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Der Tod als Sensen schwingender Knochenmann in dunkler Kutte? Schon lange nicht mehr. Denn der Tod geht mit der Zeit. So hat er einen weltweit aggierenden Konzern geschaffen, der sich um die Millionen von Sterbeaufträgen kümmert, die jeden Tag in der Bestellannahme eintreffen. Werfen wir also einen Blick auf einen normalen Arbeitstag im Leben des Tods.
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Seitenzahl: 31
Veröffentlichungsjahr: 2020
6:00 Uhr, der Wecker klingelte. Abrupt richtete sich eine schlaftrunkene Gestalt auf und schwang die Beine aus ihrem Bett. Die Person schlurfte ins Bad, ging aufs Klo, stellte sich anschließend unter die Dusche und betrachtete sich beim Duschen im Spiegel. Was für ein toller Anblick. Braungebrannt, durchtrainierte Bauchmuskeln, volles schwarzes Haar, hellblaue strahlende Augen. Dieses männliche Aussehen passte hervorragend zur momentanen Stimmung. Heute war ein Tag zum Heldenzeugen und Hundewelpenknuddeln. Da klingelte das Telefon. Leise fluchend griff sich die Person ein Handtuch und lief zum Apparat. Ein Blick auf die im Display angezeigte Nummer genügte und die Stimmung war im Eimer. »WER STÖRT IN ALLERHERRGOTTSFRÜHE? ICH BIN GERADE ERST AUFGESTANDEN«, meldete sich die Person, obwohl sie wusste, wer am anderen Ende der Leitung war. »Aufgestanden?«, antwortete der Anrufer verwirrt, »wieso aufgestanden? Hast du geschlafen?« »JA«, knurrte es zurück. »Spinnst du? Seit wann schläfst du? Du hast noch nie geschlafen. Du musst nicht schlafen. Der Tod schläft nicht. Und überhaupt. Was soll der Blödsinn mit Telefon, Büro, Terminen und so weiter? Kümmer dich lieber um deine Quote. Du hängst mit über zweihunderttausend Seelen hintendran«, schimpfte der Anrufer. Bei dem bis eben noch gutgelaunten Frühaufsteher handelte es sich tatsächlich um den Tod. »DEINE SEELEN INTERESSIEREN MICH NICHT«, entgegnete der Tod, »ICH KÜMMERE MICH UM DIE LEBEWESEN, DEREN ZEIT ABGELAUFEN IST. OB DIE GUT ODER BÖSE WAREN, UND OB DIE IN DEN HIMMEL ODER DIE HÖLLE KOMMEN, ODER OB SIE ZWISCHENGELAGERT WERDEN«, bei diesem Gedanken an das Fegefeuer musste er schmunzeln, »IST MIR VOLLKOMMEN EGAL. WENN DU ZUWENIG SEELEN BEKOMMST MUSST DU HALT MEHR WERBUNG FÜR DEINEN LADEN MACHEN.« Ohne sich zu verabschieden legte der Tod auf. Er lief zurück ins Bad und blickte in den Spiegel. Was für ein fürchterlicher Anblick. Ein fahles, faltiges Gesicht, graue strähnige Haare und eine gramgebeugte Haltung. Dieses erbärmliche Aussehen passte zu seiner momentanen Stimmung. Heute war ein Tag zum Heldenüberfahren und Hundewelpenkastrieren. Die Kontakte zu Luzifer, dem Satan, waren immer mies. Aber er arbeitete nun mal mehr oder weniger für ihn. Eigentlich lieferte er nur die Gesamtzahl von Toten. Zu welchem seiner beiden Abnehmer er wanderte, hatte jeder Tote durch seinen Lebenswandel selbst festgelegt. Auf dem Wrack eines Lasters, dessen Fahrer er einmal holte, hatte er den Spruch 'Tötet sie alle, Gott soll sie sortieren!' gelesen. Das traf ziemlich genau sein Geschäftsmodell. Die Lieben und Netten kamen in den Himmel, die Bösen und Schurken kamen in die Hölle. Und die »kleinen Arschlöcher« wie der Tod sie nannte, wurden im Fegefeuer für eine gewisse Zeit zwischengelagert und durften dann auf Bewährung in den Himmel. Wer wohin kam regelten seine beiden Auftraggeber, also Gott und Satan, unter sich.