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Das Buch "Ein Studienjahr in Jerusalem" ist ein Auszug aus dem 2. Band der Buchreihe "Die Seelentöter - Meine Erfahrungen in der katholischen Kirche" von Bernhard Veil. Zum Inhalt dieser Ausgabe: Thomas bekommt ein Stipendium, um zwei Semester in Jerusalem studieren zu können. Damit er Land und Leute besser kennenlernen kann, bringt er bereits im ersten Semester sämtliche Studien- und Seminararbeiten sowie alle obligatorischen Prüfungen hinter sich, die für den Erhalt seines Stipendiums erforderlich sind, das er vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) erhielt. Im zweiten Halbjahr geht er mit Studienkollegen auf Entdeckertour durch Israel, durch Jordanien und in den Sinai. Bei seinen gewagten Reisen zu den antiken Ausgrabungsstätten erleben sie abenteuerliche Begegnungen mit Beduinen und müssen brenzlige Situationen in der Wüste bewältigen. Er berichtet von launigen und kuriosen Erlebnissen mit der einheimischen Bevölkerung und ihren kulturellen Gepflogenheiten. Was den Aufenthalt in dieser Zeit verkomplizierte, damals gab es noch kein Handy, kein Smartphone und kein Internet, ein Brief von Israel nach Deutschland dauerte vierzehn Tage und ein Päckchen auf dem Seewege sechs Wochen, private Telefongespräche ins Ausland mussten zuvor beim Fernmeldeamt angemeldet werden, eine Verbindung wurde zumeist in der Nacht durchgestellt, weil geschäftliche und amtliche Gespräche tagsüber bevorzugt abgewickelt wurden. Der Sinai war noch von den Israelis besetzt und die politische Lage mit den Nachbarstaaten war äußerst angespannt, zumal der Jom-Kippur-Krieg (Oktober 1973) gerade zwei Jahre zurücklag. Das politische Verhältnis zwischen Deutschland und Israel gestaltete sich schwierig, bei vielen Holocaust-Überlebenden war verständlicherweise die Abneigung gegen alles, was „deutsch“ ist, immer noch sehr groß. Was Thomas dort erlebte und wie er seine Zeit nützte, wird im vorliegenden Buch amüsant, spannend und unterhaltsam geschildert.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Studium an der Dormitio-Abtei
Arabischer Service
Weihnachten und Jahreswechsel
Reiseerlebnisse in Israel
Exkursion in den Sinai
Reise nach Jordanien
Abschied von der Dormitio
Impressum
Dieses Buch ist ein Auszug
aus dem 2. Band der Buch-Reihe
„Die Seelentöter“
von Bernhard Veil
Copyright © 2019 Bernhard Veil
Alle Rechte vorbehalten.
2. Auflage
Als „Thomas“ in Israel studierte, gab es noch kein Handy, kein Smartphone und kein Internet. Ein Brief von Israel nach Deutschland dauerte vierzehn Tage und ein Päckchen auf dem Seewege sechs Wochen. Private Telefongespräche ins Ausland mussten beim Fernmeldeamt angemeldet werden, eine Verbindung wurde zumeist in der Nacht durchgestellt, weil geschäftliche und amtliche Gespräche bevorzugt abgewickelt wurden. Der Sinai war noch von Israel besetzt und die politische Lage mit den Nachbarstaaten äußerst angespannt, zumal der Jom-Kippur-Krieg (Oktober 1973) gerade mal zwei Jahre zurücklag. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel gestaltete sich schwierig, bei vielen Israelis war verständlicherweise die Abneigung gegen alles, was „deutsch“ ist, immer noch sehr groß. Was Thomas dort erlebte und wie er seine Zeit nützte, wird im vorliegenden Buch geschildert.
Während meiner Studienzeit war ich sehr viel zu Fuß in Jerusalem unterwegs und nahm jede Gelegenheit wahr, kleinere und größere Touren durch Israel zu unternehmen. Gleich zu Beginn meines Studiums war mir klar, dass ich nur dann von diesem faszinierenden Land und den unterschiedlichsten Menschen etwas mitbekomme, wenn ich mich von der heilen, abgehobenen Welt der Theologischen Hochschule der Dormitio-Abtei loslöse und mich vom Wohnheim der Studenten „abseile“. Da uns zu Beginn des Semesters mitgeteilt wird, dass nicht alle Studenten im Wohnheim untergebracht werden können und einige von uns in der Stadt in einem Hotel wohnen müssen, melde ich mich sofort für die Unterbringung im Hotel an. Die Abtei hat in einem äußerst einfachen Ein-Sterne-Hotel ein paar Zimmer angemietet, das zwischen der Zitadelle am Jaffa-Tor und dem Neuen Tor hinter dem Lateinischen Patriarchat in der Altstadt liegt. Es nennt sich „Knights-Palace-Hotel“, also „Ritterpalast“! Ursprünglich war es eine im neugotischen Stil errichtete Pilgerherberge mit hohen Zimmern und spitzbogenförmigen Fenstern. Später wurde es umgebaut und zwar so, dass jeweils ein Zimmer durch eine Mauer in der Mitte abgeteilt wurde und somit zwei schmale Einzelzimmer geschaffen wurden, wobei im Eingangsbereich dieser beiden Einzelzimmer ein kleiner Vorraum für eine Dusche abgeteilt wurde, die nun von beiden Zimmerbewohnern benutzt werden kann. Diese Unterbringung außerhalb des Abteigeländes ist für mich ideal, um auf eigene Faust das Land zu erkunden und mich vom festgezurrten Studienbetrieb abzusetzen. Bald darauf schießt mir der Gedanke durch den Kopf, ob es wohl möglich ist, vielleicht schon im ersten Semester dieses Studienjahres alle erforderlichen Prüfungen und schriftlichen Arbeiten zu absolvieren, die in der Prüfungsordnung der Theologischen Fakultät festgelegt sind. Danach könnte ich in diesem hochinteressanten Land herumreisen und meine eigenen Erkundungen anstellen. Da ich aber ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) bekomme, ist die Teilnahme an den vorgeschriebenen Seminaren und das Bestehen sämtlicher Prüfungen obligatorisch, ansonsten müsste ich nämlich dieses Stipendium wieder zurückerstatten. Also gehe ich mit großem Eifer daran, gleich im ersten Semester möglichst alle obligatorischen Referate und sämtliche Seminararbeiten zu verfassen und die erforderlichen Prüfungen abzulegen, damit ich im zweiten Semester genügend Zeit habe, einige Reisen durch Israel, durch die Sinaihalbinsel und, wenn möglich, durch das benachbarte Jordanien zu unternehmen.
Mein Zimmer im Knights-Palace-Hotel ist ein sehr kärglich eingerichtetes Gemach. Das Inventar besteht aus einem eisernen Bettgestell, einem alten, zerkratzten und schwer angerempelten Kleiderschrank sowie aus einem kleinen runden Tischchen mit zwei Klappstühlen. Die drei alten muffigen Matratzen in diesem Bett, auf die man sich lediglich zwischen zwei Leintüchern hinlegen kann, erscheinen mir bei näherer Betrachtung nicht ganz geheuer zu sein. Sie haben, wie wir so zu sagen pflegen, ein „Geschmäckle“. Und als ich mich in meinem Zimmer noch genauer umsehe, bemerke ich an der Wand, wie langsam ein Gecko hinaufkriecht, um sich vor mir in Sicherheit zu bringen. Da ich nicht weiß, dass diese Geckos durchaus nützliche Tieren sind, weil sie sich darauf spezialisiert haben, lästiges Ungeziefer zu vertilgen, versuche ich dieses echsenartige Wesen mit einem Besen zum Fenster hinaus zu bugsieren. Doch dieses verdammte Miststück zieht sich mit seinen Saugnäpfen ganz hinauf in die gewölbte Decke hoch. Ich steige auf mein rundes Tischchen, doch selbst von hier aus kann ich es nicht mehr erreichen. Da ich mich aber auf die Gründlichkeit des Reinigungspersonals nicht verlassen will, gehe ich erst einmal in die Stadt und besorge mir ein Ungeziefer-Desinfektionsspray, um die Matratzen zu desinfizieren. Das Bett, den Schrank, den Tisch und beide Stühle reinige ich gründlich mit Putzmittel und Lappen, die ich aus der Besenkammer in der frei zugänglichen Gäste-Toilette des Hotels besorge. Weil ich aber partout mit dem Gecko mein Zimmer nicht teilen will, mache ich mich nun erneut daran, ihn mit einer Schachtel einzufangen, die ich mir beim Küchenpersonal besorgt habe. Doch wieder entzieht er sich mir in den für mich unerreichbaren Spitzbogen des Zimmers. Schließlich gebe ich meinen Kampf gegen diese eigenwillige Kreatur entmutigt auf, öffne das Fenster in der Hoffnung, dass er in der Nacht von alleine verschwindet und sich vielleicht etwas nahrhafteren Jagdgebieten zuwendet.
Dass meine Skepsis in puncto Sauberkeit schon beim Einzug in dieses Hotel durchaus angebracht war, bestätigt sich im Laufe der kommenden Wochen und Monate, in denen ich hier als ständiger Gast nun gezwungenermaßen so allerhand mitbekomme. Denn mit der Zeit lernt man die Arbeitsmoral des arabischen Personals bestens kennen und bekommt einen sehr guten Einblick in die Gepflogenheiten der hier arbeitenden Bevölkerung, was einem normalen Touristen oder Pilger, der nur wenige Tage oder mitunter auch mal eine Woche in Jerusalem verweilt, gar nicht auffällt.
Mein Zimmer liegt im Erdgeschoss des Hotels nur wenige Schritte vom Haupteingang entfernt. Der Ausblick aus dem Fenster ist allerdings sehr düster. Wenn ich die eisernen Fensterläden zurückschiebe, blicke ich in einen betonierten Hinterhof, der in keiner Weise genutzt wird und deshalb total leer und kahl ist. Ab und zu erscheinen lediglich einige Angestellte und rauchen eine Zigarette, ansonsten ist es da draußen völlig ruhig. Links und rechts wird der Innenhof eingerahmt durch die hässlichen Wände des Hotels, gegenüber wird die Sicht versperrt durch die Jerusalemer Stadtmauer, deren grob gemauerte Zinnen die einzigen architektonisch interessanten Bauteile des gesamten Areals bilden. Ab und zu kommen ein paar Touristen auf der Verteidigungsrampe der Stadtmauer vorbei und schauen meist durch die Zinnen hinüber zur Neustadt. Ganz selten dreht sich mal einer um und blickt auf den kahlen Hof des Hotels herein, so dass ich mein Fenster bedenkenlos offenstehen lassen kann und mich relativ ungestört meinen Studien und Schreibarbeiten widmen kann.
Wem dieses Knights-Palace-Hotel gehört, ist mir nicht bekannt, jedenfalls wird es von drei älteren Nonnen einer niederländischen Schwesternkongregation geführt, die sich sehr modern und aufgeschlossen zeigen, indem sie tagsüber zumeist in ziviler Kleidung herumlaufen und das arabische Personal beaufsichtigen, das ausschließlich aus Männern besteht.
Mit sieben weiteren Studenten bin ich hier untergebracht und nehme täglich im Speisesaal meine Mahlzeiten ein, die uns an einem langen Tisch serviert werden. So sehr unsere Kellner rein äußerlich auf „gewisse Etikette“ achten, so sehr nerven sie uns auch mitunter gewaltig, vor allem, wenn sie uns morgens, mittags und abends unsere Speisen äußerst langsam und umständlich servieren. Obwohl sie zu dritt oder zu viert permanent um uns herumschlawenzeln, dauert es sehr lange, bis wir endlich unsere Mahlzeiten serviert bekommen und alle drei Gänge einnehmen können. In der orientalischen Welt ticken die Uhren anders. Sie scheinen nicht verstehen zu können, dass wir pünktlich zu Beginn der Vorlesungen in der Hochschule sein müssen und sonst zwischendurch noch studieren, die Prüfungen ablegen und unsere wissenschaftlichen Seminararbeiten verfassen müssen.
Viel lieber wäre es uns natürlich, wenn wir unser Essen an einer Theke selbst abholen könnten, dann wären wir ihren wechselnden Launen nicht ständig ausgesetzt und müssten auch auf ihre übersteigerte „Kellner-Ehre“ nicht unentwegt Rücksicht nehmen. Sobald wir uns mal etwas selbst holen möchten, weil es uns wieder einmal zu lange dauert, sind sie zutiefst beleidigt. So sind wir den mitunter starken Stimmungsschwankungen dieser Burschen unentwegt ausgeliefert, zumal die Nonnen sich aus dem Alltagsgeschäft so ziemlich heraushalten. Je vertrauter im Laufe der Zeit uns diese Kellner werden, desto mehr nehmen sie sich uns gegenüber heraus. Manchmal lassen sie uns sogar so lange warten, bis die Suppen oder die Speisen wieder kalt geworden sind, bisweilen ist auch das Fleisch nicht ordentlich durchgegart oder sogar schon verbrannt, so dass es völlig ungenießbar ist. Unsere Beschwerden bei den Schwestern laufen immer ins Leere. Vermutlich haben sie ihr Personal nicht im Griff, womöglich aber glauben sie uns unsere Beanstandungen auch nicht, denn sie behaupten jedes Mal, dass sie oben in ihrem Speisezimmer genau dasselbe Essen bekommen würden wie wir. Dabei ist es sogar mehrmals in einer Woche schon vorgekommen, dass uns morgens jeglicher Appetit vergangen ist, wenn wir mit dem Eierlöffel unsere Frühstückseier aufschlugen und ein unerträglicher Gestank sich über unserem Achtertisch breit machte. Selbst die immer gleich harten Brötchen und die chemisch künstlich riechende Orangenmarmelade schmecken bei solch einem Ereignis dann überhaupt nicht mehr. Das Fleisch ist meistens derart zäh, dass es trotz langem Kauen nicht hinuntergeschluckt werden kann. So bleiben mir oft nur die fettig-lappigen und zumeist kalten Pommes übrig, die ich mit etwas Senf hinunterwürge. Die Folge dieser einseitigen und miserablen Ernährung ist, dass ich ständig Durchfall habe und mir oft schon der Appetit vergeht, wenn ich den Speisesaal betrete. Manche meiner Mitstudenten drücken ihren Frust bei diesen Mahlzeiten dadurch aus, indem sie die Kellner mit überlautem Gejohle begrüßen, wenn ihnen mal wieder irgendeine eigenartige Überraschung serviert wird. Doch dieses Verhalten stachelt das Bedienungspersonal nur noch mehr an, uns in burschikoser und rüpelhafter Weise zu bedienen.
Weder Tee noch Tabletten helfen mir, meine Magen- und Darmprobleme zu lindern. Die ölig-fettigen Speisen kann ich kaum vertragen und bald kommt es immer häufiger vor, dass die ganze Mahlzeit, wenn ich zurück in meinem Zimmer bin, blitzartig aus mir herausschwappt und im Waschbecken verschwindet. Die Folge dieser ungesunden Lebensweise ist, dass ich immer leichtgewichtiger werde, obwohl ich ohnehin schon ziemlich schlank bin. Wer an dieser Unterkunft, Kost und Verpflegung am meisten verdient, kann ich nur vermuten. Ob die Abtei einen viel zu niedrigen Preis ausgehandelt hat, so dass die Nonnen kaum etwas bekommen, ob diese Klosterfrauen mit dem Geld nicht richtig wirtschaften können und ihre Einnahmen für andere „christliche Zwecke“ verwenden oder ob das arabische Küchenpersonal uns Studenten lediglich mit miserablen Fressalien abspeist und vom Hoteleinkauf die besten Fleischstücke in die eigenen Töpfe wandern lässt, darüber kann ich nur spekulieren. Möglicherweise verdienen jedoch alle „Drei im Bunde“ an unseren Stipendien ganz gut, die wir schon in Deutschland an die Abtei abtreten mussten, weil angeblich die Inflationsrate in Israel so hoch sei und außerdem uns hier das Geld auf sonstige Weise abhandenkommen könnte.
Doch diese miserable Verköstigung halte ich nicht mehr aus. Dieser Umstand spornt mich nun umso mehr an, sämtliche Prüfungen und Seminararbeiten schon im ersten Semester so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, damit ich mir in der Stadt eine andere Unterkunft suchen und mich selbst verpflegen kann. Deshalb belege ich an der Hochschule sehr interessante Seminare und faszinierende Vorlesungen, verfasse drei Seminararbeiten und nehme im laufenden Semester noch an fünf Prüfungen teil, um die Auflagen des DAAD (Deutschen Akademischen Austauschdienst) zum Erhalt meines Stipendiums so schnell wie möglich zu erfüllen.
Besonders fesselnd sind für mich die archäologischen Vorlesungen über die „Topographie Jerusalems“. Diese Vorlesungen werden durch Exkursionen zu den verschiedensten Ausgrabungsstätten ergänzt, bei denen wir an Ort und Stelle die dazu entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse erfahren. Mehrere Professoren beleuchten aus ihren unterschiedlichen Sichtweisen die Hintergründe der historischen Orte, so dass wir von den alt- und neutestamentlichen Exegeten sowie von Dozenten der Archäologie die neuesten Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung erklärt bekommen. Auf diese Weise wird uns ein sehr realistisches Bild der biblischen Lebenswirklichkeit vermittelt.
Auch die Vorlesung des bekannten jüdischen Schriftstellers Schalom Ben Chorin über die „Strukturen einer Theologie des Judentums anhand des maimonidischen Credo“ faszinieren mich ungemein, so dass ich mich dazu entschließe, am Ende des Semesters über den von ihm vorgetragenen Lehrstoff eine Semesterprüfung abzulegen. In die Welt des Islams werden wir von Professor Dr. Buhrbag eingeführt, die mich ebenfalls in den Bann zieht. In seinem Seminar über die islamischen Herrscherdynastien verfasse ich eine schriftliche Arbeit über „Die Abbasiden“, und nachdem ich meine Arbeit im Seminar vorgetragen und sie vom Professor zusammen mit den Mitstudenten diskutiert und besprochen habe, äußert er sich sehr wohlwollend über meine Leistung und zensierte mein Referat mit einer glatten Eins. Allerdings muss ich nun aufgrund dieser guten Zensur in den folgenden Tagen immer wieder den Spott meines Studienkollegen Franz ertragen, der diese „gönnerhafte“ Benotung dahingehend interpretiert, dass der Professor eine gewisse Schwäche für meine Person gezeigt habe, wie er es angeblich während meines Vortrages genau an ihm beobachten konnte. Deshalb habe, so behauptet Franz süffisant, diese Benotung absolut nichts mit meiner angeblich „brillanten“ Leistung und schon gar nichts mit meinem Wissensstand über den Islam zu tun. In sarkastischen Bemerkungen bespöttelt mich Franz immer wieder und behauptet, dass ich diese gute Note nach seiner Meinung lediglich nur dem Umstand zu verdanken habe, dass Buhrbag mich als seinen „Lieblingsschüler“ auserkoren und dieser Professor sich schlichtweg in mich „verguckt“ habe. Seine spitzfindige Annahme stützt er auch darauf, dass Buhrbag sich regelmäßig in den Pausen und am Ende seiner Seminarsitzungen an mich wandte, um mit mir ins Gespräch zu kommen. Anfangs will ich seine frotzelnden Bemerkungen gar nicht so richtig wahrhaben. Doch alsbald fragt mich Professor Buhrbag doch tatsächlich, ob ich denn nicht Interesse daran hätte, mit ihm zusammen interessante Gedichte und schön-geistige Literatur zu lesen. Auf meine Frage, welche Art von Literatur er denn meine, schlägt er sofort seinen Lieblingsschriftsteller Stefan George vor. Allerdings hält sich mein Interesse für solche außerplanmäßigen Lesungen sehr in Grenzen, da ich ja so schnell wie möglich meine Semesterprüfungen hinter mich bringen und aus dem Hotel ausziehen möchte, um auf eigene Faust das Land Israel zu erkunden. Doch der Professor lässt sich leider nicht so einfach abwimmeln. Wiederholt stellt er mir die geistige Bereicherung einer privaten Literaturlesung als überaus erlebnisreiches Ereignis vor und lädt mich nachmittags zu Spaziergängen durch die Altstadt von Jerusalem ein, um mich dabei noch mehr in die „arabische Welt“ einführen zu können. Auch bei diesen Spaziergängen kommt er immer wieder auf die privaten Dichter-Lesungen zu sprechen, die im privaten Kreis für jeden Beteiligten ein bleibender persönlichen Gewinn sei, zumal sie hier in der faszinierenden Umgebung von Jerusalem stattfinden, an die wir uns sicherlich später gerne zurückerinnern werden. Außerdem möchte er auch bei dieser Gelegenheit die Chance nützen, noch besser die Denkweise seiner Studenten kennenzulernen, da er ja auch sehr daran interessiert sei, wie wir junge Männer heutzutage leben und denken und unseren Alltag gestalten würden. Aus diesem Grunde schlage er vor, dass er mich einfach einmal unkompliziert in meinem Zimmer im Hotel besuche, um mit mir zusammen diese Gedichte von Stefan George zu lesen. Doch als er mir diesen Vorschlag unterbreitet, gerate ich in höchste Alarmstimmung. Der Professor bei mir in meinem kleinen Zimmer? Zutiefst bedaure ich nun, dass ich mich so persönlich auf ihn eingelassen habe und mit ihm durch die Altstadt gewandert bin. Zaghaft weise ich ihn darauf hin, dass mein Zimmer doch viel zu eng und zu ungemütlich für eine solche Lesung sei, da kaum zwei Leute bequem nebeneinander auf zwei Stühlen darin Platz fänden. Doch dieses Argument wischt er schnell beiseite. Im Gegenteil, gerade eine solch schlichte Behausung fände er ideal und passend für diese Gedichte, die in solch einem bescheidenen Schauplatz vorgetragen erst voll zur Geltung kämen. Was ich auch sage und wie ich auch argumentiere, der Professor findet alles grandios und super ideal, um seine literarische Schriftlesung in meiner Bleibe durchführen zu können. Er zieht seine Schlinge immer mehr um meinen Hals, so dass ich kaum Luft zum Atmen habe. Mit gezücktem Terminkalender steht er mir gegenüber, so dass ich geradezu den Eindruck habe, dass es ihm sogar einen gewissen Spaß macht, mich so „zappeln“ zu sehen, wie ich vergeblich versuche, mich vor diesem Termin zu drücken. Ich komme mir vor wie eine Maus, die von einer Schlange fixiert wird, um schon im nächsten Augenblick von ihr verschlungen zu werden. Machtlos, fast willenlos stimme ich zu, genüsslich schlägt Buhrbag den kommenden Donnerstag nachmittags um 15 Uhr vor, den er als privaten „Vorlesungstermin“ in seinem Kalender einträgt. Mit großem Herzklopfen verabschiede ich mich höflich von ihm und gehe so schnell wie möglich zu Franz, dem ich mein Dilemma beichte.
Sehr aufgeregt und mit hochroten Wangen suche ich bei ihm Hilfe:
„Franz, ich muss unbedingt mit dir reden.“
„Was ist denn mit dir los? Was hast du denn?“, fragt er überrascht und frotzelt, „na, warst du wieder mit deinem Professor spazieren?“
„Du weißt genau, dass mir das alles sehr peinlich ist!“, halte ich ihm entgegen, „ich weiß einfach nicht, wie ich da wieder herauskommen soll? Er will mit mir zusammen jetzt unbedingt auch noch Gedichte von Stefan George lesen! Und das auch noch in meinem Zimmer!“, berichte ich ihm verzweifelt.
Doch Franz bekommt einen Lachanfall und sagt:
„Das hast du jetzt davon! Ja, ja, so ist es eben, wenn man im Seminar so gute Noten schreibt! Die Herren Professoren haben halt immer etwas übrig für solche kleinen Streber, die brav und eifrig ihre Hausaufgaben machen.“
„Du weißt genau, dass ich nichts dafür kann! Oder wie dumm und dappig soll ich mich denn anstellen, damit er sich für mich nicht mehr interessiert?“, versuche ich ihm, meine Situation zu erklären und bitte ihn dringend:
„Du musst unbedingt bei diesem Termin mit dabei sein! Alleine stehe ich so eine „Lesung“ nicht durch!“
„Aber ich kann doch nicht einfach bei deinem Tete-a-tete mit anwesend sein? Was würde denn der Professor dazu sagen?“, wendet er ein, um sich vor dieser für ihn anscheinend unangenehmen Aufgabe zu drücken.
„Doch! Du kannst ohne weiteres bei dieser Lesung mit dabei sein, da du dich ja ohnehin für schön-geistige Literatur interessierst! Das hast du mir schon einige Male mit deiner ausgezeichneten Literaturkenntnis bewiesen! Oder etwa nicht? Und wenn wir ihm sagen, dass du ebenfalls bei solch einer Dichter-Lesung mitmachen möchtest, dann kann er doch nichts dagegen einwenden? Ach bitte, hilf mir doch!“, flehe ich ihn an.
Nach längerem Hin und Her gibt Franz schließlich nach und lästert:
„Na gut, dann komm ich halt zu eurem Privatunterricht. Dann werde ich deine Gouvernante spielen und schön auf dich aufpassen, dass der Professor dir nicht ans Eingemachte geht.“
Mit einem unguten Gefühl räume ich am Donnerstag im Hotel mein Zimmer auf, hole im Speisesaal auf einem Tablett drei Kaffeegedecke und einen Teller, auf den ich das Gebäck legen kann, das ich in der Stadt eingekauft habe, richte alles mit Servietten auf meinem kleinen runden Tischchen her und leihe mir vom Portier einen dritten Stuhl, der neben den beiden anderen kaum noch Platz hat. Als es 15 Uhr ist, gehe ich zu Franz und bitte ihn herüberzukommen, damit ich nicht allein den Professor empfangen muss.