Ein Mann namens Loprete - Mariana Travacio - E-Book

Ein Mann namens Loprete E-Book

Mariana Travacio

0,0

Beschreibung

»Ich suche Pepa.« Mit diesen Worten betritt ein Mann namens Loprete die Bar von El Tano in der staubigen Einöde Argentiniens. Fünf Gläser Gin später liegt der Fremde tot am Boden – erstochen im Eifer des Gefechts. Hastig wird er verscharrt. Der junge Manoel hofft, die Sache sei damit erledigt, doch die Brüder Lopretes tauchen erneut auf, die Gewalt eskaliert und einer der Dorfbewohner wird getötet. Als Manoel wenig später von El Tano erfährt, dass es ein Loprete war, der seine Eltern ermordet hat, verfällt auch er der Spirale der Rache. Und so macht sich eine Gruppe von zehn Männern auf, um Vergeltung zu üben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 115

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Mariana Travacio

Ein MannnamensLoprete

Aus dem argentinischen Spanisch von Kirsten Brandt

Mit einem Nachwort von Jochen König

Für Jorge Travacio,

in memoriam

Ein Phantom stirbt niemals, sein Kommen und Wiederkommen ist das, was immer (noch) aussteht.

Jacques Derrida

Inhalt

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

Nachwort

1

Dort, wo wir lebten, wehte der Nordwind. Ein heißer Wind, der langsam um uns herumschlich und sich schließlich bei uns niederließ wie ein hungriger Hund. Hatte er uns eingekreist, hielten wir endlos lange Siestas und erwachten erst bei Sonnenuntergang, wenn der Himmel von einem Leuchten erfüllt war, das noch immer den Geruch von trockener Erde aufsteigen ließ.

Eines Tages kam mit dem Nordwind ein Mann namens Loprete, ein düsterer, etwas verloren wirkender Mann, der nach Pepa fragte, nicht fordernd, aber entschlossen. Ich suche Pepa, sagte er, kaum dass er El Tanos Bar betreten hatte, kurz und knapp, als wäre sein Mund leer und er würde ihn mit diesem Satz füllen. Wir musterten ihn erstaunt, ein wenig überrascht von dieser Gestalt, die so plötzlich aufgetaucht war wie eine Staubwolke, die sich in der sengenden Hitze des Nachmittags materialisiert hat, um nach Pepa zu fragen.

Die einzige Pepa, die wir kannten, war die Tochter vom alten Antonio, der am anderen Ende des Dorfes wohnte. Antonio war Schreiner. Ohne den hätten wir keinen Tisch zum Kartenspielen gehabt und kein Bett zum Schlafen. El Tano erwiderte Lopretes Blick: Warum suchst du nach ihr, Compañero? Und Loprete, der für uns zu dieser Zeit nicht mehr war als eine Staubgestalt, antwortete ohne zu zögern: Ich suche sie, Compadre, weil sie mir verloren gegangen ist. El Tano vergewisserte sich, dass wir alle zuhörten, dann sagte er: Nun gut, setz dich zu uns, trink einen Gin und erzähl, wie sie dir verloren gegangen ist. So lernten wir Loprete kennen. Die verloren gegangene Pepa war, wie wir gleich geahnt hatten, nicht unsere Pepa. Während der Nachmittag allmählich in den Abend überging, leerte Loprete fünf Gläser Gin. Und Pepa war ihm gar nicht verloren gegangen; sie war ihm weggelaufen.

El Tano wollte helfen: Bleib bei uns. Wenn die Hitze nachlässt, machen wir uns alle auf die Suche nach ihr. Aber Loprete lehnte ab: Ich kann nicht warten. Wenn ich noch länger warte, ist Pepa endgültig verschwunden. El Tano widersprach: Hier gibt es nichts als Wüste, Amigo. Beruhig dich, wir gehen schon los. Und ich weiß nicht, ob es am Gin lag oder an etwas, das El Tano sagte, aber noch bevor einer von uns aufspringen konnte, hielt Loprete plötzlich ein Messer in der Hand. Er ging El Tano an die Kehle, und es wurde sehr schnell sehr hässlich. Die Hitze machte reizbar, und wenn der Nordwind wehte, kam so was bei uns schon mal vor. Am Ende lag Loprete schwer verletzt am Boden, und wir hatten nichts zur Hand, um die Blutung zu stoppen. Die ganze Nacht kämpfte er um sein Leben. Wir begruben ihn kurz vor Tagesanbruch. Juancho hob die Grube aus. Ich hielt die Lampe. Und El Tano passte auf, dass der Tote nicht wieder einen Tobsuchtsanfall bekam.

2

Als wir Loprete erzählten, dass unsere Pepa ein junges Mädchen mit schwarzen Augen war, die Tochter des Schreiners, stieß er ein wütendes Lachen aus, das uns später noch so manches Mal in der Erinnerung heimsuchen würde.

Ist Pepa deine Frau?, fragte El Tano. Loprete kippte seinen zweiten Gin herunter und antwortete in bitterernstem Ton: Ich habe noch nie eine Frau gebraucht.

Dann erzählte er uns von seinen Ländereien. Große Ländereien, sagte er, und Regen, der Wiesen und Weiden gedeihen lässt. Wir alle starrten ihn ungläubig an. Es war später Nachmittag, fast schon Abend, und er war bei seinem dritten Gin. Als der Wind Staub heranwehte und er ihn in die Lunge bekam, schüttelte ein Hustenanfall seinen Körper, und er musste sein Glas festhalten. Man merkte, dass er die trockene Erde nicht gewohnt war.

Bei uns regnet es, müsst ihr wissen, sagte er, deshalb bleibt die Erde am Boden kleben. Kein Wind der Welt könnte sie aufwirbeln. Es regnet den ganzen April und den ganzen November. Wir lauschten ihm wie gebannt und versuchten, herauszufinden, wo diese Ländereien lagen, diese verschwenderische Erde, auf der das Gras so üppig wuchs.

Unsere Erde war geizig, sie hatte noch nie viel hervorgebracht, nicht einmal, wenn es regnete, was bei uns nur selten geschah.

3

Anfangs hätten wir am liebsten auf die Erde geschlagen, an der Stelle, an der wir Karten spielten und an der wir ihn begraben hatten. Wir hätten gerne auf den Boden geschlagen, um ihn aufzuwecken. In diesen ersten Tagen mussten wir ständig daran denken. Wir sprachen nicht darüber, aber wir wussten es alle. Wir trafen uns auf ein paar Gläser Gin, so wie früher, aber dann schweifte El Tanos Blick oder meiner oder der von Juancho ab, und wir wussten alle, wohin er schweifte. Er schweifte zu Lopretes aufgeschlitztem Bauch, zu El Tanos Händen, die versuchten, seine Eingeweide festzuhalten, zu dem Blut, das aus der Wunde strömte und das unsere Erde durstig auftrank, zu den Schaufeln voller Staub, der auf Lopretes noch warmen Körper fiel. Und zu den Worten El Tanos, der uns hatte schwören lassen: Das hier ist nie passiert.

4

Zwei Wochen nachdem wir ihn begraben hatten, tauchten drei Reiter vor El Tanos Bar auf. Juancho war nicht da. Seine Frau hatte nach ihm geschickt, weil sie ihr Kind bekam. Aber El Tano und ich waren da, daran erinnere ich mich noch. Schon am Horizont sahen wir die Staubwolke, die die Pferde aufwirbelten, dann dröhnten ihre Hufe über die trockene Erde. Bei ihrer Ankunft leuchtete der Nachmittagshimmel noch. Nur einer von ihnen, der größte, stieg vom Pferd, als er El Tano erspähte. Wir sahen ihm zu, wie er absaß, und es kam uns vor, als wäre Loprete von den Toten auferstanden und gekommen, um Rechenschaft für das zu fordern, was wir ihm angetan hatten. Guten Tag, sagte er, ich suche meinen Bruder. Und El Tano lud sie auf einen Gin ein, seelenruhig, so als sprächen sie von einem Huhn, so als wäre der Kerl, der vom Pferd gestiegen war, Loprete nicht wie aus dem Gesicht geschnitten. Setzt euch, Amigos, und trinkt einen Gin mit uns, bevor es dunkel wird. So erfuhren wir, dass die Lopretes neun Brüder waren. Die drei vor uns hatten sich auf die Suche nach dem Vermissten gemacht, nachdem ihre Mutter berichtet hatte, sie habe gesehen, wie er in der glühenden Mittagssonne hinter einer Ziege hergelaufen und nicht wieder zurückgekommen sei. Seither suchten sie ihn. El Tano erklärte ruhig, nein, so jemanden hätten wir hier nicht gesehen, keinen großen, dünnen Mann und ganz bestimmt keinen, der dem vor uns irgendwie ähnlich sah. José ist mein Zwillingsbruder, erklärte der, um den Verschwundenen zu beschreiben, und als El Tano völlig ungerührt versicherte, nein, den hätten wir nicht gesehen, muss er wohl überzeugend geklungen haben, denn sie verabschiedeten sich nach nur einem Gin: Ihr müsst entschuldigen, aber wir müssen weiter; seine Mutter will ihn wiederhaben.

5

Juancho hatte immer gesagt, dass sein Sohn José heißen sollte. Aber als er erfuhr, dass der Vorname des Lopretes, den wir vor El Tanos Bar begraben hatten, José gewesen war, lief er nach Hause und bat Ramona, einen anderen Namen auszusuchen. Er muss José heißen wie sein Großvater, beharrte Ramona. Daraufhin versuchte Juancho, sie mit allen erdenklichen Tricks umzustimmen, doch vergeblich. Sobald Ramona ihn mit ihrem Unschuldsblick ansah, erfüllte Juancho ihr jeden Wunsch. Das war schon immer so gewesen, seit jenem Weihnachtsfest, bei dem sie sich beim alten Antonio kennengelernt hatten. Der Alte erzählte die Geschichte immer wieder gern. Die beiden waren damals neun Jahre alt gewesen, es war schon spät und Ramonas Mutter wollte gehen. Sie dachte, ihre Tochter würde irgendwo im Haus auf einer Matratze liegen und schlafen, aber als sie sich auf die Suche machte, fand sie sie auf Pepas Bett sitzend, die Zöpfe aufgeflochten, die roten Schleifen verschwunden. Juancho saß neben ihr und starrte ihren krausen Schopf an wie das Haar einer Heiligen, der man Opfergaben bringt, weil sie Wunder wirkt. Mit einer Hand streichelte er darüber, die andere kämmte die Strähnen mit bewundernswerter Zärtlichkeit.

Juanchos Sohn bekam den Namen José.

6

Kurz darauf kamen Lopretes Brüder zurück. Am späten Vormittag tauchten sie bei El Tano auf, offenbar zu allem entschlossen. El Tano und ich saßen allein in der Bar und tranken Mate. Wir hörten das Hufgetrappel aus der Ferne, lange bevor wir sie sahen, und El Tano sagte zu mir: Da sind sie wieder, lass mich reden. Seine Stimme war ganz ruhig, während er mir Mate eingoss. Nach einer Weile kamen sie an.

Alle drei saßen gleichzeitig ab und gingen auf El Tano los: Du hast gelogen. El Tano bedachte Lopretes Zwillingsbruder mit einem Blick, als hätte der ihn beleidigt, und gab zurück, ohne mit der Wimper zu zucken: Entschuldige, was hast du gesagt? Ich höre ein bisschen schwer. Ich fing an zu zittern und musste den Mate auf den Tisch stellen, damit niemand merkte, wie viel Angst ich hatte. Das Einzige, was mich beruhigte, war El Tanos Gelassenheit, mit der er den dreien entgegentrat.

Und dann lief die Sache aus dem Ruder. Ich war so mit meiner Angst beschäftigt, dass ich nicht mitbekam, was geschah, bis ich aufblickte und hörte: Wenn du uns nicht sagst, wo du ihn versteckt hast, sorgen wir dafür, dass du gar nichts mehr hörst. El Tano entgegnete kaltschnäuzig und ohne zu zögern, immer noch ganz ruhig: Ich glaubte, ihr irrt euch, Amigos, setzt euch, trinkt einen Mate mit uns und wir klären das Ganze. Und da packten sie ihn und schnitten ihm ein Stück Ohr ab. Das soll dir beim Nachdenken helfen, Amigo. Morgen kommen wir wieder. Vielleicht ist dir bis dahin wieder eingefallen, dass José auf einen Gin bei dir war.

Es war Juancho, sagte El Tano, kaum dass sie weg waren. Immer noch starr vor Angst sah ich ihm zu, wie er das Stück Ohr vom staubigen Boden aufhob.

7

Nachdem sie am ersten Abend bei El Tano einen Gin getrunken hatten, hatten Lopretes Brüder das Dorf in Richtung Norden verlassen. Am Ortsausgang waren sie bei Juanchos Haus vorbeigekommen.

Das jedenfalls erzählte der alte Antonio. Er sagte, es war kurz nach Josés Geburt und sie saßen alle draußen, weil die Hitze selbst am Abend nicht nachlassen wollte. Juancho war kurz herausgekommen, das Baby auf dem Arm, um es ihnen zu zeigen, und dann wieder hineingegangen. Dann hörten sie Pferde näherkommen, und Juancho trat wieder vors Haus, genau in dem Moment, als die Pferde davor hielten. Bei ihrem Anblick entgleisten dem armen Kerl die Gesichtszüge und er rannte los, wie vom Teufel verfolgt. Er rannte und rannte, erzählte Antonio, dass der trockene Boden aufwirbelte und er eine Staubwolke hinter sich herzog. Die Reiter setzten ihm nach, packten ihn und brachten ihn zurück. Er zitterte, als hätte er Gift geschluckt, und der Speichel lief ihm aus dem Mund, als hätte er zu viel Wasser im Körper. So erzählte es Antonio.

Und weil Juancho so erschrocken reagiert hatte, kamen sie ein paar Tage später wieder. Sie ritten direkt zu ihm, und da rutschte es Juancho heraus. Verzeihung, Don Tano, es ist mir so herausgerutscht. Ich habe ihnen nur gesagt, dass er ein paar Gläser Gin mit uns getrunken hat, und dass er auf der Suche nach Pepa war und weiter in Richtung Norden geritten ist. Ich schwör’s, Don Tano, ich schwöre, ich habe ihnen nicht verraten, dass wir ihn getötet haben, gestand Juancho, als El Tano ihn an diesem Vormittag aufsuchte, die Wunde an seinem Ohr noch frisch.

8

Wir gehen. Juancho sagt, er will bleiben. Wegen Ramona und dem Baby, erzählte mir El Tano, als er an diesem Vormittag von Juancho zurückkam. Wir gehen zu meiner Schwester. Die wird uns aufnehmen. Ich hatte Respekt vor El Tano, deshalb fragte ich wenig. Ich wusste, dass er in dem Haus geboren war, in das er jetzt zurückkehren wollte. Ich wusste auch, dass er auf der Suche nach einer schwarzäugigen Frau in unser Dorf gekommen war und sie nie gefunden hatte. Er wusch die Wunde aus, sagte, ich solle eine Tasche packen, wir steckten unsere vier Feldflaschen ein und machten uns auf den Weg. Bevor wir losgingen, sah sich El Tano noch einmal im ganzen Haus um.

Dann schüttelte er den Kopf, ohne den Blick von den Wänden zu lassen, als wollte er sich von einem Geist verabschieden, den er hier zurückließ, schloss die Tür hinter sich und zeigte in Richtung Süden. Er sagte, nach dreißig Kilometern Fußmarsch würden wir an einen Ort gelangen, den er kannte: Dort wohnen die Torales, die werden uns Pferde leihen. Unter der sengenden Mittagssonne setzten wir uns in Marsch. Wenn wir zügig ausschritten, so El Tano, wären wir um fünf Uhr nachmittags bei den Pferden. Denk dran, Manoel, sagte er, morgen früh müssen wir weit weg von hier sein; um fünf steigen wir auf diese Pferde, reiten los und halten nur an, um sie zu tränken. Bei seinen Worten betastete ich unwillkürlich die beiden Wasserflaschen, die ich trug. Als El Tano das bemerkte, sagte er: Unterwegs gibt es Bäche, Manoel, dort füllen wir sie auf.

9