Tränen des Herzens - Katherine Collins - E-Book

Tränen des Herzens E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

England, Ende des 18. Jahrhunderts: Lady Marie Windermere feiert ihr Debüt in der Londoner Gesellschaft. Was niemand weiß: Ihr Vater kann sich weder ihre Aussteuer noch die Saison leisten. Verzweifelt sucht die temperamentvolle Schönheit deshalb nach einem geeigneten Gatten. Unterstützt wird sie bei ihrer Suche von dem attraktiven Draufgänger Lord Argyll, einem Freund der Familie. Doch Argyll ist bekannt für sein liederliches Verhalten und seine Affären. Und tatsächlich geraten die beiden schon bald in eine heikle Situation. Plötzlich scheint eine Hochzeit mit Argyll der einzige Weg zu sein, um Maries Ehre zu retten. Die junge Frau ist am Boden zerstört. Wie soll sie mit einem solchen Mann jemals glücklich werden? Zu spät erkennt sie, dass Argylls Gefühle für sie vielleicht doch aufrichtig sind … Von Katherine Collins sind bei Forever in der Regency-Reihe erschienen: Melodie der Hoffnung Tränen des Herzens Verliebt wider Willen

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Die AutorinKatherine Collins, Jahrgang 1980, ist in Castrop-Rauxel geboren und teilweise dort, im Kreis Unna und Dortmund aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihren zwei kleinen Töchtern in einem kleinen Dörfchen in Mitten des Vest. Als passionierte Leseratte, die sich im Laufe der Zeit durch jeden Bereich der Belletristik fraß, kam sie schon in ihrer Jugend zum Schreiben. Erst nach langer Testphase durch Leseproben auf Internetforen, stellte sie 2013 beim Latos-Verlag ihr Erstlingswerk Verzeih mir, mein Herz! vor. Obwohl neben ihrem Laborantenjob und den Kindern wenig Zeit bleibt, wächst ihr Repertoire beständig. Derzeit befinden sich diverse abgeschlossene Werke in der Überarbeitung und mindestens ebenso viele warten auf ihr Ende.

Das BuchEngland, Ende des 18. Jahrhunderts: Lady Marie Windermere feiert ihr Debüt in der Londoner Gesellschaft. Was niemand weiß: Ihr Vater kann sich weder ihre Aussteuer noch die Saison leisten. Verzweifelt sucht die temperamentvolle Schönheit deshalb nach einem geeigneten Gatten. Unterstützt wird sie bei ihrer Suche von dem attraktiven Draufgänger Lord Argyll, einem Freund der Familie. Doch Argyll ist bekannt für sein liederliches Verhalten und seine Affären. Und tatsächlich geraten die beiden schon bald in eine heikle Situation. Plötzlich scheint eine Hochzeit mit Argyll der einzige Weg zu sein, um Maries Ehre zu retten. Die junge Frau ist am Boden zerstört. Wie soll sie mit einem solchen Mann jemals glücklich werden? Zu spät erkennt sie, dass Argylls Gefühle für sie vielleicht doch aufrichtig sind …

Katherine Collins

Tränen des Herzens

Historischer Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.  Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin März 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat/ Sibylle Ostermann  ISBN 978-3-95818-076-5  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Kapitel 1

Ein unmöglicher Gentleman

London, Westbrook House, 1800

Thomas Boyle, Viscount of Argyll, betrat den Salon im Hause seines Freundes Nathan Mannings, 8. Duke of Kent, Marquess of Westbrook und Träger weiterer erlauchter Titel. Wie erwartet, traf er dort auf die Dame des Hauses. »Ah, Bell, wie grausam mir bei jedem Besuch vor Augen geführt wird, was mir verwehrt bleibt.« Er seufzte theatralisch und ignorierte den sauren Blick des Dukes of Kent.

»Nicht komisch, Thomas!«, grollte der und löste sich von seiner Gattin, die Thomas mit einem Kopfschütteln rügte.

»Wie recht du hast, Nathan!«, klagte er dennoch mit einem Zwinkern. »Und doch ist sie dein Weib, die süße Bell, und ich vegetiere dahin!«

»Tee, Thomas, oder möchtest du dein Ableben beschleunigen, indem du die Nahrungsaufnahme verweigerst?«, mokierte sich Annabell Mannings, Duchess of Kent, und nahm die Kanne auf. »Sei doch so gut und rufe, wie auch immer du dich entscheiden magst, dennoch nach dem Mädchen.«

»Du solltest ihn nicht auch noch bestärken«, murrte Nathan und setzte sich widerwillig etwas von seiner Gattin weg, die er zuvor umarmt hatte.

»Tee! Dir erweise ich jeden Dienst, meine Holde!« Thomas zog an der Kordel, um eine Bedienstete herbeizurufen, und ignorierte auch weiterhin den Hausherrn. Da der Duke noch immer nahe bei Annabell saß und es nicht möglich war, sich dazwischenzuklemmen, setzte sich Thomas der Duchess gegenüber. »Was verschafft mir das Glück deiner Anwesenheit in der Stadt, Bell?«

Die Duchess seufzte tief auf, war die Frage doch durchaus berechtigt. Ihre Zeit verbrachte sie am liebsten auf ihrem kleinsten Landgut Woolhead im engsten Kreise der Familie. »Marie.«

Thomas stutzte. Lady Marie Windermere war ihm durchaus ein Begriff, allerdings nicht im Zusammenhang mit London.

»Sie debütierte in dieser Saison«, erklärte Nathan grummelnd, »Windermere kann sich aber weder Aussteuer noch besagte Saison leisten.«

»Nathan!« Annabell funkelte ihren Gatten an, der entschuldigend die Schultern zuckte.

»Wie indiskret, Nathan«, tadelte Thomas grinsend. »Wenn das an die falschen Ohren gerät!« Was durchaus ein Desaster für die junge Dame bedeuten konnte. Nämlich dann, wenn Lady Marie die feine Gesellschaft nicht im Sturm eroberte. Allerdings stand dies für Thomas außer Frage. Die Dame war eine Schönheit, wie jedes weibliche Mitglied ihrer Familie.

Nathan räusperte sich unangenehm berührt. »Es ist ja nicht so, dass dir die Fakten unbekannt wären.«

»Wer hat das Vergnügen, Lady Marie ...« Er verzog spöttisch die Lippen, weil ihm Maries Feuer sprühende Saphire vor Augen standen. »... auf ihrem Debüt beizustehen? Deine reizende Schwägerin, Ihre Gnaden, Madeleine of Kent? Sie kann die Übung sicherlich brauchen, schließlich kommen ihre Töchter ja auch bald in die Zwangslage.«

Annabell zog die Brauen zusammen. »Zwangslage? Sowohl Victoria wie auch Elizabeth sind finanziell abgesichert. Nathan kümmert sich ...«

Thomas hob die Hände: »Gnade, Bell. Die Zwangslage ist jene, einen geeigneten Gatten zu finden. Wenn man sich unbeteiligt umschaut ... Ich werde meine kleine Amelie wohl eigenständig beschützen müssen, oder wird sie von Suffolk in der Selbstverteidigung geschult wie du seinerzeit?« Es war als Scherz gemeint. Ausgesprochen klangen seine Worte jedoch ernsthaft beunruhigend. Amelie war die ältere Tochter des Dukes und seiner Duchess, und Thomas’ Patentochter. Er müsste sich tatsächlich während ihrer Saison aufmerksam umschauen, nicht, dass seine kleine Amelie an einen Mann wie ihn geriet. Oder gar wie den Duke. Ein ruchloser Verführer, Frauenheld ohne Drang zur Eheschließung. Es schauderte ihn bei der Aussicht.

»Ich werde meine Töchter schon im Auge behalten!«, echauffierte sich der Duke, wobei er die Stirn runzelte. Womöglich die Erkenntnis, die auch ihm gewahr werden ließ, welch Ungemach auf ihn wartete?

»Hm«, murmelte Annabell, im Gedanken bei ihrem Halbbruder, dem Viscount of Suffolk. »Vielleicht kein schlechter Hinweis. Marcus’ Tricks waren recht zweckdienlich.«

Der Duke grunzte. »Schmerzlich würde ich sie bezeichnen.«

»Nun, das sollen sie auch sein, schließlich sind sie dafür gedacht, die Tugend zu bewahren!«, murrte Annabell und sah erleichtert auf, als an der Tür geklopft wurde. Das Dienstmädchen erschien und trug eine Kanne und mehrere Tassen bei sich. »Ah, Libby, wie schön, dass du den Tee gleich mitbringst. Sag, hat Mrs Dean noch ein paar Maronen da?« Die Duchess nahm die Kanne entgegen und goss das Getränk ein.

»Ja, Euer Gnaden. Ich bringe Ihnen sogleich eine Auswahl Kekse.« Das Mädchen knickste und wartete auf die Entlassung, die Annabell mit einem freundlichen Lächeln und einem Nicken gab.

»Meine Maronen, Annabell?«, murrte Nathan und erntete einen verärgerten Blick der Lady und einen Heiterkeitsausbruch von Thomas.

»Ich liebe Maronen«, bemerkte er lachend. Nathan presste die Lippen aufeinander, aber er brauchte auch nichts sagen. Der Duke hatte dieselbe Vorliebe. »Aber ich würde durchaus tauschen.«

»Sie ist mein Weib, gewöhne dich daran, es wird sich nicht wieder ändern!« Nathan rückte wieder näher an besagte Lady heran und griff nach ihrer Hand. »Wir haben drei Kinder, und ein viertes lässt sicherlich nicht mehr lange auf sich warten.«

»Nathan!«, tadelte Annabell errötend und entzog ihm die Finger wieder. »Herrje, das ist nun wirklich nichts ...« Sie reichte Thomas eine Tasse, ohne ihn anzusehen, weil sie noch immer dabei war, stumm mit ihrem Gatten zu kommunizieren.

»Verzeih, Liebling, natürlich sollte ich nicht davon sprechen.«

Thomas nahm den Tee an. »Noch ein Kind?«, seufzte er und schüttelte den Kopf. »Bell, tu mir das nicht an!«

»Nicht in diesem Jahr«, versprach die Duchess. »Ich werde zu beschäftigt sein, Marie von Unsinn abzuhalten.« Einen Moment wurde sie von ihren Befürchtungen überrollt. Ihre Augen weiteten und ihr Mund öffnete sich, um einem schnellen Atemzug Raum zu geben.

»Du? Dann werde ich mich bei Marie wohl bedanken müssen.« Thomas grinste seinen Freund an.

»Du kannst es ihr anders danken«, bemerkte Annabell und runzelte die Stirn, während sie ihn musterte. Thomas verkniff sich ein Stöhnen.

»Ich wäre ein lausiger Gatte«, warnte er. »Sicherlich eine Enttäuschung für eine fordernde Lady wie diese.«

Nathan schnaubte. »Wie gut, dass Suffolk noch zur Vernunft kam und Annabell nicht zwang, dich zu nehmen!« Der Duke legte den Arm um die Gattin und zog sie an sich.

»Au contrair, mein Guter. Annabell wäre meine Rettung gewesen.«

»Thomas, das ist Unsinn«, mahnte die Duchess und beugte sich vor, um dem Hausfreund eine Hand auf den Arm zu legen. »Glaube mir, die Richtige wartet nur darauf, dass du über sie stolperst.« Ihre Augen lagen beteuernd auf ihm, und Thomas verkniff sich ein Seufzen. Er war es leid zu suchen. Zugegebenerweise war er noch nicht lange auf der Suche. Erst als er sich eingestehen musste, Annabell nicht für sich gewinnen zu können, hatte er recht lustlos begonnen. Aber die jungen Dinger, die sich auf Bällen tummelten, um einen Junggesellen einzufangen, waren ihm verhasst. Und deren Mütter erst! Er gehörte nicht unbedingt zu den besten Partien, die England zu bieten hatte, war aber auch bei weitem nicht die schrecklichste. Moralisch gesehen. Seine Vermögenswerte machten ihn interessant, aber seine Herkunft gab ihm etwas Luft. Schotten waren nicht die begehrtesten Ehekandidaten. Er wurde nicht annähernd so belagert von den hochwohlgeborenen Müttern, wie es andere Junggesellen waren. »Hoffentlich breche ich mir dabei nicht den Hals, Bell.«

»Das übernehme ich gerne für dich«, knurrte der Duke, und Annabell verdrehte die Augen. »Ich wollte dich lediglich bitten, hin und wieder mit Marie zu tanzen.«

Tanzen? Thomas schalt sich einen Narren. In den Jahren seit der letzten Eheschließung des Paars vor ihm hatte Annabell nicht einmal angedeutet, er möge sich verehelichen. Sie hatte ihm niemanden mit diesem Ansinnen vorgestellt. Nie eine diesbezügliche Frage gestellt oder über die Eigenschaft eines der Mädchen schwadroniert. Anders als der Duke, der ihm fast täglich dazu aufrief zu heiraten. »Selbstverständlich, Bell.« Maries erboste Miene tauchte vor seinem inneren Auge auf. Das Mädchen war herrlich leicht zu ärgern. Vielleicht versprach die kommende Saison abwechslungsreichen Trubel.

»Tanzen!«, warnte Nathan dunkel. »Glaube nicht, dass ...«

Thomas hob die Hände, durchaus indigniert. »Selbstverständlich! Marie würde mich wohl mit ihrem Fächer verprügeln, sollte ich ihr auch nur unbeabsichtigt zu nahe kommen!« Das war seine aufrichtige Befürchtung und kein Spaß. Das Mädchen hatte mit eben jenem Accessoire nach ihm geschlagen, als er auf der Hochzeitsfeier des Dukes und seiner Duchess sein Bedauern ausdrückte, keinen Widerspruch eingelegt zu haben.

»Sie ist impulsiv«, druckste Annabell mit einem Seitenblick zu ihrem Gatten herum, der bei der Bezeichnung schnaubte.

»Bevor wir sie unter die Haube bekommen, wird sie uns allen wohl mit ihrer scharfen Zunge den Verstand geraubt haben! Es ist zu früh!«

Annabell seufzte unglücklich. »Sie wird achtzehn! Und Windermere ...« Ihre Stimme zitterte bei der Nennung ihres Onkels und presste kurz die Lippen aufeinander. Eine Geste, deren sich ihr Gatte ebenfalls bediente, wobei seine schiefergrauen Augen aufblitzten. »Sie könnte zunächst in Bath ...«, wandte der widerstrebend ein, »Suffolk bedarf der Übung, bevor seine Mädchen ins richtige Alter kommen.«

Annabell knuffte ihm in die Seite. »Nathan!«

Thomas grinste und schüttelte den Kopf. Diesen einen positiven Effekt hatte sein Verlust durchaus, er musste sich nicht mit Annabells Halbgeschwistern auseinandersetzen, dem Lord und der Lady Suffolk. »Vorsicht, alter Freund. Schlechtes fällt gerne auf einen selbst zurück. Denk an Amelie.«

»Keine Sorge, ich werde mein kleines Mädchen sicherlich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen, wenn es so weit ist.« Nathan warnte ihn wortlos, das Thema fallen zu lassen.

Thomas zuckte die Schultern. »Demnach bleibt Suffolk nebst Gattin in Bath? Und Ihre Gnaden? Was ist mit Maries anderen Schwestern?« Natürlich war es ein guter Schachzug, das Mädchen von der Duchess of Kent vorstellen zu lassen. Ihr Einflussbereich war sicherlich größer als jener der Lady Randall. Dennoch war es merkwürdig, wenn neben den Eltern auch die Geschwister keinen Anteil an Maries Debüt hatten. Er runzelte die Stirn. Es konnte durchaus so ausgelegt werden, dass ihre Familie sich von ihr abwendete, und dies führte zu Spekulationen. Marie würde es vermutlich schwer haben. Trotz ihrer Schönheit und ihres Esprits.

»Madeleine gesellt sich zu uns«, erklärte Annabell mit einem erleichterten Lächeln. »Sie kommt in zwei Wochen nach, also bevor es richtig losgeht. »Ihre Tochter war erkrankt, und zum Einkaufen brauche ich sie nicht unbedingt. Larissa wird auch nach London kommen, Ninette treffen wir dann auf Lady Frances Hausgesellschaft in zwei Monaten.«

Thomas stutzte. »Lady Lynnwood? Ich wurde nicht eingeladen!«

Annabell lachte glockenhell auf. »Was möchtest du denn auf dem Land?«

Eine durchaus berechtigte Frage, verbrachte er sein Jahr doch hauptsächlich in London. »Hausgesellschaften auf Belvedere sind en vogue, Bell! Wer nicht eingeladen wird, ist mit einem Makel behaftet. Es wäre die dritte, zu der man mich nicht einlud!« Thomas machte ein entsetztes Gesicht, obwohl er den Ausschluss durchaus gelassen nahm. Ihm fehlten deutlich Attribute, die Lady Lynnwood schätzte. Er war nicht verheiratet, führte keinen tadellosen Lebenswandel und stand auch nicht im freundschaftlichen Kontakt zum dazugehörigen Marquess.

Annabell schnaubte. »Wenn dir daran so gelegen ist ...«

»Du machst es nur noch schlimmer«, winkte Thomas ab. »Ich frage mich allerdings, warum er eingeladen ist!« Damit deutete er auf den Duke, der fast seinen Tee wieder ausspie. Soweit Thomas wusste, glänzte Nathan gerade mal mit seinem Familienstatus und vielleicht, weil er, seit der erneuten Eheschließung zumindest, skandalfrei war. Es klopfte, und das Hausmädchen trat ein. Annabell bedankte sich und reichte den Teller weiter, bevor Nathan danach haschen konnte.

Thomas nahm ihn dankend entgegen und stellte ihn neben sich ab. Zu weit entfernt, als dass der Duke zugreifen könnte.

»Lynnwood schätzt mich«, knurrte Nathan, wobei er auf die Frau an seiner Seite herabsah. Die lächelte verliebt zu ihm auf, und aus dem leichten Groll des Dukes wurde sanfte Zufriedenheit. Er beugte sich vor. Thomas räusperte sich, war ihm doch nicht daran gelegen, die Vertrautheiten der Freunde zu beobachten. »Wann erwartest du deine Cousine?«, wandte er sich an Annabell, die sich an ihren Gatten lehnte.

»Sie ist schon da.« Sie zuckte die Schultern. »Sie echauffiert sich darüber, dass Madeleine in Graystoke blieb und Ninette ...«

Thomas unterdrückte ein Lachen. Marie und ihr überschäumendes Temperament. »Es wundert mich, dass du Amelie, Natalia und Lennart auf dem Land gelassen hast.«

Annabell errötete und warf ihrem Gatten einen verschämten Blick zu.

»Hat sie nicht«, grummelte Nathan. »Wir haben die Kinder mitgebracht.«

Thomas kannte Nathan viel zu gut, um sich narren zu lassen. Es war Annabells Wunsch gewesen, und der Duke hatte sie, trotz andersgearteter Auffassung, gewähren lassen. Munition, die Thomas zu gern verwendete, um den Freund auf die Palme zu bringen. Dieses Mal jedoch ungenutzt ließ. »Dann sollte ich den Ladys wohl meine Referenz erweisen.« Er nippte an seinem Tee. Annabell hob fragend eine Braue.

»Nur zu«, frohlockte Nathan mit einem breiten Grinsen.

Thomas roch eine Falle meilenweit gegen den Wind, weshalb er gewarnt schmunzelte. Er konnte sich denken, dass Nathan davon ausging, dass er sich mit einem Baby im Arm blamieren würde. Nathan und er sprachen nicht über Thomas’ Besuche bei seinen Schwestern. Es kam lediglich zur Sprache, dass er eine Weile nicht in England wäre beziehungsweise nicht in London. Wie eng Thomas mit seinen Schwestern, Nichten und Neffen verbunden war, konnte Nathan nicht ahnen. Thomas versagte sich ein verräterisches Grinsen.

»Du möchtest ins Kinderzimmer?« Annabell klang so irritiert, wie sie dreinsah.

»Aber ja. Wer weiß, wenn Amelie nach Bell kommt, warte ich vielleicht noch sechzehn Jahre mit meiner Verehelichung.« Er zuckte die Schulter und zwinkerte der Freundin zu, die mit einem Schmollmund den Kopf schüttelte.

»Himmel hilf, ja nicht!«, ächzte Nathan reichlich verstört und wendete sich an die Gattin: »Wie macht sich Lynn? Irgendwelche ... Auffälligkeiten?«

»Ich mag mich irren, aber ist Lynn nicht ebenfalls noch in den Windeln?«, lachte Thomas und schüttelte den Kopf.

»Hör nicht auf ihn, Thomas«, bat Annabell und stand auf. »Wenn du tatsächlich ins Kinderzimmer gehen möchtest, begleite ich dich.«

»Oh, ich auch!«, murmelte Nathan und rieb sich die Hände. Er war gleichsam mit der Gattin aufgestanden und schnappte sich ihre Hand, um sie auf seiner Ellenbeuge abzulegen. Thomas folgte ihnen durch das Haus. Im zweiten Stock öffnete der Hausherr die Tür zu einem Schlafzimmer und wartete dann auf ihn, um ihn mit einem Grinsen vorzulassen.

»Marie!« Annabell trat auf die Cousine zu, die ein kleines Wesen in die Luft hielt und sich mit ihm drehte, dass es nur so jauchzte.

Thomas verharrte überrascht. Er hatte das Mädchen vielleicht ein Jahr lang nicht gesehen, seit der Taufe des Kindes in ihrem Arm, und er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich verändert haben könnte. Er runzelte die Stirn. Verändert war nicht das richtige Wort. Sie war vielleicht noch etwas gewachsen. Trug ihr wallendes sonnenblondes Haar zu einer aufwendigen Hochsteckfrisur und schlichtem Schmuck. Ohrhänger in Form von Schmetterlingen und eine dazu passende Halskette. Ihr Kleid war dabei wohl das Auffälligste. Es schmiegte sich eng an ihren Oberkörper, um dann in bodenlangen Röcken herabzufließen. Modisch und für ein Mädchen im heiratsfähigen Alter passend. Dabei harmonierte es farblich vortrefflich mit ihren Augen.

»Annie«, grüßte sie mit einem halben Lächeln, das verschwand, als sie vor Nathan knickste. »Euer Gnaden.« Sie setzte das Baby auf ihre Hüfte, wobei sie sich zur Seite schob. Ihr Blick glitt weiter und blieb an Thomas hängen. »Lord Argyll.« Ihre Stirn runzelte sich. »Ich wage nicht zu fragen, was Sie hier zu suchen haben.« Ruppigkeit war er von ihr gewohnt, und so überwand Thomas seine Überraschung schnell wieder. Er setzte das verführerische Grinsen auf, das ihm fast zur zweiten Natur geworden war, und zwinkerte der Debütantin zu. Letztendlich war sie eine Frau wie jede andere. Und er mochte es, wenn sie ihm zu Füßen lagen bei so wenig Mühe wie einem Lächeln und wohlgesetzten Worten. »Lady Marie, welch hübschen Anblick Sie bieten!«

Marie riss die Augen auf und sah an sich herab, um sich ihrer tadellosen Aufmachung zu versichern. Ihre freie Hand flog an ihr Dekolleté. Thomas folgte der Geste eher unbeabsichtigt und seufzte leise. Sie war tatsächlich tadellos gekleidet. Ihr Vormittagskleid bestach zwar mit einem Ausschnitt, leider war dieser aber mit einem Fichu bedeckt, so dass lediglich eine Idee von den darunterliegenden Schätzen blieb. Ihr Blick hob sich, wobei sie die Augen verengte. Thomas seufzte erneut und nahm es gelassen. Da Angriff die beste Verteidigung war, trat er auf sie zu und schnappte sich zunächst ihre Hand zum flüchtigen Kuss, bevor er ihr das Kind stahl.

»Zu freundlich ...«, zischte sie und keuchte erschrocken auf, da Thomas sie berührte, als er Marie Amelie abnahm. »Was …?«

Thomas knuddelte das Baby, das kaum weniger vergnügt jauchzte als zuvor in den Armen des Mädchens. »Mylady ist tatsächlich eine hinreißende Schönheit!« Er küsste die kleine Nase und ließ sich mit den kleinen Patschehändchen betatschen. Amelie kicherte begeistert. »Da!«

»Nicht so förmlich, Liebes, versuch es mit Thomas.«

Marie schnaubte abfällig und verengte ihre Saphire zu kleinen Schlitzen. »Sie können Ihre Bemühungen einstellen, Lord Argyll. Amelie wird zu klug sein, um auf Sie hereinzufallen!«

»Da!«, bestätigte das Baby zufrieden und umarmte ihn.

»Au contrair, Madame. Sie liebt mich.« Thomas drehte sich zu Nathan um, der ihn verblüfft anstarrte. »Herzallerliebst, die Lady.«

»Was hast du mir verschwiegen, Thomas?«, erkundigte sich Annabell und trat dabei näher zu ihm, um ihrer Tochter über das rabenschwarze Haar zu streicheln.

»Hättest du mir mal eine Chance gegeben«, hielt er ihr vor. Er sah auf das Baby herab und seufzte. »Ganz der Vater. Das arme Kind.«

»Was soll das denn wieder heißen?«, murrte Nathan und nahm ihm das Kind ab. »Da-da!«, krähte die Kleine und lachte verzückt, während sie sich an ihn schmiegte. »Sie ist mein kleines Mädchen. Und sie ist eine Schönheit!« Er drückte dem Baby einen Kuss auf. »Du wirst schon sehen, jeder wird ihr zu Füßen liegen! Sie werden müssen!«

Marie schnaubte: »Wie hältst du es mit ihm nur aus? Seiner Gnaden Überheblichkeit ist kaum zu ertragen.« Sie schüttelte den Kopf. »Herrje, sie ist ein Baby! Es ist fraglich, inwiefern sie in der Lage sein wird, irgendjemanden zu begeistern!« Sie schüttelte noch immer den Kopf. »Aber natürlich wird sie begehrt sein, weil sie Seiner Gnaden Tochter ist!« Sie unterbrach sich seufzend. »Arme kleine Amelie.« Sie betrachtete das Baby mitleidig. »Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Euer Gnaden, Mylord.« Marie warf ihm noch einen undeutbaren Blick zu, knickste und rauschte los.

»Lady Marie, im Theater zeigen sie heute Abend eine Adaption von Goldsmiths Der Pfarrer von Wakefield. Eingedenk Ihres Interesses an empfindsamen Geschichten möchten Sie mich vielleicht begleiten?« Thomas wusste nicht genau, was er damit bezweckte, aber der Vorschlag hatte seinen Reiz. Unergründlicherweise.

Die Lady drehte sich überrascht wieder um.

»Willst du sie gleich ruinieren?«, knirschte Nathan, durchaus indigniert über Maries Worte, was seine verbissene Miene bezeugte. Er übergab das Baby der Mutter.

»Nathan«, mahnte Annabell. »Ich könnte sie begleiten.«

Thomas behielt das Mädchen im Auge. Auf ihrer Stirn stand ein Runzeln. Hatte er sie geködert? Würde sie ihre Abneigung zugunsten eines Theaterbesuches zur Seite schieben? Sie mochte das Theater, Liebesgeschichten und Romantik. Ihn jedoch nicht. Nun, er war in guter Gesellschaft. Ihren angeheirateten Cousin, den Duke, mochte sie noch weniger. Er hob eine Braue, als sie die Lippen zusammenpresste. Hatte sie ihn durchschaut?

»Annabell, Seine Gnaden besitzt sicherlich auch eine Loge, nicht wahr?«

Der Weg also. Sie versuchte den Theaterbesuch zu bekommen, ohne dabei seiner Gesellschaft ausgesetzt zu sein. Dumm nur, dass sie die erhalten würde, was auch immer nun beschlossen wurde. Er würde sicherlich nicht einsam in seiner Loge sitzen, wenn die hinreißende Annabell wenige Räume entfernt saß. Mit oder ohne Begleitung.

»Natürlich«, bestätigte die Duchess und sah rätselhaft von der Cousine zu ihm. »Wenn du ins Theater möchtest, Marie, werden wir Thomas begleiten.«

»Fein«, murrte Marie deutlich missgestimmt. »Dann freue ich mich bereits auf den angenehmen Abend. Mylord.« Sie senkte anmutig ihr Haupt und strebte mit starren Schultern hinaus.

»Sie mag dich nicht«, stellte Nathan zufrieden fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Begeisterung schwand jedoch und machte Nachdenklichkeit Platz. »Annabell, wir könnten vor einem nicht geringen Problem stehen.«

Annabell seufzte. »Man kann es ihr kaum zum Vorwurf machen.«

Thomas stutzte. Natürlich besaß er nicht gerade das beste Renommee, aber im Grunde war er ein verträglicher Geselle. Ein angenehmer Gesprächspartner, herausragender Tanzpartner und gefragter Liebhaber. Nun, bis vor wenigen Jahren zumindest. Allerdings war dies ohnehin nebensächlich, schließlich plante er nicht, die Lady zu verführen. Annabell wäre sicherlich sehr enttäuscht, sollte er dies versuchen. Und gelingen würde es vermutlich auch nicht.

»Sie kann mich auch nicht leiden. Was sollen wir tun, wenn sie niemanden leiden kann?«

»Sie mag Marcus. Und ihre Schwager Randell und Rochefort«, verteidigte Annabell die Cousine.

»Albert mochte sie auch nicht«, fügte Nathan seinen verstorbenen Bruder an.

Annabell presste die Lippen aufeinander. »Sie war zu jung, um seinen Entschluss zu verstehen. Sie hätte ihn sicherlich noch schätzen gelernt.«

»Ich unterbreche ungern einen Streit zwischen euch, aber letztlich bleibt nur, das Beste zu hoffen.« Thomas zuckte die Schultern. »Sicherlich weiß Marie, dass sie nur die Wahl hat, einen Gatten zu finden oder zukünftig auch weiterhin der Weisung ihres Vaters zu unterstehen. Und soweit ich es beurteilen kann, kann sie Windermere am allerwenigsten leiden.

»Kein Wunder«, murmelte Nathan mit einem bitteren Seitenblick auf seine Gattin. Annabell war erblichen und murmelte: »Oh mein Gott! Sie wird ...«

»Eine Entscheidung treffen«, beruhigte Thomas die Duchess, wobei er ihre Hand aufnahm, um sie versichernd zu drücken. »Es muss doch jemanden geben, der ihr Herz erweicht.«

Marie setzte sich auf den ihr zugewiesenen Platz und ignorierte ihre Begleitung. Sie hatte den Regen der Traufe vorgezogen, sprich: sich von dem vermaledeiten Viscount Argyll ins Theater begleiten lassen. Annabell nahm neben ihr Platz und sah verliebt zu ihrem Gatten auf. Marie rollte entnervt mit den Augen. Es war ihr unverständlich, was ihre sanfte, zarte Cousine dazu bewogen hatte, diesen Mann zu heiraten. Der Duke war ein unsensibler Mistkerl. Ein egoistischer Frauenheld und Annabells nicht wert. Argyll war nur hauchdünn vorziehbar. Obwohl der nicht einmal Respekt vor Frauen hatte und tatsächlich glaubte, jede mit seinem Charme einlullen zu können. Dummer, eitler Narr! Sie presste die Lippen aufeinander und hob das Kinn.

»Darf ich Ihnen das Programm reichen, Mylady?« Argyll lehnte sich zu ihr vor und grinste unverschämt, wobei sich ein Grübchen in seine rechte Wange bohrte.

Marie biss die Zähne fest aufeinander. Ihre Hände ballten sich zusammen, und sie hatte Mühe, ihre scharfen Worte zurückzuhalten, die ihr urplötzlich auf der Zunge lagen. Leider hatte sie Benehmen versprechen müssen. Also blitzte sie ihn an, was er nicht einmal bemerkte. »Danke, Mylord, wie zuvorkommend von Ihnen.« Die Worte blieben ihr förmlich im Hals stecken. Argylls Grinsen gewann an Tiefe, ebenso wie ihr Drang, ihm den Kopf zu waschen.

»Es ist mir ein Vergnügen«, murmelte er mit einem Blick, der ihr eine Gänsehaut bereitete. Trotz ihres Versprechens wendete sie ihm brüsk den Rücken zu. Vielleicht war Argyll doch der Schlimmere von beiden. Zumindest spottete der Duke nicht fortwährend. Und er drängte ihr seine Gesellschaft auch nicht auf. Kent sah sie auch nicht an, als säße sie entblößt vor ihm. Sie runzelte die Stirn und warf dem Gegenstand ihrer Mutmaßungen einen Blick zu. Auch die Schwestern nicht oder die Cousinen. Eigentlich hatte sie noch nie beobachtet, dass er einer anderen Frau mehr als die notwendigste Aufmerksamkeit schenkte. Zumindest nicht, seit er Annabell erneut zur Frau genommen hatte.

»Obacht, Madame«, raunte es verboten nahe an ihrem Ohr. »Der Herr ist bereits vergeben.«

Marie riss die Augen auf und fuhr zu ihm herum. »Was …?«

»Ein Blick sagt manchmal mehr als tausend Worte, Marie.«

Ihr fehlte die Sprache, um ihn umgehend zu schelten. Das war schlicht unsinnig! Der Duke war der letzte Mann, für den sie jemals Gefühle entwickeln würde. Argyll betrachtete sie mitleidig. »Wenn es Sie tröstet, es wird irgendwann leichter zu ertragen sein.«

»Das ist vollkommen ...«

»Ah, es fängt an.« Annabell griff nach ihrer Hand. »Bist du sicher, dass du auf ein Lorgnon verzichten möchtest?«

Aus dem Konzept gebracht blinzelte Marie lediglich.

»Die Lady sieht, was sie zu sehen wünscht, sicherlich glasklar auch ohne Sichthilfe«, bemerkte Argyll mit einem Lachen in der Stimme. »Und sollte sie dem Geschehen tiefere Beachtung schenken wollen, bin ich bereit, ihr mein Sichtgerät zu überlassen.«

Marie riss empört die Augen auf. Die Cousine zuckte die Schultern und wandte sich der Bühne zu.

»Sie sind«, zischte sie zitternd vor Wut, hatte er doch impliziert, dass sie lieber den Duke anschmachtete, als dem Stück zu folgen.

»... ganz für Sie da, sollten Sie reden wollen. Ich verspreche Ihnen, ich weiß Geschichten zu erzählen, die jegliches romantische Gefühl ersticken werden.« Er zwinkerte ihr zu und lehnte sich wieder zurück. Marie klappte den Mund zu. Sich umzudrehen erforderte ungeheure Willenskraft, und die folgende Dreiviertelstunde zog sich schmerzlich in die Länge. Das Schlimmste daran war jedoch, dass Marie sich nicht auf das Spiel einlassen konnte. Zur Pause wusste sie nicht einmal zu sagen, welche Kapitel noch folgten.

»Annabell möchtest du mich hinunterbegleiten, oder soll ich dir und deiner reizenden Cousine ein Glas Champagner bringen?« Argyll beugte sich für seine Frage zur Duchess vor und behinderte damit Maries Sicht auf die Cousine. Alles, was sie sah, war ein Schopf dunkelbraunen Haares und ein Ohr. Sie presste die Lippen aufeinander. Das Durcheinander, das Argyll Frisur nannte, sollte wohl nonchalant wirken. Sie fand es albern. Er sah aus wie ihr Cousin Jonathan, nachdem sie ihm durchs Haar gefahren war. Und der Bub war gerade elf!

»Wie freundlich von dir, dich zu erbieten ...«, behauptete Annabell erfreut.

Marie knirschte mit den Zähnen. Floskeln hielt sie sich vor. Sie musste lernen, sie zu gebrauchen, ohne an ihre Leere zu denken.

»Mylady möchten Sie sich die Beine vertreten?« Argyll hatte sich ihr zugewandt und sah sie mit gerunzelter Stirn an.

Sie blinzelte. Sie hatte vor sich hingestarrt, in die Richtung, in die ihr letzter Blick gerichtet gewesen war. Auf ihn. Röte schoss in ihre Wangen. »Nein!« Seine Pupillen weiteten sich erschrocken, was Marie nur noch mehr irritierte.

»Nein, danke, Mylord, ich sollte in der Loge bleiben.« Sie versuchte, höflich zu lächeln, und sackte in ihrem Stuhl zusammen, als er sich endlich abwendete. Gott sei Dank dachte er, sie sei in den Duke verliebt.

»Wie kurzweilig, nicht wahr«, frohlockte Annabell und griff nach ihrer Hand. »Es ist ein wahnsinnig aufregendes Stück!«

Maries Lächeln schwankte, aber sie stimmte zu und ermunterte die Cousine, über das Schauspiel zu sprechen. Sie erging sich gerade über die Töchter des Pfarrers, Olivia und Sophia Primrose, als Argyll zurückkam.

»Bell, Mylady.« Er reichte ihnen je einen Kelch und nahm wieder auf seinem Stuhl Platz. »Ich traf Lord Worchester. Lady Worchester wird dich in den nächsten Tagen sicherlich aufsuchen.«

»Oh, Lily ist in der Stadt? Wie reizend!« Die Duchess strahlte vor Freude. »Habe ich dir von Lily erzählt? Du wirst sie lieben, Marie!«

Vermutlich eher bedauern. »Nein«, murmelte sie. »Aber von Lord Worchester habe ich gehört.« Sie musste den Namen zwischen zusammengepressten Zähnen hervorzwängen. Worchester war ebenso verrucht wie der Duke of Kent und Viscount Argyll und hatte keinen Zweifel daran gelassen, an einer Eheschließung nicht interessiert zu sein.

»Lassen Sie mich raten, Lady Marie, Sie hörten von seinem Ruf«, mutmaßte Argyll auflachend.

Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. »Ich hörte, dass Seine Gnaden, der Duke of Northumberland, Lady Worchesters Bruder, Worchester an den Altar zwingen musste, damit er Lady Worchester heiratete, nachdem er sie ruiniert hatte.« Sie hob herausfordernd eine Braue. »Die Geschichte kommt mir bekannt vor ...«

»Ich habe etwas anderes gehört«, nahm er die Herausforderung an, nicht ohne sie zu mustern. »Dass Lady Worchester ihn so sehr liebte und sie sich weigerte, Ja zu sagen, solange es nicht Worchesters ausdrücklicher Wunsch war, sie zur Frau zu nehmen.«

Marie zog die Brauen zusammen. »Das ist ja unsinnig!«, zischte sie und schüttelte den Kopf. Die Saalbeleuchtung wurde gedämmt und sie abgewürgt: »Darüber sollte keiner von euch Spekulationen anstellen. Wichtig ist, dass Lord Worchester sich besann! Ich möchte nicht, dass man in meiner Gegenwart gemeinen Klatsch über meine Freunde verbreitet!« Annabell wendete sich ab und lehnte sich vor, um besser sehen zu können. In ihrer Miene verblieb ein Rest Ressentiment. Klatsch war der Duchess verhasst. Und in Anbetracht ihrer Vergangenheit, die der der Lady Worchester nicht unähnlich war, konnte Marie es ihr nachfühlen. Sie presste die Lippen aufeinander und richtete ihre Aufmerksamkeit ebenfalls auf die Bühne. Nochmal würde sie nicht so dumm sein und Argylls Angebot zu irgendetwas annehmen. Der ganze Abend war fürchterlich, und dies lag einzig und allein an diesem verfluchten Kerl!

Einige Tage später

Marie schritt unwillig an der Seite des Dukes die Treppe herab. Ihr Lächeln war starr, aber immerhin vertrieb ihr Unwille ihre Nervosität. Die Befürchtung, zu fallen, stolpern oder sich sonst wie zu blamieren, hatte sie sogar bis in ihre Träume verfolgt. Sie hatte Stunden damit zugebracht, die Treppe in Westbrook House hinabzuschweben, bis sie dank eines belustigten Kommentars tatsächlich gestürzt war. Argyll hatte sie mit einem vertraulichen Zwinkern aufgefangen. »Hopsala!« Selbst drei Tage später stieg heiße Wut in ihr auf bei der Erinnerung an seine unverschämte Musterung. Hätte er versucht, sie zu küssen, sie hätte ihn die Stufen hinuntergeschubst. Ohne Reue!

Sie erreichten die letzte Stufe, und Marie seufzte erleichtert. Kent führte sie zu einer Gruppe und begann sie vorzustellen. Marie versuchte sich an einem strahlenden, aufmerksamen Gesicht und gab sich doppelt ehrerbietig. Heuchelei konnte in ihrem Fall nur dienlich sein, hatte Annabell gemahnt, als Marie sie darauf hinwies, wie verlogen es war, so zu tun, als schätzte man jemanden aufgrund seines erhabenen Titels.

»Mylady«, murmelte der Earl of Spencer und drückte ihr einen Kuss auf die Fingerspitzen. Marie knickste. »Mylord, es ist mir eine Ehre.«

»Selbstverständlich, Kindchen. Erlauben Sie mir doch, mich auf Ihrer Tanzkarte einzutragen.«

Marie hielt ihm das Zettelchen hin und stöhnte im Stillen. Ein Earl, das würde ihrem Vater sicherlich gefallen. Und Spencer war auch nicht unvermögend. Sie musterte ihn erneut. Haare in undefinierbarem Blond, verwässerte blau-grüne Augen und sicherlich jenseits der dreißig. Nun, vielleicht entpuppte er sich als unterhaltsamer Gesellschafter?

»Der erste Walzer?«

Marie lächelte als Zustimmung, und der Lord verabschiedete sich.

»Die erste Eroberung?«, raunte Argyll in ihr Ohr. Sie zuckte zusammen, verkniff die Lippen und zischte, bevor sie ihre Worte überdachte: »Die erste? Nein. Die müssen Sie gewesen sein, wie sonst ist es zu erklären, dass ich mich ständig Ihrer Gesellschaft ausgesetzt sehe?«

Der unverschämte Kerl besaß die Frechheit zu lachen, dabei kam das Grübchen an seiner rechten Wange besonders hübsch zur Geltung. Marie würgte ihr Retikül mit der Vorstellung, es wäre sein Hals.

»Ah, ma chère dame, wenn Sie es wünschen, spiele ich gerne Ihren brennendsten Verehrer.« Argyll zwinkerte ihr zu, ergriff ihre Hand und drückte ihr nicht nur einen Kuss auf die Fingerknöchel.

Sie entriss ihm brüsk die Hand. »Tun Sie das, wenn Sie müssen, aber bitte vom anderen Ende der Stadt aus!«

Wieder lachte er auf. »Mylady, Sie sind bezaubernd!«

»Thomas«, murrte der Duke und lehnte sich vertraulich zum Freund. »Was tust du denn? Der halbe Saal schaut zu euch hinüber!«

Grinsend zuckte Argyll die Schultern. »Annabell bat mich um Mithilfe.«

»Nicht zu ihrem Ruin!«, zischte der Duke und wendete sich dann ihr zu. »Lady Marie, es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir den ersten Tanz gestatteten.«

Eine Plattitüde. Den ersten Tanz auf einem Ball absolvierte man meist mit seiner Begleitung, so man ihn nicht ausließ. Sie hatte demnach keine Wahl. Zähneknirschend hob sie den Arm, um dem Duke die Hand zu reichen. Die wurde allerdings abgefangen und Marie mit einem Ruck nach vorn gezogen. Sie keuchte überrascht. »Mylady versprach den ersten Tanz schon mir.«

Bevor sie Gelegenheit bekam zu protestieren, wurde sie bereits zur Tanzfläche gezogen. »Nicht ganz so entsetzt, Mylady. Wer soll uns sonst unsere Posse abkaufen?«, raunte Argyll, wobei er ihr unangenehm nahekam. Sein Atem strich über ihre Wange. Sie blinzelte verwirrt. Posse?

»Sie werden sehen, Sie werden sich vor Gentlemen nicht retten können, und das schon an Ihrem ersten Auftritt in der Gesellschaft. Sie übertreffen ihre Schwester, Lady Randell.«

»Sie glauben doch nicht ernstlich, dass ...« Der Mann war unglaublich arrogant. Sein aufgesetztes Interesse würde sicherlich keinen Ansturm auf sie auslösen!

»Bedenken Sie, dass meine Verehrung für ihre hinreißende Cousine kein Geheimnis ist. Bell ist zudem allseits geachtet. Wenn mein Augenmerk demnach auf Sie abdriftet ...«, implizierte es, dass sie womöglich noch herausstechender war als die Duchess. Sprachlos sah sie zu ihm auf.

»Allerdings werden wir nur Erfolg haben, wenn Sie ihr Mundwerk im Zaum halten können, bis Sie sich etabliert haben.« Trotz der Ernsthaftigkeit seiner Stimme grinste er unverschämt auf sie herab. »Seien Sie unbesorgt, Lady Marie. Sie brauchen dazu keinerlei Sympathie für mich heucheln.«

»Na, Gott sei Dank!«, murmelte sie und unterdrückte ein Schaudern. Sie wechselte den Tanzpartner, lächelte reserviert zu ihm auf und verblieb doch in Gedanken bei Argyll. Dass er so ein gewiefter Fuchs war, hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Sie kam zu ihm zurück und ließ sich aufheben. Trotz ihrer mentalen Abwesenheit gewahrte sie, dass er sie viel näher hielt, als es die Figur vorsah. Sie blitzte ihn an. »Unterlassen Sie das gefälligst!«

Er setzte sie mit einem herausfordernden Zwinkern ab und schwang sie herum. »Aber warum denn? Es treibt eine entzückende Röte in ihre Wangen.«

»Ich denke, ich verzichte lieber auf Ihre Hilfe!«, zischte Marie mit sich hadernd. Sie machte sich keinerlei Illusionen über ihre Chancen, einen Gatten zu finden. Ihre Schwester Ninette war eine Unvergleichliche gewesen mit einer wahren Heerschar von Verehrern. Dennoch war die Zahl der erhaltenen Anträge gering. Seitdem hatte sich die finanzielle Situation ihres Vaters noch verschlechtert, was bedeutete, dass sie womöglich keine große Mitgift zu erwarten hatte. Oder gar keine? Sie erschauerte betroffen. Wenn sich ihrer nun niemand erbarmen würde? Kein Gatte, kein sicheres Heim und auch keine Kinder. Welch trauriger Ausblick in die Zukunft. Ganz zu schweigen davon, weiterhin der Unbill ihres Vaters ausgesetzt zu sein.

»Tatsächlich?«, murmelte Argyll und gab sie wieder weiter. Marie dampfte vor Ärger und musste dennoch zu dem anderen Mann gelassen auflächeln. Er wäre keine Hilfe, schließlich war er es, der sie unablässig auf die Palme brachte! Nach zwei Drehungen war sie wieder in Argylls Armen.

»Dabei genießen Sie es doch, in meinen Armen zu liegen.«

Auch diese Behauptung konnte sie nicht gleich zurückweisen, denn der Tanz erforderte, dass sie vor ihm herschritt. Sie kaute ihre Zunge wund. Wie gerne würde sie ihm die Leviten lesen! Allerdings war es wohl zwecklos. Ungefähr so wie einem Hund das Schnüffeln zu verbieten. Sie drehte sich zu ihm um, entschlossen, ihn zukünftig zu ignorieren.

»Ich sollte schnell einen Gatten für Sie finden, bevor Ihre Neigung für mich allzu offensichtlich wird.«

Marie stockte vor Empörung schier der Atem. »Sie!«

Er schwang sie im Kreis und verbeugte sich galant vor ihr, dann wollte er wieder nach ihrer Hand greifen, aber dieses Mal war sie schneller. Sie blitzte ihn an, hob das Kinn und behauptete: »Danke, Mylord, Sie brauchen mich nicht zurückzubegleiten!« Sie drehte ihm den Rücken zu und stampfte los. Nach wenigen Schritten hatte er sie eingeholt, nach ihrem Arm gegriffen und ihren Abmarsch wirksam unterbrochen mit den Worten »Sie laufen in die falsche Richtung, Lady Marie«.

»Argyll, altes Haus, möchten Sie mir Ihre reizende Begleitung nicht vorstellen?«

Marie drehte den Kopf. Der Lord verbeugte sich vor ihr, wobei er sie eingehend musterte.

»Halten Sie sich fern von der Lady, Lord Leicester. Sie wollen sich sicherlich nicht mit Kent anlegen, oder«, warnte Argyll harsch und zog sie hinter sich.

Marie sah überrascht zu ihm auf. Sie hatte ihn nie wütend erlebt. Eigentlich nicht einmal ernst. Selbst als ihr Cousin Marcus Beaufort, der Viscount of Suffolk und Annabells Bruder, ihn zwingen wollte, Annabell zu heiraten, hatte er es mit Humor genommen. Dabei war er ihr zuvor nie zu nahe genommen und hatte Annabell mit zurückhaltender Ehrerbietung behandelt, die in absolutem Gegensatz zu seinen Worten stand.

Der Earl of Leicester begegnete Argylls verbissener Miene mit verächtlichem Hochmut. »Kent? Dann handelt es sich bei dem Mädchen um die letzte Windermere-Schwester. Maria, nicht wahr?« Der Earl grinste schmierig auf sie herab und ließ seine Augen noch einmal an ihr herunterwandern. Ein unangenehmer Schauer rann über ihren Rücken. Sie hatte Argylls Musterung bereits als anzüglich bewertet, bei dem Lord jedoch fühlte sie sich nicht nur nachlässig bekleidet, sondern nackt.

»Sie werden sich der Lady nicht nähern!«, verdeutlichte Argyll und trat einen Schritt auf den anderen Lord zu. »Sonst wird Seine Gnaden nicht ihr einziges Problem sein.« Mit einem letzten feurigen Blick kehrte Argyll um und schob sie vor sich her.

»Einen schönen Abend noch, Lady Maria.«

Marie zog die Schultern hoch.

»Sie dürfen sich niemals allein mit Leicester irgendwo aufhalten, Marie. Oder mit Männern wie ihm!«, befahl er ihr rau, wobei er sie grimmig ansah. Das Grübchen war verschwunden, und stattdessen kerbte sich ein tiefer Schnitt in seine Wange.

»Mit Männern wie Ihnen«, murmelte sie nickend und wurde herumgedreht. Sie sah sich plötzlich seinen funkelnden Augen gegenüber, die sie eindringlicher warnten als seine Worte. »Ich nehme, was mir angeboten wird. Leicester wartet nicht auf eine Einladung. Er nimmt sich, was er will.«

Marie blinzelte. Sie musste ihn falsch verstanden haben.

»Nun kommen Sie, Bell macht sich sicherlich bereits Gedanken.«

Thomas behielt das Mädchen im Auge. Nach Leicesters Versuch, sich Marie vorzustellen, war er unruhig, wenn er sie nicht ausmachen konnte, was leider zunehmend häufiger vorkam. Solange sie in Bells Nähe war, konnte ihr nichts passieren, schließlich wusste er, dass sein Freund die Gattin ungern allein ließ. Allerdings hatte seine Posse durchaus negative Auswirkungen. Marie war begehrt, belagert gar, und unter den Herren waren nicht nur angemessene Verehrer. Leicester hielt sich fern, dafür fanden sich Belmont und der junge Carstairs ein. Mr Kincade und Mr Sedgewick waren ebenfalls beide kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um falschen Umgang mit Debütantinnen ging. Und sie vergab ihre Tänze in rascher Abfolge. Er sollte sie darauf hinweisen, dass es immer gut war, sich rarzumachen.

Thomas umrundete die Tanzfläche und ging dabei einigen Damen aus dem Weg, deren Begrüßung ihn nur von Marie abgelenkt hätte. Er gesellte sich unauffällig zu seinem Freund, der die Seite seiner Gattin zugunsten von etwas mehr Spielraum verlassen hatte. Nathan sah ihn kurz missgestimmt an, bevor er in der Traube Menschen vor ihnen wieder nach dem blonden Schopf Annabells suchte.

»Verflixt!«

»Bell hält Hof?«, erkundigte Thomas sich spottend und lehnte sich wie der Duke gegen die Wand. Wie der Freund ließ er seine Augen über die Menschenmenge gleiten.

Nathan murrte unzufrieden. »Leider. Nun, Marie wird es nutzen.«

»Und auf lange Sicht gesehen auch dir.«

Nathan warf ihm einen dräuenden Blick zu. »Ach, und wie das?«

»Sobald Marie unter der Haube ist, hast du dein Haus wieder für dich.« Thomas unterbrach sich, bevor er den eigentlichen Benefit nannte: »Und Bell.«

Nathan runzelte die Stirn. Er verschränkte die Arme vor der Brust, bevor er die Idee lobte. »Allerdings bin ich mir nicht sicher, dass es so leicht sein wird.«

»Wegen der zuvor besprochenen Problematik? Der finanziellen Situation ihres Vaters? Ist sie denn so angespannt?« Nun zog auch Thomas die Stirn in Falten. Es gab nicht viele Männer, bei denen die Höhe der Mitgift bei der Wahl einer Gattin keine Rolle spielte. Zwar gab es durchaus genug Gentlemen, die vermögend genug waren, um nicht auf die Mitgift angewiesen zu sein, aber denen musste man einen anderen Anreiz bieten.

»Nein. Um sie loszuwerden, zahle ich gerne drauf«, grummelte Nathan und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Pulk zu. »Allerdings hat Marie auch andere Mankos.«

Thomas tat überrascht, obwohl er meinte, zumindest einen weiteren negativen Aspekt zu kennen: ihr Ungestüm. »So?«

Nathan war gezwungen, die Suche nach seiner Gattin erneut abzubrechen. »Sie trägt ihr Herz auf der Zunge. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich unmöglich gemacht hat.« Eine pechschwarze Braue hob sich in dem markanten Gesicht des Dukes. »Oder kannst du dir vorstellen, jeden Morgen neben ihr aufzuwachen und dies für den Rest deines Lebens?« Offenkundig eine grausige Vorstellung für den Duke. Thomas musste lachen. Neben Marie aufzuwachen, mochte in der Tat ein Abenteuer sein, je nachdem, ob sie sich wie eine wilde Katze gebärdete, oder nicht. »Nein«, bestätigte er mit einem Kopfschütteln. »Jedoch ist es auch nicht notwendig. Ich habe ein eigenes Bett, wie auch jeder Einzelne in diesem Saal.«

Nathan errötete leicht und räusperte sich. »Das meinte ich nicht!«

»Arme Bell, nicht einmal in Ruhe schlafen lässt du sie.« Thomas setzte eine missbilligende Miene auf.

»Natürlich lasse ich Annabell schlafen«, murmelte der Duke und reckte unangenehm berührt die Schultern, wozu er seine lässige Pose aufgeben musste.

»Hm.« Thomas gab den Punkt auf. »Ich nehme an, neben Bell aufzuwachen, hat dich nie in Schrecken versetzt?« Eine unnötige Frage. Den Tag in Bells Armen zu beginnen, war sicherlich erstrebenswert.

»Natürlich nicht! Das war der Grund, warum ich überhaupt daran dachte, sie so bald wie möglich zu heiraten. Wie sie mich angesehen hat ...« Nathan versank in angenehmer Erinnerung.

Thomas wandte sich ab. Er konnte es sich schwerlich vorstellen, wie ein Blick in unschuldige Mädchenaugen einen stadtbekannten Roué zur Monogamie betören konnte. Als er Bell kennenlernte, waren der Duke und seine Duchess bereits sieben lange Jahre verheiratet gewesen und Bell schon lange kein unschuldiges Mädchen mehr, sondern eine betörende Frau. Thomas konnte sich wesentlich mehr vorstellen, als nur neben ihr aufzuwachen. Er seufzte. Bell würde er niemals für sich gewinnen können, ganz gleich, ob Nathan zwischen ihnen stand oder nicht. Seufzend ließ er seine Augen über die Gruppe vor ihnen gleiten. Bell plauderte mit dem Marquess of Lynnwood, der dabei seinen Blick kaum von seiner Marchioness nahm, die neben der Duchess mit Lord Pembrook sprach. Marie stand mit leuchtenden Wangen neben Mr Norton und sah interessiert zu ihm auf. Ob Norton darüber nachdachte, wie es wäre, neben Marie aufzuwachen?

Thomas zog die Brauen über der Nasenwurzel zusammen. Er hatte noch nie den Wunsch verspürt. Und es kam höchst selten vor, dass er sich in einer solchen Situation wiederfand. Zumal er meist nicht mit einer Liebschaft einschlief. Er hatte es auch nicht erwartet, es mal mit seiner Gattin zu tun. Und die war immerhin durchaus eingeplant. Irgendwann in ferner Zukunft.

Marie senkte flatternd die Wimpern. Auf ihren Wangen lag ein sanfter roter Schein. Ihre Lippen waren leicht geöffnet. Ein unheimlich lieblicher Anblick.

Am nächsten Tag

»Lord Argyll.« Marie verhielt in ihrem Schritt. Sie war auf der Suche nach ihrem kleinen Großcousin Lennart. Der Dreijährige hatte eine Schwäche für das Versteckspiel, und da sie es als Kind ebenso geliebt hatte, war sie gern bereit, mit dem Kleinen zu spielen. Der Viscount machte eine Verbeugung. »Mylady.« Seine Augen huschten über sie hinweg, und auf seinen Lippen formte sich das altbekannte, leicht anzügliche Grinsen.

Sie presste die Lippen aufeinander. Er war unausstehlich! Sie hob das Kinn. »Ihre Gnaden ist nicht im Haus. Seine Gnaden dürfte sich in seinem Arbeitszimmer aufhalten.« Sie setzte sich wieder in Bewegung. Am Fuß der Treppe fügte sie hinzu: »Wenn Sie mich entschuldigen wollen.«

»Lieber nicht.«

Marie stockte erneut und wendete den Kopf, um ihn anzusehen. »Wie meinen?«

»Ich bin hier, um den Tee in Gesellschaft einer betörenden Lady zu nehmen. Da Bell nicht abkömmlich ist, verdammen Sie mich mit Ihrer Absage dazu, meine Zeit mit dem Duke zu verbringen.« Dass ihm die Aussicht nicht behagte, bezeugte seine Leichenbittermiene. Marie atmete tief durch.

»Mylord, so wie ich es bisher sah, suchten Sie früher häufiger die Gesellschaft des Dukes.«

»Oh ja«, bestätigte Argyll mit einem Lachen in der Stimme. »Haben Sie kürzlich Zeit mit Seiner Gnaden verbracht?«

Marie verengte die Augen. »Täglich, wie Sie sehr wohl wissen!«

»Tatsächlich?« Der Viscount zog ungläubig eine Braue hoch. »Allein?« Er legte den Kopf schräg. »Dabei denkt er, Sie könnten ihn nicht ausstehen.«

Sie fuhr herum, die Hände zu Fäusten geballt und mit verkniffenen Lippen. Er war unmöglich! »Selbstverständlich nicht!«

Argyll nickte nachdenklich. »Aber mir wollen Sie seine Gesellschaft aufzwingen? Wie herzlos!«

Marie blinzelte verwirrt. Sie brauchte einen Moment zur Besinnung, um hinter die Bedeutung seiner Worte zu kommen. »Ich bin nie mit ihm allein!«, stellte sie giftig richtig. »Was Sie ebenfalls sehr wohl wissen. Genau wie, dass ich Ihnen nicht Gesellschaft leisten könnte, selbst wenn ich es in Betracht ziehen würde!«

»Was Sie nicht tun.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

Marie blinzelte erneut. »Ich wäre ruiniert!«, fuhr sie ihn an und hätte ihn gern gehörig geschüttelt. Als müsste man da nachfragen. Der Grund war doch offenkundig. Das Grinsen des Lords wuchs in die Breite.

»Ich verspreche, dass ich nicht vorhabe, Sie zu ruinieren.«

»Wie freundlich von Ihnen, Lord Argyll! Nicht, dass Sie bei einem Versuch Erfolg gehabt hätten.« Mit Sicherheit nicht. Sollte er auch nur den Versuch unternehmen, sie zu küssen, würde er sein blaues Wunder erleben.

»Das habe ich befürchtet«, seufzte Argyll mit einem nun sehr breiten Grinsen. »Ich dachte allerdings daran, meine entzückende Patentochter als Ihren Beistand einzusetzen. Selbstverständlich inklusive deren Kinderfrau ...«

Marie zog erschrocken Luft ein. Lennart! Sie hatte ihn völlig vergessen. Sie schwang auf der Hacke herum. Wo würde der Kleine sich wohl verstecken? Sie begann mit der ersten Tür zu ihrer Rechten. Ein Salon, der durch Schiebetüren zu einem größeren Raum gemacht werden konnte und in dem derzeit überzählige Sitzgelegenheiten gelagert wurden. Sie schlich auf die einzige Chaiselongue zu, kniete sich vorsichtig auf das Polster und beugte sich vor. Enttäuscht sackte sie zurück. Das könnte länger dauern. Warum hatte sie den Suchbereich nicht eingegrenzt?

»Sie verblüffen mich, Mylady.«

Sie fuhr herum und starrte überrascht zu ihm auf. Er stand vor ihr und grinste unverschämt auf sie herab. Eine seiner dunklen Brauen verschwand unter einer in die Stirn fallenden Locke.

»Ihre Umbesinnung.« Sein Grinsen wurde breiter, und die Art, wie er sie ansah, ließ sie erschauern. »Und ausgerechnet so.«

»Bitte?«

»Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung, Mylady«, murmelte er in einer Stimmlage, die ihr noch einen Schauer über den Rücken jagte. Er ergriff ihre Hand, zog sie zu sich hoch und an sich. »Aber nicht so ...« Er seufzte und ließ sie los.

Marie blinzelte. Sie hatte offensichtlich etwas Wichtiges verpasst. »Wozu stehen Sie mir zur Verfügung?«, setzte sie an seinen letzten verständlichen Worten an, wobei sie ihn ärgerlich musterte. Er schien sehr mit sich zufrieden.

»Bei allem, Mylady. Allerdings halte ich es für eine äußerst dumme Idee, Sie in diesem Rahmen ... Wie nannten Sie es? Sie ruinieren?«

Glaubte dieser unverschämte Kerl, sie wolle ... Sie keuchte.

»Mit Kent im Haus und Bell, die sicherlich nicht entzückt wäre ...« In seinen Augen blitzte es.

»Ich sagte bereits, dass ich keineswegs daran denke, mich Ihretwegen zu ruinieren!«, fuhr sie ihn wütend an. »Und nun lassen Sie mich endlich nach Lennart sehen!«

Seine Miene verlor sein Grinsen. »Ist er …?« Fast wirkte er besorgt.

»Versteckt. Und ich versprach, ihn zu suchen.«

Argyll atmete tief durch. »Dann finden Sie ihn sicherlich in einem der Kinderzimmer.«

Marie schnaubte unwillig. Was für ein Dummkopf er war! »Nein. Er ist irgendwo ... Und ich werde ihn schon finden.« Aber nur, wenn sie ihre Zeit nicht damit vertat, mit Argyll über seine Anzüglichkeiten zu streiten. Sie trat an ihm vorbei.

»Hier unten?«, erkundigte sich der Viscount verblüfft. »Er versteckt sich hier unten?«

Marie sah sich gezwungen, ihm zu antworten. »Ich nehme es an. Und Lynn auch.«

»Lynn?«, grunzte Argyll, »Der Earl of Lynn? Lynnwoods Sohn?«

Sie drehte sich zu ihm um. Er war ihr in den Flur gefolgt und sah sie an, als fehlte es ihr an Verstand. »Ebendieser. Lady Lynnwood brachte ihn mit, bevor sie mit Annabell ausging. Ich wollte mit ihnen spielen.«

»Verstecken? Und auch noch im Haus anstelle ...«

»Oben sollten Amelie und Natalia schlafen«, verteidigte sich Marie, wobei ihr unangenehm Hitze ins Gesicht schoss. Vielleicht war es doch keine allzu gute Idee gewesen.

Argyll kniff die Lippen zusammen. Er missbilligte ihr Verhalten, sparte sich aber jedes Wort dazu. »Ich werde Ihnen helfen, die Jungen zu finden.«

»Das ist nicht nötig«, versicherte sie schnell. »So groß ist das Haus ...«

»Ich helfe Ihnen!«

Marie brach ab und schluckte. Sie wollte erneut ausschlagen, aber er schüttelte den Kopf. Sie atmete ein. »Nun gut.« Sie senkte kurz die Lider und schluckte. »Ich suche in den Zimmern zur rechten Seite.«

Argyll nickte. Marie tat es ihm gleich, bevor sie sich abwendete und die Tür zum nächsten Zimmer anstrebte. Der zweite Teil des Salons. Dieses Mal mit diversen Stühlen und Beistelltischen bestückt. Sie sah hinter den Vorhängen nach und in den Ecken, ohne die Jungen zu finden. Auch in den nächsten Räumen, einem Musikzimmer und dem Speisesaal, war niemand zu entdecken. Sie fragte eines der Hausmädchen, ob sie den kleinen Earl oder den kleinen Marquess Westbrook, Lennart, gesehen habe, aber auch das verlief im Sande. Am Ende des Gangs traf sie wieder auf Argyll. Sein verkniffenes Gesicht sagte ihr auch ohne Worte, dass er die Jungen nicht gefunden hatte. Marie unterdrückte ein Seufzen. »Vielleicht oben«, murmelte sie und senkte den Blick.

»Nach Ihnen, Mylady.« Er deutete den Gang entlang und folgte ihr dann. Selbst auf der Treppe hielt er sich hinter ihr. Am Kopf angelangt drehte sie sich händeringend zu ihm um. »Mylord, die Jungen sind sicherlich in einem der oberen Salons. Sie ...« Seine braunen Augen rieten ihr zu schweigen.

»Ich käme nicht umhin, Seine Gnaden von der Unauffindbarkeit seines Erben zu berichten«, warnte er, wobei er unterließ, die damit einhergehende Frage zu formulieren: Wollen Sie das?

Marie nickte geknickt. Es war ohnehin unwahrscheinlich, dass der Duke nicht von ihrem Fauxpas erfuhr. Letztendlich würde sie es ihm auch selbst gestehen, auch wenn dies bedeutete, die Kinder nicht mehr besuchen zu dürfen. Ihre Schultern sackten herab, und sie musste blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten.

Sie teilten sich erneut auf. Marie nahm den Ostflügel und Argyll den Westflügel. Eine schiere Ewigkeit später, nach der Erkenntnis, dass die Buben weder im zweiten noch im dritten Stock zu finden waren, gestand Marie ihre Dummheit ein. »Ich hätte ein anderes Spiel vorschlagen sollen, anstatt das Suchgebiet zu vergrößern.« Dankbarerweise sparte sich Argyll auch diesmal einen Kommentar, obwohl sie ihn durchaus in seinem Antlitz ablesen konnte. Sie hatte ihn nie so ernst erlebt. Sie runzelte die Stirn. Außer vielleicht bei ihrem ersten Auftritt in der Gesellschaft, als sie von Lord Leicester angesprochen worden war. Sie erschauerte unbehaglich. »Ich sollte nun ...« Sie schluckte hart. Es schauderte ihr bei der Vorstellung, was Seine Gnaden zu ihrer Unbedachtheit sagen würde. Aber da musste sie durch. Sie hob das Kinn. »... Seine Gnaden informieren.« Sie wagte nicht, zu ihm aufzusehen. »Ich nehme an, Sie möchten mich nicht begleiten?«

»Nein.«

Nun hob sie doch den Blick. Er seufzte durchaus besorgt, aber dennoch Herr der Lage. »Wir lassen die Dienstboten nach den beiden suchen und beruhigen uns erst einmal bei einer Tasse Tee.«

Sie blinzelte verdutzt. Tee? Sie vermissten zwei kleine Kinder, und er wollte Tee trinken?

Er griff nach ihrem Ellenbogen und schob sie die Treppe in den ersten Stock hinunter und dann in Annabells bevorzugten Salon. Er klingelte nach den Dienstboten und gab entsprechende Order. »Es ist unnötig, Seine Gnaden zu beunruhigen.«

Jenkins, der Kent’sche Butler nickte steif. »Jawohl, Mylord.«

Marie starrte blicklos auf den Boden. Es war falsch, Seine Gnaden in Unkenntnis zu lassen. »Setzen Sie sich, Lady Marie.«

Sie ließ sich auf einen Stuhl nieder und verkrampfte ihre zittrigen Finger in ihrem Rock. Wenn Lennart nun etwas zugestoßen war? Die Treppe heruntergefallen oder in einem Schrank eingeschlossen?

»Eruieren wir«, schlug Argyll vor und setzte sich zu ihr. »Wo würden sich kleine Kinder am ehesten verstecken?«

»Unter Betten, hinter Vorhängen oder Schränken«, zählte Marie schnell auf. »Mein Lieblingsversteck waren Truhen.«

»So?«, murmelte Argyll erheitert. »Sie blicken demnach auf eine ausgeprägte Erfahrung im Versteckspiel zurück?«

Marie runzelte die Stirn. »Bitte?«

»Ich erinnere mich an Ihre Vorliebe, Gespräche zu belauschen.«

»Ich«, begann Marie ihre flammende Verteidigung, die sie abbrach, weil sie sich an einige Begebenheiten erinnerte, bei denen sie durchaus gelauscht hatte. Und von denen er wusste. Sie presste die Lippen aufeinander.

»Sie machten eine Studie daraus, wenn ich mich recht entsinne. Es ging um Anträge.« Seine Besorgnis um die entschwundenen Jungen war verpufft, und sein Grinsen an seinen üblichen Platz zurückgekehrt. Der unbeständigste Gentleman, dem sie je begegnet war.

»Ich nehme an, Sie haben konkrete Vorstellungen, wie Ihnen die Ehe angetragen werden soll?« Er hob eine Braue und sah sie abwartend an. Hätte er auch nur eine Spur neugierig gewirkt, oder gar interessiert, sie hätte nicht geantwortet.

»Nein«, schlug sie aus. »Ich kann es mir nicht leisten, wählerisch zu sein.«

Überrascht weiteten sich seine Augen, wodurch deren warmes Braun noch intensiver zutage trat. Seine Iris war durchzogen von hellen Linien, die bei den Pupillen zusammenliefen.

»Dennoch werden Sie ...«

Sie schüttelte den Kopf. »Jegliche Vorstellung weckt unweigerlich Erwartungen, und Erwartungen führen unausweichlich zu Enttäuschungen.« Sie zuckte die Schultern. Sie wusste, wie nüchtern es klang, aber daran war nun mal nichts zu ändern.

»Und ich hielt Sie für eine Romantikerin.« Argyll lachte auf. »Herrje, und dabei ...« Es klopfte, und der Lord unterbrach sich. Jenkins persönlich brachte den Tee und verkündete nach einem Räuspern: »Mylady, Mylord, noch sind weder der kleine Master noch der Earl aufgefunden worden.«

Argyll bedankte sich für die Nachricht und bat, benachrichtigt zu werden, wenn die Duchess und Lady Lynnwood zurückkehrten. Marie starrte die Kanne an. Sie konnte unmöglich hier sitzen und Tee trinken, solange die Kinder nicht aufzufinden waren! Sie kam auf die Füße. »Ich sollte wirklich ...«

»Den Tee eingießen. Eine ausgezeichnete Idee.« Argyll deutete auf die Kanne, und Marie ließ sich langsam wieder nieder. »Ich bin offen gestanden etwas nervös. Hinsichtlich eines zu machenden Antrages ...« Ein Runzeln setzte sich auf seiner Stirn fest.

Marie stockte das Herz. Bloß nicht! Sie musste ihn unbedingt davon abbringen, um ihre Hand anzuhalten. Was für eine fürchterliche Vorstellung! Argyll verehrte ihre Cousine, daneben maß sie sich kläglich aus. Er würde sicherlich nicht mit Kritik sparen. »Das wäre ein Fehler«, hauchte sie mit Entsetzen.

Argyll blinzelte momentan verwirrt. »Wie meinen?«

»Sie können nicht wirklich ...«

Erleuchtung schimmerte in seinen Augen, und seine Mundwinkel hoben sich flüchtig. »Ich bitte zu bedenken, Mylady, dass ich in der Verantwortung stehe, einen Erben hervorzubringen. Früher oder später bin ich gezwungen ...« Er zuckte bedauernd die Schultern. Verwirrt drehte sie seine Worte im Kopf.

»Sie wollen gar nicht?« Das war ja noch schlimmer.

Zerknirscht schüttelte er den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber ...«

Erleichtert seufzte sie auf. »Das hat doch Zeit!«, behauptete sie, wobei die Frage auftauchte, wie alt er wohl sein mochte. Dreißig? Das war fast doppelt so alt wie sie! Marie zog eine Schnute und korrigierte sich: »Ach herrje, na ja, ein Lord darf wohl auch in dem Alter noch ungebunden sein.«

Argyll murmelte verdrießlich: »Also bitte, so alt bin ich auch wieder nicht!«

Marie nahm sich vor, dies unkommentiert zu lassen. »Sie sollten sich tatsächlich Gedanken über eine passende Braut machen. Vielleicht eine Witwe?«

»Eine Witwe!«

Marie sah erschrocken zu ihm hinüber. Er schaute indigniert aus.

»Verdammt, ich bin kein Greis!«

Das vielleicht nicht, aber viel fehlen konnte auch nicht. Sie runzelte die Stirn.

»Verflixt, Marie, ich bin fünfunddreißig! Damit bin ich vom Greisenalter meilenweit entfernt!« Grimmig starrte er sie an und wartete wohl auf eine Bestätigung. Sie öffnete den Mund, aber die gewünschten Worte mochte ihre Zunge nicht formen. Doppelt so alt wie sie! Sie runzelte die Stirn, wobei sie auch die Nase krauszog. Im Geiste ging sie ihre bisherigen männlichen Bekanntschaften durch.

»Viele Gentlemen entscheiden sich in diesem Alter dazu, sesshaft zu werden!«, verdeutlichte Argyll zähneknirschend. Marie erschauerte, denn seine Ausführungen waren nicht von der Hand zu weisen.

»Ach herrje!«

»Ich hoffe, Sie sprechen nur für sich«, murmelte er dräuend. »Nicht auszuhalten, dass meine potenzielle Braut mich für einen Greisen hält!«

Sie stockte, bevor sie mit einer Erklärung herausplatzte. Er meinte gar nicht sie! Die Erleichterung schwand augenblicklich. Wie ungalant! Sie presste die Lippen aufeinander. Warum kam er ihr mit solch vertraulichen Dingen!?

»Das wäre der Moment gewesen, Lady Marie, in dem Sie mich hätten beruhigen können.« Er seufzte tief. »Das Problem, das ich da sehe, ist, dass mir alle infrage kommenden Witwen bereits bekannt sind.«

Sie schnaubte ungläubig. Sie war eine nicht mit ihm verwandte junge Dame. Unverheiratet. Und er offenbarte ihr sein Lotterleben! »Nun, Lord Argyll, vielleicht ist es angemessen, eine der ... Damen für ihre Gunst endlich zu entschädigen!« Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn kritisch. »So Sie eine finden, die Ihnen verzeiht!«

Argyll war leicht errötet. »Marie! Verflixt, Sie dürfen von solchen Dingen nicht sprechen! Herrje, wenn Sie jemand hört!«

Ihr klappte empört der Mund auf. »Sie haben doch damit angefangen!«, fuhr sie auf und kam wieder auf die Füße. »Mich interessiert die Zahl Ihrer ... Eroberungen nicht im Geringsten!«

Nun schoss noch mehr Röte in seine Wangen, und er erhob sich ebenfalls. »So habe ich es nicht gemeint! Verflixt, Marie, ich würde Ihnen doch nicht ...« Er hob die Hand, als sie ihren Unmut mit einem Laut Ausdruck verschaffte und ihn einmal mehr sitzen lassen wollte. »Sie selbst haben sich doch erboten, mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wenn ich Fragen zu Anträgen hätte!«

Nun war es an ihr zu erröten. Tatsächlich hatte sie sich vor Jahren dazu erboten, aber niemals geglaubt, auch in die Verlegenheit zu kommen. »Oh!«

»Ich kann mir nicht vorstellen, neben einer der zur Verfügung stehenden Witwen aufzuwachen.«

Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ sie ungläubig blinzeln. Er beschäftigte sich tatsächlich mit diesem Punkt. Seltsamer Gedanke. Sie senkte den Blick auf den Teppich zwischen ihnen. Sie konnte sich beileibe nicht vorstellen, neben ihm aufzuwachen. Vermutlich grinste er schon am frühen Morgen anzüglich. Obwohl es da wohl völlig zu Recht wäre. Sie würde vor Scham vergehen! Am Morgen nach der ehelichen Zusammenkunft wollte sie ihn sicherlich nicht ansehen müssen. Schockiert sackte sie zurück auf das Sitzmöbel. Im Hellen! Welch schaurige Vorstellung! »Warum wollen Sie denn so etwas«, hauchte sie, noch verstört von der Vorstellung, neben ihm aufwachen zu müssen.

»Nathan will es und ist glücklich damit.« Argyll zuckte die Schultern. »Ich fand es zu Beginn auch merkwürdig.«

Marie riss die Augen auf. »Was geht es Nathan an …?« Aber natürlich wollte der sie durchaus loswerden.

»Nichts selbstredend«, bestätigte der Viscount mit einem Seufzen. »Aber ... er liebt Bell.«

Das Gespräch nahm immer absurdere Formen an. Obwohl ... »Sie wollen aus Liebe heiraten?« Der verruchte, berüchtigte Viscount Argyll suchte die Liebe?

Argyll warf ihr einen zerknirschten Blick zu. »Ist das so abwegig?«

Marie ließ jahrelange Ermahnungen ihrer Gouvernante außer Acht und lehnte sich gegen die Rückenlehne. Vielleicht hatte sie ihn völlig falsch eingeschätzt.