Ein Mord zu viel - Hans Bischoff - E-Book

Ein Mord zu viel E-Book

Hans Bischoff

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Die Tote vor der Tür seines kleinen Hauses in der Toskana lässt Camillo Mancinis Albträume wegen der Zweifel an seinen Ermittlungen im Fall des Hortensienmörders Franco Russo abrupt real werden. Ist Russo, der einst mächtige Boss der Oppositionspartei, doch unschuldig? Habe ich eine Karriere und das Leben einer jungen Familie zerstört? Das fragt sich der ehemalige Vicequestore der Polizia di Stato in Rom, seitdem er nach dem Urteil vor einem Jahr den Dienst quittierte. Warum nun dieser Mord an der jungen Frau? Genau wie damals hält sie eine Hortensienblüte in der Hand. Ein Trittbrettfahrer? Auftragskiller? Oder der Worst Case und Russo ist doch unschuldig? Camillo Mancini findet lange keine Antworten, bis ein Anschlag auf ihn verübt wird und der Exbulle in ihm wieder zu alter Form aufläuft. Er bricht wieder zu seinen von früher bekannten Alleingängen ohne Regeln auf. Auch gegen seine ehemaligen Kollegen. »Das ist einfach Ein Mord zu viel. Ich muss das tun!« Er taucht dabei rücksichtslos in einen Sumpf aus Macht, Geld und menschlichen Abgründen ein.

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Hans Bischoff

EIN

MORD

ZU

VIEL

Camillo Mancini.

Der Exbulle und sein persönlichster Fall

Toskanakrimi

Über das Buch

Die Tote vor der Tür seines kleinen Hauses in der Toskana lässt Camillo Mancinis Albträume wegen der Zweifel an seinen Ermittlungen im Fall des Hortensienmörders Franco Russo abrupt real werden. Ist Russo, der einst mächtige Boss der Oppositionspartei, doch unschuldig? Habe ich eine Karriere und das Leben einer jungen Familie zerstört? Das fragt sich der ehemalige Vicequestore der Polizia di Stato in Rom, seitdem er nach dem Urteil vor einem Jahr den Dienst quittierte. Warum nun dieser Mord an der jungen Frau? Genau wie damals hält sie eine Hortensienblüte in der Hand. Ein Trittbrettfahrer? Auftragskiller? Oder der Worst Case und Russo ist doch unschuldig? Camillo Mancini findet lange keine Antworten, bis ein Anschlag auf ihn verübt wird und der Exbulle in ihm wieder zu alter Form aufläuft. Er bricht wieder zu seinen von früher bekannten Alleingängen ohne Regeln auf. Auch gegen seine ehemaligen Kollegen.

»Das ist einfach ein Mord zu viel. Ich muss das tun!«

Der Autor

Nachdem er sich nach vierzig Jahren in der Werbung, in leitender Position in der Industrie und als Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur 2014 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte, entdeckte Hans Bischoff seine Lust am Schreiben von Kriminalromanen und originellen Kurzgeschichten. Er lebt als Autor, Fotograf und Filmer in Überlingen am Bodensee.

Arcidosso, die Heimatstadt des ehemaligen Vicequestore Camillo Mancini und Schauplatz der Geschichte ist nicht zufällig gewählt. Hans Bischoff verbrachte viele Jahre lang seinen Herbsturlaub in dem kleinen Provinzstädtchen nahe des Monte Amiata in den Hügeln der Provinz Grosseto. Er hat die Region, die Menschen und vor allem die Küche der südlichen, noch authentischen Toskana schätzen und lieben gelernt. Manch damaliges kulinarisches Erlebnis ist dabei in den Krimi eingeflossen. Der aktuelle Roman »Ein Mord zu viel« ist sein sechster Krimi.

Ein kleines Glossar zu einigen italienischen Begriffen sowie zu unbekannteren Meisterwerken der toskanischen und der römischen Küche finden Sie am Schluss dieses Buches.

Leseproben, mehr zum Autor sowie weitere Titel von ihm gibt es auf der Autorenwebseite www.hans-bischoff.de

Dienstag, 10. Juli 2018

Prolog

Er hasste es, mitten in der Nacht aufzuwachen. Wenn sein Trauma und seine Zweifel abrupt aufflammten und ihn schlecht wieder einschlafen ließen. Er linste aus nur zu schmalen Schlitzen geöffneten Augen schlaftrunken auf das Leuchtdisplay des Radioweckers neben seinem Bett. Zehn nach vier. Hatte er das leise Geräusch, eine Art Scharren, geträumt oder tatsächlich gehört? Werden wieder der Marder oder die Wildschweine gewesen sein, die ständig ums Haus schlichen. Er war unsicher, gab sich aber mit diesem Gedanken zufrieden. Zudem hatte sich Diva, seine Bassethündin, auch nicht gemeldet, was seine Einschätzung bestätigte. Allerdings tendierte Divas Qualifikation als Wachhund ohnehin gegen Null.

»Egal!«

Camillo Mancini, bis vor einem Jahr Vicequestore bei der Polizia di Stato, der zivilen Staatspolizei in Rom, quälte sich aus dem Bett und schlurfte durch die Dunkelheit ins Bad. Nicht nur seine Stirn glühte, der ganze Körper fühlte sich klebrig an. Mund und Rachen waren wie ausgedörrt, seine Lippen klebten zusammen. Er pinkelte und trank danach gierig einen Schluck Wasser direkt aus dem Hahn. Dabei verschluckte er sich und musste ein paar Mal husten.

Selbst während der Nacht fiel die Temperatur in diesem außergewöhnlich heißen Sommer selten unter 25 Grad. Sein Freund Bruno aus Turin hatte recht. Es war der Klimawandel, wenn sogar hier in Arcidosso, dem kleinen Städtchen auf den sanften Hügeln der südlichen Toskana, Anfang Juli tropische Hitze herrschte, die den Asphalt zum Schmelzen brachte. Tagsüber hatte Camillo mit Temperaturen weit über dreißig und mehr Grad kein Problem, da konnte er sich in die kühleren Räume des alten Rusticos zurückziehen, das er in den letzten Jahren zu seinem Wohnhaus ausgebaut hatte. Aber nachts fühlte er sich dabei unwohl.

Wobei dies nicht nur allein mit dem Klima zusammenhing, ging ihm durch den Kopf. Es war sein Trauma, das ihn überfiel.

Zurück im Bett legte er die dünne Decke nur noch über die Beine und fächelte sich mit beiden Händen etwas Luft zu. Dann holten sie ihn wieder ein. Die bohrenden Zweifel an der eigenen Arbeit bei seinem letzten großen Fall. Zweifel, die immer wieder auftauchten, ohne dass er sie konkret begründen konnte.

Franco Russo, aufstrebender Politiker und Vorsitzender der Oppositionspartei Tre Mani im Regionalrat saß wegen ihm seit knapp zwei Jahren lebenslänglich im Gefängnis.

Russo, der sogenannte Hortensienmörder.

Camillo Mancini war absolut sicher gewesen, den Richtigen überführt zu haben, obwohl der stets seine Unschuld beteuert und nie ein Geständnis abgelegt hatte. Die Indizien schienen eindeutig zu belegen, dass Russo die beiden jungen Frauen getötet und mit einer Hortensienblüte in der rechten Hand präsentiert hatte. Kein glaubwürdiges Alibi, nachweisbarer Kontakt zu einem der Opfer und Hunderte Fotos und Videos gefolterter Frauen passwortgesichert auf dem Rechner im Büro. Mancini hatte seine Ermittlungen und die Schuldgründe bei der Gerichtsverhandlung vor dem Geschworenengericht überzeugend vertreten. Die Medien erhoben ihn zum Helden, der das Monster von Rom, den Triebtäter, zur Strecke gebracht hatte. Auch wenn er es nie zugab, Mancini hatte sich nicht schlecht gefühlt ob der Bewunderung und genoss sowohl das Urteil als auch seinen neuen Status als Star.

Es war sein persönlicher Sieg.

Bis zu jenem Moment, als er den Gerichtssaal verließ und in die traurigen Augen der im Rollstuhl sitzenden Mutter blickte, neben der Russos junge Frau und ihr kleiner Sohn warteten.

»Sie haben meinen Franco zum Mörder gemacht! Sie!«

Mehr sagte die alte Frau nicht. Sie blieb ganz ruhig und nickte ihrer Schwiegertochter zu, die sie am sprachlosen Vicequestore vorbei in den Lift des Landesgerichts in Rom schob. Vorbei an der Schar der Reporter und der TV-Moderatorinnen vor den laufenden Kameras, die den Prozess begleitet und – je nach politischer Couleur – Franco Russo schon längst gnadenlos vorverurteilt hatten.

Seit der Begegnung mit Russos Mutter zweifelte Mancini an sich selbst und am Ergebnis seiner Ermittlung und schlief schlecht. Er schottete sich in seiner neuen Heimat bis auf wenige Kontakte konsequent ab und grübelte. Habe ich ihren einzigen Sohn, den Ehemann und Familienvater, zum Mörder gestempelt? Habe ich den entscheidenden Fehler begangen? Wollte man Russo politisch loswerden und ich habe dabei als nützlicher Idiot mitgewirkt? Ist er doch unschuldig? Habe ich ihn zum Mörder gestempelt? Habe ich eine Familie ins Unglück gestürzt?

Fragen, die ihm auch jetzt, ein Jahr nachdem er vorzeitig den Dienst quittiert hatte, Albträume bescherten und ihn immer wieder nach den Kopien der Ermittlungsakten greifen ließen. Er hatte die Akten nie abgelegt. Diese Dokumentation seines Erfolges. Oder seines Versagens.

»Verdammte Scheiße! War es ein Fehler? Bin ich zu weit gegangen?«

Noch fand er keine Antwort. Er fürchtete jedoch, dass die Wahrheit mehr als unangenehm werden könnte. Einen möglichen Fehler vertuschen oder zugeben? Oder endlich den wirklich entscheidenden Beweis für Russos Schuld finden und wieder in Ruhe schlafen?

Camillo Mancini ging es nicht gut in dieser Zeit des Zweifelns. Er hatte Angst vor den Konsequenzen.

»Will ich wirklich die Wahrheit wissen?«

Dienstag, 10. Juli 2018

01 Die Tote vor der Tür

Die junge Frau blickte ihn aus ungläubig aufgerissenen Augen an. An diesem jetzt schon brütend heißen Julimorgen schien ihr die Sonne direkt ins Gesicht. Camillo Mancini gefror das Blut in den Adern. Er hielt sich mit der linken Hand krampfhaft am Rahmen der Haustür fest und starrte die Tote auf den Stufen der Eingangstreppe an.

Sie lag dort nicht wie zufällig gestürzt. Nein, sie war auf den schmalen, ausgetretenen Stufen sorgfältig aufgebahrt worden, das geblümte kurze Sommerkleid ordentlich drapiert. Lediglich einer der beiden roten Highheels war vom Fuß gerutscht. Die Szenerie wirkte surreal friedlich. Man konnte meinen, die Frau genieße die Morgensonne. Die bunten Sommerblumen auf dem Kleid wetteiferten mit etwas anderem, das Camillos Blick magisch anzog. Eine hellblaue, leicht welke Hortensienblüte in der linken Hand der jungen Frau ließ sein Gehirn Achterbahn fahren.

Der Hortensienmörder. Er ist zurück.

Ist Russo doch unschuldig? Oder ist es ein Nachahmer? Gilt die Tote mir? Tausend Gedanken prasselten gleichzeitig auf ihn ein.

»Mein Gott! Das gilt mir.«

Camillo seufzte zitternd und versuchte, Ordnung in sein Denken zu bringen, um wieder rational handeln zu können. Einen Puls musste er nicht mehr ertasten, die Frau war tot. Er kniff die Augen gegen die blendende Sonne zusammen und betrachtete die Tote näher. Blonde lange Haare, ein hübsches, etwas kindlich wirkendes Gesicht, volle Lippen, schlank. Sie wies am Hals zwei nebeneinanderliegende Strangulationsfurchen auf. Aus seiner Erfahrung heraus war sie erdrosselt worden. Mit einem ganz eng zusammengedrehten Schal oder eher einem Seil. Die nähere Beurteilung überließ Mancini schon immer dem Gerichtsmediziner.

Was soll mir diese Frau sagen, fragte er sich wieder. Du hast den Falschen in den Knast gebracht? Oder ich zeige dir, dass ich es auch kann? Also vielleicht irgendein neuer Psychopath, der sich, warum auch immer, mit mir anlegen will.

Bin ich schuld an ihrem Tod?

Camillo atmete mehrfach tief ein und aus, um sich zu beruhigen, dann holte er sein Handy aus dem Haus und rief die Carabinieri an.

Diva hatte ihn mit kräftigem Bellen geweckt, was ungewöhnlich war. Normalerweise bequemte sie sich erst zur Frühstückszeit, aus ihrem Hundekorb aufzustehen. Jetzt meldete sie sich maulend aus der Küche, in die er sie eingesperrt hatte, bevor sie die Tote beschnuppern konnte.

Er setzte sich auf eine niedrige Natursteinmauer neben dem Hauseingang und überlegte, ob er sofort seinen früheren Chef bei der Polizia di Stato anrufen sollte, entschied sich aber dagegen. Die Leute hier sollten zuerst mal den Fall aufnehmen und er wollte noch eine Weile in Ruhe nachdenken.

Er fühlte sich nicht gut in letzter Zeit. Neben den Zweifeln machte ihm sein hoher Blutdruck zu schaffen, den er laut seinem Hausarzt mit Tabletten bekämpfen und immer wieder messen sollte. Vor allem jetzt bei der Hitze. Was er natürlich nicht tat. Dazu das dauernde Theater mit dem Bürgermeister und der Bauverwaltung, das ihm immer mehr zusetzte. Seit er angefangen hatte, das uralte Rustico zu sanieren und auszubauen, gab es ständig Probleme vonseiten des Rathauses. Mal brauchte er plötzlich zusätzliche Genehmigungen, dann wurden die Anschlüsse an Wasser, Abwasser und Strom verzögert. Man wollte ihn hier nicht, war sein Eindruck. Deshalb warf man ihm Knüppel zwischen die Beine. Und seit dem Urteil gegen Franco Russo wurde dessen enger Parteifreund und Bürgermeister von Arcidosso, Ricardo Pellegrini, zu Mancinis erbittertem Gegner.

Das Stadtoberhaupt stellte trotz der vorhandenen Genehmigung den Status des Hauses als Dauerwohnsitz infrage, forderte den Rückbau zweier kleiner, bereits vom Vorbesitzer erstellter Anbauten und versuchte, den Bau einer Gartensauna am unteren Ende des Grundstücks zu unterbinden. Dafür gab es einen Termin Anfang August im Consiglio Comunale, dem Gemeinderat, an dem Mancini Stellung nehmen sollte. Camillo rechnete damit, dass sein Baugesuch abgelehnt werden würde. Er fühlte sich einfach zunehmend genervt und bei seinem letzten Telefonat mit Bruno Giordano, dem alten Freund im Piemont, äußerte er zum ersten Mal Rückzugspläne. »Weißt du, ich habe so die Schnauze voll mit diesen Idioten hier. Ich glaube, ich gebe auf und ziehe wieder zurück nach Rom! Oder zu dir. Es scheint so, als wäre ich nicht für das Leben auf dem Lande geschaffen.« Giordano hatte ihn heftig aufgefordert, das Ganze durchzuziehen. »Sei keine Memme, und behaupte dich endlich! Du passt in dieses wunderschöne kleine Haus! Du hast mit Mördern gekämpft, also wirst du auch einen geltungssüchtigen Bürgermeister zur Strecke bringen! Hau drauf!«

Mancini war sich nicht mehr sicher, ob Bruno tatsächlich recht hatte. Aber vielleicht sollte er es doch darauf ankommen lassen und nicht nachgeben.

Die näher kommende Sirene des Streifenwagens bremste seine Gedanken aus und er erhob sich von seinem Mauersitzplatz. In diesem Moment traf die Truppe der Carabinieri ein. Drei Mann und eine Frau.

Einer der vier hielt am Einfahrtstor die Stellung. Wahrscheinlich, dass ich nicht abhauen kann, ich könnte ja der Mörder sein, dachte Camillo. Er wunderte sich selbst, warum er schon negativ gegen die Beamten eingestellt war, obwohl noch keiner von ihnen irgendetwas gesagt, geschweige denn getan hatte. Die gegenseitige herzliche Abneigung zwischen der Staatspolizei und den Carabinieri als Teilstreitkraft des Verteidigungsministeriums bestand noch aus seiner aktiven Zeit bei der Kripo.

»Buongiorno, Signor Mancini. Camillo Mancini? Sie haben angerufen.«

»Stimmt. Gleich als ich sie gefunden habe.« Camillo deutete auf die Tote.

»Wann haben Sie sie gefunden?«, wollte der Älteste der vier Beamten wissen. »Adriano Bianchi, Capitano«, stellte er sich vor.

»Ich habe Sie vor fünfzehn Minuten angerufen und fünf Minuten davor die Leiche gefunden, also vor zwanzig Minuten.«

Bianchi schaute ihn kritisch an. »Warum liegt sie vor Ihrer Tür?« Erst dann bemerkte er die Hortensie und erfasste deren Bedeutung. Er starrte mit aufgerissenen Augen Mancini an. »Was …?«

»Tja, das frage ich mich auch, Capitano. Und genau das müssen wir ermitteln. Warum die Hortensie? Warum hier? Warum jetzt? Im Moment weiß ich es noch nicht.«

Der Carabiniere schüttelte den Kopf. Ein nervöses Grinsen huschte über sein Gesicht. »Wir!«

»Was meinen Sie?«

»Nicht Sie, sondern wir ermitteln, meine ich damit. Das ist unser Fall! Und dass das klar ist, Sie sind maximal ein Zeuge, sollten sich nicht andere Ermittlungsergebnisse zeigen.« Bianchi wandte sich an die junge Beamtin, die neben ihm stand. »Tenente, Sie klären die Fakten des Herrn hier und die äußeren Umstände. Und bestellen Sie die Kriminaltechnik. Ich bin mal im Wagen um die notwendigen Maßnahmen anzuordnen.« Als er sich in Bewegung setzte, drehte er sich noch einmal um. »Damit ist ja wohl bewiesen, dass Franco Russo zu Unrecht verurteilt wurde, Signor Mancini!«

Camillo reagierte ruhig. »Vielleicht etwas voreilig, Capitano!«

Wir beide mögen uns nicht, dachte er. Er hielt den Polizeichef für einen Wichtigtuer und schaute erwartungsvoll auf die Beamtin. Schlank, schwarze Haare streng zusammengebunden. Sie hatte eine lustige Zahnlücke, genau in der Mitte der oberen Zahnreihe. Macht sie sympathisch, dachte er.

»Tenente Francesca Barbieri«, stellte sie sich vor. »Gibt es einen ruhigen Platz, an dem wir ungestört reden können?«

»Sicher, auf der Terrasse. Kommen Sie. Den armen Kollegen lassen Sie hier stehen? Wird heiß in der Uniform.« Er deutete auf den bei der Leiche Wache schiebenden Beamten.

Barbieri winkte ab. »Guido ist Hitze gewohnt.«

Kollegial ist anders, dachte Mancini und ging voraus. »Tenente, ich habe einen Hund, der in der Küche wartet. Haben Sie ein Problem damit?« Barbieri schüttelte den Kopf und folgte ihm.

»Schön haben Sie es hier«, meinte sie, während sie den Wohnraum durchquerten.

»Danke, trotz der Knüppel, die mir die Stadtverwaltung stets zwischen die Beine wirft«, sagte Camillo. »Aber lassen wir das. Etwas zu trinken?«

Barbieri schüttelte den Kopf. »Oder vielleicht doch, ein Wasser.«

Mancini öffnete die Küchentür, hinter der Diva schwanzwedelnd wartete und den Befehl »Diva, Platz!« wie üblich ignorierte.

»Du bist ja ein schöner Hund«, meinte Barbieri. »Da passt der Name.« Sie bückte sich, um den Basset zu streicheln, was Diva sehr zu gefallen schien während sie die Carabiniere neugierig beschnupperte.

»Wie alt ist sie?«, wollte die Polizistin wissen.

»Sechs, aber ich habe sie erst seit einem Jahr. Sie gehörte einer Frau, die ich ins Gefängnis brachte.«

Barbiere starrte ihn ungläubig an. »Und dafür kriegen Sie ihren Hund?«

Camillo musste lachen. »Nein, ja, eigentlich schon. Ich habe ihr viele Jahre Haft erspart, da ich nachweisen konnte, dass sie ihren Ehemann nicht geplant ermordet, sondern im Affekt aufgrund häuslicher Gewalt tötete.« Dabei füllte er zwei Gläser direkt aus dem Wasserhahn in der Küche und stellte sie auf ein kleines Tablett, das er vorsichtig auf einer Hand balancierte. Auf der Terrasse mit herrlicher Aussicht auf den Monte Amiata setzten sich die beiden in den Schatten des Nussbaumes, den Camillo vor zwölf Jahren gepflanzt hatte, als er begann, das Haus bewohnbar zu machen. Diva wich keinen Zentimeter von ihrer neuen Freundin ab.

Er wartete ab und schaute seine Gesprächspartnerin an. »Ein natürlicher Schatten ist doch immer am besten.«

Die Carabiniere nickte. »Sie haben sich ein schönes Plätzchen ausgesucht. Signor Mancini, Sie haben doch vor zwei Jahren Russo, den Hortensienmörder, zur Strecke gebracht, und jetzt das. Haben Sie schon eine Idee?«

»Nein. Und laut Ihrem Boss darf ich das auch nicht. Trotzdem, für mich steht außer Zweifel, dass ich damit gemeint bin. Ich weiß nur noch nicht, warum und von wem.«

»Die Tote muss doch heute Nacht auf der Treppe abgelegt worden sein. Haben Sie nichts gehört? Und auch Diva hier nicht?«

»Ich bin kurz nach vier von einem Geräusch geweckt worden, und habe natürlich an Tiere gedacht, die draußen unterwegs sind. Marder, Katzen und was sonst noch nachts hier rumläuft. Wildschweine vor allem. Bin aber nicht raus, sondern nur kurz auf die Toilette, alles schwitzt man ja trotz der Hitze nicht raus. Das heißt, gesehen habe ich nichts. Erst heute Morgen beim ersten Schritt aus dem Haus bin ich fast über sie gestolpert. nachdem Diva mich geweckt hat, was sie sonst nicht tut. Aber in der Nacht hat sie auch nicht reagiert. Als Wachhund ist sie ein absoluter Ausfall.«

»Sie kennen die Tote vermutlich nicht.«

»Stimmt.«

»Ob Sie die Tote angefasst haben, muss …«

»Müssen Sie mich nicht fragen. Nein.« Camillo lachte kurz. »Und sie hier war auch nicht dran, ich konnte sie rechtzeitig einsperren.«

Die nächste Frage schien ihr etwas peinlich zu werden, zumindest ließ ihr unsicherer Gesichtsausdruck darauf schließen. »Sind Sie wegen des Urteils zurückgetreten, oder weil Sie …?«

»Eine sehr persönliche Frage.«

»Entschuldigung, ich meinte das nicht dienstlich.«

»Schon gut, fragen Sie ruhig, ich habe ja immer noch die Entscheidungsfreiheit, nicht zu antworten. Aber …«, er machte eine kurze Pause. »Aber ja, unter anderem. Ich hatte einfach keine Lust mehr, von der einen Seite zum Helden und von der anderen zum Verräter stilisiert zu werden. Und … ich war einfach nicht mehr sicher, ob …«

»… Sie den Richtigen gefasst hatten? Und jetzt das.« Tenente Barbieri schaute Mancini mit einem kaum sichtbaren Lächeln an. »Wir werden das herausfinden.«

»Ihr Chef sieht mich als lästige Konkurrenz und will mich unbedingt draußen halten, was ihm nicht gelingen wird. Ich kann lästig sein, wenn ich mir etwas in den Kopf setze. Verstehen Sie mich bitte richtig, das soll keine Drohung sein, sondern ein Angebot. Auch wenn der Signore Capitano das wohl anders sieht.« Er faltete die Hände wie zum Gebet. »Und bitte, keine Infos über mich an die Presse, das könnte sich fatal auf die Ermittlung auswirken.«

»Von meiner Person her kann ich Ihnen das zusagen, aber Bianchi …, ich weiß nicht.« Die Beamtin zuckte mit den Schultern. »Er liest gerne über sich in den Zeitungen.«

Mancini nickte. »Ok, seit wann sind Sie dabei, Tenente?«

»Seit 2016 als Tenente. Davor die übliche Laufbahn.«

»Dann sind Sie ja bald auf dem Weg zum Capo«, meinte Mancini anerkennend. »Der Weg ist sicher für Frauen nicht besonders leicht, denke ich.«

Die Carabiniere lachte gequält. »Das kann man wohl sagen. Inzwischen gehts, aber während der Ausbildung war das ein Spießrutenlaufen. Nicht schön.«

»Ich kann es mir vorstellen. Da bekleckert sich die Spezies Mann nicht gerade mit Ruhm.«

»Frauen bei den Carabinieri, da tun sich viele noch schwer. Zum Glück sind nicht alle so«, antwortete sie kopfschüttelnd.

»Danke. Aber wie gehts jetzt weiter? Haben Sie schon die Techniker bestellt?«

»Ja, vorhin. Die müssten bald hier sein, aus Grosseto.«

»Gut, ist nicht besonders angenehm, wenn die arme Tote noch viel länger in der Sonne brät. Ihr macht es ja nichts mehr aus, aber wir könnten wenigstens den Sonnenschirm aufstellen.«

»Gute Idee. Ich muss noch Ihre Personalien aufnehmen, fürs Protokoll. Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier in der Pampa einen Vicequestore aus Rom befragen muss, darf.«

»Ex Vicequestore! Ich bin Privatmann, ganz einfach.«

»Der den ermittelnden Carabinieri damit droht, selber den Fall zu lösen.«

»Wenn nötig, ja!«

»Signor Mancini, könnten Sie heute gegen Abend kurz im Büro vorbei kommen, zum Unterschreiben?«

»Das geht. Gegen sechs. Und … viel Erfolg.« Er begleitete die Polizistin zur Tür, wo inzwischen die beiden Kriminaltechniker aus Grosseto eingetroffen waren und gerade eben die Arbeit aufnahmen.

»Der Leichenwagen ist schon bestellt«, meinte einer der beiden Männer zu Barbieri.

»Sehr angenehm«, antwortete Mancini an ihrer Stelle – sie war mit Diva beschäftigt –und verabschiedete sich von der jungen Beamtin. Er schaute ihr noch kurz nach, dann ein paar Minuten den Technikern zu, später ging er ins Haus und rief seinen ehemaligen Chef an.

Questore Walter Bernini. Der König der römischen Kripo.

»Das darf doch nicht wahr sein«, war dessen einzige Reaktion. »Sie ziehen Verbrechen an wie Fliegen. Halten Sie sich fern!«

Mancini wunderte sich nicht über diese Reaktion. Sie schätzten sich zwar beide, hatten aber schon immer ein schwieriges Verhältnis miteinander. Bernini konnte sich nie mit Camillos Alleingängen abfinden, die sich einfach nicht mit seiner streng strukturierten Arbeitsweise im Team vereinbaren ließen. »Mancini, Sie sind eine wandelnde Katastrophe und ich kann einfach nicht verstehen, wie Sie zu Ihren Erfolgen gelangen.«

»Kopf und Bauch«, hatte Camillo geantwortet. »Und wenig Regeln!«

Wenig später transportierten die Mitarbeiter der Gerichtsmedizin die Tote ab. Auch die Kriminaltechniker verluden ihre Arbeitsutensilien und machten sich auf den Weg. Um das alte Haus herum wirkte alles wieder friedlich. Camillo versuchte, zur Ruhe zu kommen und richtete sowohl sein, als auch Divas Frühstück. »Bisschen spät geworden, meine Liebe«, sagte er leise. Diva legte in ihrer unnachahmlichen Art den Kopf schräg, schaute ihn kurz an, beschäftigte sich dann aber sofort wieder mit ihrem Fressnapf.

Camillo konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als ihn die Frau bat, ihren Hund zu sich zu nehmen. »Sie sind ein guter Mensch und Diva hat es verdient, in gute Hände zu kommen. Schließlich hat sie auch in ihren ersten fünf Lebensjahren den Schrecken der kaputten Ehe miterleben müssen.« Camillo wurde völlig überrascht von der Bitte, allerdings waren alle seine Zweifel wie weggewischt, als ihn die Hündin zum ersten Mal anschaute. »Da war es um mich geschehen«, meinte er und zog Diva an einem ihrer typischen langen Ohren. »Seitdem bist du da, machst was du willst, pflegst deine Eitelkeiten und frisst mich arm.«

»Wuff«, meinte Diva.

Kurz nach sechs am Abend schwang er sich auf sein neues E-Bike, das er sich im Frühjahr geleistet hatte. Seither unternahm er zwei bis drei Mal pro Woche einen Ausflug über die Staubstraßen der hügeligen Landschaft der Provinz Grosseto rund um Arcidosso und Castel del Piano sowie in das Val d’Orcia. Nur auf den über 1700 Meter hohen Monte Amiata, dem höchsten Berg der südlichen Toskana, hatte er es noch nicht geschafft.

Camillo war, den Blutdruck ausgenommen, ausgesprochen fit für sein Alter. Die fast 58 Jahre sah man ihm trotz der ergrauten Schläfen und des ebenso grauen 3-Tage-Barts nicht an. Und seine gut achtzig Kilo verteilten sich ansehnlich auf 180 Zentimeter Körpergröße.

»Du siehst aus wie dieser amerikanische Schauspieler, ich komme nur gerade nicht auf den Namen«, meinte seine alte Freundin Giovanna anerkennend bei seinem letzten Geburtstag. Giovanna Ricci und ihr Mann Alfredo führten seit vielen Jahren eine Herrenmodeboutique in Lucca, wo Camillo immer mal wieder seine knappe Garderobe erneuerte. »Sie meint ... jetzt ist er mir entfallen, aber ich finde den doch etwas schöner. Du hast dafür mehr innere Werte«, ergänzte Alfredo feixend.

Dennoch war Camillo seit dem Frühjahr nicht mit sich zufrieden, weshalb er sich aufs Rad setzte, um seine Kondition wieder auf Vordermann zu bringen.

Tenente Barbieri erwartete ihn schon am Eingang des mit einem hohen Zaun umgebenen Carabinieripostens. »Signor Mancini, danke, dass Sie es einrichten konnten. Kommen Sie rein. Ich habe das Protokoll schon ausgedruckt.«

Camillo folgte ihr bis zu ihrem Schreibtisch, den sie sich mit dem Kollegen teilte, der am Morgen Wache bei der Leiche gestanden hatte. Die Luft im Büro war heiß und stickig, zum Schneiden. Im Vergleich zum morgendlichen Gespräch auf der Terrasse wirkte die Polizistin jetzt viel offizieller, ein wenig nervös, fand Camillo. Er schmunzelte und blieb vor dem Schreibtisch stehen.

»Setzen Sie sich doch!«, forderte ihn die Tenente auf. »Und lesen Sie in Ruhe durch. Warum haben Sie Diva nicht mitgebracht?«

»Zu kurze Beine und mit dem Fahrrad bin ich zu schnell.« Mancini quetschte sich auf den, geschätzt aus dem Ersten Weltkrieg stammenden Bürostuhl und las das Protokoll durch. »Da ist alles ok, korrekt formuliert, passt so. Haben Sie einen Kugelschreiber für mich?« Er lächelte Barbieri an.

»Oh, entschuldigen Sie.« Sie reichte ihm den Stift und Camillo unterschrieb das Protokoll seiner Aussage und der Beschreibung des Fundorts. »Sehr gut, dass Sie von Fundort schreiben, denn meine Treppe war sicher nicht der Tatort.«

Barbieri lief rot an. »Ja, das …, äh, korrekt«, stammelte sie nur und nahm die Papiere an sich.

»Können Sie mir eine Kopie machen«, bat Camillo und die Beamtin sprang auf. »Natürlich, einen Moment.«

Ihr Kollege schaute kurz von seiner Arbeit auf und Barbieri nach. »Ist eigentlich nicht üblich«, meinte er und blickte den ehemaligen Vicequestore kritisch an.

»Nicht alles was richtig ist muss auch üblich sein«, antwortete Camillo und stand auf. »Ich bin der Meinung, es steht mir zu, was ich unterschrieben habe, nach Hause mitzunehmen. Danke schön.« Damit wandte er sich an die Tenente, die ihm zwei zusammengefaltete DIN A4-Blätter in die Hand drückte. »Ich bringe Sie noch raus.«

Camillo folgte ihr vor die Eingangstür, neben der er sein teures Rad abgestellt und gesichert hatte. »Nicht dass es noch vor der Polizei geklaut wird«, sagte er lachend.

»Das wäre peinlich für uns.«

»Sind Sie schon weiter gekommen? Ihr Chef hatte ja sicher schon eine Menge Anordnungen getroffen, als er sich heute früh ins Auto zurückgezogen hatte.«

Barbieri schüttelte den Kopf. »Wir warten auf die Gerichtsmedizin und von der Technik ist auch noch nichts da. Die sind alle in Urlaub und liegen am Strand. Ist auch besser bei der Hitze. Übrigens, der Capitano meint, sie wäre erdrosselt worden und dann bei Ihnen abgelegt.« Sie lächelte beim letzten Satz.

»Welch geniale Erkenntnis so früh schon. Dem ist nichts hinzuzufügen. Dann warten wir mal ab. Würden Sie mich informieren, wenn Sie konkret etwas haben?«

»Ich werde sehen, was ich tun kann, Sie wissen ja, wie das ist. Der Capitano will …«

»Tenente, ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen, auf keinen Fall. Aber … Sie könnten mich ja gerne mal abends anrufen, einfach so?«

»Signor Mancini, darf ich mit einer Frage antworten?«

Camillo nickte nur.

»Können Sie noch auf Ihre alten Kontakte in Rom zugreifen?«

»Mein ehemaliger Chef, Questore Bernini höchstselbst hat mir verboten, mich nur ansatzweise in die Sache einzumischen. Frage beantwortet?« Camillo grinste.

Barbieri musste lachen. »Und Sie halten sich natürlich an Verbote.«

»Selbstverständlich. Also rufen Sie mich an?«

Die Antwort war ein Lächeln. »Übrigens, was mich brennend interessieren würde, wie lange haben Sie denn bis zu Ihrem Vicequestore gebraucht. Sorry, dass ich schon wieder eine persönliche Frage stelle.«

Camillo schien zu überlegen und schaute die Beamtin ein paar Sekunden lang stumm an. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. In der Bar Concerto bin ich immer mal wieder am Abend. Auch heute. Wenn Sie mehr über meine Laufbahn wissen wollen, kommen Sie einfach vorbei. Dann brauchen Sie nicht meine Personalakte besorgen. Ciao!« Damit ließ er eine irritiert blickende Polizistin stehen, stieg auf sein Bike und radelte winkend Richtung Centro.

Barbieri schaute ihm nachdenklich hinterher.

Dienstag, 10. Juli 2018

02 Die »Brautschau«

»Salve Dottore«, begrüßte ihn Claudio, Inhaber, Barkeeper, Nachrichtenzentrale, Pizzabäcker und Psychologe in einer Person. »Mamma mia, was ist da passiert bei Ihnen? Eine Tote? Ermordet?«

»Buonasera Claudio, tutto bene.« Camillo trat an die Theke und grüßte zwei alte Männer, die an einem winzigen Tischchen saßen. »Signori, geht‘s euch gut? Und, die Kuh wieder gesund?«

»Dottore, keine Kuh, ein Bulle! Er hat‘s am Sack gehabt, aber jetzt geht‘s wieder zum Glück.« Dabei gab der Angesprochene ein glucksendes Wiehern von sich.

»Hättest du auch gern!«, witzelte sein Nachbar und brüllte vor Lachen.

»Na also, trinkt eins auf mich! Vielleicht hilft‘s.« Dabei deutete Camillo auf eine Rotweinflasche, die vor ihm auf dem Tresen stand. »Für mich auch eins«, sagte er und wandte sich an den Wirt. »Ist anscheinend schon überall bekannt. Wer hat geplaudert?«

»Ich weiß nichts, habe es nur gehört.«

»Ah ja, die Nachricht ist so durch die Luft geschwebt.«

»Ganz genau«, meinte der Mann mit dem Bullen und deutete auf sein uraltes Handy. »Hier aus dem telefonino raus, durch die Luft!«

»Du hast ja nicht mal Internet drauf«, meinte sein Tischnachbar.

»Aber meine Frau! Die weiß alles, schon bevor es passiert ist. Da brauche ich kein Internet.«

»Jetzt aber«, mischte sich Claudio hinter der Theke wieder ein. »Was ist genau passiert?«

Camillo schüttelte den Kopf. »Vor meinem Haus habe ich heute am frühen Morgen eine tote Frau gefunden und die Carabinieri gerufen. Die ermitteln jetzt wahrscheinlich. Zumindest hoffe ich das. Mehr nicht.«

»Kannten Sie die Frau oder wollte sie vielleicht zu Ihnen?«

»Nein. Und damit ist Schluss, kein Wort mehr. Zudem habe ich heute Abend vielleicht noch Damenbesuch und will zuerst meinen Sangiovese trinken.«

Claudio zwinkerte mit den Augen. »Hey Dottore, endlich mal auf Brautschau? Wer ist es denn?«

»Ich vielleicht!«

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können in der absoluten Stille, die plötzlich über die Bar Concerto hereinbrach. Die vier Männer starrten stumm zur Tür. Dort stand Tenente Barbieri und lachte sich fast tot. Auch Camillo erholte sich schnell von seiner Überraschung und stimmte in das Lachen ein. »Genau, das ist sie!«

Claudio linste hinter seinem Tresen vor. »Francesca! Du?«

Sie lachte immer noch. »Noch bin ich nicht auf Männerjagd, Claudio. War ein Witz. Ich treffe mich nur kurz mit dem Dottore hier. Das ist alles.« Sie lachte. »Aber ihr seid mir schön auf den Leim gegangen.«

Camillo nickte zustimmend. »Das kann man wohl sagen. Tenente, buonasera. Schön, dass Sie gekommen sind. Wollen wir raus sitzen, die Burschen hier müssen ja nicht alles mitkriegen.«

»Gern. Claudio, ein San Bitter Rosso mit Orange. Und einen caffè, per favore!«

Der Wirt bekam nach wie vor den Mund nicht zu. »Äh, si.«

Camillo und die Polizistin setzten sich an einen winzigen Blechtisch, der wacklig auf der abschüssigen Pflasterfläche vor der Bar stand. Nicht weit von der historischen Altstadt am Rande des neueren Teils von Arcidosso gelegen.

»Der Ex-Cop und die Carabiniere treffen sich nach Dienst zur Brautschau. Das gibt Nachrichten!«

Barbieri lachte. »Diese Kerle meinen immer, alles zu wissen und vor allem, alles besser zu wissen. Und Polizistinnen nicht ernst zu nehmen. Deshalb musste ich einfach auf Ihre Aussage reagieren, es war herrlich zu sehen, wie sie schauten.«

»Ich habe wahrscheinlich auch nicht besser ausgeschaut.«

»Nur schneller reagiert.« Barbieri lachte. »Habe ich Sie jetzt in Verlegenheit gebracht? Das täte mir leid.«

»So schnell geht das nicht. Und vor allem, …, jetzt habe ich einen ganz neuen Ruf. Nicht mehr nur der schlecht gelaunte alte Bulle, der sich mit dem Rathaus streitet, sondern auch Jagd auf junge weibliche Carabinieri macht.«

Claudio kam durch die Tür geschlichen und stellte den Drink und den Espresso auf den Tisch sowie ein Schälchen mit Erdnüssen. Erst als Camillo ihn anblickte und fragend die Augenbrauen hochzog, verschwand er genauso leise, wie er gekommen war.

»Cin, cin.«

»Zum Wohl. So, bevor Sie mich jetzt ausfragen, gibt es in der kurzen Zwischenzeit doch schon etwas Neues?«

Barbieri zog einen Ausdruck aus der Handtasche und legte ihn vor Camillo auf den Tisch. »Erste Infos vom Gerichtsmediziner. Die Frau wurde erdrosselt, mit einem Seil oder einer glatten Schnur, das zeigen die beiden Furchen. Dabei muss das Seil verrutscht sein und der Mörder hat erneut zugezogen. Sonst keine Verletzungen. Die Frau ist circa 25 Jahre alt und noch nicht identifiziert. Todeszeitpunkt irgendwann am Abend oder in der Nacht. Mehr nach der Obduktion. Von der Kriminaltechnik haben wir noch nichts gehört.«

Camillo starrte schweigend auf den Ausdruck, dann blickte er die Polizistin an. »Exakt wie damals.« Er trank einen Schluck Rotwein und behielt das Glas in der Hand. »Genau wie bei Russo. Keine sichtbaren Verletzungen, nur die Strangulationsfurchen am Hals. Der Täter geht völlig identisch vor. Auch, wie er die Tote hindrapiert hat, die Blume, alles gleich« Er schüttelte den Kopf und atmete schwer.

Barbieri sagte nichts, schaute Camillo nur stumm an.

Der stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und starrte in sein Glas mit dem tiefroten Wein eines seiner Lieblingsweingüter: Montecucco, ein kleines Gut in der Nähe.

»Sie wissen, was das bedeutet? Entweder sitzt Russo unschuldig und ich habe den größten Fehler meiner Laufbahn begangen. Oder es gibt einen zweiten, einen neuen Täter. Einen Nachahmer. Oder den echten Mörder. Oh, Scheiße, was ist da los?«

Die Polizistin nahm den Ausdruck wieder an sich und fuhr sich mit einer Hand durch die jetzt offen getragenen schwarzen Haare. Sie hatte einen hellen rosafarbenen Lippenstift aufgelegt. Ganz dezent. Dazu eine enge Caprihose, ebenfalls in Rosa, weiße Turnschuhe und ein schwarzes T-Shirt. Was er sah, gefiel dem ehemaligen Vicequestore.

»Sie glauben nicht an einen Zufall?«, deutete sie an.

»Nein. Sicher, es gibt natürlich Zufälle genug, aber hier kommt zu viel zusammen. Die identische Tötungsart, die blaue Hortensie in der Hand. Und dann natürlich der Fundort an meinem Haus. Direkt bei demjenigen, der den möglichen Mörder hinter Gitter gebracht hat. Das wären zu viele Zufälle. Nein, das hier ist ganz genau so gewollt.«

»Aber warum sollte ein neuer Täter die Tote zu Ihnen bringen, macht doch keinen Sinn.«

»Doch. Schaut her, ich kann es! Ich bin genauso gut wie der Mörder damals, wie Russo. Dieser mögliche neue Täter spielt mit mir. Der will mit Russo verglichen werden, vielleicht sogar besser werden. Ein Psychopath.«

Barbieri wirkte erschrocken. »Sie meinen, der macht weiter?«

Camillo zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Aber auch ganz anders. Wäre Russo unschuldig und ich hätte den echten Mörder nicht gefunden, zeigt er mir jetzt, dass er tatsächlich besser ist, als ich. Dann wird ein Wettbewerb daraus. Und die junge Frau ist das unschuldige Opfer.«

»Beide Fälle sind gleich beschissen.«

Camillo antwortete nicht, sondern schaute mit leerem Blick auf die Straße und nickte zwei Passanten zu, die ihn neugierig beäugten und tuschelten. »Jetzt bin ich richtig öffentlich.«

Barbieri blickte den beiden Fußgängern nach. »Sie sind eben bekannt.«

Camillo reagierte nicht, sondern hielt sein leeres Weinglas hoch und winkte Claudio, der in der offenen Tür stand. »Bringst du mir noch eines? Und Signora?«

»Noch einen caffè bitte.«

»Oh, gute Idee, mir auch.« Camillo lehnte sich wieder in den bequemen Metallstuhl zurück. »Was wollten Sie eigentlich fragen?«

»Scusi, Signor Mancini, …«

»Camillo.«

»Ah, Francesca, freut mich.«

Ich habe sie überrumpelt, freute sich Camillo. »Macht doch ein Gespräch offener und besser, finden Sie, du …« Er lachte. »Findest du nicht?«

»Doch, stimmt. Ich wollte wissen, wie lange du bis zum Vicequestore gebraucht hast.«

»Viel zu lange, wie üblich in der italienischen Bürokratie. Nein, im Ernst, es ging eigentlich ganz gut. Ich habe 1980 begonnen, auf der Universität in Florenz fünf Jahre Jura zu studieren, da in Rom kein Platz für mich vorhanden war. Nur für wahre Genies. Nach einer 2-jährigen Assistenzzeit in einer Anwaltspraxis in Rom wechselte ich zur Polizia di Stato.«

»Du wolltest nicht als Anwalt arbeiten?«, wollte Francesca wissen.

»Nein, das war mir zu langweilig. Dauernd irgendwelche Verträge aufzusetzen oder mich um Scheidungen kümmern zu müssen, ne, das war nichts für mich. Ich wollte Abenteuer. Deshalb ging ich zur Polizei. Dort absolvierte ich ganz normal die zweijährige Ausbildung für den höheren Polizeidienst in der Scuola superiore di Polizia in Rom und begann meine Tätigkeit bei der Kripo 1990 als kleiner Vicecommissario. Dann Commissario, Capo bis 2006, oder war es sieben, egal. Dann 2012 zum Vicequestore, also Vizepolizeidirektor. Und nun zum Pensionär. Ich war nie verheiratet, es gab zu viele Negativbeispiele bei der Polizei. Ich fahre einen alten Range Rover, meine Eltern leben beide noch, ich besuche sie zu selten, was soll ich sonst sagen? Meine Wohnung in Rom habe ich gegen das Häuschen hier getauscht. Ich habe Diva, ein paar gute Freunde und eine liebe, aber lästige Freundin, die mich immer bemuttern und verkuppeln will.« Er hob die Hände hoch. »Das bin ich.«

»Camillo, bitte, ich wollte dich nicht aushorchen.«

»Schon in Ordnung. Aber jetzt weißt du etwas besser, mit wem du es zu tun hast. Also, genau 32 Jahre vom ersten Tag im Studium bis zum Vicequestore, wenn ich richtig rechne. Ganz schön lang, wenn ich es mir recht überlege. Und du musst aus diesem Kaff hier weg in die Metropolen. Roma, Milano, Napoli, wenn du vorankommen willst. Sonst wirst du abgehängt.»

»Ich weiß. Aber ich glaube, heute dauert es länger, egal wo. Du hast aber keine Kommissariatsleitung übernommen? Warum?«

»Du hast recherchiert, wie ich sehe. Bist du doch an meine Perso…«

»Mamma mia, nein, ich habe eine Kollegin in Rom, die ich bei einem Seminar kennengelernt hatte, ein wenig ausgefragt. Nur ein bisschen.«

Camillo grinste. »Die heißt nicht zufällig Laura Santoro?«

Francesca starrte ihn überrascht und zugleich ertappt an. »Doch.«

»Laurentia, meine Lieblingskollegin. Aber sie kann einfach nicht die Klappe halten. Was hat sie denn alles von sich gegeben?«, fragte er kopfschüttelnd.

»Nur Gutes.« Francesca prostete ihm mit ihrem Drink zu.

»Nun denn, mit der Tante werde ich mal reden. Aber zu deiner Frage. Ich wollte nie aus der aktiven Ermittlungsarbeit in einen Verwaltungsjob rein. Und so bin ich eben der ewige Commissario geblieben, mit mehr Sternen auf der Galauniform und mehr Gehalt. Das absolut Angenehmste an der Sache. Und wie gesagt, ich konnte an der Front bleiben und etwas aus meiner Sicht Sinnvolles tun. Das, weswegen ich zur Polizei gegangen bin.«

»Du hast einige ganz schön spektakuläre Fälle gelöst.«

»Ja, aber möglicherweise den spektakulärsten Fall in den Sand gesetzt. Und das macht mir Kummer. Großen Kummer.«

Claudio brachte die beiden Espressi und das neue Weinglas und grinste wissend.

»Claudio, nicht dass du uns belauscht, mein Freund!« Camillo inhalierte das perfekte Aroma, das aus der kleinen Tasse aufstieg.

»Niemals Dottore. Sie wissen ja, ich bin die Zurückhaltung in Person.«

»Deshalb sage ich es ja. Morgen früh, oder wahrscheinlich heute Abend schon weiß das ganze Dorf über uns Bescheid. Der alte Kauz und die schöne Polizistin.« Camillo lachte. »Klingt fast wie ein Theaterstück.«

»Dottore, ich schweige wie ein Grab.« Claudio kreuzte die Hände vor dem Mund.

Francesca lächelte und schwieg.

»Francesca, ich zweifle seit der Urteilsverkündung, ob ich den Richtigen gefunden habe. Es gab nur Indizien gegen Franco Russo. Die waren alle schlüssig, wenn man sie richtig zuordnete. Und das haben wir gemacht. Obwohl wir vom ersten Tag an dem Druck von den Meinungsmachern der Presse ausgesetzt waren. Hier sollte ein politischer Skandal hoch gepusht werden. Wir waren mitten drin.«

»Ihr hattet nur Indizien und keine Beweise? Kein Geständnis?«

Camillo nickte. »Nein, aber es war alles völlig logisch. Russo stellte sich als liebender Familienmensch und engagierter Politiker dar. War aber ein Psychopath, der aus der Angst anderer Lust gewinnt. Wir fanden einen uralten Vorgang: Bereits als Jugendlicher hatte Russo zwei Mädchen aus seiner Klasse und der Tanzschule gefangen und gequält. Das wurde damals still mit einer hohen Summe aus der Welt geschafft. Er hatte Hortensien im Garten. Beim ersten Mord war er in eine Radarfalle gelangt, kurz nach der Tatzeit in der fraglichen Gegend. Er gab ein falsches Alibi an, was ich ihm widerlegen konnte. Er hatte ein Desinfektionsmittel in der Garage, wie es für die Tote verwendet wurde. Das Notsystem in seinem BMW X5 konnte entschlüsselt werden und der Fahrtweg lokalisiert, er war in der Nähe des Fundortes. Russo behauptete, sein Wagen müsse gestohlen worden sein, verwickelte sich aber in Widersprüche. Er gab plötzlich eine Affäre zu, die seinen Besuch bestätigte. Ich habe vermutet, dass sie gekauft war. Konnte es aber nicht beweisen.«

Camillo nahm einen tiefen Schluck Rotwein.

»Beim zweiten Mord kannte Russo die Tote anscheinend, eine Escortdame. Es gab einen Termin für den fraglichen Tag, der sich aber als falsch herausstellte. Bei der Hausdurchsuchung fanden wir ein abgeschnittenes Computerkabel, leider ohne DNA. Und einen Slip der Toten. Russo sagte, er hätte ihn beim letzten Besuch mitgenommen. Sein wichtigstes Alibi platzte, weil sich sein Sohn verplapperte. Der hatte gegenüber der Aussage der Ehefrau nicht geschlafen, als Russo nach Hause kam. Dazu wurden auf seinen Rechnern Hunderte Fotos von gefangenen und gequälten Frauen gefunden, Zeichnungen von mittelalterlichen Folterarten und ähnliches Zeug. Er verwickelte sich dauernd in Widersprüche, genauso seine Frau. Aber er gab eben nichts zu, es gab kein Geständnis. Doch die Indizien waren so zahlreich und schlüssig, dass wir das Risiko eingegangen sind, ihn vor Gericht zu bringen. Und dann fanden wir ja noch das Papiertaschentuch mit seiner DNA nahe des Fundortes der Leiche. Das Ergebnis war eindeutig. Alles hat gepasst. Weder die Staatsanwaltschaft, noch das Gericht noch wir hatten Zweifel. Wir waren uns alle sicher, er ist schuldig. Wobei auch seine Anwälte mit einer falschen Strategie zum Urteil beigetragen haben. Ihre dauernde Verzögerungstaktik hat das Gegenteil erreicht. Die Richter fühlten sich angegriffen, was Russo sicher nicht geholfen hat. Nur er selber plädierte konsequent auf unschuldig.«

Camillo hob beide Hände hoch. »Und ich hatte plötzlich Zweifel, als mir die Mutter nach dem Schuldspruch mit ihrem Vorwurf begegnete, ich hätte ihn zum Mörder gemacht. Die Zweifel nagen an mir seitdem.«

»Wie konntet ihr dieses späte Beweisstück noch in die Verhandlung einbringen? Wirkt ja schon etwas ominös?«

Camillos Reaktion wirkte leicht gereizt. »Was soll daran ominös sein? Ganz normal dem Staatsanwalt in die Hand gedrückt. Warum fragst du?«

»Weil es schon eine Wende im Prozess darstellte?« Francesca hob entschuldigend die Hände leicht nach oben.

»Nein, hat es nicht. An seiner Schuld zweifelte auch davor niemand. Das war nur ein weiteres Indiz, das die Verhandlung und das Urteil beschleunigte.«

Francesca schien sich mit seiner Antwort zufrieden zu geben. »Es ist mir schon klar, weshalb du jetzt an den Ermittlungen dran bleiben willst. Ich helfe dir sehr gern dabei, zweifle jedoch, ob ich viel beitragen kann. Bianchi hält wichtige Informationen oft zurück.«

»Ist schon gut, du hast mir heute sehr geholfen und ich möchte nicht, dass du Probleme mit dem Capitano bekommst. Und dieser Kollege an deinem Schreibtisch erscheint mir auch nicht ganz koscher, pass da auf.«

»Er ist schwierig, ich weiß. Er findet, Frauen gehören nicht zu den Carabinieri und meint, mich mit ›ciao bella‹ begrüßen zu müssen.«

»Ich will versuchen, über die Kripo, meinem alten Wirkungskreis in Rom Zugriff auf die Ermittlung zu kriegen oder dass die sich sogar direkt einschalten. Ich gebe dir auch Bescheid, falls ich etwas erreichen konnte.«

»Ich möchte mich noch ein Mal dafür entschuldigen, dass ich dich so vorwitzig ausgefragt habe, aber …«

»Liebe Francesca, ich habe mich dir sehr gern anvertraut. Ich habe nicht viele Freunde hier und würde mich freuen, mit dir immer mal wieder zu reden und Claudio mit interessanten Nachrichten zu füttern.« Camillo lehnte sich etwas nach vorn. »Und Francesca, verstehe das bitte nicht als Anmache. Ich freue mich einfach, jemand kennengelernt zu haben, den ich sympathisch finde und mit dem ich gern wieder zusammen kommen möchte. So, das war‘s!«

»Zwar ist der Anlass alles andere als fröhlich gewesen, aber auch mich freut es, dich kennengelernt zu haben. Lass uns einfach in Kontakt bleiben.« Sie hob ihr Glas und stand auf. »Ich fühle mich geehrt, Vicequestore!«

»Tenente, einen guten Abend und ermittle morgen wieder gut! Und lass mich deine Getränke übernehmen. Ohne Hintergedanken! Buonanotte.«

»Danke und ciao.« Francesca winkte kurz und lief zu ihrem Wagen, einem giftgrünen Cinquecento und parkte aus. Camillo trug die beiden Gläser in die Bar zurück. »Die Rechnung, Claudio.«

»Dottore, geht heute aufs Haus. Ich habe so viele schöne Nachrichten, die sind es wert.« Er applaudierte. »Wäre eine schöne Frau für Sie.«

»Claudio, hör mit den Faxen auf, ich heirate sie nicht! Wir haben nicht mal eine Affäre!«

»Was nicht ist kann ja noch werden.«

»Oh Mann, mir reicht es jetzt, ich gehe. Bis zum nächsten Mal, dann wieder alleine. Salve.«

»Salve Dottore.«

Camillo verließ kopfschüttelnd die Bar und radelte die paar Kilometer nach Hause. Ein ereignisreicher Tag, resümierte er. Was wird daraus werden?

Auch jetzt gegen 22 Uhr lag die Temperatur noch bei 30 Grad. Zum Glück war es nicht allzu schwül, obwohl sich immer mehr dunkle Wolken über dem Monte Amiata ballten. Könnte gewittern, dachte Camillo, wobei Gewitter selten aus dieser Richtung aufzogen. Er setzte sich in seinen Lieblingssessel auf der Terrasse vor dem gemauerten Kamin. Selbst wegen dem gab es mit dem Bürgermeister Ärger, aber er hatte den Bau durchgesetzt. Diva begrüßte ihn kurz und zog sich in ihren Korb in der Küche zurück.

Er nahm die alten Ermittlungsakten zum Fall Russo aus der Kartonhülle und begann zu lesen. Der Mörder damals – er sprach nicht mehr explizit von Russo – hatte sich zwei junge Frauen als Opfer ausgesucht. Beide blond, langhaarig, schlank. Beide wirkten jünger, als sie waren. Genau wie jetzt. Er schaltete instinktiv Zufälle aus. Die Tote ist der selbe Frauentyp wie die Opfer in Rom. Er las weiter. Beide Blüten damals stammten aus der Gattung der Bauernhortensien. Camillo schaute sich die Fotos dazu genau an, dieselben Blüten wie die von heute. Verdammt, da macht sich jemand lustig über mich, dachte er und versuchte, rational zu bleiben. Wer? Warum? Warum jetzt? Das Ziel?

»Junge, wenn du das beantworten kannst, gehts dir wieder besser.« Er brütete noch einige Zeit über den Akten, dabei schlief er ein. Als er gegen Mitternacht aufwachte, entschloss er sich, auf der Terrasse weiter zu schlafen. In der Hoffnung, dass es nicht zum Regnen kommen würde. In dieser Nacht störten ihn weder ein Tier, noch die Hitze, noch ein Traum.

Francesca

Sie lenkte den kleinen 500er Fiat zügig durch die schmale Altstadtstraße.

Was tue ich da? Treffe mich mit einem Mann, der in ein Verbrechen verwickelt ist? Dazu noch mit einem ehemaligen Polizisten. Ein Vicequestore, der kein Kommissariat leitet, sondern aktiv ermittelt. Den Zweifel an der eigenen Ermittlung plagen. Den ich noch vor ein paar Stunden als Zeugen vernommen habe.

Francesca musste leise lachen. »Vernommen ist gut, der hat mir ja eigentlich gesagt, was ich schreiben soll.«

Was ist das für ein Mensch? Auf den ersten Blick vielleicht arrogant. Wobei er sympathisch ist und offen mit seinem Alter umgeht. Ein wenig kokettiert hat er schon. Warum hat er so betont, dass unser Treffen kein Versuch einer Anmache sein sollte. War doch völlig unnötig. Ich habe überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Und dann betont er aber doch wieder die Freude, mich zu treffen und vor allem mal wieder zu sehen? Er ist unsicher, wie er sich verhalten soll. Das wundert mich, weil er eher einen geradlinigen Eindruck macht. Dieser Fall aktiviert sein Trauma neu, seine Zweifel. Ich glaube, er ist verbittert deshalb. Er zieht sich in sein Schneckenhaus zurück. Und plötzlich macht er mir gegenüber wieder auf lässigen Typ. Das passt nicht. Oder doch? Er hat seinen Werdegang völlig offen dargelegt, das ist eigentlich ungewöhnlich. Mich hat er nicht weiter danach gefragt … komisch. Interessiert es ihn nicht? Oder ist er so zurückhaltend? Werde nicht ganz schlau aus diesem Vicequestore, der weiter auf der Straße ermitteln wollte.

Sie verließ den Kreisverkehr in Richtung ihrer kleinen Wohnung am Rande Arcidossos und kicherte dabei. »Mit dem Du hast du mich richtig überrumpelt, lieber Camillo. Ok, du bist der Ältere. Darfst das.«

Er will den Kontakt halten. Und ich? Warum nicht, er sieht ganz gut aus, ist eloquent, interessant. Lass mich einfach überraschen, was daraus wird. Oder auch nicht.

Beim Aussteigen tauchte plötzlich eine Erinnerung auf.

Meine Frage wegen des so spät aufgetauchten Beweisstücks hat ihn irritiert. Die hat ihn richtig geärgert. Vielleicht hat er seine Gründe dafür und ist angefressen wegen der ganzen Sache. Vor allem nach dem Erlebnis von heute früh. Oder …?

Mittwoch, 11. Juli 2018

03 Bitte um Hilfe

Gegen sieben weckte ihn der erste Sonnenstrahl, der seine Terrasse erreichte. Camillo hing schräg in seinem Ruhesessel und wunderte sich, dass er sich recht fit fühlte. Trotz der Tatsache, dass er nicht in einem bequemen Bett, sondern auf einem uralten Sessel geschlafen hatte. Er hievte sich hoch und tappte mit kleinen Schritten um die Hausecke auf seine Aussichtsseite. Der Monte Amiata zeichnete sich im Morgendunst nur schemenhaft ab. Der Turm der Burg der Aldobrandeschi, einem Geschlecht von Feudalherren in der Toskana des frühen Mittelalters, ragte als graue Silhouette aus den sich eng aneinander duckenden Dächern von Arcidossos Altstadt empor. Camillo war sicher, auch heute würde es ein extrem heißer Tag werden, wobei er die Gewittergefahr höher einschätzte als in den vergangenen Tagen. Er reckte und dehnte sich, gähnte herzhaft, rubbelte mit beiden Händen seine widerspenstigen Haare und machte anschließend ein paar kreisende Armbewegungen. Reicht als Morgengymnastik entschied er und verpasste Diva, die ihm gefolgt war, die morgendlichen Streicheleinheiten. Auf dem Weg zur Küche lief er noch einmal ums Haus und zog die Zeitung aus dem Briefkasten.

»Scheiße!«, war sein einziger Kommentar, als sein Blick auf die Titelseite der La Nazione, der regionalen Tageszeitung für die gesamte Toskana fiel.

Junge Frau in Arcidosso ermordet

Ist der Hortensienmörder zurück?

Die Redaktion hatte seinen Fall nicht nur im Lokalteil Grosseto gebracht, sondern in der Hauptausgabe. Er stellte schnell noch die kleine Espressokanne auf den Herd, dann vertiefte er sich in den Artikel. Die offizielle Information der Carabinieri war kurz gehalten. Dafür widmete sich die Zeitung den möglichen Hintergründen sehr ausführlich, zum Leidwesen des ehemaligen Vicequestore. Der größte Teil des Artikels war der erkennbaren Verbindung zum Fall Russo vor zwei Jahren und Camillos Person gewidmet.

Warum musste die junge Frau sterben? Wurde Franco Russo von einem selbstherrlichen Kommissar zum Mörder gestempelt? Und der wahre Mörder schlägt jetzt wieder zu. Ist es Rache an Mancini? Warum war der Starermittler aus Rom nach dem Urteil plötzlich privat abgetaucht?

Die Zeitung stellte Fragen über Fragen, hielt sich jedoch wenigstens mit allzu wilden Spekulationen zurück. Trotzdem wischte Camillo die La Nazione wütend vom Tisch. Inzwischen kochte sein Espresso, er wollte gerade einschenken, als das Telefon läutete.

»Pronto?«

»Signor Mancini, hier spricht Alessandro Ferrari von der La Nazione. Würden Sie mir bitte …?«

»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich mit Ihnen plaudere, solange der Fall nicht aufgeklärt ist, nur damit Sie mir weitere Verfehlungen anhängen?«

»Es wäre aber vielleicht in Ihrem Sinne, wenn Sie uns für ein Interview zur Verfügung stünden. Sie wissen schon, dass Sie dann wenigstens aktiv an der weiteren Berichterstattung mitwirken können. Denn sonst …«

»Sie drohen mir mit Schmutzkampagnen? Junger Mann, das belastet mich nicht die Bohne, ich bin das aus Rom gewohnt. Lassen Sie mich in Ruhe und dichten Sie weiter. Sollten allerdings glatte Unwahrheiten über mich verbreitet werden, weiß ich mich zu wehren! Buongiorno!« Camillo knallte das Telefon auf den Küchentisch. »Saubande!«

Er duschte unter der Gartendusche im Freien, beglückte Diva mit einigen Leckerli, stieg danach aufs Fahrrad und fuhr den knappen Kilometer bis Zancona, einem aus wenigen Häusern bestehenden Weiler, wo er seine morgendlichen Panini und ein Croissant holte. Im Gegensatz zu den meisten Italienern, denen ein Cornetto und ein Espresso an der Bar ausreicht, legte er großen Wert auf ein »anständiges« Frühstück, wie er es nannte.

Kaum zurück meldete sich sein Handy. Giovanna Ricci.

»Sag mal, was muss ich heute Morgen lesen? Don Camillo, mein Gott, was ist da los?« Sie hatte die größte Freude daran, ihn mit seinem uralten Spitznamen zu ärgern. »Stimmt doch, du lebst ja praktisch im Zölibat«, warf sie ihm öfter mal vor.

Er hatte Mühe, die Modetante, wie er sie immer nannte, zu beruhigen. »Liebe Giovanna! Ich bin nicht ermordet worden, sondern eine junge Frau, dummerweise mit einer Hortensie in der Hand.«

»In deinem Haus?«

»Nein, sie wurde vor dem Haus von jemandem abgelegt. Und nun habe ich den Salat, die Nazione haut auf den Putz … und auf mich.«

»Du hast doch diesen Politiker damals überführt, dann muss das jetzt ein neuer Mörder sein, oder was?«

»Wir wissen es noch nicht, die Carabinieri ermitteln noch.«

»Die aus deinem kleinen Kaff da oben in den Bergen? Das wird doch nichts.«

»Tu mal langsam, ich warte mal ab und dann sieht man weiter.«

»Gut, Camillo, wenn du etwas brauchst, ruf mich an! Sicher!«

»Mache ich. Danke für deinen fürsorglichen Anruf. Ciao Giovanna.«

»Du brauchst nicht so süffisant daher reden. Vielleicht bist du noch mal froh, wenn ich dir unter die Arme greife. Arrivederci.« Sie klang etwas beleidigt.

Camillo legte auf und musste lachen. Giovanna und ihr Mann Alfredo waren lange Zeit seine direkten Wohnungsnachbarn am Corso Vittorio Emanuele II im Zentrum Roms. Vor vier Jahren waren die beiden nach Lucca übersiedelt und übernahmen eine im höheren Preissegment angesiedelte Boutique mit Herrenmode. Camillo hatte Jahre gebraucht, um Giovanna zu überzeugen, dass sie ihn nicht mit von ihr ausgewählten Frauen verkuppeln müsse. »Weißt du, ich will einfach nicht.«

»Du bist doch hoffentlich nicht schwul?«, konfrontierte sie ihn daraufhin.

»Nein, liebste Giovanna. Nein! Ich will aber trotzdem nicht in eine Ehe gedrängt werden, ich komme ganz gut mit mir zurecht. Und ich habe den Hund.« Seitdem hatte er Ruhe, auch wenn Giovanna bei seinen Besuchen öfter den Eindruck hinterließ, dass eben doch eine Frau im Leben des Polizisten fehlen würde. »Wenn ich mir deine Garderobe so anschaue.« Wobei sich Camillo ausgesprochen geschmackvoll kleidete, außer natürlich in seinem Haus in der Toskana. Er bevorzugte einen legeren, doch klassischen Look, ziemlich typisch für italienische Mode. Er würde nie mit kurzen Hosen durch die Stadt laufen, Männer, die das taten, waren ihm suspekt. Und Camillo liebte englische Trenchcoats. Ein stets passendes, praktisches Kleidungsstück für unterwegs. Auch für das italienische Wetter, dem von Ahnungslosen oder Daueroptimisten fälschlicherweise ewiger Sonnenschein nachgesagt wurde. Die sollten mal römischen Regen erleben, entgegnete Camillo dann. Er musste dabei an die Tausenden Touristen denken, die in bunte Plastikponchos gehüllt ihre vorgebuchten Sightseeing-Trips im Regen absolvieren mussten: Kolosseum, Forum und Palatin. Laura und er hatten sich immer lustig darüber gemacht, wenn sie unterwegs waren.

»Der Trenchcoat. Für einen Kommissar eben perfekt!«

Der dritte Anrufer dieses Morgens meldete sich aus Rom. Questore Bernini.

»Mancini, dieser Capitano aus Arcidosso beklagt sich bei uns, dass Sie sich in seinen Fall einmischen würden. Ich habe doch gestern bereits gesagt, Sie sollen sich raushalten.«

»Das habe ich bisher. Wahrscheinlich übertüncht Bianchi seine eigene Unfähigkeit mit prophylaktischen Beschwerden über mich. Seine Untergebenen halten ihn für einen Schwätzer.«

»Das ist mir völlig egal, selbst hier in Rom sind Sie auf der Titelseite. Schauen Sie auf die Onlineausgaben drauf, Sie werden sich wundern. Und jetzt noch dieser Carabiniere. Mit denen haben wir ohnehin gerade genug Probleme.«

»Questore, Sie wissen genauso gut wie ich, wem dieser Mord gilt. Mir. Und deshalb kann ich die Ermittlung keinen Provinzpolizisten überlassen. Ich muss da selber ran.«

»Das ist doch Quatsch! Sie haben keinerlei Ressourcen zur Verfügung, keine Unterstützung und rein formal keine Amtsgewalt.«

»Ich habe meinen Kopf!«

»Ich weiß, Mancini, wie immer sturer Kopf und direkt durch die Wand. Russo wird jetzt garantiert sehr schnell versuchen, den Prozess neu aufzurollen. Schließlich gibt es einen neuen Täter, er kann es diesmal nun wirklich nicht gewesen sein. Und die genauen Umstände lassen darauf schließen, dass wir einen anderen Täter als Russo haben. Wäre eine schöne Scheiße für uns alle.«

»Ja, vor allem für mich. Ich bin mir dessen bewusst. Umso …«

Bernini unterbrach Camillo sofort. »Wir kümmern uns darum und werden uns in die Ermittlungen einschalten. Wir, Mancini, nicht Sie! Verstehen wir uns?«

»Nein, das tun wir nicht. Ich bin Privatmann und kann tun und lassen, was mir beliebt!«

»Täuschen Sie sich mal nicht, es gibt genügend Mittel und Wege, Sie raus zu halten. Denken Sie dran und machen Sie sich schon mal mit dem Gedanken vertraut, einen Unschuldigen verurteilt zu haben. Mit fragwürdigen Beweisen.«

Aufgelegt.

Das war deutlich, dachte Camillo, und es könnte noch zum Problem werden. Aus Rom kommt keine Unterstützung. Nun denn, hatte ich früher ja auch oft nicht. Gehen wir eben wieder im Alleingang ran. Er steckte den Hörer auf die Ladestation und griff nach der alten Fallakte auf dem Küchentisch.

Camillo war gerade drei Seiten weit gekommen, als jemand an der Haustür klopfte und Diva ihr kräftiges Bellen ertönen ließ. Ein älteres Paar wartete auf der Treppe. Die Frau trug ein über die Knie reichendes schwarzes Kleid, der Mann einen dunklen Anzug. Sie hatte sich bei ihm eingehängt. Die beiden wirkten sehr unsicher, dachte Camillo und wunderte sich über die zur momentanen Wetterlage nur bedingt passende Garderobe der Besucher. »Ja, bitte? Diva, aus! Sie ist harmlos.«

Die Frau nickte. »Buongiorno.«

»Dottore, bitte entschuldigen Sie, dass wir Sie stören. Aber … wir …« Dann brach die Stimme des Mannes. Die Frau blickte ihn besorgt an, dann wandte sie sich an Camillo.

»Es war unsere Tochter. Gestern.« Sie starrte Camillo an, dann lösten sich ein paar Tränen aus den Augen.

Camillo war kurz irritiert, fing sich jedoch schnell wieder. »Signora, mein Gott, das ist furchtbar. Es tut mir so leid, ich weiß jetzt gerade nicht, was ich sagen soll.« Auch wenn er im Laufe der vielen Jahre seiner Tätigkeit allzu oft als Überbringer schlechter Nachrichten vor Familien, Ehefrauen und -männern stand, fiel es ihm nach wie vor extrem schwer, das jeweils Richtige zu sagen. Er hatte öfter mal die Kollegin Laura gebeten, die traurige Nachricht zu überbringen. »Mein herzliches Beileid. Bitte kommen Sie doch herein.«

Der Mann nickte. »Danke. Permesso?«

Camillo nickte und ging voraus in seine Wohnküche. »Hier ist es kühler als draußen.« Er bat das Paar, sich zu setzen. »Möchten Sie gern ein Wasser?«

Beide nickten. »Danke schön«, meinte die Frau, die sich inzwischen wieder gefangen hatte. Camillo schenkte allen ein und setzte sich dann ebenfalls.

»Sie sind sicher, dass es …?«

»Ja, es ist Patrizia, unser Mädchen. Die Carabinieri haben es uns gesagt, aber wir durften sie noch nicht sehen. Entschuldigen Sie, ich bin Franco Sabatini, meine Frau Roberta.« Er deutete auf seine Begleiterin, die sich beide Hände vor das Gesicht hielt.

Wie haben die Carabinieri die Personalien der Toten so schnell raus gekriegt, fragte sich Camillo und blickte Sabatini an. »Hatten Sie Ihre Tochter bereits als vermisst gemeldet?«

Der Vater nickte. »Ja, vorgestern in der Nacht. Sie hatte uns gegen halb sechs angerufen, dass sie etwas später kommen würde.«

Jetzt schaltete sich die Frau ein. »Wir haben uns auf neun verabredet, um uns mit unserem Vermieter zu treffen. Wissen Sie, wir haben den Alimentari, den ganz kleinen Lebensmittelladen an der Piazza in Santa Fiora und wollten den Mietvertrag verlängern. Patrizia arbeitet …«, sie schüttelte den Kopf und schluchzte leise. »Arbeitete bei einem Buchhalter und kannte sich ein wenig aus mit solchen Verträgen.«