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Die Anthologie 'Ein weiblicher Arzt' beleuchtet durch eine sorgfältige Auswahl an Texten die Herausforderungen und Errungenschaften von Frauen in der Medizin. Mit Beiträgen von Valeska Bolgiani und Arthur Stahl erforscht diese Sammlung nicht nur den Wandel der medizinischen Praxis im Zeitverlauf, sondern stellt auch die oft übersehenen Perspektiven von Ärztinnen in den Mittelpunkt. Die Vielfalt der literarischen Stile reicht von wissenschaftlich fundierten Essays bis hin zu persönlichen Erzählungen und gibt so einen umfassenden Einblick in die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Gesundheitswesen. Valeska Bolgiani und Arthur Stahl, beide renommierte Schriftsteller im Bereich der Medizingeschichte, bringen ihre umfassenden Kenntnisse und unterschiedlichen Hintergründe ein, um das facettenreiche Bild der weiblichen ärztlichen Berufung zu zeichnen. Ihr kollektiver Beitrag beschreibt nicht nur individuelle Schicksale, sondern verknüpft diese mit größeren sozialen und historischen Kontexten, was den Lesern ermöglicht, die evolutionäre Transformation der medizinischen Berufe zu verstehen. Diese Anthologie ist eine unverzichtbare Ressource für alle, die sich für die Geschichte der Medizin und die Rolle der Frauen in ihr interessieren. 'Ein weiblicher Arzt' bietet eine einzigartige Gelegenheit, eine Vielzahl von Perspektiven und Stilen zu entdecken und fördert einen wichtigen Dialog über Geschlechterdynamiken in einem kritischen professionellen Feld. Diese Sammlung ist ideal für Leser, die ihr Verständnis für die vielschichtigen Aspekte medizinischer Berufe erweitern möchten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
»Aber Fräulein Ursula,« sagte der Musikdirektor Harder, indem er die Hand etwas unsanft auf die Lehne ihres Stuhles legte, »Sie spielen in der Tat heute sehr unaufmerksam, Sie übereilen die Tempi. und zögern, wo es nicht gestattet ist; ich muss Sie bitten, diesem vorzüglichen Musikstücke Ihre ungeteilte Beachtung zu schenken!«
Die ungeduldige Stimme des Lehrers schreckte das junge Mädchen aus der Zerstreuung auf, die zwar der Geläufigkeit ihrer Finger keinen Abbruch getan, aber ihrem Spiele einen Anstrich von Gedankenlosigkeit gegeben hatte, den Herr Harder bei seinem Interesse für das Talent dieser Schülerin durchaus nicht gestatten wollte.
Sie sah nicht zu ihm auf, aber ein rascher Blick in den Spiegel, der dem Flügel gegenüber hing, genügte ihr, in seinem Gesichte einen Ausdruck von Unzufriedenheit zu lesen, der, wie sie wusste, nur durch angestrengten Eifer zu versöhnen war.
Ursula richtete ihre Augen fest auf das Notenblatt und gab sich Mühe, gut zu spielen, aber die immer höhere Färbung ihrer Wangen strafte ihre erkünstelte Ruhe Lügen. Nach einer Viertelstunde vergeblicher Anstrengung fühlte sie es selbst und glaubte ein Auskunftsmittel gefunden zu haben, indem sie aufhörte und bittend sagte:
»Wenn Sie mir zu singen erlaubten, würde es besser gehen, Herr Harder.«
Der Angeredete legte, ohne zu antworten, das Notenheft zusammen, stand ruhig auf und stellte sich mit verschränkten Armen und zuhörender Miene etwas entfernt hin, doch so, dass er die ganze Gestalt des jungen Mädchens sehen konnte.
Ursula Conti war für den Blick eines ruhigen Beschauers keine vollkommen schöne Erscheinung. .Das etwas dunkle Kolorit ihres Teints, ihr blasses Aussehen und ihr zarter, sehr schlanker Wuchs ließen sie fast noch unentwickelt erscheinen, obwohl sie achtzehn Jahre alt war.
Der Ausdruck ihrer tiefen Innerlichkeit lag in ihren großen dunklen Augen, die bei einiger Erregung von geheimnisvollem Feuer glühten, durch den Schleier langer Wimpern halb gedämpft, halb gehoben. Die starken Flechten ihres glänzend schwarzen Haares, die um den Kopf geschlungen lagen, gaben dem Oval der feingeschnittenen Züge etwas Fremdartiges. Sie war ganz schmucklos gekleidet, denn die weiße Blüte, die wie zufällig aus ihrem Kleide hervor sah, passte so sehr zu diesem jungen Wesen, dass sie nicht für einen Schmuck gelten kennte.
Ursula fühlte zwei durchdringende Augen auf sich gerichtet, und entschlossen, ihre innere Bewegung zu bekämpfen, begann sie die Begleitung zu Mendelssohns Liede:.
»Der Herbstwind schüttelt die Bäume.«
Die Stimme drang so voll und metallisch aus ihrer Brust hervor, dass ihr ganzer Körper darunter zu beben schien.
Es gibt Stimmen, deren Klang fast schmerzlich berührt, weil sie in die geheimsten Saiten des Gemüts greifen. Sie sind gewöhnlich weder sehr klar, noch sehr biegsam, und eignen sich durchaus nicht zur Koloratur, ihre Macht besteht, wie beim Cello, in einfachen, getragenen, gedankenvollen Weisen.
Ursula hatte eine solche Stimme, und ein Dilettant würde ihren Vortrag sehr originell gefunden haben; nicht so Herr Harder.
»Die jungen Damen glauben allen Anforderungen genügt zu haben, wenn sie nur Empfindung in ihren Gesang legen. Das Lied ist nicht da, um zu beweisen, mit welcher Sehnsucht ein junges Mädchen ihren Geliebten erwartet, sondern um zu zeigen, ob sie zu singen versteht. Der Künstler darf beim Gesange gar nichts empfinden, als seine Kunst, es muss ihm viel mehr darauf ankommen, wie er singt, als was er singt, und er würde durch beständige Aufregung des. Gefühls seine Kräfte in kurzer Zeit aufreiben.«
Ursula öffnete die Lippen, schloss sie aber wieder, ohne ein Wort zu sagen, denn sie liebte ihren Lehrer trotz seiner unerbittlichen Strenge, und wollte ihn durch ihre abweichende Ansicht nicht noch mehr erzürnen.
Harder war indessen an den Flügel getreten und blätterte in einem Hefte, das er früher nicht unter Ursulas Noten bemerkt hatte.
Es enthielt kleinere Kompositionen teils bekannter Texte, und er übersah schnell die Worte des ersten Liedes:
»Sind die Boten, die ich abgesandt, Richtig angekommen? Und Wie hast Du die an Dich gesandte Gabe, Liebchen, aufgenommen? Die geflügeltesten Gedanken meiner Seele Ließ ich zu Dir eilen, Dir zu melden, was dem kranken Herzen fehle Und wie Du kannst heilen. Aus des Morgens Pfaden, mit betauten Füßen, Auf des Abends Bahnen Gehn zu Dir aus diesem Herzen seiner süßen Wünsche Karawanen Ein verschwieg’nes Sehnen und ein laut Verlangen Gingen ab. zusammen Haben sie gedurft um Deine Rosenwangen Hauchen ihre Flammen? Ich befahl der Morgensonne, als ein stummer Bote Dich zu wecken, Leis’ um Dich den Schlummer, Den er küsst, zu schrecken. Morgenrot vors Antlitz soll Dir halten Einen Spiegel meiner Gluten Und die Röt’ am Abendhimmel soll Dir scheinen Meiner Seele Bluten. Wo Du wandelst, müssen alle Morgenwinde Am Gewand Dir säuseln, Und statt meines Atems Abendlüste Dir die Locken kräuseln!«
Harder fragte Ursula, von wem die Lieder komponiert seien, und forderte sie zugleich auf, das erste zu singen. Sie tat es nicht gern. Diese Sachen waren ihr überaus teuer, und sie wünschte nicht, an dieselben den Maßstab trockener Kritik gelegt zu sehen.
Sie wusste, dass, wenn Harder einen Fehler in der Form, eine jene tausend kleinen Vergehungen fände, die sich in Dilettantenkompositionen so leicht einschleichen, er die geniale Auffassung des Ganzen unberücksichtigt lassen und unaufhörlich an dem Mörtel und Kalk bröckeln würde, der die Steine des Ganzen zusammenhält, gleichviel, ob diese aus reinstem Marmor oder aus Sandstein bestehen.
Die Stunde, welche Ursula heute zur langen Qual geworden, war vorüber. Sie blieb, nachdem sie Herrn Harder geleitet hatte, in der geöffneten Gartentür stehen, und drückte die Hand an die brennende Stirn. Dann sah sie forschend umher, und zog einen Brief hervor, dessen zerknittertes Ansehen zeigte, dass er schon öfter gelesen war, und heftete die Augen gedankenvoll auf seinen Inhalt.
Der Saal, in welchem Ursula sich befand, war mit anscheinender Vorliebe für die Musik eingerichtet.
In der Mitte stand ein Flügel, dessen tiefer Glockenton weder durch zu viele Möbel, noch Teppiche gedämpft wurde. Hohe Glastüren führten in den Garten und ließen den üppig grünen Rasen und eine Laube von Geißblatt sehen. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Tisch mit einem fein ausgelegten Violinkasten darauf, und über demselben hing das lebensgroße Bild eines Mannes mit ungemein sprechender Haltung, dessen Augen auf das junge Mädchen gerichtet schienen, welches ihm so sehr ähnlich war. Andere Ölgemälde und Portraits berühmter Musiker zierten die Wände.
In den Ecken des Saales befanden sich Sofas mit kleinen Tischen, auf denen Bücher, Noten und Kupferstiche lagen, auf einem derselben auch ein Körbchen mit weiblicher Arbeit.
Ursula hatte ihren Brief gelesen. Sie zerdrückte ihn in ihrer Hand, und die fieberhafte Unruhe, die ihr schon Harders Unzufriedenheit zugezogen hatte, drückte sich von neuem in ihrer Haltung aus. Sie ging mit schnellen Schritten auf den Kieswegen des Gartens lang, zerpflückte achtlos Blumen und Blätter, warf kleine Steinchen in das Bassin des Springbrunnens, und sah mechanisch den immer grösser werdenden Kreisen auf dem Wasser zu, endlich band sie einen kleinen Strauß zusammen, trat in den Saal zurück und blieb am Flügel stehen.
Das eben gesungene Lied stand noch aufgeschlagen da, sie nahm das Buch, legte die Blume mit der weißen Blüte, die an ihrer Brust gewelkt war, hinein, und sagte leise:
Ursula hörte nicht, dass die Tür des Vorsaals geöffnet wurde, und saß, den Kopf gesenkt, still da. Es war eine Frau eingetreten, die mit der Fülle dunkelblonder Locken, die unter der Spitzenhaube vorquoll, jung genug aussah, um für ihre Schwester zu gelten, hätte nicht der volle Blick der Liebe, mit welchem sie das junge Mädchen betrachtete, die Mutter verraten.
Sie hatte jenes angenehme Embonpoint, das Frauen in einem gewissen Alter so gut steht, und der wohlwollende Ausdruck ihres Gesichts, wie das Ebenmaß ihrer Bewegungen zeugten von einer Ruhe und Harmonie, die auf alles, was sie umgab, wohltuend wirken musste.
Sie war mit derselben Einfachheit gekleidet wie ihre Tochter, und wenn der Anzug einer Frau jemals eine Charakteristik sein kann, so war er es hier. Sie war in Gesellschaft wie im Hause immer elegant, aber niemals geputzt, wie in ihren Gesinnungen und Worten stets gediegen und wahr, aber niemals prunkend.
Caroline Conti hatte sich ihrer Tochter genähert, und indem sie die Erregung bemerkte, die sich in Ursulas Zügen malte, legte sie leise die Hand auf ihren Scheitel und beugte sich zu ihr hinab. Diese Berührung übte eine Art magnetischen Einflusses auf das junge Mädchen; es war mancher Sturm von dieser Hand beschworen, und Caroline vertraute ihrem Einflusse — heute aber war es nicht so leicht. Ursula erhob sich und warf sich in die Arme ihrer Mutter.
»Wirst Du mir verzeihen können, Mama?«
Caroline erschrak, fasste sich aber sogleich, denn das Zutrauen, welches sie in dieses einzige Kind setzte, war zu groß, um etwas Beschämendes zu fürchten.
»Und was hätte ich Dir zu verzeihen, mein Kind?« fragte sie ruhig., indem sie Ursula zu dem nahestehenden Divan zog und die Spannung verbarg, mit welcher sie ihre Antwort erwartete.
Ursula hob den noch von Tränen umflorten Blick zu ihr empor und suchte nach Worten.
Aber ein junges Herz gibt das erste Geständnis der Liebe nicht freiwillig, die Mutter musste es ihr von den Lippen küssen und aus den Augen lesen.
»Und wer ist es, Ursula?« fragte sie, indem sie das leise Beben ihrer Stimme nicht ganz zu unterdrücken vermochte.
»Du sahst ihn alle Tage — wie ich,« sagte Ursula, den Kopf an Carolinens Brust verbergend, »aber über meinem Leben ging seine Liebe wie eine Sonne auf.«
Von der Erinnerung ganz berauscht, vergaß das arme Kind, dass schon jetzt eine Wolke diese Sonne zu verdunkeln begann.
Ihre Mutter sah so mitleidsvoll und mild zu ihr nieder, als wäre sie noch das kleine hilflose Kind, das. sie auf ihren Armen geschaukelt und an dessen Wiege sie manche schlaflose Nacht mit unermüdlicher Sorge gesessen hatte, und sagte:
»Du weißt wohl, Ursula, dass mein Leben mir nicht zu teuer wäre, wenn ich damit Dein wahres Glück erkaufen könnte, aber bevor ich entscheide, musst Du ganz offen gegen mich sein. Du hast keine bessere Freundin, als mich — erzähle mir alles.«
»Wäre ich früher offen gegen Dich gewesen, Mama, so hätte ich Dir nur von unserm Glücke zu erzählen, aber nun ist plötzlich alles geändert. Richards Vater ist vor wenigen Tagen gestorben, und er steht mittel- und ratlos noch im Anfange seiner Studien. Nicht allein der Schmerz um den Tod des Vaters, auch die Sorge um die Zukunft unserer Liebe lassen ihn fast verzweifeln —«
»Und woher weißt Du das alles, mein Kind, ist vielleicht Dein Vormund, Richards Onkel, Dein Vertrauter gewesen?«
Caroline ahnte die Wahrheit, aber sie wollte Ursula keines ihrer Bekenntnisse schenken, die, wie sie wusste, ihr Herz erleichtern würden.
»O nein,« sagte diese, indem sie den Brief aus der Tasche nahm und ihn, tief errötend, ihrer Mutter gab — »wir haben einander geschrieben. Es war ein großes Unrecht gegen Dich — aber die Sehnsucht war so groß und die Trennung so lang, und wir hatten uns so viel zu sagen!«
Wäre Caroline nicht durch das Gehörte zu sehr überrascht gewesen, so würde sie sich versucht gefühlt haben, über den kindlichen Ausdruck in Ursulas Zügen zu lächeln.
»Du weißt ja, liebe Mutter,« fuhr diese fort, und nun beglückt, ihr Herz erleichtern zu dürfen, »dass Richard die langen Ferien nach dem beendeten ersten Jahre seiner Studien im Hause seines Onkels verlebte, und mit diesem oder allein fast täglich zu uns kam. Ich sah ihn zuerst auf der Straße an meinem Fenster vorübergehen, und — liebe Mutter — er war so schön, dass ich ihn mit den Augen verfolgen musste. Ich wusste nicht, wer er sei und woher er mich kannte, aber er sah hinaus und grüßte mich.
Mehrere Tage lang sah ich ihn nicht wieder, aber vor meinen Augen schwebte sein Bild, die schlanke Gestalt, das lockige Haar und der leuchtende Blick, mit dem er mich angesehen hatte.
Kurze Zeit darauf wollte ich mit dem Onkel« — Ursula nannte, ohne ihm verwandt zu sein, ihren Vormund, der ein treuer Freund ihres Hauses war, bald Onkelchen, Papa, auch wohl Herr Kurt, oder bei sehr feierlichen Gelegenheiten Herr Rechtsanwalt — »und Frau Kurt einen Spaziergang machen. Sie begegneten mir schon auf der Straße, aber sie waren nicht allein, der junge Fremde ging mit ihnen.
Der Vormund stellte ihn mir als seinen Neffen, Richard Golden, vor. Er tat es mit seiner trockensten Miene, als ob man von einer ganz gewöhnlichen Person spräche.
Er verließ uns bald, um zu einem Klienten zu gehen. Frau Kurt führte uns den Bergweg, der so grün und versteckt liegt.
Als wir auf dem Platze angekommen waren, der weit über die Stadt und die waldige Gegend blickt, ließ sie uns eine Weile allein, um in einem der kleinen Häuser eine Kranke zu besuchen. Es war ein wunderschöner Abend, als ob ein stiller Frieden sich über Berg und Tal herabgesenkt hätte. Von der Stadt herauf läuteten die Glocken den Sonntag ein, vom Berge her klangen die Glöckchen der Kühe, und die Sonne warf noch einzelne Streiflichter durch die Bäume. Ich setzte mich auf einen der Hügel und legte meinen Hut in den Rasen. Richard stand vor mir. Ich weiß nicht mehr, was er sprach, ich hörte nur den Klang seiner Stimme und sah den feurigen und doch sanften Blick seiner tiefblauen Augen. Mir war, als ob ich träumte. Endlich schwiegen wir beide, und sogen den unbekannten Zauber ein, der uns umgab.
Von der Zeit an sah ich ihn, wie Du weißt, fast täglich. Er kam zuerst mit dem Vormund zu uns, dann auch allein. Wir lasen zusammen, wir sangen und fanden eine unbeschreibliche Freude darin, wenn unsere beiden Stimmen leise zu einer verklangen, er brachte mir Gedichte, er skizzierte für mich die Plätze, die wir zusammen besucht hatten, und erzählte mir oft von seiner Kindheit und vom Hause seines Vaters, der Prediger auf dem Lande war. Ach, liebe Mutter, was damals in mir vorging, vermag ich Dir kaum zu beschreiben.
Ich war in eine neue Welt getreten. Ich fürchtete mich vor der Gewalt des Gefühls, von dem ich ahnte, dass es mich willenlos beherrschen würde, und doch suchte ich es. Mein Leben war ein stetes Sehnen nach ihm, wenn ich ihn nicht sah, und noch größere Ruhelosigkeit, wenn er bei mir war. Selten waren wir allein, und ich vermied es. Es war dann nicht mehr die süße Leichtigkeit der Unterhaltung; jedes noch so unbefangene Wort, jede leise Berührung seiner Finger beim Zeichnen machten mich erröten, seine Augen blickten dann anders — ich fürchtete mich. — Die Zeit flog. Richard kam, um Abschied zu nehmen. Es war Gesellschaft da, und wir im Gartensaale. Ich wusste, dass er auf den besondern Wunsch seines Vaters Theologie studiere und noch zwei Jahre eine andere Universität besuchen würde. Diese Stunde war die letzte vor einer langen Trennung, und ich wollte — nicht eine Erklärung seiner Liebe, aber ein Wort, an das ich mich in der langen öden Zeit anklammern könnte — ein Wort von Wiedersehen.
Ich ging in den Garten hinaus, es begann zu dämmern. Der Himmel war grau, einzelne Tropfen fielen herab. Der Wind trieb das falbe Laub in den Wegen, es war draußen so trübe wie in mir. Mich fror, ich weiß nicht, ob von der Kälte des Herbstwindes, oder von der Kälte der Zukunft. die ich herannahen fühlte.
Als ich mich dem Bosquet näherte, hörte ich eilige Schritte hinter mir. Ohne umzusehen, wusste ich, dass er es war, und vor dem Schmerz des Abschiedes, der nun folgen musste, schwand alle Befangenheit, die ich in der letzten Zeit ihm gegenüber gefühlt hatte.
›Fräulein Ursula,‹ sagte er, neben mir fort gehend, ›wollen Sie dem armen Wanderer nicht ein freundliches Wort auf die lange Reife mit geben?‹
Ich konnte nicht antworten, aber ich hätte ihm gern jeden Tropfen meines Blutes gegeben.
›Sie bleiben unter lauter Freunden zurück, ich gehe in eine fremde, neue Welt, wo niemand Interesse an mir nimmt.‹
›Es gibt Erinnerungen, die so golden sind, dass sie auch der ärmsten Gegenwart noch ihren Schimmer leihen,‹ sagte ich leise.
›Es würde auch für mich solche Erinnerungen geben, Fräulein Ursula, wenn ich wüsste, dass ich die Blüten, die ein schöne, entzückende Zeit getrieben hat, abpflücken und als mein Eigentum mit mir nehmen dürfte, wenn ich wüsste…‹
Ich brach eine rote Geranienblüte, die letzte, welche der Herbstwind verschont hatte, und sagte: ›Nehmen Sie diese letzte Blüte und bewahren sie dieselbe so lange, bis auch die anderen gewelkt sind und alle im Winterschnee des Vergessens sterben müssen.‹
Ich war sehr traurig, meine Augen füllten sich mit Tränen, mir war, als solle ich schon jetzt das Glück verlieren.
›Sie sprechen von Vergessen, und fühlen nicht, dass Sie mit diesem Worte den Stachel des Abschiedes tief in mein Herz drücken. Warum haben Sie mich nicht von Ihrer Seite fortgewiesen, ehe ich es gewagt hatte, in Ihrem Gemüte zu lesen und seine Reichtümer zu ahnen. O Ursula, wie kalt sind Sie!‹
Ich entzog ihm meine Hand, die er mit der Blume in der seinen gehalten hatte, und sah ihn an — er war bleich und sein Mund fest geschlossen.
Durfte ich es denn glauben, was diese Augen, was diese bewegten Züge sprachen? Durfte ich es denn glauben, dass dieses Gefühl ihn mit demselben Feuer durchglühte, wie mich, und nicht bloß jetzt, sondern über Jahre und Trennung hinaus?
Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und bedeckte die Augen mit der Hand, damit sein eigenes Herz ihm die Antwort gäbe.
Richard neigte sich zu mir und flüsterte: ›Darf ich hoffen, dass diese Stunde, die schönste meines Lebens, nicht zugleich die einzige bleibt — Ursula, darf ich wiederkehren?‹
Mein Kopf sank an seine Brust und ich fühlte, dass sein Arm mich umschlang. ›Geliebte, nur ein Wort. Sag’, darf ich mit dem Frühling wiederkehren?‹
›Ja, Richard,‹ sagte ich endlich, ›die Bedingung meiner Existenz ruht auf dieser Hoffnung. Ich werde Deiner harren, und sollten auch Jahre darüber vergehen.‹ —
Er zog mich noch einmal an sich und — ich glaube — er küsste mich. Dann erhoben wir uns schnell. Wir mussten hineingehen, um durch unsere Abwesenheit nicht aufzufallen. Ich fühlte mich glücklich und doch unbefriedigt. Die Anwesenheit von Fremden war mir fast unerträglich. Richard fühlte ebenso, er küsste Dir ehrfurchtsvoll die Hand, verabschiedete sich von den Anwesenden — noch ein letzter tiefer Blick, und die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen. Ich war an jenem Abend in einem qualvollen Zustande. Deine Augen ruhten forschend auf mir, aber ich hatte nicht den Mut, mich Dir anzuvertrauen.
Richards Briefe waren von nun an die Lichtpunkte in meinem Leben, sie mussten mir seine Gegenwart ersetzen und breiteten die Bilder einer reizenden Zukunft vor mir aus. Sehr oft drückte mich das Bewusstsein, Dir mein Geheimnis zu verbergen, aber Richard bat mich zu schweigen, bis er das Recht habe, sein Glück von Dir zu fordern. Wirst Du mir Vorwürfe machen, liebe Mutter?«
»Vorwürfe nicht, mein Kind, denn wenn Dein Schritt ein unvorsichtiger war, so trifft Dich das Unglück, und erst dadurch mich. Das, was jetzt Euer Glück ausmacht, kann Euch einst bittere Schmerzen bereiten. Ihr seid beide so jung und beide so leidenschaftlich, dass mir um Eure Zukunft bangt. Du weißt noch nicht, Ursula, welche Veränderungen einige Jahre an Euch selbst hervorbringen können — Du kennst noch nicht den bitteren Ernst des Lebens.
Aber nun geh, mein Kind, wir wollen später, wenn wir beide ruhiger geworden sind, überlegen, was zu tun ist.
Besorge den Tee und rufe mich hier ab, wenn Du fertig bist.«
Ursula ging zögernd, sie hätte jetzt, nun sie ihr Herz einmal geöffnet, gern seinen ganzen Inhalt ihrer Mutter dargelegt; aber Frau Conti rief sie nicht zurück. Sie kannte zu gut die einfache, aber sichere Befriedigung, die in der pünktlichen Besorgung kleiner häuslicher Pflichten liegt, und sie wünschte so sehr, diese Segnung ihrer Tochter für ihr Leben zuzueignen.
Caroline Conti gehörte zu den Menschen, die es unwillkürlich vermeiden, andere die Bewegungen ihres Innern sehen zu lassen. Sie war nicht verschlossen, aber sie sprach sich nie über eine wichtige Sache aus, bevor sie ernst mit sich selbst zu Rate gegangen war, und dies entsprang aus der tiefen Scheu, sich anderen unfertig zu zeigen.
Ihr tätiges Leben, ihre besonnene Handlungsweise ließen die Kämpfe nur ahnen, welche ihr ›das schwere Gut der Heiterkeit‹ erkauft hatten.
Sie war keine Frau von eminentem Geiste oder hervortretenden Talenten; aber sie besaß in hohem Grade das größte Gut, was Frauen besitzen können: seinen Takt und eine im unbewussten Seelenleben ruhende Sicherheit, den rechten Weg zu finden.
Takt! Dieses seltsame Etwas, das weder Erziehung, noch Reichtum, noch Reflexion anzueignen vermag, und der Frau doch so unentbehrlich ist in tausend Fällen, die sich nicht unter ein allgemeines Gesetz bringen lassen, die dem Maßstabe des Scharfsinns entschlüpfen und einen feinern bedürfen, der aus den zartesten Fühlfäden der Seele gewebt sein muss.
Caroline saß, seit ihre Tochter das Zimmer verlassen hatte, still sinnend da, die Hände lagen gefaltet auf ihrem Schoße, die Lippen waren geschlossen, das Auge gesenkt. Dann und wann erhob sie sich und ging langsam in dem Saale auf und nieder, oder blieb vor dem Bilde ihres Gatten stehen und sah es mit so wehmutsvoller Zärtlichkeit an, als könnten die Züge sich beleben und die teure Gestalt zu ihr herniedersteigen.
Caroline hatte viel gelitten. Sie war als Waise früh in das Haus entfernter Verwandten gekommen und dort erzogen worden. Sie hatte alles gelernt, was dazu gehört, für ein gebildetes und vor allem wirtschaftliches Mädchen gehalten zu werden, aber ihr liebebedürftiges Herz war unbeachtet geblieben.
Carlo Conti hatte ihren verborgenen Wert erkannt und sie an sein Herz genommen, aber ach! er wusste nicht, dass er die stille Blume aus der umschließenden Blätterhülle in den wildesten Sturm des Lebens verpflanzte.
Italiener nach Geburt und Temperament, war er früh nach Deutschland gekommen, hatte in den nördlichen Handelsstädten die Geschäfte in ihrer Großartigkeit übersehen gelernt und sich dann als Kaufmann in B. etabliert. Auf einer größeren Reise lernte er Caroline kennen, und brachte sie als sein angebetetes Weib in dies Haus, das sie noch jetzt bewohnte.
Caroline erwiderte die Liebe ihres Gatten mit der ganzen Innigkeit, die ihr eigen war, aber es gibt Gefühle, es gibt Menschen, die unser höchstes Glück ausmachen, uns aber nie Ruhe lassen, dieses Glück auch zu genießen.
Contis Charakter war eine Zusammensetzung von Widersprüchen — stolz und hingebend, glühend oder abweisend, kühn bis zur Unbesonnenheit oder indolent; sein ganzes Wesen seltsam kontrastierend, je nach den Stimmungen, denen er unterworfen war.
In einem andern Fache hätte er vielleicht Großes geleistet, aber die Eigenschaften, die erforderlich sind, um mit Glück Kaufmann zu sein, besaß er nicht.
Er spekulierte mit seinem bedeutenden Vermögen hoch und unglücklich, und setzte dann, gereizt durch Verluste, zu viel auf einen Wurf.
Er betrachtete das Geld nicht als Zweck, nur als Mittel zur Existenz, und um diese Existenz seiner Frau und seiner über alles geliebten kleinen Ursula so angenehm als möglich zu machen.
Caroline erkannte bei ihrer klaren Auffassungsgabe sehr bald den wahren Stand der Dinge und die Gefahr, die ihr und denen drohte, die ihr die Teuersten auf Erden waren. Die weibliche Würde ihres Benehmens, ihr festes, aber stets sanftes Wesen hatten zwar bedeutenden Einfluss über ihren Mann gewonnen, aber sie besaß nicht Geschäftskenntnis genug, um jedes Unheil abwenden zu können.
Es ist so schwer, gegen ein täglich drohendes Unglück zu kämpfen, wenn die Keime desselben nicht in äußeren Umständen, die sich ändern und besser gestalten können, sondern in dem Charakter dessen wurzeln, der über das Wohl und Wehe einer Familie zu wachen hat.
Carolinens Liebe konnte nicht erkalten, denn Conti war für sie der Urheber eines neuen Daseins gewesen, er und ihr Kind bildeten ihre Welt, in der alle Quellen ihrer Freuden und Schmerzen strömten; aber sie nahm allmählich eine andere Färbung, und sie hing fortan mit jener schmerzvollen Zärtlichkeit an ihrem Gatten, die nur geheime Tränen, aber kein Wort des Vorwurfs kennt.
Nach einer Ehe von zehn Jahren, deren Wellenspiegel nie ruhig genug gewesen war, um das Bild der Sonne klar, sondern nur in tausend Strahlenbrechungen wiederzugeben, löste Contis Tod all diese Wirren und versetzte Caroline den Schlag, den ihr Körper wie ihr Geist niemals überwand.
Auf ihrer heranblühenden Tochter ruhte nun ihre ganze Hoffnung, und gerade dieses einzige Kleinod drohte jetzt eine schwere Sorge auf ihr Herz zu wälzen.
Es war nach der Regulierung von Contis Vermögensangelegenheiten so viel übrig geblieben, dass sie mit ihrer Tochter, wenn auch kein glänzendes, doch ein sehr anständiges Leben führen konnte; es war daher mehr das innere, als das äußere Wohl Ursulas, um das sie besorgt war.
Nicht ohne Grund, denn Ursula hatte zu viel von den Eigenschaften ihres Vaters geerbt, als dass man hätte voraussetzen dürfen, dass sie dem Leben leicht seine lachende Seite abgewinnen werde.
Caroline hatte gehofft, Ursulas Hand dereinst in die eines Mannes legen zu können, der mit kraftvoller Männlichkeit ihr zur Seite stehen und über die Gefahren, welche aus der Leidenschaftlichkeit ihres Wesens emporwachsen konnten, wachen werde.
Richard Golden entsprach diesem Bilde nicht, und doch begriff sie Ursulas Neigung für ihn; er war so ganz geeignet, die erste Liebe eines erwachenden Herzens zu sein.
Sie dachte an seine ideale Schönheit, an fein anmutiges, vom Feuer der Jugendlust durchleuchtetes Wesen, an seine schöne Stimme, seine weiche poetische Sprache — und sie musste sich bekennen, dass sie sich bittere Vorwürfe zu machen habe, Ursulas unbewachte Seele diesen verführerischen Eindrücken überlassen zu haben.
Beide waren so jung, beide so wenig gereift, und die Jahre konnten sie so ganz verschiedenartig entwickeln!
Einen Augenblick dachte Caroline daran, das Verhältnis gewaltsam zu lösen, und ihrer Tochter lieber einen kurzen jähen Schmerz zu bereiten. als der Gefahr zu später Reue auszusetzen, aber im nächsten bebte sie davor zurück.
Ursula war kein Mädchen gewöhnlicher Art, und durfte nicht so behandelt werden.
In allem, was häusliche Anordnungen betraf, unterwarf sie sich ihrer Mutter unbedingt. Alles aber, was ihr auf geistigem Gebiete, selbst gegen vorgefasste Meinungen, als Zwang entgegentrat, konnte sie zum Äußersten reizen.
Sie schämte sich nicht, von einem duldenden Einfluss überführt, ihren Irrtum einzugestehen, aber sie konnte nicht nach einer bestimmten Disziplin denken.
Ebenso wenig durfte Caroline erwarten, dass sie gutwillig aufgeben würde, was sie mit ihrer feurigen Seele erfasst, was sie in eine neue Phase ihres Daseins geführt und vor ihren Blicken eine Welt der Hoffnungen aufgebaut hatte.
So wollte Caroline denn auf ein Mittel sinnen, Golden in seinen jetzigen traurigen Verhältnissen jede Möglichkeit darzubieten, etwas Tüchtiges aus sich zu bilden und zuerst seine Studien unverzögert zu beenden.
Sie überlegte noch, als Ursula eintrat, um sie abzurufen. Sie gingen zusammen in Carolinens Wohnzimmer, wo der Teetisch·, in gewohnter Zierlichkeit geordnet, mit dem summenden Wasserkessel und dem milden Lampenlichte sie erwartete. Ursula erzeigte ihrer Mutter alle die kleinen Aufmerksamkeiten, welche es einem zartfühlenden Gemüte so leicht machen, ohne Worte viel zu sagen.
Sie gehörten beide nicht zu den Menschen, welche glauben, dass man gegen die, mit denen man täglich zusammenlebt, keine Rücksichten zu nehmen habe, dass man sich ihnen ungeniert wie im äußern, so im geistigen Negligé zeigen dürfe, und ein freundliches Gesicht, ein feines Benehmen und eine anständige Form nur für die Gesellschaft gebrauche.
Es war bei ihnen kein nichtssagendes Formenwesen, sondern ein natürliches Ergebnis ihrer Bildung, die bei Frauen immer dahin streben sollte, Wesen aus ihnen zu machen, bei denen die Harmonie des äußern Tuns nur die des innern widerstrahlt.
Ursula saß gewöhnlich ihrer Mutter gegenüber, um den Tee zu bereiten, heute hatte sie sich zu ihr auf das Sofa gesetzt. Und als Lieschen das Teegeschirr fortgenommen hatte, holte sie ihre Näharbeit und hoffte, dass nun ihre Mutter den Gegenstand wieder aufnehmen werde, der sie erfüllte.
Das Nähen wollte heute nicht gehen, der Faden hatte immer Knötchen, die Nadel zerbrach und die zweite stach sie in den Finger, dass das rote Blut hervorspritzte. Caroline sah es und lächelte. Sie legte ihren Arm um ihre Tochter, zog sie zu sich zurück und begann dann jenes ernste und doch liebevolle Gespräch, das so selten, selbst bei sehr erregtem Gemüte, seine Wirkung verfehlt.
Sie schmeichelte Ursula nicht mit glänzenden Hoffnungen, sondern zeigte ihr die Sache in allen ihren Beziehungen nach außen hin einfach und klar. Sie sprach von den Opfern, die vielleicht gebracht werden, von den Entsagungen, die Ursula den schönsten Jahren ihrer Jugend auferlegen müsste, und ließ ihr keine Illusion über die mannigfachen Prüfungen, welche eine langjährige Verlobung mit sich bringe.
Aber Ursula wollte sich nicht überzeugen lassen, und strahlte vor Entzücken, als sie ihr endlich das Ja abgerungen hatte. Sie sah nicht die Wolke auf der bleichen Stirn ihrer Mutter, und wusste nichts von ihren trüben Ahnungen.
Sie sagte ihr die zärtlichste gute Nacht und ließ sie allein.
Caroline fühlte einen nervösen Kopfschmerz, der bei ihr das Ergebnis jeder Sorge oder Gemütsbewegung war. Sie wusste, dass dieses Übel an ihrem Leben nage, und wünschte doch jetzt so heiß, für Ursula zu leben.
Gewiss ist es sehr zu bezweifeln, ob der Schmerz einen Menschen plötzlich töten könne, aber täglich sich erneuernde Sorge, Jahre hindurch genährt, untergräbt langsam, indes sicher den Gesundheitszustand einer zart organisierten Frau.
Wer kann die feine Grenzlinie angeben, welche die Seelen- und Körpertätigkeit scheidet?
Höhlt nicht der Regentropfen, lange auf dieselbe Stelle niederfallend, selbst den Stein aus?
Caroline ging an ihren Arbeitstisch und schrieb einige Zeilen, die sie an den Rechtsanwalt Kurt adressierte, dann nahm sie ein Licht, um auch die Ruhe zu suchen.
Aber ehe sie in ihr eigenes Schlafgemach ging, öffnete sie leise die Tür, die zu Ursulas Zimmer führte, und trat an das Bett. Sie zog die weißen Mousselinvorhänge zurück, so dass der matte Schein des Lichtes ans das schlafende Mädchen fiel, und betrachtete sie lange.
Sie war nicht ein Bild taubengleicher Anmut, wie sie so dalag; die zarten Formen schienen noch von innerer Aufregung bewegt.
Die Ärmel ihres Nachtkleides waren aufgestreift, ihr Kopf ruhte auf einem Arm, und die langen Flechten ihres dunklen Haares hingen herab, als ob sie keine Fessel dulden wollten.
Caroline beugte sich zu ihr nieder und küsste sie leise auf die Stirn, ein heißes Gebet für sie im Herzen.
