Eine Gouvernante für Lord Bensworth - Katherine Collins - E-Book

Eine Gouvernante für Lord Bensworth E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

Emma ist verzweifelt. Ihr Vater, Baron Severin, will sie mit einem alten Schwerenöter verheiraten, vor dem es sie schlicht graut. Mit Hilfe der Freundinnen verschwindet sie aus dem Mädchenpensionat, das sie bis zur Eheschließung noch besuchen darf. Ihre Rettung ist Lady Eastwick, die ihr eine Stelle als Gouvernante ihrer Töchter anbietet. Der Besuch des Bruder ihrer Dienstherrin, Lord Bensworth, wirbelt ihre Gefühle durcheinander. Leider ist ihr unerwünschter Verlobter erpicht darauf, dass sie ihre Verpflichtung einhält. Kann Emma ihrem Los entgehen und ist ihr Versteckspiel letztlich Schutz genug? Dies ist eine komplette Überarbeitung von "Emmas Flucht ins Glück".

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Impressum

Katherine Collins

 

Eine

Gouvernante

für Lord

Bensworth

Umschlaggestaltung: Katherine Collins

Unter Verwendung von Abbildungen von

KathySD, JAZ Studios (Shutterstock)

Korrektorat: Jessika Weber

Satz: Katherine Collins

Impressum siehe letzte Seite

 

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung wiedergegeben werden. Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

 

Über die Autorin

Katherine Collins liebt es, zu reisen, und sei es in ihren Gedanken. Einen Teil ihrer Zeit verbringt sie daher gerne bei ihrer Familie in England, auch wenn Birmingham nicht das passende Flair besitzt, um in ihren Geschichten aufzutauchen - noch nicht! Neben dem Historischen liebt sie es, in den Highlands herumzustromern. Mit ihren Töchtern lebt Katherine Collins noch im Ruhrgebiet und schreibt unter ihrem zweiten Pseudonym Kathrin Fuhrmann Liebesgeschichten, die mal mit Crime und mal mit Fantasy unterlegt sind.

kathecollins.wordpress.com

 

Kapitel 1

Lord Severins Hochzeit

 

Severin Court, Bath, April 1815

Emma Scott sah sich verwundert um. Eine laue Brise wehte über die bevölkerte Wiese und bot den Hochzeitsgästen eine leichte Abkühlung. Unter den unzähligen Pavillons fanden diese auch eine Vielfalt von Delikatessen, und livrierte Diener trugen Tabletts mit Alkoholika durch die Menge.

Emma kannte so gut wie niemanden auf dem Fest, obwohl man annehmen sollte, dass auf einer Hochzeitsfeier ihrer eigenen Familie jede Menge bekannter Gesichter zu finden wären. Jedoch: Nicht ein Verwandter war erschienen.

Besorgt runzelte sie die Stirn. Es gab nicht viele Verwandte, mit denen sie in Kontakt standen, was allein ihrem Vater anzurechnen war. Der Baron war nicht von der geselligen Sorte, eher grob und laut. Aber zumindest jene wenigen hätte sie auf einer Feierlichkeit wie dieser erwartet, der Hochzeit ihres Vaters, Baron Severin. Also war anzunehmen, dass die Feiernden zur Familie der Braut gehörten, was ihr allerdings ebenso seltsam erschien.

Ihre frisch gebackene Stiefmutter Maria, vormals Cunnings, nun Scott, war bis zu Beginn der Wintersaison Schülerin in jenem Internat gewesen, das auch Emma besuchte. Sie kannten sich flüchtig, schließlich war Maria zwei Jahre älter als Emma und suchte eher die Gesellschaft gleichaltriger junger Damen. Catherine, Marias jüngere Schwester, war jedoch recht gut mit Emma bekannt, wenn sie einander auch nicht Freundinnen nennen würden. Auch sie war nicht zugegen, allerdings war dies kein Grund zur Besorgnis. Schließlich nahm Emma auf strikten Befehl des Vaters teil, obwohl sie noch nicht in die Gesellschaft eingeführt worden war und es daher nicht den gängigen Gebräuchen entsprach, sich unter die Feiernden zu mischen. Sicherlich war Catherine nicht gestattet worden, der Feierlichkeit beizuwohnen. Emma ignorierte, dass sie die junge Dame auch in der Kirche nicht hatte ausmachen können, schließlich kreisten ihre Gedanken bereits um den viel bedeutenderen Fakt, dass sie auch andere Familienangehörige ihrer frisch gebackenen Stiefmutter nicht ausfindig machen konnte. Wo waren Mr und Mrs Cunnings? Oder die sicherlich geladenen Großeltern, immerhin Viscount Thornton und der Earl of Sussex. Maria und Catherine hatten auch noch einen Bruder und diverse Cousins und Cousinen, die Emma zwar nicht alle aus dem Stand benennen, aber von denen sie mit Sicherheit sagen konnte, dass nicht einer der Anwesenden eindeutig als eben jene Verwandten bezeichnet werden konnte. Für den Bruder waren die anwesenden Herren bei Weitem zu alt, für die Großeltern wiederum zu jung. Abgesehen davon, dass sich die Herrschaften keinesfalls angemessen betrugen.

Emma senkte den Kopf, um unter einen Pavillon zu treten, und nahm sich ein Horsd’œuvre. Nur wenige Meter weiter saß ihre Stiefmutter und sah mindestens so verwirrt aus, wie Emma sich fühlte. Suchte Maria ebenfalls nach einem vertrauten Gesicht? Ihre Augen trafen sich für einen kurzen Moment, dann wurde die Aufmerksamkeit der Braut von ihrem Bräutigam auf diesen gezogen. Baron Severin riss sein Weib an sich und drückte ihr vor aller Augen einen mehr als unschicklich intimen Kuss auf.

Emma wandte erschaudernd den Blick ab. Nur zu gern verließe sie die Feierlichkeiten, nicht nur, weil sie Maria bedauerte. Ihr Vater war kein Mensch von Zartgefühl. Im Gegenteil zeichnete er sich doch eher durch seine Gefühlskälte aus, die er nicht nur ihr, seiner Tochter, angedeihen ließ. Gerade litt seine Braut darunter, griff er ihr doch schamlos in den Ausschnitt und verkündete lauthals, welch prachtvolle Rundungen ihn in der Nacht erquicken würden.

Maria erbleichte, und Emma schloss die Augen. Sie hatte noch kein Wort mit der jungen Dame wechseln können, die sie von nun an Lady Severin nennen würde. Dabei fragte sie sich, was Maria dazu bewogen haben mochte, Baron Severins Antrag anzunehmen, und hätte ihre Neugierde zu gern gestillt. Sie warf erneut einen Blick auf das Hochzeitspaar, um abzuschätzen, ob sie sich der Braut nähern konnte, ohne die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich zu ziehen. Es war immer besser, ihm nicht unter die Augen zu kommen, und während dieser Heimkehr war es noch einmal unangenehmer geworden. Der Blick, mit dem er sie nun stets bedachte, bereitete ihr Beklemmung.

Maria war den Tränen nahe und wandte den Kopf von ihrem Gatten ab. Die Lady war nicht sonderlich groß gewachsen, reichte ihrem ebenfalls kleinen Ehemann aber bis zur Schulter. Sie hatte rötlich-blondes Haar und sensible braune Augen. Sie war hübsch anzusehen. Ihr Stammbaum war nicht so schlecht, dass einen Baron einzufangen, gleich welchen, einen Erfolg bedeuten konnte. Und da Catherine stets ihre hohe Mitgift anpries, würde auch mangelndes Vermögen keinen Grund darstellen, Baronin Severin werden zu wollen.

Emma wechselte die zu betrachtende Person. Ihr Vater konnte weder mit seinem Aussehen noch mit seinem Benehmen einen Blumentopf gewinnen. Selbst für seine 54 Jahre sah Leslie Scott erbärmlich aus. Nicht nur, dass seine beleibte Gestalt nur leidlich in den maßgeschneiderten Anzug passte. Sein unförmiger Leib war auch noch von offenen Stellen bedeckt, die leider nicht vor seinen Händen und dem Gesicht haltmachten. Sein früh ergrautes, schütteres Haar und der gierige Ausdruck in seinem entstellten Gesicht waren ebenso abstoßend. Emma schlang die Arme um sich, weil ihr trotz der Wärme des strahlenden Sonnentages ein kalter Schauer über den Körper lief. Sein Anblick war selbst für Emma schwer mit Gleichmut zu tragen und sie sehnte sich stets danach, seiner Gesellschaft rasch zu entgehen.

Was also mochte Maria bewogen haben, diese Mesalliance einzugehen? Immerhin war die gesellschaftliche Stellung Severins selbst für einen Baron eine Beleidigung. Ein großer Teil seiner eigenen Familienangehörigen mied ihn, als wäre er Überträger der Pest. Selbst jene, die wie er selbst auch nahe Bath lebten, empfingen ihn nicht.

Was hatte Maria also in diese bedauernswerte Situation gebracht?

Emma seufzte und biss in ihr Häppchen. Sie selbst war nur zu glücklich, alsbald in das Pensionat zurückkehren zu können, in dem sie dann, mit etwas Glück, weitere zwei Jahre ausharren konnte, bevor sie ihr Debüt beging. Sie strich die Krümel von ihren weißen Satinhandschuhen und sah dabei an sich herab. Ihr Kleid war ein Skandal. Der Ausschnitt war so tief angesetzt, dass sie kaum wagte zu atmen. Nur ein schmaler Streifen Taft schloss die Kante ihres Mieders ab, das gerade eben das Allernötigste bedeckte. Sie hatte ihren Vater am Morgen schriftlich verständigt, dass sie dieses Gewand unmöglich tragen konnte. Daraufhin war ihr Vater höchstpersönlich in ihr Zimmer gestürmt, um sie von oben bis unten zu begutachten.

»Es ist genau so, wie es sein soll, Mädchen!«, hatte er gebellt. »Wenn du mir Ärger machst, wirst du es bereuen.« Er hatte nach ihrem Arm gegriffen und sie an sich gezogen. Emma hatte gleich wieder seinen Gestank in der Nase und keuchte, um das Odeur zu vertreiben. Sie legte die Hände auf die früher am Tag malträtierten Stellen und versuchte angestrengt, nicht an ihre Furcht zu denken, denn er hatte sie mit einem Blick gemustert, der jenem gleichkam, mit dem er nun seine Braut musterte.

»Es ist Zeit, dich an den Mann zu bringen.« Diese Worte klangen ihr nun wieder im Ohr. »Belmont wird Interesse haben.«

Seither erschrak sie bei jedem Gentleman, der sich ihr näherte. Nun, sie hatte auch Grund zur Sorge, verhielten sich die Herren doch ähnlich unanständig wie ihr Vater, der seiner Braut die Hand in den Ausschnitt quetschte.

Emma ballte die Fäuste. Es war schrecklich, dies mit ansehen zu müssen, aber sie traute sich auch nicht, einzuschreiten. Sie presste die Lider zusammen, wandte sich ab und schlang die Arme um sich. Sie wünschte sich so sehr, die Festivität verlassen zu können!

»Miss Scott.« Die Stimme schreckte sie auf und sie fuhr herum.

Der Gentleman, der sie angesprochen hatte, grinste mit kalten Augen auf sie herab. Er schien im gleichen Alter zu sein wie ihr Vater und beugte sich über ihre Hand. Seine Lippen drückten sich fest auf ihre Knöchel. Als er sich wieder aufrichtete, wanderte sein Blick genüsslich über sie hinweg. »Wie schön, dass wir uns kennenlernen, Miss Scott. Darf ich Ihnen versichern, dass Sie von eben solch großer Anmut sind, wie es Ihre werte Mutter gewesen ist?« Er schenkte ihr ein weiteres schmieriges Grinsen und klemmte ihre Hand in seine Armbeuge, um Emma sogleich mit sich zu ziehen.

»Verzeihen Sie, meine Hübsche, habe ich mich eigentlich vorgestellt?« Er zog seine buschige Augenbraue hoch, und seine Lippen verbogen sich überheblich. »Belmont, zu Ihren Diensten.«

Emma stolperte, war sie doch erschrocken stehen geblieben, der Lord zog sie aber unerbittlich weiter mit sich in Richtung Herrenhaus und bedeckte ihre Finger auf seinem Arm fest mit der Hand, sodass sie sich ihm nicht entziehen konnte. Belmont! So ein Unglück!

Sie musterte ihn aus dem Augenwinkel und erneut überfuhr sie ein kalter Schauer. Er war ausgesucht gut angezogen, lächelte und hatte auch ansprechende blaue Augen, aber es half nicht, ihn sympathisch zu finden. Leider hatte eine junge Dame der Etikette zu gehorchen, auch wenn sich ein Gentleman unangebracht verhielt. Eben wie es der Marquess of Belmont getan hatte, als er sie einfach ansprach und sie nun zwang, ihn zu begleiten. Sie räusperte sich leise und suchte nach einem Gesprächsthema, und da sie ihn nicht kannte, musste sie auf seine vorherigen Worte zurückkommen.

»Sie kannten meine Mutter, Mylord?« Ihre Stimme war ungewohnt hoch und sie erschauerte einmal mehr.

»Oh, ja.« Belmont zwinkerte anzüglich, als er versicherte: »Wir waren sehr eng befreundet.« Sein Blick fuhr erneut über ihre Gestalt, und die Intensität in ihm ließ sie wünschen, weit weg zu sein. Und zwar allein!

»Ich hoffe, dass Sie mir bald genauso geneigt sein werden, wie es einst Ihre Mutter war.« Belmonts Stimme senkte sich. »Ich freue mich bereits darauf, Emma.« Er verharrte in seinem schnellen Schritt über die Festwiese und wandte sich ihr zu. Damit war sie gezwungen, ebenfalls stehen zu bleiben. Der Lord legte seine behandschuhte Hand an ihr Kinn, um es anzuheben. »Sie sind ihr verdammt ähnlich, Emma. Sie war ebenso zart. Ihre Wangen so rosig wie ihre Lippen nachgiebig.«

Emma riss die Augen auf. Sie musste sich verhört haben. Seine Lippen wellten sich, als mokierte er sich über sie. Sein Blick heftete sich kurz auf ihren Mund.

»Als ich Ihre Mutter kennenlernte, war sie kaum älter, als Sie es nun sein können«, stellte er fest. »Sie war etwas fraulicher, wobei ich kleine Brüste bevorzuge.«

Emma klappte der Mund auf, nicht das einzige Anzeichen ihres Schocks, denn ihre Wangen brannten, und sie war unfähig, ihr Starren einzustellen.

»Und pralle Pobacken.« Er grinste schmierig, entließ ihr Kinn und fuhr mit der Hand über ihren schlanken Hals und weiter über ihr Dekolleté.

Schnell trat Emma zurück, um der Berührung zu entgehen. »Mylord!«, quiekte sie und wurde aufgehalten.

Seine Hand fing ihren Ellenbogen ein, und er zog sie weiter. »Nun, vielleicht ist dies nicht das passende Sujet für diesen Moment. Ihr Vater trug mir auf, eine Bitte an Sie zu richten: Helfen Sie Lady Severin dabei, sich für den Ball umzukleiden. Selbstverständlich erst, wenn Sie selbst angekleidet sind.« Seine Lippen kräuselten sich erneut. »Erweisen Sie mir die Ehre eines Tanzes? Der Walzer nach dem Dinner? Hervorragend.«

Emma öffnete den Mund, um ihn darauf hinzuweisen, dass sie nicht tanzen würde. Schon gar keinen Walzer, aber er verbeugte sich bereits vor ihr. Also schluckte sie den Widerspruch herunter und verabschiedete sich mit dünner Stimme. Dieser Tag war eine Herausforderung und sie bezweifelte, dass sie die Zeit, bis sie zurück in das Pensionat fahren konnte, unbeschadet überstand.

 

 

 

Kapitel 2

Ein Ausweg aus der Hölle dringlichst gesucht!

 

Oxfordshire, Miss Hellyworths Institut für junge Damen, April 1815

Apathisch stieg Emma vor Miss Hellyworths Institut für junge Damen aus der Kutsche. Sie folgte dem Gang, der sie zu den Schlafräumen bringen sollte, wie in Trance. Die letzte Woche war die Hölle auf Erden gewesen, und sie hätte sich nicht im Geringsten gewundert, wenn Maria, ihre kurzzeitige Stiefmutter, sich tatsächlich das Leben genommen hätte. Gerade so, wie es ihr Vater behauptet hatte.

Noch immer gefror Emma das Blut in den Adern, wenn sie an die grauenvolle Szene dachte, die sie durch das Fenster des Arbeitszimmers aus dem Garten heraus beobachtet hatte. In gelöster Kleidung und mit wirrem Haar hatte Maria nach dem Brieföffner gegriffen und gedroht, aller Welt zu sagen, was man ihr antat. Belmont hatte ihr die Waffe entwunden und ihre Handgelenke aufgeschnitten. Wenn Emma die Augen schloss, konnte sie immer noch Marias Schreie hören und das Blut sehen, das ihr fontänenartig aus dem Körper geschossen war.

Emma fühlte sich mitschuldig am Tod der Lady. Sie wusste, was ihr angetan worden war, und hatte geschwiegen. Ihr Vater hatte seine Braut züchtig angekleidet und alle Anzeichen von Misshandlung sorgfältig verborgen. Kein Wort war über Emmas Lippen gedrungen, selbst dem gerufenen Friedensrichter hatte sie nicht die Wahrheit gesagt, sondern eine Lüge aufgetischt, gerade so, wie ihr Vater es befohlen hatte.

Marias Schicksal allein verdankte sie ihre Rückkehr ins Internat, dessen war sie sich schmerzlich bewusst. Die geplante Hochzeit mit dem widerwärtigen Marquess of Belmont war aus Gründen der Schicklichkeit um ein halbes Jahr verlegt worden und sollte nun kurz vor ihrem Geburtstag stattfinden. Die Sondergenehmigung für die Trauung während der Trauerzeit war bereits beantragt, und der Marquess hatte sie jede verbliebene Minute bis zum Abschied wissen lassen, wie es sein würde, seine Gattin zu sein.

»Emma! Herr im Himmel, bist du spät dran. Wir haben uns bereits Sorgen um dich gemacht.« Lady Sandrine Stewart schüttelte ihren blonden Schopf. Sie gehörte zu den Mädchen, mit denen Emma sich den Schlafsaal teilte, und war aus der Lektüre ihres Lehrbuches mit dem klingenden Namen Etikette – Die Fibel des vornehmen Benehmens aufgetaucht, als Emma in den Bogengang zum Dormitorium getreten war. Sandrine legte das Buch zur Seite und musterte sie besorgt. »Warum hast du nicht geschrieben?«

Offensichtlich alarmiert von Emmas blassen Wangen und der Angst in ihren Augen, zog Sandrine sie kurzerhand aus dem überdachten Rundgang und führte sie dann über den blühenden Rasen in den Schatten einer alten Esche, unter der zwei weitere Zimmergenossinnen über Briefen von zu Hause saßen. Widerstandslos ließ sich Emma zu den jungen Damen auf die Decke drücken. Noch bevor jemand einen Ton herausbrachte, wurde sie von wildem Schluchzen geschüttelt und schlug die Hände vor das Gesicht.

Sandrine zog sie in eine tröstende Umarmung und fuhr ihr beruhigend über den bebenden Rücken. »Catherine hat Dinge erzählt, die wir gar nicht glauben wollten, jedoch scheint tatsächlich mehr an den Gerüchten zu sein, hm?«

Emma nickte und wischte sich die Tränen von den Wangen, die jedoch nicht lange trocken blieben. »Sie sind Monster«, krächzte sie. »Belmont und Severin! Sie haben Maria …« Sie brach ab, da sie um eine passende Formulierung verlegen war. Schließlich beugte sie sich vor und gab den Freundinnen einen Wink, es ihr gleichzutun. »Genötigt!«

Ihre Worte brachten alle drei jungen Damen dazu, den Atem vor Entsetzen einzuziehen und zugleich an Farbe zu verlieren. Alina Wright sah sich um und knetete die Finger, während Sandrine ihre vor den Mund legte.

»Dein Vater wusste ganz sicher, was Belmont mit Lady Severin tat? Mein Gott!« Lady Gillian Richmond riss die moosgrünen Augen auf und starrte sie an.

»Ja«, flüsterte Emma, schockiert von sich selbst: »Oh Gott! Ich habe ihr nicht geholfen! Ich bin schuld, dass sie tot ist!«

»Das ist doch Unsinn«, widersprach Miss Alina Wright sanft und legte Emma beruhigend die Hand auf den Arm. Alinas Augen harmonierten perfekt mit ihrem meerblauen Vormittagskleid, und sie blieb wie üblich trotz ihres Erschreckens sachlich. »Natürlich ist dir Marias Tod nicht anzulasten.«

»Es ist ganz klar«, entrüstete sich Lady Sandrine Stewart und drückte sie fest an sich, »wer die Schuld trägt, und genau da liegt auch dein Problem, Emma.«

»Sandrine hat recht«, stieß Lady Gillian hervor. Ihre grünen Augen schossen einen Pfeil nach dem anderen ab. »Ich kann nicht fassen, dass der Bräutigam selbst …«

Dies erinnerte Emma an das zweite Dilemma. Sie krächzte, als sie es ansprechen wollte, und brauchte mehrere Anläufe, bevor sie es hervorbrachte. »Severin hat mich mit Belmont verlobt.«

Die nun einsetzende Stille war sogar noch durchdringender als jene nach der ersten Eröffnung.

»Du kannst dieses Scheusal nicht heiraten«, stellte Alina nüchtern fest und lief dann rot an. »Aber du musst. Lord Belmont weiß von den Vorwürfen, der Ungeheuerlichkeit, da er selbst darin verwickelt ist.« Alinas Augen waren riesig und spiegelten Emmas Hoffnungslosigkeit.

Das Laub an den Bäumen raschelte überlaut und auch die Stimmen der anderen Schülerinnen des Pensionats gellten Emma in den Ohren. Sie rang noch immer ihre Hände und spürte, wie sich die kurzzeitige Ruhe in ihr erneut verflüchtigte. Ihre Situation war aussichtslos.

Gillian runzelte angestrengt überlegend die Stirn, wobei sie sich eine Locke aus der Schläfe strich. »Du musst fort«, murmelte sie. »Weg von Lord Severin, der dich nicht schützen wird. Die Frage ist: wohin?«

»Nicht nur wohin, das Wie spielt auch eine Rolle«, gab Sandrine zu bedenken und tippte sich abgelenkt an die gespitzten Lippen.

»Es müsste etwas Dauerhaftes sein«, meinte Alina aufgeregt, wobei sie konzentriert die Stirn runzelte. »Für den Fall, dass Lord Severin dich verstößt.«

»Ja, etwas Verrücktes. Du könntest arbeiten«, fügte Sandrine an und krauste die Nase. »Es klingt wirklich merkwürdig, aber du wirst Mittel brauchen, um leben zu können.«

»Wie wahr.« Alina seufzte leise. »Ohne Vermögen ist eine Frau von den Männern ihrer Familie abhängig.«

»Ich habe eine schrullige Tante. Wenn du willst, frage ich sie, ob sie nicht eine Gesellschafterin einstellen möchte.« Sandrine spitzte wieder die Lippen und musterte Emma skeptisch.

»Bitte, Sandy, du meinst doch nicht die berüchtigte Tante Arabella?« Gillian riss die Augen auf, aber ihr Ausdruck wechselte gleich wieder. »Warum verheiratest du sie nicht gleich mit deinem Bruder?« Sie lachte und erntete einen seelenvollen Blick von der Gescholtenen.

Sandrine riss einen Grashalm aus dem Naturteppich zu ihren Füßen und wickelte ihn um ihren Finger. »Ich glaube nicht, dass ich Robin dazu überreden könnte.« Sie seufzte gedehnt und erklärte sich gleich. »Er denkt, er sei in Lady Brianna Barrows verliebt. Eigentlich ist er ein so wundervoller Mensch, aber …« Sie sah leidend in die Runde. »In dem Punkt ist er fürchterlich dumm. Wenn Brianna ihm also nicht schnell das Herz bricht … Was Gott verhüten mag, wird er sich wohl nicht schnell genug besinnen, um von Nutzen zu sein.« Sie zuckte die Schultern und warf den Grashalm fort, um einen neuen herauszureißen. »Und Raphael hat nicht vor zu heiraten. Er betitelt die Ehe als Gefängnis der Lebensfreude. Keine Ahnung, was er damit meint.« Sie spitzte die Lippen und fasste die schwarzhaarige Freundin ins Auge. »Was ist mit deinem Bruder, Gil?«

Gillian schnaubte enttäuscht. »Soll ich ihn fragen, wenn ich ihn sehe«, höhnte sie bitter, »oder ihn in einem Brief darum bitten? Nein, ich glaube leider nicht, dass ich ihn dazu bringen könnte.« Nachdenklich musterte Gillian Alina, die hoffnungslos den Kopf hängen ließ. In Gillians Antlitz glomm Wut auf, der gemeinhin darauf hinwies, dass sie sich in ihrem Starrsinn verlor. Sie schob das Kinn vor. »Ach was! Ich frage ihn. Anthony ist zwar nicht gerade …« Sie presste auf der Suche nach den passenden Worten die Lippen aufeinander. Sie sah auf und blickte Emma um Verzeihung bittend an. »Er ist nett«, versicherte sie schnell. »Er ist der Earl of Winchester. Es ist an der Zeit, dass er heiratet, und das wäre der leichteste Ausweg, nicht wahr?«

Verzweifelt senkte Emma die Lider und versteckte ihr Gesicht in den Händen. Nach einem Moment des Haareraufens schüttelte sie bestimmt den Kopf. »Nein! Ich meine, dein Bruder ist bestimmt nett, aber ich kann ihn nicht heiraten.«

»Emma, denk noch einmal darüber nach. Er ist Earl, pflegt enge Kontakte zu sehr wichtigen Persönlichkeiten wie zum Beispiel dem Earl of Castlereagh. Weder Belmont noch Severin sind sonderlich gut gelitten in der höheren Gesellschaft.« Gillian ergriff ihre Hand, um sie zu drücken. »Du wärst in Sicherheit. Und ich glaube, dass Anthony sehr«, sie unterbrach sich einmal mehr, um nach dem passenden Wort zu suchen, »beschützend ist. Er ließe niemals zu, dass man dir wehtut.«

»Sie hat recht, Gillian«, sagte Alina leise, aber deutlich und legte Gillian eine Hand auf den Arm. »Wenn Emma offiziell verlobt ist, kann sie nicht einfach einen anderen heiraten. Denk an den Skandal.«

Die Damen ließen unisono die Schultern hängen. »Nicht, solange diese Verlobung Bestand hat«, murmelte sie, während ihr Blick an einer bestimmten jungen Dame hängen blieb. »Aber wenn sie gelöst werden würde, ihr wisst schon, wie bei Lady Ipswich, wäre es eine völlig andere Sache. Der Hochzeitstermin hatte bereits festgestanden, aber sie wurde krank und konnte demnach nicht vor dem Altar erscheinen.«

Sandrine nahm den Faden begeistert auf. »Drei Tage später ist sie mit Ipswich durchgebrannt! Ich erinnere mich daran, weil Lady Lynnwood meiner Mutter gegenüber beteuerte, dass kein Wortbruch stattgefunden hätte!«

Alina wandte sich mit sichtlicher Begeisterung an Emma. »Wenn du die Hochzeit platzen lässt, wäre doch alles in bester Ordnung!« Sie errötete bei ihrem Vorschlag.

Gillian knuffte ihr in die Seite. »Und das würde keinen Skandal auslösen?«

Sandrine brummelte, wodurch sich alle Blicke auf sie legten. Emma hielt den Atem an. Sie schätzte die Hilfe ihrer Freundinnen, aber ihre Ideen waren bisher eher erschreckend denn hilfreich gewesen.

»Vielleicht können wir Severin und Belmont erpressen.« Sandrine schaute in die Runde und sah Emma dann bezwingend in die Augen. »Ich meine, du hast gesehen, was sie Maria antaten.« Ihr Grashalm landete bei seinem Vorgänger. Sie setzte sich gerade auf und strich sich über den Falten werfenden Rock. »Was meint ihr, würde Emmas Aussage genügen, um Severin und Belmont des Mordes zu überführen?«

Panisch schüttelte Emma den Kopf. »Das kann ich nicht!« Es war ausgeschlossen, dass sie den Männern mit dieser Anklage entgegentrat!

»Das musst du auch nicht«, beruhigte Alina sie und legte ihr die Arme um die Schultern. »Was wäre gewonnen, wenn Emma die Umstände von Marias Tod bekannt machen würde? Wenn man ihr glaubt und ihr Vater und ihr Verlobter angeklagt werden, was geschieht mit ihr? Wer würde sie aufnehmen? Wie sollte sie sich je in der Gesellschaft sehen lassen? Wie sollte sie mit dem Fleck auf ihrem Renommee einen Gatten finden? Oder eine Anstellung? Man würde sie doch schneiden, über sie tuscheln.« Alina schüttelte den Kopf und sah eindringlich in die Runde. »Was soll aus ihr werden? Und bedenkt bitte, was geschieht, wenn man ihr nicht glaubt. Wie werden Severin und Belmont Emma eine solche Schmach vergelten? Sie haben Maria eiskalt ermordet, ohne einen Wimpernschlag des Bedenkens, ohne spätere Reue.«

Sandrine und Gillian fassten nach Emmas Händen, um sie zu drücken. Emma fühlte sich gleich weniger verzweifelt, auch wenn sich ihre Situation nicht geändert hatte und nach wie vor aussichtslos erschien.

»Sie hat doch niemanden, der sie beschützen könnte«, flüsterte Alina und verdeutlichte, wie desolat Emmas Lage tatsächlich war. Es gab niemanden, der sich um sie scherte. Sie kämpfte mit den Tränen.

»Alina hat recht«, grummelte Gillian. »Es ist einfach zu gefährlich. Eine Konfrontation scheidet aus, solange du nicht unter der Haube bist, und damit müssen wir warten, bis die Verlobung dank des verpassten Hochzeitstermins keine Bedeutung mehr hat.«

Sandrine nickte. »Fein, dann lasst uns überlegen, wie wir Emma verschwinden lassen können.«

Emma nickte ergeben und überließ sich bedenkenlos ihren Freundinnen, die sich sogleich eifrig auf die Suche nach einer Fluchtmöglichkeit machten.

»Etwas Langfristiges«, hob Alina hervor und krauste ihre mit Sommersprossen übersäte Nase.

»Etwas Sicheres!«, unterstrich Gillian und erklärte: »Severin und Belmont werden sicherlich nicht zulassen, dass Emma einfach so verschwindet.«

Alina stimmte bestürzt zu: »Bestimmt nicht, schließlich kann man nie vorhersehen, ob ihr Wissen nicht doch für Scherereien sorgt.«

»Ich frage Tante Arabella, ob sie nicht eine Gesellschafterin braucht. Sie ist furchtbar, aber dort ist man absolut sicher. Niemand kommt sie je besuchen, schon gar nicht freiwillig.« Sandrine erschauerte sichtlich und verzog die Lippen. »Sie ist komisch«, gab sie zu. »Sie ist streng und hat recht merkwürdige Ansichten zu allen möglichen Themen, aber sie ist zumindest nicht ungerecht.«

»Du könntest auch als Gouvernante arbeiten. Das habe ich mir überlegt.« Alina biss sich nach diesem Geständnis verlegen auf die Lippe. »Ihr wisst schon, als mittelloses Mädchen, ohne Familie … Man hätte den ganzen Tag nichts mit den Herrschaften zu tun.«

Gillian sah Alina verblüfft an und schüttelte ihre schwarzen Locken. »Du wirst doch keine Gouvernante, Alina!«

Achselzuckend tat das Mädchen den Einwand der Freundin ab und sah Emma an. »Wäre dies eine annehmbare Alternative?«

»Aber ich bin doch noch viel zu jung. Wer stellt denn eine Gouvernante ein, die kaum älter ist als die zu behütenden Kinder? Ich glaube, Sandrines Tante wäre keine schlechte Wahl.« Emma seufzte bedrückt. Ihr Leben würde sich ändern. Grundlegend. Vermutlich würde sie die Freundinnen allzu bald nicht wiedersehen. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Es war nun wichtig, die Gedanken beisammenzuhalten, ihre Flucht zu planen, ihr weiteres Leben. Es mochte nicht so verlaufen, wie sie es bisher gedacht hatte, aber jeder Weg, der sie von Belmont fortbrachte, war es wert, gegangen zu werden.

»Tante Arabella ist die Patin meiner jüngeren Schwester Susannah. Die Schwester unserer Mutter. Sie ist … eigen. Vermutlich hat sie deswegen nie geheiratet.« Sandrine sah nachdenklich in die Runde. »Sie pflegt kaum Kontakte. Ich weiß, dass sie Susi schreibt, aber sonst?«

»Nun, vermutlich ist dies sogar von Vorteil«, murmelte Gillian mit einer Miene, die deutlich bekundete, dass ihr der Vorschlag noch immer nicht recht gefiel. Alina biss sich auf die Lippe, bevor sie erneut ihre Zweifel kundtat: »Wie lange lebt sie denn schon allein? Und warum sollte sie ausgerechnet nun den Gedanken hegen, eine Gesellschafterin anzustellen?«

Sandrine gab zu, es nicht zu wissen. »Aber sie schlägt Susannah keinen noch so unsinnigen Wunsch aus.«

»Du willst deine Schwester involvieren?«, hauchte Emma bestürzt. »Sie soll für mich bitten?« Sie schloss die Augen und vergrub das Gesicht in ihren Knien. Es war unhaltbar, dass sie sich nicht selbst helfen konnte und nicht nur die Freundinnen involvieren musste, sondern auch noch deren Verwandtschaft. Ihre eigenen Gedanken drehten sich jedoch im Kreis und ihr fiel einfach kein Ausweg ein. Ihre Familie war überschaubar und sie konnte sich nicht vorstellen, dass eine der Cousinen ihres Vaters sie gegen dessen Willen aufnehmen würde. Und von der Familie ihrer Mutter war ihr noch nie jemand begegnet.

»Susannah wird uns sicherlich den Gefallen erweisen«, versicherte Sandrine fest. »Sie ist ein Schatz.« Sie streckte die Hand aus, um sie auf Emmas Schulter zu legen. »Und wenn sie nicht so verrückt nach ihren Gäulen wäre, wäre sie längst schon Schülerin dieses Instituts.«

»Ihre Gäule sind durchweg Sieger aller möglichen Rennen.« Gillian schnaubte. »Anthony versucht seit Jahren, einen Rappen aus eurer Zucht zu ergattern.« Sie winkte ab. »Aber das tut nichts zur Sache.«

»Sandy, vor Kurzem erwähntest du, dass eine Freundin von dir eine Gouvernante sucht«, beharrte Alina auf ihrer Idee und beugte sich leicht vor, um nach der Hand der zwei Jahre älteren Dame zu fassen. »Meinst du nicht, wir könnten es zumindest versuchen? Immer wenn du von dieser Tante sprichst, nennst du sie einen Drachen!«

Lady Sandrine runzelte die Stirn. »Fiona? Nein, sie braucht noch keine … Oh, natürlich! Fiona hat mir geschrieben, dass ihre Schwester Caroline ständig eine neue Gouvernante sucht. Ich werde Fiona schreiben!«

Emma stöhnte verzweifelt. Nun war es nicht die Schwester der Freundin, sondern deren Bekannte, die involviert werden sollte? Die Situation wurde immer schlimmer!

»Ich weiß nicht«, murmelte sie und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Ich möchte nicht, dass …«

»Papperlapapp!«, unterbrach Sandrine sie eisern. »Es kommt nicht infrage, dass du dich Belmont zum Fraß vorwirfst, weil du niemanden inkommodieren möchtest.«

Gillian kicherte und Emma hatte den Verdacht, dass dies an ihrem konsternierten Gesichtsausdruck lag. »Es gibt keine Alternative, oder fällt dir etwas ein?«

Emma öffnete den Mund, musste ihn aber unverrichteter Dinge wieder schließen. Nein, sie wusste keinen besseren Weg. Nicht mal einen anderen. Sie verdeckte das Gesicht und murmelte ein trostloses Oh Gott.

»Was ist mit der Familie deiner Mutter?«, fragte Alina zaghaft. »Vielleicht …«

Emma schüttelte den Kopf, bevor sie die Hände sinken ließ. »Nein. Keiner von ihnen hat sich je mit mir in Verbindung gesetzt. Ich möchte ihnen nicht zur Last fallen und …« Sie brach ab und biss sich auf die Lippe. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht einmal, wer ihre Mutter eigentlich gewesen war. Die Tagebücher, die sie auf dem Dachboden von Severin Court gefunden hatte, während sie sich vor ihrem Vater und Belmont versteckt gehalten hatte, waren bisher nicht sehr aufschlussreich gewesen, auch wenn sie meinte, ihren Onkel dadurch gut zu kennen. Ihre Mutter hatte häufig von ihm geschrieben, auch wenn er um einiges älter war. Er war ein steifer Gentleman mit festen Ansichten, ebenso wie Emmas Großvater. Aber Deirdre offenbar nicht ähnlich zugeneigt wie andersherum, warum sonst stand nicht einer von ihnen mit ihrer Tochter, Emma selbst, in Verbindung?

Sie seufzte und schob den Gedanken an die unbekannten Familienangehörigen, von denen sie nur durch die Berichte ihrer Mutter ein ungefähres Bild haben konnte, zur Seite. Darunter ihr Cousin, dessen Beschreibung sie nur weiter betrübt hatte. Der Bursche erinnerte sie an Peter, und dies brachte nur weiteren Schmerz, weitere Verwirrung und lenkte sie davon ab, einen sicheren Weg in die Zukunft zu finden.

»Was hast du gesagt?«, fragte Alina an ihrer Seite und rückte ein Stück von ihr ab. »Peter?«

Emma sog erschrocken den Atem ein. Sie hatte seinen Namen gemurmelt? Hitze schoss ihr in die Wangen.

»Oje!« Gillian verdrehte die Augen. »Doch nicht Morsley schon wieder?«

Auch Sandrine machte eine Geste des Unmuts. »Er ist ein Hundsfott, vergiss ihn lieber.«

Emma seufzte. Wenn dies so einfach wäre.

»Er ist verschwunden!«, mahnte Gillian. »Kein wahrer Gentleman lässt eine Dame in Not im Stich.«

Emma stieß betrübt den Atem aus. »Das war anders«, verteidigte sie ihn. »Er musste gehen.«

»Und nie zurückkehren?« Sandrine schüttelte den Kopf. »Ich bin sehr für romantische Geschichten, aber in seinem Fall gebe ich Gillian recht. Morsley ist ein Schelm. Er hat dich in Schwierigkeiten gebracht und ist dann verschwunden.«

Emma stieß erneut den Atem aus und nickte. »Ich weiß es ja. Auch wenn die Dinge eben anders waren, weiß ich, dass Peter … schwerlich in meine Zukunft passt.«

»Gar nicht«, bekräftigte Gillian. »Er ist zu jung und zu unbedeutend, selbst wenn er sein Versprechen erfüllen würde!«

Emma biss sich auf die Lippe. Sollte sie den Freundinnen auch den letzten Teil dieser Geschichte offenbaren? Sie schaute sich nervös um und beugte sich vor. »Ich muss einräumen, dass wir …«

Alina keuchte vor Entsetzen und schlug sich die Hand vor den Mund. »Emma!«, quiekte sie. »Du wirst doch nicht … vor dem Eheversprechen!«

Sandrine schnalzte. »Ein Hundsfott, wie er im Buche steht!«

»Nein«, rief Emma eilig und griff nach der Freundin. »Natürlich nicht, aber … wir waren in Gretna Green und haben uns trauen lassen.«

Die Freundinnen schauten sie teils entsetzt, teils überrascht an.

»Aber das war vor Jahren! Wir waren Kinder und unsere Eltern waren beide gegen unsere Verbindung. Lord Southby beharrte darauf, dass sie nichtig ist, und auch mein Vater scheint der Sache keine Bedeutung beizumessen.« Emma zuckte die Achseln. »Immerhin hat er mich mit Lord Belmont verlobt.«

Alina runzelte die Stirn. »Vor oder nach deinem zwölften Lebensjahr?«, erkundigte sie sich. »Und Lord Morsley ist älter als du?«

Emma schüttelte den Kopf. »Wir waren einen Tag zu früh, weil wir die Gesetze nicht kannten, und wir bekamen keine Chance, die Zeremonie zu wiederholen.« Aber es gab eine Urkunde, die sie zu Lady Morsley machte und gut verstaut war.

Alina machte ein bedauerndes Gesicht. »Dann ist es nicht gültig.«

»Und uns keine Hilfe«, beschied Gillian fest. »Trauern wir doch keinem Mann hinterher, der seine Braut im Stich lässt!«

»Lord Southby …«, hob Emma erneut zur Verteidigung an.

»Nein, Emma!«, unterbrach Sandrine sie, während Gillian undamenhaft schnaubte.

»Wo war er dann in den letzten vier Jahren?«

Alina räusperte sich. »Lady Arabella«, erinnerte sie an das eigentliche Dilemma. »Oder Sandrines Freundin. Was soll es sein? Möchtest du Gesellschafterin oder Gouvernante werden?«

Kapitel 3

Eine ungewöhnliche Familie

 

Cornwall, Eastwick Park, Mai 1815

Drei Wochen später stieg Emma aus der wankenden Kutsche, die sie bei einem genehmigten Stadtgang nach Oxford bestiegen hatte, nachdem die Freundinnen die anderen jungen Damen und die beiden Aufsichtspersonen abgelenkt hatten. Hier war sie nun, mitten im Nirgendwo, und trat ihre Stelle als Gouvernante im Hause des Earls of Eastwick an. Langsam erklomm sie die breite Steintreppe zur Eingangstür und wischte sich die nervösen Finger an ihrem grauen Reisekleid ab. Ein Gutglückgeschenk von Gillian. Es war neu und nach der zurückhaltenden Art geschnitten, die einer Angestellten gut zu Gesicht stand. Ihre gesamte Garderobe, die drei Kleider umfasste, war in unauffälligen Farben gehalten. Sie sahen streng und langweilig aus und machten sie hässlich, wie Gillian ihr versichert hatte.

Der Butler, der ihr die Tür öffnete, musterte sie kritisch und schien mit ihrem Auftreten unzufrieden, denn er zog eine graue, buschige Braue hoch, und sein hochmütiges Gesicht verzog sich in deutlicher Ablehnung. Er wies sie kurz angebunden an, in der Halle zu warten, und machte sich gemächlich auf den Weg, Emmas Ankunft zu melden. Emma sah sich derweilen in der düsteren Eingangshalle um und entschied, dass es der traurigste Ort war, den sie je besucht hatte. Man hätte ein Dutzend Fenster einbauen müssen, um die Düsternis aus den Ecken neben dem geschwungenen Treppenaufgang zu vertreiben und die Ahnenporträts auf der Galerie aus ihrer kummervollen Schattenexistenz zu befreien. Sie seufzte und blinzelte durch das Dämmerlicht in den hinteren Teil des Hauses, aus dem eine leise Melodie zu ihr herüberwehte. Sonst war es erschreckend still im Haus und es dauerte, bis ihr endlich jemand begegnete. Dann erschien an der Treppe im ersten Geschoss eine junge Frau, die sie von ihrem erhöhten Standpunkt zunächst musterte, bevor sie die Stufen herabeilte, um Emmas Hände zu ergreifen. Sie strahlte, dass ihre blauen Augen nur so funkelten. Die Stelle der Gouvernante musste kläglich lange unbesetzt gewesen sein, dass eine Dame sich so über die Ankunft der Lehrperson freuen konnte!

»Da bist du endlich.«

Emma klappte den Mund wieder zu. Eigentlich hatte sie sich eine kleine Ansprache überlegt, wie sie sich am besten präsentieren sollte. Jedoch war sie von der Begrüßung zunächst zu überrascht gewesen, und es sollte wohl noch arger kommen, denn die Dame schlang den Arm um ihren, um sie mitzuziehen.

»Caroline spielt sich die Entrüstung von der Seele.«

Emma brauchte bis zur Tür des Musikzimmers, um die Information zu verarbeiten. Caroline war die Countess of Eastwick, aber wer war dann die Dame, die sie durch das Haus zog? Emma musterte die Blondine, die nun ihre Seite verließ, um vor ihr in den Raum zu fliegen.

»Caroline, schau, wer endlich eingetroffen ist!«

Die Pianistin unterbrach sich und wandte sich ihnen zu. Sie glich der anderen Lady bis auf das kunstvoll frisierte Haar. Caroline stand auf, rang kurz die Hände, während ihr Blick an Emma entlangglitt, und seufzte dann. »Emma Scott.«

Emma schluckte ihre Nervosität hinunter, trat vor und knickste. »Mylady.«

Die jüngere Version der Countess kicherte an Emmas Seite. »Miss Hellyworth’ Lehranstalt lässt grüßen!« Sie lachte und gesellte sich zur Countess.

»Das ist immer von Vorteil, Fiona«, schalt Caroline leise. Auf den zweiten Blick erkannte Emma, dass die Lady müde wirkte, fast schon ausgelaugt, auch wenn sie sich nun bemühte, fröhlich zu wirken. Sie lächelte und trat auf sie zu, um wie Fiona zuvor nach Emmas Händen zu greifen. »Du bist viel zu hübsch.«

Emmas Mut sank und die Verzweiflung nahm zu. Was sollte sie tun, wenn man sie nicht dabehielt? »Ich …«, krächzte sie, ohne zu wissen, wie sie die Feststellung revidieren sollte.

»Sie sieht auch ziemlich jung aus«, sagte Fiona mit deutlichem Missfallen in der Stimme.

»Wenn Eastwick sie sieht …« Lady Caroline stockte und wandte sich halb ab. Die Sanftheit ihrer Augen wandelte sich in Bitterkeit. »Vielleicht war es keine gute Idee.«

Emma sank das Herz in die Hose. »Muss ich Lord Eastwick denn begegnen?«

Beide Damen schauten sie irritiert an.

»Ich bleibe mit den Kindern abseits. Ich speise mit ihnen und komme niemandem unter die Augen.« Emma ballte die Fäuste und hielt Carolines Starren stand. »Ich bin verzweifelt«, hauchte sie schließlich.

Fiona legte die Arme um sie und drückte sie an sich. »Mach dir keine Sorgen, wir finden eine Lösung.«

Tränen brannten in Emmas Augen. Sie wollte ihre Notlage nicht offenbaren, aber musste sie es nicht, um auf Hilfe hoffen zu können? Oder war ohnehin alles zwecklos?

Caroline seufzte schwer. »Wir sollten den Tee einnehmen und alles besprechen, meinst du nicht, Fiona? Emma, sei derweil unbesorgt, es wird sich ein Ausweg finden.«

Sie nannte aber keinen, daher war Emma nicht beruhigt. Trotzdem folgte sie den Damen in den angrenzenden Salon und nahm Platz. Dabei fiel ihr auf, dass sie noch immer ihre Redingote trug und auch den Hut nicht abgesetzt hatte.

»Nun, wir könnten Eastwick einweihen«, schlug Fiona mit einem Ausdruck auf ihrem porzellanenen Gesicht vor, der Emma verwirrte. Abscheu?

Caroline runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob dies eine gute Idee ist. Eastwick ist …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf.

»Ein Dummkopf!« Die Stimme war kratzig, aber durchdringend und ließ Emma ebenso auffahren wie die beiden anderen Damen. Caroline erhob sich, um der alten Dame entgegenzugehen. »Lady Großmutter, setzen Sie sich doch. Ich habe den Tee geordert und hätte Sie baldigst informieren lassen.«

Die alte Dame stützte sich auf ihren Gehstock und stapfte tiefer in den Raum, wobei sie Caroline ignorierte und Emma scharf beobachtete. Also stand sie auf knickste und murmelte eine Begrüßung.

»Sie ist selbst noch ein Kind!«

Emma sank zurück auf die Sitzgelegenheit und hielt den Atem an.

»Eastwick ist kaum auf dem Land«, sagte Caroline. »Und wenn er es ist, beschäftigt er sich weder mit unseren Töchtern noch mit mir.« Sie hob das Kinn und wirkte dadurch eher verletzlich anstatt kämpferisch. »Wenn Emma sich im Hintergrund hält …«

»Ha!«, bellte die alte Lady. »Männer sind Jäger. Versteck etwas vor ihnen und sie wollen es nur umso dringender!« Die knopfartigen Augen verengten sich. »Aber hält man es ihnen unter die Nase, verlieren sie schnell das Interesse. Setz dich, Caroline, wir haben einiges zu besprechen.«

Die Countess sank widerspruchlos auf ihren Stuhl und wechselte einen beredten Blick mit Fiona.

Emma räusperte sich. »Ich weiß mich zu betragen«, versicherte sie mit all der Überzeugungskraft, die sie aufbringen konnte. »Und habe sicherlich kein Interesse an Lord Eastwick.« Hitze schoss ihr in die Wangen. »Ich möchte Männern im Allgemeinen lieber aus dem Weg gehen. Sie sind … nicht vertrauenswürdig.«

Fiona verdrehte die Augen. »Es gibt Ausnahmen, aber ich stimme dir zu. Selbst James traue ich zu, Dummheiten zu begehen, und er ist sonst so korrekt!«

Caroline senkte den Blick. »Ich stimme dir zu. Wir sollten keinen der Männer einweihen.«

Fiona zuckte. »Aber Colin …«

»Auch dein Gatte kann sich verplappern. Genau wie unsere Brüder. Cedrics Umgang ist zweifelhaft und er trinkt zu viel. James beschwert sich häufig, dass er keinen Zugang mehr zu ihm findet.« Caroline seufzte. »James hat mich in diese Ehe gedrängt. Ich traue ihm zu, Emma sogleich verpackt und verschnürt in die Kutsche setzen und bei ihrem Vater abzugeben.«

»Der da wäre?«, erkundigte sich die alte Lady. Caroline und Fiona wechselten einen erschrockenen Blick und Emma zog sich der Hals zu, sodass sie selbst kein Wort hervorbekam.

»Der Name wird Ihnen nichts sagen, Lady Großmutter.« Caroline versuchte sich an einem Lächeln, versagte aber.

»So? Kindchen, ich bewege mich seit fünfundfünfzig Jahren in diesen Kreisen und habe auch vor meiner Hochzeit mit Eastwick, Gott hab ihn selig, zu viele Adlige gekannt, als dass mir einer von ihnen entgangen sein kann!«

Emma schaute angespannt in die Runde. Die jüngeren Damen waren hochrot im Gesicht und wichen ihrem Blick aus.

»Nun? Welcher Hundsfott kann dieses Mädchen hervorgebracht haben? Euer Vater? Eastwick selbst? Mein Sohn oder mein Enkelsohn?«

Caroline krächzte und Fiona schüttelte den Kopf. »Nein, Mylady, so schlimm ist es dann doch nicht.« Sie warf Emma einen entschuldigenden Blick zu. »Severin.«

Die alte Frau schnarrte. »Ein Geschlecht, das wahrlich verflucht ist.« Sie beäugte Emma. »Aber ich verstehe eure Sorge.« Sie verengte die Augen zu kleinen Schlitzen. »Wie wäre es mit einer Scharade, Mädchen?«

Emma rang die Hände im Schoß. »Eine Scharade, Mylady?«

Ein Grinsen wuchs auf den schmalen, faltigen Lippen der Frau. »Ich mache eine hässliche Bedienstete aus dir, die auch mein verfluchter Enkel nicht anfassen wollen würde.«

Caroline stand hastig auf und trat zum Fenster. Emma verfolgte sie kurz mit dem Blick, bevor sie sich wieder der alten Lady zuwandte. »Ich verzichte liebend gern darauf, angefasst zu werden, Mylady.« Sie zwang die Mundwinkel in die Höhe. »Und empfände es als Erleichterung, unerkannt und unansehnlich zu sein.«

»Caroline, du entschuldigst uns? Die Miss braucht einige Anweisungen, bevor wir mit unserer Scharade beginnen können.« Sie erhob sich schwerfällig und bedeutete Emma, ihr zu folgen. Sie knickste eilig, suchte dabei den Blick ihrer eigentlichen Dienstherrin, die jedoch weiterhin aus dem Fenster starrte und gar nicht mitzubekommen schien, was vor sich ging.

»Wir freuen uns darauf«, versicherte Fiona, die sich ebenfalls erhob, ihr aber nicht folgte, als sie sich der Dowager Countess of Eastwick anschloss.

 

Cornwall, Eastwick Park, Mai 1815

Es war deutlich mehr zu tun, als lediglich ihr Haar zu färben. Emma fand sich in einem vollgestellten Boudoir wieder, wurde bis auf die Chemise ausgekleidet und wieder angekleidet. Die schrullige Zofe der verwitweten Countess murmelte unablässig vor sich her, während sie Emmas Kleider neu absteckte, denn sie sollte eine weitere Lage zwischen Stoff und ihren Körper bekommen.

Als sie schließlich an der Seite der alten Dame den Gang entlangschritt, um sich den anderen Ladys zu zeigen, fühlte sie sich nicht nur dreißig Jahre älter, sie sah auch so aus. Ihr Haar war voller Asche, die es ergraut wirken ließ. Auf ihrer Haut trocknete eine Mehl-Bleicreme-Mischung, die sie regelmäßig erneuern musste. Die dicke Brille erschwerte ihre Sicht, lenkte aber auch von ihrem Gesicht ab. Am schwierigsten war jedoch der Ballast, den sie nun mit sich herumtrug. Gefüllte Sandsäcke gaben ihr eine fülligere Figur.

Sie wurden gemeldet und betraten den Salon, in dem die Herrschaften auf das Dinner warteten. Emma fing zunächst Fionas Blick auf, die sich eilig die Hand vor den Mund schlug und sich abwandte. Caroline sackte das Kinn herab, aber es war die Reaktion des Mannes im Raum, die Emma Zuversicht gab.

»Lady Großmutter, Sie hätten mir Bescheid geben können, dass Sie Gäste haben!« Der brünette Lord musterte Emma mit deutlichem Abscheu in der Miene.

Die alte Lady lachte krächzend und es war Caroline, die ihn korrigierte.

»Eastwick, darf ich Ihnen unsere neue Gouvernante vorstellen?« Sie stockte, schaute um Hilfe bittend in Emmas Richtung und schüttelte ansatzweise den Kopf. »Mir ist ihr Name entfallen.«

»Burham«, blaffte die Dowager Countess, bevor sich Emma etwas einfallen lassen konnte. Bisher hatte sie nicht einmal daran gedacht, dass jede Verkleidung nichts brachte, wenn sie ihren Namen nannte. »Ich sprach von meiner guten Freundin Erin Burham, dies ist ihre Tochter: Deirdre.«

Emma durchzuckte ein Blitz. Ausgerechnet Deirdre, der Name ihrer Mutter, den sie nicht gewählt hätte. Während der Vorbereitung hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, auch die letzten beiden Tagebücher zu lesen, aber zumindest das letzte steckte in ihrer Reisetasche und sollte ihr Aufschluss darüber geben, in welch schlimmer Lage sie sich befunden haben musste, um Severins Antrag stattzugeben. Die anderen hatte Emma mit ihrer Reisetruhe im Pensionat zurücklassen müssen, da ihr die Flucht mit zu viel Gepäck niemals gelungen wäre. Emma zwang sich, in der Gegenwart zu bleiben, und knickste vor dem Earl.

»Natürlich. Verzeihen Sie, Miss Burham. Mein Gemahl: Lord Richard Fenton, Earl of Eastwick.« Caroline deutete damit auf den Mann, der seine Gattin mit flammendem Blick bedachte.

»Möchtest du unseren Kindern Albträume bescheren? Es ist ausgeschlossen, dass ich …«

»Sie bleibt!«

Der Lord zuckte unter dem Befehl seiner Großmutter zusammen.

»Mylady, muss ich Sie daran erinnern …«

»Nicht in diesem Ton!«, unterbrach die alte Lady eisig und brachte den Lord damit tatsächlich für einen Moment zum Schweigen. Er räusperte sich.

»Mylady, ich möchte lediglich darauf hinweisen …«

»Es mangelt dir deutlich an Respekt, Eastwick. Eine Schande ist das! Deinem Vater ein so schlechter Nachfolger zu sein!«

»Eine Schande, Mylady, ist bereits unser Stammbaum«, murmelte Eastwick, wohl in der Annahme, dass die Ohren der alten Dame nicht mehr scharf genug waren. Emma sah entsetzt von einer Partei zur nächsten. Wie fürchterlich, in einen solchen Disput hineingezogen zu werden und darüber hinaus auch noch die Ursache zu sein.

»Zeige gefälligst etwas Respekt!«, beharrte die alte Lady. »Dein Großvater und dein Vater rotieren in ihren Gräbern bei deiner schamlosen …«

»Mylady!«, unterbrach Eastwick harsch, räusperte sich und lenkte zu Emmas Verblüffung ein: »Ich bitte um Vergebung für vermeintliche Respektlosigkeit, Lady Großmutter, dennoch obliegt die Fürsorge für meine Kinder allein mir.«

Emma verfolgte aus dem Augenwinkel, wie Caroline das Gesicht abwandte, ihre Bitterkeit konnte die Countess damit aber nicht verstecken.

»Es sind meine Enkelkinder! Und dein Verhalten deiner Familie gegenüber ist schändlicher als meine verruchte Herkunft. Um es noch einmal deutlich zu machen: Ich habe getanzt! Ich habe auf der Bühne gestanden und mein Publikum mit meinem Gesang und meiner Darbietung verzaubert. Ich habe deinen Großvater nicht wegen seiner Stellung geheiratet oder weil ich meinen Lebensunterhalt nicht allein bestreiten konnte.«

Es klingelte in Emmas Ohren. Tänzerin! Das war tatsächlich ein Skandal. Sie suchte nach Fionas Blick. Die Lady war an Carolines Seite geeilt und schob sie nun zur Couch.

»Wie immer, Mylady, ist eine Diskussion mit Ihnen …«

»Miss Burham bleibt! Ihre Qualifikation sollte den Ausschlag geben und nicht ihr Aussehen! Oder ist es keine Gouvernante, die du suchst?« Die alte Lady stampfte mit ihrem Gehstock auf und reckte den faltigen Hals.

»Natürlich«, murrte der Earl und warf seiner Gattin einen grimmigen Blick zu, »ist die Qualifikation maßgebend.«

»Hervorragend«, behauptete die alte Lady und setzte knapp hinzu: »Außerdem ist Miss Burham schon ein paar Tage hier, und die Kinder mögen sie.« Das war eine Lüge, war Emma den Kindern des Hauses doch noch nicht begegnet, aber sie biss sich auf die Zunge und widersprach nicht. Eastwick stieß den Atem aus, wandte sich brüsk ab und stapfte zur Bar, um sich ein Glas einzuschenken und in einem Zug zu leeren. »Warum bin ich noch gleich zurückgekommen?«

»Offenkundig zog Sie nicht die Sehnsucht her.« Caroline erhob sich. »Entschuldigen Sie mich, Lady Großmutter, ich fühle mich angeschlagen.« Sie sah auch blass und kränklich aus. Emma verkniff sich die Nachfrage, die ihr nicht zustand. Sie war lediglich eine Bedienstete, und da wären persönliche Worte fehl am Platz.

»Herrlich!«, schnarrte Eastwick. Emma rieb sich über die Oberarme. Als Gouvernante war es angebracht, nicht aufzufallen, und ihr schlichtes Tageskleid war damit angenehm verhüllend. Nun jedoch schien die Temperatur im Raum angefeuert worden zu sein, sodass Emma feine Schweißperlen über die Schläfen liefen.

»Es war die persönliche Bitte Ihrer Gattin, die Sie herführte, Eastwick«, sagte Fiona, nachdem sich die Tür hinter der anderen Blondine geschlossen hatte. »Die Hausgesellschaft beginnt am Ende der Woche, und da ist es angebracht, den Gatten im Haus zu haben.«

»Ach ja!« Eastwick füllte sich ein weiteres Glas. »Als Gastgeber bin ich dann doch gut genug.«

Emma war erleichtert, als der Butler endlich das Dinner verkündete, auch wenn dies weitere zwei Stunden gedrückte Stimmung bedeutete. Immerhin bezeugte es, dass der Abend definitiv sein Ende finden würde.

 

Cornwall, Eastwick Park, Mitte Mai 1815

»Miss Burham, wo wollen Sie denn mit den Mädchen hin?«, fragte der Earl of Eastwick und hielt Emma damit zurück. Sie waren soeben die Stufen aus dem Obergeschoss herabgekommen und trugen Stiefel und leichte Pelissen, wodurch ihre Absicht eigentlich ersichtlich sein sollte. Sie knickste, wobei sie die Hände der Mädchen entließ. Die Kleinen liefen auf ihren Vater zu. Zu Emmas Überraschung kniete er sich zu den Kindern und umarmte sie.

Sein Blick kehrte dann zu ihr zurück.

»Mylord«, murmelte sie, sich seiner Musterung und Abscheu nur zu bewusst. »Wir machen einen Ausflug in den Wald. Wir möchten die örtliche Flora und Fauna erkunden. Die Mädchen werden einige Exemplare sammeln und sie anschließend katalogisieren. Lady Marie kann ein Aquarell und Lady Doreen eine Kohlezeichnung erstellen, während wir über die Verbreitung und Charakteristika …«

Wie erwartet unterbrach er sie. »Ja, ja, natürlich.« Er schob die Kinder von sich und tätschelte ihnen die Köpfe, als er sich erhob. Er hatte bisher kein Gespräch gesucht oder sich in anderer Form mit Emma auseinandergesetzt, was ihr durchaus recht war. Die Gerüchte über ihn waren fürchterlich und sie mehr als froh, dass ihre Maskerade so gut wirkte.

»Halten Sie die Mädchen vom Haus fern. Am Nachmittag ist ein Bogenschießen auf der hinteren Wiese vorgesehen.«

»Dürfen wir zusehen?«, fragte Marie begeistert, während Doreen erfreut quietschte. Emma hielt erschrocken den Atem an, bevor sie eilig auf die Knie sank, um mit den Kindern auf Augenhöhe zu sprechen.

»Lady Doreen, Damen quietschen nicht, und Lady Marie, wir wollten uns in Gegenwart Erwachsener stets vornehm und zurückhaltend benehmen.«

Marie senkte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung, Mylord. Ist es uns erlaubt, an den Aktivitäten des Nachmittags teilzunehmen, wenn wir uns im Hintergrund halten und ganz bestimmt keinen Ärger machen?«

Der Earl blinzelte, starrte derweilen auf das kleine Mädchen herab, das ihn ernst mit bittenden Augen ansah. »Ähm«, machte er und runzelte die Stirn.

»Ich verspreche feierlich …«, fuhr Marie gefasst fort und wurde von ihrem Vater unterbrochen.

»Herrje, was haben Sie mit dem Kind gemacht?«

Emma stockte erneut der Atem, besann sich aber schnell wieder. Da sie sich keiner Schuld bewusst war und die Anklage auch haltlos war, erhob sie sich betont langsam und streckte die Schultern. Offenbar schlug der Earl einen geschickteren Weg ein, um seinen Willen durchzusetzen, nachdem ihn seine Großmutter zuvor in die Schranken gewiesen hatte. Er suchte nach Fehlern, nach Schwachpunkten, um ihre Stelle wieder vakant setzen zu können und eine Frau einzustellen, der er sich nähern konnte, wie es wohl mit den vorherigen Gouvernanten passiert war. Emma streckte das Kinn, um ihre Verteidigung hervorzubringen.

»Ich glaube nicht, schon mal eine Bitte aus ihrem Mund gehört zu haben!«

Emma hätte beinahe erleichtert geseufzt. Die Fünfjährige war eine Range und tobte mit Vorliebe kreischend durch das Haus. Ihre Bitten klangen eher nach Befehlen, und Emma hatte in den wenigen Tagen ihrer Anwesenheit schon einige Klagen gehört, dass sie die Dienstboten terrorisierte.

»Nun, Lady Marie hat sich entschieden, eine kleine Lady zu sein und sich ein Vorbild an Lady Eastwick zu nehmen.«

Marie nickte fest. »Dürfen wir bitte auch Bogenschießen?«

Emma schüttelte sacht den Kopf. Sie kannte keine junge Dame, die sich tatsächlich für das Bogenschießen erwärmen konnte, dann jedoch war die Pferdezucht sicherlich auch kein Sujet für Ladys, und Sandrines Schwester war diesem Steckenpferd verfallen. »Vielleicht mag Seine Lordschaft uns gestatten, dass wir in einiger Entfernung ein kleines Picknick veranstalten?« Damit konnten die Mädchen das Bogenschießen aus sicherer Entfernung beobachten und waren den Herrschaften nicht im Weg. »Wäre es ein angemessener Kompromiss?«

»Ich denke …« Lord Eastwick brach ab, schaute auf seine Töchter hinab, die ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen ansahen, und presste die Lippen aufeinander. Er räusperte sich, lockerte sich das Krawattentuch und ließ den Blick schweifen. »Warum nicht, solange niemand im Weg ist.« Wieder verkniff sich sein Mund und er nickte ihr zu, ohne erneut in ihre Richtung zu sehen, bevor er davonmarschierte. Das Leben als Gouvernante hatte sichtlich seine Tücken, mit denen Emma nicht gerechnet hatte. Und bedauerlicherweise gab es niemanden, mit dem sie sich darüber austauschen konnte. Sie vermisste ihre Freundinnen, und alles drängte in ihr danach, ihnen zu schreiben.

Marie klatschte begeistert in die Hände und tanzte dann um Emma herum. »Wir werden Bogenschießen!«, jauchzte sie.

»Marie«, mahnte Emma sanft. »Wir werden ein Picknick veranstalten. Ich bin sehr stolz auf dich.« Sie griff nach den Händen der Mädchen, um ihren zuvor unterbrochenen Weg aufzunehmen. Auf der Freitreppe vor dem Haus richtete sie die Gedanken voraus. Schließlich war sie nun in der Pflicht, die Kinder zu unterhalten und anzuhalten, sich damenhaft zu benehmen, und konnte sich nicht in ihren Gedanken und Wünschen verlieren. »Doreen, meine Liebe, was glaubst du, was wir hier finden werden? Fangen wir einen Fuchs?«

Doreen kicherte und schüttelte den Kopf. »Den werden Vater und die anderen Gentlemen morgen fangen!«

»Tatsächlich? Eine Fuchsjagd, wie aufregend.«

»Gar nicht! Sie töten den armen Fuchs!« Betrübt schob Marie die Unterlippe vor. »Besser wir fangen ihn heute und verstecken ihn, bis diese furchtbaren Kerle fort sind.«

Emma prustete. »Was für eine interessante Idee.«

 

Ein glockenhelles Lachen erscholl und bewirkte einen Schauer, der James Devonport, Earl of Bensworth, über den Leib glitt. Abgelenkt verfehlte er die Stufe und musste sich mit einem Griff nach dem Wagenschlag retten, ansonsten wäre er bäuchlings auf dem Hof gelandet.

Das Gefühl blieb trotz des Schreckens und er drehte sich mit angehaltenem Atem in die Richtung, aus der der süße Laut geklungen war.

»Verzeihung, Mylord, was haben Sie gesagt?«

James hatte keine Ahnung und blinzelte. Die einzigen Personen neben ihm, dem Kutscher und dem Knecht, der ihm den Schlag aufgehalten hatte, waren eine alte Frau und zwei kleine, blonde Mädchen. Die jungen Damen erkannte er mühelos, glichen sie doch seinen Schwestern in jungen Jahren bis aufs Haar, die alte Frau hatte er erst für die Dowager Countess of Eastwick gehalten, da sie ergraut war und sichtlich vornübergebeugt die Stufen vor Eastwick Park herabschritt. Aber die Ähnlichkeit war damit auch schon ausgeschöpft.

»Mylord?«

»Wie meinen?«, murmelte James, mit dem Aufruhr seiner Gefühle beschäftigt, die sich nicht wieder einfangen lassen wollten. Sein Herz raste, sein Magen schlug Purzelbäume und seine Handflächen wurden feucht.

»Die Pferde?«

»Ja. Die Pferde.«

Das Trio entdeckte ihn. Marie starrte in seine Richtung. Er konnte auf die Entfernung nicht in ihrer Miene lesen, aber sie wirkte unsicher, deutete auf ihn und machte damit auch die alte Frau auf ihn aufmerksam. Sie wandte sich ihm zu, und James war sich sicher, dass Engelschöre in seinen Ohren sangen. Er schüttelte eilig den Kopf, um das Sirren zu vertreiben, und fasste sich dadurch.

»Mein Kammerdiener soll sich alsbald einfinden«, befahl er und ließ Kutsche und Bedienstete hinter sich. Ihm fiel erst auf, dass er zu hastig über den Hof lief, als Marie ihre Röcke anhob und auf ihn zustob. Es war zu spät, um die Richtung zu ändern, und letztlich wollte er die Nichten auch begrüßen. Er eilte nicht auf die Unbekannte zu, sondern wünschte sich lediglich eine Umarmung von seinen quirligen Nichten.

Marie warf sich in James’ Arme, und er hob sie auf, um sie einmal im Kreis zu schwingen. Sie jauchzte erfreut auf und bat um eine weitere Runde, als James sie wieder abstellte.

»Erst der andere kleine Spatz!« James schwang auch Doreen herum, dass sie kicherte, und stellte sie dann neben der Schwester wieder ab, die ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen ansah.

»Hast du uns etwas mitgebracht, Onkel?«, fragte Doreen außer Atem, nachdem James beide erneut schwingen gelassen hatte. Er kniete sich zu ihnen und bestätigte die Frage der Nichte.

»Ein Pony?«, mutmaßte Marie, und ihr erhitztes Gesicht strahlte bei der Aussicht.

»Leider passte es nicht in meine Reisetasche.« James schmunzelte und fühlen, wie ihm Hitze in das Gesicht stieg. Er spürte den Blick der Unbekannten und es brannte auch tiefer in ihm. Seine Neugierde, die ihm sicherlich noch zum Verhängnis wurde.

»Ein Pony gehört auch nicht in die Tasche!«, tadelte Marie mit feuersprühenden Augen. Nun glich sie seiner jüngeren Schwester Fiona. Er lachte, was die Unruhe in ihm vertrieb. Besser, beschied er und schaffte es, sich ganz auf die Unterhaltung mit den Kindern einzulassen.

»Leider habe ich nichts dabei, was nicht in die Tasche passt.«

»Hm«, machte Marie und seufzte dann. Sie schaute sich um. »Ich hätte aber gern ein Pony.«

Die Gouvernante räusperte sich leise und trat an seine Seite. Sein Blick flog an ihrem unförmigen Körper entlang hoch zu ihrem Gesicht. Eine riesige Brille verbarg es und ließ sie grotesk wirken, als sie blinzelte. Er starrte zu ihr auf, bemerkte, wie sie knickste und auch den Fehler darin. War sie von Stand?

»Verzeihen Sie, Mylord, die Mädchen haben einen engen Stundenplan, und wir haben für heute einen Ausflug geplant.« Ihre Stimme krabbelte einer Armee Ameisen gleich über seine Haut. Neuerliche Aufregung beschlich ihn. Eine Wachheit, die er in der Ausprägung nicht kannte, die er in Anflügen aber durchaus bereits verspürt hatte. Verwirrt runzelte er die Stirn und sah wieder an ihr herab. Er griff nach seinem Zylinder griff, den er beim Schwingen der Kinder verloren hatte, und aufstand.

Stundenplan. James brauchte einen weiteren Hinweis, bevor er sie einordnen konnte.

»Oh, können wir nicht morgen in den Wald gehen und den Fuchs fangen?«, bat Doreen und griff nach James’ Hand. »Onkel hat doch Geschenke.«

Die Gouvernante. Eine schrecklich alte und schrullige Person, von der er tatsächlich bereits gelesen hatte, und zwar auf dem Weg hierher. Fiona hatte um einen Dienst gebeten, den er aus Zeitknappheit nicht mehr hatte ausführen können.

Die Bedienstete wischte über ihren voluminösen Bauch und schüttelte sacht den Kopf. »Nein, Liebes. Der Unterricht geht vor und du vergisst, dass Lady Marie Lord Eastwick bereits einen Gefallen abgeschwatzt hat. Wir sollten daher unseren Teil erfüllen und unseren Aufgaben nachkommen. Ich bin mir sicher, dass …« Ihr Blick flog zu ihm und sie stockte. Weil sich ihre Blicke trafen? Weil sie empfand wie er …

»Lord …« Sie runzelte die Stirn und er verstand. Sie konnte ihn schlicht nicht zuordnen.

»Bensworth, zu Ihren Diensten.« Er machte die Andeutung einer Verbeugung. Ihre Miene blieb starr.

»Lord Bensworth wird eine lange und anstrengende Reise hinter sich haben und sich zurückzuziehen wünschen. Es wird sich ein besserer Zeitpunkt für die Übergabe von Geschenken finden.« Sie streckte die Hände nach den Mädchen aus, die traurig die Köpfe hängen ließen. »Bitte verabschiedet euch nun.«

Marie stieß ein gequältes Seufzen aus und knickste. Doreen tat es ihr gleich, bevor beide nach den Fingern der Gouvernante griffen.

»Ladys«, murmelte er mit belegter Stimme.

»Oh!« Marie drehte sich augenblicklich wieder zu ihm um. »Leiste uns doch beim Picknick Gesellschaft.« Sie grinste über beide Backen. »Du kannst die Geschenke mitbringen und wir können noch einmal über Ponys sprechen.«

James unterdrückte ein Lachen. Sie war ihrer Tante zu ähnlich, die auch keine Probleme damit hatte, unverschämte Forderungen zu stellen. Er verbeugte sich vor der Nichte. »Es wäre mir ein Vergnügen.«

»Fein. Nach dem Bogenschießen auf der Wiese.« Marie knickste erneut und wandte sich dann ab, um loszugehen.

James fing den erschrockenen Blick der Gouvernante ein, bevor sie von den Kindern mitgezogen wurde. Offenbar war es ihr nicht recht, dass er Zeit mit den Kindern verbrachte. Nun, es war sicherlich auch ungewöhnlich, dass sich die gehobene Gesellschaft mit ihren Nachkommen abgab, allerdings war er es nicht anders gewohnt. Seine Mutter hatte sich nicht nehmen lassen, in der Kinderstube zu verweilen, und auch seine Tante hatte Zeit mit ihm und seinen Geschwistern verbracht, bis sie von ihnen gegangen war. Er mochte die Mädchen, auch wenn sie ihn beständig daran erinnerten, dass es für ihn selbst Zeit war, eine Familie zu gründen. Ein heikles Thema, das er schnell von sich schob. Allerdings begrüßte es ihn gleich erneut, als er nach dem Umkleiden zu seinen Schwestern stieß.

»Bensworth.« Caroline erhob sich und trat auf ihn zu. Neben ihr und Fiona waren noch einige Damen anwesend, weshalb ihn die Nutzung seines Titels nicht wunderte. Trotz des gezeigten Abstandes drückte sie ihm Küsse auf die Wangen. »Wie schön, dass du es einrichten konntest.«

»Ich hoffte, Cedric abfangen zu können, bevor er seine Apanage in London auf den Kopf haut.« Er sagte es leise, aber natürlich war immer damit zu rechnen, dass dergleichen von weiblichen Ohren aufgenommen und weitergetratscht wurde. Ein Grund, warum Caroline eilig ablenkte.