Ein schwerer Fall von Liebe - Anne-Sophie Lunding - E-Book

Ein schwerer Fall von Liebe E-Book

Anne-Sophie Lunding

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Beschreibung

»Eine schlechte Pizza ist besser als gar keine Pizza.« Elvira Gregersen ist 39 Jahre alt, bringt 148 Kilo auf die Waage und arbeitet am Empfang eines Bordells. Davon darf allerdings das Jobcenter nichts wissen, denn offiziell ist sie arbeitslos. Obwohl es das Leben wahrlich nicht gut mit ihr meint, meistert sie ihr Schicksal – mit einer guten Portion Selbstironie und ohne ein Wort des Jammerns. Bewaffnet mit Pizza und buntem Nagellack trotzt Elvira allen Widrigkeiten. Als Henry auf der Bildfläche erscheint, fängt ihre dicke Schale sogar an, ein wenig zu bröckeln. Und zum Vorschein kommt: Elviras riesengroßes Herz.

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Anne-Sophie Lunding

Ein schwerer Fall von Liebe

Roman

Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

1.

Ich bin mir nicht sicher, ob »süß« oder »frech« das richtige Wort ist, aber an der Stimme des Mannes erkenne ich, dass er ein Neuling ist, und darum entscheide ich mich für »süß«. Bevor ich ihm antworte, schiebe ich den Kekskaramellklumpen mit der Zunge auf die Seite, damit man nicht hören kann, dass ich den Mund voll habe. Diese Technik beherrsche ich mittlerweile relativ gut.

»Wir haben heute eine ganz Süße hier, sie heißt Candy.«

»Okay.«

»Vielleicht hast du sie ja schon auf unserer Homepage gesehen?«

»Nein, das habe ich nicht.«

Dann ist er über die Anzeige im Ekstra Bladet auf uns aufmerksam geworden. Ich drehe das Mikrofon meines Headsets weg und kaue in einer Affengeschwindigkeit den Kekskaramellklumpen kleiner, spüre, wie mir der Speichel aus dem Mundwinkel läuft. Ich schlucke runter und wische die Schmiere weg, schiebe das Mikrofon zurück an seinen Platz.

»Candy ist eine exotische Schönheit und süße dreiundzwanzig Jahre alt. Sie ist schlank und zierlich mit festen B-Körbchen-Brüsten, hat einen prallen, kleinen Hintern und eine enge, glatt rasierte Muschi. Ihre Haut ist milchkaffeebraun, und sie hat lange schwarze Haare.«

»Okay.«

In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, wie alt sie ist, eigentlich sieht sie sogar jünger aus als dreiundzwanzig. Aber wer weiß das schon so genau, ich hatte schon immer Schwierigkeiten, das Alter von Leuten zu schätzen. Ich habe mir für jedes der Mädchen einen kleinen Verkaufstext ausgedacht, den ich je nach dem Bedürfnis, das ich im Gespräch mit dem Kunden heraushöre, ändern kann. Das kann ich gut, ich spüre, was sie wollen, außerdem liegt das auch an meiner Stimme, die klingt nett und unverfänglich, und darum fühlen sich die Männer gut aufgehoben.

»Hast du Sonderwünsche?«

Er zögert etwas mit seiner Antwort.

»Nur ganz normal eben?«

»Candy bietet einen tollen Cocktail, am Anfang ein bisschen Französisch und danach Dänisch.«

»Wie, Dänisch, hihi, was ist das denn?«

»Verkehr in der Missionarsstellung.«

»Okay, klar.«

Wir vereinbaren einen Termin, dann nenne ich ihm die Summe und unsere Adresse. Heute Morgen lagen schon wieder Krümel auf dem Tisch und ein leerer Eiscremebecher auf dem Küchenfußboden. Cream Cheese. Aber ich will da jetzt nicht drüber nachdenken, darum greife ich nach meinem Lion, verabschiede ihn mit den Worten »Dann freuen wir uns auf deinen Besuch!« und will mir gerade das letzte Stück von dem knusprigen Keks mit klebriger Karamellmasse, umhüllt von einer dicken Schicht Vollmilchschokolade, in den Mund schieben, als ihm noch eine Sache einfällt.

»Ja?«

»Ich wollte nur wissen, ob ich sie küssen darf?«

Ich hole tief und absolut geräuschlos Luft.

»Hier ist es so, dass keines der Mädchen küsst. Und wir bestehen auch darauf, dass unsere Kunden alle Kondome benutzen. Es geht vorrangig um die Sicherheit. In erster Linie um die unserer Kunden. Das wirst du doch sicher verstehen?«

»Ja, natürlich. Entschuldige, dass ich gefragt habe.«

Ich beende das Telefonat, schüttele den peinlichen Moment ab und widme mich ganz und gar der Schokolade. Immer mehr Kunden wollen küssen oder fragen sogar nach Superfranzösisch, oral ohne Gummi, oder auch Supergriechisch oder Superdänisch. Auf der Straße können sie das alles bekommen, von den Junkies oder den Mädchen, die mehr oder weniger freiwillig importiert worden sind. Allerdings sind in letzter Zeit auch in den Boulevardzeitungen und im Netz Anzeigen aufgetaucht, in denen mit gratis Zungenküssen und Superfranzösisch in »Schönheitssalons« und anderen Etablissements geworben wird. Die Konkurrenz wird immer härter. Auch bei uns im Keller mussten wir schon ein paarmal die Preise senken. Der Zustrom von Frauen aus den lausigsten Ecken der Welt nach Dänemark ist endlos. Sogar unsere Mädchen hier haben immer wieder mal Küsse in ihrem Sortiment, für einen extra Hunni. Aber solange da niemand drüber spricht, tue ich so, als wüsste ich von nichts. Ich will so wenig wie möglich davon erfahren, was hinter den Türen vor sich geht. So ist es am besten.

Aber der Gedanke lässt mich nicht los, kommt immer wieder, während ich die Zimmer überprüfe, kontrolliere, ob die Duschen ordentlich geputzt wurden, die Betten frisch bezogen sind, ausreichend Kondome und Gleitcreme in den Schubladen der Nachttische liegen und ob der Psychopathenknopf funktioniert. Der wurde das letzte Mal benutzt, als ein vierzigjähriger Typ, von der Sorte gut aussehender Familienvater mit ECCO-Schuhen und Fahrradhelm, Katarina gewürgt hat. Ihr gelang es gerade noch, den Knopf zu drücken. Das war in meiner Schicht, und ich brauchte ein bis zwei Sekunden, bis ich reagiert habe, bis mein Gehirn die Bedeutung des Alarmsignals begriffen hat, aber dann habe ich mir die Eisenstange gegriffen, die unter dem Tresen liegt, und habe die Zimmertür aufgerissen. Er saß auf ihr drauf und würgte sie mit beiden Händen, ihre Zunge hing ihr aus dem Mund, und die Augen waren groß wie Kugeln und sahen aus, als würden sie ihr gleich aus dem Kopf springen. Ich schlug auf ihn ein, auch als er schon längst von ihr abgelassen hatte, und hörte erst auf, als ich Køsters Arme spürte, mit denen er mich festhielt und mir dann die Eisenstange aus den Händen nahm. Hinterher erzählte er, dass ich dabei wie irre geschrien habe. Und dass ich wie jemand geklungen habe, mit dem man sich besser nicht anlegt. Als Katarina am nächsten Tag zur Arbeit kam, trug sie einen hochgeschlossenen Spitzenbody, der die Würgemale verdeckte. Mir brachte sie einen ganzen Othellokuchen mit. Ich liebe diese Marzipantorten mit Vanillecreme und Schokoladenüberzug.

Das Kussverbot ist eine ganz alte Regel. Auch Anne Grethe hat es nie gemacht. Als sie noch aktiv im Dienst war, kamen viele Kunden mit Sonderwünschen. Sie hatte nämlich die Sorte von Verrichtungen im Angebot, die sehr beliebt, aber nur bei wenigen zu bekommen waren, sowohl mit Urin als auch mit dem anderen, was noch viel schlimmer ist. Aber küssen, darauf hatte sie überhaupt keine Lust, das war eindeutig ihre Grenze. Eigentlich sonderbar, dass es ein so großer Unterschied zu sein scheint, ob man einen Schwanz oder eine Zunge im Mund hat, ich glaube, ich würde Letzteres vorziehen. Obwohl. Da fällt mir das Pferd ein. Dieser große alte Mann, der immer tadellos angezogen ist, mit Hemd und Krawatte, seine dünnen Haare alle nach hinten gekämmt trägt und nach Brillantine duftet, aber wenn er den Mund aufmacht, eine Reihe von dunkelgelben Zähnen in dunkelgrauem Zahnfleisch entblößt.

Das erinnert mich an das Spiel, das ich mit Sixten gespielt habe, als wir klein waren. Man stellt sich immer »oder«-Fragen, wie »Was willst du lieber: eine Tasse Blut trinken oder was Verbotenes machen?« oder »Willst du lieber ertrinken oder verbrennen?«. Ich muss lächeln bei dem Gedanken daran, wie Sixten immer bis zum Äußersten gegangen ist, und wenn man so dumm war, seine Antwort infrage zu stellen, konnte man sicher sein, dass er es einem beweisen wollte, und das ging dann meistens schief. Und wenn ich an Sixten denke, meinen Sixten, dann spüre ich diese Unruhe im Bauch, ich wische mir schnell mein dämliches Grinsen aus dem Gesicht, öffne den Kühlschrank und hole mir eine Dose Sprite raus, lege den Kopf in den Nacken und lasse das süße, sprudelnde Getränk meine Kehle hinunterfließen. Danach setze ich die erste Wäsche des Tages auf, Kochwäsche, Laken und Handtücher von gestern. Ich höre, wie die Maschine mit einem Klick ihre Arbeit aufnimmt, und setze mich wieder an meinen Platz vor dem Computer. Acht Besucher sind im Moment auf der Webseite unterwegs, das ist ganz ordentlich so früh am Tag, vielleicht wird es ja einer dieser Tage mit viel Kundendurchlauf, dann vergeht die Zeit schneller, denn das wünsche ich mir, weil ich merken kann, dass ausgerechnet heute so ein Tag mit schweren Gedanken ist, die mich überfallen und an Orte bringen, die ich lieber vermeiden will. Wie die Tatsache zum Beispiel, dass ich ganz offensichtlich heute Nacht schon wieder auf war, ohne mich daran erinnern zu können.

Jemand ist am Eingang. Die Kunden müssen klingeln, ich kann sie mithilfe der kleinen Kamera über der Tür auf meinem Bildschirm sehen, aber die Mädchen haben die Nummer für den Türcode. Ich hatte auf dem Schichtplan nachgesehen und eigentlich Candy erwartet, aber es ist Katarina. Sie wischt ihre kleinen Schuhe gründlich an der Fußmatte ab, während sie sich aus ihrem riesigen grauen Schal wickelt. Ihr Gesicht, mit den großen blauen Augen, sieht ganz nackt aus, so ungeschminkt. Sie lächelt sparsam und sieht, mit krummem Rücken und den fast mausgrauen Haaren, die eng am Kopf anliegen, wie ein kleines, verletzliches Tier aus.

»Ich dachte, Candy würde kommen.«

»What?«

Sie spricht und versteht kaum Dänisch. Nur die nötigsten Wörter, Zahlen und Regeln. Kundendänisch nennen wir das. Ich frage sie auf Englisch, ob sie Candy gesehen hat, und sie hebt eine schmale gezupfte Augenbraue, denn das hat sie selbstverständlich nicht. Candy ist für die erste Schicht heute eingetragen und sie ist in der Regel immer pünktlich. Aber es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die Mädchen plötzlich verschwinden. Schon gar nicht, wenn sie aus dem Ausland kommen und jemandem viel Geld schulden. Was für die meisten zutrifft. In der Regel werden sie von Haus zu Haus geschoben, von Stadt zu Stadt. Frische Gesichter und frisches Fleisch verkaufen sich einfach besser. Wenn das Neue verflogen ist, können sie in ein neues Etablissement in einer anderen Stadt gebracht werden.

Ich sitze gerne hinten mit den Mädchen zusammen, quatsche mit ihnen und sehe mir die Fotos ihrer Kinder an. Aber ich achte darauf, nicht zu freundlich zu sein. Sonst wollen sie nur Geld von mir leihen oder bitten mich um Gefallen, und ich habe auch keine Lust darauf, ihr Sorgenmülleimer zu sein. Ich bin verantwortlich für den Laden, und die Mädchen haben immer irgendwelche Probleme und genauso viele Entschuldigungen und Ausreden, und davon sollte man schön die Finger lassen. Sie kommen von überall. Ein paar kommen aus Nigeria, die haben sich mittlerweile freigekauft und können den Großteil ihrer Einnahmen behalten, ganz anders als damals auf den Bürgersteigen in Vesterbro, als sie um die Aufmerksamkeit der Freier kämpfen mussten. Sie erzählen immer wieder, wie kalt es gewesen ist, denn man konnte sich ja nicht so viele Klamotten anziehen, sonst hätten die Kunden die Ware nicht mehr sehen können. Diese Mädchen sind besonders dunkel, mit glänzendem hellrosa Zahnfleisch, und sie riechen nach süßem Kokosöl und Gewürzen. Sie beklagen sich ständig über die gierige Verwandtschaft, und dann vergleichen sie die Noten ihrer Kinder und machen dabei klickende Geräusche mit ihren Zungen. Dann gibt es noch die Mädchen aus dem Osten, so wie Katarina, die nur für eine bestimmte Zeit zum Arbeiten kommen, um den Mann, die Kinder und die Eltern zu Hause zu versorgen und Geld fürs Studium zu sparen oder irgendwo außerhalb von Kiew oder Kaunas oder wie das da heißt ihr eigenes »biznes« aufzumachen. Natürlich gibt es auch ein paar Däninnen. Candy aber ist die einzige Thailänderin, die jemals hier bei uns im Keller gearbeitet hat, zumindest, seit ich hier bin. Die Thailänderinnen bleiben nämlich normalerweise unter sich, die haben ihre eigenen Läden, ihre eigenen Preise und Regeln, ihre eigenen Codes, wie Massage mit Happy Ending und so was, die haben wenig mit den anderen in der Branche zu tun.

»Könntest du gleich einen übernehmen? Standardprogramm?«

»Okay. Ich übernehme ihn. Gib mir fünf Minuten.«

Katarina zuckt mit den Schultern und geht den Flur hinunter, um sich zu schminken und umzuziehen. Ihre nassen Schuhsohlen hinterlassen dunkle Flecken auf dem Teppich.

In der Küche liegen meine Doughnuts in der 7-Eleven-Tüte, mit knackiger Zuckerschicht und fettig glänzendem Körper, im Inneren ganz weiß und weich. Ich lasse mein Headset auf, gehe rüber und reiße die Tür auf, der Geschmack von Frittiertem hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Dann wähle ich Candys Nummer, aber sie geht nicht ran, und ich beschließe, dass sie eine Verwarnung bekommt, wenn sie sich in den nächsten zehn Minuten nicht meldet, und außerdem muss ich versuchen, eine der anderen Festen zu überreden, die Schicht zu übernehmen.

Es klingelt an der Tür, ich lecke mir auf dem Weg zurück an den Tresen das Fett und den Zucker von den Fingern. Der Mann vor der Kellertür steht ganz gekrümmt da und scheint die Kamera gar nicht zu bemerken, wahrscheinlich soll ihn niemand sehen können, während er ungeduldig darauf wartet, reingelassen zu werden. Einigen Kunden ist es peinlich, zu uns zu kommen, sie warten still im Sessel, bis sie aufgerufen werden, starren vor sich auf den Teppichboden, andere verhalten sich vom ersten Mal an, als wären sie hier zu Hause, schenken sich einen Kaffee ein, zappen durch das Fernsehprogramm, fangen an zu quatschen, das weiß man vorher nie. Ich drücke auf den Türöffner, und dabei fällt mir ein, dass ich vergessen habe, Kaffee aufzusetzen, was meinen Ärger über Candy noch verstärkt.

»Herzlich willkommen!« Ich lächele ihn an und ignoriere, dass mein Anblick ihn erstarren lässt und ihm seine Gesichtszüge entgleiten, ich nehme die Fernbedienung vom Tisch und schalte den Fernseher ein. Statt des üblichen Senders mit viel Haut entscheide ich mich für einen Nachrichtensender, denn ich spüre, dass ich sehr behutsam mit ihm sein muss.

»Komm, gib mir deine Jacke.« Sein Samtblazer ist vollkommen durchnässt und total ungeeignet für dieses Wetter, er schält sich raus, ohne mich eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

»Setz dich kurz hier aufs Sofa, ich gebe Candy Bescheid, dass ihr Gast gekommen ist.« Endlich kann er seinen Mund wieder schließen, er nickt und versucht zu lächeln, bevor er sich hinsetzt, denn jetzt weiß er ja, dass nicht ich ihn bedienen werde. Er hat ein ganz hübsches Gesicht, ist Anfang zwanzig, groß und schlaksig, mit dunklen Haaren und Bart, er trägt ein Sweatshirt und Jeans. Er sieht ein bisschen schmuddelig aus, so im Jesus-Stil, ich vermute, er ist Student.

Ich hänge die nasse Jacke des Herrn auf einen Bügel, gehe in die Küche, stelle die Kaffeemaschine an und schütte ein paar Kekse aus einer Danish-Butter-Cookies-Dose in eine Schale. Die mit Hagelzucker drauf, die Vanilletaler und die mit dem Schokoboden. Von Letzteren stecke ich mir schnell einen in den Mund und klopfe auf dem Weg zurück an Katarinas Tür.

»Dein Kunde ist da.«

»Okay, noch zwei Minuten.«

Sie hat den CD-Player eingeschaltet und hört klassische Musik, sie hört immer dieselben Stücke, wenn sie sich fertig macht. Ich stelle die Schale mit den Keksen vor dem Kunden auf den Tisch.

»Hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?«

»Oh ja, sehr gerne.«

Die meisten mögen es, wenn man mit ihnen über was ganz Alltägliches spricht und dadurch ihre Anwesenheit zu etwas vollkommen Normalem macht. Der Studenten-Jesus sieht sich vorsichtig um, dann wendet er sich zu mir und lächelt zaghaft.

»So ein Matsch. Draußen. Und kalt.«

»Ja, die haben schon von Schnee geredet.« Ich seufze und fahre fort: »Weißt du was, wir hatten ein paar technische Probleme mit unserem Buchungssystem.«

»Ja?«

»IT!« Ich schüttele bedauernd den Kopf. »Du wirst es mir kaum glauben, aber Candy ist heute gar nicht eingetragen! Da gab es irgendwie ein Durcheinander mit den Terminen, das liegt wohl am Server.«

»Oh.« Er runzelt die Stirn.

»Aber die schöne Miss Natascha würde dich sehr gerne empfangen.«

Wie durch Zauberhand taucht Katarina hinter mir auf, ein schwerer, süßlicher Duft liegt in der Luft, und ich muss mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass sie sich in Miss Natascha verwandelt hat, geschminkt, mit Hochsteckfrisur und strategisch entkleidet. Eine Art Discoausgabe einer jungen Michelle Pfeiffer in bordeauxfarbener Spitze, dreifarbigem Lidschatten und glänzenden Lipglosslippen.

»Hello. Nice to meet you.«

Ihre Stimme ist tief und warm. Jesus ist bereits aufgestanden und wirft mir einen kurzen Blick zu, ich nicke ihm aufmunternd zu, und er folgt Katarina gehorsam ins Zimmer. Ich gehe wieder in die Küche, gieße den Kaffee in die Thermoskanne und trage sie mit den Tassen, dem Sahnekännchen und der Zuckerdose auf einem Tablett zurück in den Vorraum und stelle es auf den Couchtisch neben die Schale mit den Keksen. Danach lege ich die DVD »Lusty Ladies 3« ein. Jetzt beginnt meine Schicht.

2.

Es ist schon dunkel, der Wind bläst, und es fällt Nieselregen, ich bin eigentlich auf dem Weg zur Bushaltestelle am Trianglen, als ich das freie Taxi sehe, und es ist, als hätte mein Arm ein Eigenleben, er fliegt in die Luft und winkt dem Taxifahrer zu, der sofort anhält. Ich sitze wie immer hinten und nenne mein Ziel: Frederikssundsvej. Ich suche in meinen Kontakten »Bella Amore« raus, die Pizzeria gegenüber von meiner Wohnung, rufe an und bestelle eines meiner Top-drei-Lieblingsgerichte. Dabei sehe ich aus dem Fenster und vermeide so den Blickkontakt mit dem Fahrer im Rückspiegel, das schaffe ich jetzt nicht auch noch, ich bin müde und habe Hunger. Die ersten beiden Tagesschichten nach einer Woche mit lauter Nachtschichten sind immer am härtesten, alles ist wie verschwommen und flimmert, es kostet viel Energie, wenn der Körper von Nacht auf Tag schalten muss. Die fließen dann ineinander, und ich weiß nicht mehr, ob ich nachts aufgestanden bin oder nicht, finde morgens nur die Reste vor, die Krümel auf dem Küchentisch, die leeren Eisbecher, die Teller auf dem Tisch, einen Löffel auf dem Sofa. So wie heute Morgen.

Geschenkt wurde mir das nicht, da zu sein, wo ich heute bin, in dieser – wie ich sie nenne – unvermittelbaren Kategorie. Das ist eine ganz besondere Kategorie, die es offiziell gar nicht gibt, über die auch niemand spricht, es ist eine Art Aufbewahrungsort für uns, die sie ein für alle Mal aufgegeben haben und die sie darum auch nicht mehr der unendlichen Flut aus Aktivierungs-, Arbeits- und Ausbildungsangeboten aussetzen. Was sie ja eigentlich müssten. Es erforderte einen langen und hartnäckigen Einsatz von meiner Seite, um das zu erreichen, eine geduldige und systematische Sabotage aller Resozialisierungsinitiativen, zu denen ich im Laufe der Jahre gezwungen wurde. Ich bin konsequent zu spät gekommen, gar nicht aufgetaucht oder bei falschen Adressen, habe alle Termine und Absprachen vergessen. Ich habe ihnen zu verstehen gegeben, dass ich nicht in der Lage bin, die einfachsten Aufgaben zu lösen. Immer und immer wieder habe ich demonstriert, dass meine Sozialkompetenzen quasi nicht existent sind und mir jede Einsicht für meine Lebenssituation fehlt. Alle Zusatzauflagen, die sich auf Ernährung oder Körperertüchtigung bezogen, und davon gab es in den letzten Jahren nicht wenige, habe ich ohne große Anstrengung untergraben. Für eine herrlich unbekümmerte Zeitspanne von über einem Jahr hatte ich meine Ruhe, zusätzlich geschützt von der Diagnose »Schleudertrauma« nach einer Vollbremsung im Bus der Linie 5A. Aber dieser Frieden hielt leider nicht ewig.

Mein Ziel, auf das ich in den vergangenen Jahren unbeirrt hingearbeitet habe, ist eine Rente, die weder infrage gestellt noch nachträglich geändert werden kann. Damit sie mich nicht mehr behelligen können. Nie wieder. Damit ich mich ganz auf Sixten konzentrieren kann. Aber die guten Zeiten sind im Moment vorbei, es ist fast so, als hätten alle netten und vernünftigen Leute sich entschieden, zu Leuten wie mir nicht mehr nett und vernünftig sein zu müssen. Und sich dabei im Recht zu fühlen. Ich habe es gesehen, die Blicke, die sie untereinander austauschen, habe das Unterschwellige gespürt. Der gute Wille ist aufgebraucht. Ich kann mir nicht mehr sicher sein, dass ich nicht doch so einen Flexjob annehmen muss, von dem sie das letzte Mal gesprochen haben. Schon von dem Gedanken daran wird mir ganz übel, das fühlt sich an, als würde mich die Zukunft ersticken. Und ich kann nichts dagegen tun.

Ich weiß genau, was die im Jobcenter von mir halten. Die tun mir fast ein bisschen leid, wenn sie in meinem Blick nach etwas suchen, an das sie anknüpfen können, ein Hauch von Initiative oder Willen, den sie zum Leben erwecken können. Aber eben nur fast. Ich gebe ihnen nichts, starre sie nur stumpf an, während ich mir vorstelle, ein Fisch in einem Aquarium zu sein, ein hirnloser Guppy oder ein schwebender Schleierschwanz mit matten schwarzen Fischaugen, der die Welt auf der anderen Seite des Aquariums nicht sehen kann. Das ist eine Technik, die ich verwendet und immer weiter verfeinert habe, seit wir das erste Mal in einer Pflegefamilie untergebracht wurden. Es gab immer wieder Ausbrecher, aber jedes Mal, wenn ich so dämlich war, etwas von mir preiszugeben, habe ich dafür teuer bezahlen müssen. Ich hatte mal eine Zeit lang eine junge, sehr begeisterungsfähige Sachbearbeiterin und habe mich überreden lassen, an der Hochschule ein paar Fächer zu belegen, aber dann wurde ich unvorsichtig und bekam gute Noten. Um die Situation retten zu können, musste ich die Fehlzeiten erhöhen, nicht nur für die Prüfungen, sondern überhaupt, bis sie mich am Ende rausgeschmissen haben. Die junge Sachbearbeiterin verstand die Welt nicht mehr, sie hatte eine ganz bestimmte Art und Weise, mich anzusehen, lang und nachdenklich, den Kopf zur Seite geneigt, aber am Ende schüttelte sie immer den Kopf und sagte was in der Art von: »Wenn ich Sie doch nur verstehen könnte, Elvira.«

Ich will ja gar nicht verstanden werden. Ich will nur meine Rente, so war es damals und so ist es auch heute noch, die habe ich mir schon längst verdient, aber das darf man ja nicht laut sagen. Darum sage ich so wenig wie möglich. Das ist am sichersten, daran habe ich mich gewöhnt und die Mitarbeiter im Jobcenter auch. Meine große Hoffnung ist es, den Status der dauerhaft eingeschränkten Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Gemäß der Auflage für die Erteilung einer Erwerbsminderungsrente muss es einwandfrei gewährleistet sein, dass meine Arbeitsfähigkeit auf keinen Fall verbessert werden kann. Das wird von dem städtischen Rehabilitierungsteam geprüft und genehmigt und erst dann wird die Rente zugewiesen. Das Problem ist, dass man dafür eine ziemlich handfeste Diagnose benötigt. Und da ich nichts habe und praktisch auch nie krank bin, ist es am einfachsten, ein psychisches Leiden vorzutäuschen. Geistig minderbemittelt wäre das Naheliegendste, aber seit meinem Fauxpas mit der Hochschule steht das leider nicht mehr zur Verfügung. An Schizophrenie traue ich mich nicht ran. Wenn ich nur an die Symptome und die Medikamente denke, wird mir schon übel. Angst und soziale Phobien sind die beste Lösung, und die Diagnose passt auch am besten zu dem Bild, das sie ohnehin schon von mir haben. Aber es wird einen großen und ausdauernden Einsatz erfordern, und wahrscheinlich schiebe ich es deshalb vor mir her. Die Aussicht, dass ich nicht nur meine Sachbearbeiterin, sondern auch die Ärzte und Psychiater davon überzeugen muss, macht mich schon ganz müde, bevor es überhaupt losgeht. Ehe ich das ernsthaft in Angriff nehme, muss ich noch mehr recherchieren, und ich weiß auch, dass es schwer wird, wahrscheinlich sogar unmöglich ist, verpflichtende Sportprogramme, Therapie und Medikamente zu vermeiden. Meinen Kopf will ich für mich haben, ohne klares Bewusstsein bin ich verloren. Das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, mit toten Augen und bis obenhin mit Psychopharmaka vollgepumpt durch die Welt zu wanken. Aber das wird sowieso alles erst aktuell, wenn mein Antrag auf Erwerbsminderungsrente nicht genehmigt wird. Und das wird er, das muss er, denn ich halte es nicht aus, an die Alternative zu denken.

Ich habe immer gearbeitet. Das eine oder das andere. Bevor ich im Keller angefangen habe, habe ich Profiltexte für eine Webseite für ausländische, heiratswillige Frauen geschrieben, die kamen hauptsächlich aus Russland, der Ukraine und Weißrussland und suchten einen Mann in Dänemark. Das war ein guter Job, wahrscheinlich der beste, den ich je hatte. Ich habe mir große Mühe gegeben, die Texte gleichzeitig einladend und realistisch zu formulieren. Als Vorlage hatte ich nur Fotos und Texte in kryptischen kyrillischen Buchstaben oder in Kauderwelsch-Englisch. Einige Informationen verwiesen auf das Naheliegende. Wenn zum Beispiel Fotos von Kindern auf dem Profil waren, dann habe ich die Person als »Familienmensch« beschrieben, und wenn die Frau älter als dreißig war, habe ich die Ansprüche an den Zukünftigen heruntergeschraubt, und die waren insgesamt sehr gering. Ich habe versucht, die Texte unterschiedlich zu gestalten, um sie persönlicher zu machen. Wenn ich ein Blitzen in den Augen entdeckt habe, war durchaus mal »Humor« wichtig, ich habe auch Lieblingsmusik, Leibspeisen und Hobbys dazugedichtet (Klettern, Eiskunstlauf, Kammermusik und Töpfern), ich habe ihnen Kochbegabungen zugeteilt und sie von ihrem Lieblingsfilm erzählen lassen. Die Jüngsten und Hübschesten suchten einen Mann, der sie »verwöhnt«. Sah eine der Frauen auf dem Foto etwas verängstigt aus, schrieb ich, dass sie schüchtern ist und sich einen Mann wünscht, der Gemütlichkeit und lange Spaziergänge am Meer schätzt. Ich habe mir immer wieder die ersten Begegnungen mit einem dänischen Mann vorgestellt, und wenn ein Profil, das ich geschrieben hatte, deaktiviert wurde, habe ich mir eingeredet, dass ich eine Art Hebamme der Liebe gewesen bin. Vielleicht hatten die Frauen es besser und waren glücklicher, weil der Mann, mit dem sie zusammengekommen waren, ihre fiktive Leidenschaft für den Eiskunstlauf teilte oder fand, dass ihre Schwäche für Rassehunde besonders liebenswert war.

Irgendwann bin ich ein bisschen zu weit gegangen und habe wilde Interessen und Charaktereigenschaften erfunden, und irgendwann hätte das wahrscheinlich Probleme gemacht, denn irgendjemand hätte festgestellt, dass es nicht einfach nur schlechte Übersetzungen waren, und dann hätten sie den Betreiber der Heiratsvermittlung verklagt. Der wurde nur der Feilscher genannt. Er wohnte in einer kleinen und total vollgestopften Wohnung in Christianshavn, nicht weit weg von Christiania, mit seiner schwarzen amerikanischen Ehefrau, einer ehemaligen Tänzerin und Schlammcatcherin aus Saint Louis, sowie ihren beiden Töchtern, zwei hübschen und lauten kleinen Gören, die im Großen und Ganzen sich selbst überlassen waren.

Es war eine Dreizimmerwohnung, im Wohnzimmer stand ein Marmortisch zwischen zwei identischen Ledersofas, ein Flatscreen hing an der Wand, im winzigen Büro nahm ein Schreibtisch mit fettiger Glasplatte den meisten Platz ein, und im Schlafzimmer standen auch die Kinderbetten der Mädchen. Die hatten in allen Zimmern ihre Spuren hinterlassen, Puppenwagen, pastellfarbene Roller, Teddybären und andere Kuscheltiere, Essensreste, alte Pflaster, platt getretene und vertrocknete Rosinen, Feuchttücher, Windeln, hier ein vereinsamter Schuh, dort ein vereinsamter Strumpf, Spielsteine, Zeichnungen, Plastikperlen, Papierflieger, ein Schnuller, ein Bilderbuch. Die gesamte Wohnung war außerdem zugestellt mit übereinandergestapelten braunen Pappkartons unterschiedlichster Größe, einige noch zugetaped, in den meisten befand sich Elektronikkram, Laptops, Flatscreens, Tastaturen, Tablets, aber es gab auch Kartons mit Haushaltsgeräten, Mixer, Toaster aus Edelstahl, Radiowecker und andere mit italienischen Handtaschen aus weichem cremefarbenem Kalbsleder. Alles Waren, die mit den vielseitigen und nicht immer ganz sauberen Geschäften des Feilschers zu tun hatten.

Die Wohnung hatte etwas Klaustrophobisches wegen der abgestandenen Luft und der unzähligen Stapel und dem Haufen Zeug, das überall rumlag. Ich musste mich durch ein kompliziertes Wegesystem zwischen diesen Bergen bewegen, um vom Wohnzimmer ins Büro zu kommen, dabei wurde ich manchmal von den Mädchen überholt, die keine Probleme hatten, sich zwischen den Kartons hindurchzuschlängeln und über sie hinwegzusteigen, während sie sich jagten und ihre Mutter ihnen Flüche hinterherschleuderte. Mit mir sprach sie kein Wort, sie sah mich aber mit ihren schwarzen Augen in einer Art und Weise an, die es unmissverständlich machte, dass ich nicht willkommen war. Einer der Vorteile meines Jobs war zum Glück, dass ich die Texte zu Hause auf meinem Rechner schreiben konnte. Ich betrat die Wohnung nur, wenn es notwendig war.

Den Feilscher störte der Lärm überhaupt nicht. Ich hatte ein paar Monate für ihn gearbeitet, als er sich eines Tages eine fixe Idee in den Kopf setzte. Er wollte, dass ich für eine seiner vielen anderen Firmen arbeitete, die Telefonsex für Dumpingpreise anbot. »Mit deiner Stimme und Fantasie!«, sagte er. »Du bist ein Naturtalent, das wird total einfach für dich, schnell verdientes Geld, vielleicht gefällt es dir sogar.« Er konnte diesen Gedanken nicht mehr loslassen. Zunächst versuchte er, mich mit den guten Verdienstmöglichkeiten zu überreden, und ich sagte am Anfang auch immer freundlich »nein, danke«, aber dann schlug seine Stimmung um, er nahm es persönlich, das wurde immer deutlicher, er konnte nicht akzeptieren, dass ich es nicht wollte oder mir womöglich sogar zu fein war für so eine Arbeit.

Auch seine Stimmlage änderte sich, und sein Blick, der vorher irgendwie freundlich oder auch einfach nur desinteressiert war, scannte jetzt auf einmal meinen Körper mit unverhohlener Verachtung von oben bis unten, während er unentwegt von der großen Chance redete, die er mir gab. Eine Chance, für die hübsche Frauen, sogar Studentinnen, also Frauen mit Hirn und Körper, dankbar wären. Er fing an, mir Zahlen zu simsen, so und so viel könnte ich mit so und so vielen Gesprächen in so und so vielen Minuten verdienen. Und ich begann mich innerlich darauf einzustellen, dass meine Tage als Texterin beim Feilscher gezählt waren. Eines Tages regte er sich so über mein konstantes Nein auf, dass er anfing zu brüllen und Spucketropfen auf meinem Gesicht landeten. Was ich eigentlich glaube, wer ich bin, was ich mir einbilde und so weiter, und als er bemerkte, dass ich meinen Aquariumsblick aufsetzte, änderte er seine Strategie und senkte seine Stimme. Ob ich zu schüchtern bin oder Angst habe, nicht gut genug zu sein? Er verschwand in dem undurchdringlichen Chaos des Wohnzimmers und kam mit einem Stapel DIN-A4-Papiere zurück, die er mir reichte, als wäre das der Hauptgewinn im Lotto. »Das hier«, sagte er, »sind Manuskripte für alles, nicht dass ich glaube, dass du das brauchst, aber du kannst das einfach vorlesen, da ist für jeden Geschmack was dabei, du musst nur herausfinden, was sie haben wollen.« Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich bereits auf dem Rückzug aus der Wohnung, die Töchter des Feilschers standen daneben und starrten uns an, ausnahmsweise mal schweigend und blinzelnd. Da packte er mein Handgelenk und zog mich dicht an sich, sodass ich seine Fahne riechen konnte. »Jetzt komm schon«, flüsterte er, »zier dich nicht so.«

»Du lässt mich sofort los. Sofort.« Ich hatte das ganz leise gesagt, um ihm die Gelegenheit zu geben, sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen, denn seine Mädchen hatten ihre blinzelnden Augen immer noch auf uns gerichtet, und ich wartete auch ein paar Sekunden, bevor ich ihm mit Wucht gegens Schienbein trat. Aber statt mein Handgelenk loszulassen, blieb er mit einem verständnislosen, fast enttäuschten Blick vor mir stehen und hielt mich weiter fest. Deshalb rammte ich ihm mein Knie in den Schritt, woraufhin er sich schreiend zusammenkrümmte und mich endlich losließ. Die Mädchen glotzten, ich lächelte sie an und murmelte etwas von einem Spiel, das ich mit ihrem Papa spiele, dann rannte ich die Treppe hinunter. Niemand fasst mich an, da gibt es keine Ausnahmen. Beim Feilscher war ich seitdem nicht mehr.

Davor habe ich alles Mögliche gearbeitet, als Tellerwäscherin, Hundesitterin, Köchin, Barfrau, Babysitterin und Bäckerin. Alles schwarz, versteht sich. Und ich habe geputzt. Ich habe so viel geputzt, dass ich da kaum dran denken kann, habe in endlosen Fluren geschwitzt und schwere, unhandliche Staubsauger über endlose Böden gezogen, habe Pissoirs geschrubbt, Fettflecken von Badezimmerspiegeln gewischt und Kinderspielzeug aufgeräumt, hatte den Geruch von unzähligen Gummihandschuhen auf der Haut.

»Wollten Sie hier nicht raus?«

Der Taxifahrer hat vor dem Bella Amore angehalten. Ich bezahle und stehe kurz darauf im Regen, der zugenommen hat. Drinnen ist es warm, die Scheiben sind ganz beschlagen, und die Box mit meiner Nummer 14 steht auf dem Ofen und wartet auf mich. Als Omar mich sieht, macht er eine Tüte Pommes fertig.

»Hey, meine Schöne.«