Die Seelentöter – Band 3: Klinikseelsorge in Stuttgart - Bernhard Veil - E-Book

Die Seelentöter – Band 3: Klinikseelsorge in Stuttgart E-Book

Bernhard Veil

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Beschreibung

Im 3. Band der Reihe „Die Seelentöter“ wechselt Thomas, der als Pastoralreferent bisher in einer Kirchengemeinde gearbeitet hat, in die Klinikseelsorge. Sein katholischer Priesterkollege macht ihm den Einstieg nicht einfach. Sein Statusdenken und seine Profilierungssucht behindern ein gutes kollegiales Verhältnis, zumal dieser Priester und die beiden evangelischen Pfarrer der Auffassung sind, dass sie ihren neuen Kollegen als einen ihnen untergebenen Mitarbeiter behandeln dürfen. Von Seiten seiner Vorgesetzten im Bischöflichen Ordinariat kann Thomas keine Hilfe erwarten, zumal das gesamte kirchliche Denken und Handeln sich ohnehin nur um das Priesteramt dreht und dieser Sichtweise alle kooperative Zusammenarbeit untergeordnet werden muss. Sie alle stehen auf dem Standpunkt, dass dem Priester und den Pfarrern zugearbeitet werden müsse ganz gleich, wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen. Eigenverantwortliches Arbeiten ist deshalb nur sehr bedingt möglich, außerdem bleiben sämtliche Mitarbeiterrechte auf der Strecke, da in Deutschland für die Kirchen das Betriebsverfassungsgesetz keine Gültigkeit hat, das jedem Arbeitgeber eine klar geregelte Fürsorgepflicht für ihre Arbeitnehmer vorschreibt. Jegliches eigenständige Denken und Handeln kann somit von den Priestern und Pfarrern torpediert und autoritär unterbunden werden. Als der Vatikan auch noch die Predigterlaubnis der sogenannten „Laientheologen“ gravierend einschränkt, wird die kollegiale Zusammenarbeit zwischen Thomas und seinen Priester- und Pfarrerkollegen unerträglich.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Mein neues Arbeitsumfeld

Abwechslung vom Klinikalltag

Pater Witt

Dem abwertenden Umgang entkommen

Neue Perspektiven

Aufstieg des Kollegen Stolzenburg

Klinikseelsorge-Ausbildung

Kircheninternes Getratsche

Neue Kollegen - neue Aufgaben

Pfarrverweser der Domgemeinde

Ein Stammtisch der besonderen Art

Aufschlussreiche Konferenzen

Von allen Seiten kommen Anfragen

Predigtverbot

Vorstand im Berufsverband

Was bewirke ich?

Allein im Katharinenhospital

Kurzurlaub

Besuch meiner Patentante

Miserable Kollegialität

Besuch von Ottmar

Tagung der Klinikseelsorger

Neue Perspektiven

Impressum

Bernhard Veil

Die Seelentöter

Meine Erfahrungen in der katholischen Kirche

Band 3

Klinikseelsorge in Stuttgart

ISBN 9789463675383

2020 Bookmundo

3. Auflage

Alle Rechte liegen beim Autor.

Umschlaggestaltung: Hannes Klein / jkdtp

Vorwort

Unter der Reihe „Die Seelentöter“ berichte ich von meinen Erfahrungen, die ich als Mitarbeiter in der katholischen Kirche erlebt habe. Damit der Focus der beschriebenen Personen nicht nur auf Priester, Pfarrer und sonstige Kleriker gerichtet ist, habe ich auch mehrere Episoden aus meinem Leben und Werdegang hinzugefügt. Alle Namen der beschriebenen Personen wurden abgeändert, die angeführten Institutionen und Handlungsorte jedoch beibehalten, so dass jeder sich ein Bild darüber machen kann, was sich vor wenigen Jahren an diesen Schauplätzen ereignet hat. Die zitierten Schriftstücke sind im Originaltext wiedergegeben und wurden lediglich mit den Namen, die von mir abgeändert wurden, ausgetauscht. Alle angeführten Briefe und schriftlichen Belege sind wortwörtlich zitiert, so dass der Leser erkennen kann, welche Konsequenzen die kirchlichen Entscheidungsträger aus den vorgegebenen Situationen gezogen haben.

Um das Kostenrisiko in Grenzen zu halten, habe ich auf ein Lektorat verzichtet, sollten sich im Text Fehler eingeschlichen haben, dann bitte ich Sie, mir diese Mängel zur Berichtigung mitzuteilen.

E-Mail-Adresse: [email protected]

Mein neues Arbeitsumfeld

Das Katharinenhospital in Stuttgart besitzt keinen Andachtsraum, deshalb werden die Gottesdienste in einem medizinischen Hörsaal abgehalten. Wenn man diesen Raum betritt, ist links des Eingangs ein großes Podest, auf dem Film- und Dia-Vorführgeräte stehen sowie andere Projektoren, mit denen medizinische Schaubilder nach vorne auf die Leinwand projiziert werden können. Gleich daneben steht für unsere Gottesdienste ein altes Harmonium, auf dem die Lieder begleitet werden können. Die fest eingebauten Sitzreihen im Hörsaal fallen in steilen Stufen hinab, wo unten ein großer Labortisch vor einer breiten Wandtafel für medizinische Lehrveranstaltungen steht. Rechts ziert ein menschliches Gerippe ausgestattet mit den wichtigsten Organen den schmucklosen Raum, daneben ein Rednerpult mit Mikrofon und verdeckter Beleuchtung. Seitlich an den Wänden hängen verschiedene Schautafeln für die regelmäßig hier stattfindenden Fortbildungsveranstaltungen und Vorträge der Ärzte und des Pflegepersonals. Durch die wenigen kleinen Fenster an der oberen linken Seite fällt nur spärlich Tageslicht herein, deshalb wird der Saal mit vielen hellen Neonröhren gut ausgeleuchtet. Für unsere Gottesdienste wäre ein gedämpfteres Licht durchaus angenehmer, denn leider lassen sich die vielen Leuchtröhren nicht einzeln anschalten oder dimmen.

Als ich am Sonntagmorgen hier im Hörsaal eintreffe, steht die Eingangstür weit offen und Pater Witt ist eifrig dabei, die Vorbereitungen für seine Messfeier zu treffen. Heute soll ich in diesem sonntäglichen Patientengottesdienst offiziell in meinen Dienst eingeführt werden. Nach kurzer Begrüßung helfe ich ihm, neben dem Labortisch einen kleinen Altar aufzubauen, damit er die Heilige Messe zelebrieren kann und richte für die Lesungen und die Predigt das Rednerpult her. Die ersten Patienten kommen bereits herein, ich gehe auf sie zu und begrüße sie. Auch eine ältere Dame, Frau Leiss, die gerade das Harmonium öffnet und ihre Notenbücher bereitlegt, begrüße ich freundlich und stelle mich als neuen Mitarbeiter der Klinikseelsorge vor. Ich übergebe ihr einen kleinen Zettel, worauf der Verlauf des Gottesdienstes und die Lied-Nummern vermerkt sind. Frau Leiss, eine sehr fröhliche und vitale Frau, freut sich, dass sie mich nun kennenlernen kann und gesteht, dass sie schon davon gehört habe, dass heute ein neuer Seelsorger hier eingeführt werden soll. Als ich sie frage, wie lange sie denn hier im Katharinenhospital die Lieder bei den Gottesdiensten schon begleite, erzählt sie:

„Ach, das weiß ich ja schon gar nicht mehr so genau, wann ich damals angefangen habe. Das muss gleich nach dem Krieg gewesen sein, als man das Katharinenhospital wieder aufgebaut hatte. Da war ich ja noch ein junges Mädchen“, lacht sie, „damals hat mich der Vikar von St. Eberhard gefragt, ob ich in seinen Messfeiern die Lieder auf einem Klavier begleiten könnte. Und damals fanden diese Messen alle noch vorne in der Besucherhalle statt, wo das Klavier stand.“

„Wie viele Jahre sind das denn schon?“, frage ich erstaunt.

„Mindestens fünfunddreißig, vielleicht auch schon mehr? Ich weiß es gar nicht mehr so genau!“ schmunzelt sie. Ich bin bass erstaunt, dass sie schon so lange diesen Dienst verrichtet, doch bevor ich dazu etwas sagen kann, werden wir in unserem Gespräch unterbrochen, weil ein Herr mittleren Alters neben uns steht und kurz mit mir reden möchte. Ich wende mich ihm zu, er stellt sich als Pfarrer Sauer vor und sagt, dass er der Vorsitzende der Stuttgarter Klinikseelsorger sei und vom Stadtdekan beauftragt worden wäre, meine offizielle Einführung hier vorzunehmen. Er sei Klinikseelsorger im Diakonissenkrankenhaus und außerdem noch für zwei kleinere Stuttgarter Kliniken zuständig. Er sei von der Diözese beauftragt worden, die regelmäßig stattfindenden Klinikseelsorger-Konferenzen zu organisieren, zu denen ich künftig ebenfalls eingeladen werde. Er scheint ein ruhig und besonnen agierender Mann zu sein, der mit mir und Pater Witt nun zusammen den Ablauf des Gottesdienstes besprechen möchte. Pfarrer Sauer und Pater Witt sind sich einig, dass sie beide zusammen unten am Altar die Heilige Messe zelebrieren, ich nach dem Evangelium die Predigt halte und am Schluss des Gottesdienstes zu meiner offiziellen Einführung eine Kommunion-Schale überreicht bekommen soll. Dies soll ein Zeichen dafür sein, dass ich künftig mit meinem Dienstauftrag den Patienten den „Leib Christi“ überbringen werde. Während des Gottesdienstes solle ich in den steil abfallenden Sitzreihen bei den Patienten Platz nehmen, lediglich zur Predigt und zu meiner Einführung solle ich dann zu ihnen zum Altar herunterkommen. Irgendwie ist mir dieses Prozedere unangenehm, denn ich fühle mich von diesen beiden klerikalen Herren mit ihrem wichtigtuerischen Gehabe überrumpelt. Doch was soll ich denn tun? Jetzt, so kurz vor dem Gottesdienst noch andere Vorschläge einbringen? Da die beiden sich einig sind, lässt sich im Ablauf und in der Gestaltung des Gottesdienstes ohnehin nichts mehr ändern. Deshalb nehme ich das Ganze so hin, wie sie es beschlossen haben und lasse bei meiner Einführungsfeier die salbungsvollen und gut meinenden Worte über mich ergehen.

Von jetzt an fahre ich in den folgenden Monaten täglich mit der S-Bahn von Ludwigsburg zu meiner neuen Arbeitsstelle nach Stuttgart ins Katharinenhospital. Auf Nachfrage, wann ich denn in die mir zugesagte Wohnung einziehen könne, vertröstet mich die katholische Kirchenpflege erneut mit dem Hinweis, dass sich die Renovierungsarbeiten im Pfarrhaus verzögert hätten und der Pfarrer von Stuttgart-Botnang noch eine Weile in dieser Wohnung bleiben müsse. Diese unvorhergesehene Umzugsverzögerung verschafft mir allerdings einige Unkosten, da ich meinem Vermieter in Ludwigsburg nun immer noch nicht genau den Zeitpunkt meines Auszugs nennen kann. Somit kann ich ihm keine konkrete Kündigungsfrist nennen und muss ihm leider noch solange die Miete bezahlen, bis er nach meinem Auszug für die Wohnung einen neuen Mieter gefunden hat. Andererseits möchte auch meine Umzugsfirma, die den Bestand meines Hausrats bereits aufgenommen hat, so bald wie möglich wissen, an welchem Tag sie meinen Umzug nach Stuttgart einplanen kann. Auch hier gestaltet sich die Terminplanung schwierig.

Endlich aber ist die Wohnung in Stuttgart-Botnang frei. Abends fahre ich nach meiner Arbeit noch einige Male hin und her und räume selbst noch Gerümpel und manchen Unrat heraus, damit ich schneller einziehen kann. In Küche, Bad und WC entsorge ich die Reste eines alten Teppichbodens, der nach den zurückgebliebenen Klebespuren vermutlich im Schlafzimmer ausgelegt war. Doch leider muss ich feststellen, dass in all diesen Räumen keine neuen Bodenbeläge verlegt sind, wie es von der Kirchenpflege vorgesehen war. Außerdem stelle ich fest, dass die Holzverkleidung am Balkon sehr morsch ist und dringend erneuert werden müsste; die Backröhre im Küchenherd ist mit Kunstharz so verdreckt, dass sie überhaupt nicht zu gebrauchen ist. Sobald man sie einschaltet, entsteht durch die Hitze ein beißender Qualm, der die ganze Küche in kürzester Zeit einnebelt. Vermutlich wurde der Backofen für irgendwelche Bastelarbeiten unsachgemäß benützt. Er ist dadurch völlig unbrauchbar geworden. Leider dauerte die Renovierung des Pfarrhauses wesentlich länger als geplant, so dass die Kirchenpflege nach Auszug des Pfarrers nur noch die notwendigsten Handwerksarbeiten durchführen ließ. Trotzdem bin ich froh, dass ich endlich umziehen kann, so nach und nach werde ich ohnehin selbst so einiges erneuern und renovieren lassen.

Wenn ich an meine offizielle Einführung im Katharinenhospital zurückdenke, muss ich gestehen, dass sie sehr „bescheiden“ war im Vergleich zu den vielen Lobeshymnen, mit denen ich in Ludwigsburg im Beisein von vielen Menschen der Dreieinigkeitsgemeinde verabschiedet wurde. Hier in der Klinik werde ich wohl erst wieder mein Können unter Beweis stellen müssen, um von meinen neuen Kollegen und vom Pflegepersonal akzeptiert zu werden. Mit Vorschusslorbeeren kann ich hier nicht rechnen. Wer weiß denn schon, was ein Pastoralreferent ist? Und wenn, dann werden solche Mitarbeiter ohnehin nur als „Laien“ angesehen. Diesen Eindruck habe ich ja zur Genüge bereits von meinem Priesterkollegen Witt vermittelt bekommen, der mich bei meiner Einführung am liebsten hinten auf den Orgelbock verbannen wollte. Wie diese Zusammenarbeit nun künftig weitergeht, darauf bin gespannt. Zunächst bleibe ich aber zuversichtlich, denn schließlich lässt sich mit Können, zäher Schaffenskraft und Überzeugungsarbeit so manches verändern.

Im Katharinenhospital stehen den Krankenhausseelsorgern für ihre Arbeit drei Räume zur Verfügung. Einer davon liegt nicht weit vom Haupteingang entfernt im Flur zum Hörsaal. Dieser Raum wird sowohl von den beiden evangelischen, als auch von uns katholischen Seelsorgern benutzt, weil von hier aus der Hörsaal gut zu erreichen ist, in dem sonntags die Gottesdienste stattfinden. In diesem von uns gemeinsam genutzten Büroraum sind auch sämtliche Utensilien untergebracht, die wir für unsere Gottesdienste benötigen. Außerdem stehen im gegenüberliegenden Wirtschaftsgebäude ein weiteres Bürozimmer für die beiden evangelischen Pfarrer sowie eines für Pater Witt und mich zur Verfügung. Wenige Tage nach meiner offiziellen Einführung werde ich bei einer ökumenischen Teamsitzung den beiden evangelischen Kollegen vorgestellt. Zwar lernte ich bei meiner offiziellen Einführung vor dem Gottesdienst kurz schon den evangelischen Kollegen, Pfarrer Bohn, kennen, der mich freundlich begrüßte, doch da kein offizieller Stehempfang für Gäste organisiert war, ging er gleich nach dem Gottesdienst weg. Somit lerne ich erst jetzt bei unserer ersten ökumenischen Teamsitzung die beiden evangelischen Kollegen kennen.

Pfarrer Bohn ist ein älterer, grauhaariger Mann von kleiner Statur, der mich mit prägnanten und klaren Worten freundlich willkommen heißt. Bereitwillig erklärt er mir, dass er mir jederzeit behilflich zur Seite stehen werde, wenn ich seine Hilfe benötigen würde oder sonst irgendwelche Fragen hätte. Er ist der Vorsitzende des evangelischen Klinikseelsorger-Konvents von Stuttgart und steht nun kurz vor seiner Pensionierung, so dass er mich leider mit seinem reichen Erfahrungsschatz nicht mehr lange begleiten kann. Der zweite evangelische Pfarrer namens Stolzenburg ist nur wenige Jahre älter als ich, zeigt sich mir gegenüber eher verhalten und distanziert, ansonsten ist er korrekt und freundlich. Gerne hätte ich mich jetzt selbst meinen neuen evangelischen Kollegen etwas ausführlicher vorgestellt, doch meinem katholischen Kollegen Witt sind die nun anstehenden Besprechungspunkte wichtiger, die er nun unbedingt zeitsparend in dieser Runde besprechen will. Daher stellt er mich kurz den evangelischen Kollegen als seinen neuen „Assistenten“ vor und erklärt, dass ich bisher als „Gemeindeassistent“ in einer Ludwigsburger Pfarrei gearbeitet habe und nun zu ihm in die Klinikseelsorge versetzt worden sei. Doch diese Vorstellung geht mir nun doch etwas zu schnell. Ich korrigiere ihn und berichtige, dass ich nicht „Gemeindeassistent“, sondern „Pastoralreferent“ bin. Als Erläuterung füge ich hinzu, dass dies ein neuer Beruf in der katholischen Kirche ist, der für Theologen mit einem vollen Theologiestudium eingeführt wurde, die nicht den Zölibat eingehen wollen und deshalb nicht zum Priester geweiht werden. Als ich auf die Fragen der evangelischen Kollegen eingehen möchte, unterbricht Pater Witt mich abrupt und geht zu seinen Tagesordnungspunkten über. Ich folge schweigend dem weiteren Gesprächsverlauf und höre aufmerksam zu, was die drei Kollegen zu besprechen haben. Am Ende der Sitzung verabschiedet sich mein katholischer Kollege schnell von der Runde, ebenso Pfarrer Stolzenburg. Pfarrer Bohn aber wendet sich mir zu und interessiert sich dafür, wie mein persönlicher Werdegang verlaufen ist. Als er feststellt, dass ich ebenfalls wie er in Stuttgart-Botnang wohne, lädt er mich spontan an einem der kommenden Tage zu sich nach Hause zum Abendessen ein. Diese Einladungen wiederholen sich in der Folgezeit immer wieder, da wir uns recht gut verstehen und auch die Gespräche mit seiner Frau sehr interessant und kurzweilig sind.

Die Krankenstationen des Katharinenhospitals teilt mein katholischer Kollege Witt unter uns beiden nun so auf, dass jeder von uns etwa gleich viele Patienten hat. Auch die beiden evangelischen haben untereinander die einzelnen Krankenstationen in ähnlicher Weise aufgeteilt, so dass für jede Krankenstation ein evangelischer und katholischer Seelsorger zuständig ist. Somit muss jeder Seelsorger im Katharinenhospital etwa die Hälfte der Patienten besuchen. Bei meinem Klinikpraktikum in Ludwigsburg lernte ich jedoch eine andere Aufteilung der Krankenstationen kennen. Dort teilten die evangelischen und katholischen Seelsorger alle Krankenstationen in der Weise untereinander auf, dass jeweils nur ein Seelsorger für eine Station zuständig ist. Bei diesem Besuchsmodell kamen dann nicht die Seelsorger beider Konfessionen auf jede Station, sondern eben nur ein evangelischer oder ein katholischer. Wünschte dort zum Beispiel ein katholischer Patienten auf einer Krankenstation, für die ein evangelischer Seelsorger zuständig ist, einen katholischen Priester, so informierte der evangelische Seelsorger seinen katholischen Kollegen und umgekehrt. Der Vorteil dieser Aufteilung war, dass jeder Seelsorger nur für halb so viele Krankenstationen zuständig war und dadurch für die einzelnen Patientenbesuche sehr viel mehr Zeit zur Verfügung hatte. Pater Witt aber hält von einer solchen Aufteilung der Krankenstationen auf alle vier Klinikseelsorger nichts. Seiner Ansicht nach sei es wichtig, dass jeder katholische Patient grundsätzlich von einem katholischen Seelsorger besucht werden müsse. Er bestimmt, dass jeder von uns im Katharinenhospital von Zimmer zu Zimmer gehen und jeder auf seinen Stationen generell alle Patienten besuchen muss. Da aber in einem Krankenzimmer meist mehrere Patienten liegen und meistens nur einer oder manchmal auch keiner von ihnen katholisch ist, bedeutet diese Arbeitsweise für uns, dass wir bei unseren Besuchen einer sehr großen Anzahl von Patienten begegnen, die gar nicht der eigenen Konfession angehören. Auf diese Weise komme ich bei meinen Besuchen mit vielen Menschen ins Gespräch, die etwa der griechisch-orthodoxen Kirche, der jüdischen, muslimischen, buddhistischen, hinduistischen oder auch keiner Religion angehören. Da aber im Großraum Stuttgart viele Menschen aus fremden Ländern wohnen, die hier keine Verwandten oder Freunde haben, werden sie von niemandem besucht. Wenn solche Patienten sehr lange krank sind und hier in der Klinik bleiben müssen, sind sie überaus dankbar, wenn sie regelmäßig von uns Seelsorgern besucht und betreut werden.

Diese Besuchsmethode ist zwar sehr zeitaufwändig und anstrengend, wenn man tagtäglich von Zimmer zu Zimmer geht und mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch kommen muss, denn nach wenigen Stunden wirbeln einem die vielen Eindrücke nur so im Kopf herum. Andererseits hat es durchaus auch einen positiven Aspekt, denn somit komme ich mit dem gesamten Personenkreis unserer Gesellschaft in unmittelbaren Kontakt und lerne die unterschiedlichsten Schichten der einzelnen Volksgruppen mit ihren verschiedenartigen Denkweisen sehr gut kennen. Ich erfahre, dass alle Menschen, ob groß oder klein, durchaus ähnliche Probleme, Sorgen und Nöte haben, insbesondere wenn es sich um leidvolle Erfahrungen in mitmenschlichen Beziehungen handelt. Ob es um Einsamkeit geht, um persönliche Enttäuschungen oder um die Angst vor Krankheit und Tod, für mich ist es nicht immer einfach, hierbei die richtigen Worte zu finden und auf die Patienten angemessen zu reagieren. Einfühlsames Schweigen, ein sanfter Händedruck sind manchmal besser, um dem Patienten und den Angehörigen mitmenschliche Zuwendung, Nähe, Verständnis und Mitgefühl zu zeigen als viele Worte. Doch es gibt auch eine negative Seite dieser aufwändigen Besuchsweise. Wenn man täglich mit so vielen Patienten ins Gespräch kommt, bleibt oft viel zu wenig Zeit, sich um die katholischen Patienten zu kümmern, für die man ja hauptsächlich zuständig ist. So stehe ich ständig unter einem großen Druck, wenn ich im Laufe einer einzigen Woche rund 600 Patienten besuche und mit ihnen ins Gespräch kommen muss. Viele sind mit großen Ängsten, mit allerlei Problemen und Sorgen belastet und fangen an, ausführlich zu erzählen. Dann benötige ich für sie sehr viel Geduld und Ruhe, um ihnen ein aufmerksamer und mitfühlender Zuhörer zu sein. Wie und auf welche Weise dies mein Kollege Witt bewältigt, ist mir anfangs ein Rätsel. Obwohl ich von morgens bis abends in der Klinik bin, schaffe ich es kaum, in einer Woche alle Patienten auf meinen Krankenstationen zu besuchen. Und abends wenn ich zuhause bin, kreisen mir die vielen Begegnungen und Gespräche nur so im Kopf herum, dass ich nicht mehr Radio hören noch fernsehen kann und auch keine Lust mehr habe, irgendwelche Veranstaltungen in der Stadt zu besuchen. Außerdem habe ich ständig das Gefühl, dass ich mein Soll nicht erfülle und den Erwartungen hinterherhinke. Keinesfalls möchte ich mir doch später einmal vorwerfen lassen, dass einige katholische Patienten bei ihrem Krankenhausaufenthalt nicht besucht worden sind und sie diesen Mangel in ihren Kirchengemeinden oder sonst irgendwo herumerzählen. Dieser Druck lastet sehr auf mir und wird noch wesentlich dadurch verstärkt, dass mein Kollege Witt mir jeden Tag beispielhaft vorexerziert, wie er sogar abends nach der allgemeinen Besuchszeit nochmals durch die Krankenstationen geht, um die Patienten zu besuchen. Dies aber kann und will ich nicht leisten. Den ganzen Tag über und zusätzlich auch noch abends einfühlsame Gespräche führen, dazu fehlt mir einfach die Kraft und die geistige Aufnahmefähigkeit. Wie und auf welche Weise mein Kollege dies schafft, ist mir wirklich ein Rätsel. Allerdings habe ich bei Witt schon bemerkt, dass er bei all seinen Besuchen selbst sehr viel redet und keineswegs einfühlsam zuhört. Doch ein aufmerksames Zuhören ist bei existenziellen Problemen äußerst wichtig und deshalb auch viel anstrengender und schwieriger als selbst von sich zu erzählen. Ob er bei seinen Besuchen etwa weniger Wert auf die Qualität seiner seelsorglichen Gesprächsführung legt? Da er sehr redegewandt ist, wird er diese Fähigkeit bei seinen Besuchen auch gerne einsetzen und recht munter und frei von der Leber weg alles erzählen, was ihm gerade so einfällt. Durch diese Gesprächsmethode lässt er natürlich viele Probleme der Patienten erst gar nicht an sich heran und kann somit auch viel schneller von einem Patienten zum nächsten eilen.

Abwechslung vom Klinikalltag

Während der ersten Wochen gibt es neben den ungewohnt vielen und mitunter sehr anstrengenden Patientenbesuchen auch ab und zu eine angenehme Abwechslung in meinem Klinikalltag. Stadtdekan Kammer von der Domgemeinde St. Eberhard, der mein Chef und Dienstvorgesetzter ist, freut sich sehr, dass er für diese große Klinik in seinem Gemeindebezirk nun einen zusätzlichen Mitarbeiter hat. Da ich zu seiner Domgemeinde gehöre, ist es vom Bischöflichen Ordinariat so vorgesehen, dass ich in der Dompfarrei mit einem Dienstauftrag mitarbeiten soll. Darüber wurde ich jedoch vom Bischöflichen Ordinariat gar nicht informiert und erkundige mich deshalb beim Personalreferat in Rottenburg, ob ich nun tatsächlich auch in St. Eberhard in der Gemeindearbeit mitarbeiten müsse. Der zuständige Referent Mistel teilt mir mit, dass dies tatsächlich der Fall sei und ich einen Auftrag eventuell in der Jugendarbeit übernehmen und zusätzlich noch im Predigtdienst eingesetzt werden solle. Da mir die zeitaufwändige Jugendarbeit von Ludwigsburg bestens bekannt ist und ich von dieser Nachricht nicht sehr angetan bin, frage ich, ob ich stattdessen nicht eher einen Auftrag in der Erwachsenenbildung übernehmen könnte. Noch aber sei nichts Konkretes entschieden, teilt er mir mit, doch er werde bei Gelegenheit auf mich zukommen, sobald er mit mir meine Arbeitsumschreibung besprechen könne. In St. Eberhard wird demnächst der Domdekan Kammer in den Ruhestand gehen, ebenso der dortige Diakon, so dass man diese Neubesetzungen erst einmal abwarten müsse, um auch meine endgültige Aufgabenzuständigkeit abzuklären. Zumindest jedoch könnte ich mich erst einmal als neuer Klinikseelsorger in der Domgemeinde vorstellen und dort in den Sonntagsgottesdiensten den Predigtdienst übernehmen.

Also predige ich an einem der kommenden Sonntage in allen Gottesdiensten der Domgemeinde St. Eberhard und stelle mich als neuen Mitarbeiter der Klinikseelsorge des Katharinenhospitals vor. Auf Wunsch des Dompfarrers soll ich in ein liturgisches Gewand tragen, damit ich für die Kirchenbesucher als amtlich bestellter Theologe erkennbar bin. Diesem Wunsch komme ich gerne nach, da dies von meinem Pfarrer in Ludwigsburg bei meinem Predigtdienst ebenfalls gewünscht wurde.

Eine weitere angenehme Abwechslung vom Krankenhausalltag sind für mich die Konferenzen der Klinikseelsorger, die etwa alle vier Wochen stattfinden. Man trifft sich in einer wunderschönen Villa, die auf dem Kriegsberg in der Nähe des Bismarckturmes steht, von der man eine herrliche Aussicht über Stuttgart genießt. Dieses vornehme Anwesen wurde der katholischen Kirche von einer reichen Witwe vermacht, um es für die Seelsorge zu nutzen. Da der Bischof und sämtliche Prälaten in Rottenburg bei Tübingen residieren, benötigt die Diözese in Stuttgart kein repräsentatives Gebäude und überließ es den Klinikseelsorgern. Hier wohnt auch unser Vorsitzender, Pfarrer Sauer, zusammen mit seiner Haushälterin und einer Katechetin, die in einer Grundschule Religionsunterricht hält.

Wenn Pfarrer Sauer die Stuttgarter Krankenhausseelsorger in diese Villa einlädt, beginnt die Konferenz stets mit einer Andacht in der Hauskapelle. Anschließend trifft man sich in einem der drei Salons, um erst einmal etwa eine halbe Stunde lang bei Kaffee und Kuchen zwanglos Gespräche zu führen. Danach eröffnet Sauer offiziell die Sitzung und stellt zumeist einen Referenten vor, der mit einem kleinen Vortrag das Tagungsthema einleitet. Nach einer ausführlichen Diskussion folgen noch einige andere Besprechungspunkte bis mit Hinweisen auf interessante Veranstaltungen, Begebenheiten, Neuerscheinungen von Fachbüchern und sonstigen Informationen die Konferenz beendet wird.

Als ich bei meiner ersten Teilnahme in diesem Gremium den Konferenzteilnehmern vorgestellt werde, sind mir alle der etwa dreißig anwesenden Kolleginnen und Kollegen unbekannt, bis auf zwei: mein Kollege Witt vom Katharinenhospital und Lena Mürther, die in meiner ersten Stelle in Böblingen ein halbes Jahr als Supervisorin an unseren wöchentlichen Sitzungen unseres Seelsorgeteams teilgenommen hatte. Wie ich gehört habe, soll sie angeblich mit einem Klinikseelsorger zusammenleben, der ebenfalls hier in der Runde anwesend ist. Wer dieser Priester jedoch ist, wird sich mir sicherlich bald noch erschließen. Als ich in der Pause auf Frau Mürther zugehe und sie freundlich begrüßen möchte, wendet sie sich brüsk von mir ab und sucht sich demonstrativ einen anderen Gesprächspartner. Im Augenblick weiß ich nicht, wie ich ihr abweisendes Verhalten einschätzen soll und denke mir, dass sie vielleicht mit diesem Kollegen gerade etwas Wichtiges zu besprechen habe. Daher schaue ich mich in der Runde um, mit wem ich ins Gespräch kommen könnte und entdecke unter den meist älteren Herren auch zwei jüngere Teilnehmer. Ich geselle mich zu ihnen und bald sich stellt sich heraus, dass der eine Kollege ebenfalls erst seit zwei Monaten im Krankenhaus von Stuttgart-Bad Cannstatt arbeitet. Die Kollegin neben ihm ist bereits seit einigen Jahren als Klinikseelsorgerin in drei kleineren Stuttgarter Fachkliniken eingesetzt. Es entwickelt sich ein angenehmes Gespräch und ich habe das Gefühl, dass ich bei Bedarf diese Kollegen durchaus kurz einmal anrufen und um Rat fragen kann.

Ein anderes Gremium, an dem ich laut Dienstvertrag regelmäßig teilnehmen muss, ist die Dekanatskonferenz, in der sich alle Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten des Dekanates monatlich treffen. Diese Sitzungen beginnen ebenso wie die Klinikseelsorger-Konferenzen immer mit einer Andacht. Auch hier wird mit einer lockeren Gesprächsrunde bei Kaffee und Kuchen begonnen und anschließend zum wesentlich trockeneren Sitzungsteil, dem angesetzten Fachvortrag übergeleitet. Danach folgt über das vorgetragene Thema ein Gedankenaustausch, der mitunter mehr oder weniger kontrovers ausgetragen wird, je nachdem, wie brisant das Thema den Teilnehmern unter den Nägeln brennt. Die rund sechzig Kolleginnen und Kollegen aus den Stuttgarter Gemeinden sind mir weitgehend unbekannt, doch auch hier treffe ich auf zwei Mitarbeiter, die ich bereits kenne.

Einer von ihnen ist Bernd Rieger, Vikar in der Pfarrei St. Fidelis, den ich von einigen Jugendseelsorger-Tagungen kenne und den ich vor einiger Zeit über mein Berufsziel, Priester zu werden, um Rat gefragt hatte. Den anderen Kollegen, Vikar Herbert Neumann, kenne ich vom Collegium Ambrosianum, wo wir beide unser Abitur gemacht haben. Er war damals zwei Jahrgänge über mir, studierte nach seinem Abitur an der Uni Tübingen und ist jetzt Vikar in der Kirchengemeinde St. Elisabeth. Auch in diesem Gremium sind außer diesen beiden Vikaren und einigen Gemeindereferentinnen kaum junge Mitarbeiter anzutreffen, sondern überwiegend ältere Priester. Wenn ich mit diesen Gemeindeseelsorgern ins Gespräch komme, werde ich mitunter gefragt, ob der ständige Umgang mit Patienten im Krankenhaus nicht sehr eintönig sei. Dies empfinde ich ganz und gar nicht, da ich bei meinen Besuchen ja nicht nur zu Schwerkranken und Sterbenden komme, sondern auf den chirurgischen Stationen zumeist auch vielen vitalen Menschen begegne, die noch mitten im Leben stehen und gute Aussicht haben, ihre volle Gesundheit zu erlangen. Das Positive an meinem Beruf als Klinikseelsorger ist vor allem, dass ich bei meinen Besuchen tagtäglich die volle Bandbreite unserer menschlichen Gesellschaft antreffe.

Pater Witt

Das Einzige, was mir allerdings zu schaffen macht, ist mein neuer Arbeitskollege, Pater Witt. Er scheint der Meinung zu sein, dass nur „geweihte Priester“ in der Heiligen Messe das Wort Gottes verkündigen können und nur er als Priester befähigt sei, für das Seelenheil der Mitmenschen zu sorgen. Diese Ansicht spricht er zwar nicht direkt so aus, diese Einstellung erweist sich jedoch immer wieder bei unserer alltäglichen Zusammenarbeit. Schon morgens, wenn wir uns in unserem gemeinsamen Büro begegnen, fragt er nie, wie es mir geht, und führt auch sonst mit mir keinerlei persönliche Gespräche. Sobald er zur Tür hereinkommt, verbreitet er eine gewisse Hektik, um mir deutlich zu machen, wie wichtig er ist und wie eifrig er seinen Dienst in der Kirche ausübt. Ihn interessiert auch nicht, was ich in meinen früheren Arbeitsstellen geleistet habe, sondern sieht in mir lediglich einen ihm untergebenen Mitarbeiter. Das bekomme ich deutlich zu spüren, wenn ich mit Patienten, Pflegekräften und anderen Mitarbeitern der Klinik ins Gespräch komme, bei denen er mich lediglich als seinen „Assistenten“ eingeführt hat. Es scheint ihm wohl sehr wichtig zu sein, überall ganz beiläufig kundzutun, dass er einen „Assistenten“ habe, der ihn bei seiner so wichtigen priesterlichen Seelsorgearbeit unterstützen muss. Treffe ich auf Patienten, die mit Witt ins Gespräch kamen, werde ich durchaus wohlwollend mit den Worten begrüßt:

„Ach, wie schön, dass Sie mich besuchen! Pater Witt hat mir schon erzählt, dass er seinen Assistenten bei mir vorbeischicken wird.“

Oder manche verabschieden sich mit den Worten:

„Ach, sagen Sie doch bitte auch einen Gruß an Ihren Chef, an den Pater Witt.“

Manchmal berichtige ich sie wegen dieser falschen Darstellungsweise, denn Pater Witt hat keine Berechtigung, die Dienstaufsicht oder Fachaufsicht über mich auszuüben, sondern diese obliegt allein unserem gemeinsamen Vorgesetzten. Und das ist für uns beide der Stadtdekan von der Domgemeinde St. Eberhard. Obwohl ich Witt schon mehrmals erklärt habe, dass wir dienstrechtlich gleichberechtigt seien, muss ich immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass er mich bei anderen als „seinen Assistenten“ bezeichnet. Auch habe ich ihm schon ausführlich den Unterschied zwischen Pastoralassistent und Pastoralreferent erklärt und ihm gesagt, dass ein Pastoralassistent nach seinem Universitätsstudium ebenso wie ein Vikar, ein Assistenzarzt oder ein Studienreferendar im Gymnasium eine dreijährige Ausbildungsphase durchläuft, so dass er erst nach der sogenannten zweiten Dienstprüfung zum Pastoralreferenten ernannt werde. Die Ausbildung ist also ähnlich wie bei einem Pfarrer, einem Arzt oder einem Studienrat. Ich mache Witt klar, dass ich nach meiner Dienstprüfung somit nicht mehr „Assistent“ und damit schon gar nicht sein Untergebener bin. Ähnlich ist es mit den Gemeindereferenten, die nach ihrem Studium an einer Fachhochschule zuerst einige Jahre als Gemeindeassistenten arbeiten müssen. Doch von alledem, was ich Pater Witt erkläre, will er nichts wissen. Solche diffizilen Unterschiede gibt es in seinem Jesuitenorden nicht und deshalb will er sich mit solchen „Kleinigkeiten“ auch erst gar nicht auseinandersetzen. Für ihn sind alle kirchlichen Mitarbeiter lediglich „Assistenten“ und müssen die Priester bei ihrer Seelsorgearbeit unterstützen. So bekomme ich also weiterhin zu hören, wenn er im Urlaub ist, ihn auf seinen Krankenstationen vertrete und samstags seinen Patienten die Kommunion bringe:

„Ach, das ist aber schön, dass Sie kommen. Pater Witt hat mir schon gesagt, dass er in den Urlaub geht und dann seinen Assistenten bei mir vorbeischickt, um mir die Heilige Kommunion zu bringen.“

Von manchen werde ich mitunter neugierig gefragt, wo ich denn sonst noch als Kommunionhelfer eingesetzt werde. Zwar versuche ich ihnen zu erklären, dass ich Pastoralreferent sei, ein Beruf, der neu in der katholischen Kirche eingeführt wurde, doch da die meisten noch nichts davon gehört haben, bleiben sie bei dem, was sie von Pater Witt erfahren haben und werden wohl denken, dass er es ihnen schon richtig gesagt hatte. Auf detailliertere Fragen kann ich mich ohnehin nicht einlassen, da ich bei seiner Abwesenheit viele Patienten betreuen und samstags etwa dreißig Patienten die Heilige Kommunion bringen muss. Jedes Mal muss ich dabei eine kleine Andachtsfeier mit Lesung, Gebeten, Fürbitten und Segen halten und das benötigt eben seine Zeit. Denn alle, die bettlägerig sind und sonntags nicht zum Patientengottesdienst kommen können, trotzdem aber den Wunsch haben, vor einer schweren Operation die Heilige Kommunion zu empfangen, können über das Pflegepersonal oder über unseren telefonischen Anrufbeantworter diesen Wunsch uns mitteilen. Auch Angehörige können diese Wünsche uns zukommen lassen und eine Mitteilung in unseren Briefkasten werfen, der an unserem gemeinsamen Büro angebracht ist. Die meisten Patienten aber bitten uns bei unseren Krankenbesuchen, dass sie zwar gerne zum Patientengottesdienst kommen würden, dies wegen einer anstehenden Operation jedoch nicht können und wir ihnen deshalb doch bitte die Kommunion bringen sollen. Bei vielen Schwerkranken stelle ich dabei immer wieder fest, dass das Sprichwort „Not lehrt Beten“ hier im Krankenhaus erst richtig erfahrbar wird. Obwohl viele von ihnen nicht sehr religiös, gläubig oder gar fromm sind und mit Gott, Kirche und Gebeten kaum etwas am Hut haben, wollen sie hier im Krankenhaus, wenn sie zur Besinnung kommen und viel Zeit zum Nachdenken haben, intensiv unseren Dienst in Anspruch nehmen. Eigenartig ist auch, dass an unseren Patientengottesdiensten meistens mehr Männer als Frauen teilnehmen, obwohl es in den Kirchengemeinden ansonsten gerade umgekehrt ist.

Bald aber gebe ich es auf, den Krankenschwestern und Pflegern zu erklären, dass ich nicht „Assistent“ von Pater Witt bin. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern lassen. Andererseits ist es ja ohnehin viel wichtiger, dass wir hier in der Klinik zum Wohle der Patienten gut zusammenarbeiten und da spielt es ohnehin keine Rolle, welche berufliche Position der eine oder andere Seelsorger hat. Wenn es für das Ego von Pater Witt so wichtig ist und er es für sein Wohlbefinden unbedingt nötig erachtet, dass er hier den „Chef“ spielen muss, dann soll er es eben so haben. Was mich allerdings schon etwas stört, ist seine Eigenwilligkeit, dass er unbedingt sämtliche Gottesdienste im Katharinenhospital selbst halten will und mir lediglich zugesteht, dass ich bei seinen Messen gelegentlich die Predigt halten darf. Und diese Aufgabe gesteht er mir nur deshalb zu, weil es unser Bischof für den Beruf der Pastoralreferenten in unserer Diözese so eingeführt hat. Allerdings erlaubt mir Witt es nicht, dass ich vor meiner Predigt das Evangelium vorlese, wie es in unserer Diözese praktiziert wird. Die Predigt ist dazu da, das Evangelium den Gläubigen verständlich zu machen und deshalb ist es sinnvoll, dass der Prediger dieses Evangelium auch selbst vorliest. Doch für Witt ist es außerordentlich wichtig, dass ich während seiner Messfeiern nicht bei ihm im Altarraum Platz nehme, sondern mich hinten zu den Patienten setze, da ich ja wie sie ebenfalls ein „Laie“ bin und nicht dem Stand der „Kleriker“ angehöre. Somit darf ich erst, wenn er das Evangelium vorgelesen hat, zu ihm vortreten und kurz meine Predigt halten, mehr aber nicht. Ein liturgisches Gewand ist für einen solch kurzen Auftritt ohnehin nicht nötig, denn schließlich soll man auch daran den Unterschied zwischen einem „Priester“ und einem „Laien“ deutlich erkennen.

Diese Art meiner Mitwirkung in seinen Gottesdiensten erinnert mich sehr an die Art und Weise, wie schon Pfarrer Dr. Thanner in Böblingen mit mir umgegangen ist. Auch er wünschte nicht, dass ich bei meinen Predigten ein liturgisches Gewand trug. Allerdings billigte er mir wenigstens noch zu, dass ich vor meiner Predigt auch das Evangelium vorlesen durfte, wie es im Dienstauftrag der Diözese Rottenburg-Stuttgart für die Pastoralreferenten vorgesehen ist. Nun muss ich also hier im Katharinenhospital mal wieder mit einem Priester zusammenarbeiten, der die strikte Trennung zwischen „Klerus“ und „Laien“ in seinen Gottesdiensten deutlich zur Schau stellen will. Dagegen sehen viele andere Priester in diesem neu eingeführten Beruf die Möglichkeit, die alte Trennung zwischen Klerikerstand und Laienstand zu nivellieren oder gar aufzuheben. Beim Adelsstand wurde dieser Schritt ja längst vollzogen, auch sie sind nun Bürger unseres Staates wie jeder andere auch. In der katholischen Kirche aber wird der Unterschied zwischen „Klerikern“ und „Laien“ immer noch unentwegt beibehalten. Diese anmaßende Unterscheidung und diese erniedrigende Umgangsweise hat mit der Lehre Jesu Christi nichts zu tun und lässt sich aus seiner Botschaft gar nicht ableiten.

Was mir bei Witt aber total gegen den Strich geht, ist sein Wunsch, dass er nach den Gottesdiensten, in denen ich bei ihm gepredigt habe, unbedingt mit mir noch zusammensitzen möchte, um mir einige „Tipps“ und „Anregungen“ für meine künftigen Predigten zu geben. Er will meine Predigten mit mir durchsprechen und mich wie einen Anfänger behandeln, dem er das Predigen erst noch beibringen muss. Er will jedes Mal über Inhalt und Aufbau, über rhetorische Ausgestaltung und über die persönliche Art und Weise meiner Predigt mit mir reden, aus Höflichkeit gehe ich anfangs noch freundlich darauf ein, weil ich für Anregungen und gute Vorschläge ja grundsätzlich aufgeschlossen bin. Als ich aber erkenne, dass es ihm dabei nur darauf ankommt, an meinen Predigten herumzukritisieren, ohne dabei konkrete und fundierte Verbesserungsvorschläge zu machen, lehne ich seine „Nachbesprechungen“ ab. Seine notorisch gängelnde Besserwisserei wird mir äußerst unangenehm und als er dann auch noch den Vorschlag bringt, dass ich ihm künftig vor seinen Messen eine schriftliche Vorlage von meinen Predigten aushändigen und sie mit ihm vorher durchsprechen solle, wird mir das dann doch viel zu dumm. Nochmals erkläre ich ihm, dass ich bereits seit acht Jahren regelmäßig an den Wochenenden gepredigt habe und ich daher gewiss kein Anfänger mehr sei. Zusätzlich kläre ich ihn auch darüber auf, dass wir als Pastoralreferenten ebenso wie die Vikare die gleiche berufsbegleitende Ausbildung in Homiletik (Predigtausbildung) durchlaufen haben und meine bisherigen Predigten in Böblingen und Ludwigsburg immer sehr gut bei den Leuten angekommen seien. Als ich ihm das alles erkläre, muss ich nun leider feststellen, dass er sich vor meinem Dienstantritt in keiner Weise über meinen Ausbildungsstand informiert hat. Und noch frappierender ist für mich, dass ihn das auch gar nicht interessiert und er davon gar nichts wissen will. Es geht ihm anscheinend nur darum, mir ständig beweisen zu wollen, wer hier der „Chef“ ist und wer das Sagen hat. Ich habe geradezu den Eindruck, dass es bei ihm eine notorische Sucht ist, mich zu belehren, zu gängeln und zu schulmeistern. Denn als ich es abgelehnt habe, nach seinen Gottesdiensten weiterhin mit ihm zusammenzusitzen und meine Predigten von ihm kritisieren zu lassen, reagiert er äußerst verschnupft und redet mehrere Wochen lang nur noch das Nötigste mit mir.

Nach so vielen negativen Erfahrungen, die ich mit Priestern inzwischen gemacht habe, werden meine Bedenken immer größer, ob ich meinen Beruf als Pastoralreferent noch lange so weiterführen kann. Insgeheim mache ich den Herren im Bischöflichen Ordinariat den Vorwurf, dass sie für den Beruf der Pastoralreferenten zwar eine lange und anspruchsvolle Ausbildung verlangen, die dann aber von den Priestern in keiner Weise geschätzt und anerkannt wird. Im Gegenteil, sie tun sogar so, als ob nur sie ein Universitätsstudium mit anschließend praxisbezogener Ausbildung absolviert hätten und behandeln mich wie einen Berufsanfänger, einen Nichtskönner und „Laien“. Dabei ist der Ausbildungsgang eines Pastoralreferenten und eines Pfarrers nahezu identisch. Doch die Herren Kleriker scheinen im Umgang mit ihren pastoralen Mitarbeitern sich nicht im geringsten an einen gewissen Verhaltenskodex halten zu müssen. Dass die Priester sich im Vorfeld nicht damit auseinandersetzen, welche Qualifikationen und Ausbildungsgänge ihre Kollegen und Mitarbeiter im „Laienstand“ mitbringen, ist eine derart ignorante und arrogante Verhaltensweise, die sich durch den ganzen „Klerikerstand“ hindurchzieht. Dies mag vor allem daran liegen, dass sie aufgrund ihrer „Priesterweihe“ und ihres zölibatären Lebensstils so sehr von sich selbst überzeugt sind, dass sie alle anderen Berufe für gering und mitunter sogar für minderwertig erachten. In meiner Ausbildung als Verwaltungsbeamter bei der Stadtverwaltung Aalen wurde ich nie von einem meiner Chefs vor anderen Menschen so abqualifiziert, so missachtet oder gar als „Assistent“ bezeichnet wie ich es mir in der katholischen Kirche von diesen hochnäsigen und blasierten Priestern gefallen lassen muss. Damals wurde ich korrekt behandelt und wenn ich von einem Chef bei Irgendjemandem vorgestellt wurde, hat er mich stets als „Mitarbeiter“ bezeichnet und zwar mit einem gewissen Unterton der Wertschätzung. Und damals hatte ich als Verwaltungsbeamter noch nicht einmal das Abitur in der Tasche, geschweige denn ein Universitätsstudium absolviert.

Dem abwertenden Umgang entkommen

Nach diesen enttäuschenden Erfahrungen mit meinem neuen Arbeitskollegen Witt bin ich heilfroh, dass ich nach einer gewissen Zeit der Einarbeitung nun endlich einige Tage in den Urlaub fahren kann. Da der Stuttgarter Reiseveranstalter wieder auf mich zukam und mir neue Angebote machte, Studienreisen nach Israel zu führen, benütze ich den kommenden Urlaub dazu, mal wieder eine Gruppe zu übernehmen. Zwar ist ein solcher Job ebenfalls sehr anstrengend, wenn man als Reiseleiter täglich mit einem Bus voller hochmotivierter Studienteilnehmer und interessierter Heilig-Land-Touristen zwei Wochen lang durch eine Gegend fährt, um ihnen die vielen historischen Sehenswürdigkeiten zu erklären. Doch diese Studienreisen waren schon während meiner Zeit in Ludwigsburg eine willkommene Abwechslung, um aus meiner Alltagstretmühle zwischendurch mal auszubrechen. Und jetzt, bei diesem ständig wichtigtuerischen Umgangston des Kollegen Witt, kann ich bei einer Reise durch Israel von ihm am besten etwas Abstand gewinnen. Außerdem lerne ich auf solch einer Tour sehr unterschiedliche Menschen kennen. Zwar bin ich zwei Wochen lang von früh bis spät wissbegierigen Leuten ausgesetzt und manche können sich mit ihrer manchmal übertriebenen Neugierde kaum zurückhalten, doch für mich ist es immer wieder schön, alle zwei oder drei Tage das Hotel zu wechseln und bei einem sehr dichten Besichtigungsprogramm die verschiedenen antiken Stätten in dieser faszinierenden Landschaft zu besuchen.

Auch bei dieser Reise beginne ich morgens nach einer freundlichen Begrüßung im Bus die Fahrt mit einer kurzen Besinnung. Hierzu lese ich gerne eines der „Theologischen Gebete“ aus dem gleichnamigen Büchlein von Romano Guardini vor. Diese tiefsinnigen Gedanken werden von den Reiseteilnehmern dankbar aufgenommen, vor allem, wenn wir früh bei Sonnenaufgang durch die wunderschönen und abwechslungsreichen Landstriche des Heiligen Landes fahren. Bei jeder Reise verbringen wir mehrere Tage in Jerusalem, so dass ich auch diesmal die Gelegenheit dazu habe, meine liebe Frau Matt zu besuchen, bei der ich hier während meiner Studienzeit gewohnt habe. Immer noch stehe ich mit ihr in regem Briefkontakt und jedes Mal freuen wir uns beide auf ein glückliches Wiedersehen.

Im Katalog des christlichen Reiseveranstalters werden diese Israel-Reisen unter verschiedenen Aspekten angeboten. Die sogenannten „Pilgerreisen“ richten sich eher an religiös gesinnte Teilnehmer, die quasi eine Wallfahrt zu den heiligen Stätten unternehmen wollen. Die „Wissenschaftlichen Studienreisen“ sind eher für akademisch geschulte Interessenten oder für Religionslehrer zugeschnitten, die ihr erworbenes Wissen auch an andere Personen weitergeben möchten. Israel als touristisches Angebot ist vor allem für solche Menschen gedacht, die das Land eher oberflächlich kennenlernen möchten, jedoch bei ihrem Urlaub auch kulturelle Sehenswürdigkeiten besichtigen und allerlei Wissenswertes erfahren wollen. Meine Reisen werden im Reisekatalog als „Biblische Studienreisen“ ausgeschrieben, um möglichst ein breites Spektrum von Reiseteilnehmern anzusprechen, die sich für das Land der Bibel interessieren und die Zeit ihres Urlaubs für eine geistige Besinnung nützen möchten. Daher sind bei meinen Reisen zumeist sehr unterschiedliche und interessante Persönlichkeiten dabei. Die einen sind bisweilen äußerst religiös geprägt, andere wollen dagegen ihren Urlaub lediglich mit ein bisschen Bildung anreichern und einige von ihnen möchten ihrem Leben etwas mehr Sinn verleihen und sich auf Spurensuche begeben, wie und wo das Christentum entstanden ist und auf welche Weise sie ihre Zukunft neu gestalten können. So sind die Erwartungen auf solch einer Reise durchaus sehr verschieden. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass Reisegruppen mit dreißig und mehr Personen für mich weitaus weniger anstrengend sind als Gruppen mit weniger als zwanzig Teilnehmern. Dies liegt wohl daran, dass bei den großen Reisegruppen im Laufe der Zeit sich die Teilnehmer gegenseitig kennenlernen, sich anderen anschließen und sich somit Untergruppen bilden, denen sich Alleinreisende leichter anschließen können. Bei kleinen Reisegruppen ist die Aufspaltung in solche Kleingruppen dagegen nicht sehr groß, Alleinreisende konzentrieren sich vornehmlich auf mich und nehmen mich bisweilen gehörig in Beschlag.

So habe ich bei dieser Reise eine sehr gesprächige Nonne dabei, die ihren ausgeprägten Mitteilungsdrang kaum zügeln kann. Weil sie unter den wenigen Reiseteilnehmern anscheinend nicht genügend Zuhörer findet, tauscht sie im Bus mit einer Frau, die hinter mir sitzt, ihren Sitzplatz, so dass sie mich noch besser in ihre Gespräche miteinbeziehen kann. Kaum habe ich irgendwelche Erklärungen abgegeben und lege das Mikrofon beiseite, beginnt sie sofort mit ihrer lauten, schrill-durchdringenden Stimme, von hinten auf mich einzureden und erzählt nicht nur mir, sondern auch den übrigen Reiseteilnehmern im vorderen Teil des Busses zahlreiche Anekdötchen und Geschichtchen aus ihrem Leben. Und das in einer so penetranten Weise, dass ich sie jedes Mal höflich unterbrechen muss, wenn ich als Reiseleiter mal wieder selbst etwas erklären möchte. Zwar versuche ich, ihr tagsüber möglichst aus dem Weg zu gehen, um auch mit anderen Mitreisenden ins Gespräch zu kommen, doch immer wieder kommt sie geradewegs auf mich zu und labert mich voll bis der Schädel brummt. Diese Nonne empfinde ich mitunter wesentlich anstrengender als die Patienten im Krankenhaus, wo ich von einem Zimmer zum anderen gehe und mir ebenfalls den ganzen Tag unendlich viele Geschichten anhören muss.

Eine andere Mitreisende ist eine sehr fromme Gymnasiallehrerin, die bei den übrigen Reiseteilnehmern wohl ebenfalls keinen Anschluss findet. Sie ist von meinen biblischen Erklärungen und vor allem von meinen morgendlichen „Theologischen Gebeten“ so sehr angetan, dass sie nach kurzer Zeit einen inneren Drang verspürt und mich fragt, ob sie zusammen mit mir jeden Tag mit einem ganz persönlich gestalteten Nachtgebet abschließen darf. Selbstverständlich stellt sie es mir frei, ob ich mich zu dieser kleinen Besinnungsfeier entweder zur ihr begebe und wir uns auf ihrem Zimmer im Hotel treffen könnten oder auch umgekehrt.

---ENDE DER LESEPROBE---