Theo ihr andächtig die von dunklem Haar umrahmte Stirn.
In diesem Moment öffnete sich die Tür der Wohnküche. Maria trat mit viel ruhigeren Bewegungen als sonst ein. Langsam schloss sie die Tür. Die Eltern sahen sie beide an.
»Ist etwas geschehen, Maria?« Helene kannte ihren kleinen Liebling, von allen Menschen auf der Welt konnte sie Maria und Theo am tiefsten ins Herz schauen. Darum wusste sie auch, dass Marias Lebensfreude sonst kaum zu bändigen war.
»Sie hat geschimpft«, antwortete Maria und deutete mit dem Kinn zum Fenster.
»Komm, Maria«, Theo nahm das Kind auf den Arm und setzte sich mit ihm auf die Bank am Tisch. »Erzähle, was du wieder angerichtet hast.«
»Ich hab’ Susi und Franzl mit in den Garten genommen. Als Frau Wieser die fortgeschickt hat, bin ich allein zurückgekommen. Ich wollte nur die Käfer auf den gelben Rosen ansehen. Da hat sie wieder geschimpft…«
Helene sah sich nicht um, als sie vor sich hin murmelte: »Sie hat doch ein krankes Herz…«
Theo überlegte. Es war ja nicht das erste Mal geschehen, dass Frau Wieser ihrem Ärger über die Kinder Luft gemacht hatte. Sollte er Maria das Betreten des Gartens verbieten? Es gab ja noch die Straße. Auch dort konnte Maria spielen. Trotzdem übte der Garten des Wieserschen Anwesens auf die Kinder eine magische Anziehungskraft aus. Weil das Spielen hier verboten, oder weil hier die vielen gepflegten Blumenrabatten und Ziersträucher einen Hauch von Vornehmheit atmeten? Nein, es musste das Verbot sein. Theo mochte Kinder gern und kannte sie daher gut. Jedes Kind spielte lieber auf einem abenteuerlichen Platz oder in einem verwilderten Garten.
»Wolltest du wirklich nur die Käfer auf den Rosen beobachten, Maria?«
Maria nickte ernsthaft.
»Und hast du eine Rose geknickt?«
»Nein, ich hab’ sie doch gar nicht angefasst, Papi.«
»Warum hat Frau Wieser dann geschimpft?«
»Weil sie böse ist.«
Theo und seine Frau wechselten einen Blick. In gewisser Weise mussten sie Maria ja recht geben. Alida Wiesers Schönheit täuschte über ihr ungeduldiges, ständig feindseliges Wesen im ersten Moment hinweg. Sie selbst hatten doch schon erfahren, wie kleinlich und böswillig die junge Hausbesitzerin sein konnte.
»Sie ist nicht böse, nur nervös«, milderte Theo das Urteil seiner kleinen Tochter ab. »Und darum wirst du nicht mehr mit anderen Kindern in den Garten gehen.«
»Und… wenn sie trotzdem schimpft?«
»Wenn du allein bist, hat sie keinen Grund dazu, Maria.«
»Hat sie aber gehabt…«
Da klingelte draußen auf dem engen Flur das Telefon. Helene und Theo tauschten wieder einen Blick. In diesem Blick stand die Angst. Gewiss war es Frau Wieser, die anrief, um sich über Maria zu beschweren. Und bei dieser Gelegenheit würde sie Helene oder Theo zum wiederholten Male vorhalten, wie unerwünscht das zweite Kind des Hausmeisters sei. Und dass sie kein Babygeschrei im Garten und auch keine Babywäsche im Trockenraum dulde.
Allein der Gedanke an die Bemerkungen, die sie sich jetzt anhören musste, ließ Helene blass werden. Theo merkte es.
»Ich werde mit ihr sprechen«, sagte er leise und ließ Frau und Tochter in der Wohnküche zurück. Helene strich Maria über das volle kinnlange Haar, das sich an der Stirn, Schläfen und an den Spitzen lockte. Und Maria sah zu ihrer Mutter hoch, als bereue sie schon jedes Wort, das sie Frau Wieser geantwortet hatte.
Beide horchten. Und gleich darauf flüsterte Maria ihrer Mutter zu:
»Papi spricht griechisch…, warum spricht er denn griechisch?«
»Es muss etwas geschehen sein, Liebling. Ja, es ist etwas geschehen. Ich höre es an Papis Stimme. Bleib hier, mein Liebling…«
Helene öffnete die Tür. Theo Calai?this’ Stimme drang jetzt in aller Deutlichkeit zu ihr. Sie klang gehetzt und traurig. Er saß vornübergebeugt und rieb sich immer wieder über das Gesicht.
»Ja, morgen früh«, verstand Helene aus seinen abgehackten griechischen Worten, »ja, du kannst mich morgen früh abholen. Nein, Costas, nein, Helene bleibt hier. Für sie ist die Reise in ihrem Zustand viel zu gefährlich. Nein, nein. Ich bin ruhiger, wenn sie hierbleibt.
Ich vertraue den deutschen Ärzten. Und die Klinik ist nicht weit…«
»Was ist geschehen, Theo?«, fragte Helene, als er endlich den Hörer zurückgelegt hat.
»Mein Bruder hat ein Telegramm bekommen, Helene. Mein Vater liegt im Sterben. Er verlangt nach uns. Ich fahre morgen früh.«
Er stand auf und nahm sie in die Arme. Und Maria, die nicht alles verstand, was ihre Mutter mit tränennassen Augen dem Vater tröstend zuflüsterte, umklammerte ihre Eltern.
Nach einer Weile nahm Theo sie auf den Arm. »Du wirst bei deiner Mutter bleiben, Maria, und gut auf sie aufpassen«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich gehe jetzt zu Frau Wieser und bitte sie um einige Wochen Urlaub…«
»Einige Wochen, Theo?«
»Ja, Helene. Mit dieser Zeit müssen wir rechnen.«
Schweren Schrittes verließ er die kleine Wohnung, und Maria und Helene blieben stumm zurück.
*
Alidas Wesen hatte sich in den letzten Jahren verändert, aber ihr Bemühen, Rolf ein gemütliches Heim zu bieten und ihn mit appetitlich angerichteten Mahlzeiten zu verwöhnen, waren nie geringer geworden.
So saßen sie um diese Zeit am hübsch gedeckten Tisch. Zwei Kerzen brannten, es gab einen bunten Salat und einen guten Wein dazu. Aber die rechte Stimmung kam auch diesmal nicht zwischen dem Ehepaar auf. Früher hatten sie viel zusammen gelacht und Zärtlichkeiten ausgetauscht. Wenn Rolf jetzt in das Gesicht seiner Frau sah, vermisste er die verliebten Blicke, mit denen Alida ihn so oft verzaubert hatte.
»Vielleicht solltest du einmal mit Theo Calaithis sprechen«, schlug Alida vor, als sie ihm ihr Glas reichte, damit er Wein nachfüllen konnte. »Er muss strenger zu seinem Kind sein. Maria sollte nur noch auf der Straße spielen…«
»Denkst du nie daran, welchen Eindruck deine Strenge auf die anderen Mitbewohner des Hauses macht, Alida?«, fragte Rolf. »Vielleicht stören sie deine ständigen Ermahnungen vom Balkon herunter mehr als das fröhliche Treiben der Kinder unten im Garten.«
Alidas Lippen wurden ganz schmal. »Bestimmt nicht«, presste sie hervor. »Unsere Mieter wollen ihre Ruhe. Darum sind sie doch hier eingezogen. Der Lärm von der Straße dringt kaum in die Wohnungen. Das Grundstück ist so groß, dass es rundherum den Blick aufs Grüne freigibt.«
»Ein idealer Platz für Kinder«, stellte Rolf fest und heftete seinen Blick auf ihr Gesicht, bis sie ihm auch in die Augen schaute.
»Ich weiß, was du damit sagen willst, Rolf. Du möchtest ein Kind von mir. Ich weiß es. Aber glücklich macht mich
dein Wunsch nicht. Er bedeutet doch nur, dass du nicht mehr mit mir allein sein willst. Ich genüge dir nicht mehr.«