Ein Ostsee-Pirat - Carl Schmeling - E-Book

Ein Ostsee-Pirat E-Book

Carl Schmeling

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Beschreibung

[1865] Digitale Neufassung. Zweiteiliger historischer Roman in einem Band. Aus dem Inhalt: Der Major von der Grieben war nicht so glücklich, einen Sohn zu haben; ein Umstand der ihm neben seiner Entlassung aus dem Heere den mehrsten Kummer machte. Dagegen hatte er zwei Töchter, die bisher in Stockholm erzogen wurden, die er aber, seit der Krieg drohte, zu sich zu nehmen beschlossen, wozu auch seinerseits die nötigen Verfügungen bereits getroffen. Ein Schreiben der Töchter benachrichtigte die Eltern, dass sie mit der nächsten Postjacht eintreffen würden; diese Postjacht musste am 30. Juli 1757 durchpassieren und wie gewöhnlich am Bug, gegenüber von Grieben, wo sie Station halte, anlegen. War dies ein Grund für Grieben, seine Frau und den Baron, den 30. Juli und das gedachte, damals regelmäßig drei Mal monatlich zwischen Ystadt und Stralsund gehende Fahrzeug sehnsüchtig zu erwarten, so gab es doch noch einen zweiten, aus dem sowohl jene wie auch andere Leute der Ankunft der Postjacht erwartungsvoll entgegensahen, dass wahrscheinlich mit ihr die Nachricht über die Verurteilung der Verschwörer in der Braheschen Angelegenheit eintreffen werde

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Inhaltsverzeichnis

Band 1

Auf Hiddensoe.

Die Postjacht.

Fähnrichs-Gelüste.

Folgen des Übermuts.

Feurige Kohlen.

Die Mitteilungen.

Die Ordre.

Im Wrack.

Eine Ahnung.

Zur rechten Zeit.

Verschiedene Eindrücke.

Vor dem König.

Unverhofftes Wiedersehen.

Ein deutliches Zeichen.

Eine neue Überraschung.

Der böse Wind.

Eine Ladung Korn nach Stockholm.

Das kleine Boot.

Louise Ulrike.

Ein Tropfen Balsam.

Maria Arvedson.

Eine Warnung.

Ein Bekehrter.

Das Herzensgeheimnis.

Ein Geständnis.

Ein Schwabenstreich.

Das Signal.

Der Lotse.

Ein Plan.

Eine doppelte Überraschung.

Ein junger Löwe.

Band 2

Eine kleine Jagd.

Eine Verständigung.

Eine wichtige Person.

Ein neues Debüt.

Unter Moens Klient.

Eine Sinnesänderung.

Eine ansteckende Krankheit.

Eine würdige Liäson.

Die Befreiung.

Unerwartete Hilfe.

Der Lohn in Aussicht.

Swietens Glück und Unglück.

Sein Glück.

Mein Unglück.

Eine Bereinigung.

Aut vincere, aut mori.

Ein Husarentanz.

Der Gefangene.

Die neuen Stadtaffichen.

Die Eispartie.

Unerhört.

Eine Invitation.

Ein Racheplan.

Jacobsons Projekt.

Eine Falle.

Die Gefangenen.

Verdienter Lohn.

Eigentümliche Wirkung.

Der rechte Mann.

Ein Plan.

Große Eile.

Dennoch misslungen.

Mann und Frau.

Eine Diversion.

Der zuständige Richter.

Die Katastrophe.

Band 1

I. Auf Hiddensoe.

Es sah wieder einmal sehr kriegerisch in der Welt aus.

Denn jener Zündstoff lag aufgespeichert, dessen Explosion die Periode für Deutschland, für Europa, ja für die ganze zivilisierte Welt bildete, welche die Geschichte unter der Benennung des „siebenjährigen Krieges“ verzeichnet hat.

Um unbedeutender Ursachen, hauptsächlich aus altem Grolle, von einer Seite angesponnen, durch das Gebot der Selbsterhaltung von einer anderen Seite begonnen, riss er in seinem Verlaufe alles mit sich fort und führte schließlich von allem das Gegenteil herbei, was nach menschlichen Berechnungen hätte geschehen müssen.

In Deutschland lag dem Ursprung des Krieges die Absicht zu Grunde, den Mann welcher sich Friedrich II. von Preußen nannte, den jedoch der Papst, als Marchese di Brandenbourg in seine Staatskalender verzeichnen ließ, zu demütigen und sein Land zu einer gewissen Unbedeutsamkeit herabzubringen.

Wie Friedrich das zu diesem Zwecke im Geheimen geschlossene Bündnis entdeckte, – wie er dem heranziehenden und lange über seinem Haupt hängenden Wetter, durch eine scharfsichtige Politik, kluge Unterhandlungen, Feldherrntalent und Heldenmut, begegnete, ist hinlänglich bekannt.

Dessen ungeachtet konnten bei seiner Vielseitigkeit nur die Hauptzüge seiner Tätigkeit in den Geschichtsbüchern verzeichnet werden, weshalb häufig seine Erfolge dem unerklärlich bleiben, der diesen scharfen Geist nicht auf den geheimen Wegen verfolgt, die gleichsam ein unsichtbares Netz bildeten, in dem diejenigen hängen blieben, welche sich ihm unvorsichtig in feindseliger Absicht nahten.

Es ist bekannt, dass Friedrich, dem Antrag Schwedens, während des siebenjährigen Krieges mit ihm Frieden zu schließen, die sarkastische Antwort gab: „Ich weiß von keinem Krieg mit Schweden; zwar habe ich gehört, dass mein General Belling da an der schwedischen Grenze einige Zänkereien gehabt hat, doch ich denke der Mann wird sich wohl besänftigen lassen!“

Wie Friedrich zu Anfang des Krieges über Schweden dachte, geht jedoch besonders aus einer, in Ziffern abgefassten Depesche an den Gouverneur von Pommern und Stettin hervor, die nach ihrer Übertragung ungefähr folgenden Inhalt gab:

„Es unterliegt nach den letzten Vorgängen in Schweden und dem taktlosen Benehmen seiner Königin keinem Zweifel, dass uns auch diese Macht den Krieg erklären wird. Obwohl nun Erschöpfung und innere Unruhen diesen Staat hindern, in der Entfernung einen energischen Krieg zu führen, so ist uns doch seine Flotte gefährlich. Ich kann derselben leider nichts entgegensetzen, als die zweifelhafte Hilfe eines lauen Bundesgenossen und muss deshalb die Küsten Ihres Gouvernements, zu meinem Schmerz, allen möglichen Unternehmungen auf dieselben preisgeben. Sie werden zwar für deren Verteidigung sorgen, soweit Ihre Mittel reichen; doch für mich wie für Sie ist es notwendig, zu wissen, was im schwedischen Kabinett wie auf der Ostsee vorgeht. Diesem Zwecke dürfte ein einzelner, unternehmender, umsichtiger und kluger Mann neben unseren sonstigen Verbindungen entsprechen und Sie müssen deshalb suchen, einen solchen zu finden. Ein geschulter Seemann muss er natürlich sein; ist er dabei Soldat, umso besser. Ich sollte meinen, ein Mann aus dem schwedischen Pommern, der soviel deutschen Sinn besitzt, der Fremdherrschaft überdrüssig zu sein, dürfte sich am besten dazu eignen. Immerhin werden Sie bei der Wahl große Vorsicht anwenden müssen, um auch der Treue und Verschwiegenheit dieses Individuums versichert zu sein; haben Sie jedoch gefunden, was wir brauchen, so bieten Sie alles, Geld, Rang, Schiffe und was sonst nötig, unseren Marin zu fesseln. Instruktionen für denselben sollen später folgen.“

Was der Gouverneur unternommen, einen Mann wie ihn der König wünschte, zu finden, lässt sich nicht gut angeben; eine Anfrage desselben bei dem Kommandanten von Kolberg, wegen eines kühnen und zugleich gebildeten Seemanns, lässt jedoch vermuten, dass er in verschiedenen Richtungen forschte, seinen Zweck zu erreichen.

Diese Bemühungen wurden denn auch nach einem Bericht des Gouverneurs mit Erfolg gekrönt und ein den gestellten Anforderungen entsprechendes Individuum gefunden, welches keine anderen Bedingungen machte, als zu jeder Zeit frei und ungehindert in preußische Häfen ein- und auslaufen zu dürfen und dass ihm ein Kaperbrief erteilt werde.

Friedrich schrieb auf diesen Bericht die kurze Antwort: „Bewilligt, scheint ein braver Kerl zu sein und muss wohl ästimiert werden.“ Dieser Antwort waren die Instruktionen für den Parteigänger zur See und einige andere Papiere beigeschlossen. –

Der König hatte hinsichtlich Schwedens richtig geurteilt, die Partei der Mützen, welche nach der Braheschen Verschwörung gegen den Senat und Reichsrat die Oberhand gewonnen, drang auf Krieg, um die Königin, eine Schwester Friedrichs, auch noch dadurch zu demütigen; derselbe ward an Preußen erklärt und bald darauf auch begonnen. –

Friedrich hatte in seiner Ordre an den Gouverneur von Pommern nur von unverteidigten Küsten gesprochen, jedoch eines Umstandes, der, für ihn namentlich, jedenfalls wichtiger als eine verheerte Küstenstrecke sein musste, nicht gedacht oder nicht gedenken wollen, – nämlich der gänzlichen Vernichtung des preußischen Seehandels.

Die Schweden, als eine handeltreibende Nation, damals zugleich noch eine bedeutende Seemacht, fassten nur diese Seite des Seekrieges auf; statt die Küsten zu verheeren, was ihnen zu nichts nützen konnte, blockierten sie die Häfen. Vor Memel legte sich eine Fregatte; vor Pillau und Danzig kreuzten Eskadres, vor den Ausflüssen der Oder war eine ganze Flotte stationiert, die einzelne Schiffe vor die Mündungen der Stolpe, der Wipper, der Persante, der Rega und der Dievenow legte.

Im „neuen Tief“, damals ein schwedisches Gewässer, lag ebenfalls eine Eskadre, hauptsächlich als Reserve und von ihr wurden zu gewissen Zeiten Kreuzer entsendet, die den Zweck hatten, noch in der Ostsee befindliche Preußische Schiffe aufzubringen, das heißt: zu nehmen. Vor dem Nordeingange zum Hafen von Stralsund und dem Eingange des Hafens von Barth, natürlich hier zum Schutze dieser Häfen und ihres Handels, legte sich jedoch eine stattliche Brigg, unter dem Befehl des Marineleutnants Baron Staelswerd. –

Dieser Baron Staelswerd, ein Bruder des Mitverschwornen Artillerieleutnants Staelswerd, war ein Hofmann durch und durch. Sein jetziges Kommando, beiläufig wider seine Neigung, wie der ganze Krieg, war eine Art Verbannung vom Hofe und aus dem Lande, weil auf ihn vielleicht der Verdacht ruhte, der beabsichtigten Staatsumwälzung zu Gunsten der königlichen Autorität näher gestanden zu haben.

In seinem Äußeren glich Staelswerd allen vornehmen Schweden; er war groß und hübsch gewachsen, feine Bewegungen und sein Benehmen verrieten Selbstbewusstsein und Stolz; der ärgste petit maitre hätte in seinem Anzug nicht sorgfältiger sein können wie er.

Auch die Züge des Barons mussten regelmäßig genannt werden; auf den ersten Blick schien das Gesicht trotz der mangelnden Farbe sogar schön, indessen eine nur flüchtige Forschung in demselben ließ erraten, dass es, wie so häufig im Leben, das leidliche Aushänge-Schild eines oberflächlichen Geistes sei, der wohl eine gewisse Politur erhalten, jedoch ohne alle Tiefe sein musste; das gezwungene Wesen und die Peinlichkeit, womit der Baron auf die Erhaltung seines Anzuges achtete, sagten das Weitere.

Staelswerd hatte bisher noch nicht weiter zur See gedient, als es die gesetzliche Übungszeit erforderte; seine Taten beschränkten sich auf die Teilnahme an Hoffestlichkeiten und Hof-Intrigen und schwerlich war er im Stande, ein Schiff wie die ihm anvertraute Brigg „Aurora“ unter allen Umständen zu führen und zu kommandieren. Doch ihm zur Seite stand ein anderer Leutnant, eine alte verwitterte Seemanshaut, auf der die Sonne aller Breiten ihre Spuren hinterlassen, ein Mensch wie Stahl und Eisen, rau wie die See, aber sicher in seinem Handwerk und nie in Verlegenheit; dieser Leutnant, erst sehr spät zu seiner Charge gelangt, hieß Dalström und während er, ganz bei der Sache, den Platz suchte und bestimmte, auf dem man die gedachten Hafeneingänge am besten überwachen konnte, seufzte Staelswerd wiederholt, und seine Seufzer konnten für Klagen über sein Los gelten. –

Jene Eingänge gleichen in einer Hinsicht einem Archipel, in anderer einer Pforte. Es befinden sich hier nämlich gegen die Insel Rügen, die Eilande Hiddensoe, der neue Bessiner Werder, die Fährinsel, der Gänsewerder, die Schaproder Oie, Bessin, Ummanz, die Heuinsel und die Halbinseln Bug, Trog und Lieschow, den einen Schenkel eines rechten Winkels, der sich von Nord nach Süd erstreckt, bildend. Den anderen, von West nach Ost, bilden die Halbinsel Dars, die Inseln Fingst, Rutt, Barther Oie, Barhöft und verschiedene kleinere Eilande an der pommerschen Küste. Genau im Scheitelpunkt dieses Winkels liegt das eigentliche Fahrwasser, der Ausfluss des Gellens, zwischen Barhöft und der Insel Bessin. Jedoch gibt es für leichte Fahrzeuge noch ein anderes Fahrwasser, zwischen Hiddensoe und Rügen; auch dies kann bei Bessin überwacht werden. –

Von den zuerst genannten Inseln ist Hiddensoe, ein Name der offenbar so viel als Hütteninsel bedeuten soll, – die größte und wichtigste. Im nördlichen Teil ein anständiges Stück Tonflötz mit ziemlichen Höhen und steilen Vorgebirgen, ist sie im südlichen nichts als eine schmale, hohe Sandbank, die durch den Strom des Gellen erst in einer neueren Periode aufgeschwemmt worden.

Hiddensoe ist ungefähr drei Meilen lang, an den breitesten Stellen kaum eine halbe Meile breit und zählt außer einzelnen Weilern und Gehöften fünf Ortschaften, von denen zwei größere Güter mit Zubehör sind; das nördlichste derselben, Grieben, gehörte zu der Zeit, von welcher die Rede hier ist, dem ehemaligen schwedischen Major von der Grieben. –

Major von der Grieben rechnete sich zu der Partei der Mützen, das heißt derjenigen, die eine Verfassung aufrecht zu erhalten suchten, durch welche der Adel und die Geistlichkeit die Macht der Krone beschränkten und das Volk beherrschten. Bei den ersten Versuchen Adolph Friedrichs und Louise Ulrikes, die Autorität der Krone zu verstärken, ohne Pension wie so viele andere seiner Gesinnung entlassen, begrüßte er die Zeit, wo jene Versuche durch die misslungene Brahesche Verschwörung gänzlich scheiterten, mit Jubel, und war deshalb als echter sogenannter schwedischer Patriot, ein eingefleischter Preußenfeind, der also auch den Krieg gegen Preußen billigte.

Bis auf diese Schwäche, die allerdings in den Augen des Majors eine Stärke war, welche jedoch nie anders als in Gesprächen mit dem Pastor des Dorfes Kloster, der sich zur Partei der Loyalen oder Hüte rechnete, zu Tage trat, war der Herr von der Grieben ein durchaus braver, biederer, gastfreier, mildtätiger Herr, das Muster eines zärtlichen Ehemannes und vortrefflichen Vaters.

Nur klein von Wuchs war der alte Herr desto beweglicher; nur selten im Stande jemand zu erhaschen, mit dem er sich angemessen unterhalten konnte, war er umso gesprächiger, wenn er mit solchen Personen zusammentraf. Sobald er die Anwesenheit der Brigg und den Namen ihres Kommandanten erfahren, machte er demselben einen Besuch und lud ihn zu sich ein. –

Baron Staelswerd kam dieser Einladung umso lieber nach, als seine Station die Langeweile zur obligaten Zugabe hatte und obwohl beide Männer sehr bald ihre politische Gegnerschaft erkannten, entspann sich doch ein Verhältnis zwischen ihnen, welches erlaubte, dass der Baron Wochen lang ein Gast des Majors war, während seine Brigg untätig am Entendorn oder dem Bock, den beiden entgegengesetzten Enden der Insel, ankerte. –

Der Major von der Grieben war nicht so glücklich, einen Sohn zu haben; ein Umstand der ihm neben seiner Entlassung aus dem Heere den mehrsten Kummer machte. Dagegen hatte er zwei Töchter, die bisher in Stockholm erzogen wurden, die er aber, seit der Krieg drohte, zu sich zu nehmen beschlossen, wozu auch seinerseits die nötigen Verfügungen bereits getroffen. Ein Schreiben der Töchter benachrichtigte die Eltern, dass sie mit der nächsten Postjacht eintreffen würden; diese Postjacht musste am 30. Juli 1757 durchpassieren und wie gewöhnlich am Bug, gegenüber von Grieben, wo sie Station halte, anlegen.

War dies ein Grund für Grieben, seine Frau und den Baron, den 30. Juli und das gedachte, damals regelmäßig drei Mal monatlich zwischen Ystadt und Stralsund gehende Fahrzeug sehnsüchtig zu erwarten, so gab es doch noch einen zweiten, aus dem sowohl jene wie auch andere Leute der Ankunft der Postjacht erwartungsvoll entgegensahen, dass wahrscheinlich mit ihr die Nachricht über die Verurteilung der Verschwörer in der Braheschen Angelegenheit eintreffen werde. –

II. Die Postjacht.

Der Morgen des 30. Juli sah daher eine ganz ungewöhnliche Bewegung auf der Insel; schon von früh ab wehte der Schwedenborg von dem hohen Bakenberg, zwischen Kloster und Grieben, auf dem sich zu jener Zeit eine Lotsenstation befand. Das ganze Lotsenpersonal war mit Fernrohren zugegen und dies ist erklärlich, denn der Major hatte demjenigen, der die Jacht zuerst entdeckte, eine Belohnung versprochen.

Bald auch zogen fast alle Bewohner der Insel von Süden nach Norden; denn sie wollten sowohl Neues hören, als die Töchter des Majors, des angesehensten Mannes der Insel, empfangen; Grieben hatte sich wirklich ihrer besonderen Achtung zu erfreuen.

Noch bedeutender waren die Vorbereitungen zum Empfang der Mädchen in Grieben selbst und gewiss um diesen recht feierlich zu machen, hatte auch Staelswerd seine Brigg dem Land möglichst nahekommenlassen. –

Inzwischen stieg die Sonne immer höher und verkündete bei Windstille, durch ihre brennenden Strahlen, einen heißen Tag. Schon um zehn Uhr ungefähr war die Hitze sengend, die Natur lag wie tot, die See war glatt wie ein Spiegel; gegen Mittag schien alles Leben erstorben zu sein, denn kein Tier und kein Mensch wagte eine Bewegung, alles verkroch sich in die Gebäude oder suchte wenigstens Schatten; dass bei dieser Windstille die Jacht nicht eintreffen konnte war natürlich.

Gegen zwei Uhr Nachmittags trat jedoch eine Änderung des Wetters ein; jene Nebel, welche unter dem Namen Daak bekannt sind, spielten auf der See und ein heißer Luftzug strich aus Süden her; im Norden und Nordwesten ballte sich Gewölk zusammen, welches sich, dichter und dunkler werdend, nach Nordosten wälzte. Der Wind wendete sich nach Südost und ward kühl.

Schon mit dem Beginn dieser Änderung des Wetters war wieder alles lebendig geworden und gegen drei Uhr befanden sich gewiss zwei Dritteile der Bewohner des Eilandes bei dem Lotsenhäuschen auf dem Bakenberg. Um diese Zeit langten auch der Major, seine Frau und Baron Staelswerd daselbst an, zu ihnen gesellte sich der Prediger Huldrich aus Kloster und ein Paar alte Lotsen, man judizierte über das Wetter und brauchte fleißig die Fernrohre. –

„Ich hab’s mir gedacht!“, sagte da plötzlich einer der Letzteren sein Instrument senkend „dort drüben wettert‘s und die Jacht muss mitten drin sein; wenn das alles da links zusammenbraut, dürfte sie einen harten Kampf haben!“

„Ich habe es ebenfalls leuchten sehen!“, meinte Staelswerd „und an einem starken Wetter dürfen wir nicht mehr zweifeln, ich glaube sogar, dass auch wir hier noch unser Teil bekommen!“

Diese Reden setzten den Major und seine Frau in Besorgnis; Grund war allerdings vorhanden, denn die Dunstmassen im Norden und Nordwesten wurden immer schwarzer und sendeten ihre Streifen bis zum Zenit südwärts; man konnte sogar bald mit den bloßen Augen die Blitze sehen. Das Meer nahm eine dunkelgrüne Farbe an und grollte dumpf, indem es kleine Schaumstreifen wirbelte; der Wind setzte jeden Augenblick um und schuf zu Zeiten jene Bewegungen auf dem Wasser, die in der Seemannssprache „Katzenklauen“ heißen.

Sowohl der Leutnant wie die Lotsen suchten indessen die besorgten Eltern zu beruhigen, denn die Postjacht war wie allgemein bekannt, ein starkes seetüchtiges Schiff mit starker Bemannung, welches schon einen Puff vertragen konnte; der Prediger schob dagegen alles unserem Herrgott in die Schuhe, als wolle er ihn für etwa entstandenen Schaden verantwortlich machen.

So verging eine bange Stunde, in der man auch mitunter den fernen Donner rollen zu hören glaubte, – es war vier Uhr geworden; der Wind blies jetzt stet und mit einiger Heftigkeit aus Nordost. Wer ein Fernrohr besaß, musterte von Zeit zu Zeit den Horizont.

„Da ist sie!“, rief plötzlich derselbe Lotse, welcher vorhin gesprochen und dessen Auge also wohl das schärfste sein musste, „gnädiger Herr, ich habe sie zuerst entdeckt!“

„Gott sei Dank!“, rief der Major, „aber wo steht sie, Nehls?“

„Hier, gnädiger Herr!“, sagte Nehls, das Fernrohr des Majors richtend und als Avertissement für die anderen, „genau überm Dornbusch zeigt sie Tuch.“

Ob der Major oder andere, die den Wink beachteten, das entfernte Segel entdeckten, ist fraglich, jedenfalls hatte es jedoch der Baron gefunden, was vielleicht dem Umstande zugeschrieben werden konnte, dass sein Fernrohr besser, als die Instrumente der anderen war.

„Ein Schiff steht da, das ist gewiss!“, sagte er nach kurzer Pause, „ob es die Jacht ist, müssen wir erwarten, das erkennbare Tuch ist ein Rahsegel!“

„Nun ja, Euer Gnaden!“, meinte der Lotse eifrig, „der Junker macht sich zu Zeiten den Scherz, wenn er nämlich Eile hat und die, denke ich mir, wird er heute haben.“

Der Lotse warf bei diesen letzten Worten einen Seitenblick auf den Major.

„Sein Schade sollte diese Eile auch nicht sein!“, meinte er, den Tubus senkend, „ich ward wirklich schon ängstlich, Frau, diese Furcht war also umsonst; über See schicken wir jedoch die Mädchen nicht wieder, das habe ich mir im Stillen gelobt!“

„Danken wir Gott dem Herrn für seine Gnade!“, sagte der Pastor salbungsvoll.

Während dieses Gespräches war das andere Volk, welches die von den bevorrechteten Personen gebildete Gruppe in einem weiten Halbkreise umgab, näher gerückt und der Schulmeister hielt die Gelegenheit für so günstig, sich von der Gesellschaft der Plebejer zu trennen, um in die der Herrschaften aufzugehen, was ihm einen strafenden Blick des Predigers eintrug, den er jedoch durchaus nicht zu bemerken schien.

„Das ist die Postjacht nicht!“, sagte plötzlich der Leutnant bestimmt, nachdem er wieder längere Zeit das Segel geprüft, „es zeigt sich noch ein zweites Rahsegel unter dem ersten!“

Eine längere erwartungsvolle Stille trat ein; die Fernrohre wurden eifrig während derselben in Anspruch genommen.

„Gott verdamm’ mich!“, rief Nehls plötzlich, ganz seine Umgebung vergessend, „und der zweite Lappen ist ein richtiges Schoner-Marssegel!“

„Ihr habt Recht!“, erwiderte der Baron, „es ist ein Schoner, der dort herabkommt, es wäre indessen möglich, dass man ein größeres Fahrzeug zum Postschiff gewählt hätte.“

„Die Brigg lässt ein Signal stiegen, Eure Gnaden!“, rief plötzlich jemand. Alle Augen wendeten sich auf das, gleichsam unter den Füßen der Menge liegende Kriegsschiff. Der schon seit dem Morgen wehende Flaggenschmuck desselben war verschwunden, dagegen regte es sich lebhaft auf seinem Deck und am Vordertopp zeigte sich das Signal „sechs!“

Natürlich verstand, außer dem Leutnant, niemand dessen Bedeutung und jener machte zuerst eine schnelle Bewegung, als wolle er den Berg hinab eilen, doch eben so schnell besann er sich und ein Böswilliger hätte glauben können, der Baron habe nicht Lust an Bord zu gehen, um seinen zu Ehren der erwarteten Damen angelegten Galaanzug empfangsfähig zu erhalten.

„Es ist nicht nötig“, murmelte er, „schafft eine Stange!“

Diese war bald herbeigebracht, Staelswerd befestigte sein seidenes Tuch, – blau und gelb gewürfelt, – an die Stange, hob sie empor und ließ sie langsam wieder sinken; sofort verschwand auf der Brigg das Signal, die Bootsmannspfeife ertönte, die Gangspielstoppen klapperten und schnell wie ein Gedanke breiteten sich die Segel aus; nach wenigen Minuten war das Schiff flott und strich hart an den Wind gehend, durch die düstern Wogen, dass sich vor seinem zierlichen Bug jeden Augenblick ein paar mächtige Schaumberge bildeten. Es schob stet an Wittow hinauf und die Menge wendete sich wieder dem anderen Segel zu.

„Mit dem Schoner ist es richtig!“, sagte jetzt ein anderer Lotse, „doch ich meine fast, der Kerl sei ein Preuße, seht doch mal genauer hin, Leute!“

„Es scheint wahrhaftig so!“, rief Nehls, „ich möchte fast wetten, dass das die Kolberger „Flora“ ist!“

Leutnant Staelswerd horchte hoch auf.

„Da hätte ich doch an Bord gehen müssen!“, murmelte er.

„Nun die Sache ist immerhin noch nicht gewiss!“, sagte Nehls, „warten wir ab, bis wir Holz sehen!“

Unangenehm enttäuscht und neuen Besorgnissen hingegeben, hatte der Major kein Wort gesprochen, sich aber viel und ängstlich, bewegt; die Menge erging sich jetzt ziemlich rücksichtslos und laut in Vermutungen über das Schiff, welches bald auch dem unbewaffneten Auge sichtbar geworden.

„Gotts Tod!“, rief Nehls plötzlich, „was wird das? Hinter dem Rumpf lantscht noch ein anderer – ein Wrack!“

„Ich habe es auch bemerkt“, sagte Staelswerd, „und ich denke, es wird einer unserer Kreuzer sein, der mit einer Prise zurückkehrt!“

„Ihre Brigg legt bei, Baron!“, rief der Major, „da –!“

Die Brigg hatte wirklich ihre Rahen „ins Kreuz gebrasst“, ihre Leeseite zeigte eine weiße Rauchwolke und gleich darauf hallte der Knall des Schusses über die Gewässer.

„Ah – er zeigt Flagge!“, riefen die Lotsen.

„– Und die schwedische“, fügte der Baron hinzu, „es ist, wie ich gesagt habe.“

„Und wo bleibt die Postjacht?“, fragte der Major ängstlich. Alles schwieg.

Die Brigg fuhr nach dem Austausch der Signale den Kurs des Schoners an; dieser nur wenig Bord, aber desto mehr und breites Tuch zeigend, lief bei der scharfen „Backstagskühlte“ gleich einem Vollblutrenner voran, sodass man bald sein Deck, sowie das des von ihm geführten Rumpfes sehen konnte. Die Erwartung der Anwesenden war bedeutend gespannt.

„Gnädigster Herr Major!“, rief plötzlich Nehls, „ich werde meine Belohnung doch wohl beanspruchen dürfen, denn das Wrack dahinter ist die ehemalige Postjacht.“

„Um Gotteswillen!“, rief der Major; seine Frau schrie laut auf.

„Ja, ja, es ist richtig!“, bestätigte man von allen Seiten.

„Doch darum braucht noch nicht das Ärgste geschehen zu sein“, sagte Staelswerd, „ich sehe Damen auf der Schanze des Schoners.“

„Das ist richtig!“, meinte ein Lotse, „doch ebenso auch, dass auf dem Wrack drei Pumpen im Gange sind!“

„Bei Gott, es ist so!“, entgegnete Staelswerd.

Die beiden Schiffe waren inzwischen einander nahegekommen, man hörte, wie die Sprachrohre gebraucht wurden, konnte indessen nichts verstehen. Der Schoner setzte seinen alten Kurs unabänderlich fort, die Brigg begann einen Kreuzschlag.

Endlich kam der Fremde mit seiner Last unter Lee des Landes, fiel hier ab und machte einen weiten Bogen nach Osten, als er dieses Manöver ausgeführt, ging er mit Entfaltung einer solchen Menge Leinewand an den Wind, dass seine Fockrahe fast die Wogen berührte. Offenbar wollte er ein kühnes Manöver ausführen und die Leute am Lande, welche halb und halb seine Absicht errieten, eilten erst einzeln, dann in Trupps, zuletzt aber sämtlich den Berg hinab, zu dem am Fuße desselben in die See führenden Steindamm, der als Landbrücke in vorkommenden Fallen diente.

Man kam gerade an, um in nächster Nähe Zeuge eines ebenso kühnen, als geschickten Manövers zu werden. Die Wirkung des Luftdruckes auf den Schoner war der Art, dass er jetzt wie ein wild gewordenes Pferd über die Wogen setzte und so zog, dass der Bug des Wrackes fortwährend unter Wasser lag. Mit reißender Schnelle näherte jener sich der Küste so weit, dass die Lotsen Warnungsrufe hören ließen. Da ließ er plötzlich das Tau schlippen, luvte auf, schwankte herum und glitt zierlich unter Segelbergung in einem neuen Halbkreis, endlich unter Stag und Marssegel, um den Steindamm und unter dessen Lee. Dagegen flog das Wrack durch den in letzter Zeit erhaltenen Impuls gegen Wind und Wogen mit einer Vehemenz auf den Strand, dass sein ganzer Vordersteven außerhalb des Wassers sich befand. So wie der Ausstoß stattgefunden, hielten die bisher an den Pumpen beschäftigten Leute mit ihrer Arbeit inne. Bis auf die Warnungsrufe der Lotsen hatte niemand in der letzten Zeit einen Laut von sich gegeben; die Mehrzahl der Zuschauer hatte kaum zu atmen gewagt; jetzt aber, als das kühne Manöver vollendet und das dem Sinken nahe Wrack auf dem sicheren Strand lag, brach alles in ein weithin schallendes Hurra aus, dessen Echo die ebenfalls entzückte Mannschaft der Brigg durch ein eben solches bildete.

Nach diesen ersten Freudenäußerungen eilten alle, der Major, dessen Frau und der Baron voran, nach dem Damme. Den Schoner hatten inzwischen schon zwei Damen, von einem jungen Seemann unterstützt, verlassen und flogen jetzt förmlich denselben entlang. Es waren die Ersehnten. Eltern und Kinder trafen sich und sanken einander jubelnd in die Arme, schließlich bildeten alle vier eine engverschlungene Gruppe. Ein neues, lautes Hurrageschrei ertönte aus der Menge. Der Fremde, welcher die Damen vom Schiffe geleitet, dessen Kapitän er allem Vermuten nach, sein musste, schaute diesen Szenen lächelnd zu; wer ihn genau beobachtet hätte, dürfte indessen wahrgenommen haben, dass er mitunter stechende Blicke auf den Marineleutnant warf. Dieser musterte ihn ebenfalls, jedoch, ohne sich zu bemühen, solches zu verbergen, mit einem stolz vornehmen Wesen, welches so gerne Offiziere der Kriegsmarine gegen die der Handelsmarine sich herausnehmen.

III. Fähnrichs-Gelüste.

Es gab eine Zeit, zu der die zwischen Ystadt und Stralsund laufende Postjacht meistens keine Stenge, keine heilen Wanten und keine gesunden Segel, wohl aber angefaulte Planken und im Ganzen nur drei trunkene Bootsmänner zu ihrer Bedienung hatte.

Doch diese kam erst später und besonders nach dem siebenjährigen Kriege. Vor demselben war die Postjacht eine stattliche Schaluppe, mit Gaffeltopp- und fliegendem Focksegel, geführt von einem Hochbootsmann und bedient von sechs tüchtigen Kriegsschiffmatrosen.

Als der Krieg auszubrechen drohte fand man jedoch diese Bemannung nicht hinreichend, armierte die Jacht mit vier Geschützen und stellte sie, zum Schmerz des alten Hochbootsmanns Klassen, der in ihrem Kommando grau geworden, unter Befehl eines Marinefähnrichs, dem über dem noch fünfzehn Matrosen zugegeben wurden, sodass die Schaluppe also jetzt zwei Offiziere und einundzwanzig Matrosen zählte.

Der jetzt mit ihrer Führung betraute Fähnrich hieß von Wardow und glich den mehrsten seiner Kategorie der neueren Zeit, das heißt, er war ein unbärtiger, achtzehnjähriger Jüngling, voller Dünkel und Anmaßung, ohne Erfahrung und ohne besondere Kenntnisse.

Es ist etwas Herrliches um den frischen Jugendmut, um die strebende Jugendkraft, welche nichts scheut und kein Unternehmen fürchtet, aber es ist eine böse Sache um jugendlichen Übermut. Diesen hervorzurufen dient ganz vortrefflich, die bei beginnendem Kriege häufig durch die Notwendigkeit gebotene Übertragung wichtiger Posten an unreife Jünglinge, die erst werden sollen, was sie eigentlich vorstellen.

Nun, – manche werden es auch im vollsten Maße, doch die mehrsten nicht, obwohl allen ihre Wichtigkeit ganz zweifellos erscheint. Wardow sah daher, sowie er seine Ernennung erhielt, auch schon in der Perspektive den künftigen Admiral und das war lobenswert, insofern er sich vornahm, dies Ziel zu erreichen; doch minder gut war es, dass er schon jetzt die jenem Range gebührende Achtung beanspruchte.

Der alte Klassen, welcher es sich nie hatte träumen lassen, jemals einen so vornehmen Backgenossen zu erhalten, schüttelte auch schon nach der ersten Bekanntschaft mit demselben den Kopf und es war ihm ganz recht, dass jener, wenn man keine Passagiere hatte, die zur Aufnahme von solchen bestimmte Kajüte bewohnte; doch es war ihm nicht recht, wenn der Junker aus seiner guten Sloop „Ulricka“ einen Kutter zu machen suchte.

Indessen er war Untergebener und musste es geschehen lassen.

Da aber sonst der Fähnrich doch bei seiner Anmaßung noch einige jugendliche Gutmütigkeit bewahrte, so stellten sich beide zuletzt so leidlich; man ertrug einander, weil man eben musste.

Die Jacht lag am Morgen des 30. Juli vor dem sogenannten Expeditionshaus von Ystadt, in dem die Seepost, die Hafenpolizei und die Steuerbehörde ihren Sitz hatten. Die Fracht und die Landpost waren bereits angelangt und von Klassen übernommen; die Staatsdepeschen sollten folgen, als Wardow, der am Lande nie in der Jacht blieb, ankam.

„Nun alter Klassen!“, rief der junge Mann dem vorschriftsmäßig rapportierenden Hochbootsmann zu; „wie steht’s sonst –, Schiff in Ordnung, danke, weiß es, dass Ihr dafür sorgt –, haben wir Passagiere heute?“

„Drei, Junker!“, antwortete Klassen; „sie sind bereits in der Kajüte!“

– „Verdamme sie!“, schimpfte Wardow; „was ist’s für Gelichter, Klassen?“

„Pst – Junker!“, flüsterte der Alte; „‘s sind Damen, die Töchter des Majors von der Grieben auf Hiddensoe mit ihrer Zofe!“

„Alle Wetter –! Hört Klassen, da wünschte ich es käme uns heute so ein hasenherziger Preuße in die Quere, ‘s war’ mir schon recht, den Damen ein kleines Kriegsschauspiel zu verschaffen, ich habe über dem unsere Kanonen noch nicht einmal brummen hören!“

„Wir führen sie auch nur zur Verteidigung!“, antwortete Klassen, „und unsere Ordre lautet, uns nicht unnötig einzulassen!“

„Was Ordre!“, rief der Junker; „eine Kabellänge in See, weichen alle Ordres dem Befinden des Kapitäns eines Schiffes –; aber da kommt die Depeschentasche und noch eine ganze Kiste, nehmt einmal die Geschichten in Empfang Klassen!“

Wardow fühlte sich viel zu erhaben seinen Pflichten selbst zu genügen, doch er blieb in der Nähe der Beamten und erfuhr somit, dass in der Kiste Karten und Pläne für den Admiral der Station vor Stettin und eine versiegelte Ordre für das Stationsschiff bei Wittow sei. Die Postbeamten entfernten sich und Klassen ließ die übernommenen Gegenstände in die Kajüte bringen.

„Alles klar Herr!“, meldete er dann.

„So werft los!“, befahl der Junker und man ging sofort an die Ausführung des Befehls; die Jacht entfernte sich vom Bollwerk, sodann aus dem Hafen und stach bei flauem, ungünstigem Winde, jedoch schönem Wetter, in See. Die Reise versprach langweilig zu werden, doch dies war dem Junker heute schon recht, denn er hatte zu selten gewichtige Zeugen seiner imponierenden Stellung, um nicht zu wünschen, recht lange mit den Damen umherzukreuzen. Es war ihm nur fatal, dass dieselben nicht auf dem Deck erschienen und er ging eben mit sich zu Rate, wie die erste Bekanntschaft zu knüpfen, als die Zofe erschien, sich an Klassen wendete und im Namen der Damen fragte, ob es erlaubt sei, das Frühstück auf dem Verdeck einzunehmen.

„Dort ist der jetzige Kommandant, mein Kind!“, sagte Klassen zu dem Mädchen; „an ihn müssen Sie sich wenden!“

Das Mädchen blickte verlegen zu dem Fähnrich hinüber, dessen Mienen deutlich verrieten, wie er diesen Vorstoß aufnahm, ging zu ihm und wiederholte ihr Gesuch.

„Erlaubt ist!“, näselte Wardow vornehm; „die Damen haben zu befehlen –, ich lasse bitten sich nicht zu genieren!“

Das Mädchen eilte davon.

Clara und Sophie von der Grieben waren Mädchen von zwanzig und achtzehn Jahren. Körperlich vollkommen ausgebildet war erst Clara, die ältere, und sie konnte deshalb auch für eine vollkommene Schönheit passieren, während Sophie es zu werden versprach. Beide waren einander übrigens ähnlich, hatten blondes, glänzendes Haar, schöne, sprechende, blaue Augen und liebliche Züge, welche die Harmlosigkeit ihres Gemüts verrieten.

„Was hätte auch ihren jugendlich heitern Sinn im Ernst betrüben sollen! Das Unglück kannten sie bisher nur dem Namen nach, sie hatten liebe Eltern, gütige Verwandte und da die politischen Wirren sie so gut wie gar nicht interessierten, weil sie ihre Neigungen und Wünsche nicht kreuzten, so hatten sie für dieselben kaum einen Gedanken, obwohl jene erst vor kurzem Elend genug über viele Familien brachten.

Um mit der Postjacht abgehen zu können, waren sie die Nacht hindurch gefahren und deshalb etwas ermüdet als sie an Bord kamen, wo sie von Klassen empfangen wurden. Sie kannten diesen alten Burschen sehr gut; denn er hatte sie als Kinder früher mit den Eltern zugleich von Schweden nach Pommern gebracht; war später als Neuigkeitsbote des Vaters oft in Grieben gewesen und hatte sie schließlich auch wieder herübergebracht, als sie nach Stockholm gingen. Sie wussten sich unter seiner Aufsicht vollkommen sicher.

Obwohl beide der Ruhe bedurften, hatten sie doch mit Hilfe der Zofe ihre Toilette geordnet, um sodann eine wichtige Beratung darüber zu halten, ob es wohl schicklich sei, den Kommandanten des Schiffes bitten zu lassen, mit ihnen in der Kajüte zu frühstücken. Die Schwestern wussten nämlich nicht, dass an Klassens Stelle ein anderer getreten sei.

„Der Vater hat den Mann nie zu Tische geladen!“, meinte Sophie; „und ich glaube dies kann uns einigermaßen als Richtschnur dienen!“

„Das wohl“, meinte Clara; „doch unsere Lage lässt wohl eine Ausnahme von den gewöhnlichen Regeln zu; es ist richtig, dass der Klassen nicht so eigentlich Offizier ist, aber er ist ein würdiger, braver Mann, den man in Ehren halten muss und wir stehen auch nicht so hoch über ihn, wie der Vater!“

„Die gnädigen Fräulein dürften da vielleicht einen Ausweg finden!“, meinte die Dienerin; „das Wetter ist schön, wenn Sie oben frühstücken, so findet es sich von selbst, dass Herr Klassen Ihnen Gesellschaft leistet, ohne eigentlich dazu eingeladen zu sein!“

„Du hast recht Johanna!“, sagte Clara; „doch ich weiß nicht, ob man oben frühstücken darf!“

„Ich werde danach fragen!“, meinte die Zofe und tat wie sie gesagt, als die Schwestern ihren Vorschlag billigten. Beide erschraken als sie hörten, dass ihr Gesuch an eine andere Adresse gegangen.

Aus jenem Gespräche geht bereits hervor, dass die jungen Damen ganz ihrer Zeit und ihrem Stande angehörten; es war das kein Wunder, denn die Rang- und Standesunterschiede dominierten damals überall, die Etikette waren für die höheren Regionen der Gesellschaft das erste Gesetz. Dennoch fehlte es den Mädchen nicht an der ewigen Freigeisterei der Frauen – dem taktvollen Gefühl, welches instinktartig die Torheit von dem wirklich Schicklichen zu sondern weiß. Als sie hörten, dass der neue Kommandant der Jacht noch ein halber Knabe sei, beschlossen sie seine Bekanntschaft zu machen und begaben sich deshalb auf das Verdeck.

Wardow kam ihnen entgegen und es war spaßhaft mit anzusehen, wie der arme Bursche zwischen schüchternem Respekt und dem Gefühl seiner Würde, vor den Damen umhertaumelte.

„Die gnädigen Fräulein von der Grieben!“, begann er halb verlegen unter einer tiefen Verbeugung; „Ihr untertänigster Diener ist der Fähnrich von Wardow, Kommandeur der Postjacht!“

„Wir hatten keine Ahnung von diesem Wechsel in deren Kommando!“, antwortete Clara, während sich beide leicht verbeugten; „früher stand dieselbe unter Herrn Klassens Befehl!“

„Der Krieg!“, antwortete Wardow wichtig; „macht gewisse Änderungen nötig; man wählt dann Männer für wichtige Posten, die ihrer Aufgabe vollkommen gewachsen sind!“

Diese Antwort machte, dass Klassen, der sich in der Nähe befand, die Stirn bedenklich in Falten legte und die Damen ihre Lippen zusammenkniffen, um ein Lächeln zu unterdrücken. Indessen fand dieser anmaßende, wohlgewachsene und gutaussehende Knabe doch eine milde Beurteilung ihrerseits; gegen sie war er ja offenbar sehr bescheiden.

„Das hätten wir allerdings wissen können!“, meinte Clara etwas boshaft; „wir haben uns die Bitte erlaubt–!“

„Sie haben gnädigst befohlen!“, rief der Junker zuvorkommend;

„Klassen, lasst ein Segel über das Quarterdeck spannen und das Frühstück für die gnädigen Damen dort servieren!“

„Wir dürfen vielleicht um die Ehre der Gesellschaft der beiden Herren bitten?“, sagte Sophie etwas vorlaut.

„Beide – hm!“, murmelte der Junker offenbar ärgerlich; der alte Klassen dagegen lächelte glückselig und suchte unbemerkt seinen Tabak aus dem Munde zu bringen: „Wir stehen zu Diensten!“, sagte der Junker endlich mit einer neuen Verbeugung, die jedoch etwas gezwungen ausfiel.

Er und die Damen schritten auf dem Verdeck einher, während Klassen eine Art Zelt herrichten ließ, unter welches der Frühstückstisch gestellt ward; auf seine Einladung kamen der Fähnrich und die Damen herbei, wonach sich alle vier, der Hochbootsmann unter verschiedenen linkischen Verbeugungen um den Tisch setzen.

Es war sehr bald eine lebhafte Unterhaltung zwischen der kleinen Gesellschaft im Gange; die Küste, das Wetter, die See, der Wind, Stockholm, die Eltern der jungen Damen, mitunter auch der Krieg gaben den Stoff zu derselben her und man war recht heiter, bis das Anlegen des Schiffes einen Moment die Unterhaltung hemmte; nachdem jenes geschehen, ward dieselbe wie vorhin im scherzhaften Tone weiter gesponnen und der Junker musste zu seinem Verdruss wahrnehmen, dass der alte, in dieser Hinsicht geschulte, Klassen eine bessere Unterhaltungsgabe durch seine Natürlichkeit entwickelte, wie er bei seinen so zierlich gedrechselten Redensarten; zwischen dem Kreuzfeuer des Alten und Claras kam er sogar einige Male in Verlegenheit um treffende Antworten, was Sophie häufig zu einem rücksichtslosen Lachen auf seine Kosten hinriss; indessen unterhielt man sich ganz gut. –

Die Jacht hatte bei ihrem Auslaufen, dem flauen Wind angemessen, den ersten Kreuzschlag nach Westen gemacht und hielt jetzt beim zweiten auf Bornholm ab. Man war auf diese Weise unter Sandhammar, einer scharfen Ecke der schwedischen Küste angekommen, als der Ausguck plötzlich rief:

„Segel in Nordost!“

Dieser Ruf brachte mit einem Male alles am Bord in Aufruhr; es war zwar nichts Neues, in dieser Gegend auf Schiffe zu stoßen, doch die Zeit und die zweideutigen Stellungen, welche England und Dänemark bisher beobachteten, bedingten Vorsicht bei solchen Begegnungen. Der Fremde stand nur ungefähr zwei Meilen leewärts von der Jacht und war ein Schoner von mittlerer Größe. Derselbe hatte bisher auf die Küste abgehalten, „vierte“ jedoch gleich nachdem er in Sicht gekommen und nahm offenbar Kurs auf Bornholm.

„Ich glaube gar, der Bursche weicht uns aus!“, rief der Junker, „was sagt Ihr Klassen?“

„Wohl kaum“, meinte Klassen mit leuchtenden Augen, „denn er kreuzt auf wie wir und sein Strich ist so vollkommen richtig – aber – aber – Junge hol’s Fernrohr herauf!“

„Was aber –?“, fragte der Junker.

„Ich will nicht selig werden, wenn das nicht ein Preuße ist!“, rief der Alte lebhaft.

„Ein Preuße!“, fuhr Wardow auf, „umgelegt Jungen – den Wind gefangen?“

„Gemach Junker!“, meinte der Hochbootsmann, „noch sind wir nicht sicher und dann – wir dürfen heute weniger vom Kurse abweichen als je, bedenken Sie die Depeschen?“

„Nichts, nichts!“, rief Wardow, „ich will wissen, wer der Herr ist, und ist es ein Preuße –!“

„Um Gottes Willen, Herr von Wardow!“, sagte Clara erschreckt, „Sie werden doch den Fremden nicht angreifen?“

„Angreifen und nehmen, wenn er ein Preuße ist!“, sagte der Junker mit angenommener Bestimmtheit und sich vor den Damen verbeugend, „zu Ihrer und der schwedischen Flagge Ehre.“

„Das ist herrlich!“, rief Sophie in die Hände klatschend.

„Sophie!“, sagte Clara verweisend, „doch bedenken Sie uns, Herr von Wardow, wenn es zum Kampfe käme!“

„Schiff zum Gefecht klar!“, kommandierte der Junker als Antwort auf diese Rede.

„Junker, Junker –!“, mahnte der Hochbootsmann, das Fernrohr in der Hand, ohne es zu benutzen, „Preußen hat keine Kriegsschiffe, aber es kann Kaper in der See haben und ist der da ein Preuße, so ist er ein Kaper; ist er aber ein Kaper, so frisst er uns mit Haut und Haaren. Anderenfalls haben wir kein Recht, Schiffe zu examinieren, weil wir nicht in die Flottenrolle eingetragen sind und wir verlieren also zwecklos Zeit – der Wind stellt sich überdies ein und wir haben alle Ursache, seinen letzten Hauch zu benutzen.“

Die Mannschaft, gewöhnt, dass alle Anordnungen am Bord von dem alten Klassen ausgingen, hatte bei den Befehlen des Junkers ihre Blicke auf jenen gerichtet, ohne an die Ausführung derselben zu gehen. Wardow ward rot und seine Augen blitzten.

„Was? Meuterei am Bord?“, rief er zornig mit knabenhaftem Eigensinn, „Herr, kennen Sie Ihre Pflicht nicht mehr? Schiff umgelegt und zum Gefecht klar!“

„Umgelegt!“, wiederholte Klassen mit zitternder Stimme und einem tiefen Seufzer.

„Meine Damen!“, sagte Wardow während das Manöver ausgeführt ward; „fürchten Sie nichts, Sie stehen unter dem Schutze schwedischer Seeleute – sollte es indessen zum Gefechte kommen, so werde ich Sie bitten, in die Kajüte hinabzugehen, bis dahin dürften die folgenden Bewegungen zu Ihrer Unterhaltung dienen können!“

Clara hatte sich von ihrem momentanen Schreck erholt und rümpfte ein wenig indiskret die Nase.

„Ich dachte es wäre nur Scherz!“, meinte Sophie impertinent.

„Schiff zum Gefecht klar!“, kommandierte Klassen.

Es war nicht viel klar zu machen, die Holzdächer wurden von den Geschützen genommen, die Munitionskasten daneben gestellt und eine Waffenkiste neben den Mast gebracht und geöffnet. Das Schiff lag Ost-Nord-Ost an und strich flott hinauf; erwartungsvolle Stille herrschte auf demselben.

„Die Flagge hoch!“, rief Wardow.

Die Flagge stieg an der Gaffel empor, doch der Fremde segelte seinen Kurs fort, als achte er so wenig auf die Jacht wie ihre Bewegungen.

Dem war indessen doch nicht so.

Der Schoner, dem der Fähnrich jetzt allen Ernstes zu Leibe wollte, um sich an ihm seine ersten Sporen, vielleicht auch den Leutnant zu erkämpfen, hatte bereits vor vier Tagen den Hafen von Stockholm verlassen und sich bei wechselnden Winden wacker südwärts gekämpft, bis er die Höhe von Sandhammar gewann.

Sein „lebendes Werk“, das heißt, der Teil des Rumpfes über dem Wasser, war nur sehr niedrig, seine Masten jedoch hoch und seine Rahen sehr breit; auf seinem Deck herrschte eine Ordnung wie man sie nicht oft auf Kauffahrern findet. Trotz jener Abweichungen trug er jedoch den Charakter eines solchen. Als er Sandhammar angegangen und seine „Vierung“ bewerkstelligt, um auf Bornholm abzuhalten, verkroch sich die Mannschaft wieder in ihr Logis. Auf dem Verdeck blieben nur der Mann am Ruder und zwei andere Männer, die nebeneinander auf der Hinterschanze einherschritten.

Einer dieser Männer war bereits alt, aber noch sehr rüstig und etwas korpulent, er trug Jacke und Hosen von Leinewand, einen Strohhut und zeigte viel Phlegma, obschon seine kleinen Augen lebhaft und stechend waren.

Der Andere zählte höchstens dreißig Jahre, war von mittlerem Wuchs, breitschultrig jedoch schlank, und seine eng anliegende Kleidung, eine Halbjacke von Tuch und Beinkleider von schneeweißer Leinewand, ließen ungemein kraftvolle Glieder, so wie deren Muskelspiel erkennen. Auffallend bemerkenswert waren jedoch seine Gesichtszüge.

Die bronzeartige Farbe, welche auch seine Hände zeigten, war dabei das Geringfügigste, auch die schönen kastanienbraunen Haare, waren höchstens ein, noch anderen Leuten eigener Schmuck: jene Auffälligkeit lag in dem Ensemble der hohen Stirn, der scharfen kurzen Nase, der etwas aufgeworfenen Lippen und des breiten Kinns; besonders aber der großen, dunkeln, blitzenden Augen und der tiefen Furchen des Antlitzes, welche dasselbe offenbar älter machten, als der Mann eigentlich war.

Auf den ersten Anblick erschien dies Gesicht unbedingt hässlich und als wenn gewaltig arbeitende Leidenschaften es zerrissen und gefurcht hätten; doch das Austoben derselben musste nicht entnervend und schwächend gewesen sein, denn diese so scharf markierten Züge verrieten kräftiges Wollen; ja das ganze hässlich erscheinende Antlitz ward bei näherer Prüfung gewinnend, herzlich und doch zugleich geistreich; es verriet Laune, Frohsinn, Verstand, Witz, Güte und Mut zu gleicher Zeit. Übrigens waren alle Bewegungen des Mannes lebhaft.

„Also Ihr habt die Ordre zur Windstille und zum Donnerwetter gegeben, van Swieten!“, sagte derselbe leicht lachend; „nun, wenn Ihr auch kein Jupiter seid, so verdient Euer Votum doch allen Respekt und ich beuge mich Eurer olympischen Ablegerweisheit. Ich wünschte wir hätten einen Nordost der Berge versetzt, – ich gäbe zehn Jahre meines Lebens darum!“

„Hätte ich doch nie geglaubt!“, sagte Swieten langsam; „dass Ihr Euch so sehr danach sehnen könntet, einen Herrn anzuerkennen und ihm die Hand zu küssen; – Seinetwegen lernt Ihr auch wohl das Zeugs alles, wovon ihr seit einiger Zeit so viel faselt?“ „Hol’ der Teufel das Handküssen!“, rief der andere; „aber, wenn ich es einmal tun müsste, so sollten meine Lippen nur König Friedrichs Hand berühren und wenn er nur chinesisch spräche, würde ich seinetwegen chinesisch lernen!“

„Ist’n ganzer Mann, ich gebe das zu!“, meinte van Swieten seinen Tabak im Munde mit der Zunge umwendend; „aber ihm deswegen so gut wie umsonst dienen –? nein; das ist nichts Kapitän!“

„Verstehst Du nicht alter Junge!“, rief der Kapitän lachend; „denn Dein Götze ist Gold, der meine – doch was zum Satan fängt die Jacht an, seht doch Swieten, sie hält auf uns ab und flaggt –; es ist doch auch wirklich die Postjacht?“

Swieten verkleinerte seine Augen noch mehr, als er grinsend die Jacht betrachtete.

„Es ist das Ding!“, sagte er langsam; „und ich denke den Jungen plagt die Neugier zu erfahren, wer wir sind; vielleicht hat Klassen erkannt, dass wir preußisch Tuch führen, und sein jetziger Herr ist begierig, sich eine schwedische Nachtmütze draus zu machen!“

„Bah – er wird doch nicht –; aber da geht’s los. Pardauz, – Ihr Diener Herr Fähnrich; am Ende braucht der Bursche Hilfe!“

„Kann sein!“, erwiderte van Swieten; „vielleicht ist der Junge seekrank geworden und Klassen hat die Pillenschachtel vergessen!“

„Gleichviel indessen!“, meinte der Kapitän lachend; „wer fragt will Antwort haben. Für mich hat in diesem Augenblicke jedoch auch die Gewogenheit eines Seefähnrichs Wichtigkeit; woll’n ihm also die Kundschaft zeigen –; heda Stöhr, den Lappen hoch!“

Die ganze andere Mannschaft des Schoners, außer den Bezeichneten noch in zehn Mann bestehend, war durch den Schuss wieder hervorgelockt und der Gerufene brachte die Flagge an die Gaffel.

„Übrigens ist der Streich dieses Burschen da Geld wert, Swieten!“, meinte der Kapitän; „jetzt komme ich gewiss zur rechten Zeit an Ort und Stelle, wenigstens vor ihm nach Stralsund!“

Die Männer nahmen ihren Spaziergang wieder auf; die Matrosen blickten im Vorderschiff über die Reling gelegt, nach der Jacht hinüber.

Trotz des flauen Windes waren die Schiffe einander sehr schnell um eine Meile nähergekommen und es war kein Zweifel, dass man auf der Jacht die schwedischen Farben an der Gaffel des Schoners erkennen musste. Für ein Schiff ihres Charakters war also genügend geschehen, um den des Fremden zu erforschen, dennoch hielt die Jacht Strich bis der Schoner zum neuen Schlage „vierte“ und also West-Süd-West anlag.

Da die beiden Schiffe dadurch fast genau Vordersteren auf Vordersteren standen, so näherten sie sich mit reißender Schnelligkeit; erst eine viertel Meile vom Schoner entfernt, luwte die Jacht auf, um über Wind zu bleiben.

Der Kapitän des Schoners und sein Gesellschafter hatten dieselbe unausgesetzt beobachtet und den Zweck ihrer Bewegungen, obwohl vergeblich, zu erraten versucht.

„Und dennoch steckt etwas dahinter!“, meinte der Kapitän zuletzt; „geht also in die Kajüte Swieten und bringt die in Ordnung, ich denke wir werden bald Besuch bekommen!“

Swieten ging hinab, warf jedoch einen finstern Blick auf die Jacht, und der Kapitän lehnte sich mit untergeschlagenen Armen an das Bratspill.

„Schiff Ohoi!“, ertönte es von drüben.

„Das Sprachrohr!“, befahl der Kapitän des Schoners und setzte es an den Mund, so wie es ihm gereicht worden.

„Was gibt’s da drüben?“, rief er hindurch.

„Was für’n Schiff das?“, hieß es dort.

„Der ‚Merkur’ Kapitän Dyk!“, lautete die Antwort.

„Woher und Wohin?“

„Von Stockholm nach Stralsund – was wünscht die Königliche Postjacht?“

„Ihr kommt uns verdächtig vor – legt bei und kommt mit Euren Papieren an Bord.“

Van Swieten war inzwischen wieder zurückgekehrt und kicherte leise bei diesem Befehl.

„Ist der Junge verrückt?“, rief dagegen Dyk; „ich hätte fast Lust – doch nein, das wäre Unsinn; – was, berechtigt Euch zu solchem Verlangen?“, rief er durch das Sprachrohr.

„Mein Rang als Offizier in der königlichen Marine; legt sofort bei!“

„Die Postjacht hat kein Recht eine Visitation vorzunehmen!“

„Das Recht und die Macht!“, lautete die Antwort; „legt bei und kommt an Bord – oder ich werde Euch zwingen!“

Das lebhafte Mienenspiel des Kapitäns nahm einen ganz besonderen Ausdruck an; Unwille und Heiterkeit wechselten schnell auf demselben und er lachte endlich laut.

„Steuermann Swieten!“, sagte er dann; „was meinst Du nun –; bei alledem weiß man doch nicht was sein kann und ich will einmal versuchen, den Hund aus dem Ofen zu locken –; legt Euch platt aufs Deck Ihr da vorne. – Ich werde das erwarten!“, rief er durch das Rohr.

Kaum war der Schall hinübergedrungen, als sich eine weiße Wolke am Bug der Jacht entwickelte. Knall und Kugel kamen zugleich an. Letztere riss einen Splitter vom großen Mast und zerschnitt eins der Hauptstage.

Im ersten Moment nach dieser Behandlung zeigte das sich entfärbende Gesicht des Kapitäns den Ausdruck leidenschaftlichster Wut und seine großen Augen blitzten förmlich; doch schnell war alles wieder unterdrückt, und ein Lächeln spielte um seine dicken Lippen.

„Beigedreht!“, rief er durch Rohr „ich werde kommen – die Jolle flott. Leute und zwei Mann hinein!“

Während seine Befehle ausgeführt wurden, sprang Dyk in die Kajüte und kam mit einem Blechkästchen, das die Schiffspapiere enthielt, aus derselben zurück. Swieten nur noch mit der Hand zuwinkend, stieg er in das Boot, setzte sich auf die Steuerbank und ergriff das Ruder, die beiden Matrosen zogen die Riemen an und schnell flog das kleine Fahrzeug durch die See; nach kurzer Zeit erstieg er das Bord der Postjacht.

IV. Folgen des Übermuts.

Auf dem Deck der Postjacht befand sich jetzt alles in schönster Disharmonie. Die jungen Damen, besonders Clara, waren empört, dass der Fähnrich aus knabenhafter Eitelkeit, wider seine Pflicht, sie gefährdete; Klassen kämpfte mit einer gelinden Verzweiflung, aus Furcht vor dem Ausgange des Abenteuers und würde sicher dem Geschütz eine Richtung gegeben haben, dass die Kugel fehlgehen musste, wenn nicht Wardow höchst eigenhändig die Kanone gerichtet und abgefeuert hätte. Die Mannschaft endlich sah ärgerlich wie ihr Kommandeur noch taktloser als der dümmste Schiffsjunge handelte; doch das alles verschlug dem jungen Herrn nichts; er schwebte lediglich auf Flügeln des Ruhmes und seiner Allgewaltigkeit in höheren Regionen umher. Als Kapitän Dyk seinen Fuß auf das Deck der Jacht gesetzt, flog ein Blick seines dunkeln Auges über das ganze Verdeck und die Zurüstungen, welche auf demselben zum Kampfe getroffen worden, wobei ein leichtes Lächeln um seine Lippen spielte; sodann grüßte er achtungsvoll die Damen und hiernach erst die beiden Offiziere, jedoch ziemlich kalt.

„Sie wünschen mich zu sprechen!“, sagte er dabei zum Junker.

„Allerdings!“, sagte der junge Herr mit stolz gehobenem Haupt, „Euer Schiff sowie dessen Bewegungen erscheinen verdächtig, ich muss deshalb Eure Papiere ansehen, vielleicht das Schiff durchsuchen lassen; wo sind die Papiere?“

„Hier!“, sagte Dyk mit finsteren Blicken den Knaben messend, während er die Papiere überreichte, „ich frage nicht mehr, mit welchem Recht Ihr dies tut, junger Mann, aber ich erkläre, dass ich der Gewalt weiche und später für den gegen mich angewendeten ungerechtfertigten Zwang Rechenschaft fordern werde!“ Wardow errötete, was sowohl Zorn wie auch Verlegenheit andeutete; denn unzweifelhaft imponierte ihm das Benehmen des Kapitäns.

„Man vergesse nicht, mit wem man spricht!“, erwiderte er unsicher, „Klassen seht die Papiere durch!“

Dyk lächelte, denn es entging ihm nicht, wie der Junker aus dem Grunde die Papiere fortgab, weil er selbst sie nicht zu beurteilen verstand. Klassen sah dieselben an und trat ganz dicht zu Wardow.

„Sie sind in Ordnung, Junker?“, flüsterte er in deutscher Sprache, während man bisher schwedisch gesprochen, „lassen Sie den Mann mit einer höflichen Entschuldigung gehen, er sieht nicht aus, als ob mit ihm zu scherzen wäre!“

Es fiel jedoch dem übermütigen jungen Mann nicht ein, diesen Wink zu beachten.

„Die Papiere scheinen zwar in Ordnung“, sagte er, „dennoch muss ich sie einstweilen behalten und Beschlag auf das Schiff legen, weil Ihr den Befehlen eines Flottenoffiziers nicht sofort Folge geleistet; Klassen Ihr geht hinüber das Kommando dort zu führen; Ihr, mein Freund, bleibt hier als mein Gefangener!“

Diese Worte machten einen merkwürdigen Eindruck auf diejenigen Personen, an welche sie gerichtet waren! sie erröteten beide.

„Herr!“, rief Dyk im drohenden Ton, doch gleich fügte er ruhiger hinzu, „es ist wahr, Ihr habt die Macht dazu, wenn auch nicht das Recht, mich zu halten, die Folgen also auf Euer Haupt!“

„Kein Wort weiter!“, quäkte der Fähnrich, „ich habe auch die Mittel Euch zum Schweigen zu bringen; habt Ihr gehört Klassen?“

„Ja, Herr Fähnrich!“, sagte der alte Mann, dem jetzt ebenfalls der Kamm schwoll, mit der Hand am Hut, „aber ich habe nicht Lust, die Verantwortlichkeit, welche Sie auf sich laden, zu teilen; ich bin hier am Bord Ihr Untergebener, ich habe hier auf der Postjacht zu dienen, sonst nirgends.“

„Ihr seid Eurer Funktionen enthoben und Arrestant!“, rief der Fähnrich, „das Sprachrohr!“

Der Kapitän lächelte wiederum, aber in seinen Augen, die zugleich mit einem schnellen Blick den übrigen Teil der Mannschaft musterten, leuchtete es hell auf; der alte Klassen seufzte schwer.

„Ihr da drüben!“, rief der Junker den Schoner an.

„Wohl! wohl!“, hieß es von dort.

„Ihr haltet Strich mit uns und bleibt auf zwei Kabellängen nahe!“

„Wohl! wohl!“

„Kürzt Segel,– sucht Ihr zu entfliehen, gibt es Feuer!“

„Schon gut!“, brummte es zurück.

Die Schwestern von dieser Szene wenig erbaut und überzeugt, dass der junge Mann ein großes Unrecht begangen, zogen sich in die Kajüte zurück. Wardow schritt unwillig auf und ab, die Ausübung seiner Macht gewährte ihm sichtlich keinen rechten Genuss. Klassen setzte sich ärgerlich neben eine Kanone, die Matrosen blickten finster nach hinten und der einzige, der seinen Gleichmut bewahrte, schien der Kapitän zu sein.

Der Wind lullte sich inzwischen immer mehr ein und obschon noch fünf bis sechs Kreuzschläge gemacht wurden, kam man doch nur bis zur Höhe von Haste, als die Windstille vollkommen und die Hitze sengend ward. Alles suchte Schatten und Schutz gegen die brennende Sonne, nur Kapitän Dyk blieb wo er war, um abwechselnd das Schiff, das Wasser und den Horizont zu mustern, seinem eigenen Schiff, welches natürlich ebenso tot dalag wie die Jacht, schenkte er kaum einen flüchtigen Blick.

So vergingen vier peinliche Stunden; Windstille ist dem Seemann überhaupt viel unangenehmer wie Sturm, und es liegt etwas Trauriges in diesen so schlaff herabhängenden Segeln, dem bewegungslosen Gebäude; ein solches Fahrzeug gleicht einem flügellahmen Vogel, der sich nicht zu erheben vermag. Während dieser ganzen Zeit ward auf dem Deck der Jacht kein Wort gesprochen.

Aber allgemach begannen sich nun die unzweifelhaften Zeichen eines zusammenziehenden Gewitters zu zeigen, und bei ihnen konnte es Klassen nicht über das Herz bringen zu schweigen, besonders als der Schoner wie im Nu, trotz des aufspringenden Windes, jeden Lappen barg.

Wardow nahm die Vorschläge des alten Seemannes brummend und dem Anschein nach unwillig auf, jedoch gab er seine Erlaubnis, ebenfalls die Segel zu bergen, und beide Schiffe trieben tot vor dem wechselnden Lufthauch bald hier, bald dorthin.

Es war gar nicht mehr zu verkennen, dass das Wetter über den Schiffen zum Ausbruch kommen und ebenso, dass es sich als eins der schwersten zeigen werde, was Klassen im vorwurfsvollen Ton bemerklich machte; Wardow hieß ihn schweigen.

Das ganze Firmament hatte allgemach eine schwarze Färbung angenommen; im Zenit jedoch zeigten sich zwei mächtige, schwarze Wolkenballen, die sich langsam nach Nordost wälzten, der Wind blies pfeifend von verschiedenen Seiten und ließ die See kochen. Doch noch hatte es nicht geblitzt, noch sich kein Donner hören lassen. Die Schwestern, die kommenden Szenen ahnend, blickten ab und zu angstvoll durch die Kajütenklappe.