Schatten deiner Liebe - Katherine Collins - E-Book

Schatten deiner Liebe E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

Miss Alina Wright erwartet nicht viel, als sie ihrer Freundin Lady Gillian Richmond nach London folgt. Als mittellose Waise hat sie keine Aussicht auf eine Ballsaison und an eine Eheschließung war ebenfalls nicht zu denken. Dennoch freut sie sich mit Gillian, die Hauptstadt aufsuchen zu können und zumindest durch die Erzählungen der Freundin einen Eindruck zu erhalten, was ihr durch den Tod ihres Vaters verwehrt bleibt. Gillians Bruder, Anthony Richmond, Earl of Winchester, begrüßt sie wie stets verhalten. Das ausgerechnet er ihr anbietet, für ihre Saison aufzukommen, ist nicht nur unerhört, sondern stürzt sie in immer tiefere Verwirrung. In seiner Gegenwart laufen ihre Gefühle Sturm, aber seinem Begehr nachzugeben, wäre ihr Ruin. Die vielen kleinen Geheimnisse, die sich ihr offenbaren, schüren zudem ihr Misstrauen. Warum war ihr einzig lebender Verwandter, der Earl of Leichester, nicht gern gesehen in Richmond House und woher stammt das Geld, das für sie ausgegeben wird tatsächlich? Und vor allem: Was bezweckte Anthony? Die Saison wird zum Ringelreihen ihrer Gefühle.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Leseempfehlung

Katherine Collins

Erstausgabe November 2019

© 2019 Katherine Collins

c/o K. Reinke

Türkenort 11

45711 Datteln

[email protected]

Made with l♥ve

Alle Rechte vorbehalten

Schatten deiner Liebe

Umschlaggestaltung: Katherine Collins

Unter Verwendung von Abbildungen von

© VJ Dunraven Productions/periodimages.com

Bildmaterial : Periode Images, PI Creative Lab

Cover Art Illustration : Tara FantasiaFrog

Lektorat: Jessika Weber

Satz: Katherine Collins

Druck: Wir machen Druck

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung wiedergegeben werden. Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Über die Autorin

Katherine Collins liebt es zu reisen und sei es in ihren Gedanken. Einen Teil ihrer Zeit verbringt sie daher gerne bei ihrer Familie in England, auch wenn Birmingham nicht das passende Flair besitzt, um in ihren Geschichten aufzutauchen - noch nicht!

Neben dem Historischen liebt sie es, in den Highlands herumzustromern.

Mit ihren Töchtern lebt Katherine Collins noch im Ruhrgebiet und schreibt unter ihrem zweiten Pseudonym Kathirn Fuhrmann Liebesgeschichten, die mal mit Crime und mal mit Fantasy unterlegt sind.

Trivia über diese Geschichte

Der Originaltitel dieses Romans, unter dem er in Teilen auf Katherine Collins Website frei zu lesen war, lautete Schatten der Vergangenheit. Es war die aller erste historische Geschichte, die sie geschrieben hat. Das Original stammt aus dem Jahr 1997 und wurde seit 2015 überarbeitet. Heute sind nur noch wenige Stellen aus dem Urplot vorhanden. Selbst das geliebte Intro musste weichen.

Wenn euch das Original interessiert, schaut auf Katherine Collins Website vorbei und meldet euch zum Newsletter an!

kathecollins.wordpress.com

Kapitel 1

Richmond House, London, Frühjahr 1817

Lady Gillian Richmond zerrte ihre Freundin Miss Alina Wright mit sich in die Bibliothek ihres Bruders. »Anthony!«, rief sie aufgeregt und ließ die Tür gegen die Wand krachen.

»Gillian!«, tadelte Alina leise und atmete erleichtert aus, da sie die Bibliothek verlassen vorfanden. »Man sollte meinen, du habest zumindest etwas gelernt!« Sie schüttelte den Kopf. Gillian lachte fröhlich auf.

»Habe ich, aber ich werde es nicht vor Anthony anwenden!«

»Lord Winchester«, korrigierte Alina seufzend. Obwohl es sicherlich sinnlos blieb, wie jeder Versuch, Lady Gillians Temperament zu zügeln.

»Soll ich etwa knicksen, wenn ich ihm begegne, und artig den Blick niederschlagen?«, zog Gillian sie auf und demonstrierte, dass sie durchaus den Lektionen des Pensionats, in dem sie sich in den letzten Jahren gemeinsam aufgehalten hatten, gefolgt war. Sie hob ihren Rock etwa einen Zentimeter, knickste in exakt der angemessenen Tiefe für einen Earl und faltete dann die Hände vor dem Bauch, um mit gesenktem Blick eine Begrüßung zu murmeln.

Alina seufzte gequält, konnte der Freundin aber wie gewohnt nicht böse sein, als sie erneut auflachte und ihre Hände ergriff, um sie im Kreis zu schwingen.

»Denk nur! Endlich können wir uns diese öden Lektionen sparen und ins echte Leben eintauchen!«

Alina erstarrte und verlor einen Moment die Contenance. Lang genug für Gillian, um es zu bemerken. Sie stoppte ihren Kreisel. »Alina?«

»Glaubst du, seine Lordschaft nimmt dich von der Schule?« Was grauenhaft wäre, aber nicht unmöglich. Gillian war siebzehn und Alinas Geburtstag rückte ebenfalls unaufhörlich näher. Das bedeutete, dass sie möglicherweise kein weiteres Jahr Miss Helliworths Institut für junge Damen besuchten. Alina rann ein unangenehmer Schauer über den Rücken.

»Natürlich! Alina, wir sind siebzehn! Es ist Zeit für unsere Saison!« Gillian riss sie an die Brust und drückte sie fest. »Denk dir nur all den Spaß, den wir haben werden!«

Alina dachte eher an ihre ausweglose Situation. Gillian brauchte sich keine Gedanken zu machen. Sie hatte eine Familie, die sich eine Aussteuer für sie leisten konnte, und einen Bruder, der ihr die Saison finanzierte. Alina nicht. Weder Familie noch Vermögen und damit war an eine Saison nicht zu denken.

Gillian schob sie von sich und strahlte sie an. »Denk dir nur all die Gentlemen, die uns wie Motten das Licht umschwirren werden!« Sie lachte auf und entließ Alinas Hände, um allein durch den Raum zu tanzen. Sie breitete die Arme aus und drehte sich, dass ihre Röcke nur so flogen.

Alina blieb stehen, wo sie war, die Hände vor dem Bauch gefaltet und mit freundlicher, aber nichtssagender Miene, ebenso, wie sie es stundenlang vor dem Spiegel geprobt hatte. Das Paradebeispiel einer vornehmen Dame.

»Denk an all die Nächte, die wir durchtanzen werden! An all die Geheimnisse, die wir uns anvertrauen werden! An all die Kleider! Oh, ich kann es kaum erwarten!«

Alina reckte die starren Schultern und dachte an ihre eigene Zukunft. Kleider, Tanzen und Gentlemen spielten in ihr keine große Rolle. Sie atmete seufzend ein und senkte den Blick auf das Blumenmuster des Aubusson-Teppichs.

»Alina!« Gillian kicherte, wobei sie nach Alinas Händen griff und sie mitriss.

»Nanu!«, brummte eine tiefe Stimme aus dem Hintergrund.

Alina stoppte Gillians wilden Tanz augenblicklich und drehte sich wie vom Donner gerührt herum. In der noch immer offenen Tür zum Gang stand der Earl of Winchester und sah von seiner jüngeren Schwester zu Alina. Sie wünschte sich sehnlichst, der Boden möge sich auftun und sie verschlucken. Ihr erster Eindruck und er war gleich ruiniert. Zwar war es nicht ihr erster Besuch bei der Familie ihrer Freundin, aber für gewöhnlich traf sie nicht auf den Hausherrn. Hin und wieder hatte sie ihn wohl schon gesehen, aber es waren stets Augenblicke zwischen Tür und Angel gewesen. Sie hatte im Stillen gehofft, in diesem Jahr etwas mehr seiner Gesellschaft genießen zu können.

»Anthony!«, kreischte Gillian und stürmte auf ihn zu. Sie fiel ihm um den Hals. »Ich bin zu Hause!«

Winchester schloss überrumpelt die Arme um die Schwester. »Das ist wohl nicht zu überhören.«

Gillian lachte und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich habe dich ewig nicht gesehen.«

Das klang wie ein Tadel. Alina schloss die Augen und schüttelte für sich den Kopf. Gillian hatte offensichtlich nicht vor, auch nur eine Lektion anzuwenden.

»Und geschrieben hast du auch nicht!«

»Was hätte ich schreiben sollen - dass Mutters Hyazinthen eingegangen sind?«, spottete er und stupste Gillians Nase an. »Dass es in London wie gewohnt ständig regnet?«

»Ah, Anthony, es wird doch auch etwas Interessantes passiert sein.« Sie schlug ihm gegen die Brust und löste sich aus seinen Armen. »London kann nicht langweiliger sein als das dumme Pensionat, oder was meinst du, Alina?«

Alina zuckte zusammen und riss die Augen auf. Jene des Hausherrn richteten sich unglücklicherweise ebenfalls auf sie, und Alina fehlten die Worte. Die Geschwister besaßen fast identische, strahlend grüne Augen. Nur, dass seine nicht mit Gillians Fröhlichkeit funkelten. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem gesamten Leib aus und machten es unmöglich, ein Wort über die Lippen zu bekommen.

»Miss Wright«, grüßte der Earl gemessen. Er neigte den Kopf. Er hatte sich nicht verändert, sondern sah noch genau so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte - und wie er in ihren weniger angsteinflößenden Träumen erschien. Sie verscheuchte den Gedanken an eben diese unschicklichen Träume schnell und knickste, wobei sie den Blick wieder auf den Boden senkte.

»Lord Winchester, wie geht es Ihnen?«, krächzte sie leise.

Es blieb einen erschreckenden Moment still, in dem Alina sich panisch fragte, ob sie etwas falsch gemacht hatte. Aber ihr Knicks und ihre Tonlage waren mehr als angemessen gewesen, dessen war sie sich hundertprozentig sicher. Nun, vielleicht war ihre Stimme etwas zu rau durch ihre Nervosität, aber das hatte ein Gentleman zu übergehen.

»Gillian, ich bin erschüttert.«

Alina gefror innerlich und riss die Augen auf. Da hatte sie es. Sie waren keine zehn Minuten in Richmond House und schon hatte sie ihren Gastgeber brüskiert. Wenn er ihren Aufenthalt nun nicht mehr billigte, musste sie zurück ins Pensionat, wobei es fraglich war, ob man sie dort aufnähme. Schließlich war sie nicht informiert, wie lange sie beschult werden oder was nach Ablauf jener Zeit geschehen sollte.

»Ich bin davon ausgegangen, dass Seine Lordschaft schlicht das falsche Pensionat wählte, eines, in dem junge Damen womöglich nicht passend erzogen werden, aber nun kommen mir ernstlich Zweifel.«

»So?« Gillian gluckste. Sie hing noch immer am Arm ihres Bruders und sah schelmisch zu ihm auf. »Ich weiß nicht, was du meinst!«

»Miss Wright mag als Vergleich herhalten und bestätigt meine ärgsten Befürchtungen.«

Alina runzelte die Stirn. Winchester grinste seine Schwester an, was im Widerspruch zu dem Tadel in seiner Stimme stand.

»Du bist eine Range.«

Gillian lachte herzhaft. Sie hielt sich undamenhaft den Bauch und versteckte ihre Belustigung nicht einmal ansatzweise. »Und du liebst mich so!«

Alina räusperte sich leise. Vielleicht war es an der Zeit, Gillian zu zügeln, und dies gelang am unauffälligsten mittels einer geschickten Ablenkung. »Ich möchte nicht vermessen klingen, Mylord, Lady Gillian, aber wäre es nicht Zeit für den Tee?«

Gillian schnaubte. »Tee! Wie wäre es mit Ratafia?«

Sie ließ Winchester stehen, eilte zu einem großen Globus und klappte ihn auf.

»Lady Gillian, Tee«, beharrte Alina steif. Ihre Augen heftete sie fest an die Freundin, als könne sie jene mit bloßem Willen bezwingen.

»Ich muss Miss Wright bestärken, Gillian. Es gibt keinen Likör für vorlaute, kleine Rangen.« Winchester war seiner Schwester gefolgt und schloss den Globus wieder. »Wir nehmen den Tee im Salon. Hast du Mutter bereits begrüßt? Sie wird sicherlich außer sich sein vor Freude.«

Gillian seufzte, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Winchester einen Kuss auf die Wange. »Also schön, aber ich erwarte deine Gesellschaft. Es gibt Dinge, die wir besprechen müssen.«

»Die gibt es in der Tat«, bestätigte er leise. Sein Blick glitt bei der Feststellung unangenehmerweise über Alina, wodurch sie sich noch unbehaglicher fühlte. Schnell sah sie fort, bevor er bei ihren Augen anlangen konnte. »Aber es drängt nichts zur Eile.«

Der Drang, seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, obwohl Alina sie gar nicht ertrug, nahm überhand. Nur gut, dass sie einen Grund fand, ihn anzusprechen. Wieder räusperte sie sich, weil sie das Gefühl hatte, ihre Stimme versage ansonsten. »Mylord, ich möchte die Gelegenheit nutzen und Ihnen für die Einladung danken.« Zwar verbrachte sie häufig die Schließzeit des Internats bei Gillian, aber bisher waren es auch Besuche auf dem Landgut der Familie gewesen und sie lediglich ein kleines Mädchen, dem man nicht weiter Beachtung schenken musste. Mit Gillians Debüt in der feinen Gesellschaft änderte sich alles. Er musste Alina zur Kenntnis nehmen, sie am Dinnertisch unterhalten - oder eher: sie ihn, und dies mit allem gebührenden Respekt.

»Einladung?«, fragte er sogleich.

Alina sackte der Magen ab. »Die Schließzeit des Pensionats hier zu verbringen«, hauchte sie voller Entsetzen. Hatte Gillian gar nicht gefragt? War sie uneingeladen hier und drängte sich in das familiäre Wiedersehen? Das sah Gillian leider nur zu ähnlich!

»Oh.« Winchester verengte die Augen. »Das ist doch selbstverständlich.«

Alina unterdrückte gerade noch ein Gurgeln. Er hatte es in der Tat nicht gewusst! Sie schoss einen verzweifelten Blick auf Gillian ab, die sich froh gelaunt an den Arm ihres Bruders hängte und ihr Ungemach einfach überging.

»Anthony? Wollten wir nicht Tee trinken? Du kannst uns mit Anekdoten von der Tristesse unseres Daseins ablenken.«

Alina betete inbrünstig, dass es nicht dazu käme, und seufzte erleichtert, als der Earl sacht den Kopf schüttelte. Zwar wollte sie seine Gesellschaft, aber momentan schienen es ihre Nerven nicht zu verkraften. Uneingeladen! Wie sollte sie ihm je wieder unter die Augen treten?

»Ich komme nach«, versprach er. Winchester löste die Finger der Schwester von seinem Arm und drückte sie noch einmal liebevoll. »Ich muss gestehen, ich kann Mutters Art nur schwer ertragen.« Winchester zwinkerte Gillian vertraut zu. Alina klappte beinahe der Mund auf. Welch unerhört offene Worte! Offenbar hatte nicht nur die Freundin ein Problem damit, die Etikette zu wahren. Natürlich war es nicht völlig neu für sie, aber bei ihren vergangenen Besuchen hatte sie die Gesellschaft des Earls zumeist gemieden.

Gillian lachte auf. »Eben darum sollst du uns begleiten. Sie ist weniger anstrengend, wenn sie ihre Aufmerksamkeit teilen muss!«

Alina schloss die Augen. Sie konnte sich glücklich schätzen, sich keine Saison leisten zu können. Sie wäre an Gillians Seite ohnehin zu einem Desaster geworden.

»Ist Ihnen nicht wohl, Miss Wright?«, erkundigte sich der Hausherr. Seine tiefe, warme Stimme klang unerhört intim.

Alina schrak zusammen und sah zu Winchester auf, der mit Gillian zu ihr getreten war.

»Oh nein, nicht du auch noch!«, klagte die Freundin und wedelte mit dem ausgestreckten Zeigefinger vor ihrer Nase herum. »Auf keinem Fall! Du wirst mich nicht auch noch so schmählich im Stich lassen wie mein nutzloser Bruder!«

»Achtung, Gil«, warnte Winchester sogleich und sorgte bei Alina für Atemnot. »Dieser nutzlose Kerl zahlt deine Rechnungen.« Er zwinkerte Alina zu, mit einem Lächeln, das ihr die Füße wegzog. Sie schwankte, hob die Hand, um sie an die Stirn zu legen, und schloss die Lider.

»Alina!«

Es war aber nicht die erschrockene Freundin, die sie abfing. Winchester zog sie an seine Brust und nahm sie in einer fließenden Bewegung auf, um sie viel zu schnell wieder abzulegen. Trotzdem meinte sie, ihn noch viel länger zu spüren. Alina stöhnte leise. Kühle Luft fächelte gegen ihre erhitzten Wangen.

»Du hast ihr die Besinnung geraubt mit deinem unmöglichen Benehmen«, stellte er belustigt fest. »Ich muss dich tatsächlich zu Mutter begleiten, oder sie wird dein nächstes Opfer sein!«

Es klackte, Gillian schnalzte und Winchester rief: »Au! Herrje, lernt man das in einem Pensionat? Gentlemen mit einem Fächer zu verdreschen?«

Alina blinzelte, nicht sicher, ob sie nicht lieber vermeintlich besinnungslos bleiben wollte. Gillian fächelte ihr wieder Luft zu.

»Also, Alina, ich kann nicht nachvollziehen, wie man bei Anthony weiche Knie bekommen kann.«

Alina quietschte entsetzt. Wie konnte Gillian so etwas immens Kompromittierendes von sich geben? Und dies im Beisein des Herrn!

»Offenkundig besitzt Miss Wright einen erlesenen Geschmack.« Seine Stimme klang trotz der Schmähung belustigt. Er reichte ihr über die Lehne des Ottomanen hinweg ein Glas mit brauner Flüssigkeit. »Das werden Sie brauchen, Miss Wright.«

Da ihr Hals tatsächlich wahnsinnig trocken war, nahm sie ihm das Glas ab und stürzte den Inhalt wenig damenhaft in einem Zug hinunter. Sie bereute es umgehend. Ihre Kehle brannte und sie keuchte verzweifelt nach Atem.

»Langsam!« Die Warnung kam bei Weitem zu spät! Er zog sie hoch, sodass sie zum Sitzen kam, und schlug ihr auf den Rücken. Alina riss die Augen auf und vergaß schlicht, dass sie atmen musste.

»Besser?«, fragte er viel zu nahe an ihrem Ohr. Sein Atem strich über ihre Haut und setzte eine Locke in Bewegung. Es kitzelte und bewirkte einen Schauer, der sie sichtlich beben ließ.

Sie nickte schnell - sprechen konnte sie nicht - bevor sie kraftlos zurück in die Kissen sackte. Dieser Urlaub mochte gut und gerne ihr Ende sein. Warum musste sich Winchester auch einfinden? Sie hatte sich das alles anders vorgestellt. Weniger peinlich und wesentlich schicklicher. Herrje, sie war keine halbe Stunde in Richmond House und war dem Hausherrn bereits in die Arme gesunken und war - dank Gillians unbedachter Worte - in eine unhaltbare Situation gebracht worden. Wenn Winchester nun glaubte, sie hätte eine Neigung für ihn? Wie sollte sie ihm je in die Augen blicken, ohne daran zu denken, was er von ihr halten mochte?

»Herrje, Alina, du wirst dich doch jetzt nicht entschuldigen wollen?«, lenkte Gillian sie von ihren düsteren Gedanken ab. Die Freundin nahm ihr das Glas ab und drückte ihr stattdessen den Fächer in die Hand. »Du musst Mutter begrüßen.«

Alina stöhnte innerlich. »Natürlich«, krächzte sie. »Ich bin mir meiner Pflichten bewusst.« Vorsichtig setzte sie sich erneut auf und bemerkte dabei, dass ihr Rock unschicklich weit hochgerutscht war. Peinlich berührt schlug sie den Saum über ihre Knöchel und wagte nicht, in Lord Winchesters Richtung zu sehen.

»Darf ich Ihnen meine Unterstützung anbieten, Miss Wright?«, erkundigte sich Winchester, wobei er um den Ottomanen herumkam, um ihr den Arm zu reichen. Sie schloss kurz die Augen. Auch das noch!

Aber schaffte sie es tatsächlich ohne Zwischenfall auf eigenen Füßen? Sie war sich dessen nicht so sicher.

Alina hob die Lider und murmelte dünn: »Das wäre zu freundlich, Mylord.« Er zog sie auf die Füße. Ihre Hand wurde auf seinem Arm abgelegt und er bot Gillian die zweite Ellenbeuge an, um ihre Hand dort abzulegen, sodass er sie beide zugleich aus dem Raum führen konnte.

»Das verschweigen wir Maman besser, meinst du nicht?«, schlug Gillian im Flur vor. Ihr nachdenklicher Blick flog von Alina zu ihrem Bruder.

»Überdenke dies, Gil«, widersprach Winchester und grinste breit. Gillians Lippen formten ein ganz ähnliches Lächeln.

»Du Fuchs!«

»Ich konnte mich nicht in einem Pensionat verstecken, Gil, und leider tendiert sie dazu, mir Billetts in den Club zu schicken und unerwartet gerade da aufzutauchen, wo ich den Abend zu verbringen gedenke«, offenbarte er schmunzelnd, obwohl ein Hauch Bitterkeit seine Worte begleitete.

Gillian lachte auf und der Klang durchdrang mühelos die breite Halle von Richmond House. »Du musst wahnsinnig froh sein, dass wir Mamans Aufmerksamkeit in den nächsten Wochen zerstreuen werden.«

»Monaten, meine Liebe, so ich dich je wieder aus dem Haus lasse!«, griff Winchester fröhlich auf. Das Geplänkel der Geschwister ließ Alina sich völlig allein auf der Welt vorkommen.

Gillian kicherte, als sie die Treppe überwanden. »Du wirst es gar nicht erwarten können, mich loszuwerden.«

»Drohst du mir, Range? Vergiss bitte nicht …«

»… wer meine Rechnungen zahlt«, beendete Gillian mit einem weiteren Heiterkeitsausbruch Lord Winchesters Satz. »Hast du bedacht, auf welch unangenehme Ideen ich Maman bringen könnte?«

Er nahm die Herausforderung an. »Die da wären?« Seine Belustigung zeigte sich in seinen glitzernden Augen und den noch immer gehobenen Mundwinkeln.

»Nun, liebster Bruder. Einziger noch lebender Bruder …«

Winchester blieb überraschend stehen und Alina wäre beinahe gestürzt, hätte er sie nicht so fest im Griff gehabt. »Ich warne dich, Gillian, da hört der Spaß auf.« Alina sah erschrocken zu ihm auf. Seine grünen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Komm nicht einmal auf die Idee, etwas in der Art anzudeuten!« Seine Lippen pressten sich zu einem unbeugsamen Strich zusammen.

Alina rollte ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Sie zog die Hand zurück und machte ihn damit auf sie aufmerksam. Sein harter Blick glitt an ihr herab und kehrte mit einer Warnung in den grünen Untiefen in ihr Gesicht zurück.

»Sie sind erneut ziemlich blass, Miss Wright, vielleicht sollten Sie die Begrüßung Lady Winchesters aufschieben.« Noch immer lag der drohende Klang von zuvor in seiner Stimme, was sie dermaßen einschüchterte, dass sie liebend gern zugestimmt hätte. Allerdings …

Alina krampfte die Finger in ihr Täschchen. Es kostete sie immense Kraft, seinen grünen, Blitze verschleudernden Augen zu begegnen und ihren Widerspruch über die trockenen Lippen zu bekommen. »Das wäre nicht angemessen, Mylord.«

»Wie Sie meinen.« Er hielt ihr die Hand entgegen. »Wollen wir unseren Weg dann fortsetzen?«

»Du weißt schon, Anthony, dass du dem nicht ewig ausweichen kannst?«

Alina stöhnte entsetzt und leider auch viel zu laut. Winchesters brennender Blick schwang erneut von seiner vorlauten Schwester zu ihr. Und dieses Mal hatte sie nicht mehr die Kraft, ihm standzuhalten.

Als sie dieses Mal die Augen aufschlug, war sie unglücklicherweise noch immer nicht allein. Und, was schlimmer wog, sie lag nicht auf einer Couch.

»Also, ich glaube, ich lasse Alina umquartieren. So nah bei dir kann für keinen von uns sinnvoll sein.« Seine tiefe Stimme vibrierte in seiner Brust und es übertrug sich auf sie. Schließlich lag sie einmal mehr in seinen Armen. Welch schmähliches Bild einer Dame sie abgab!

Gillian lachte auf. »Versuche es, Erfolg wirst du keinen verbuchen. Du kannst uns nicht trennen, ganz gleich, wo du sie unterbringst.«

»Gil? Danke.«

Alina konnte nur ahnen, dass Winchester seine Schwester bat, ihnen die Tür zu öffnen. Denn im nächsten Moment fiel Alina strahlendes Sonnenlicht ins Gesicht und sie drehte leicht den Kopf. Ihre Nase berührte warme Haut und sie sog erschreckt den Atem ein. Das Aroma, das ihr dabei in die Nase stieg, ließ sie zurückzucken. Sie riss die Lider auf und keuchte.

»Ich lege Sie augenblicklich ab, Miss Wright«, versicherte Winchester beruhigend und beugte sich auch schon vor, um sie auf einem Bett zu platzieren. Er richtete sich auf und bemerkte offensichtlich ihren erschreckten Blick, denn er beeilte sich zu versichern: »Es tut mir leid, Ihnen zu nahe getreten zu sein, Miss Wright, leider blieb mir erneut keine Wahl.«

Alina keuchte. Eine Schelte, weil sie ihre Nerven nicht im Griff hatte und er sich gezwungen sah, ihr beizustehen? »Mylord«, haspelte sie und setzte sich dabei auf. »Es dauert mich sehr, dass Sie sich gezwungen sahen …«

»Schon gut.« Ein Grinsen zuckte über seine Lippen und er fing ihren Blick ein. »Es wird wohl nicht das letzte Mal bleiben.« Er zwinkerte ihr zu und Alina fehlte vor Entsetzen der Atem. »Nun, Gillian, mir scheint, als blieben nur wir zwei, um Maman gegenüberzutreten.«

Alina sah zu Gillian. Die hatte sich ans Fußende gesetzt und runzelte die Stirn. »Wie unwohl ist dir denn, Alina?«

»Sie sollte im Bett bleiben«, wies Winchester an. »Zwei Ohnmachtsanfälle in weniger als einer Stunde. Lady Winchester wird dies nur zu gut nachvollziehen können.«

Gillian kicherte unangebrachterweise. »Vermutlich, aber Alina wird sich den Rest des Tages Vorwürfe machen, wenn sie Maman nicht angemessen begrüßt.« Sie grinste breit zu ihrem Bruder auf. »Sie ist vernarrt in Konventionen.« Sie zwinkerte und Alina sah ein, dass sie Winchester besser als eine männliche Version von Gillian ansah. Zumindest in der Art und Weise, wie sie mit anderen umgingen. Vielleicht ersparte es ihr weitere peinliche Ohnmachtsanfälle?

»Meinst du, wir können Maman herbitten und den Tee hier nehmen?«

Alina quiekte entsetzt. »Gillian, das ist absolut vermessen!« Zumal, wenn seine Lordschaft ihnen Gesellschaft leisten sollte. Ein Herr in ihrem Schlafzimmer! Sie sackte zurück auf die Matratze und schloss die Augen. »Oh, Herr im Himmel«, murmelte sie mit geschlossenen Augen. Ein Segen, dass sie keine Saison an Gillians Seite durchstehen und damit auch die Gesellschaft Winchesters nicht allzu oft genießen müsste. Schade auch, aber sicherlich gesünder für ihre Nerven.

»Alina?« Gillians Hand legte sich leicht an Alinas Stirn. »Herrje, es muss dir fürchterlich ergehen, wenn du nun schon wieder …«

»Gillian!«, fiepte sie schnell. »Es ginge mir erheblich besser, wenn du weniger unbesonnen wärest!«

Gillian verdrehte die Augen. »In deinem Salon, Alina, nicht an deinem Bett.« Sie schüttelte tadelnd den Kopf. »Alina, dir muss doch klar sein, dass sich Anthony nicht in deinem Schlafzimmer aufhalten kann.«

Alina klappte empört der Mund auf. Winchester lachte.

»Du hast ja doch was gelernt«, zog er sie auf. »Also, ich warte dann auf Mamans Ersuchen, mich in Miss Wrights Salon einzufinden. Um den Anstand zu wahren.«

Er verbeugte sich angedeutet vor ihr, was absolut unnötig war bei dem gesellschaftlichen Gefälle zwischen ihnen. Alina hatte das Gefühl, ihn aufhalten zu müssen, und rief: »Mylord!« Dann wurde ihr klar, wie unsinnig der Impuls war. Hitze schoss ihr ins Gesicht und sie musste den Blick senken. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Mylord.«

Anthony Gilbert Gene Gregory Richmond, sechster Earl of Winchester, zog es nicht wirklich zurück in den zweiten Stock. Weder in die Gesellschaft seiner Mutter noch in die der Schwester oder Miss Wrights, aber er sah ein, dass er sich familiären Zusammenkünften nicht ständig entziehen konnte. Schon gar nicht im kommenden Jahr. Gillians Debüt und ihre Verehelichung waren sein Problem und er widmete sich dem lieber, bevor es zu einem unangenehmen wurde. Dann nämlich, wenn seine Mutter nicht genug Sorgfalt an den Tag legte oder Gillian sich mit ihrer frechen Art unmöglich gemacht hatte. Er konnte sich beileibe nicht vorstellen, zukünftig beide um die Ohren zu haben. Ständig.

Und dann war da noch Miss Wright, über die er sich Gedanken machen musste. Ein weiteres unangenehmes Thema, aber unabdinglich.

Als er die Tür öffnete, begrüßte ihn Alinas sanfte Stimme. »So ist es wohl, Mylady. Lady Gillian hat ein gutes Verständnis für …«

Sie brach ab, als sich ihrer aller Aufmerksamkeit auf ihn legte. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, bevor sie sich eilig abwandte. Sie hatte tiefblaue Augen, die ihn früher nicht immer angesehen hatten, als befürchtete sie Unbill von ihm.

»Ah! Winchester, mein Lieber!« Lady Winchester forderte schrill seine Aufmerksamkeit ein. »Ist es nicht herrlich, unsere liebe Gillian und die reizende Alina wieder bei uns zu haben?«

Anthony sparte sich den Zuspruch.

»Du wirst es nicht glauben, wie wohlgesittet Gillian sich zu benehmen weiß. Oh, es ist ein Wunder! Und sicherlich auf den mäßigenden Einfluss Alinas zurückzuführen. Das liebe Kind!« Sie strahlte kurz zu Miss Wright hinüber, bevor sie sich wieder auf ihn konzentrierte. Damit erwies sich die Ablenkungstaktik als misslungen. »Es wird mir so eine Freude bereiten, euch beide bei mir zu haben!« Sie rutschte auf dem Kanapee zur Seite und klopfte auf das Kissen. »Setz dich doch, Winchester. Alina berichtete gerade von Gillians Fertigkeiten.«

Alina erbleichte, schließlich hatte sie bisher direkt neben der Countess gesessen und wäre nun sein Nachbar, so er sich zwischen die Ladys quetschte. Anthony wollte sicherlich keine weitere Ohnmacht provozieren, also nahm er den Stuhl neben Gillian.

»Fertigkeiten?«, nahm er den Faden auf, um den Monolog der Mutter abzuwürgen. »Von denen lasse ich mir gern berichten. Also schön, Miss Wright, welche Fertigkeiten weist Gillian denn auf?«

Alina senkte den Blick auf ihren Schoß. Die Antwort blieb sie ihm schuldig, also zählte Anthony auf: »Sie weiß zu laufen, dass ihre Röcke nur so fliegen. Sie kennt sich mit dem Gebrauch ihres Fächers aus, um Gentlemen zu verdreschen. Sie …«

»Das ist doch Unsinn, Mylord!« Alina riss entsetzt die Augen auf und ruderte direkt zurück. »Verzeihung, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Bitte fahren Sie doch fort.«

Anthony stockte. Da lag etwas Vertrautes in ihrem Blick. Und er sprach nicht von ihrer Furcht, die ihm tatsächlich vertraut war.

»Das ist wahrlich Unsinn, Winchester«, übernahm Lady Winchester und legte auch gleich dar, inwiefern seine Aufzählung unsinnig war. Gillian lachte vergnügt, aber Anthony blieb gebannt. Ihr Einwand war fest und sicher gewesen. Selbstbewusst. Und damit stand er im Gegensatz zu ihrem üblichen Benehmen. Seit Jahren war sie schreckhaft, verschüchtert und in sich gekehrt. Nun, es hatte auch Jahre gebraucht, bis sie nach ihrem Unfall wieder ein Wort über die Lippen gebracht hatte.

Kapitel 2

Richmond House, London, zwei Tage später

Alina zerknitterte das Billett in ihren Fingern. Es war eine Nachricht ihres Cousins, die sie ziemlich verunsicherte, und deswegen suchte sie Gillians Rat. Auch wenn die Ratschläge der Freundin gewöhnlich nicht hilfreich waren, tat es gut, die Gedanken auszutauschen. Sie setzte sich zu Gillian, die fröhlich in einem Magazin blätterte.

»Oh, schau mal, diese Zeichnung ist doch göttlich!«

Alina warf pflichtschuldig einen Blick auf das Abendkleid und runzelte die Stirn. »Der Saum schließt nicht mit dem Boden ab.« Was schlicht skandalös wäre.

»Herrlich, nicht wahr? Wir wären sicherlich das Gesprächsthema!«

Was unabdinglich zu vermeiden wäre! Alina schüttelte den Kopf. »Du sollst mit deinem Benehmen und deiner Eleganz Aufsehen erregen, nicht mit skandalösen Kleidern!«

Gillian kicherte. »Ach, Alina, stell dir doch den Ballsaal vor, mit Hunderten hübschen, jungen Damen aus gutem Hause, die alle versuchen, sich einen Ehemann zu angeln, indem sie lieblich und wohlerzogen tun.« Ihre grünen Augen strahlten vergnügt. »Wie hervorstechend werde ich da sein!«

Alina seufzte leise. Sollte sie erneut darauf hinweisen, wie wenig angebracht es war, hervorzustechen?

»Mach nicht so ein Gesicht, Alina«, mahnte Gillian und legte das Heft zur Seite. »Ich nehme an, du möchtest den Tee mit Lady Winchester nun einnehmen?« Sie seufzte schwer. »Ich bewundere deine Gelassenheit.« Sie stand auf und schüttelte ihre Röcke aus. »Auf Törtchen sollte ich dabei verzichten.« Sie zwinkerte. »So sehr ich Mrs Cook verehre, sie mästet mich und dann passe ich in keines meiner Kleider mehr.« Sie kicherte. »Armer Anthony, er wird mir dann neue kaufen müssen.«

Alina seufzte und griff nach der Hand der Freundin. »Bitte, hast du noch einen Moment für mich?«

Gillian wurde augenblicklich ernst. »Aber natürlich.« Schnell nahm sie wieder Platz. »Es ist gar nicht das Kleid, was dich bekümmert.«

Alina schüttelte leicht den Kopf. »Nein. Ich …« Sie hob die freie Hand mit dem Billett. »Lord Leichester.« Sie runzelte die Stirn. »Er bittet um eine Unterredung.« Wobei eine Bitte eine Absage ermöglichte, Leichester befand sich womöglich aber bereits auf dem Weg.

»Leichester? Nanu.«

»Vermutlich wird es ein Gespräch über meine Zukunft.«

Gillian riss die Augen auf. »Was hat er denn damit zu tun?«, fragte sie und schüttelte nun ihrerseits den Kopf, allerdings wesentlich kräftiger. Ihr schwarzes Haar geriet dabei in Bewegung, dass ihre Locken nur so schwangen.

»Er ist doch mein Cousin«, erklärte Alina niedergeschlagen. »Der Neffe meines Vaters und nun nicht nur der Earl of Leichester, sondern auch mein Vormund.« Sie senkte den Blick auf das Schreiben und verlor an Mut. Ihre Schultern sackten herab, bis ihr in den Sinn kam, dass eine Dame stets Haltung bewahrte. Sie richtete sich auf.

»Dein Vormund? Na, die Aufgabe erfüllt er nicht gerade vorbildlich!«, murrte Gillian und runzelte die Stirn. Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Hm.«

»Vermutlich ist ihm dies auch aufgefallen.« Das klang wohl ebenfalls nach einer Beschwerde, also fuhr sie fort: »Es ist auch eigentümlich, als Gentleman mit weiblichem Tand belästigt zu werden, und meine Apanage hat er immer pünktlich angewiesen.« Alina strich das Büttenpapier glatt, wobei ihre Finger über das Wappen glitten. Das Wappen ihrer Familie. Sie schloss die Augen, den Siegelring ihres Vaters vor Augen. Er hatte stets ihr Interesse eingefangen und nicht selten hatte sie mit ihm gespielt, während ihr Vater seine Korrespondenz erledigt hatte. Der Hals wurde ihr eng und sie riss die Augen wieder auf, verwirrt über die Erinnerung.

»Alina?« Gillian rückte näher und legte den Arm um sie. »Jetzt mach dir keine Sorgen«, murmelte sie und zog Alina an sich. »Anthony regelt alles. Du brauchst dich nicht zu fürchten.«

»Vielleicht ist er nicht einverstanden mit meinem Aufenthalt bei euch.« Eine Möglichkeit, schließlich befand sich ein Junggeselle im selben Haus. »Oder er hat bereits Pläne, meine Zukunft betreffend.« Eine schauderhafte Vorstellung. Alina zog die Schultern hoch. »Vielleicht wird er mir auch die finanzielle Unterstützung streichen.« Was ebenfalls ein Desaster wäre. Sie hob die Hände ans Gesicht und versteckte sich dahinter. Besser sie hörte auf, nach Gründen für Leichesters Besuch zu suchen.

»Das kann er gar nicht«, stellte Gillian fest, aber es beruhigte Alina nicht. Kein Mann war gezwungen, seine weiblichen Familienangehörigen auszuhalten. »Deine Apanage …«

Es klopfte und Gillian brach ab. Hopkins, der Butler von Richmond House, trat ein, verbeugte sich und verkündete tragend: »Seine Lordschaft, der Earl of Leichester, erbittet die Vorsprache Miss Wrights.«

Alina zog es den Hals zu. Zumindest konnte sie das Spekulieren einstellen. Sehr bald würde sie wissen, woran sie war. Sie erhob sich mit weichen Knien und warf noch einen Blick auf die Freundin zurück, die recht nachdenklich dreinsah.

Alina folgte Hopkins zum chinesischen Salon und bedankte sich leise dafür, dass er ihr die Tür aufhielt. Mit stechendem Herzen trat sie ein.

Leichester drehte sich vom Fenster fort, an dem er gestanden hatte, und ging auf Alina zu, um ihr einen Handkuss zu geben. Sie musterte ihn scheu. Ihr einziger noch lebender naher Verwandter. Und sie wusste nicht so recht, ob ihr der mittelgroße, massige Mann mit der fleischigen Knollennase, den trübblauen, stechenden Augen, die er nicht richtig zu öffnen schien, und den blonden, schütteren Haaren sympathisch war.

Auch er musterte sie aufmerksam. »Alina, meine Liebe, es betrübt mich, dass du nicht bei mir in Leichester House residierst. Du ahnst gar nicht, wie sehr ich mich über deine Gesellschaft freuen würde.« Seine äußerst schmalen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Es wirkte bei Weitem nicht fröhlich, eher schon gezwungen. Alina hielt erschrocken den Atem an. Sie hatte es ja befürchtet!

»Ich bitte um Vergebung, Mylord, aber Lady Gillian lud mich ein, die Saison bei ihr zu verbringen, und von Ihnen habe ich lange Zeit nichts gehört.« Trotz ihrer halbjährlichen Anfrage, wie mit ihr zu den Schließzeiten zu verfahren sei. Sie stoppte ihren Gedanken und fuhr zurück. Das war beleidigend gewesen! Sie hatte ihn einer Verfehlung bezichtigt! Sie versuchte sich an einem freundlichen Lächeln, das ihre Worte abmildern sollte. »Ich war gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, und da kam mir Lady Gillians Bitte sehr gelegen.«

Seine Augen verengten sich leicht, obwohl die Lippen im Lächeln verblieben. Sonderbar. »Natürlich, meine Liebe, verzeih mein Versäumnis. Ich muss gestehen, dass ich von deinen Anfragen stets etwas verwundert bin.«

Alina atmete erleichtert aus. »Selbstverständlich, Mylord.« Sie stockte, weil sich ihr sogleich eine Frage aufdrängte, die zu stellen gewiss vermessen wäre. Mit einem zittrigen Räuspern rang sie sich doch dazu durch. »Darf ich fragen, inwiefern verwundert?«

Seine Augen wurden noch kleiner.

»Als mein Vormund obliegt es Ihnen, über meinen Aufenthaltsort zu bestimmen«, haspelte sie als Erklärung für ihre Impertinenz.

Seine Lippen wellten sich.

»Und über meine Zukunft.« Alina krampfte die Finger umeinander.

»Richtig«, murmelte er. »Dann bitte ich für mein Versäumnis um Vergebung.«

Alina gewährte es und räusperte sich. »Nun, Mylord, darf ich Ihnen etwas anbieten? Es ist noch zu früh für den Tee, aber …«

»Danke, meine Liebe, aber ich möchte deine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.«

Sie sah irritiert zu ihm auf. »Wie meinen?«

»Ich wollte dir lediglich kurz meine Referenz erweisen, bin in diesem Hause aber nicht wohlgelitten.« Wieder wellten sich seine Lippen und Alina runzelte die Stirn. Es war eine überaus merkwürdige Begegnung.

»Ich fürchte, ich verstehe nicht, Mylord.«

»Winchester und ich stehen auf keinem freundschaftlichen Fuße. Sei also nicht verwundert, wenn du Abträgliches über mich hörst.« Er grinste knapp und hielt ihr die Hand hin. Sie hob ihre automatisch und überließ sie ihm für seinen Handkuss.

»Abträgliches?«

Er ging nicht drauf ein. »Du solltest dich auf die Saison vorbereiten. Wir sehen uns dann häufiger.«

Alina klappte der Mund auf. »Wie meinen?«, hauchte sie und wusste nicht, ob sie eine Bestätigung hören wollte.

»Über alles Weitere sprechen wir, wenn es so weit ist.«

Alina sank in den Knicks und starrte ihm nach. Saison! Ihr Herz begann zu poltern und sie setzte sich schnell auf das Kanapee. Sie bekam eine Saison! Sie lachte auf und erstickte den Laut. Sie mahnte sich, nichts zu überstürzen. Noch stand die Möglichkeit lediglich im Raum. Aber eine Saison! Kleider, Nächte voller Tanz und anregender Unterhaltung! Und all dies in Begleitung ihrer liebsten Freundin. Gab es etwas, was berauschender war als diese Vorstellung?

Alina kicherte. Dann fiel ihr ein, was Sinn und Zweck einer Saison war, und die Aufregung wandelte sich. Wenn sie nun niemandem gefiel? Wenn sie nun niemanden fand, der sie heiratete?

Anthony schob Castlereaghs Schreiben unter einen Haufen anderer Papiere, als die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufgestoßen wurde. »Gil.« Wer auch sonst. Er unterdrückte ein Seufzen, denn die Schwester hielt ihn länger von Staatsangelegenheiten fort, als es wünschenswert war. »Setz dich doch.«

Gillian blieb vor seinem Schreibtisch stehen. »Anthony, wer ist Alinas Vormund?«

Er hatte mit einer Bitte um ein weiteres Kleid gerechnet, Mutters Juwelen oder an einer bestimmten Aktivität teilnehmen zu dürfen, aber nicht damit. Alarmiert setzte er sich auf. »Wie bitte?«

»Alinas Vormund! Wer bestimmt über sie?«

Das war heikel und kein Thema, das er mit seiner unbedarften Schwester besprechen wollte. »Gil, ich bin verwirrt. Warum ist das von Belang?«

»Sie denkt, es sei ihr Cousin, der Earl of Leichester.«

Anthony mahnte sich zur Ruhe. Er durfte nicht erwarten, klare Worte oder Gedanken von einem weiblichen Wesen zu hören. Eher schon Unzusammenhängendes getränkt in Emotionen. »Faktisch«, sagte er.

»Faktisch? Leichester ist ihr Vormund?«, verlangte sie die Bestätigung, wobei ihre Augen aufgeregt funkelten. »Sie hegt jede Menge Befürchtungen seinetwegen.«

Jetzt wurde es merkwürdig. »So?« Natürlich hatte Alina durchaus Grund, sich vor ihrem Cousin zu fürchten, aber davon sollte weder das Mädchen noch seine Schwester Kenntnis haben.

»Anthony!« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Es ist ernst.«

Anthony verengte die Augen. »Also gut. Alina hegt Befürchtungen welcher Art?«

»Dass Leichester ihren Aufenthalt bei uns missbilligt, er ihre Apanage streicht und solche Dinge«, zählte Gillian auf. »Aber ich dachte … Bist du denn nicht Alinas Vormund? Schließlich ist sie immer bei uns.«

»Nein.«

»Ach herrje!« Gillian wandte sich ab und lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Dann … könnte er sie mitnehmen? Wie schauderhaft! Sie kennt ihn doch gar nicht! Kein Wunder, dass sie so durch den Wind ist.«

Anthony umrundete den Tisch, um Gillian zum Kamin und der dort befindlichen Sitzgruppe zu führen. Sie nahm laut seufzend Platz. »Wenn ich bedenke, ich müsste nun zu ihm ziehen!« Sie schauderte sichtlich. »Und Alina ist doch so ängstlich.«

»Sie wird sicherlich nicht zu Leichester ziehen, Gillian.« Mit absoluter Sicherheit nicht.

»Aber wenn er doch …«

»Nur faktisch, Gil«, mahnte Anthony angestrengt ruhig. »Leichester wird sich nicht mit ihrer Obhut belasten.«

»Es ist seine Aufgabe!«, beharrte Gillian gewohnt widerspenstig.

»Die er sich aber nicht leisten kann«, erklärte Anthony daher gezwungenermaßen.

Gillians Augen weiteten sich. »Oh!« Sie legte die Hand an die Lippen. »Dann sind ihre Sorgen berechtigt! Er könnte ihr die Apanage streichen! Was wird aus ihr, wenn …«

Anthony schüttelte den Kopf. »Gil, er zahlt ihr keine Apanage.«

Sie klappte den Mund zu.

»Leichester, Alinas Vater, hat vorgesorgt. Sein Vermögen hinterließ er seiner Tochter.«

Gillian legte den Kopf schräg. »Vermögen?«

Anthony nickte.

»Aber … Sie hat keine Ahnung!«

»Selbstverständlich nicht.«

»Aber sie macht sich beständig Sorgen!«, hielt sie ihm vor.

»Dann spreche ich mit ihr«, lenkte Anthony ein, vorrangig jedoch, um die Schwester zu beruhigen. Wenn er sich an diesem Tag noch mit dem Schreiben des Innenministers befassen wollte, das unter dem Haufen anderer Papiere geduldig auf ihn wartete, musste er Gillian zunächst loswerden. »Ich muss ohnehin mit Alina über die Ausgaben für ihre Saison sprechen.«

»Du bezahlst ihre Saison?«

Anthony zuckte die Achseln, wollte es dann aber nicht so stehen lassen. Schließlich zahlte sie so gesehen selbst für ihre Ausgaben. »Der verstorbene Earl of Leichester hat unseren Vater als Vermögensverwalter eingesetzt. Ich habe die Verantwortung für Alina ebenso geerbt wie die für dich und Mutter.« Nur die halbe Wahrheit, aber mehr musste niemand sonst wissen.

Gillian lachte auf. »Na, herzlichen Glückwunsch!«

Anthony grinste. »Bisher war Alina die geringste meiner Sorgen.«

Wieder lachte Gillian auf. »Das wird sich ändern«, versprach sie. »Wenn Alina erst einmal erkennt, dass sie sich keine Anstellung als Gouvernante wird suchen müssen.«

»Gouvernante?«, hakte er amüsiert nach.

»Unsinnig, das sagte ich ihr auch.«

So abwegig war der Gedanke dann doch nicht, beschied Anthony für sich. Allerdings wollte er Gillian in Sicherheit wiegen, da waren Gespräche über das Unbill, welches jene jungen Frauen, die keine Verwandten hatten oder Vermögen, auszustehen hatten, nicht sonderlich hilfreich. Es blieb nur, es ins Lächerliche zu ziehen.

»Dabei sollten sich junge Damen doch nach einem Gatten sehnen und nicht nach einer Anstellung«, frotzelte er, um Gillian abzulenken.

Sie schnaubte. »Sprich mit ihr!«, mahnte sie und strahlte ihn dann an. »Bevor wir einkaufen gehen. Ich mag mir ihre Vorhaltungen nicht mehr anhören, mit meinem Geld nicht so unachtsam umzugehen.«

»Eine angebrachte Vorhaltung, bei all den Rechnungen, die bei mir eingehen«, griff Anthony auf, ohne zu hoffen, dass sich die Schwester darüber Gedanken machte.

Gillian zwinkerte ihm zu. »Ich hatte hin und wieder das Gefühl, unser Vater hatte eben dies im Sinn, als er uns gemeinsam auf das Pensionat schickte.«

»Dass sie einen mäßigenden Einfluss habe? Da hat er wohl zu große Hoffnungen in Alina gesetzt.«

Gillian schlug ihn spielerisch auf den Arm. »Du hast keine Ahnung, wie viel Geld sie dir einspart.«

Anthony machte ein entsetztes Gesicht, was Gillian erneut zum Lachen brachte. Sie stand auf.

»Also, sprich mit ihr. Ich möchte nicht um jedes Kleidungsstück feilschen müssen, das sie doch dringend benötigt. Es trübt ein wenig die Freude am Einkaufen!«

Anthony kam auch auf die Füße und versprach erneut, sich des Themas anzunehmen. Gillian rauschte aus dem Raum und ließ ihn mit sich allein.

Vielleicht sollte er die Höhe des Vermögens besser verschweigen, damit Alina nicht in einen ähnlichen Verschwendungsrausch verfiel wie Gillian. Andererseits war es wohl angeraten, sie zur Vorsicht zu ermahnen, denn im Allgemeinen waren die Erbvorgänge und Familienverhältnisse der Leichesters kein gehütetes Geheimnis. Genauso wenig wie Leichesters leere Kassen. Anthony seufzte schwer. Das wurde sicherlich kein angenehmes Gespräch, aber ein nötiges. Da er sich niemals auf Castlereaghs Billett konzentrieren konnte, bevor er Alina aus dem Kopf bekam, ließ er Hopkins kommen und schickte ihn aus, um Alina die Botschaft zu überbringen, er wolle sie sprechen.

Alina trat wenig später zögerlich in sein Arbeitszimmer und blieb an der Tür stehen. Schnell sah sie sich um und richtete ihre vorwurfsvollen Augen dann auf ihn. »Mylord?«

Ihre Stimme war dünn und zittrig. Er vermisste ihr Lachen. Anthony räusperte sich und deutete zur Sitzgruppe am Kamin. »Nehmen Sie bitte Platz, Miss Wright.«

Alinas Augen wurden tellerrund. »Mylord? Wird … Lady Gillian oder Lady Winchester in Bälde zu uns stoßen?«

Daher wehte also der Wind. Er schüttelte den Kopf und sie wurde blass. Ihre Finger verhakten sich vor ihrem Bauch. »Dann sollte zumindest eine Magd anwesend sein.« Sie runzelte die Stirn und senkte ihren Blick auf den Teppich zu ihren Füßen.

»Das wäre der Angelegenheit nicht dienlich«, beschied er und sorgte für Bestürzung. Sie schwankte und Anthony stürmte zu ihr, um sie im Fall der Fälle abzufangen.

»Miss Wright?«, fragte er mit kratziger Stimme und zog sie an sich. »Sie werden doch nicht wieder die Besinnung verlieren?« So käme es nicht allzu bald zu dem von Gillian gewünschten Gespräch. Und damit gäbe es Schwierigkeiten mit Alinas Ausstattung und ihrem Debüt. Womit er infolgedessen in Gefahr geriet, Alina noch im Hause zu haben, wenn Gillian längst verheiratet war. Er sah auf sie herab, teils ärgerlich, teils beunruhigt. Sie konnte nicht ohne adäquate Begleitung im Hause eines Junggesellen bleiben und seine Mutter wäre nur hinreichender Schutz, wenn Alina sein Mündel wäre, und das nicht nur im finanziellen Aspekt der Sache.

So hübsch sie war und so vermögend sie sein mochte, diese ständigen Ohnmachtsanfälle waren zutiefst enervierend, er konnte ein Lied davon singen. Seine eigene Mutter war das beste Beispiel dafür. Wer wollte sich schon mit einem solchen Weibe belasten?

Anthony schob sie schnell zum Kamin und drückte sie auf eine der Sitzgelegenheiten nieder. Auf einen Ohrensessel, aus dem man nicht so leicht herausfiel wie aus diesen lächerlichen Sesselchen, die neuerdings so modern waren. Trotzdem zog er sich nur langsam zurück, um sie im Notfall wieder abfangen zu können. Leider schien sie sich zu fangen. Rote Punkte glühten auf ihren Wangen und sie knetete die Finger in ihrem Schoß.

»Mylord«, wisperte sie. »Ich muss darauf dringen, dass wir diese Situation auflösen.«

»Natürlich«, murmelte er, bevor er begriff, was sie meinte. »Allerdings …« Er streckte die Hand nach ihr aus, als sie Anstalten machte, sich zu erheben. »… benötige ich wenige Augenblicke Ihrer Zeit.«

Ihre ängstlichen Augen legten sich auf ihn und er starrte sie an. Sie hatte schlicht riesige Augen, von einem tiefen Blauton. Dunkle Punkte tanzten in ihnen. Er klappte den Mund wieder zu. Ein Runzeln flog über ihre Stirn.

»Mylord?«, hauchte sie.

Anty. Früher war es Anty gewesen, weil sie Anthony nicht hatte aussprechen können. Dann war es zu diesem unseligen Unfall und dem Tode des alten Leichester gekommen und aus Anty war Stille geworden. Drei Jahre lang hatte sie nicht ein Wort verloren. Zumindest nicht ihm oder der Gouvernante gegenüber.

Anthony ballte die Hände und senkte den Blick. Da war Mylord wohl ein Fortschritt.

»Gillian bat mich, mit Ihnen über den finanziellen Aspekt Ihrer …« Er brach ab, denn ihre Wangen wurden plötzlich wieder blass.

»Oh, ich«, wisperte sie kaum vernehmbar, »bin mir sicher …«

»Sie müssten angemessen gekleidet sein.«

Sie hielt den Atem an und sah an sich herab.

»Für die Tochter eines Earls, dies hätte Ihr Vater so gewollt.«

Ihre Schultern sackten ab und sie nickte.

»Ich werde mich um alles Nötige kümmern. Seien Sie sich nur gewiss, dass es Ihnen an nichts mangeln wird. Weder an Tand noch an Unterstützung.« Sie lief rot an, nur um im nächsten Moment wieder an Farbe zu verlieren. Anthony machte sich ernstlich Sorgen um ihr Wohl und streckte die Hand nach ihrer Wange aus. Sie war kühl und klamm, in der einen Sekunde, in der er sie berührte. In der nächsten war sie bereits zurückgezuckt.

»Mylord!«, quietschte sie.

»Verzeihung«, murmelte Anthony verwirrt. Es war nun wirklich keine unangemessene Annäherung gewesen. Nur eine flüchtige Berührung. Ihre Erschütterung war keinesfalls gerechtfertigt, dennoch zog er sich zurück und äußerte sogar eine Entschuldigung.

»Mylord«, wisperte sie, »darf ich mich nun zurückziehen?«

Wieder starrte er sie an. »Sie brauchen sich vor mir nicht zu fürchten, Alina.«

Ihr klappte der Mund auf und er haderte mit seiner Unbedachtheit. Miss Wright wäre die passende Ansprache gewesen, ganz gleich, wie lange sie sich bereits kannten. Korrigieren wollte er es dennoch nicht. Es war albern. Sie war so gut wie seine Schwester. Vielleicht eher eine Cousine. Eine entfernte Cousine. Anthony ballte die Hände. Demnächst sein Mündel. Die Aussicht entspannte ihn wieder.

Sein Mündel, da konnte er sie getrost mit dem Vornamen ansprechen. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Hervorragende Idee und sicherer war es auch noch. Es gab natürlich noch dieses unangenehme Problem: Leichester müsste von seinem Weisungsrecht zurücktreten.

»Es besteht absolut kein Grund zur Furcht. Sie sind so sicher in diesem Haus, als gehörten Sie zur Familie.« Es beruhigte sie nicht wirklich und sie bat erneut, sich zurückziehen zu dürfen. Dieses Mal stimmte Anthony zu. Er sah ihr nach, als sie, ebenso wie Gillian kaum eine halbe Stunde zuvor, aus dem Raum huschte.

Winchester House, eine Woche später

Alina schritt die Treppe herab. Gillians Debütball stand kurz bevor. Ihr eigener Debütball, denn es war entschieden worden, dass es so am besten sei. Nun, Lord Winchester, Lady Winchester und Gillian fanden es so am besten. Leichester indes war einmal mehr nicht ansprechbar. Trotz einiger Bitten ihrerseits hatte er sich nicht wieder in Winchester House eingefunden. Sie hatte sich demnach der Übermacht gebeugt. Dennoch war sie beunruhigt. Keine Anweisung zu erhalten, rechtfertigte doch nicht, eigene Entscheidungen zu treffen. Zumal Leichester dies bereits kritisiert hatte.

In ihren Gedanken gefangen, stoppte sie auf der ersten Stufe. Sie strich über die kühle Seide ihrer Abendrobe, um sich kurz zu sammeln und sich erneut zu versichern, dass sie nicht anders agieren konnte. Sie musste den Abend nun durchstehen. Alina hatte Leichester sowohl über das geplante gemeinsame Debüt schriftlich informiert wie auch über die formelle Vorstellung vor dem König, die am Vortag stattgefunden hatte. Er hatte genügend Zeit gehabt, auf ihre Anfragen zu reagieren.

Seufzend sah sie auf, im Begriff, ihren Weg fortzuführen, und stockte sogleich. Der Earl of Winchester stand am Treppenfuß und sah zu ihr auf. Sein schwarzes Haar fiel in leichten Wellen bis zu seinem Kragen und verschmolz dort mit dem schwarzen Justeaucorps. Seine tiefgrünen Augen stachen hervor, denn sie lagen eindringlich auf ihr.

Alina befiel eine merkwürdige Starre. Sie wagte kaum zu atmen, geschweige denn, sich zu bewegen. Selbst die Lider niederzuschlagen, erschien unmöglich.

Sie fragte sich gerade, ob sie einmal mehr in Ohnmacht fiele, als Gillian sie mit ihrer gewohnt heiteren Stimme aus ihrer Starre befreite.

»Bei Gott, Alina, du siehst atemberaubend aus!« Sie tauchte neben Seiner Lordschaft auf und grinste breit, wobei sie Alina fröhlich musterte. Indes stieg sie die Stufen hinab, um sich zu den Geschwistern zu gesellen. »Mich macht dieses fürchterliche Weiß einfach blass, aber du … Nicht wahr, Anthony? Sieht Alina nicht hinreißend aus?«

Winchester drehte sich leicht der Schwester zu, sein nonchalantes Lächeln auf den Lippen und Nachsicht im Blick. »Sei unbesorgt, Gillian, ich bin mir sicher, Alina wird dir nicht den Rang ablaufen.«

Alinas Mundwinkel sackten spürbar ab, sie fasste sich und wollte ihre unerfindliche Reaktion übertünchen, indem sie schneller die Treppe herabschritt. Leider verfehlte sie in ihrer Hast die Stufe. Sie stürzte und wurde abgefangen. Alina schloss die Augen. Scham brannte in ihrem Gesicht. Natürlich nähme sie niemandem den Rang weg, wenn sie schlicht ungeschickt und hilfebedürftig war!

»Das sollten wir in den Griff bekommen«, murmelte Winchester nahe an ihrem Ohr. Alina riss die Augen auf und sich schnell von ihm los. Ihr Herz klopfte wie verrückt, während ihr Magen sich schmerzhaft zusammenzog. Als neue Stütze dienten der Handlauf und Gillian, die an ihre Seite eilte.

»Herrje, Alina, ich wette, keine Dame ist bisher dermaßen häufig in Anthonys Arme gefallen!« Sie zwinkerte.

»Gillian!«, quiekte Alina. Die Freundin war schlicht eine Katastrophe! Gillian lachte lediglich.

»Zumindest erklärt sich, warum Alina ständig einer Ohnmacht nahe ist«, griff Winchester jovial auf.

Alina mochte nicht einmal widersprechen, schließlich war allein ihre Scham darüber, sich nicht im Griff zu haben, bereits ein Grund, die Besinnung zu verlieren. Abgesehen von ihrer unerklärlichen Nervosität, die sie in seiner Gesellschaft leider ständig übermannte.

»Ach, Anthony, dafür weiß Alina wohl zu viel von dir!« Wieder lachte sie und Alina wünschte sich sehnlichst, der Boden möge sich auftun.

»Wie bedauerlich.« Winchester zwinkerte ebenfalls. »Nun, Alina, ich hoffe, Sie mögen mir dennoch später am Abend einen Tanz gestatten.« Er hielt ihr die Hand entgegen. »Darf ich die Damen derweilen zum Saal führen?«

Alinas Finger zitterten, als sie der Aufforderung nachkam, die Hand auf seine zu legen. Wie fürchterlich unangenehm, dass sie ihm den Tanz auch noch gestatten musste! Da nicht anzunehmen war, dass Leichester an diesem Abend erschien, war Winchester so etwas wie ihre offizielle Begleitung und da war ein Tanz obligatorisch. Blieb nur zu hoffen, dass sie diesen Tanz ohne Fauxpas überstand.

»Selbstverständlich, Mylord«, murmelte sie also und ließ sich durch das Haus führen.

Lady Winchester verpasste die Begrüßung der ersten Gäste und erklärte sich dann wortreich. Ein Missgeschick, wenn man die Kurzfassung bevorzugte. Alina bekam kaum ein Wort über die Lippen. Sie fühlten sich steif und festgefroren an und es wurde zunehmend schwieriger, ein höfliches Gesicht zu präsentieren. Schließlich, nach über einer Stunde an der doppelflügligen Tür zum Ballsaal, schloss Lady Winchester die förmliche Begrüßung ab.

»Winchester, mein Lieber, es ist nun wahrlich an der Zeit, die Begrüßung abzuschließen.« Sie sicherte sich seine Begleitung. »Wie ermüdend, den Abend so beginnen zu müssen! Aber je nun, so sind die Voraussetzungen, nicht wahr?« Sie seufzte schwer und zog den Sohn mit sanfter Gewalt an den Kopf der Treppe. »Ich bin sicher, der Ball wird Stadtgespräch werden! Denk dir nur, mein Lieber, gleich zwei wunderhübsche Damen begehen heute ihren ersten Auftritt in der feinen Gesellschaft!«

Gillian legte ihre Hand auf den Arm ihres Bruders und grinste Alina an. Eine wortlose Botschaft.

»Wie wahr, Mutter.«

Alina stockte. Sie hoffte ernstlich, nicht zum Stadtgespräch zu werden.

»Miss Wright?«

Ihr Stocken war nicht unbemerkt geblieben. Alle drei sahen zu ihr zurück. Gillian legte leicht den Kopf schräg und hob eine Braue. Lady Winchesters zweite Hand schlich sich auf Winchesters Arm und der sah mit sich verengenden Augen an ihr herab. Befürchtete er, sie fiele erneut in Ohnmacht?

Alina seufzte und suchte nach einer Ausrede. »Verzeihung, mein Pantoffel zwickt.«

»Ich warnte dich, sie besser anpassen zu lassen.« Gillian schüttelte den Kopf.

---ENDE DER LESEPROBE---