Eine Alm als Schicksal - Brigitte Märker - E-Book

Eine Alm als Schicksal E-Book

Brigitte Märker

0,0
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Alm ist alles, was Kathi Wiesmeyer von ihrer geliebten Mutter bleibt, nachdem diese bei einem tragischen Unfall viel zu früh stirbt. Als Kathi sich in den neuen Tierarzt Dr. Bernhard Stein verliebt, kehrt wieder neues Glück in ihr Herz ein. Doch bald schon ziehen dunkle Wolken auf: Gabriel Luchtner, ein Jugendfreund von Kathis Vater, verlangt die Einlösung eines alten Eheversprechens zwischen ihr und seinem Sohn Alfons. Um den elterlichen Hof vor dem finanziellen Ruin zu retten, müsste Kathi das Versprechen eigentlich einlösen. Doch soll sie ihre Liebe wirklich kampflos aufgeben?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2011

© 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com

Titelfoto: © Svenni – Fotolia.com (oben)

und Studio von Sarosdy, Düsseldorf (unten)

Lektorat: Iris Erber, Aistersheim

Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth

eISBN 978-3-475-54388-3 (epub)

Worum geht es im Buch?

Brigitte Märker

Eine Alm als Schicksal

Eine Alm ist alles, was Kathi Wiesmeyer von ihrer geliebten Mutter bleibt, nachdem diese bei einem tragischen Unfall viel zu früh stirbt. Als Kathi sich in den neuen Tierarzt Dr. Bernhard Stein verliebt, kehrt wieder neues Glück in ihr Herz ein. Doch bald schon ziehen dunkle Wolken auf: Gabriel Luchtner, ein Jugendfreund von Kathis Vater, verlangt die Einlösung eines alten Eheversprechens zwischen ihr und seinem Sohn Alfons. Um den elterlichen Hof vor dem finanziellen Ruin zu retten, müsste Kathi das Versprechen eigentlich einlösen. Doch soll sie ihre Liebe wirklich kampflos aufgeben?

Majestätisch erhoben sich die Berge mit ihren dunklen Wäldern, streckten ihre schneebedeckten Spitzen in den tiefblauen Himmel. Tief eingekerbt zwischen zerklüfteten Felsen suchte sich der Wildbach seinen Weg ins Tal und stürzte in eine mit Tannen bewachsene Schlucht. Vorbei an saftig grünen Almen trieb es das tosende Gebirgswasser, bis es sich schließlich in einem weiß schimmernden Kiesbett sammelte. Ein Adler zog scheinbar friedlich seine Kreise über den Baumwipfeln, um dann doch plötzlich zu Boden zu stoßen. Nicht weit davon entfernt jagte ein Gamsbock über einen steinigen Hang, den Kopf nach vorn geneigt, jederzeit bereit, seine kräftigen Hörner einzusetzen. Die Natur bot ein reiches Bild. Es war das blühende Leben, das jeden Betrachter innehalten und tief durchatmen ließ.

In diese von Menschenhand teils unberührte, teils seit Generationen gepflegte Landschaft eingebettet lag der Wiesmeyerhof. Blumenkästen schmückten die Holzgalerien des weiß getünchtes Wohnhauses. Die Mittagssonne strahlte auf das hellrote Dach, ließ es gleißend aufblinken, gerade so, als wollte es jeden, der es nicht gut mit seinen Bewohnern meinte, davor warnen, näher zu kommen.

Der bunte Gemüsegarten vor dem Haus war eine Augenweide zu dieser Jahreszeit. Reif für die Ernte lugten die Früchte der Tomatenstauden hervor. Nebenan vor der Scheune hockte eine verschlafene Hühnerschar auf der Stange und döste in der Sonne. Auf den Wiesen hinter den schindelgedeckten Stallungen graste das Fleckvieh, von Zeit zu Zeit unterbrach ein tiefes Muhen die Stille auf der Alm.

Auf dem Pfad, der entlang der Felder, vorbei an reich tragenden Apfelbäumen, vom Hof hinunter ins Dorf führte, lief ein Mädchen in leuchtend grünem Dirndl. Geschmeidig und leicht erschienen seine Bewegungen, und mit jedem Schritt baumelte der dicke, blonde Zopf.

»Komm, Lukas!«, rief das Mädchen dem jungen Sennenhund zu, der ihm in einigem Abstand folgte, am Wegrand schnüffelte, sein Frauchen aber nie länger aus den Augen ließ. Der Hund hob sofort seinen Kopf, spitzte die Ohren und sauste zu seiner Herrin. Dabei bauschte sich das weiße, flauschige Fell und ließ das Tier noch mächtiger erscheinen.

»Brav, mein Lukas, auf dich ist Verlass«, lobte das Mädchen den Hund, der nun folgsam neben ihm hertrottete und sich streicheln ließ.

»Wo rennt das Madl denn schon wieder hin?« Der Wiesmeyer Toni, ein kräftiger Mann von fünfzig Jahren mit wettergegerbtem Gesicht, vollem blondem Haar und klaren blauen Augen, hatte den Motor des Traktors abgestellt und schaute seiner Tochter Kathi kopfschüttelnd nach.

»Zum Tierarzt geht sie.« Theresia, die alte Magd, kam aus dem Stall, stellte die schwere Milchkanne auf die steinernen Eingangsstufen und wischte nachdenklich ihre kräftigen Hände an der blauen Schürze ab.

»Schon wieder? Der Lukas ist doch längst gesund. Gerade heute Morgen hab ich mir die Pfote angesehen. Da ist alles verheilt.«

»Sie geht halt zum Nachschauen, lieber einmal zu viel geschaut als zu wenig. Der Mensch übersieht leicht was, das weißt doch, Bauer.« Theresia wollte die Kanne wieder hochheben und sich davonmachen.

»Du verschweigst mir was, Resi. Ich kenn dich lang genug. Also raus mit der Sprache.« Toni stieg vom Traktor und baute sich vor der Magd auf. So würde sie es nicht wagen, sich einfach davonzustehlen.

»Geh, Bauer, verstehst es denn net?« Theresia sah dem Wiesmeyer offen ins Gesicht.

»Was versteh ich net?«

»Unsere Kathi ist kein Kind mehr, zwanzig wird sie heuer.«

»Ja, und weiter? Das ist nix Neues.«

»Der Veterinär, der Doktor Stein, der die Praxis vom alten Hofstätter übernommen hat, ist jung und ein schönes Mannsbild dazu. Wenn ich ein paar Jahre weniger auf dem Buckel hätte ...« Theresia setzte ein verschmitztes Grinsen auf und wandte sich hin und her, während sie ihre Hände verlegen knetete. »Du weißt schon, was ich mein, Bauer.«

»Geh, Resi, Schmarren, die Kathi hat mit solchen Dingen noch nix zu tun. Das bildest du dir nur ein. Die Kathi ist zufrieden, wie jetzt alles ist. Die braucht kein Mannsbild, jedenfalls noch net.«

»Ja freilich, Toni, das willst du glauben, weil du ihr Vater bist. Aber das Mädchen ist erwachsen. Gewöhn dich dran.«

Der starke, selbstsichere Mann wurde auf einmal ganz kleinlaut, wusste er doch tief in seinem Inneren, dass die alte Magd Recht hatte. Seine Kathi war längst eine Frau, eine ausnehmend hübsche dazu. »Angenommen, es wär so, wie du sagst.« Nun wurde der Toni ganz verlegen und druckste wie ein Schulbub herum.

»Ja, was wär dann?«, fragte die Magd ein bisschen schnippisch, weil sie nun ihrerseits wieder obenauf war.

»Ich mein halt, wenn die Kathi wirklich an so was denkt, was du denkst, dass sie denkt.«

»Geh, Toni, jetzt sag es halt rundheraus.« Theresia tat ganz ernst und mitfühlend, hatte aber Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. So verunsichert kannte sie den Wiesmeyer gar nicht.

»Ich würd nur gern wissen, ob die Kathi am Ende gar etwas Unüberlegtes tun könnt?« Toni räusperte sich, so als hätte er die Worte lieber gar nicht aussprechen wollen.

»Beruhig dich, Bauer, so weit ist’s noch lang net. Und außerdem, die Kathi ist ein anständiges Madl, darauf kannst schon vertrauen, die vergisst ihren Verstand net. Im Gegensatz zu manch anderen Leut’.«

»Willst irgendetwas andeuten? Dann halt dich net zurück, ich werd dir schon das Passende antworten.« Toni machte einen Schritt auf die Magd zu. Dabei spannte sich sein Rücken, so als wollte er die Alte in ihre Schranken weisen.

»Nein, gar nix will ich andeuten. Wie käm ich dazu, ich doch net.« Theresia biss sich auf die Lippen und ließ ihren Blick ins Leere gleiten. »Sag, Bauer, hast eigentlich inzwischen mit der Kathi gesprochen, ich mein wegen der Alm?«

»Nein, noch net.«

»Noch immer net, aha? Das solltest du aber. Es ist ihr Land, sie hat es von der Rosel geerbt, net du.«

»Kümmere dich um deine Sachen, Theresia, das mit der Alm geht dich nix an, hast mich?«

»Ja, natürlich, Bauer.« Die Magd nickte und trollte sich ins Haus. »Alles, was die Kathi betrifft, geht mich an, das bin ich der Rosel schuldig«, murmelte sie vor sich her.

»Weiberleut’«, schimpfte Toni. Niemand außer Theresia traute sich so mit ihm zu reden und sie war auch die Einzige, der er das zugestand. Hatte sie doch schon auf dem Hof gelebt, als er noch ein Bub war und später dann, als er seine Rosel heiratete, war sie auch ihr von Anfang an eine treue Vertraute. Nun war es schon fünf Jahre her, dass die Rosel von ihnen gegangen war. »Rosel, wenn du doch noch hier wärst, dass du so früh hast gehen müssen«, seufzte Toni und auf einmal wurde ihm das Herz wieder ganz schwer.

*

Das kleine Haus, das die Tierarztpraxis beherbergte, lag an einem Kiesweg etwas außerhalb des Dorfes. Umgeben von einem Gärtchen, in dem allerlei Kräuter wuchsen, machte es einen blitzsauberen Eindruck. Ein Finkenpärchen hatte sich in einem knorrigen Haselnussstrauch niedergelassen und begrüßte die Vorbeigehenden mit freudigem Gezwitscher.

»Warte, Lukas, damit du die anderen Tiere nicht verschreckst.« Kathi fasste den ausgelassen herumhüpfenden Hund an seinem Halsband, beugte sich über ihn und legte ihm die Leine an. Ihr Herz pochte schneller, als sie auf das Schild am Gartentor blickte:

»Doktor Bernhard Stein«, stand dort auf einem glänzenden Messingschild.

Sie richtete sich wieder auf und blies die hellen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht. Dass allein ein Name so viel Aufregung in ihr entfachen könnte, das hätte sie nie für möglich gehalten.

Sechs Wochen war es jetzt her, dass der junge Tierarzt die Praxis übernommen hatte, und schon an seinem ersten Tag hatte er einem Kälbchen der Wiesmeyers auf die Welt helfen müssen. Kathi erinnerte sich noch genau an den Moment, als der neue Veterinär am Hof auftauchte und sie ihn zum ersten Mal sah. Wie ein Blitz hatte sie der Blick aus seinen grünen Augen getroffen und ihr Innerstes aufgewühlt. Seitdem schien ihr die Welt wie von einem goldenen Nebel umhüllt, der ihre glücklichen Gedanken beschützte und die traurigen von ihr fernhielt.

»Grüß dich, Kathi, musst auch zum Herrn Doktor?« Eine stattliche Frau in heller Tracht, mit einem Dackel auf dem Arm, kam aus dem Haus des Tierarztes und riss Kathi aus ihren Gedanken.

»Der Lukas ist in Stacheldraht getreten, Brunnerin.«

»Das arme Hascherl, scheint aber wohl net so schlimm. Er sieht doch ganz munter aus, der Lukas.« Luise Brunner, die Witwe des Försters, ließ das Gartentor hinter sich zufallen und schaute auf den Sennenhund, der jede Bewegung des auf einmal wild kläffenden Dackels verfolgte.

»Es geht schon wieder ganz gut. Ich bin heut’ auch nur zum Nachschauen da. Was hat denn der Ihrige?«

»Nur eine Impfung, Kathi. Still, Ferdl, der Lukas tut dir doch gar nix.« Die Brunnerin klopfte dem Dackel sanft auf das Hinterteil, bis er sich beruhigt hatte, dabei musterte sie die Spitzen ihrer braunen Wanderschuhe, so als müsse sie erst Mut sammeln, um weiterzusprechen. »Sag, Kathi, wie geht es denn zu Hause? Den Toni sieht man ja in letzter Zeit so wenig«, fragte sie nach einer Weile und schaute wieder auf.

»Der Vater hat halt viel zu tun.« Kathi wusste, dass die Witwe des Försters schon lange ein Auge auf den Vater geworfen hatte, der sich aber nicht so recht auf ihre Annäherungsversuche einließ.

Was die Frauen betraf, da war Toni Wiesmeyer mehr als zurückhaltend, das hatte auch seine Tochter längst mitbekommen. Manchmal war ihr gerade so, als fürchte er sich vor ihnen.

»Sagst dem Toni einen schönen Gruß von mir, Kathi.«

»Ich werd’s gern ausrichten.« Sie nickte der Brunnerin höflich zu, wartete, bis sie in die nächste Straße abgebogen war und schob das Gartentor auf.

»Ja, die Kathi.« Bärbl Oberleitner, die sich um die Hauswirtschaft des Tierarztes kümmerte, hockte zwischen den hohen Blumenstauden und zupfte Unkraut.

»Servus, Bärbl.« Kathi freute sich, sie zu sehen. Sie waren miteinander in die Schule gegangen und mochten sich noch immer recht gern.

»Weißt schon die Neuigkeit?« Bärbl kroch aus dem Beet hervor, richtete sich auf und steckte die beiden geflochtenen Zöpfe ihres dunklen Haars wieder am Hinterkopf fest. »Schau an, der Lukas, bist offensichtlich ganz geheilt, mein Freund.« Große weiße Zähne blitzten zwischen ihren Lippen hervor, als sie ganz ohne Scheu den Hund streichelte, der freudig um sie herumsprang.

»Welche Neuigkeit meinst du, Bärbl?«

»Der Luchtner Alfons kommt zurück.«

»Ach so, das meinst, hab ich schon gehört.«

»Die Leut’ sind schon ganz aufgeregt, weil er doch so ein berühmter Bergsteiger geworden ist. Ein Kletterzentrum will er hier eröffnen, heißt es. So ein richtig großes, gewaltiges, weißt?« Bärbl breitete die Arme aus und rollte dabei mit den Augen, als könnte sie so die Ausmaße der geplanten Attraktion darstellen.

»Bärbl, jetzt übertreibst du aber. So überdimensional wird’s bestimmt net werden. Scheint fast so, als hätten die Leut’ dich schon mit ihrer Aufregung angesteckt.«

»Ja, kann schon sein, aber das ist auch net ganz unbegründet. Denk doch mal an den Ruf, den der Luchtner Alfons hat. Vielleicht werden wir am End’ noch berühmt, ich mein, unser Dorf. Und dann kommen sie alle her, auch die Burschen aus der Stadt, die immer so gut drauf sind. Und dann gibt’s hier alle Tag’ eine richtige Gaudi, net nur am Schützenfest. Dann hätten wir doch einen Aufschwung, von dem alle profitieren könnten.«

»Das glaub ich eher net, dass alle profitieren. Aber weißt, ich frag mich eh, wo dieses Kletterzentrum eigentlich entstehen soll? Alle reden davon, aber keiner weiß was Genaues. Hier auf unserer Seite der Berge ist doch nirgendwo Platz dafür. Und auf der anderen Seite gibt es nur ganz schmale Wege hinauf zu den Wänden, ein richtiger Zugang für eine touristische Attraktion ist das net.«

»Hm, das weiß ich allerdings auch net, wo genau sie’s jetzt bauen wollen«, gestand Bärbl achselzuckend ein, »aber egal, er wird’s schon wissen, der Alfons, sonst hätt’ er’s ja net geplant. Du, Kathi, ich bin so gespannt, was in den letzten Jahren aus ihm geworden ist. Er war ja schon recht fesch, als er fortgegangen ist.« Sie rieb ihre Hände gegeneinander und schaute verklärt in die Ferne.

»Gerate bloß net ins Träumen, Bärbl. Der Alfons hat die ganze Welt gesehen. Für den kommt ein Madl aus unserem Dorf bestimmt net mehr infrage. Das brauchst dir erst gar net auszumalen.«

»Wer weiß schon, wer für wen in Frage kommt? Vielleicht denkt der Alfons net gerade an eine wie mich, aber wenn eine so ausschaut wie du ...« Ohne Neid blickte Bärbl ihre bildhübsche Freundin an.

»Lukas? Was ist denn?« Kathi hatte Mühe, die Leine festzuhalten, als der Hund plötzlich wie wild daran zog.

»Grüße Sie, Kathi.«

Die Knie des Mädchens wurden weich. Der junge Mann, der plötzlich in der geöffneten Tür stand, war groß und schlank, hatte dunkles welliges Haar, klare grüne Augen und ein Lächeln, das Kathi einen kribbelnden Schauer über den Rücken jagte. Wie benommen stand sie da und brachte kein Wort heraus. Gut, dass sich der Tierarzt gleich seinem Patienten zuwandte.

»Offensichtlich bist du wieder ganz in Ordnung, Lukas.« Bernhard Stein bückte sich, um den vor lauter Wiedersehensfreude kaum zu bändigenden Hund zu streicheln. »Ist ja gut, mein Lieber, jetzt kannst du wieder wie früher herumtoben auf der Alm.« Dass ihm die Verunsicherung des Mädchens nicht entgangen war, ließ er sich nicht anmerken.

Beinahe andächtig lauschte Kathi der sanften tiefen Stimme, deren Klang sie seit Tagen in sich trug. »Der Vater meint auch, dass alles verheilt ist, aber ich wollt, dass Sie noch mal nachschauen«, hörte sie sich nach einer Weile wie aus der Ferne sagen. Verlegen schaute sie zu Boden, als sie spürte, dass die Röte in ihrem Gesicht aufflammte.

»Natürlich, das ist auch ganz richtig so. Kommen Sie nur herein, Kathi, ich sehe mir den Lukas noch mal gründlich an.« Bernhard hielt dem Mädchen die Tür auf und ließ es mit dem Tier vorausgehen. »So, jetzt zeig mal her. Sitz, Lukas!«, forderte er den Hund auf, als sie im Behandlungszimmer waren und Bernhard sich auf einen Hocker gesetzt hatte. »Brav, Lukas«, lobte er das Tier, das ihm aufs Wort gehorchte. Vorsichtig fasste er nach der Pfote, legte sie in seinen Schoß und betastete sie. Klaglos ließ Lukas sich die Untersuchung gefallen. »Ist sonst alles in Ordnung zu Hause, Kathi?«, fragte der Tierarzt.

»Ja, alles bestens. Das Kälbchen, dem Sie neulich auf die Welt geholfen haben, entwickelt sich prächtig.«

»Das freut mich.« Bernhard suchte den Blick des Mädchens, das ihm aber beharrlich auswich. »Wie ich es erwartet habe, alles gut verheilt«, sagte er und kraulte den Sennenhund hinter den Ohren.

»Dann muss ich nicht mehr mit dem Lukas herkommen?« Ganz langsam legte Kathi Lukas die Leine an. Sie wünschte dem Lukas ja nichts Schlechtes, er sollte schon immer recht gesund sein. Aber, dass sie jetzt den Bernhard nicht mehr so häufig aufsuchen konnte, das gefiel ihr gar nicht.

»Zur Behandlung müssen Sie nicht mehr in die Praxis kommen.« Bernhard zögerte, suchte nach den richtigen Worten.

Ein kurzer, abwartender Blick aus tiefblauen Augen, aber lang konnte Kathi die Stille nicht aushalten. »Also, ich geh dann. Ich muss zurück auf den Hof. Auf Wiedersehen, Doktor Stein«, durchbrach Kathi die Verlegenheit und schon war sie mit dem Hund an der Leine aus dem Zimmer gelaufen.

»Auf Wiedersehen, Kathi«, antwortete Bernhard leise. Es war zu spät. Wieder hatte er eine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen.

Die unverbrauchte Natürlichkeit des Mädchens brachte ihn jedes Mal völlig aus der Fassung. Kathi hatte ja keine Ahnung, wie viel sie ihm bereits bedeutete. Wie schon so oft in den letzten Wochen, dachte er an den Tag zurück, als er im Dorf ankam, immer noch mit Zweifeln behaftet, ob die Entscheidung, die Stadt zu verlassen, wirklich richtig war. Ein wenig übellaunig war er gewesen, als er gerade seinen Koffer abgestellt hatte und schon auf den Wiesmeyerhof gerufen wurde, um einem Kälbchen auf die Welt zu helfen. Ganz dringend hatten sie es gemacht und die gute Resi hatte ihm sämtliche Komplikationen aufgezählt, die bei einer solchen Geburt auftreten könnten. Als ob er das nicht selbst am besten wüsste.

»Den Feierabend dürfen Sie hier net einplanen, das geht meistens schief, irgendeine Kuh kalbt immer«, hatte der alte Hofstätter ihm mit einem Augenzwinkern erklärt, als er sich vor ein paar Monaten die Praxis zum ersten Mal angeschaut hatte.

Wie recht er damit hatte! In der Theorie hatte Bernhard schon gewusst, was auf ihn zukommen würde. Trotzdem, sie hätten mich wenigstens in Ruhe ankommen lassen können, hatte er damals auf dem Weg hinauf zu den Wiesmeyers gedacht.

Aber dann, kaum dass er dort oben aus seinem Wagen gestiegen war, vergaß er die Welt unten im Tal. Dieser Moment, als er das Mädchen erblickte, hätte auch in einem Traum nicht schöner sein können. Leichtfüßig kam es aus dem Stall auf ihn zu, schritt geradewegs in das Licht der untergehenden Sonne. Das Abendrot legte sich auf das blonde Haar. Strahlend, fast unwirklich schön erschien sie ihm vor der Kulisse der Berge. Ein Stich fuhr ihm tief in die Magengrube, als er sich an diesen Anblick erinnerte. Wieder spürte er die Sehnsucht, dieses Mädchen einmal in seinen Armen zu halten. »Ich benehme mich wie ein Schuljunge!«, dachte Bernhard, »Kathi ist kein Fantasiewesen, sie ist eine Frau aus Fleisch und Blut. Ich muss sie nicht aus der Ferne anhimmeln.« Er schüttelte über sich selbst den Kopf, trat an das weit geöffnete Fenster und ließ seinen Blick über das Bergmassiv gleiten, bis er in der Ferne die Gestalt im grünen Dirndl wahrnahm, die beinahe ebenso flink wie der große Hund den Gebirgsweg hinaufeilte.

Es war eine herrliche Landschaft, die sich da vor ihm ausbreitete. Saftige Wiesen, die wie glänzende Teppiche die Hänge bedeckten. Hoch oben die schneeüberzogenen Zinnen, im goldenen Sonnenlicht wirkten sie wie von Honig übergossen.

Nein, Bernhard bereute seine Entscheidung nicht, die Praxis auf dem Land übernommen zu haben, und das lag nicht nur an Kathi. Es war höchste Zeit für einen Neuanfang gewesen. Nach dem schrecklichen Autounfall, der seinem Bruder das Leben gekostet hatte, erschien ihm die Stadt grau und feindlich. Das hektische Treiben, das ihn dort umgab, ließ ihn einfach keinen Frieden finden. Vielleicht war es eine Flucht, eine Flucht vor seiner Trauer, wie so mancher behauptet hatte. Aber wenn es so war, dann war diese Flucht der erste Schritt gewesen, um seine Seele zu heilen.

Ein merkwürdige Geräusch schreckte Bernhard aus seinen Gedanken auf.

Er musste laut lachen, als er die Ursache dafür entdeckte. Bärbl saß auf der kleinen Holzbank im Garten, hielt die Nase in die Sonne gereckt und schnarchte leise.

»Bärbl!«

»Ja?!«

»Hilfst du mir ein bisschen?«

»Bei den Tieren?« Das dralle, rotwangige Mädchen sprang auf und strich das einfache Dirndl glatt.

»Ja, bei den Tieren, aber nur mit der Ruhe, unsere Patienten laufen bestimmt nicht gleich davon.«

»Freilich net, sie marschieren ja sogar her, wenn sie schon gesund sind. Oh!«, erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. Da war ihr offensichtlich ganz unabsichtlich etwas herausgerutscht.

Schmunzelnd schloss Bernhard das Fenster. Mit Bärbl hatte er eine gute Wahl getroffen. Von all den Mädchen, die sich bei ihm beworben hatten, war sie die natürlichste gewesen, hatte ihm gleich klipp und klar gesagt, wie sie sich die Arbeit vorstellte. Sie war fleißig und zuverlässig und neben der Hausarbeit half sie ihm in der Sprechstunde. Eine kleine Pause dann und wann durfte sie sich gern herausnehmen.

*

»Dein Vater hat dich heut’ gesehen, wie du ins Dorf gelaufen bist.« Theresia betrachtete Kathi von der Seite, während sie zusammen den Abendbrottisch in der gemütlich eingerichteten Bauernküche deckten.

»Ich war bei Doktor Stein, wegen dem Lukas«, antwortete das Mädchen schnell und sah die Magd treuherzig an.

»Wegen dem Lukas, soso.«

»Ja, freilich, warum denn sonst?« Kathi legte eine dicke Scheibe Leberwurst und eine Ecke goldgelben Käse auf ein Holzbrett.

»Ach, Kind, stell dich net gar so unschuldig.« Theresia zwirbelte eine Strähne ihres grauen Haars, die sich aus dem Dutt gelöst hatte, und sah Kathi mit verschmitzten nussbraunen Äuglein an.

»Worauf willst denn nur hinaus, Resi?« Das Mädchen wurde auf einmal ganz hektisch, beinahe rutschte ihr das Brett aus der Hand, als sie sich der Magd zuwandte.

»Geh, Kathi, red doch net so drum herum. Der Tierarzt gefällt dir, du brauchst es net zu leugnen. Ich kenn dich doch, mein kleines Schatzl«, sprach Theresia unverblümt aus, was sie dem Bauern schon angedeutet hatte.

»Wie kommst denn auf so was?« Mit verlegener Miene öffnete das Mädchen die kleine Speisekammer, huschte hinein und kam gleich darauf mit einem knusprigen Laib Brot und einem Tontöpfchen mit frischer Butter wieder heraus.

»Hast net Herzklopfen, wenn du an den jungen Mann denkst?« Theresia war die aufsteigende Röte im Gesicht ihrer Kathi nicht entgangen und sie setzte nun alles dran, mehr aus dem Mädchen herauszubringen, als ihr ohnehin schon längst klar war.

»Herzklopfen?«, murmelte Kathi.

»Ja, Madl, wenn das Herzl schneller pocht beim Anblick des Liebsten. Du verstehst mich schon, da bin ich sicher.«

»Geh, was du dir so denkst.« Das Mädchen senkte den Blick, stellte Brot und Butter auf den Tisch und gab sich beschäftigt.

»Gib zu, dass er dir gefällt«, stichelte Theresia weiter.

»Ach, Resi, auch wenn es so wär, das heißt doch noch lang nix.« Kathi hatte keine Lust, sich über den jungen Tierarzt zu unterhalten. Von etwas zu träumen, das war die eine Sache, es auszusprechen, das war eine andere. Nein, sie wollte sich erst gar nichts einreden. Sicher sah der Bernhard in ihr auch nur die kleine Bauerntochter, die von der Welt nichts verstand.

»Ihr hier in eurer Abgeschiedenheit wisst nichts vom wirklichen Leben, wie hart und unbarmherzig es da draußen zugeht. Den ganzen Tag an der frischen Luft, die Berge vor Augen, das ist doch Erholung pur, und die habt ihr auch noch ganz umsonst.« Solche und ähnliche Aussagen hatte sie mehr als einmal von den Fremden gehört, die in die Berge kamen.

»Aber ich will net ungerecht sein, net alle sind so. Manche wissen schon, dass auch wir hier nix geschenkt kriegen«, murmelte Kathi vor sich her.

»Sprich lauter, Madl, du weißt ja, ich hör net mehr so gut.« Die hartnäckige Resi lauerte noch immer auf eine Antwort. Nachdenklich wischte die Magd mit der Spitze ihrer sauberen Schürze über den Henkel des Maßkruges, den sie gerade auf dem Tisch platziert hatte.

»Wo ist eigentlich der Vater?«, überging Kathi Theresias Frage mit Blick auf die große Pendeluhr.

»Könnt sein, dass er beim Luchtner ist«, antwortete Theresia zögernd und vermied es, das Mädchen anzusehen.

»Aber da war er doch erst letzte Woche!« Kathi hatte für die Luchtners nichts übrig, misstraute ihnen regelrecht. Seit Jahren kaufte die Familie jedes Stück Land auf, dessen sie habhaft werden konnte, um es für den Tourismus zu erschließen. »Ich weiß wirklich net, was er mit denen zu tun hat. Wenn ich überleg, mit welch verlockenden Angeboten die so manchem Kleinbauern seinen Grund und Boden abgeschwatzt haben, nur um noch ein Hotel und noch eine Pension zu bauen. Und von den Hängen, die die für ihren Skizirkus schon gerodet haben, will ich gar net erst anfangen. Ich würd sagen, die haben schon so einige Verbrechen an der Natur auf dem Kerbholz. Und wer weiß, was dazukommt, wenn sie das mit ihrem Kletterzentrum wahr machen. Ich trau den Luchtners net über den Weg. Von mir würden sie net einen Quadratzentimeter Land bekommen, die net, die auf gar keinen Fall.«

»Was redest dich denn so in Rage, Kind? So kenn ich dich ja gar net.« Erschrocken berührte die Magd den Arm des Mädchens, versuchte es durch sanftes Streicheln zu beruhigen.

»Entschuldige, Resi, ich wollt’ net so aufdrehen. Aber weißt, ich hab heut’ die Bärbl gesprochen, die hat mir derart von dem Kletterzentrum vorgeschwärmt, das der Alfons plant. Und da ist es mir eben gerade so gekommen, ob sie dafür net wieder irgendwelche arme Hunde übers Ohr hauen.« Kathi seufzte und holte tief Luft, bevor sie weitersprach. »So, und jetzt sag, was den Vater wieder zu den Luchtners getrieben hat. Ich möcht nämlich net, dass sie ihn in irgendwelche Machenschaften verwickeln.«

»Ich weiß von nix, Kathi. Glaubst denn wirklich, dein Vater bespricht sich mit seiner Magd?« Theresia wandte sich auf dem Absatz um und zog die blau karierten Leinenvorhänge zu. »Geh, Madl, mach das Licht an. Es wird ja schon dunkel.«

»Lenk net ab, Resi. Du weißt sehr genau, dass du mehr als bloß eine Magd bist. Und außerdem, es wäre das erste Mal, dass du nicht Bescheid wüsstest, wenn sich etwas anbahnt.« Kathi schaltete die Stehlampe ein, die die Stube in ein warmes Licht tauchte, und beugte sich zu Lukas hinunter. Er hatte die angelehnte Tür aufgedrückt und war schwanzwedelnd auf sie zugekommen.

»Ein Hund gehört auf den Hof, net in die Stube«, wies Theresia das Mädchen zurecht und ließ von den Vorhängen ab. »Und quäl mich net weiter mit deinen Fragen. Wenn du was wissen willst, dann frag deinen Vater.«

»Ist ja gut, Resi, lass deinen Unmut net an dem Tier aus. Ich bin schon still. Ich werd den Vater selbst fragen, versprochen. Was hast denn auf einmal? Gerade warst doch noch in Verhörstimmung, und jetzt magst selbst nix mehr sagen.«

»Die Luchtners sind mir auch net gerade ans Herz gewachsen, das weißt doch. Und jetzt sind wir wieder gut, Herzl.« Die Magd setzte sich an den Tisch und schnitt eine dicke Scheibe von dem Schwarzbrot ab. »Ich denk, wir fangen an. Es wird bestimmt spät, bis dein Vater kommt. – Hier.« Sie reichte Kathi das Brot, nachdem das Mädchen sich zu ihr an den Tisch gesellt hatte. »Versprichst mir was, Kathi?« Theresia suchte den unschuldigen Blick ihres Schützlings.

»Was denn?«

»Wenn dich die Liebe eines Tages erreicht, dass du nix tust, was du vielleicht später bereust?«

»Versprochen.« Kathi streichelte die von der Arbeit gezeichnete Hand der alten Frau. Warum sollte sie sich über etwas Gedanken machen, was es gar nicht gab und auch nicht in Sicht war? Ob der Bernhard sie nun für ein unwissendes Bauernmadl hielt oder nicht, interessiert war er so oder so nicht an ihr, sonst hätte er sie bestimmt schon längst gefragt, ob sie einmal mit ihm ausgehen wollte.

*

Der Luchtnerhof, auf einem gerodeten Plateau gelegen, erinnerte inzwischen mehr an ein herrschaftliches Anwesen als an den kümmerlichen Berghof, der er noch vor einer Generation gewesen war. Das in alter Tradition gebaute, aber mit neuester Technik ausgestattete Haus mit seinen reich verzierten Holzvorbauten war von einer parkähnlichen Anlage umgeben. Sogar ein Hubschrauberlandeplatz verbarg sich dort, von einer hoch gewachsenen Lorbeerhecke umringt und nur aus der Luft auszumachen. Direkt neben der offenen, von Wein umrankten Terrasse war ein ovaler Swimmingpool in den Boden eingelassen, und auf dem Hang stand das finnische Holzhaus mit großzügig angelegter Saunalandschaft. Der Luchtnerhof ließ keinen Zweifel daran, dass seine kapitalkräftigen Besitzer den luxuriösen Annehmlichkeiten der Welt zugeneigt waren.

Das Haus selbst war mit wertvollen Antiquitäten geschmückt, die jeden Raum zu einem Museum machten, ohne sich dabei für eine Stilrichtung zu entscheiden. Der pinkfarbene Toaster aus den 50er-Jahren auf der verspielten Rokoko-Kommode gleich neben dem Eingang, darüber ein Landschaftsaquarell in einem goldenen Rahmen – ganz offensichtlich wurde hier ohne Kunstverstand alles zusammengetragen, was dem Sammler wertvoll erschien.

In der guten Stube, die den Besucher mit ihren kostbaren Möbeln und Gemälden regelrecht zu erdrücken drohte, saßen an diesem Abend der Luchtner Gabriel und der Wiesmeyer Toni, und es war zweifellos kein angenehmes Gespräch, das die beiden miteinander führten.

»Hör zu, Wiesmeyer, wenn du einschlägst, dann ist es abgemacht.« Gabriel war kaum älter als Toni, und doch hatten sich bereits tiefe Furchen in sein von der Sonne gegerbtes Gesicht geprägt. Der hünenhafte Mann war früh ergraut, ein Preis, den er für sein Leben in ständiger Hast bezahlen musste. Aber es war ein Preis, den er gern in Kauf nahm, wenn er nur weiter seinen Reichtum mehren konnte.

Toni regte sich nicht, wie versteinert saß er da und schien geradewegs durch sein Gegenüber hindurch zu sehen.

»Nun, Wiesmeyer, was ist?« Das überlegene Zucken um Gabriels Mundwinkel verriet den Hochmütigen, der nicht daran zweifelte, seinen Willen durchzusetzen.

»Ich muss erst mit der Kathi sprechen, Luchtner, das weißt du«, presste Toni hervor, der wieder zu sich kam und versuchte, seinen Zorn zu unterdrücken.

»Hast ihr etwa immer noch nix gesagt?«

»Nein, hab ich net.« Am liebsten wäre Toni jetzt aufgesprungen und auf der Stelle davongelaufen. Aber leider konnte er sich das in seiner vertrackten Lage nicht erlauben, und so verharrte er auf der Eckbank, die sich um den klobigen dunklen Bauerntisch zog, und wartete, was als Nächstes geschehen würde.

»Traust dich wohl net?« Gabriels Lippen zeigten ein spöttisches Grinsen. »Ja, so ist’s mit den Kindern. Erst sagen wir ihnen, was sie zu tun haben, damit sie immer schön folgsam sind und einmal etwas Ordentliches aus ihnen wird. Und zum Dank drehen sie eines Tages den Spieß um und erklären uns, was wir zu tun haben. Zumindest probieren sie es, die lieben Kleinen. Sag, Toni, fürchtest du dich etwa vor deinem Madl? Du schaust gerade so aus.« Gabriel lachte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, das es nur so knallte.

»Vor der Kathi muss ich mich net fürchten, fürchten muss ich mich doch wohl eher vor dir und deinem Anhang.«

»Toni, was redest denn da? Ich mein es doch gut mit dir und deiner Kathi. Schau, ich versteh ja, dass euch die Entscheidung net so leicht fällt. Es hätt’ aber gar net so weit kommen müssen. Weißt, wenn deine Rosel damals auf mein großzügiges Angebot eingegangen wär, dann hättest du jetzt nix mit deinem Madl auszutragen.« Gabriel schenkte die beiden Schnapsgläser voll, die vor ihm auf dem Tisch standen. »Du und die Kathi, ihr könntet schon lang ganz anders dastehen.«

»Lass die Rosel aus dem Spiel, Luchtner! Ich leid es net, wenn du so von ihr sprichst. Die Rosel hat ihr Land in Ehren gehalten. Sie wollt’ nie verkaufen«, fuhr Toni sein Gegenüber an, dabei ballte er seine unter der Tischplatte versteckten Fäuste so fest, dass die Adern in festen Strängen hervortraten.

»Ja, deine Rosel, sie wollt’ es partout net, ich weiß. Aber das war ein Fehler, Wiesmeyer. Da hat es euch ein wenig an der Weitsicht gefehlt, leider. Die anderen waren schlauer, die haben verkauft.«

»Ja freilich, für einen Spottpreis.«

»Was heißt Spottpreis? Damals waren die Grundstücke nur einen Bruchteil von dem wert wie jetzt, wo die Touristen uns allmählich entdecken, was bei aller Bescheidenheit auch ein bissl unser Verdienst ist. Ich mein, wer kann denn heut’ noch von der schönen Landschaft in Einsamkeit leben? Du bist doch das beste Beispiel dafür, dass es so eben net mehr geht. Und der Rosel, der hatt’ ich wegen unserer alten Freundschaft ohnehin mehr geboten, als ich hätte müssen. Das solltest du net ganz außer Acht lassen, wenn du mich so angehst.«

»Hör auf, Gabriel, du bist kein Wohltäter. Die Unwissenheit der anderen hat dich zum größten Grundbesitzer gemacht, net dein Mitgefühl für ihre Sorgen. Und der Rosel wolltest sicher keinen Gefallen tun.«

»Ja, freilich, so siehst du das, bist halt ein sturer Kopf. Aber weißt was, Wiesmeyer, wir können net alle Herren sein. Die meisten Höfe waren sowieso net überlebensfähig und jetzt mit dem Tourismus haben wir doch alle unser Auskommen, auf die eine oder andere Weise. Du hast bedauerlicherweise auf das falsche Pferd gesetzt. Ich meine, das mit dem Biohof war ja eine gute Sach’, aber die Leut’ zahlen halt net gern mehr für ein und dieselbe Ware. Tomate ist eben Tomate.« Gabriel leerte das Schnapsglas in einem Zug und wischte sich anschließend vor Selbstsicherheit strotzend über seinen Schnauzer.

»Red doch net so scheinheilig daher. Die Leut’ haben doch erst bei mir gekauft, sogar einige von deinen Hotels. Bis irgendjemand auf die glorreiche Idee gekommen ist, die Ware vom Großmarkt hier herauskarren zu lassen, weil das angeblich billiger ist. Ich möcht wetten, dass du dahintersteckst. Du würdest doch alles tun, damit ich aufgeben muss. Hab ich net recht?«

»Toni, unterstell mir nix, was du net beweisen kannst. Ich warne dich. Aber, wenn wir schon bei diesem Thema sind. Ich mein, denk doch mal weiter, wenn du uns die Alm abtrittst und wir bauen können, dann werden die Gästezahlen enorm steigen und damit die Einnahmen der Hotels. Und dann, Toni, ich könnt es fast versprechen, werden die Einnahmen auf deinem Hof sprunghaft in die Höhe schnellen, weil die Leut’ net mehr so fest sparen müssen.«

»Leere Versprechungen! Wenn du erst hast, was du willst, dann wird dir schon einfallen, wie du den Rest von unserem Hof auch noch kriegst. Vielleicht planst schon eine Hütte für deine Touristen, zum Ausruhen von den Kletterstrapazen.«

»Jetzt hab ich aber genug, sei doch net gar so negativ. Ich red von der Alm und von nix anderem. Ich versichere dir, wenn du sie mir verkaufst, dann kannst deinen Hof für eine Weile durchbringen. Du wirst sehen, du kommst wieder auf die Füß’ und der Rest findet sich. Vorausgesetzt, du nimmst mein Angebot an.«

»Und wenn die Kathi net mag?« Toni griff nach seinem Glas, setzte es an die Lippen und ließ den Schnaps seine Kehle hinunterrinnen. Das Zeug brannte in seinem Magen. Die Sorgen, die ihn schon seit langem plagten, hatten ihn empfindlich gemacht. Angewidert schüttelte er sich. Er hatte keine Lust, noch länger mit dem Luchtner an einem Tisch zu sitzen. Ja, früher, da war es anders, da ging es noch lustig zu, wenn sie zusammensaßen, früher, als sie noch gut miteinander waren. »Ich glaub, ich geh jetzt, Gabriel.« Toni knallte das Glas auf den Tisch. Es konnte doch nicht sein, dass ihm keine andere Möglichkeit einfiel, Haus und Hof zu retten, als sich auf ein derartiges Geschäft mit dem Luchtner einzulassen.

»Ist recht, Toni, geh nur, ganz wie du meinst. Allerdings, wenn du net gerade eine Erbschaft erwartest oder einen satten Lotteriegewinn einfährst, dann wird die Bank sich kaum beschwichtigen lassen, denk ich. Magst vielleicht doch noch einen?« Mit einem breiten Grinsen hob Gabriel die Schnapsflasche an. Er ließ keinen Zweifel daran, dass im Moment alle Trümpfe bei ihm lagen.

»Erpressen lass ich mich net, auch net von dir. Ja, ich bin mit der Hypothek im Rückstand, aber ich wünscht’ ich hätt’ net ausgerechnet dir davon erzählt.«

»Nach Hilfe hast halt gesucht und suchst immer noch. Ich war und bin bereit, dir aus dem Schlamassel zu helfen. Aber ich kann net ewig mit dir verhandeln, du strapazierst meine Geduld, Toni, aber damit ist’s nun vorbei. Sobald der Alfons da ist, werden wir den Honoratioren die Pläne für das Kletterzentrum vorstellen. Ich hab Ausweichmöglichkeiten, ich bin net direkt auf deine Alm angewiesen, Wiesmeyer. Aber wenn’s nix wird mit dem Stückl Land, dann befürcht ich fast, dass es so manch einem immer schwerer werden dürfte, zu dir herauf zum Einkaufen zu kommen. Geh her, Toni, gib dir endlich einen Ruck, und mach es dir net selbst schwer. Wir sind doch mal so gut miteinander gestanden, ich will net, dass du vor die Hund’ gehst, nur weil du die Zeichen der Zeit verschläfst.«

»Ja, freilich, Gabriel, unbedingt willst mir helfen. Geh, sei doch ehrlich, das Einzige, was du willst, ist deinen Vorteil zu wahren, sonst gar nix.«

»Freilich bin ich auf meinen Vorteil aus, das streit ich doch auch gar net ab, aber im Gegenzug rette ich dir deinen Hof. Ist das kein Vorteil? Sag, was wiegt schwerer, eine für euch wertlose Alm abzutreten oder das Zuhause zu verlieren?« Siegessicher musterte der Luchtner den Wiesmeyer, der immer mehr in sich zusammensank.

Toni wollte sich gar nicht ausmalen, was passierte, wenn Kathi von der Zwangsversteigerung erfuhr, die die Bank ihm schon vor Wochen angedroht hatte. Wenn er geahnt hätte, wie die Dinge sich entwickelten, wäre er niemals auf den Gedanken gekommen den Hof umzubauen. Das Geld, das Gabriel für die Alm bot, würde sie fürs Erste retten, aber wie um alles in der Welt sollte er das seiner Kathi beibringen?

»Hör zu, Toni, ich weiß, dass die Kathi an eurem Hof hängt. Sie wird ihn net wegen der nutzlosen Alm gefährden.« Die Luchtner-Bäuerin, eine hagere, blasse Frau in dunkler Tracht, war von den Männern unbemerkt in die Stube getreten. »Wenn sie den Hof opfert, um die Alm zu behalten, dann wäre sie schön dumm, und dumm ist deine Kathi net, das wissen wir doch alle.«

»Mischst du dich auch noch ein, Maria? Hätt’ ich mir ja gleich denken können, dass du da mitmachst.« Toni rutschte zur Seite, als die Luchtnerin sich neben ihn auf die Bank setzte. Möglichst viel Abstand wollte er zwischen Maria und sich bringen.

»Alm gegen Hof, Toni, das ist eine ganz einfache Rechnung, die wird deinem Spross doch einleuchten.« Die Bäuerin legte ihre knochige Hand vertrauensselig auf die vom Wiesmeyer Toni. »Außerdem, die Kathi müsste die Alm ja gar net verlieren. Es könnt ja alles in der Familie bleiben, und du bekämst ein ordentliches Geld von uns, damit dein Hof weiterläuft. Net als Kredit, sondern als Familienhilfe.«

»Von was sprichst denn jetzt?« Tonis Muskeln waren allesamt auf einmal angespannt, noch ein falsches Wort und er würde aufspringen. Irgendetwas braute sich da zusammen, dem er sich nicht ausliefern wollte.

»Geh, Toni, sag net, du hast es vergessen?« Maria Luchtner betrachtete den Wiesmeyer ungläubig. Dabei rollte sie mit den Augen, dass das Weiß um die Iris unheilvoll aufblitzte.

»Was hab ich vergessen? Red schon, Maria, auf was spielst du an?« – Die wird doch net etwa auf die alte Geschichte hinauswollen, dachte Toni, und der Atem wollte ihm für einen Moment stocken.

»Du enttäuscht mich, Toni, wirklich, das hätt’ ich net gedacht, dass ich dich eines Tages an das Versprechen erinnern müsst, das wir uns gegeben haben. Du, die Rosel, der Gabriel und ich.«

»Das ist net dein Ernst? Auf eine solche Idee kann net einmal jemand wie du kommen.« Toni schüttelte ungläubig den Kopf. Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen, es ging tatsächlich um die alte Geschichte.

»Freilich ist es mein Ernst, Wiesmeyer. Über solche Sachen spaßt man net. Was wir damals beschlossen haben, war unser aller Wunsch und meiner ist’s bis zum heutigen Tag geblieben.«

»Nein!« Toni schoss in die Höhe und sah mit funkelnden Augen auf die Luchtnerin herunter.

»Setz dich hin, Wiesmeyer, oder willst, dass ich das Ganze mit der Kathi besprech?« Maria umklammerte Tonis Arm und ihr entschlossener Blick zwang den aufgebrachten Mann, sich wieder zu setzen.

»Das kannst net wirklich von mir verlangen«, stammelte Toni und biss seine Lippen fest aufeinander, so als fürchtete er, dass ihm etwas entfuhr, was ihm erst recht zum Unglück gereichte.

»Ich verlang doch nix Verwerfliches. Deine Kathi und unser Alfons sollen ein Paar werden, das kann das Schlechteste von der Welt net sein. Außerdem haben wir es alle mit Handschlag besiegelt, das wirst ja noch wissen. Dass bis heut’ nix draus geworden ist, heißt net, dass es hinfällig ist.« Maria Luchtner triumphierte. Wie es schien, deutete sie Tonis Verblüffung bereits als Erfolg.

»Maria, hör auf, das war vor fünfzehn Jahren aus einer Laune heraus. Du und der Gabriel, ihr könnt net wirklich darauf bestehen.« Toni versuchte, die Fassung zu bewahren. Hier konnten nur noch vernünftige Worte helfen, er durfte sich keine weiteren Gefühlsausbrüche erlauben.

»Dann ist ein Handschlag von dem Wiesmeyer nix mehr wert? Wortbrüchig willst also werden? Ein schöner Ehrenmann bist, ein Ehrenmann, auf dessen Zusage kein Verlass mehr ist.« Die Luchtnerin sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände und gab sich beleidigt.

»Wortbrüchig? Ehre? Geh, Maria, was kommst denn mit so einem Blödsinn daher?«

»Blödsinn? Du gibst nix mehr auf die Ehre und ich rede einen Blödsinn? Sauber sage ich, sauber, der Wiesmeyer Toni will seine Schuld net begleichen.«

»Schuld? Wenn der Alfons inzwischen irgendwo auf der Welt geheiratet hätt, wär euch der alte Handel doch nie mehr in den Sinn gekommen. Aber jetzt passt’s halt gerade. Ich hab geglaubt, ihr seid so zukunftsorientiert, oder hab ich mich da getäuscht? Die Ehe wird net mehr ausgehandelt, die Liebe entscheidet. Punkt! Ich rat dir gut, Maria, setz auf die Erpressung von deinem Mann net noch eine andere oben drauf. Du net!« Ein wütendes Blitzen durchzuckte Tonis Augen, als er Maria ansah.

»Gut ist’s!« Gabriel holte aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Handel hin oder her. Sprich mit der Kathi, Toni, wegen der Alm. Aber viel Zeit hast net mehr. Die Bank fackelt net lang, wenn die Frist abgelaufen ist, dann geht’s an deinen Hof. Darauf kannst dich verlassen. Ich hoff, wir haben uns endlich verstanden.«

»Verstanden hab ich euch gut, ihr saubere Bagage. Aber noch ist’s net so weit. Mehr gibt’s net mehr zu sagen.« Toni versuchte sich an der Luchtnerin vorbeizuquetschen, die aber machte keine Anstalten aufzustehen, um ihm Platz zu machen. »Willst mich gefangen halten, Maria? Das gelingt dir net.« Mit einem Ruck schob er den Tisch zur Seite und war mit einem Satz an der Bäuerin vorbei.

»Was hast denn, Wiesmeyer, kannst die Wahrheit net ertragen?«, zischte die Luchtnerin und grinste hämisch, was ihre ausgetrocknete Haut noch faltiger erscheinen ließ.

»Ich kann sie schon ertragen, auch wenn’s net leicht fällt. Wie’s bei dir ausschaut, wenn eines Tages abgerechnet wird, das möcht ich vielleicht gar net wissen. Grüß Gott miteinander.« Toni wandte sich abrupt um, lief hinaus in den schmalen Gang mit den vollgestopften Vitrinen. Erschrocken schaute er zu Boden, als ihn die kleinen Porzellanfigürchen wie Unheil verheißende Dämonen anzublicken schienen. Immer schneller eilte er vorwärts. Einem gehetzten Tier gleich, dem der Jäger auf der Spur war, hastete er über den Luchtnerhof. Nein, unmöglich, das mit der Alm konnte er Kathi nicht antun. Es war das letzte Stück Land, das von dem Hof ihrer Mutter übrig geblieben war. Alles andere hatten die Luchtners schon vor Jahren Rosels Eltern abgeschwatzt. Und nun sollte dieses Fleckchen Natur auch noch von lärmenden Bergtouristen besetzt werden? »Nein, das kann ich ihr net sagen, das kann ich net!«, rief Toni. Und so aufgeregt, wie er war, wollte er seiner Tochter auch nicht unter die Augen treten. Deshalb beschloss er, nicht sofort nach Hause zu gehen. Besser war es, auf eine Maß im Gasthaus unten im Dorf vorbeizuschauen, sich ein bissel unter die Leut’ zu mischen und die Begegnung mit den Luchtners für ein paar Stunden zu vergessen.

»Treib’ ihn net zu sehr in die Enge, Maria, sei vorsichtiger.« Gabriel zündete sich seine Pfeife an, nachdem Toni gegangen war. Prüfend betrachtete er seine Frau, die noch immer sehr aufgebracht schien.

»Vorsichtiger? Vorsicht führt uns net weiter. Die Sach’ muss zum Abschluss gebracht werden, Gabriel.«

»Das weiß ich selbst. Aber das geht nur mit Verstand, net mit dem dummen Geschwätz über ein Eheversprechen.«

»Versprechen ist Versprechen, auch wenn so etwas heutzutage wohl nix mehr wert ist. Früher, da hat ein Handschlag noch was gegolten, egal, was damit besiegelt worden ist.«

»Bittschön, Maria, hör auf. Schau dich um, wo du lebst. Du bist umgeben von allem Luxus, den einer sich nur wünschen kann und redest daher wie eine Sennerin, die in den letzten fünfzig Jahren net von ihrer Hütten heruntergekommen ist.«

»Plapper doch, was du willst. Den Versuch war es jedenfalls wert, den Toni an das Versprechen zu erinnern. Vielleicht packt ihn ja doch die Ehr’«, entgegnete Maria trotzig.

»Die Ehre? Ach ja? Ausgerechnet die Frau Luchtner pocht auf die Ehre?« Gabriel stieg mit einem Mal die Zornesröte ins Gesicht und er bedachte Maria mit einem langen Blick voller Verachtung. »Ich sag dir was, Maria, wir hätten unserem Buben reinen Wein einschenken sollen, ich mein, wegen der Alm«, sprach er weiter, nachdem sich seine Erregung gelegt hatte und er sich wieder in seinem Stuhl zurücklehnte.

»Dass sie noch net uns gehört?«, ereiferte sich Maria, die offensichtlich froh war, dass sich das Gespräch wieder um die Alm drehte. »Bist denn ganz narrisch, Mann?«, keifte sie. »Da wär er vielleicht gar net zurückgekommen und dann wär am End’ alles umsonst gewesen. Denk mal fünf Jahr’ zurück. Glaubst, ich könnt das so einfach vergessen? Träumen tu ich allweil wieder davon.« Maria griff nach dem Schnapsglas, das sie sich eingegossen hatte und stürzte es in einem Zug hinunter.

»Das Schicksal hat es so gewollt, da lässt sich nix mehr dran ändern und jetzt sei still, Maria, ich mag es nimmer hören.« Gabriel packte den dürren Arm seiner Frau und hielt ihn fest umklammert. »Hast mich verstanden?«

*

»Resi und ich haben gestern Abend auf dich gewartet, Vater.« Kathi schenkte Toni eine Tasse Milch ein. Sie hatte den Vater in der Nacht nach Hause kommen hören und an seinem schweren Schritt, die Treppe hinauf, hatte sie gleich erkannt, dass er im Wirtshaus gewesen sein musste.

»Ist halt spät geworden«, grummelte der Bauer.

»Warst am Ende gar net beim Luchtner, wie die Resi gesagt hat?«

»Wie meinst du das, Madl?« Toni tunkte ein Stück mit Honig bestrichenem Brot in die Milch und schob es in den Mund.

»Schau, Vater, du siehst für dein Alter recht passabel aus. Vielleicht hast gar eine Liebschaft. Zum Beispiel mit der Brunnerin. Sie lässt dich ja immer so schön grüßen. Und anschauen tut sie dich auch recht interessiert. Sag net, dass du das noch net bemerkt hast.«

»Geh, Kathi, bemerkt oder net. Eine Liebschaft, das würd mir gerade noch fehlen. Auf welche Ideen du kommst, Kind.« Toni lachte laut auf und wirkte einen Moment lang richtig erleichtert. »Eine Liebschaft«, murmelte er.

»Gut, dann ist es eben keine Frau. Und wenn du net nur im Wirtshaus warst, dann warst vielleicht doch bei den Luchtners. Und wenn ich damit recht hab, dann sag mir, was du mit denen zu schaffen hast, Vater, bitte.«

»Ich hab nix mit denen zu schaffen.«

»Und was wolltest du dann auf ihrem Hof?«

»Geh, hör mir mit den Luchtners auf. Allerdings gibt es etwas zu bereden, zwischen dir und mir.«

»Zwischen uns?«, rief Kathi verblüfft. »Aber wir bereden doch immer alles miteinander. Was könnt es denn da so Geheimnisvolles geben?«

»Ist nix Geheimnisvolles, und jetzt lass mich in Ruhe frühstücken. Wenn die Zeit da ist, wirst du es schon erfahren.«

»Vater, jetzt sag halt. Hat es etwas mit den Luchtners zu tun? Mit dem Alfons vielleicht? Der kommt doch bald zurück?« Kathis Herz klopfte schneller, irgendetwas bedrückte den Vater, das spürte sie.

»Mit dem Alfons hat überhaupt nix etwas zu tun. Mach dir keine Sorgen, Kathi. Es wird alles werden.« Toni griff nach der Zeitung, tat so, als sei er ins Lesen vertieft.

»Mit unserem Hof läuft es net so gut, stimmt’s, Vater?« Kathi sank auf einen Stuhl. Angst kroch in ihr hoch und schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Was, wenn der Besuch des Vaters bei den Luchtners mit ihren finanziellen Schwierigkeiten zusammenhing? »Sag, Vater, willst etwa verkaufen?«, brach es plötzlich aus ihr heraus. Sie sah den Vater mit bangen Augen an.

»Nein, das will ich net.« Toni sah nicht auf.

»Dann anders gefragt, müssen wir verkaufen?«

»Kathi, bittschön, lass mich in Ruh’ mit deiner Fragerei. Ich mag jetzt net darüber reden. Ende.«

»Ist gut, Vater. Ich geh dann der Resi im Stall helfen und kümmere mich danach ums Haus.« Das Mädchen kannte seinen Vater; wenn es ihn noch mehr drängte, würde er sich erst recht verschließen.

»So ein Mist, elendiger, wenn es nur einen anderen Weg gäbe.« Recht verzweifelt sah er aus, der Wiesmeyer Toni, als er die Zeitung auf den Tisch knallte, nachdem seine Tochter die Stube verlassen hatte.

Kathi verbrachte den ganzen Tag im Stall und auf dem Feld hinter dem Haus. Es gab viel zu tun und sie dachte kaum noch an das Gespräch mit dem Vater. Er hatte ihr versichert, dass sie sich keine Sorgen machen musste und so lange sie zurückdenken konnte, hatte er sie nie angelogen. Erst, als sie am späten Nachmittag ins Haus kam, regten sich wieder Zweifel in ihr, ob sie der Beteuerung des Vaters trauen konnte. Es war ein heftiger Streit, den Toni und Theresia in der Küche austrugen, der sie stutzig machte. Als sie hinzukam, verstummten die beiden und liefen ohne eine Erklärung auseinander, um ihrer Arbeit weiter nachzugehen.

»Wenn’s so schlimm steht, dann red endlich mit dem Kind!«, hatte Theresia wütend gerufen.

Das war alles, was Kathi aufgeschnappt hatte. Nein, viel Fantasie brauchte sie nun nicht mehr, um sich auszumalen, dass es um den Hof ging und sie mit ihrem Verdacht richtig lag. Aber sie wollte Gewissheit, und die würde sie sich noch an diesem Abend verschaffen.

*

»Du, Vater, was war denn mit der Resi? Wieso habt ihr euch heute Nachmittag gestritten? Hat es etwas mit dem zu tun, was du mit mir zu bereden hast?« Kathi saß auf den Stufen vor dem Eingang und zog den roten Leinenrock über die Knie. Sie hatte gewartet, bis Toni sich nach der Arbeit mit einer Maß im Vorgarten eingerichtet hatte. Und nun wollte sie ihm endlich die Wahrheit entlocken.

»Kathi, frag doch net immerzu. Gönnst denn deinem Vater net ein wenig Ruh’?«

»Doch, Vater, das tue ich. Aber im Moment ist es meine Ruh’, um die es geschehen ist. Ich will endlich wissen, was los ist. Denkst daran, den Hof zu verkaufen oder net?« Dieses Mal würde sie sich nicht wieder abwimmeln lassen. »Ich glaub, ich könnt’s net ertragen, das hier alles zu verlieren«, sagte sie leise und ließ den Blick über das Land schweifen, das schon so lange ihrer Familie gehörte.

Das Haus und der Stall hatten erst vor kurzem einen neuen Verputz bekommen, die Zäune waren ausgebessert worden und der Hof war nun mit schönen Natursteinen gepflastert. Sogar die Oleanderbäumchen, die Kathi in Tontöpfe gepflanzt hatte, gediehen prächtig. Es war ein kleines Paradies, was die Wiesmeyers sich durch harte Arbeit erworben hatten. »Der Geruch von frisch gemähtem Gras, nimmst den eigentlich noch wahr, Vater?« Kathi holte tief Luft und atmete die würzige Luft langsam ein.

»Mit geschlossenen Augen tät ich’s erkennen, unser Land, das darfst mir glauben, Madl.« Toni tat einen tiefen Seufzer und seine Hand krampfte sich um den Henkel seines Bierkruges.

»Ja, unser Land, Vater, und das soll’s auch bleiben.« Nein, sie würde nicht von hier fortgehen. Was auch immer der Vater vorhatte. Sie würde um den Besitz kämpfen, egal, wer sich ihr in den Weg stellte. »Vater, bitte, nun sprich endlich mit mir. Sieh mich an, ich bin net mehr das kleine Kathl, das du auf deinen Knien gewiegt hast. Ich bin erwachsen; du und ich, wir müssen zusammenhalten und wir müssen unsere Probleme gemeinsam lösen. Oder traust mir das net zu?« Sanft strich sie über die Hand des Vaters, der wie versteinert dasaß und vor sich hin starrte. Wie konnte sie ihm denn beistehen, wenn er sich nicht erklärte?

»Gut, es scheint, als könnt ich dir net mehr ausweichen.« Ein Ruck ging durch den groß gewachsenen Mann, wie aus einem Traum erwacht, wandte er sich seiner Tochter zu und sah sie mit traurigen Augen an. »Es ist so, Kathi, ich hab die letzten Raten für die Hypothek net zahlen können. Wir haben heuer einfach zu wenige Einnahmen, wegen der Hotels, die net mehr bei uns kaufen. Ich hab geglaubt, es wird wieder besser, und wir müssen nur eine Durststrecke überwinden. Vielleicht ist es auch so, aber im Moment schaut es net gut aus, gar net gut.«

»Du darfst net so schwarz sehen, Vater. Wir werden diese Durststrecke schon überleben, ganz bestimmt. Uns fällt schon was ein, wie wir den Verkauf ankurbeln. Warum hast denn net eher mit mir gesprochen? Ich hab doch Augen im Kopf, ich weiß doch auch, dass es gerade net gut läuft. Was hast denn mit der Bank ausgemacht? Die lassen uns doch bestimmt ein bissl Luft?«

»Leider net, Kathi. Die wollen mir den Hahn zudrehen. Du weißt, was das bedeutet?« Ein heftiges Zucken zeigte sich um Tonis Mundwinkel. Er war ein geschlagener Mann, und das konnte er nicht länger vor seiner Tochter verbergen.

»Du meinst, sie werden uns mit Zwangsversteigerung drohen?«, stieß Kathi beinahe tonlos hervor.

»Net drohen, sie haben sie schon angekündigt. Noch ein paar Monate, dann ist’s aus mit dem Wiesmeyerhof. Es tut mir so leid, Madl, so unendlich leid.« Toni ließ den Kopf sinken und wagte nicht aufzuschauen, wie eine schwere körperliche Last drückte ihn der Kummer nieder.

»Es tut dir leid? Was denn? Dass du dich geschlagen gibst? Vater, ich bitt dich, du hockst da, als ob schon alles zu End’ wär. Steh auf und kämpf! Kämpf für unseren Besitz! Geh, red noch mal mit dem Herrn Bankdirektor. Ihr seid doch alte Schulfreund’. Er hat dir doch immer geholfen und wird es auch dieses Mal tun.« Kathi sah den Vater fassungslos an. Toni Wiesmeyer, der nie klein beigegeben und immer vorwärts geschaut hatte, ließ sich von einer finanziellen Krise den Garaus machen?

»Der Bankdirektor, hör mir auf mit dem. Er meint, er hätt’ net mehr das alleinige Sagen, er muss seine Vorgaben beachten, sagt er. Wacklige Kunden mag die Bank sich net länger leisten, faule Kredite nennen sie solche wie den unseren. Wenn ich net umgehend zahl, dann müssen wir demnächst unser Bündel schnüren.«

»Das ist ein Albtraum!« Kathi war aufgesprungen, zitterte am ganzen Leib. Sie hatte nicht ahnen können, wie sehr diese entsetzliche Wahrheit schmerzte. »Unser Land, Vater, das kann doch net plötzlich einem anderen gehören. Das geht doch net.« Kathi kämpfte mit den Tränen. Wie sollte sie denn auch noch länger tapfer sein, wo doch gerade alles so aussah, als sei jede Hoffnung vergeblich? Es würde ihr das Herz brechen, sollte sie ihre kleine vertraute Welt verlassen müssen, die sie so liebte.

»Es müsst vielleicht net so weit kommen, Kathi. Manchmal kann ein Opfer helfen, um was anderes zu retten.«

»Was sollen wir denn opfern, Vater?«

»Ja, weißt, der Luchtner hat mir seine Hilfe angeboten.« Ganz leise sprach der Wiesmeyer Toni, weil er doch schon ahnte, dass Kathi von dieser Hilfe nichts halten würde.

»Der Luchtner? Wie denn? Warte, lass mich raten. Er kauft unser Land zu einem Spottpreis und verpachtet es dann an uns zu einem Wucherpreis und irgendwann schmeißt er uns raus, so wie er es mit anderen auch schon gemacht hat.« Kathi ballte unwillkürlich die Fäuste. Die Wut auf den mächtigen Nachbarn verdrängte plötzlich den ohnmächtigen Schmerz, den sie gerade noch empfand. Von den Luchtners würde sie sich nicht in die Knie zwingen lassen. Nicht von denen, das schwor sie sich in diesem Augenblick. »Weißt was, Vater, wenn die Bank uns den Hof nimmt, dann ziehen wir erst einmal hinauf auf die Hütten und das Vieh behalten wir. Im Winter findet sich schon ein Unterschlupf irgendwo unten im Dorf. Die Alm können sie uns net nehmen, die gehört mir. Der Luchtner jedenfalls kriegt den Hof net, versprich mir das, Vater. Der will uns nix Gutes tun, der treibt uns nur in ein noch größeres Unglück.«

»Er will net den Hof, Kind.« Toni schaute hinüber zum eisigen Gipfel des Nebelhorns. Wie eine Armada feuriger Schiffe glitten die vom Abendrot glühenden Wolken an den Bergspitzen vorüber. »Er will die Alm«, sagte er mit gedämpfter Stimme und dieses Mal fing er den Blick seiner Tochter auf. Nun musste er sich ihr stellen.

»Die Alm!« Kathi wurde bleich, ihre Lippen bebten, als sie weiter sprach. »Niemals, Vater, die Alm geb’ ich net her. Das ist der letzte Grund und Boden von der Mutter. Das kannst net von mir verlangen.«

»Aber Kathi, wenn wir dafür den Hof behalten können. Denk doch wenigstens darüber nach, bitte! Komm, du bist doch immer noch mein Madl. Die Alm für den Hof, Kind, das wär am End’ doch besser als alles zu verlieren, meinst net?« Toni griff nach dem Arm seiner Tochter und zog sie auf seinen Schoß, so wie früher, als sie noch ein Kind war.

»Die Alm, Vater, die geb ich net her, niemals. Die Mutter ist da oben gestorben. Es wär ja gerade so, als würd ich sie verraten. Das verstehst doch, oder?« Das Mädchen konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten. Schluchzend lehnte es sich an die Brust des Vaters.

»Ja, das versteh ich, mein Kathl. Aber der Gabriel ist bereit, uns eine stolze Summe zu zahlen, so viel, dass wir mit dem Geld aus dem Verkauf den größten Teil der Hypothek abdecken könnten. Das wär doch ein gutes Geschäft, Kind«, sagte er leise, so als wollte er gar nicht, dass das Mädchen es hörte. Tröstend strich er über das seidige blonde Haar seiner Tochter. Sie so unglücklich zu sehen, tat ihm in der Seele weh.

*

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?Dann laden Sie sich noch heute das komplette E-Book herunter!

Weitere E-Books im Rosenheimer Verlagshaus

Kampf um den Astaller-Hof

eISBN 978-3-475-54338-8 (epub)

Franzi muss ihren Hund unter der Woche in eine kleine Tierpension auf dem Land zur Pflege geben, da ihr neuer Chef keine Tiere duldet. Lenz, der Besitzer des Hofes, ist ihr von Anfang an sympathisch. Sie verbringt viel Zeit bei ihm und den Tieren. Als Lenz plötzlich stirbt, erfährt Franzi, dass sie zur Erbin des Hofes bestimmt wurde, gemeinsam mit seinem Sohn Simon, einem Arzt aus München. Ihn interessieren weder der Hof noch die Tiere. Er möchte verkaufen, und das möglichst bald. Die beiden geraten immer wieder aneinander und kommen sich dabei näher. Doch das beginnende Glück wird von Jakob gefährdet, der selbst ein Auge auf Franzi und den Hof geworfen hat. Ihm ist jedes Mittel recht, die beiden zu entzweien. Hat ihre Liebe eine Chance?

Das Geheimnis vom Birkental

eISBN 978-3-475-54337-1 (epub)

Korbinian Leitner ist nach dem Tod seines Sohnes verbittert und sieht für seinen Hof keine Zukunft mehr. Seine Tochter Bärbl würde das Erbe gerne antreten. Einer Frau möchte Korbinian den Hof aber nicht übergeben. Der geplante Autobahnanschluss des Dorfes scheint ihm einen Ausweg zu bieten, denn sein Land würde als Baugrund einen guten Preis erzielen. Bärbl hingegen schließt sich der Protestbewegung gegen den Autobahnbau an. Auf einer Demonstration lernt sie den Sägewerkbesitzer Leo Burger kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, ohne zu ahnen, dass ihre Familien durch ein dunkles Geheimnis miteinander verbunden sind.

Das Zaubertal

eISBN 978-3-475-54392-0 (epub)

Toni Angerer hat mit einem Schlag alles verloren: Ehemann, Wohnung und Arbeitsstelle. Sie möchte völlig neu beginnen und bewirbt sich als Hauswirtschafterin auf einem Bauernhof im idyllischen »Zaubertal«. Während Bauer Kurt begeistert von ihrer direkten und herzlichen Art ist, hat sein erwachsener Sohn Ferdinand Bedenken. Ob diese Städterin zum Landleben taugt? Es folgt eine Bewährungszeit für Toni, in der sich die beiden jungen Leute näher kommen. Doch schon bald steht die Liebe der beiden auf dem Prüfstand, denn in einem »Zaubertal« geschehen nun einmal seltsame Dinge …

Schatten über dem Enzianhügel

eISBN 978-3-475-54390-6 (epub)

Kerstin ist glücklich: Sie lebt im elterlichen Hotel am Fuße des idyllischen Enzianhügels, ist mit ihrem langjährigen Freund Nick verlobt und versteht sich blendend mit ihrer besten Freundin Eva und deren Tochter Franzi. Doch dann taucht Mathias, der Vater von Franzi, im Dorf auf. Obwohl er einst mit Eva zusammen war, war Kerstin jahrelang in ihn verliebt. Auch heute spürt sie, dass ihr dieser Mann etwas bedeutet. Bevor sie sich jedoch über ihre Gefühle klar werden kann, erschüttert ein mysteriöser Todesfall das Dorf. Die ersten Anzeichen deuten auf einen Unfall, doch Kerstin glaubt an ein Verbrechen. Auf der Suche nach der Wahrheit kommt sie Mathias immer näher.

Kein anderes Leben

eISBN 978-3-475-54389-0 (epub)

Lore und Stefan sind glücklich. Sie glauben fest, dass sie für immer zusammen sein werden und alle Schwierigkeiten meistern können. Doch plötzlich ändert sich ihr Leben. Denn Stefan will Karriere in der Stadt machen, während Lore ihre Heimat niemals verlassen würde. Die beiden trennen sich, obwohl sie sich immer noch lieben. Lores Bruder Markus, der Hoferbe, kommt bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Lore versucht alles, um den Hof zu retten. Doch der Immobilienmakler Dieter Paschke möchte das Grundstück erwerben, um dort ein Hotel zu bauen. Er setzt seinen gutaussehenden Halbbruder auf Lore an, damit diese verkauft. Wird er Lores Herz für sich gewinnen können, oder ist ihre Liebe zu Stefan immer noch zu stark?