Ein Vampir für alle Fälle - Charlaine Harris - E-Book
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Ein Vampir für alle Fälle E-Book

Charlaine Harris

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Beschreibung

Einfach zum Anbeißen!  Sookie ist ja einiges gewöhnt, was übernatürlichen Ärger angeht. Aber diesmal wird es wirklich haarig ... Nachdem Sookie Stackhouse, die gedankenlesende Kellnerin, bei einem Bombenanschlag nur knapp dem Tod entronnen ist, möchte sie jetzt nichts weiter als ein ganz normales, friedliches Leben führen. Aber Sookie wird prompt in neue Machtkämpfe verwickelt, als die Vampire von Las Vegas versuchen, die katastrophale Lage in Louisiana nach dem Hurrikan Katrina auszunutzen und die Macht zu übernehmen. Welche Rolle spielen Sookies Vampirfreunde Eric und Bill bei dem Ganzen? »Harris hat sich diesmal selbst übertroffen: romantische Spannung, übernatürliche Action, jede Menge raffinierte Wendungen und zum Schluss ein Schocker, der die Fans begeistern wird.« Publishers Weekly

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Nachdem Sookie Stackhouse, die gedankenlesende Kellnerin, bei einem Bombenanschlag nur knapp dem Tod entronnen ist, möchte sie jetzt nichts weiter als ein ganz normales, unauffälliges Leben führen. Aber wer so tief in die Angelegenheiten der Vampire und Werwölfe von Louisiana verstrickt ist, kann von einem normalen Leben leider nur träumen. Sookie wird prompt in neue Machtkämpfe verwickelt, als die Vampire von Las Vegas versuchen, die katastrophale Lage nach dem Hurrikan Katrina auszunutzen und die Macht zu übernehmen. Welche Rolle spielen Sookies Vampirfreunde Eric und Bill bei dem Ganzen? Ausgerechnet jetzt soll sie sich auf Geheiß von Eric mit einem Unbekannten treffen – warum, das erfährt sie nicht. Und dann überstürzen sich die Ereignisse…

Von Charlaine Harris sind bei dtv außerdem erschienen:

Vorübergehend tot

Untot in Dallas

Club Dead

Der Vampir, der mich liebte

Vampire bevorzugt

Ball der Vampire

Vampire schlafen fest

Vampirgeflüster

Vor Vampiren wird gewarnt

Vampir mit Vergangenheit

Cocktail für einen Vampir

Vampirmelodie

Die Welt der Sookie Stackhouse

Vampire und andere Kleinigkeiten

Charlaine Harris

Ein Vampir für alle Fälle

Roman

Deutsch von Britta Mümmler

Widmung

Auch wenn sie nicht mehr so gut gehen oder sehen kann wie früher, bleibt meine Mutter, Jean Harris, für mich immer der vollkommenste Mensch, den ich kenne. Sie ist mein Schutzschild, die Grundfeste meines Lebens und die beste Mutter, die eine Frau haben kann.

Prolog

Wenn das hier ›Der Herr der Ringe‹ wäre und ich eine so schöne, geheimnisvolle Stimme hätte wie Cate Blanchett als Galadriel, könnte ich die Hintergründe der Ereignisse im Herbst richtig spannend erzählen. So spannend, dass alle sich um diese Geschichte reißen würden.

Doch was sich in meiner kleinen Ecke im Nordwesten von Louisiana zugetragen hat, ist kein monumentales Epos. Der Vampirkrieg trug eher den Charakter einer feindlichen Übernahme unter Kleinstaaten, und der Werwolfkrieg glich einem Grenzscharmützel. Sogar in den Geschichtsbüchern des supranaturalen Amerika– die sicher irgendwo existieren– sind es nur unbedeutende Kapitel… es sei denn, man war selbst in diese feindlichen Übernahmen und Grenzscharmützel verwickelt.

Dann wurden sie plötzlich verdammt bedeutend.

Und das alles hatten wir Katrina zu verdanken, jener Katastrophe, die immer noch Kummer, Leid und bleibende Veränderungen nach sich zog.

Vor dem Hurrikan Katrina hatte Louisiana eine blühende Vampirgemeinde gehabt. In New Orleans war die Vampirbevölkerung regelrecht explodiert, was die Stadt zu einem Reiseziel für all jene machte, die selbst einmal Vampiren begegnen wollten– und das wollten viele Amerikaner. Die Jazzclubs der Untoten, in denen Musiker auftraten, die jahrzehntelang niemand auf der Bühne gesehen hatte, waren eine besondere Attraktion. Vampir-Stripclubs, Vampir-Hellseher, Vampir-Sex, geheime und nicht-ganz-so-geheime Bars, in denen man sich beißen lassen und auf der Stelle einen Orgasmus haben konnte: All das gab es im Süden von Louisiana.

Im Norden… eher nicht. Dort wohne ich, in einer kleinen Stadt namens Bon Temps. Doch sogar in meiner Gegend, in der es relativ wenig Vampire gibt, machten die Untoten geschäftlich und gesellschaftlich beachtliche Fortschritte.

Kurz gesagt, das Vampir-Business boomte im Pelikan-Staat Louisiana. Doch dann starb der Vampirkönig von Arkansas auf einem Ball, den seine eigene Ehefrau, die Königin von Louisiana, kurz nach der Hochzeit der beiden für ihn gab. Weil die Leiche verschwand und alle Zeugen– außer mir– Supras waren, also übernatürliche Geschöpfe, untersuchten die Gesetzeshüter der Menschen den Fall nicht. Die anderen Vampire allerdings schon, und so geriet Königin Sophie-Anne Leclerq rechtlich in eine äußerst heikle Lage. Dann kam Katrina, und Sophie-Annes Königreich war auf einen Schlag seiner finanziellen Grundlage beraubt. Während die Königin noch mit den Folgen dieser beiden Katastrophen kämpfte, traf sie bereits die nächste. Sophie-Anne und einige ihrer treusten Gefolgsleute– und ich, Sookie Stackhouse, gedankenlesende Kellnerin, aber keine Supra– wurden in Rhodes von einer schrecklichen Explosion überrascht, die das Vampirhotel Pyramide von Giseh zerstörte. Eine Splittergruppe der Bruderschaft der Sonne bekannte sich zu dem Bombenanschlag. Der Vorsitzende dieser »Anti-Vampir-Kirche« verurteilte dies von Hass und Vorurteilen geprägte Verbrechen zwar, doch jeder wusste, dass die Bruderschaft kaum eine Träne vergoss um die bei der Explosion schwer Verwundeten und noch viel weniger um die (jetzt endgültig) toten Vampire oder Menschen, die ihnen gedient hatten.

Die Vampirkönigin Sophie-Anne verlor beide Beine, einige Mitglieder ihres Hofstaates und ihren liebsten Gefährten. Ihr Anwalt Mr Cataliades, ein Halbdämon, hatte ihr das Leben gerettet. Doch ihre Genesung würde noch sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, und die Königin befand sich in jeder Hinsicht in einer geschwächten Lage.

Und was hatte das alles mit mir zu tun?

Ich hatte nach dem Bombenanschlag auf das Vampirhotel geholfen, Leben zu retten, indem ich die Verletzten aufspürte, und machte mir anschließend fürchterliche Sorgen, dass ich die Aufmerksamkeit gewisser Leute auf mich gezogen haben könnte, die sich mein telepathisches Talent zu ihrem Vorteil zunutze machen wollten. Okay, einigen ging’s um einen guten Zweck, und ich hätte auch gar nichts dagegen gehabt, gelegentlich mal einem Rettungsdienst zu helfen. Aber ich wollte selbst über meine Zeit bestimmen. Ich war am Leben, mein Freund Quinn war am Leben, und die Vampire, die mir am wichtigsten waren, hatten auch überlebt. Was Sophie-Annes Schwierigkeiten betraf, die politischen Folgen des Anschlags und den Umstand, dass Heerscharen von Supras das geschwächte Louisiana bereits umkreisten wie die Hyänen eine sterbende Gazelle… darüber dachte ich überhaupt nicht nach.

Ich hatte anderes im Kopf, privaten Kram– das ist alles, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen kann. Und ich habe nicht nur die Schwierigkeiten der Vampire ignoriert. Es gab noch ein weiteres brisantes Problem bei den Übernatürlichen, an das ich keinen Gedanken verschwendet habe und das sich als ebenso entscheidend für meine Zukunft erweisen sollte.

In der Nähe von Bon Temps, in Shreveport, gibt es ein Werwolfrudel, in dessen Reihen sich jede Menge Männer und Frauen des Luftwaffenstützpunktes Barksdale tummeln. Im Laufe des letzten Jahres hatten sich innerhalb dieses Werwolfrudels zwei verfeindete Gruppierungen gebildet. In amerikanischer Geschichte hatte ich gelernt, was Abraham Lincoln, die Bibel zitierend, zu Streitigkeiten dieser Art gesagt hatte: Ein Haus, so es mit sich selbst uneins wird, kann’s nicht bestehen.

Wie konnte ich nur glauben, dass diese beiden Probleme sich von allein lösen würden? Wie konnte ich verkennen, dass ich selbst in die Lösung hineingezogen werden würde? Tja, da war ich wohl mit beinahe verhängnisvoller Blindheit geschlagen. Aber ich kann eben nicht hellsehen, sondern nur Gedanken lesen. Vampirgedanken allerdings nicht, die sind auch für mich totenstill– echt erholsam übrigens. Und die Gedanken von Werwölfen zu entziffern ist zwar nicht völlig unmöglich, aber schwierig. Das ist meine einzige Entschuldigung dafür, dass ich keinen blassen Schimmer hatte von all den Schwierigkeiten, die sich da um mich herum zusammenbrauten.

Und worüber habe ich mir stattdessen den Kopf zerbrochen? Über Hochzeiten– und meinen verschollenen Freund.

Kapitel 1

Ich stellte gerade die Schnapsflaschen auf dem Klapptisch hinter der improvisierten Bar in einer ordentlichen Reihe auf, als Halleigh Robinson angerannt kam, das sonst so hübsche Gesicht gerötet und verheult. Da sie binnen einer Stunde heiraten sollte und immer noch Jeans und T-Shirt trug, hatte sie sofort meine volle Aufmerksamkeit.

»Sookie!«, rief sie, kam zu mir hinter die Bar und ergriff meinen Arm. »Du musst mir helfen.«

Ich hatte ihr bereits geholfen, schließlich trug ich statt meines schönen Kleides, das ich eigentlich anziehen wollte, meine Barkeeperkluft. »Klar«, sagte ich, weil ich annahm, dass ich Halleigh einen Spezialdrink mixen sollte– okay, hätte ich ihre Gedanken gelesen, wäre mir dieser Fehler nicht passiert. Doch ich wollte mich heute von meiner allerbesten Seite zeigen und hatte wie eine Wilde all meine Schutzbarrieren aufgezogen. Gedanken lesen zu können ist nämlich kein Zuckerschlecken, und schon gar nicht auf einem so wichtigen gesellschaftlichen Ereignis wie dieser Doppelhochzeit. Eigentlich war ich ja als Gast eingeladen. Doch weil die Barkeeperin des Catering-Service auf dem Weg von Shreveport hierher einen Autounfall gebaut hatte, war Sam, der den Job an der Bar zuvor an die Firma E(E)E verloren hatte– die wollten unbedingt einen ihrer eigenen Barkeeper einsetzen–, plötzlich wieder angeheuert worden.

Ich war ein wenig enttäuscht, dass ich nun doch arbeiten musste, aber an ihrem Hochzeitstag durfte man einer Braut nichts abschlagen.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte ich also.

»Du musst meine Brautjungfer sein«, sagte Halleigh.

»Aha… was?«

»Tiffany ist plötzlich umgekippt, als Mr Cumberland die ersten Fotos gemacht hat. Sie ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus.«

Es war noch eine Stunde Zeit bis zur Trauung, und der Fotograf hatte im Vorfeld schon ein paar Gruppenfotos schießen wollen. Die Brautjungfern und die Trauzeugen waren alle bereits ausstaffiert, und auch Halleigh sollte sich langsam in Schale werfen. Stattdessen stand sie hier in Jeans und mit Lockenwicklern im Haar, ohne Make-up und mit Tränen im Gesicht.

Wer hätte ihr da etwas abschlagen können?

»Du hast genau die richtige Größe«, sagte sie. »Und Tiffany wird wahrscheinlich in diesen Minuten schon der Blinddarm rausgenommen. Probier das Kleid bitte an, ja?«

Ich warf Sam, meinem Boss, einen Blick zu.

Sam lächelte mich an und nickte. »Na los, Sook. Die Bar wird sowieso erst nach der Trauungszeremonie offiziell eröffnet.«

Und so folgte ich Halleigh in die Villa Belle Rive, die der Familie Bellefleur gehörte und seit ihrer Renovierung vor einiger Zeit wieder so etwas wie die Südstaatenpracht alter Zeiten erkennen ließ. Die Parkettböden glänzten, die Harfe neben der Treppe schimmerte golden, und das Silberzeug auf dem großen Sideboard im Esszimmer blitzte, so blank poliert war es. Überall liefen geschäftig Kellner in weißen Jacketts umher, die das kunstvoll geschwungene schwarze Firmenlogo E(E)E zierte. Elegante (Extreme) Events plante und organisierte extravagante Veranstaltungen in ganz Amerika. Ich spürte einen Stich im Herzen, als ich das Logo sah, denn mein verschollener Freund arbeitete für ein Tochterunternehmen von E(E)E, das hauptsächlich für Supras tätig war. Doch mir blieb nur ein kurzer Augenblick, diesem Schmerz nachzuspüren, denn Halleigh zog mich in erbarmungslosem Tempo die Treppe hinauf.

Gleich das erste Zimmer quoll über von jungen Frauen in goldfarbenen Kleidern, die sich um Halleighs zukünftige Schwägerin Portia Bellefleur drängten. Doch daran lief Halleigh vorbei und betrat den zweiten Raum auf der linken Seite, der genauso überquoll von noch jüngeren Frauen, die alle mitternachtsblauen Chiffon trugen. In dem Zimmer herrschte das reinste Chaos: Überall stapelten sich die Straßenkleider der Brautjungfern, und in einer Ecke war ein Schmink- und Frisierbereich eingerichtet, wo eine Frau in einem rosa Kittel stoisch einen Lockenstab in der Hand hielt.

Wie Papierkügelchen flogen Halleighs Worte durch den Raum, als sie mich vorstellte. »Mädels, das ist Sookie Stackhouse. Sookie, das ist meine Schwester Fay, meine Cousine Kelly, meine beste Freundin Sarah, meine andere beste Freundin Dana. Und hier ist das Kleid. Größe 36.«

Erstaunlich, dass Halleigh die Geistesgegenwart besessen hatte, Tiffany das Brautjungfernkleid auszuziehen, ehe sie ins Krankenhaus abtransportiert wurde. Aber Bräute scheinen in der Beziehung kein Erbarmen zu kennen. Innerhalb von Sekunden stand ich ausgezogen bis aufs Nötigste da. Zum Glück trug ich schöne Unterwäsche, denn für Schamgefühle blieb hier keine Zeit. Wie peinlich, wenn ich in einem löchrigen Omaschlüpfer dagestanden hätte! Das Kleid war gefüttert, ich brauchte also keinen Unterrock, noch so ein Glücksfall. Und ein Paar halterlose Strümpfe war auch noch übrig. Ich hatte sie kaum angezogen, da wurde mir auch schon das Kleid übergestreift. Manchmal trage ich Größe 38– na ja, eigentlich meistens–, daher hielt ich die Luft an, als Fay den Reißverschluss hochzog.

Wenn ich nicht allzu tief atmete, würde es gehen.

»Super!«, rief eine der anderen (Dana?) hocherfreut. »Und jetzt die Schuhe.«

»Oh Gott«, sagte ich nur, als ich sie sah. Es waren echte High Heels, passend zum Kleid in Mitternachtsblau, und als ich hineinschlüpfte, machte ich mich bereits auf den Schmerz gefasst. Kelly (glaube ich) schloss die Riemchen, und ich erhob mich von meinem Stuhl. Wir hielten alle gemeinsam den Atem an, als ich einen ersten Schritt machte und dann noch einen. Die Schuhe waren etwa eine halbe Nummer zu klein. Eine entscheidende halbe Nummer.

»Die Trauungszeremonie halte ich durch«, sagte ich schließlich, und alle klatschten.

»Dann hierher«, rief der rosa Kittel. Ich setzte mich in ihren Stuhl und ließ noch mehr Make-up über mein eigenes auftragen und mein Haar neu frisieren, während die echten Brautjungfern und Halleighs Mutter Halleigh ins Brautkleid hineinhalfen. An Haar, das frisiert werden konnte, mangelte es mir nicht. In den letzten drei Jahren hatte ich immer nur die Spitzen schneiden lassen, und jetzt fiel es mir schon bis über die Schulterblätter herab. Und meine Mitbewohnerin Amelia hatte mir einige helle Strähnchen hineingemacht, was richtig toll aussah.

Als der rosa Kittel fertig war, begutachtete ich mich in dem großen Spiegel. Unglaublich, dass ich innerhalb von zwanzig Minuten derart verändert werden konnte. Von der Barkeeperin in einem gerüschten weißen Smokinghemd und schwarzer Hose zur Brautjungfer in einem mitternachtsblauen Chiffonkleid– und noch dazu sieben Zentimeter größer.

Hey, ich sah großartig aus. Die Farbe des Kleides stand mir prima, der Rock fiel in einer sanften A-Linie herab, die kurzen Ärmel saßen nicht zu eng, und der Ausschnitt war nicht so tief, dass es billig wirkte. Bei einem Busen wie meinem ist die Grenze des guten Geschmacks schnell erreicht, wenn ich nicht aufpasse.

Die praktisch veranlagte Dana riss mich aus meiner Selbstbewunderung. »Jetzt erkläre ich dir den Ablauf«, sagte sie. Und von dem Augenblick an hörte ich nur noch zu und nickte. Und betrachtete eine kleine Zeichnung. Prägte sie mir ein. Und nickte noch einige weitere Male. Einfach unglaublich, wie organisiert diese Dana war. Sollte ich je in ein Land einmarschieren wollen, diese Frau würde ich an meiner Seite haben wollen.

Als wir dann schließlich alle gemeinsam vorsichtig die Treppe hinunterschritten (lange Kleider und hohe Schuhe, eine gefährliche Kombination), war ich bestens vorbereitet für meinen ersten Gang Richtung Traualtar als Brautjungfer.

Die meisten haben so was im Alter von sechsundzwanzig Jahren sicher bereits ein paarmal absolviert. Doch Tara Thornton, meine einzige enge Freundin, die mich vielleicht darum hätte bitten können, hatte Hals über Kopf geheiratet, als ich zufällig gerade mal nicht in der Stadt war.

Die andere Brautgesellschaft hatte sich bereits unten versammelt, als wir herunterkamen. Portia würde mit ihren Brautjungfern den Anfang machen. Die beiden Bräutigame und ihre Trauzeugen warteten schon draußen, denn sollte alles plangemäß laufen, blieben nur noch fünf Minuten bis zum Start.

Portia Bellefleur und ihre Brautjungfern waren im Schnitt etwa sieben Jahre älter als Halleigh und ihre Mädels. Sie war die ältere Schwester von Andy Bellefleur, dem Detective von Bon Temps und Bräutigam von Halleigh. Mit ihrem Kleid hatte Portia es allerdings ein klein wenig übertrieben– es war derart mit Perlen, Spitze und Pailletten übersät, dass ich dachte, es würde auch von allein stehen. Ach, was soll’s, es war Portias großer Tag, und sie konnte verdammt noch mal anziehen, was ihr gefiel.

Portias Brautjungfern trugen alle goldene Kleider. Ihre Blumensträuße waren farblich aufeinander abgestimmt– weiß, dunkelblau und gelb. Und das sah wirklich gut aus im Zusammenspiel mit Halleighs mitternachtsblauer Brautjungferngarde.

Die Hochzeitsplanerin, eine schlanke nervöse Frau mit schwarzer Lockenmähne, zählte beinahe laut die Personen durch. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass sich alle eingefunden hatten und jeder auf seinem Platz stand, stieß sie die Flügeltür zur großen gepflasterten Veranda auf. Vor uns sahen wir die Schar der Hochzeitsgäste, die mit dem Rücken zu uns und von einem langen roten Teppich in der Mitte in zwei Gruppen geteilt in weißen Klappstühlen auf dem Rasen saßen. Sie hatten das Gesicht dem Podium zugewandt, wo ein Priester an einem mit Tuch bedeckten und mit schimmernden Kerzenleuchtern geschmückten Traualtar stand. Zur Rechten des Priesters sah ich Portias Bräutigam Glen Vick, der zum Haus hinüberblickte. Zu uns also. Er wirkte sehr, sehr nervös, doch er lächelte. Seine Trauzeugen hatten sich bereits neben ihm aufgereiht.

Portias goldene Brautjungfern traten auf die Veranda hinaus, und eine nach der anderen schritten sie durch den manikürten Garten zum Altar. Der Duft der Hochzeitsblumen hing süß in der Abendluft. Und die Rosen im Garten von Belle Rive blühten verschwenderisch, sogar jetzt im Oktober noch.

Schließlich schritt auch Portia, zu aufbrandender Musik, über die Veranda auf den roten Teppich zu, während die Hochzeitsplanerin immer wieder die reich verzierte Schleppe von Portias Kleid anhob, damit sie sich nicht in den Steinritzen verfing.

Auf ein Nicken des Priesters hin standen alle Gäste auf und drehten sich um, damit sie Portias triumphalen Gang verfolgen konnten. Darauf hatte sie schließlich jahrelang gewartet.

Als Portia den Altar sicher erreicht hatte, waren wir dran. Halleigh hauchte allen einen Kuss auf die Wange, als sie an ihr vorbei auf die Veranda hinaustraten. Und sogar mich schloss sie ein, was wirklich nett war von ihr. Die Hochzeitsplanerin schickte uns eine nach der anderen los, so dass jede zu dem für sie vorgesehenen Trauzeugen treten konnte. Meiner war ein Bellefleur-Cousin aus Monroe, der ziemlich verdutzt dreinblickte, als er statt Tiffany mich auf sich zukommen sah. Langsamen Schrittes schwebte ich voran, genauso, wie Dana es mir erklärt hatte, und hielt meinen Blumenstrauß exakt im gewünschten Winkel und mit beiden Händen umklammert vor mir. Mit Adleraugen hatte ich die anderen Brautjungfern beobachtet, ich wollte hier alles richtig machen.

Alle Gesichter wandten sich mir zu, und ich wurde so nervös, dass ich vergaß, meine Schutzbarrieren aufrechtzuerhalten. Die Gedanken der Leute schwappten wie ein Schwall unerwünschter Kommentare über mich hinweg. Wie hübsch sie ist… Was ist denn nur mit Tiffany?… Wow, was für Titten… Beeil dich ’n bisschen, ich brauch ’nen Drink… Was zum Teufel tue ich hier bloß? Meine Frau schleppt mich wirklich zu jedem Ringelpietz in der Gegend… Ich liebe Hochzeitskuchen.

Eine Fotografin trat vor mich und machte ein Bild. Ich kannte sie, es war die hübsche Werwölfin Maria-Star Cooper, die Assistentin von Al Cumberland, eines namhaften Fotografen in Shreveport. Ich lächelte Maria-Star an, und sie schoss noch ein Foto. Dann setzte ich meinen Weg über den roten Teppich fort, konzentrierte mich darauf, zu lächeln, und versuchte, all den Lärm aus meinem Kopf zu vertreiben.

Doch da fielen mir in der Menge plötzlich vereinzelte Punkte tiefer Stille auf. Ein Zeichen, dass Vampire unter den Gästen waren. Glen hatte ausdrücklich um eine Hochzeit am Abend gebeten, damit er seine wichtigsten Vampirkunden einladen konnte. Als Portia sich darauf einließ, war ich sicher, dass sie ihn wirklich liebte, denn sie konnte die Blutsauger überhaupt nicht leiden. Ja, es gruselte sie regelrecht vor ihnen.

Ich mochte Vampire irgendwie ganz gern, weil ich ihre Gedanken nicht lesen konnte. In ihrer Gesellschaft fühlte ich mich immer seltsam entspannt. Okay, es gab Anspannungen anderer Art, aber wenigstens kamen meine eigenen Gedanken mal zur Ruhe.

Schließlich erreichte ich die vorgesehene Stelle. Ich hatte vorhin beobachtet, dass Portias und Glens Begleiter sich in Form eines liegenden V aufgestellt hatten, mit dem Hochzeitspaar an der Spitze. Unsere Gruppe tat jetzt genau das Gleiche– und wow, ich hatte es nicht vermasselt! Erleichtert atmete ich auf. Und weil ich nicht für die erste Brautjungfer eingesprungen war, war meine Aufgabe damit im Grunde erledigt. Jetzt musste ich nur noch still dastehen und interessiert gucken, und das sollte mir wohl gelingen.

Die Musik brandete zu einem zweiten Crescendo auf, und der Priester gab erneut sein Zeichen. Die Gäste erhoben sich von ihren Stühlen und drehten sich nach der zweiten Braut um. Langsam begann Halleigh auf uns zuzuschreiten– sie sah fantastisch aus. Halleigh hatte sich für ein sehr viel schlichteres Kleid entschieden als Portia, und sie wirkte sehr jung und sehr hübsch. Halleighs Dad, der so braun gebrannt und fit war wie seine Ehefrau, trat, als seine Tochter auf seiner Höhe war, einfach auf sie zu und nahm ihren Arm. Eigentlich hatte auch Halleigh allein auf den Traualtar zugehen sollen, so wie Portia, deren Vater schon lange tot war.

Als ich mich an Halleighs Lächeln sattgesehen hatte, ließ ich meinen Blick über die Menge schweifen, die sich mit jedem Schritt der Braut wieder mehr dem Podium zuwandte.

Es waren so viele vertraute Gesichter darunter: Lehrer der Grundschule, in der Halleigh unterrichtete; Polizisten aus der Abteilung, in der Andy arbeitete; die Freunde der alten Mrs Caroline Bellefleur, die noch lebten und auf wackligen Beinen hergekommen waren; Portias Anwaltskollegen und andere Leute, die für die Justiz arbeiteten; und Glen Vicks Kunden sowie einige weitere Steuerberater. Fast jeder Stuhl war besetzt.

Es befanden sich nur wenige mit dunkler Hautfarbe darunter, die meisten Hochzeitsgäste waren Weiße aus der Mittelschicht. Und die bleichsten Gesichter waren natürlich die der Vampire. Einen von ihnen kannte ich sehr gut, Bill Compton, meinen Nachbarn und früheren Liebhaber. Er saß in der hinteren Hälfte, trug einen Smoking und sah blendend darin aus. Was immer Bill auch anzog, es wirkte stets so, als würde er sich darin ausgesprochen wohlfühlen. Neben ihm saß seine (Menschen-)Freundin Selah Pumphrey, eine Immobilienmaklerin aus Clarice, deren burgunderrotes Kleid in schönem Kontrast zu ihrem dunklen Haar stand. Sonst waren vielleicht noch fünf weitere Vampire da, die ich aber nicht kannte. Vermutlich Kunden von Glen. Und was Glen nicht mal ahnte: Noch so einige andere seiner Gäste waren mehr (oder weniger) als »normale« Menschen.

Mein Boss Sam beispielsweise war einer jener seltenen Gestaltwandler, die sich in jedes beliebige Tier verwandeln konnten. Al Cumberland, der Fotograf, gehörte wie seine Assistentin zu den Werwölfen. Die meisten Hochzeitsgäste sahen in ihm sicher nichts weiter als einen beleibten, ziemlich kleinen Afroamerikaner in einem guten Anzug und mit einer großen Kamera um den Hals. Doch Al verwandelte sich bei Vollmond genau wie Maria-Star in einen Werwolf. Es waren noch einige andere Werwölfe unter den Gästen, doch nur eine von ihnen kannte ich persönlich– Amanda, eine rothaarige Frau Mitte dreißig, der die Bar Hair of the Dog in Shreveport gehörte. Wer weiß, vielleicht machte Glens Steuerkanzlei sogar die Buchhaltung dieser Bar.

Und auch ein Werpanther war anwesend, Calvin Norris. Er war in Begleitung einer Frau gekommen, wie ich erfreut feststellte. Eine Freude, die sich jedoch gleich wieder trübte, als ich in ihr Tanya Grissom wiedererkannte. Was hatte die denn zurück in diese Stadt getrieben? Und warum stand Calvin überhaupt auf der Gästeliste? Ich hatte zwar nichts gegen ihn, aber wo da eine Verbindung bestehen sollte, war mir schleierhaft.

Während ich mich unter den Gästen nach vertrauten Gesichtern umgesehen hatte, war auch die zweite Braut zu ihrem Bräutigam getreten, und nun mussten sich alle Brautjungfern und Trauzeugen dem Altar zuwenden, um dem Traugottesdienst der Doppelhochzeit zu folgen.

Da mich die Zeremonie in emotionaler Hinsicht nicht besonders in Anspruch nahm, ließ ich meine Gedanken schweifen, während der Episkopalgeistliche Pater Kempton Littrell, der alle vierzehn Tage in die kleine Kirche von Bon Temps kam, die erste Trauung vollzog. Die vielen Lichter, die den Garten erleuchteten, spiegelten sich gleißend in Pater Littrells Brillengläsern und nahmen seinem Gesicht alle Farbe. Es sah fast aus, als wäre er ein Vampir.

Alles verlief mehr oder weniger planmäßig. Junge, war ich froh, dass ich vom Merlotte’s her das Herumstehen an der Bar gewöhnt war, denn hier musste ich jede Menge herumstehen, und noch dazu in High Heels. Ich trug nur selten Absätze, und eigentlich nie sieben Zentimeter hohe. Ein seltsames Gefühl, über 1,70 groß zu sein. Ich bemühte mich, nicht herumzuzappeln, und übte mich in Geduld.

Jetzt steckte Glen Portia den Ring an den Finger, und Portia wirkte beinahe hübsch, als sie auf ihre ineinander verschlungenen Hände blickte. Sie war nie meine beste Freundin gewesen und ich auch nicht die ihre, doch ich wünschte ihr nur das Beste. Glen war spindeldürr, sein nicht mehr ganz schwarzes Haar zeigte erste Ansätze von Geheimratsecken, und er trug eine riesige Brille. Wollte man bei einer Casting-Agentur den »typischen Steuerberater« buchen, würden sie einem sicher Glen schicken. Aber eines stand fest: Er liebte Portia, und Portia liebte ihn. Ich hatte es in ihren Gedanken gelesen.

Ich erlaubte mir eine winzig kleine Bewegung und verlagerte mein Gewicht stärker auf das rechte Bein.

Und dann begann Pater Littrell mit der Zeremonie noch einmal von vorn, diesmal für Halleigh und Andy. Es war gar nicht so schwer, immer und immer weiter zu lächeln (das tat ich im Merlotte’s schließlich die ganze Zeit), während aus Halleigh eine Mrs Andrew Bellefleur wurde. Und ich hatte noch Glück. Episkopalische Trauungen können elend lang sein, doch die beiden Brautpaare hatten sich für die kürzere Version des Traugottesdienstes entschieden.

Schließlich steigerte sich die Musik zu triumphalen Klängen, und die Frischvermählten kehrten ins Haus zurück. Die beiden Hochzeitsgruppen folgten ihnen in umgekehrter Reihenfolge. Ich war glücklich auf meinem Weg zurück über den roten Teppich und auch ein wenig stolz. Immerhin hatte ich Halleigh aus einer Notlage geholfen… und sehr bald schon würde ich endlich diese High Heels loswerden.

Bill fing von seinem Platz aus meinen Blick auf und legte schweigend eine Hand aufs Herz. Eine romantische und völlig unerwartete Geste, und einen Augenblick lang wurde ich ganz wehmütig. Ich lächelte schon fast, auch wenn Selah direkt neben ihm saß. Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich, dass Bill ein nichtsnutziger Mistkerl war, und so setzte ich meinen schmerzgeplagten Weg fort. Sam stand ein paar Meter hinter der letzten Stuhlreihe, in dem gleichen weißen Smokinghemd, das auch ich getragen hatte, und einer eleganten schwarzen Hose. Völlig entspannt und ungezwungen, das war eben Sam. Sogar sein rotblondes Haar, das ihm wie ein wildgewordener Heiligenschein vom Kopf abstand, passte irgendwie dazu.

Ihm schenkte ich ein aufrichtiges Lächeln, und mit erhobenen Daumen lächelte er zurück. Die Gedanken von Gestaltwandlern sind zwar schwer zu entziffern, doch ich las heraus, dass ihm mein Aussehen und mein gesamtes Auftreten prima gefallen hatten. Der Blick seiner hellblauen Augen war mir die ganze Zeit gefolgt. Seit fünf Jahren war er jetzt schon mein Boss, und meistens kamen wir großartig miteinander aus. Sam war allerdings ziemlich unglücklich gewesen, als ich eine Beziehung mit einem Vampir begann. Doch auch darüber war er schließlich hinweggekommen.

Aber jetzt musste ich zu meinem eigentlichen Job zurück, und zwar pronto. »Wo kann ich mich umziehen?«, fragte ich daher, sobald ich Dana eingeholt hatte.

»Oh, es werden erst noch Fotos gemacht«, sagte Dana fröhlich. Ihr Ehemann war auf sie zugetreten und hatte einen Arm um sie gelegt. Im anderen Arm hielt er ihr gemeinsames Baby, einen in geschlechtsneutrales Gelb eingewickelten Winzling.

»Da werde ich doch sicher nicht mehr gebraucht«, sagte ich. »Ihr alle zusammen habt ja vorhin schon jede Menge Fotos gemacht, oder? Bevor Wie-heißt-sie-gleich krank wurde.«

»Tiffany. Ja, aber es werden noch mehr gemacht.«

Ich bezweifelte stark, dass die Familie ausgerechnet mich auf diesen Fotos haben wollte, selbst wenn mein Fehlen die Symmetrie der Gruppenfotos stören würde. Also ging ich zu Al Cumberland.

»Ja«, sagte er, während er unablässig Fotos von den sich anlächelnden Brautpaaren schoss. »Ein paar Bilder brauche ich noch. So lange müssen Sie sich gedulden.«

»Mist«, entfuhr es mir. Mir taten die Füße weh.

»Ich kann Ihre Gruppe ja zuerst drannehmen, Sookie, aber mehr kann ich nicht für Sie tun. Andy, Halleigh! Das heißt… Mrs Bellefleur! So, und jetzt bitte alle zusammen hier herüber, damit wir die Bilder machen können.«

Portia Bellefleur Vick wirkte ein wenig irritiert, weil ihre Gruppe nicht zuerst drankam, aber sie musste viel zu viele Gäste begrüßen, um sich wirklich darüber aufzuregen. Während Maria-Star ein ums andere Mal den unvergesslichen Tag mit ihrer Kamera festhielt, schob ein entfernter Verwandter die alte Miss Caroline im Rollstuhl zu Portia, und Portia gab ihrer Großmutter einen Kuss. Portia und Andy hatten nach dem Tod ihrer Eltern jahrelang bei Miss Caroline gelebt. Und wegen Miss Carolines schlechtem Gesundheitszustand waren auch die Hochzeiten mindestens zweimal verschoben worden. Eigentlich hätten sie schon letzten Frühling stattfinden sollen, und es war sehr zur Eile gedrängt worden, weil Miss Caroline immer gebrechlicher wurde. Dann hatte sie jedoch kurz vorher einen Herzinfarkt erlitten, sich davon aber wieder erholt. Und danach brach sie sich die Hüfte. Okay, für jemanden, der zwei gefährliche Erkrankungen überstanden hatte, sah Miss Caroline… ach, um ehrlich zu sein, sie sah einfach aus wie eine sehr alte Dame, die einen Herzinfarkt und eine gebrochene Hüfte überstanden hatte. Aber sie war richtig schick gemacht, mit beigefarbenem Seidenkostüm und sogar etwas Make-up, und ihr schneeweißes Haar schmiegte sich in einer eleganten Lauren-Bacall-Frisur um ihr Gesicht. Zu ihrer Zeit war Miss Caroline eine Schönheit gewesen, ein Leben lang allmächtiges Familienoberhaupt und bis vor Kurzem noch eine hervorragende Köchin.

Caroline Bellefleur war an diesem Abend im siebten Himmel. Sie hatte ihre beiden Enkelkinder verheiratet, man zollte ihr viel Anerkennung, und ihre Villa Belle Rive bot einen eindrucksvollen Anblick– dank des Vampirs, der sie gerade mit undurchdringlicher Miene anstarrte.

Bill Compton hatte herausgefunden, dass er ein Vorfahre der Familie Bellefleur war, und Miss Caroline anonym eine riesige Summe Geld zukommen lassen. Hocherfreut hatte sie alles in die Renovierung der Villa gesteckt, doch sie ahnte bis heute nicht, dass es von einem Vampir kam. Sie hielt es für das Erbe eines entfernten Verwandten. Schon irgendwie ironisch: Hätten die Bellefleurs Bescheid gewusst, hätten sie Bill zwar gedankt, ihn aber genauso bereitwillig angespuckt. Aber er gehörte nun mal zur Familie, und zum Glück hatte er einen Weg gefunden, an der Feier teilzunehmen.

Ich holte tief Luft, verbannte Bills dunklen Blick aus meinen Gedanken und lächelte in die Kamera. Ich füllte den mir für die Fotos zugewiesenen Platz tadellos aus, so dass die Symmetrie der Hochzeitsgesellschaft gewahrt wurde, wich den Glotzaugen des Bellefleur-Cousins aus und eilte schließlich die Treppe hinauf, um wieder meine Arbeitskleidung anzuziehen.

Außer mir war niemand hier oben, und ich war froh, das Zimmer für mich allein zu haben. Ich schlängelte mich aus dem Chiffonkleid heraus, hängte es auf einen Bügel und setzte mich auf einen Hocker, um die Riemchen dieser füßemarternden High Heels zu öffnen.

Was war das? Ein leises Geräusch bei der Tür. Erschrocken sah ich auf. Bill stand im Türrahmen, die Hände in den Taschen, die Fangzähne ausgefahren.

»Ich versuche mich hier umzuziehen«, sagte ich bissig. Für Schamgefühle gab es sowieso keinen Grund. Bill kannte jeden Zentimeter meines Körpers.

»Du hast es ihnen nicht erzählt«, sagte er.

»Hm?« Dann schaltete ich. Bill meinte, ich hätte den Bellefleurs nicht erzählt, dass er ihr Vorfahr war. »Nein, natürlich nicht. Darum hattest du mich doch gebeten.«

»Ich dachte, du hättest es ihnen vielleicht aus lauter Wut verraten.«

Ungläubig sah ich ihn an. »Nein, einige von uns haben tatsächlich so was wie Ehre im Leib«, gab ich zurück, und er wandte einen Moment lang den Blick ab. »Übrigens, die Wunden in deinem Gesicht sind ja wieder gut verheilt.«

Bei dem Bombenanschlag der vampirfeindlichen Bruderschaft in Rhodes war Bills Gesicht der Sonne ausgesetzt gewesen– mit wirklich Übelkeit erregenden Folgen.

»Ich habe sechs Tage geschlafen«, erzählte er. »Und als ich schließlich wieder aufwachte, war das meiste fast abgeheilt. Und was deine spitze Bemerkung wegen meiner Ehrlosigkeit betrifft, dazu kann ich nichts zu meiner Verteidigung vorbringen… außer vielleicht, dass ich Sophie-Annes Auftrag, dir nachzustellen… nur zögerlich nachgekommen bin, Sookie. Anfangs wollte ich nicht mal so tun müssen, als hätte ich eine feste Beziehung mit einer Menschenfrau. Für mich war das eine Erniedrigung. Ich kam nur ins Merlotte’s, um dich ausfindig zu machen, als ich es nicht länger aufschieben konnte. Aber der Abend verlief ganz und gar nicht so, wie ich es geplant hatte. Ich bin mit diesen Ausblutern hinausgegangen, und dann überschlugen sich die Ereignisse. Und als ausgerechnet du mir zu Hilfe eiltest, hielt ich es für Schicksal. Ich tat, was meine Königin mir aufgetragen hatte. Und dabei bin ich in eine Falle getappt, der ich nicht mehr entkommen konnte. Bis auf den heutigen Tag nicht.«

Die Falle der LIIIEBEEE, dachte ich sarkastisch. Aber er war zu ernst, zu ruhig, um ihn zu verspotten. Mit meiner Bissigkeit versuchte ich lediglich, mein eigenes Herz zu schützen.

»Du hast doch eine Freundin«, sagte ich. »Geh zurück zu Selah.« Ich sah zu Boden, um das schmale Riemchen der zweiten Sandalette aufzubekommen. Dann zog ich den Schuh aus. Als ich wieder aufsah, ruhten Bills dunkle Augen auf mir.

»Ich würde alles dafür geben, dir wieder beiwohnen zu dürfen«, sagte er.

Ich erstarrte. Meine Hände hielten buchstäblich mitten im Herabrollen des halterlosen linken Strumpfes inne.

Okay, das erstaunte mich dann doch ziemlich, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens wunderte ich mich über dieses biblische »beiwohnen«. Und zweitens darüber, dass er mich für eine so unvergessliche Bettgefährtin zu halten schien.

Vielleicht erinnerte er sich nur an die Jungfrauen.

»Ich habe heute Abend keine Lust auf deine Spielchen, außerdem wartet Sam im Garten darauf, dass ich ihm hinter der Bar helfe«, gab ich barsch zurück. »Also verschwinde.« Ich stand vom Hocker auf, drehte ihm den Rücken zu und zog mir die Hose und das Smokinghemd an. Dann fehlten nur noch die flachen schwarzen Schuhe. Nach einem kurzen prüfenden Blick in den Spiegel– musste ich den Lippenstift nachziehen?– sah ich wieder zur Tür.

Bill war verschwunden.

Eilig lief ich die breite Treppe hinunter und durch die Flügeltür über die Veranda in den Garten hinaus, froh, den vertrauten Platz hinter der Bar einnehmen zu können. Die Füße taten mir immer noch weh. Und auch die Wunde in meinem Herzen namens Bill Compton.

Sam schenkte mir ein Lächeln, als ich hinter der Bar auftauchte. Miss Caroline hatte uns die Bitte, ein Gefäß für Trinkgeld aufstellen zu dürfen, abgeschlagen, aber ein paar der Hochzeitsgäste hatten bereits einige Dollarscheine in ein hohes leeres Glas gestopft. Und das würde ich genauso dort stehen lassen.

»Gut hast du ausgesehen in dem Kleid«, sagte Sam, der gerade eine Cola-Rum mixte. Ich reichte ein Bier über den Tresen und lächelte den älteren Mann freundlich an, der es entgegennahm. Er gab mir so viel Trinkgeld, dass ich erst mal an mir herabsah. Oje, bei der eiligen Umzieherei hatte ich einen Knopf übersehen, mein Ausschnitt war ganz schön tief. Wie peinlich, dachte ich im ersten Augenblick. Doch warum eigentlich? Man sah eben einfach, dass ich Busen hatte, es wirkte überhaupt nicht billig. Also ließ ich den Knopf offen.

»Danke«, sagte ich zu Sam, der meine Knopfgedanken hoffentlich nicht bemerkt hatte. »Ich hoffe, ich habe alles richtig gemacht.«

»Natürlich hast du das«, erwiderte Sam, als würde ihm nie in den Sinn kommen, dass ich meinen Brautjungfernauftritt ebenso gut hätte vermasseln können. Das ist genau der Grund, warum Sam wirklich der großartigste Boss ist, den ich je hatte.

»Hallo, guten Abend«, tönte es leicht nasal, und ich sah von dem Weinglas auf, das ich gerade füllte. Sieh an, Tanya Grissom verpestete die Umgebung mit ihrer Anwesenheit und verbrauchte hier Atemluft, die bei fast jedem anderen eine bessere Verwendung gefunden hätte. Ihr Begleiter, Calvin, war nirgends zu sehen.

»Hey, Tanya«, sagte Sam. »Wie geht’s dir? Lange nicht gesehen.«

»Ja, ich hatte in Mississippi ein paar Dinge zu regeln«, erwiderte Tanya. »Doch jetzt bin ich wieder einige Zeit hier und wollte mal hören, ob du vielleicht eine Halbtagshilfe brauchen kannst, Sam.«

Ich presste die Lippen zusammen und hantierte geschäftig herum. Tanya trat näher an Sam heran, als eine ältere Dame mich um ein Glas Tonic mit Zitronenscheibe bat. Ich reichte es ihr so zackig, dass sie mich erstaunt ansah. Dann kümmerte ich mich um Sams nächsten Kunden. In Sams Gedanken las ich, dass er sich freute, Tanya zu sehen. Männer können richtige Dummköpfe sein, stimmt’s? Aber um fair zu bleiben: Ich wusste ein paar Dinge über Tanya Grissom, die Sam nicht bekannt waren.

Selah Pumphrey war die Nächste in der Schlange– was war ich heute nur für ein Glückspilz! Doch Bills Freundin wollte bloß eine Cola-Rum.

»Gern«, sagte ich, hoffentlich nicht zu erleichtert, und begann den Drink zu mixen.

»Ich habe ihn gehört«, flüsterte Selah plötzlich.

»Wen gehört?«, fragte ich abgelenkt, weil ich unbedingt dem Gespräch zwischen Tanya und Sam folgen wollte– sowohl mit den Ohren als auch mit den Gedanken.

»Ich habe gehört, was Bill vorhin zu Ihnen gesagt hat.« Als ich nicht antwortete, sprach sie weiter. »Ich bin ihm die Treppe hinauf nachgeschlichen.«

»Dann weiß er, dass Sie ihm nachspioniert haben«, sagte ich abwesend und reichte ihr den Drink. Einen Moment lang starrte sie mich mit weit aufgerissenen Augen an– erschrocken, wütend? Dann stolzierte sie davon. Tja, wenn Blicke töten könnten, läge ich jetzt leblos am Boden.

Tanya drehte sich von Sam weg, als wollte ihr Körper schon gehen, während ihr Geist noch mit meinem Boss redete. Schließlich kehrte sie zu ihrem Begleiter Calvin zurück. Während ich ihr nachsah, füllte sich mein Kopf mit düsteren Gedanken.

»Na, das sind doch gute Neuigkeiten«, sagte Sam lächelnd. »Tanya steht uns eine Weile zur Verfügung.«

Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihm zu sagen, dass es kaum zu übersehen gewesen sei, wie sehr Tanya zur Verfügung stünde. »Oh, ja, prima«, erwiderte ich stattdessen. Es gab so viele Leute, die ich mochte. Warum waren ausgerechnet die beiden Frauen, die ich nun wirklich nicht leiden konnte, heute Abend auf dieser Hochzeit? Na, zumindest meine Füße jubelten fast vor Freude darüber, den zu kleinen High Heels entronnen zu sein.

Ich lächelte, mixte Drinks, räumte leere Flaschen weg und ging zu Sams Pick-up, um Nachschub zu holen. Ich öffnete Bierflaschen, schenkte Wein ein und wischte verschüttete Getränke auf, bis ich mich wie ein Perpetuum mobile fühlte.

Und dann kam ein ganzer Trupp Gäste auf einmal an die Bar: Glens Vampirkunden. Ich entkorkte eine Flasche Royalty Cuvée, ein Premium-Cuvée aus synthetischem Blut und echtem Blut von echten europäischen Adligen. Er musste natürlich kühl gelagert werden, und es war ein ganz besonders edler Tropfen, den Glen da extra für seine wichtigsten Kunden hatte heranschaffen lassen. (Der einzige Vampirdrink, der noch teurer war als Royalty Cuvée, war das nahezu pure Royalty, das nur eine Spur Konservierungsmittel enthielt.) Sam polierte die Weingläser noch mal nach, stellte sie in einer Reihe auf und bat mich einzuschenken. Ich war geradezu übervorsichtig, damit nur ja kein Tropfen danebenging. Dann reichte Sam jedem Gast persönlich sein Glas. Die Vampire, darunter auch Bill, ließen alle ein großzügiges Trinkgeld springen. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht erhoben sie die Gläser und brachten einen Toast auf die Frischvermählten aus.

Schon nach dem ersten Schluck der dunklen Flüssigkeit traten ihre Fangzähne hervor, ein untrügliches Zeichen ungetrübter Freude. Einige der menschlichen Hochzeitsgäste schienen sich etwas unwohl zu fühlen angesichts dieses Ausdrucks lustvollen Vergnügens, doch Glen stand freudig lächelnd daneben. Er wusste genug über Vampire, um keinem zur Begrüßung die Hand zu reichen. Mir fiel auf, dass die neue Mrs Vick sich nicht unter ihre untoten Gäste mischte, auch wenn sie einmal kurz mit einem angespannten Lächeln auf den Lippen zu ihnen trat.

Später kam einer der Vampire noch einmal an die Bar und bat um ein Glas gewöhnliches TrueBlood. Ich reichte ihm den angewärmten Drink. »Danke«, sagte er und gab mir erneut Trinkgeld. In seiner offenen Brieftasche fiel mir ein Führerschein aus Nevada auf. Ich bin mit den verschiedenen Führerscheintypen ganz gut vertraut, weil ich im Merlotte’s eine ganze Menge zu sehen bekomme. Dieser Vampir war von weit her angereist für die Hochzeit. Zum ersten Mal sah ich ihn richtig an. Als er bemerkte, wie interessiert ich ihn musterte, legte er die Hände aneinander und verbeugte sich leicht. Aus einem Krimi, der in Thailand spielte, wusste ich, dass das ein Wai war, die Grußgeste der Buddhisten– oder nur der Thailänder generell? Ach, egal, der Mann wollte höflich sein. Nach einem kurzen Zögern legte ich den Lappen aus der Hand und ahmte seine Geste nach. Darüber freute er sich.

»Ich nenne mich Jonathan«, sagte er. »Meinen richtigen Namen können Amerikaner nicht aussprechen.«

Es lag vielleicht ein Hauch von Arroganz und Verachtung in seinen Worten, doch das konnte ich ihm nicht verübeln.

»Ich bin Sookie Stackhouse«, erwiderte ich.

Jonathan war ein kleiner Mann, vielleicht 1,70Meter groß, mit der leicht kupfernen Hautfarbe und dem sattschwarzen Haar seines Heimatlandes. Er sah verdammt gut aus mit der kleinen breiten Nase, den aufgeworfenen Lippen und den pfeilgeraden schwarzen Brauen über den braunen Augen. Seine Haut war so fein, dass ich nicht mal Poren erkennen konnte, und hatte natürlich dieses leichte Schimmern, das man nur bei Vampiren findet.

»Ist das Ihr Ehemann?«, fragte er, griff nach seinem Glas und nickte zu Sam hinüber, der gerade für eine der Brautjungfern eine Piña Colada mixte.

»Nein, Sir, mein Boss.«

In diesem Augenblick wankte Terry Bellefleur, ein Cousin zweiten Grades von Portia und Andy, an die Bar und wollte noch ein Bier. Ich mochte Terry wirklich gern, aber er trank einfach zu viel, und auch jetzt schien er schon wieder auf dem besten Weg zum Absturz zu sein. Der alte Vietnamveteran wäre wohl gern an der Bar stehen geblieben und hätte über die Politik des Präsidenten im Irakkrieg diskutiert, doch ich brachte ihn zu einem seiner Verwandten, einem entfernten Cousin aus Baton Rouge, und sorgte dafür, dass der Mann ein Auge auf Terry hatte und ihn nicht mit seinem Pick-up nach Hause fahren ließ.

Der Vampir Jonathan schien währenddessen ein Auge auf mich zu haben, aber ich hatte keine Ahnung, warum. In seinem Benehmen oder Verhalten lag nichts Aggressives oder Lüsternes, und seine Fangzähne waren auch nicht zu sehen. Insofern schien es okay zu sein, ihn nicht weiter zu beachten und mich wieder der Arbeit zuzuwenden. Wenn Jonathan aus irgendeinem Grund mit mir reden wollte, würde ich es früher oder später schon erfahren. Und so spät wie möglich war mir sowieso am liebsten.

Als ich eine Kiste Coca-Cola aus Sams Pick-up holte, fiel mir plötzlich ein Mann auf, der ganz allein im Schatten der alten Eiche am westlichen Rand des Rasens stand. Er war groß, schlank und trug einen makellosen und offensichtlich teuren Anzug. Als der Mann einen Schritt vortrat, konnte ich sein Gesicht sehen und erkannte, dass er meinen Blick erwiderte. Was für eine liebliche Gestalt, war mein allererster Gedanke, er kam mir ganz und gar nicht wie ein Mann vor. Was auch immer er sein mochte, ein Mensch war er gewiss nicht. Er schien bereits ein hohes Alter erreicht zu haben, doch er war außerordentlich schön. Sein Haar, das immer noch goldblond schimmerte und so lang war wie meines, trug er sorgfältig zurückgebunden. Seine Haut hatte etwas leicht Runzliges, wie ein köstlicher Apfel, der zu lange in der Speisekammer gelegen hatte; trotz der Entfernung erkannte ich das deutlich. Doch seine Haltung war absolut aufrecht, und er trug keine Brille. Aber er hatte einen Gehstock, einen sehr einfachen, schwarzen mit einem goldenen Knauf.

Als er aus dem Schatten trat, wandten sich auf einmal alle Vampire geschlossen nach ihm um und neigten einen Augenblick später leicht den Kopf. Er erwiderte den Gruß. Doch die Vampire blieben auf Distanz zu ihm, als sei er gefährlich oder Ehrfurcht gebietend.

Ein seltsamer Vorfall, doch ich hatte keine Zeit, mir lange Gedanken darüber zu machen. Plötzlich wollten alle nämlich noch einen letzten Drink auf Kosten des Hauses. Der Hochzeitsempfang neigte sich langsam dem Ende zu, und die ersten Gäste spazierten bereits zum Hauptportal der Villa, von wo aus die beiden glücklichen Ehepaare in die Flitterwochen starten würden. Halleigh und Portia waren schon nach oben entschwunden, um sich für die Reise umzuziehen. Die Kellner von E(E)E hatten bereits die leeren Schalen und die kleinen Platten, auf denen Fingerfood und Kuchen angeboten worden waren, eingesammelt, so dass der Garten relativ aufgeräumt aussah.

Als an der Bar schließlich kaum noch etwas los war, vertraute Sam mir an, was ihn in Gedanken beschäftigt hatte. »Sookie, irre ich mich, oder hast du was gegen Tanya?«

»Ja, ich habe was gegen Tanya«, sagte ich. »Ich bin nur nicht sicher, ob ich dir erzählen soll, warum. Denn du magst sie ja offenbar.« Klang das nicht fast, als hätte ich den Bourbon vorgekostet oder ein Wahrheitsserum getrunken?

»Wenn du nicht mit ihr zusammenarbeiten möchtest, will ich wissen, warum«, sagte Sam. »Wir beide sind Freunde. Ich respektiere deine Meinung.«

So was hört man natürlich gern.

»Tanya ist hübsch«, begann ich. »Sie ist klug und fähig.« Das waren ihre Vorzüge.

»Und?«

»Und sie kam als Spionin hierher«, erzählte ich. »Die Pelts haben Tanya geschickt, um herauszufinden, ob ich etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter Debbie zu tun habe. Weißt du noch, wie sie plötzlich im Merlotte’s auftauchten?«

»Ja«, sagte Sam. Im Schein der Lampions, die überall im Garten hingen, war er hell beleuchtet und düster beschattet zugleich. »Und hattest du etwas damit zu tun?«

»Viel«, sagte ich traurig. »Aber es war reine Notwehr.«

»Davon bin ich überzeugt.« Er hatte meine Hand ergriffen, und ich zuckte überrascht zusammen. »Schließlich kenne ich dich«, sagte er, ohne meine Hand wieder loszulassen.

Sams Vertrauen löste ein warmes Glücksgefühl in mir aus. Ich arbeitete jetzt schon recht lange für ihn, und seine gute Meinung von mir bedeutete mir sehr viel. Ich spürte einen dicken Kloß im Hals und musste mich erst mal räuspern. »Daher war ich nicht gerade erfreut, Tanya wiederzusehen«, fuhr ich fort. »Ich habe ihr von Anfang an misstraut, und als ich herausgefunden hatte, warum sie in Bon Temps war, war sie unten durch bei mir. Ich weiß nicht, ob sie immer noch von den Pelts bezahlt wird. Und abgesehen davon ist sie heute Abend mit Calvin hier. Wieso macht sie sich da an dich heran?« Ich klang sehr viel wütender, als ich beabsichtigt hatte.

»Oh.« Sam wirkte irritiert.

»Aber wenn du dich mit ihr treffen willst, tu’s ruhig«, fuhr ich fort und versuchte, etwas lockerer zu scheinen. »Ich meine– sie kann ja nicht durch und durch schlecht sein. Und vermutlich dachte sie, es wäre richtig, bei der Suche nach einer vermissten Gestaltwandlerin mitzuhelfen.« Das klang doch ziemlich gut, und vielleicht entsprach es sogar der Wahrheit. »Mir müssen die Frauen, mit denen du dich triffst, ja nicht gefallen«, fügte ich noch hinzu, nur um klarzustellen, dass ich natürlich kein Anrecht auf Sam hatte und das auch wusste.

»Stimmt, aber mir geht’s besser, wenn’s so ist«, meinte Sam.

»Mir auch«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung.

Kapitel 2

Leise und unauffällig begannen wir zusammenzupacken, denn es hielten sich noch einige wenige Gäste im Garten auf.

»Wo wir grad von Verabredungen reden: Was ist eigentlich aus Quinn geworden?«, fragte Sam, während er Gläser einpackte. »Seit du aus Rhodes zurück bist, hast du nur noch Trübsal geblasen.«

»Na ja, er wurde bei dem Bombenanschlag ziemlich schwer verletzt, das habe ich dir doch erzählt.« Quinn arbeitete für Special Events, ein Tochterunternehmen von E(E)E, das Veranstaltungen in der Welt der Supras organisierte: Partys zur ersten Verwandlung eines Werwolfteenagers, Wettkämpfe um das Amt des Leitwolfs, hierarchische Vampirhochzeiten. Wegen so einer Hochzeit war Quinn im Vampirhotel Pyramide von Giseh gewesen, als die Bruderschaft der Sonne ihren hinterhältigen Anschlag in die Tat umsetzte.

Diese Sonnenbrüder waren Vampirgegner, ahnten jedoch nicht, dass die Vampire nur die in der Öffentlichkeit sichtbare Spitze einer ganzen Welt von übernatürlichen Geschöpfen waren. Niemand wusste das, oder zumindest nur einige wenige so wie ich– obwohl in letzter Zeit mehr und mehr Leute hinter das große Geheimnis kamen. Die Fanatiker der Bruderschaft würden Werwölfe und Gestaltwandler wie Sam sicher genauso hassen wie die Vampire… wenn sie denn von ihrer Existenz wüssten. Und das konnte schon sehr bald der Fall sein.

»Ja, aber ich dachte…«

»Ich weiß. Ich dachte auch, dass zwischen Quinn und mir alles klar wär«, sagte ich, und falls das etwas trübsinnig klang– genauso fühlte ich mich bei dem Gedanken an meinen verschollenen Wertiger. »Ich dachte immer, er würde sich melden. Aber bislang kam nicht ein Wort.«

»Hast du noch das Auto seiner Schwester?« Frannie Quinn hatte mir ihr Auto geliehen, damit ich nach der Katastrophe in Rhodes irgendwie nach Hause kam.

»Nein, das ist eines Abends einfach verschwunden, als Amelia und ich beide in der Arbeit waren. Ich habe Quinn auf dem Handy angerufen und ihm auf die Mailbox gesprochen, dass es weg ist. Aber er hat nicht zurückgerufen.«

»Das tut mir wirklich leid, Sookie«, sagte Sam. Er wusste, dass das kein Trost war, aber was sollte er schon groß sagen?

»Ja, mir auch«, erwiderte ich und versuchte, nicht allzu deprimiert zu klingen. Ich musste mich wenigstens bemühen, nicht ständig in dieser ermüdenden gedanklichen Endlosschleife zu versinken. Ich wusste doch, dass Quinn nicht mir die Schuld an seinen schweren Verletzungen gab. Ich hatte ihn vor meiner Abfahrt aus Rhodes noch im Krankenhaus besucht, und er war in der Obhut seiner Schwester Frannie gewesen, die mich zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr zu hassen schien. Keine Vorwürfe, kein Hass– warum also hörte ich nichts mehr von Quinn?

Es war, als hätte der Erboden sich aufgetan und ihn verschluckt. Ich zuckte die Achseln und versuchte, an etwas anderes zu denken. Viel Arbeit war das beste Mittel gegen diese Art von Sorge. Wir fingen an, einige der Sachen zu Sams Pick-up hinüberzutragen, der etwa einen Block weiter stand. Sam hatte sich die schwereren Dinge geschnappt. Er ist nicht besonders groß, aber wie alle Gestaltwandler hat er echte Bärenkräfte.

Um halb elf waren wir fast fertig. Den Hochrufen vor der Villa entnahm ich, dass die beiden frischgebackenen Ehefrauen in ihren Flitterwochenkleidern die Treppenstufen herabgekommen waren und vor ihrer Abfahrt ihre Brautsträuße in die Menge geworfen hatten. Portia und Glen fuhren nach San Francisco, und Halleigh und Andy wollten in irgendeinen Badeort auf Jamaika. Mir entging eben einfach gar nichts.

Sam sagte, dass ich jetzt ruhig gehen könne. »Dawson wird mir nachher helfen, den Pick-up zu entladen.« Eine gute Idee, fand ich, zumal Dawson, der Sam an diesem Abend hinter der Bar im Merlotte’s vertrat, ein Schrank von einem Mann war.

Nachdem wir das Trinkgeld aufgeteilt hatten, war ich etwa dreihundert Dollar reicher. Ein wirklich lukrativer Abend. Ich steckte das Geld in die Hosentasche, wo es eine Beule schlug, weil viele Ein-Dollar-Scheine darunter waren. Zum Glück waren wir hier nicht in der Großstadt, sondern im kleinen Bon Temps, ich musste also nicht fürchten, eins über den Schädel gezogen zu bekommen, noch ehe ich im Auto saß.

»Okay, dann gute Nacht, Sam«, sagte ich und zog meinen Autoschlüssel aus der anderen Hosentasche. Eine Handtasche hatte ich an diesem Abend nicht mitgenommen. Auf dem Weg vom Garten der Villa zur Straße hinunter fuhr ich mir etwas missmutig durchs Haar. Ich hatte die Frau im rosa Kittel gerade noch davon abhalten können, es hochzustecken, doch dann hatte sie mir eine bauschige Lockenfrisur im Farrah-Fawcett-Stil verpasst. Ich kam mir albern vor.

Autos fuhren vorüber, in den meisten saßen Hochzeitsgäste auf dem Weg nach Hause. Sonst herrschte der übliche Samstagabendverkehr. Die am Bordstein parkenden Wagen zogen sich sehr weit die Straße hinunter, und der Verkehr floss nur recht stockend. Ich hatte mein Auto rechtswidrig gegen die Fahrtrichtung geparkt, doch davon wurde in unserer Kleinstadt gewöhnlich kein Aufhebens gemacht.

Als ich mich bückte, um die Autotür aufzuschließen, hörte ich ein Geräusch hinter mir. In einer einzigen Bewegung schloss ich die Faust um die Schlüssel, wirbelte herum und schlug zu, so fest ich konnte. Der Schlüsselbund verlieh meiner Faust einen eisernen Drall, und der Mann hinter mir wankte rückwärts über den Gehsteig und landete schließlich mit dem Hintern auf dem Rasen der Bellefleurs.

»Ich wollte Ihnen nichts tun«, murmelte Jonathan.

Gar nicht so leicht, einigermaßen würdig und harmlos zu wirken, wenn man auf dem Hintern hockt und einem Blut aus dem Mundwinkel läuft, doch dem asiatischen Vampir gelang es spielend.

»Sie haben mich überrascht«, sagte ich, was eine starke Untertreibung war.

»Das habe ich gemerkt«, erwiderte er und sprang leichtfüßig auf. Er zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Mund ab.

Entschuldigen würde ich mich nicht. Leute, die sich im Dunkeln einfach von hinten an mich heranschleichen, haben verdient, was sie bekommen. Aber dann dachte ich noch mal nach. Vampire bewegten sich nun einmal lautlos. »Tut mir leid, dass ich gleich mit dem Schlimmsten gerechnet habe«, sagte ich, was irgendwie eine Art Kompromiss war. »Ich hätte mich erst umdrehen und nachsehen sollen, wer es ist.«

»Nein, dann hätte es schon zu spät sein können«, meinte Jonathan. »Eine Frau allein unterwegs muss sich verteidigen.«

»Danke für Ihr Verständnis«, sagte ich vorsichtig und blickte in den Schatten hinter ihm, ohne eine Miene zu verziehen. Was mir nicht allzu schwerfiel, weil ich in den Gedanken der Menschen ständig so viele erschreckende Dinge lese. Dann sah ich ihm direkt ins Gesicht. »Haben Sie… Was machen Sie eigentlich hier?«

»Ich bin auf der Durchreise und war als Gast von Hamilton Tharp auf der Hochzeit«, erklärte Jonathan. »Ich halte mich mit Eric Northmans Erlaubnis im Bezirk Fünf auf.«

Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Hamilton Tharp war– vermutlich irgendein Freund der Bellefleurs. Aber Eric Northman kannte ich sehr gut. (Eine Zeit lang hatte ich sogar jedes einzelne Detail von Kopf bis Fuß von ihm gekannt.) Eric war der Sheriff von Bezirk Fünf, einem großen Gebiet im Norden von Louisiana. Und wir waren auf komplizierte Weise aneinander gebunden, was ich beinah täglich höllisch bedauerte.

»Eigentlich wollte ich nur wissen– warum sind Sie mir überhaupt gefolgt?« Ich wartete, den Schlüsselbund noch in der Faust. Im Notfall würde ich ihm eins auf die Augen verpassen, beschloss ich. Sogar Vampire haben Schwachstellen.

»Ich war neugierig«, sagte Jonathan schließlich und hielt die gefalteten Hände vor sich. So langsam wurde mir dieser Vampir richtig unsympathisch.

»Warum?«

»Nun, ich habe im Fangtasia Leute über eine Blondine reden hören, von der Eric Northman angeblich sehr viel hält. Aber Eric ist so ein hochnäsiger Typ, dass es mir völlig abwegig erschien, er könne sich für eine Menschenfrau interessieren.«

»Und woher wussten Sie, dass ich heute Abend hier auf dieser Hochzeit sein würde?«

Seine Augen flackerten. Mit weiteren Fragen von mir hatte er nicht gerechnet. Er war davon ausgegangen, dass er mich beruhigen könnte, ja mir vielleicht schon in diesem Moment mit einem betörenden Vampirblick seinen Willen aufzwingen würde. Doch das funktionierte bei mir nicht.

»Diese junge Frau, die für Eric arbeitet, sein Geschöpf Pam, hat es erwähnt«, sagte er.

Der lügt wie gedruckt, dachte ich. Ich hatte Pam seit zwei Wochen nicht gesprochen, und unser letztes Gespräch war nicht gerade eine nette Plauderei unter Mädels über mein Arbeits- und Privatleben gewesen. Pam hatte noch immer mit den Wunden zu tun gehabt, die sie sich in Rhodes zugezogen hatte. Ihre Genesung und die von Eric und der Königin, das war das einzige Thema unseres Gesprächs gewesen.

»Natürlich«, sagte ich nur. »Also dann, gute Nacht. Ich muss los.« Und mit diesen Worten schloss ich mein Auto auf und stieg ein, wobei ich Jonathan im Auge behielt für den Fall, dass er irgendein krummes Ding versuchen sollte. Aber er stand nur reglos wie eine Statue da und nickte mir noch einmal zu, als ich den Motor anließ und davonfuhr. Erst beim nächsten Stoppschild legte ich den Sicherheitsgurt an. Solange Jonathan in der Nähe gewesen war, hatte ich mich nicht so im Sitz fixieren wollen. Ich verriegelte die Autotüren von innen und sah mich um. Kein Vampir weit und breit. Herrje, das war ja wirklich sehr seltsam, dachte ich. Vielleicht sollte ich besser Eric anrufen und ihm den Vorfall schildern.

Was das Seltsamste daran gewesen war: Der runzlige Mann mit dem langen hellen Haar hatte die ganze Zeit im Schatten hinter dem Vampir gestanden. Unsere Blicke waren sich nur einmal kurz begegnet. Sein schönes Gesicht war undurchdringlich gewesen, doch ich hatte gewusst, dass ich seine Anwesenheit nicht preisgeben sollte. Ich hatte seine Gedanken nicht lesen können und trotzdem hatte ich es gewusst.

Am seltsamsten aber war, dass Jonathan ihn nicht bemerkt hatte. Wenn ich bedachte, wie hervorragend der Geruchssinn von Vampiren war, erschien mir seine Ahnungslosigkeit geradezu grotesk.

Ich dachte immer noch über diesen seltsamen kleinen Vorfall nach, als ich von der Hummingbird Road in die lange Auffahrt einbog, die durch den Wald zu meinem alten Haus führte. Das Herzstück des Hauses war vor über einhundertsechzig Jahren errichtet worden, aber von der ursprünglichen Struktur war natürlich nicht mehr viel übrig. Das Haus war erweitert und umgebaut worden und hatte in all den Jahrzehnten auch immer mal wieder ein neues Dach bekommen. Anfangs hatte es nur zwei Zimmer gehabt, aber auch wenn es jetzt viel größer war, blieb es doch ein ganz gewöhnliches Wohnhaus.

Heute Abend wirkte das Haus sehr friedlich im Schein der Außenbeleuchtung, die meine Mitbewohnerin Amelia Broadway für mich angelassen hatte. Amelias Wagen stand hinter dem Haus, und ich parkte genau daneben. Ich nahm die Schlüssel zur Hand für den Fall, dass sie schon nach oben ins Bett gegangen war. Amelia hatte die Tür mit dem Fliegengitter offen gelassen, und so verriegelte ich sie hinter mir. Dann schloss ich den Hintereingang auf und hinter mir sogleich wieder zu. Mit der Sicherheit nahmen wir es höllisch genau, Amelia und ich, vor allem bei Nacht.

Zu meiner Überraschung saß Amelia am Küchentisch und wartete auf mich. In all den Wochen, die wir nun schon zusammenwohnten, hatte sich eine Art Routine herausgebildet, und normalerweise war Amelia zu dieser Uhrzeit bereits nach oben verschwunden. Sie hatte im ersten Stock einen eigenen Fernseher, ein Handy und ein Notebook, und sie besaß einen Bibliotheksausweis der Stadtbücherei, so dass sie stets genug zu lesen dahatte. Und dann arbeitete sie ja auch noch an ihren Zauberkünsten, wozu ich ihr aber keine Fragen stellte. Niemals. Amelia war eine Hexe.

»Wie ist es gelaufen?«, fragte sie und rührte in ihrem Tee, als wolle sie einen kleinen Whirlpool daraus machen.

»Na ja, sie haben geheiratet. Keine der Bräute ist in letzter Minute getürmt, Glens Vampirkunden haben sich tadellos benommen, und Miss Caroline war die Güte in Person. Aber ich musste für eine der Brautjungfern einspringen.«

»Oh, wow! Erzähl mal.«

Das tat ich, und an einigen Stellen mussten wir beide lachen. Ich dachte kurz daran, Amelia auch von dem schönen alten Mann im Schatten zu erzählen, tat es dann aber doch nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Er hat mich angesehen, vielleicht? Dafür erzählte ich ihr von Jonathan aus Nevada.

»Was meinst du, was wollte er wirklich?«, fragte Amelia.

»Keine Ahnung.« Ich zuckte die Achseln.

»Du musst es herausfinden. Allein schon, weil du noch nie etwas von dem Kerl gehört hast, dessen Gast er angeblich war.«

»Ich werde Eric anrufen– wenn nicht heute Nacht, dann morgen Nacht.«

»Zu schade, dass du kein Exemplar dieser Datenbank von Bill gekauft hast. Gestern erst habe ich im Internet eine Werbeanzeige dafür gesehen, auf einer Vampirwebseite.« So abrupt, wie es schien, war dieser Themenwechsel gar nicht. Bills Datenbank enthielt Bilder und/ oder Lebensläufe aller Vampire auf der Welt, die er hatte ausfindig machen können. Und sogar von einigen, von denen er nur gehört hatte. Bills kleine CD brachte seinem Boss, Königin Sophie-Anne, mehr Geld ein, als ich mir je hätte träumen lassen. Aber man musste Vampir sein, um sie kaufen zu dürfen, und das wurde peinlich genau überprüft.

»Tja, da Bill fünfhundert Dollar pro Stück verlangt und es ein ziemliches Risiko ist, sich als Vampir auszugeben…«, erwiderte ich.

Amelia winkte ab. »Das wäre es allemal wert.«

Amelia war sehr viel raffinierter als ich… in mancher Hinsicht zumindest. Sie war in New Orleans aufgewachsen und hatte dort beinahe ihr ganzes Leben verbracht. Jetzt wohnte sie bei mir, weil sie einen riesengroßen Fehler gemacht hatte. Sie war gezwungen gewesen, New Orleans zu verlassen, nachdem sie mit ihrer Unerfahrenheit in Sachen Magie eine Katastrophe verursacht hatte. Was andererseits ein großes Glück für sie war, denn kurz danach brach Katrina über das Land herein. Seit dem Hurrikan wohnte ihr Mieter, der das Apartment im oberen Stockwerk von Amelias Haus bewohnte, allein dort. Ihr eigenes Apartment im Erdgeschoss hatte einige Schäden erlitten, und weil der junge Mann jetzt die Renovierung des Hauses überwachte, nahm sie zurzeit keine Miete von ihm.

Ah, und hier war der Grund dafür, dass Amelia auch so bald nicht nach New Orleans zurückkehren würde. Bob kam auf leisen Pfoten in die Küche und strich zur Begrüßung liebevoll um meine Beine herum.

»Hey, du süßer Schnuckel«, säuselte ich und nahm den schwarz-weißen Kater auf den Arm. »Wie geht’s unserem Liebling denn heute?«

»Mir wird gleich übel«, sagte Amelia. Doch ich wusste, dass sie genauso albern mit Bob sprach, wenn ich nicht zu Hause war.

»Irgendwelche Fortschritte?«, fragte ich, als ich von Bobs langhaarigem Fell wieder aufsah. Offenbar war er heute Nachmittag gebadet worden– so flauschig war er nur selten.

»Nein«, erwiderte sie, und das klang ziemlich entmutigt. »Eine ganze Stunde lang habe ich mit ihm gearbeitet, aber zum Schluss hatte er bloß einen Eidechsenschwanz. Es hat mich all meine Zauberkraft gekostet, das wieder rückgängig zu machen.«