Melodie der Hoffnung - Katherine Collins - E-Book

Melodie der Hoffnung E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

London im 18. Jahrhundert: Lady Frances und Lady Heather begehen ihre erste Saison in der Londoner Gesellschaft. Frances, genannt Fanny, ist ein pummeliges Mauerblümchen und leidet unter ihrer herrischen Schwester und der tyrannischen Mutter. Der charmante Jonathan Cavendish hatte eigentlich nicht vor, sich wieder zu verheiraten, doch als Frances in eine verfängliche Situation gerät, verbieten es ihm sein Ehrgefühl und die Etikette, ihr nicht nur beizustehen, sondern sie tatsächlich auch zur Frau zu nehmen. Was für Frances ein wahrgewordener Traum sein sollte, wird eine freudlose Verbindung. Denn Frances erkennt ihr Glück erst, als es schon zu spät zu sein scheint … Von Katherine Collins sind bei Forever in der Regency-Reihe erschienen: Melodie der Hoffnung Tränen des Herzens Verliebt wider Willen

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Die AutorinKatherine Collins, Jahrgang 1980, ist in Castrop-Rauxel geboren und teilweise dort, im Kreis Unna und Dortmund aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihren zwei kleinen Töchtern in einem kleinen Dörfchen in Mitten des Vest. Als passionierte Leseratte, die sich im Laufe der Zeit durch jeden Bereich der Belletristik fraß, kam sie schon in ihrer Jugend zum Schreiben. Erst nach langer Testphase durch Leseproben auf Internetforen, stellte sie 2013 ihr Erstlingswerk Verzeih mir, mein Herz! vor. Obwohl neben ihrem Laborantenjob und den Kindern wenig Zeit bleibt, wächst ihr Repertoire beständig. Derzeit befinden sich diverse abgeschlossene Werke in der Überarbeitung und mindestens ebenso viele warten auf ihr Ende.

Das BuchLondon im 18. Jahrhundert: Lady Frances und Lady Heather begehen ihre erste Saison in der Londoner Gesellschaft. Frances, genannt Fanny, ist ein pummeliges Mauerblümchen und leidet unter ihrer herrischen Schwester und der tyrannischen Mutter. Der charmante Jonathan Cavendish hatte eigentlich nicht vor, sich wieder zu verheiraten, doch als Frances in eine verfängliche Situation gerät, verbieten es ihm sein Ehrgefühl und die Etikette, ihr nicht nur beizustehen, sondern sie tatsächlich auch zur Frau zu nehmen. Was für Frances ein wahrgewordener Traum sein sollte, wird eine freudlose Verbindung. Denn Frances erkennt ihr Glück erst, als es schon zu spät zu sein scheint …

Katherine Collins

Melodieder Hoffnung

Historischer Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

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Originalausgabe bei Forever.Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2015 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Umschlaggestaltung:ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat/ Sibylle Ostermann

ISBN 978-3-95818-043-7

Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wichtige Personen in diesem Buch

Morecambie

Harald Barrows, Earl of MorecambieLouisa Barrows, geb. Langley, Countess of MorecambieHoward Barrows, Viscount UpcambieLuise Barrows, geb. Cowper, Viscountess UpcambieHeather Moore, geb. Barrows (Marchioness of Belmont)Frances (Fanny) Barrows (Marchioness of Lynnwood)

Lynnwood

Jonathan Cavendish, Marquess of LynnwoodAbigail Cavendish, geb. Windermere, verstorbene Marchioness of LynnwoodPhillip CavendishClaire Cavendish, geb. De BouvierCorinne CavendishPhillipa CavendishCornelius CavendishLynette Cavendish geb. Walters, Dowager Marchioness of Lynnwood (Stiefmutter)Frances Cavendish, geb. Barrows, Marchioness of LynnwoodMatthew Cavendish, Earl of Lynn

Pembroke

Ethan Pelham, Earl of PembrokeMiranda Pelham, geb. Cavendish , Countess of PembrokeKatherine PelhamElizabeth PelhamAnne PelhamMichael Pelham

Windermere

Amity Windermere geb. Cowper, Dowager Countess of WindermereMadeleine Mannings, geb. Windermere, Dowager Duchess of KentLarissa de Monsigne, geb. Windermere, Marchioness of Rochfort

Spencer

Marion Saunders, geb. Aldridge, Lady SaundersGeorge Aldridge, Viscount Copperfield

Rochfort

Larissa de Monsigne, geb. Windermere, Marchioness of RochfortPierre de Monsigne, Marquess of RochfortEtienne de Monsigne

Suffolk

Sarah Beaufort, geb. Scott, Viscountess of SuffolkMarcus Beaufort, Viscount of SuffolkBell Mannings, geb. Beaufort, Duchess of Kent

Kent

Madeleine Mannings, geb. Windermere, Dowager Duchess of KentNathan Mannings, Duke of KentAnnabell Mannings, geb. Windermere, Duchess of KentLennart Mannings, Marquess of Westbrook

Blakely

Clarence Stewart, Earl of BlakelyKatherine Stewart, geb. Boyle, Countess of BlakelyRobin Stewart, Viscount ofRaphael Stewart

Kapitel 1

Lady Pembrokes Soiree

London, Curzon Street, Morecambie House, 1794»Fanny!«, blaffte die Countess of Morecambie ihr jüngstes Kind an, als dieses den Salon betrat. »Was trägst du da?«

Das Mädchen blieb erschrocken stehen und strich über ihre cremefarbene Robe. »Es ist … ein Abendkleid, Mutter.«

»Das sehe ich, Fanny! Du solltest doch das grüngemusterte Kleid tragen.« Lady Morecambie trat auf die Tochter zu, während sie fortfuhr: »Heather wird jeden Moment herunterkommen und du siehst aus …« Die Countess machte eine Bewegung mit ihrer schmucküberladenden Hand und verzog angewidert die Miene. »Du bist wie dein Vater«, hielt Lady Morecambie der Tochter vor, welche ihre feucht werdenden Augen auf den teuren Aubussonteppich senkte.

»Ihr habt weder Geschmack noch ein Gespür für die vorherrschende Mode!«

Frances ließ die Schultern hängen und den täglichen Sermon über sich ergehen. Es war ein altbekanntes Lied. Frances war unschick, unmodern und nicht zu verheiraten. Es gab noch mehr »Uns«, die genauso demütigend waren, und an die Frances derzeit lieber nicht denken wollte. Sie konnte es niemandem recht machen.

Ihrer Mutter nicht, da sie nicht annähernd so hübsch war wie ihre ältere Schwester Heather. Der Vater stieß sich an ihrem Geschlecht, schließlich musste man einem Mädchen Benimm und Anstand erst einbläuen, und lediglich jahrelange Zucht und Maßregelung machten aus einem weiblichen Wesen eine anständige, gottesfürchtige Person. Ihr Bruder hielt sie schlicht für langweilig und Heather … seltsamerweise konnte Frances nicht einmal sagen, was Heather an ihr auszusetzen hatte.

»Und dein Haar!«, giftete die Countess, wobei sie näher trat und die mühsam gerichtete Frisur aus der Form brachte. »Wirst du es denn nie lernen?«

Frances wich zurück, um den Händen zu entgehen, die aus der Haarpracht wieder ein Chaos machten, und flehte: »Bitte nicht! Ich mag es so!«

»Es ist unpassend!«, keifte die Lady und riss den Goldblatt-Kamm aus dem Arrangement. »Ich schicke dir meine Zofe, damit sie es vernünftig herrichtet.«

»Aber …«

Die kühlen, blauen Augen der Countess durchbohrten in stiller Warnung das Mädchen. »Meiner Anordnung wirst du nicht zuwiderhandeln!«

Frances schluckte und gab auf. Es war gleich, wie ihr Haar gerichtet war. Sollte es die Zofe doch zu dem üblichen Staubwedel auftürmen. Im günstigen Falle würde sie so lediglich ihrem Cousin und seiner Gattin unter die Augen kommen müssen.

»Du wirst nach oben gehen und dich umkleiden.«

Frances horchte auf. Allein die Frisur zu ändern mochte eine Stunde in Anspruch nehmen. Sich dazu noch umzukleiden würde eine Ewigkeit dauern. Deshalb war der neuerliche Widerspruch über ihren Lippen, bevor sie die Konsequenzen bedacht hatte: »Aber dann werden wir uns verspäten! Sagtest du nicht, wir sollten auf jeden Fall vor sieben Uhr auf Lady Pembrokes Soiree erscheinen?«

»Pünktlich zum Dinner«, bestätigte die Countess und wedelte mit der Hand, um die Tochter aus dem Raum zu treiben. »Nun geh schon! Zieh dich um.«

»Aber es ist doch bereits …«

»Wenn du nicht fertig bist, bis Heather herunterkommt, bleibst du eben zu Hause!«

Frances klappte der Mund auf. »Aber … das geht doch nicht.«

»Ach, und warum nicht?«, höhnte die Countess und hob spöttisch eine Braue.

»Weil … Seine Lordschaft … Es ist doch meine Saison.«

Lady Morecambie sah an ihrer Tochter herab. »Und so willst du einen Mann finden?«

Frances schluckte und senkte die Lider. Dieses Thema also. Die Voraussetzungen, um für ein junges Mädchen einen Gatten zu finden, waren so vielfältig, dass die Mutter Stunden über sie schwadronieren konnte. Und für jeden Punkt auf der Liste gab es ein Beispiel, warum Frances eben keinem Herrn aus gutem Hause auffiel.

»Aber Vater«, begann sie schnell und korrigierte ihre unerwünscht vertrauliche Ansprache sofort mit: »Seine Lordschaft …«

»Ist ein Narr. Leider besteht Morecambie darauf, dir eine Chance zu geben. Ganz gleich wie aussichtslos deine Saison sein wird«, unterbrach die Lady scharf und setzte dann hintenan: »Als würde sich je jemand von Rang für dich interessieren!«

Tränen brannten in Fannys Augen und verzerrten ihre Sicht auf das aufwendige Muster zu ihren Füßen.

»Geh nun! Selbst wenn es keinen Zweck hat, dich dem Adel vorzustellen, kannst du doch zumindest deiner lieben Schwester eine Stütze sein.«

Drei Stunden späterFrances raffte ihren Umhang, um sich vor der aufziehenden Kälte der Nachtluft zu schützen und warf einen verstohlenen Blick auf ihre Mitreisenden.

Heather trug ein leicht ins Grün gehende Abendkleid mit einem Meer an Rüschen. Ihre Ärmel waren mit weißer Seide ausgestellt und liefen auf ihren Handrücken spitz zusammen. Sie sah märchenhaft aus, besonders mit ihrer blitzenden Saphirtiara und dem dazu gehörenden Ohrschmuck samt mehrgliedriger Kette der Mutter.

Obwohl Frances die Kombination aus Grün und Blau eher befremdlich fand, strahlten Heathers Augen mit den Edelsteinen um die Wette und machten die Schwester schier unwiderstehlich. Ihr blondes Haar war, anders als Fannys, streng zu einem Arrangement aus künstlich gedrehten Locken aufgesteckt. Die Frisur betonte den eleganten Hals der Verwandten und durch einige freihängende Locken wurde der Blick in das offenherzige Dekolleté gelenkt.

Frances runzelte die Stirn. Es war ihr gleich aufgefallen, als die Schwester vor gerade mal zwanzig Minuten in den heimischen Salon schwebte. Heather trug eben jene Frisur, die sie selbst zuvor getragen hatte. Frances hatte lediglich auf Perlen und Diamanten im Haar verzichtet und ihre Mähne musste nicht extra mit dem Brenneisen zu Locken gedreht werden.

Es war ungerecht, dass Heather so auf die Soiree gehen durfte. Zumal Frances ihr mühsam gebändigtes Haar neu frisieren lassen musste, weil die Aufmachung der Mutter nicht passte.

Die Countess unterhielt sich angeregt mit der älteren Tochter an ihrer Seite und ignorierte die Jüngere dabei. Wie an jedem Abend, den die Damen außer Haus verbrachten, zählte die Countess die zu erwartenden hoch titulierten Gentlemen auf, um sie dann nach ihrer Brauchbarkeit als zukünftigen Gatten für Heather abzuklopfen. Und wie jeden Abend kam man zu dem einen Schluss, dass keiner der Herren unter dem Titel eines Herzogs für die Lady infrage kam.

Der Kutscher verringerte bereits die Geschwindigkeit ihres Gefährts und es ging nur noch im Schritttempo weiter. Dies ließ vermuten, dass sie ihrem Ziel bereits sehr nahe waren.

»Fanny«, blaffte die Countess. Das Mädchen zuckte zusammen.

»Ja, Mylady?«

»Das heißt ›Bitte‹! Herrje, dein Benehmen ist beschämend! Und wie du ausschaust! Kannst du nicht gerade sitzen?«

Frances blinzelte, saß sie doch mit geradem Rücken auf der gegenüberliegenden Bank und achtete peinlichst darauf, dass sie die Kutschwand nicht berührte. Eine Dame lehnte nicht, sie thronte auf ihrer Sitzgelegenheit und sei es ein ordinärer Baumstamm.

»Wie oft soll ich es noch wiederholen, bis du es endlich aufnimmst? Eine Dame …«

Frances schluckte den Widerspruch herunter, denn ein wohlerzogenes, junges Mädchen widersprach seinen Eltern nicht. »Verzeiht, Mylady.«

Lady Morecambies Augen funkelten abgeneigt, als sie den Kopf schüttelte.

»Bauernmädchen ziehen ihre Mäntel um sich, eine Dame unter keinen Umständen!«

Die Gemaßregelte senkte die Augen, wobei ihr Blick unvermeidlich über die pelzverbrämten Aufschläge des Umhangs der Mutter wanderte. Er war mit einer aufwendig gearbeiteten Schnalle in Form des Familienwappens vor der Brust verschlossen und fiel in akkuraten Falten an der Lady herab. Fannys Exemplar, das aus dem Kleiderschatz der Schwester stammte und auf Grund seines Alters aussortiert worden war, warf an der molligeren Figur des jüngeren Mädchens kein Fältchen mehr und sei es noch so klein.

»Ich warnte Morecambie ausdrücklich, dass deine bloße Anwesenheit die Chancen deiner Schwester, endlich zu heiraten, ruinieren könnte!«, fuhr die Countess fort.

Heather presste die Lippen aufeinander. »Ich bin noch nicht verheiratet, Mutter, weil wir uns einig waren, dass eine weitere Saison bessere Aussichten böte!«

Lady Morecambie drehte sich zu der älteren Tochter um und tätschelte die starre Hand.

»Natürlich, mein liebes Kind, Fannys Unzulänglichkeit ließ mich meine Worte vergessen.« Sie warf der Jüngeren einen Blick zu. »Und nun müssen wir doppelt schnell agieren, bevor Fanny alles kaputtmacht! Nicht auszudenken, wenn sie einem der Auserwählten unter die Augen kommt! Kein Duke wird sich eine solche Bürde aufladen wollen! Eine Schwägerin, die, sollte sie überhaupt zu verheiraten sein, vielleicht einen Vikar erbarmt!«

Die Vorstellung war der Dame so ungeheuerlich, dass sie ihre beringte Hand an den Busen presste und gegen die Rückwand der Kutsche sank, gerade so, als wolle das Bewusstsein ihr schwinden.

Frances ließ die Schultern hängen. Zumindest war sie an diesem Abend in der Wertung der Mutter von unverheiratbar zur Vikarsgattin aufgestiegen.

»Nein!«, fasste sich die Countess und setzte sich wieder auf. »Du wirst mir nun gut zuhören, Fanny. Wagst du es unangenehm aufzufallen, sorge ich persönlich dafür, dass du keinen Fuß mehr vor die Tür setzt.«

Frances blinzelte. »Mylady, Seine Lordschaft erwartet …«

»Papperlapapp! Er ist nicht hier, um sich von deinem Ansehen demütigen zu lassen! Verstehe endlich, dass sich kein vornehmer Herr auf eine Verbindung einlassen wird, die so …« Das Gesicht der Lady verzog sich, als sie die jüngere Tochter musterte, »… unansehnlich ist. Du bist nicht gesellschaftsfähig! Du weißt gar nichts! Du kannst nichts! Du bist eine Schande!«

Frances zuckte zusammen und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Obwohl ihre Mutter jene Worte nicht zum ersten Mal an sie richtete, schmerzten sie noch immer wie am ersten Tag.

»Es ist mir unerklärlich, wie ich so eine Unzulänglichkeit gebären konnte! Es sollte mir ein Trost sein, dass die gute Heather so ein Engel ist und auch mein Sohn, Upcambie, ganz nach mir kommt.«

Die Lady ließ ihre klaren, blauen Augen noch einmal über das Mädchen wandern und warnte eindringlich: »Blamiere mich nie wieder.«

»Ich war sechs, Mutter, ich …«, sprudelte Frances eine unbedachte Verteidigung hervor und wurde mit einer Ohrfeige zum Schweigen gebracht. Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen starrte Frances ihre Mutter an, die zischte: »Wage es nicht noch einmal, mich so respektlos anzusprechen.«

Kein Wort zu jenem kindlichen Missgeschick vor so vielen Jahren, das die Neigung der Mutter so rigoros zerstörte.

Die Kutsche hielt und erlöste die Insassen aus der beklemmenden Stille.

»Ah, na endlich!«, rief die Countess aus. Sie richtete sich den Kopfputz, wobei ihr Blick einmal mehr an ihrem jüngsten Kind hängen blieb. Sie öffnete die Lippen, um noch eine Warnung an das Mädchen zu richten, schüttelte stattdessen aber nur den Kopf.

»Komm Heather, mit etwas Glück überstehen wir auch diesen Abend ohne einen Eklat.«

Heather grinste die Schwester an, als die Mutter ausstieg.

»Schau mal, Fanny, umso eher ich Duchess bin, umso eher kann Seine Lordschaft dir einen Ehemann kaufen. Vielleicht findet sich ein jüngerer Sohn, der so verzweifelt ist, dich zu nehmen.«

Frances zuckte zusammen, obwohl sie keine freundlicheren Worte erwartet hatte.

»Dann heirate endlich.«

Sie hatte es gar nicht sagen wollen, und sperrte selbst überrascht den Mund auf.

»Was hast du gesagt?«, zischte Heather und drehte sich wieder zu ihr um.

»Ich sagte«, stammelte Frances nervös, »dass du …«

»Das wirst du bereuen.«

Lady Pembrokes hübsche, blaue Augen leuchteten auf, als sie die angeheirateten Verwandten auf sich zu schweben sah.

»Wie schön, dass Sie es doch noch geschafft haben, Lady Morecambie. Lady Heather, Lady Fanny, seid allerherzlichst willkommen«, grüßte sie freundlich und legte den Kopf schräg, als sich die Countess of Morecambie entschuldigte: »Lady Pembroke! Es tut mir so fürchterlich leid, dass wir so spät dran sind! Aber Fanny hat einfach nicht auf die Zeit geachtet. Sie ist einfach nicht gemacht für gesellschaftliche Verpflichtungen. Nicht wahr, mein liebes Kind?«

Frances, die bis dahin bemüht gewesen war, hinter der Mutter und Schwester nicht aufzufallen, riss die Augen auf und erbleichte.

»Das … das tut … mir leid!«

Die Ladys lächelten. Die eine überheblich, die andere beruhigend.

»Ach naja, in meiner ersten Saison hatte ich auch Schwierigkeiten pünktlich fertig zu werden. Meist konnte ich mich nicht entscheiden, welches wundervolle Kleid ich zu diesem oder jenem Ereignis tragen sollte!«

Frances zwang ihre Mundwinkel nach oben.

»Danke.«

Lady Morecambie verzog die Lippen, wendete sich aber dem Hausherrn zu.

»Guten Abend, Pembroke.«

»Lady Morecambie.«

Der Earl neigte den Kopf und führte die aufgedrängte Hand der Tante an die Lippen. »Cousine Heather, Cousine Frances.«

»Pembroke, mein Lieber«, grüßte Heather und drückte ihm einen knappen Kuss auf die Wange. »Du wirst doch sicherlich mit mir tanzen?«

»Wenn du es wünschst, Heather«, stimmte er zu und drehte sich mit einem gewinnenden Lächeln zu der anderen Cousine. »Hältst du mir auch einen Tanz frei, Frances?«

»Pembroke, wirklich, du weißt doch, dass ich diesem grässlichen Namen nichts abgewinnen kann. Wir nennen sie Fanny«, warf Lady Morecambie ein, wobei sie ihm spielerisch mit dem Fächer auf den Oberarm tippte.

Sein Lächeln gefror. »Verzeihung, Mylady, wie unbedacht von mir.«

»Und du willst dir sicherlich nicht von Fanny auf den Füßen herumtreten lassen, oder?«

»Ich bin in der Lage, jene Gefahr einzuschätzen, Mylady«, murmelte er und schaute mit fragend hochgezogener Braue auf die jüngere Cousine herab. Frances biss sich verlegen auf die Unterlippe und senkte den Blick auf das Parkett.

»Zu einem anderen Zeitpunkt wäre es mir eine Ehre, Cousin.«

Mit einem scheuen Lächeln zu den Gastgebern folgte sie der Mutter und der Schwester. Keine zwei Schritte später lehnte sich Lady Morecambie zu der älteren Tochter und echauffierte sich: »Nicht zu fassen, dass Pembroke seiner Frau keine Schranken aufweist! Dieses Kleid ist schier skandalös!«

Heather kicherte, wobei sie mit einer grazilen Handbewegung den Fächer aufklappte, um ihre Geste dahinter zu verstecken. »In der Tat, Mutter. Aber mit Speck fängt man Mäuse, nicht wahr?«

»Gerade aus diesem Grund sollte Pembroke sie unter Kontrolle haben. Sie hat ihm noch keinen Erben geboren. Es ist unglaublich, sich da bereits …« Die Lady verstummte, als ihr aufging, was sie zu ihrer unverheirateten Tochter sagen wollte.

»Nach einem Liebhaber umzuschauen?«, vervollständigte Heather den Satz und brachte die Mutter zum Schnaufen. »Keine Sorge, Mutter, ich achte darauf, dass man mich nicht hört. Ich will doch Erfolg haben, nicht wahr? Schau, ist das nicht die Tante des Duke of Whitechapel?«

Lady Morecambie ließ sich ablenken. »Tatsächlich!« Aufgeregt schaute sie sich um und entdeckte eine alte Bekannte. »Und dort drüben ist Lady Gillespie, sie ist mit der Tante des Dukes auf Du und Du. Nun, komm, Fanny!«, trieb die Mutter sie an und führte sie sogleich zu einem Grüppchen älterer Damen.

»Lady Gillespie! Wie wundervoll, dass Sie heute Abend auch da sind! Sie erinnern sich an mein Goldstück Heather? Ist sie nicht allerliebst? Sie macht mir so viel Freude, dass ich sie gar nicht hergeben kann, obwohl ich es ja müsste!«

Sie lachte geziert auf und warf einen um Zustimmung heischenden Blick in die Runde. Nachdem jede der fünf beistehenden Damen begrüßt und Heathers Großartigkeit zu genüge gehuldigt worden war, deutete die Countess of Morecambie mit ihrem Fächer auf das beistehende Mädchen: »Morecambies jüngstes Kind. Fanny.«

Miranda Pelham, Countess of Pembroke, sah den Verwandten nach, nicht sicher, ob sie den Auftritt kommentieren sollte.

»Arme Frances.«

Miranda sah überrascht auf. Generell sparte sich der Earl jedes Wort und man musste ihn förmlich zwingen, seine Meinung zu äußern.

»Wirst du dennoch mit ihr tanzen?«

Pembroke seufzte, wobei er seine unglückliche Cousine im Auge behielt, die mit schamroten Wangen neben der Mutter stand, die sich mit einigen älteren Ladys unterhielt. Er atmete tief durch und begegnete dem Blick seiner Countess.

»Nein. Sie würde ohnehin ablehnen.«

»Dann tanzt sie nicht gern?«

»Doch.«

Miranda klappte ihren Fächer auf, als sie sich erkundigte: »Warum sollte sie da das Angebot ausschlagen?«

»Weil ich Frances damit nur in Schwierigkeiten bringen würde.«

Miranda sah irritiert zu ihm auf. »Warum?«

»Lady Morecambie hat ihr verboten zu tanzen. Sie würde sich aber gezwungen sehen, meiner Bitte zu entsprechen, und damit gegen den Wunsch ihrer Mutter verstoßen«, erklärte Pembroke mit einem Seufzen.

Miranda suchte wieder nach der angeheirateten Cousine.

Frances versteckte sich kaum zwei Schritte neben der Mutter hinter einem Palmwedel und beobachtete mit großen, traurigen Augen die Schwester. Lady Heather flirtete recht ungeniert mit zwei jungen Männern gleichzeitig und schaffte es, beiden zugleich schmachtende Blicke zuzuwerfen.

»Wie soll sie jemand auffallen, wenn sie nicht tanzen darf?«

»Gar nicht«, beantwortete er die Frage der Gattin knapp, gab sich dann einen Ruck und erklärte: »Frances ist nicht in London, um einen Gatten zu finden.«

»Oh.« Miranda runzelte die Stirn. Jedes Mädchen, das in die Gesellschaft eingeführt wurde, sollte verheiratet werden. Das war Sinn und Zweck einer Saison. Es ging darum, eine möglichst gute Partie zu machen. Zumindest, wenn es nach den Müttern der Bräute in spe ging. Die Mädchen hofften nicht selten, die Liebe ihres Lebens zu finden. Nur selten wurden beide Wünsche zugleich erfüllt, meist die der Mütter, und manchmal eben keiner.

»Habe ich dich richtig verstanden: Frances soll nicht heiraten?«

Pembroke brummte zur Zustimmung.

»Gibt es denn … bereits eine Verpflichtung für sie?«

»Wohl nicht.«

»Ethan!«

Pembroke räusperte sich. »Ich wüsste von keiner. Ich glaube nicht, dass Frances gerne hier ist. Sie tanzt gerne, aber Konversation ist nicht unbedingt … Sie ist schüchtern.«

»Ah.«

»Schau, wie wenig sich Lady Morecambie um sie kümmert. Es dreht sich alles nur um Heather. Solange Heather nicht verheiratet ist, wird Frances nicht gestattet werden, sich selbst umzusehen.«

Miranda presste die Lippen zusammen.

»Meinst du, jemand hat ihr gesagt, sie solle besser andere Farben wählen? Dieses Grün … und ich könnte schwören, dass die Robe viel zu eng ist. Sie sollte es auch keinesfalls mit diesen Schleifchen übertreiben. Und den Rüschen.«

Pembroke seufzte einmal mehr. »Sie sieht fürchterlich aus.«

Miranda biss sich auf die Lippe. So deutlich hatte sie es nicht sagen wollen. Sie klappte ihren Fächer auf und wedelte sich einen Moment schweigend Luft zu.

»Eigentlich schade. Sie ist ein nettes Mädchen. Vernünftig.«

»Ich mag sie«, bestätigte Miranda nachdenklich.

»Ich musste ihr immer von meinen Studien berichten. Sie stellte gar nicht mal so dumme Fragen. Schade, dass Morecambie keinen höheren Wert auf die Bildung seiner Töchtern legt.«

»Nun, welcher Vater tut das schon? Oder welcher Gentleman? Glaubst du, Fanny hätte sich … die Möglichkeit zur Bildung gewünscht?«

Miranda runzelte die Stirn und fächelte sich geistesabwesend Luft zu. Ihr Gatte nickte.

»Mit Sicherheit. Sie bat hin und wieder, dass ich ihr ein bestimmtes Buch mitbringe.«

»Hm«, murmelte Miranda. »Sie ist tiefsinnig.« Sie suchte wieder nach dem Mädchen, um das sich ihre Gedanken drehten.

Frances hatte sich an der Wand entlang gearbeitet und sich weiter von ihrer Familie entfernt. Die anderen Grüppchen nahmen keine Notiz von ihr. Miranda konnte über das Ziel der Lady nur spekulieren, aber wenn sie sich in Gesellschaft wirklich unwohl fühlte, strebte sie wohl danach, dieser zu entgehen. Gefährlich. Andererseits schien sie wirklich niemand eines zweiten Blickes zu würdigen. Nun, gar so verwunderlich war es nun wieder nicht. Was hatte sie nur mit ihrem Haar gemacht?

»Sie hat eine schöne Singstimme.«

»Tatsächlich?«, hinterfragte Miranda geistesabwesend.

»Ich habe sie mal beim Üben erwischt. Es war ihr sehr peinlich, aber ich fand es sehr … nett.«

»Weißt du, Jonathan hat auch eine wundervolle Singstimme.«

Die Hand in ihrem Rücken erstarrte.

»Lynnwood?«

»Ja. Und er ist auch tiefsinnig«, bekräftigte Miranda und ein unheilvolles Leuchten erhellte ihre Augen.

»Miranda«, versuchte Pembroke das Gehör seiner Gattin zu erlangen, wohl wissend, was sie ausheckte.

»Jonathan braucht eine Frau.«

Pembroke stöhnte mitleiderregend. »Männer schätzen es nicht sonderlich, wenn Frauen sich in ihre Angelegenheiten mischen.«

»Er braucht einen Erben. Und er weiß das! Er ziert sich nur.« Miranda wedelte abweisend mit der Hand.

»Ich glaube, er meint es ernst damit, dass Phillip und Claire Eltern des nächsten Marquess Lynnwood werden sollen.«

Das brachte die Countess einen Moment zum Nachdenken.

»Claire … ist von schlechter Gesundheit. Es steht zu befürchten, dass ein weiteres Kind ihr Ende wäre. Phillip würde dies niemals zulassen. Jonathan würde das nie verlangen!«

Pembroke räusperte sich verlegen. »Dennoch …«

»Nein. Jonathan sollte heiraten. Und Frances auch. Schnell, wenn du mich fragst. Meinst du, sie stört sich an Jonathans Narbe?«

Pembroke war schlicht sprachlos ob der bevorstehenden Ränkeschmiederei und seiner Verwicklung darin. Seine Gattin bemerkte sein Ungemach nicht, drehten sich ihre Gedanken doch bereits ausschließlich um ein recht faszinierendes Problem.

»Ich persönlich finde sie nicht entstellend und ich habe gehört, dass die eine oder andere Frau sie sogar aufregend findet. Ist Frances empfindlich?«

Miranda betrachtete das Mädchen eingehend.

»Zumindest sollte sie fruchtbar sein. Und keine Probleme haben, ein Kind auszutragen. Mag sie Kinder?«

»Miranda!«, gurgelte Pembroke der Verzweiflung nahe. Die Lady war offensichtlich nicht zur Vernunft zu bringen. »Bitte!«

»Oh, natürlich wirst du ein Gespräch niemals in solche Gefilde abdriften lassen. Das wäre selbst bei eurem Verwandtschaftsgrad nicht gerade schicklich.«

Lady Pembrokes Blick flog zu Heather, die sie auch erst ausfindig machen musste. Die andere Cousine befand sich in Begleitung eines Herrn und war offenkundig auf den Weg in den Garten. Miranda runzelte die Stirn.

»Kannst du dich für ihre Moral verbürgen? Sie scheint mir nicht kokett oder frivol zu sein. Es versteht sich von selbst, dass Jonathans Gattin ihm absolut ergeben sein muss. Auf keinen Fall sollte es ein weiteres Debakel geben wie mit Abigail.«

»Frances ist eine treue Seele«, verteidigte Pembroke die Cousine und wurde bei seinem neuerlichen Protest über Mirandas Vorhaben abgewürgt.

»Ja, das würde ich auch annehmen. Jonathan ist nicht dumm, er wird ihren Wert sicherlich schnell erkennen. Und ich weiß auch schon, wie ich das anstelle!«

Mit einem zufriedenen Grinsen warf sie ihm eine Kusshand zu und strebte davon.

»Miranda!«, seufzte Pembroke ungläubig und folgte ihr, um sie doch noch zur Vernunft zu bringen.

»Jonathan, mein Lieber«, grüßte Miranda ihren Cousin und drückte ihm einen leichten Kuss auf die rechte Wange. »Schön, dass du es doch noch geschafft hast. Hattest du eine angenehme Reise?«

Jonathan Cavendish, Marquess Lynnwood, schenkte der Countess ein Lächeln, das Miranda sogleich erwiderte. Ihrem ernsten Cousin ein aufrichtiges Lächeln zu entlocken, war ihr jede Mühe wert. Zumal es die eher scharfen Gesichtszüge des Marquess aufweichte und ihn verblüffend hinreißend erscheinen ließ. Miranda legte Jonathan liebevoll eine Hand auf den Arm und sah zu ihm auf.

»Ich habe gehört, du warst auf dem Festland? Doch nicht in Frankreich, oder? Das ist doch viel zu gefährlich!«

Der Marquess zog milde belustigt einen Mundwinkel hoch.

»Das solltest du den Franzosen sagen, meine Gute, sie müssen ständig mit dieser Gefahr leben.«

Zerknirscht senkte Miranda den Kopf. »Natürlich hast du recht, aber lass uns bitte über etwas Erfreuliches sprechen. Ich möchte mir mit solch ernsten Themen ungern die Laune an meiner eigenen Soiree verderben.«

Gerne tat Jonathan der Lady den Gefallen und fragte nach dem Befinden ihrer Mutter. Miranda nutzte die Länge einer ausführlichen Zustandsbeschreibung ihrer kränklichen Frau Mama, um den Cousin zu mustern. Man sah ihm seine neununddreißig Jahre nicht an, war sein Haar doch immer noch von einem kraftvollen Schwarz. Nur die Schläfen melierten sich langsam. Seine markanten Gesichtszüge strafften die kleinen Mimikfältchen schnell wieder und ließen ihn nicht nur jünger wirken, sondern auch strenger. Jonathan trug den Titel und die damit einhergehenden Verpflichtungen bereits seit zehn Jahren. Er war ein vernünftiger Mann. Manchmal ein wenig zu abgeklärt, manchmal recht zynisch, aber immer ernsthaft besorgt um andere. Miranda liebte ihn aufrichtig und wünschte ihm alles nur erdenklich Gute. Zufriedenheit, Glück und Liebe. Jonathan mochte sich für zufrieden halten, Glück verschmähen und über Liebe lachen, das hieß aber nicht, dass Miranda da nicht nachhelfen konnte. Wie sollte man einsam glücklich sein?

»Pembroke, vielleicht leisten Sie mir später bei einer Partie Pool Gesellschaft?«

Pembroke gab mit einem knappen Nicken seine Zustimmung, was ihm einen harten Knuff in die Seite einbrachte. Miranda funkelte ihren Mann böse an. Seit der Ankunft seiner Tante und der beiden Cousinen versuchte er sie von den Gästen fortzulotsen. Er hatte noch einmal, in einem einsamen Moment, betont, dass er Frances schätzte und gerne glücklich verheiratet sah, er die Wahl des Gatten aber in den Händen ihrer Eltern belassen wollte. Miranda hatte ihn ausgelacht und seine eigenen Worte gegen ihn verwendet. Wenn man die vergangenen drei Wochen und damit jeden von Fannys Auftritten aus der Ferne betrachtete, erkannte man mühelos, dass Lady Morecambie ihre Tochter absichtlich ignorierte. Zwar wurde Frances vorgestellt, aber gemeinhin nur älteren Damen mit heiratsfähigen Töchtern oder gar Enkelinnen. Wenn das Mädchen nie in Kontakt mit möglichen Verehrern kam, wie sollte sie da einen finden?

Zudem befand sich Frances immer in Begleitung der älteren Schwester Heather, dem genauen Gegenstück zu Frances. Trotz deren Schönheit und der nicht geringen Mitgift war sie immer noch nicht gebunden.

Miranda nahm den sichersten Weg, ihren Cousin in gewünschte Richtung zu drücken: »Jonathan, bevor du dich mit Pembroke im Billardzimmer versteckst, würdest du mir noch einen Gefallen erweisen?«

Nach seiner ergebenen Zustimmung schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. Bei jedem anderen Mann hätte es für schwache Knie gesorgt, bei Jonathan führte es lediglich zum fragenden Heben einer Braue.

»Ich habe einer Bekannten von deiner hinreißenden Stimme vorgeschwärmt, dass sie mich förmlich drängte, dich um ein Duett zu bitten. Leider ist meine Stimme heute Abend etwas angegriffen, aber zufällig weiß ich, dass die Stimme von Pembrokes Cousine deine Tonlage wundervoll ergänzen wird.«

Mit keiner Regung war Jonathan Cavendish anzusehen, wie sehr ihm die Erfüllung dieser Bitte widerstrebte. Es lag nicht allein daran, dass er sich ungern darstellte. Viel mehr stieß er sich an der List der Cousine, ihm ein junges Mädchen unter die Nase zu halten mit dem offensichtlichen Ziel, dass er es heiratete.

Natürlich stand es außer Frage, dass er sein gegebenes Versprechen brach, trotzdem ärgerte ihn Mirandas Einmischung in sein Privatleben.

»Tatsächlich?«, murmelte er und warf dem Standesgenossen einen Blick zu, dem dieser versuchte zu entgehen. »Miranda? Pembrokes Cousine ist nicht zufällig unverheiratet?«

Miranda errötete leicht, fing sich aber, um erheitert aufzulachen.

»Verzeih, mein Lieber, ist dies ein Makel?«

Jonathans Augen weiteten sich, als ihm aufging, wer gemeint sein könnte.

»Einen Moment mal. Mit Pembrokes Cousine meinst du nicht zufällig Lady Heather Barrows?«

Miranda blinzelte überrascht und ihrem Gesicht entwich das Strahlen. Hatte sie sich in Jonathan getäuscht? Würde er eher dem schönen Schein verfallen als der Wahrhaftigkeit?

»Lady Heather?«, murmelte sie, wobei sie sich fragte, wo er sie kennengelernt haben konnte. Lynnwood verbrachte nicht allzu viele Nächte in Salons.

»Blond, blauäugig, ungefähr so groß wie du«, beschrieb Jonathan sarkastisch.

»Oh! Du Schelm, du! Nein, ich sprach nicht von Lady Heather. Ich bin mir sicher, du kennst diese Cousine noch nicht«.

Jonathans Miene wurde keineswegs zugänglicher. »Eine Cousine, die nicht auf eurer Hochzeit war, muss fürchterlich jung sein.«

»Ist das nun ein Makel?«, zwitscherte sie und klimperte unschuldig mit den Wimpern.

»Miranda, ich warne dich.«

Sie seufzte. »Da es ihre erste Saison ist, vermutlich siebzehn? Sei getrost: Sie wird älter werden und vermutlich auch bald heiraten. Mit der Aussicht wirst du meiner Bitte doch entsprechen, oder?«

Jonathan starrte auf sie nieder, nicht sicher, ob er ihr nicht unrecht tat. Vielleicht ging es ihr am Ende nicht darum, ihn mit dem Mädchen zusammenzubringen?

»Selbstverständlich, Miranda. Eines noch: Meine Zustimmung beschränkt sich auf einen Vortrag. Und gib bitte künftig keine Versprechen mehr ab, die mich involvieren.«

Miranda strahlte ihn an. »Ich versprach nichts, mein Lieber, ich schwärmte lediglich!«

Der Marquess folgte der Gastgeberin durch den stickigen Salon und knirschte unmerklich mit den Zähnen, als sie den versammelten Gästen mitteilte, dass sie ihren Cousin dazu hatte überreden können, sie mit einem Vortrag zu unterhalten.

»Lady Fanny, Ihre Mutter hat mir von Ihrem virtuosen Können am Pianoforte vorgeschwärmt … vielleicht wären Sie bereit, Jonathan zu begleiten? Sie singen doch auch, nicht wahr?«

Sehr zu Frances Barrows Unbehagen öffnete sich bei der Ansprache der Gastgeberin eine kleine Gasse zwischen der Countess und dem Mädchen, das sich krampfhaft bemüht hatte, keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Errötend riss sie den Mund auf, um ihre Zweifel kundzutun und die Bitte gleichsam auszuschlagen. Die Countess of Morecambie würde niemals von irgendeiner Fähigkeit ihres jüngsten Kindes schwärmen. Die Lady schwärmte lediglich von Heather. Der göttlich schönen, vollkommenen Heather.

Sie erschauerte, senkte das Kinn und schlang die Arme um die Mitte. Es war, als würden sich seine blauen Augen durch ihre Kleider und ihre Haut brennen. Beständig. Sah er sie tatsächlich immer noch an? Frances riskierte einen Blick, um erschrocken festzustellen, dass ihr Gefühl sie nicht trog. Seine Augen lagen noch immer auf ihr. Obwohl sich aus seiner Miene keine Neigung ablesen ließ, war sie sicher, dass er sie lediglich ansah, weil die Countess ihn dazu zwang. Irgendwie.

***

Jonathan konnte die Augen nicht von dem absonderlichen Anblick des Mädchens reißen. Sie war grotesk. Nun, da war das Mädchen. Ein rundes Gesicht mit vollen roten Lippen, unglaublich langen Wimpern und einer süßen, kleinen Nase. Aber alles andere war skurril.

Ihre ungezähmten Locken waren umständlich zu einer sich hoch auftürmenden, fusseligen Frisur gesteckt worden. Sie erinnerte nicht nur entfernt an ein Vogelnest, sondern waren ungeschickterweise auch noch mit Federn dekoriert.

Das Mädchen trug Grün. Eine Debütantin in Grün! Die enganliegende Robe aus Baumwollmusselin umhüllte sie in festen Bahnen und drückte ihre beachtliche Oberweite nach oben. Sie schien nur aus Dekolleté zu bestehen. Aus Rüschen und Schleifen.

Ein grellgelbes Band gab dem Kleid einen zusätzlichen Farbtupfer. Es schnürte sich tief in den Bauch der aufgedrängten Gesangspartnerin und betonte damit ihre Figur. Sie schien sich dessen bewusst zu sein, legte sie doch die Arme um sich, um die Problemstelle zu verstecken. Ob nun vor ihm oder den anderen unzähligen Besuchern, die ihre Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatten, konnte er nicht sicher bestimmen.

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und errötete.

Jonathan blinzelte, aber die Erscheinung verwandelte sich nicht plötzlich in das erwartete Bild einer wohlerzogenen, jungen Titeljägerin.

Offensichtlich hatte er Miranda völlig zu Unrecht in Verdacht gehabt, Kupplerin zu spielen.

Das Mädchen wand sich unter den Augen aller und dem leise aufbrandenden Getuschel.

»Hast du das Kleid gesehen?«

»Welches vornehme Mädchen würde schon Grün tragen?«

»Wenn die so singt, wie sie aussieht, Gnade uns …«

»Wer ist das überhaupt?«

Ihre Wimpern zitterten auf ihren bleicher werdenden Wangen und sie biss sich auf die bebende Unterlippe.

Jonathan verkrampfte der Kiefer. Er kannte das Gefühl, Mittelpunkt von Tratsch zu sein, nur zu gut. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie schwer es war, die schneidenden Bemerkungen zu ignorieren. Die Worte nicht an sich heranzulassen. Ein junges Mädchen wie dieses konnte dem unmöglich standhalten. Vermutlich würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Wütend presste er die Lippen aufeinander.

»Seien Sie unbesorgt, Lady Fanny, Seine Lordschaft sieht gefährlicher aus, als er ist«, beruhigte Miranda das Mädchen und richtete die allgemeine Aufmerksamkeit damit bewusst auf den Cousin.

Jonathan begegnete den abschätzenden Blicken der Gesellschaft gelassen und bemerkte, wie das Mädchen erleichtert ausatmete. Sie schlug die Lider auf. Einen kleinen Moment lang sah sie ihn direkt an. Begegnete seinen kühlen, blauen Augen mit ihren warmen, braunen.

***

»Lady Pembroke«, quiekte sie und verstummte ob ihrer schrillen Stimmlage sofort wieder. Frances räusperte sich, schluckte und ballte die Hände um ihr Retikül.

Alle starrten sie an. Lady Morecambie, Heather, jeder einzelne Mensch im Raum. Und er.

Sie runzelte die Stirn. Lady Mirandas Cousin? Sie war nicht unbedingt firm in der Stammbaumkunde, aber aus den Gesprächen zwischen ihrer Mutter und Heather wusste sie, dass Lady Miranda nur einen Cousin mit dem Namen Jonathan hatte. Den Marquess of Lynnwood. Überrascht von der Möglichkeit sah sie wieder zu ihm rüber.

Er konnte ohne Frage ein Marquess sein. Er sah streng aus. Selbstsicher. Sie mochte nicht einmal schätzen, auf wie viele Jahre er kam. Etwas an seinem Blick riss sie aus ihrer Überlegung.

Erschrocken schnappte sie nach Luft, als es ihr wieder bewusst wurde. Sie sollte singen. Mit dem Marquess. Oh, was für ein Schlamassel!

»Lady Pembroke«, begann sie wieder, ihre Stimme noch immer unnatürlich hoch. Sie befeuchtete sich die Lippen, um noch einen Moment länger nach einem guten Grund zur Ablehnung zu suchen. »Bestimmt haben Sie mich verwechselt.«

Sie stöhnte innerlich. Sie klang wie eine Närrin. Wie peinlich! »Ich meine, Lady Morecambie …«

Bei der Nennung der Mutter sah Frances zu ihr herüber. Besagte Dame verkniff die Lippen und bedachte sie mit einem höchst erzürnten Blick. Sie brach ab, wendete sich wieder an die Herrin des Hauses und versuchte es erneut: »Ich begleite Seine Lordschaft gerne am Pianoforte, aber ich sollte wohl nicht …«

»Wie herrlich!«, unterbrach Miranda und überdeckte den Rest mit einem Klatschen. »Kommen Sie, Lady Fanny. Ich bin mir sicher, dass Sie uns vorzüglich unterhalten werden.«

Frances erschauerte und dieses Mal lag es eindeutig an der Aussicht, sich im großen Stil zu blamieren. Aber es war nicht mehr zu ändern. Sie musizierte gerne und häufig, wenn sie allein war. Allerdings nie vor Publikum. Sie hatte es einmal gewagt, zum Heiligen Abend einige Stücke vorzutragen. Die familiäre Resonanz war verheerend gewesen.

Frances atmete tief durch. Es war nicht mehr zu ändern. Zumindest würde man sie nach dieser Blamage wohl nie wieder um einen Vortrag bitten.

»Ich bin mir sicher, Lady Fanny, dass Sie meinen Cousin erstklassig ergänzen werden«, bemerkte die Countess aufmunternd und hielt dem zögerlichen Mädchen eine Hand entgegen.

Frances trat näher, knickste vor dem Lord und ließ sich vorstellen. Die Countess grinste zufrieden und flötete: »Lady Fanny, darf ich Ihnen meinen Cousin Lord Jonathan Cavendish, Marquess Lynnwood, vorstellen? Lynnwood, mein Lieber, dies ist Lady Fanny Barrows, jüngste Tochter des Earl of Morecambie und Pembrokes Cousine 1. Grades.«

Der Lord hob die Hand des Mädchens an die Lippen und murmelte eine höfliche Erwiderung zu ihrem Gruß.

***

Der Flügel stand im Musikzimmer, das an den großen Gesellschaftsraum angrenzte. Jonathan bot dem Mädchen den Arm, um sie dorthin zu geleiten, aber sie war schon auf und davon.

Die Menge teilte sich, um Frances durchzulassen. Lynnwood drehte sich zu seiner Cousine, um zumindest diese zu geleiten, und Lady Pembroke zwinkerte zu ihm auf. Der Flügel stand in der hinteren Ecke, flankiert von Fenster und Kamin. Das prasselnde Feuer illuminierte die Szenerie und betonte das dunkle Ebenholz des Instruments. Der dazu passende Hocker war mit einem cremefarbenen Kissen versehen, auf dem Frances sich niederließ.

Das indirekte Licht umhüllte das Mädchen und verwusch den Anblick. Das Kleid erschien nicht mehr ganz so überladen und die Frisur nicht mehr monströs. Ihre schimmernden Lippen dominierten ihr blasses Gesicht und ihre Wimpern fächerten sich malerisch auf.

Beinahe wäre Jonathan bei dem Bild überrascht stehen geblieben. Lediglich das leise Gemurmel in seinem Rücken trieb ihn vorwärts. Er blieb neben dem Pianoforte stehen, nahm Mirandas Hand von seinem Arm und nickte der Cousine zu.

»Lord Lynnwood, darf ich mich nach dem Stück erkundigen, das Sie vorzutragen wünschen?«, fragte Frances zaghaft. Obwohl sie den Blick hob, sah sie ihn nicht direkt an.

Jonathan beobachtete sie verwundert. Sie war überraschend unhöflich. Zwar war ihre Stimme sanft und freundlich, aber ihr beständig abgewendeter Blick war irritierend. Er war es gewohnt, angestarrt zu werden, schließlich war die Narbe legendär und junge Mädchen fanden sie darüber hinaus überaus romantisch.

Mit gerunzelter Stirn trat er näher an das Pianoforte. »Ist Ihnen ›Under the greenwood tree‹ bekannt?«, erkundigte er sich und bezog sich auf ein Sonett aus dem Shakespeare-Stück »Wie Ihr wollt«.

Frances nickte und richtete ihre Augen auf die Tastatur des Musikinstrumentes. »Wie Ihr wollt.« Ein Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. »Wie Sie wünschen.«

»Wenn es Ihnen genehm ist.«

»Selbstverständlich, Mylord.« Ihre Finger fuhren über die warmen Elfenbeintasten, gerade so, als würde sie die Melodie bereits spielen.

Jonathan runzelte die Stirn und bot aus Gewohnheit an: »Erlauben Sie mir, Ihnen die Seiten umzublättern.«

»Ach, nein!«, wies sie ab und schüttelte dabei ihr wildes Haar. »Das wird nicht nötig sein, ich kenne das Stück.«

Überrascht ließ er die Hand wieder sinken und räusperte sich leicht.

Frances schloss die Augen, um sich der Melodie zu entsinnen. »Sind Sie so weit, Mylord?«

Verblüfft sah Jonathan auf seine Gesangspartnerin herab. Ihre Stimme schien sich gewandelt zu haben, war sie gerade noch etwas rau und zittrig, erklang sie nun in einem lieblichen Timbre, der ihm eine Gänsehaut bereitete.

***

Nach einem knappen Nicken schlug sie den ersten Akkord an und hätte beinahe verwundert abgebrochen, als die dunkle, sonore Stimme des Marquess erklang.

Konzentriert schob sie den Schauer, der über ihren Rücken rann, aus ihrem Fokus und fiel im passenden Moment in den Gesang ein.

Fassungslos starrten die Zuhörer das Mädchen an. Die wundervolle, glockenhelle Stimme, die so unglaublich im Gegensatz zu ihrem wenig begeisternden Äußeren stand, umspielte den tiefen Bass des Lords. Sie sang wie ein Engel.

Als Frances den Schlussakkord schlug, versank der Raum in verblüfftem Schweigen.

Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe und wartete auf das Unvermeidliche. Als es ausblieb, traute sie sich einen Blick auf die versammelten Gäste zu werfen.

»Wundervoll!«, schwärmte die immer noch entrückte Miranda und trat zu dem stark erröteten Mädchen, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. »Lady Fanny, Sie singen herrlich!«

Mit funkelnden Augen sah sie zwischen Jonathan und Frances hin und her und bat um eine Zugabe.

Frances blinzelte überrascht. Ihre Finger rutschten von den Elfenbeintasten des Musikinstruments und verschränkten sich in ihrem Schoß. Sie senkte verschämt das Kinn und biss sich auf die Lippe. Wundervoll? Herrlich? Wie peinlich. Sie spürte nahezu, wie jedes Augenpaar im Raum auf sie gerichtet war. Bestimmt waren die Blicke missgünstig und verächtlich – und sicherlich teilten die übrigen Zuhörer nicht die Meinung der Hausherrin. Schon gar nicht die eigene Mutter. Frances meinte, deren Stimme aus dem aufbrandenden Geflüster herauszuhören: »Du wirst dich zurückhalten. Ich warne dich eindringlich: Bringst du Heather in Misskredit, wirst du es bitter bereuen! Und bitte! Mach dich nicht lächerlich! Am besten, du hältst dich im Hintergrund und beobachtest Heather. Sie weiß, wie man sich benehmen muss.«

»Lady Pembroke, ich löse meine Schwester gerne ab, sie ist sicher sehr erschöpft.« Die zirpende Stimme der Schwester riss Frances aus der Reminiszenz. Sie drückte ihr Kinn noch tiefer auf die Brust und seufzte innerlich. Sie war gar nicht erschöpft. Wovon denn auch?

Anders als die hübsche Heather stand Frances tatenlos in einer Ecke. Trotzdem nickte sie zustimmend und erhob sich so schnell von dem Hocker, dass sie ihn umstieß.

***

Jonathan, der neben dem spielenden Mädchen gestanden hatte, streckte eine Hand aus, um sie zu stützen.

Bestürzt weiteten sich ihre Augen, als ihr Blick über sein Gesicht glitt und an der Narbe hängen blieb.

»Lady Fanny …« Was immer er sagen wollte, blieb ungesagt, denn Heather hängte sich fröhlich zwitschernd an seinen Arm.

»Was möchten Sie denn mit mir vortragen?«

Jonathan rief sich zur Ordnung und wendete sich der Schwester seiner Gesangspartnerin zu. In Lady Heathers blauen Augen zeigte sich Besorgnis, die in ihrer Stimme widerhallte: »Fanny, du möchtest dich doch sicherlich ausruhen? Sie müssen wissen, Lord Lynnwood, Fanny ist recht kurzatmig.« Sie drehte sich zur Schwester, die sie verblüfft ansah. »Nicht wahr, Liebes?«

Frances schluckte. »Ja«, hauchte sie und senkte die Lider.

Sein Griff um ihren Ellenbogen verstärkte sich kurzweilig, bevor er sich löste.

»Darf ich meine Begleitung anbieten?«, erkundigte sich Lynnwood irritiert. Jemand, der ein fünfminütiges Stück ohne Patzer vortragen konnte, sollte an Atemnot leiden? Andererseits klang das Mädchen tatsächlich recht dünn.

Heather griff nach Frances‘ Hand und drückte zu.

»Nein!«, schrie Frances, riss die Augen auf und schüttelte zu ihm aufsehend den Kopf. »Ihr Angebot ist … schmeichelhaft, aber ich würde meine kleine Schwäche niemals höher bewerten als die Freude der Gesellschaft. Es wäre sträflich … Ihnen das Vergnügen Ihres Vortrages zu nehmen.« Frances knickste und eilte davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

Jonathan sah ihr nach, bis sich die andere Tochter aus dem Hause Morecambie in seinen Fokus schob. Wortwörtlich. Heather lächelte ihn lieblich an. Ihre Augen trugen jenen Blick der unschuldigen Verführung, und ihre Lippen waren genau so weit geöffnet, dass sie das Maximum an Anziehung vollbrachten. Alles, was fehlte, war eine Berührung. Er runzelte die Stirn. Kein unverheiratetes Mädchen sollte einen Mann so ansehen.

»Mylord?«

»Lady Heather …«

Irritation huschte über ihre Züge, dann wechselte sie zur schüchternen Maid. Sie schlug die Lider nieder. »Das Duett?«, hauchte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Jonathan fasste die schulterzuckende Cousine ins Auge. Es gab kein Zurück. Wenn er ablehnte, kam es einer Zurückweisung gleich, die das Ansehen der Lady schmälern würde. Es könnte als persönliche Abneigung aufgefasst werden, die letztlich zum Rufverlust führen könnte. Was wiederum auf die Familie des Mädchens zurückfallen und die Aussichten des anderen Mädchens ruinieren würde. Fanny. Ein wahrlich schrecklicher Name für eine Lady.

Kapitel 2

Der Faden durch das Öhr

London, Curzon Street, Morecambie HouseDer morecambiesche Ballsaal lag im Erdgeschoss des Stadthauses. Da es ein vergleichsweise kleines Palais war, beschränkten sich die Räumlichkeiten auf gute hundert Quadratmeter. Der längliche Saal grenzte an drei Gesellschaftsräume, dem Musikzimmer, dem Prunksaal und dem großen Salon. Jedes Zimmer konnte durch eine zweiflüglige Tür betreten werden, die von Marmorsäulen flankiert wurde. Zwischen den Pforten hingen Bilder mit typischen Festsujets. Tanzende Paare, eine Dame, die ihr lächelndes Gesicht halb hinter einem Fächer versteckte, und eine Runde Kartenspieler im Hintergrund. Nicht sehr geschmackvoll, aber passend zu den protzigen Kandelabern, die von der Decke hingen und mit dem Schein dutzender Kerzen den Raum beleuchteten.

An den Wänden waren ebenfalls Lichtquellen angebracht und sparten nur den Winkel zwischen Säule und Wand aus. Fast alle diese Winkel, fünf an der Zahl, wurden von getrimmten Bäumchen besetzt. Der Sechste, die linke Seite der Tür zum Speisesaal, diente Frances in dieser Nacht als Versteck.

Frances spähte an ihrem Bruder vorbei, der mit einer Gruppe junger Männer ihre Sicht auf die Tanzfläche verstellte. Howard Barrows, Viscount Upcambie, prahlte mit seinem Modebewusstsein laut genug, dass nicht nur sie es mitbekam.

»Es liegt auf der Hand, dass mein Geschmack wesentlich erlesener ist als Ihrer, Brunswick …«

Einige Gäste in seiner unmittelbaren Nähe warfen dem Quintett pikierte Blicke zu. Frances seufzte enttäuscht. Was sie auch tat, aus ihrem Versteck heraus konnte sie IHN nicht beobachten. Sie drückte sich aus der Nische zwischen Buchsbaum und Tür und stellte sich auf die Zehenspitzen. Er tanzte mit Miranda. Sie waren verspätet gekommen, deswegen hatte Frances sie nicht begrüßt. Aber Frances hatte natürlich gewusst, dass er die Festlichkeiten des Abends besuchen würde. Ein angenehmes Kribbeln überzog ihren Körper, als der Marquess of Lynnwood Lady Pembroke an den Rand der Tanzfläche dirigierte und ihrem Schauposten damit so nahekam, wie es nur möglich war. Sein nachtschwarzes Haar war im Nacken mit einem Samtband zusammengebunden. Es hob sich von dem tiefblauen Justaucorps ab, das sicherlich seine Augen unterstrich. Um sich dessen gewiss zu sein, war der Abstand zu ihrem Leidwesen zu groß. Was sie von ihm sehen konnte, war nicht minder interessant. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen und er sagte etwas zu Miranda, was diese ebenfalls lächeln ließ.

Ihr Bruder kam ihr wieder ins Sichtfeld und Frances versuchte, über ihn hinwegzuschauen. Der Marquess drehte das Gesicht und offenbarte damit seine sagenumwobene Narbe. Für Frances selbst war sie nur dem Namen nach sagenumwoben, denn genau genommen wusste sie nicht, was es damit auf sich hatte. Vermutlich wusste Heather mehr, und ihre Mutter kannte sicherlich ebenso jedes Fitzelchen Klatsch, den es darüber zu berichten gab. Aber Frances war lediglich Zaungast bei diesen Gesprächen und hörte zumeist nicht einmal richtig hin. Es interessierte sie nicht, was Menschen, die für sie meist ohnehin nur Namen waren, Ungeheuerliches taten. Oder eben nicht taten.

Lynnwood schwang seine Cousine herum und verschwand hinter einem anderen tanzenden Paar. Frances Zehen protestierten unter der unbequemen Haltung und sie sank zurück auf die Fußsohlen. Zumindest dazu war der Abend gut. Wie in den vergangenen Nächten, die sie in der Begleitung der Mutter und Heather auf etlichen Veranstaltungen verbringen musste, beobachtete sie die Menschen. Und wenn er da war, dann den Marquess of Lynnwood. Es faszinierte sie auf merkwürdige Weise, wie er sich bewegte. Sein geschmeidiger Gang oder die Leichtigkeit seines Tanzes. Als würde er schweben. Das war es nicht allein, aber Frances zog es vor, alles Weitere zu ignorieren. Sicherlich sollte keine junge Dame einem Gentleman hinterherschauen. Ihn beobachten. Sicherlich schickte es sich nicht, aber sie konnte es nicht abstellen. Sie hatte es eigentlich auch nicht versucht.

Frances lehnte sich gegen die Wand, um die Zehenspitzen zu massieren, und rutschte dafür wieder in ihre Ecke. Nicht auszudenken, wenn man sie bei dieser Tätigkeit sah! Eine vornehme Dame litt still und zeigte unter keinem Umstand ihr Missbehagen.

Frances seufzte traurig. So sehr es schmerzte, musste sie ihrer Mutter in dem Punkt uneingeschränkt Recht geben: Sie war keine Lady. Nicht im eigentlichen Sinne. Als Tochter eines Earls stand ihr der Titel zweifelsfrei zu, aber sie wusste sich nicht wie eine zu benehmen. Ihr fehlte das Wissen um die Etikette. Sie war nicht in der Lage eine gepflegte Konversation zu führen. Sie hatte nicht einmal modischen Geschmack. Zumindest hielt Lady Morecambie ihr dies ständig vor, obwohl Frances darüber streiten würde. Sie mochte nun mal gedeckte Farben. Sie mochte keine Muster. Und sie fand nun mal, dass sie mit der Menge an Folianten und Rüschen aussah, wie ein überdekorierter Christbaum. Das war ihre Meinung. So war es nun mal.

Frances entließ ihre immer noch schmerzenden Zehen sowie die deprimierenden Gedanken und linste zwischen den Blättern hervor. Noch immer blockierten ihr Bruder und seine Freunde ihre Sicht auf die Tanzfläche.

Es war verwunderlich, aber niemand schien sich daran zu erinnern, dass an diesem Abend ihr Debütball gegeben wurde. Zwar war sie genötigt worden, neben Heather die Gäste zu begrüßen, aber sonst blieb es ein Abend wie jeder andere. Niemand nahm Notiz von ihr.

Bitterkeit stieg in Frances auf und trieb ihr Tränen in den Augen. Sie fischte in ihrem Retikül nach ihrem Taschentuch, um die Feuchtigkeit aus den Winkeln zu wischen. Es störte sie nicht einmal, dass sich niemand für sie interessierte. Es war ihr gleich, dass jeder nur Heather sah. Aber dass man sie dazu benutzte, die Schwester noch begehrenswerter erscheinen zu lassen, war unrecht. Zumal man sie damit demütigte. Mit ihrer Kleidung, mit der Frisur und der Nichtbeachtung. Es war ihr erst an diesem Abend bewusst geworden, wie unmöglich ihre Situation war. Ihr Vater verlangte, dass sie in den Wochen ihrer Saison einen Gatten fand. Bei ihrem Abschied von dem morecambieschen Landgut in Cumbrien hatte es sich nicht so angehört, als ließe man ihr mehr als eine Saison Zeit für diese Aufgabe. Auf der anderen Seite tat ihre Mutter nichts, um Frances bei der Suche zu helfen. Ganz im Gegenteil sagte sie ihr doch unumwunden, dass sie Heather zu unterstützen hatte. Jeden Abend.

Frances drehte das Taschentuch zwischen den Fingern. Selbst wenn Lady Morecambie recht behielt und sich kein Gentleman um sie bemühen würde, musste man es dennoch versuchen. Dann konnte sie Lord Morecambie zumindest gegenübertreten und sagen, dass sie ihr Bestes gegeben hatte. Ach, wenn sie doch nur nie hätte herkommen müssen! Aber dann hätte sie auch den Marquess nie kennengelernt. Und das wäre sehr schade gewesen, war er doch so ein faszinierender Mann. Sein Anblick versetzte sie in Aufregung, seine Stimme ließ süße Wärme in ihr aufsteigen. Es war gut, dass sie in London war. Es war besser, dass sie die Veranstaltungen besuchen musste, und am besten war es, dass sie niemand zur Kenntnis nahm. Wie sonst könnte sie ihn so ungeniert beobachten? Mit dem Abend versöhnt, drückte sie einige Äste zur Seite, um ihr Blickfeld zu vergrößern.

»Jesus Christus, Upcambie, musst du ausgerechnet hier Hof halten?«, murmelte Frances und drückte sich wieder aus ihrem Versteck heraus. Ihr Bruder versicherte den umstehenden Gentlemen: »Wahrlich, an meinem Geschmack ist nicht zu deuteln. Er ist erlesen. Seht mich an. So versiert meine Garderobe ist, so ausgewählt ist die Wahl meiner Frauen.«

Frances Robe verhakte sich an einem Ast und nötigte sie sich frei zu fummeln. Wie merkwürdig, dass Upcambie sich häufig in London aufhielt, ohne aber gedrängt zu werden, sich zu vermählen. Wie ungerecht, dass sie unter solchem Druck stand, ohne Unterstützung zu erfahren, und Heather und Upcambie amüsierten sich bedenkenlos.

Frances sah der Gruppe nach und wagte sich etwas von ihrem Versteck fort.

Es war ihr offizieller Debütball. Sie war schon vor vier Wochen bei Hofe vorgestellt worden. Mit allem dazugehörigen Tamtam: dem weißen Kleid mit ellenlanger Schleppe, den drei Pfauenfedern im Haar und den klappernden Absätzen.

Frances trug stets Eskarpins, bequeme, flache Schuhe, da sie recht groß gewachsen war und niemanden überragen wollte. Daher waren die Pumps eine wahre Herausforderung gewesen. Sie wäre beinahe beim Rückwärtsgehen über ihre Schleppe gestolpert und hatte sich seitdem häufig anhören müssen, ungeschickt zu sein.

Ihr Vater hätte sie vorstellen sollen, aber er war auf ihrem Landgut geblieben. Upcambie hätte ihn vertreten müssen, aber er war zu der Zeit nicht einmal in London gewesen. Und so war sie lediglich in Begleitung ihrer Mutter und der Schwester gewesen. Eine undenkbare Kombination, hatte die Mutter sie doch die ganze Zeit ermahnt, der Familie keine Schande zu bereiten, wobei sie jede Möglichkeit dazu aufgezählt hatte. Heather hingegen war schön wie ein Schwan vor Frances daher geschwebt, als wäre es ihr Debüt und nicht Frances‹ gewesen. In Weiß, mit Feder, und es hätte nur noch gefehlt, dass Heather anstelle der Schwester ihren Knicks vor dem König gemacht hätte. Nicht, dass seine Majestät jemand anderen gesehen hätte als die traumhaft gewandete, ältere Lady aus dem Hause Morecambie.

Frances sah sich um, konnte den Marquess aber weder auf der Tanzfläche noch inmitten der umstehenden Grüppchen entdecken. Enttäuscht schob sie sich zurück in ihr Versteck.

»Lady Fanny, wie geht es Ihnen?«

Überrascht fuhr sie herum und stieß dabei gegen die Pflanze, griff nach ihr und verlor das Gleichgewicht. Eine Hand an ihrem Ellenbogen verhinderte schmerzhaft einen Fall.

»Obacht, Mylady.«

Tiefrot im Gesicht sah sie zu ihrem Retter auf. Verblüfft, aber auch peinlich berührt.

»Lord Lynnwood!« Sie blinzelte, öffnete den Mund um etwas zu sagen, bevor ihr einfiel, dass sie gar nicht genau wusste, was sie sagen sollte. Ein Blick in diese bezwingenden Augen half allerdings nicht dabei, ihre Gedanken zusammenzuhalten, verlor sie sich doch in ihnen. Sie waren so dunkel und doch unverkennbar blau. Er hatte eine gerade, schmale Nase, die man aristokratisch nennen würde. Markante Wangenknochen rahmten sein Gesicht ein, das seinen Abschluss mit einem energischen Kinn fand.

Sie runzelte die Stirn. Wenn die Narbe an seiner Wange nicht direkt beschienen wurde, sah sie auch nicht so schrecklich aus. Wie er sie wohl bekommen hatte?

»Mylady, ist Ihnen nicht wohl?«

»Oh!« Frances fixierte das schlicht gebundene Krawattentuch des Lords, um ihn nicht ansehen zu müssen. »Mir ist wohl, Mylord«, antwortete sie schließlich. »Ich war nur …«

»Erschrocken?«

Sie biss sich auf die Unterlippe. Wäre es ein Affront, zuzustimmen?

»Es war … unerwartet.«

»Tatsächlich? Dann bin ich wohl falsch informiert. Miranda nannte dies Ihren Debütball.«

»Dann haben Sie Lady Pembroke herbegleitet?« Erleichtert, dass sie ein Thema gefunden hatte, über das man unverfänglich sprechen konnte, ließ sie ihre Augen durch den überfüllten Raum gleiten.

»Lord und Lady Pembroke samt einer unverheirateten Cousine.« Seine halb belustigte, halb genervte Stimme machte sie wieder nervös. Seltsamerweise war es anders, mit dem Marquess zu sprechen, als mit einem anderen männlichen Wesen, mit dem sie Kontakt hatte.

»Oh.«

Sie runzelte die Stirn. Pembroke hatte außer ihr und ihrer Schwester keine unverheirateten Cousinen, also musste besagte Dame aus Mirandas Verwandtschaftskreis stammen.

»Dann haben Sie heute Abend familiäre Verpflichtungen, von denen ich Sie nicht abhalten möchte.« Noch während sie sprach, ging ihr auf, dass sie einen Fauxpas beging. Dazu brauchte sie nicht einmal seine Reaktion abzuwarten. Seine Augen weiteten sich überrascht.

»Ich wollte damit nicht …«

»Nein. Sie haben recht, Lady Fanny. Ich sollte meine Verpflichtungen erfüllen.« Er drehte ihr leicht die Seite zu und ließ seinen Blick über die Gesellschaft schweifen.

»Natürlich sollten Sie dies. Es hat mich gefreut, Sie wiederzusehen, Lord Lynnwood«, murmelte Frances niedergeschlagen.

»Dann werden Sie mir dabei behilflich sein?«

Verwirrt sah sie wieder auf. »Selbst … verständlich.«

»Dann gewähren Sie mir den nächsten Tanz?«, bat er, wobei er sie direkt ansah.

Frances starrte zu ihm auf. »Oh.«

Lynnwood reichte ihr den Arm, um sie zum Parkett zu führen und registrierte verwundert ihr Widerstreben.

»Tanzen?«, flüsterte Frances, ihre braunen Augen längst schon wieder auf ihre ineinander verschränkten Finger gerichtet. Hatte der Marquess sie gerade um einen Tanz gebeten? Sie atmete tief durch, bevor sie ablehnte: »Danke, aber es ist nicht nötig …« Sie brach ab, unglücklich, dass sie ablehnen musste, aber unter den Umständen anzunehmen würde ihr die Freude an dem Tanz verderben. »Ich bin mir sicher, dass Heather Sie nicht abweisen wird«, setzte sie leise hinzu und ließ die Schultern sacken.

»Lady Heather?«, erkundigte sich Lynnwood und sie konnte seiner Stimme die Verwirrung abhören.

»Sie brauchen den Umweg nicht, da bin ich mir sicher«, murmelte Frances und wand sich unbehaglich unter seinem eindringlichen Blick. Sie spürte, wie seine Augen über sie glitten, dann atmete er tief ein. Sie schloss die Lider. Er würde sich nun verabschieden, um Heather zu suchen. Wie dumm.

»Ich fürchte, Lady Fanny, dass ich Ihnen nicht folgen kann.«

Ein Schauer rutschte über ihren Rücken. Wie merkwürdig er ihren Namen aussprach. Zögernd, als käme er nur widerwillig über seine Lippen. Sie riss sich zusammen und erklärte hastig: »Wegen des Tanzes … Heather wird nicht ablehnen. Es ist nicht nötig, erst mit mir …«

Das Knirschen von Zähnen ließ sie erschrocken aufsehen. Direkt in die blauen Blitze des Lords, der recht aufgebracht auf sie herabsah.

»Wenn ich den Wunsch hätte, mit Lady Heather zu tanzen, würde ich sie fragen, Mylady. Da ich aber Sie aufgefordert habe, können Sie davon ausgehen, dass ich auch mit Ihnen tanzen möchte.«

Unter der Anfuhr senkte Frances den Kopf und zog die Schultern hoch. Dadurch entging ihr, dass sich seine Miene verdüsterte. Sie biss sich auf die Unterlippe. Hätte sie einen Blick gewagt, wäre ihr aufgefallen, dass diese Geste des Unbehagens ihn auf den vollendeten Schwung ihrer Lippen aufmerksam machte. Stirnrunzelnd stellte er klar: »Wenn Sie sich aus irgendeinem Grund unwohl mit dem Gedanken fühlen, mit mir zu tanzen, dann sagen Sie es einfach. Ich kann eine Abfuhr durchaus verkraften, Lady Fanny.«

Frances blinzelte und warf ihm unter ihren langen Wimpern einen vorsichtigen Blick zu. Meinte er es ernst? Wollte er wirklich mit ihr, mit Frances Barrows, tanzen? Warum sollte ein bedeutender Marquess, in seinem Alter und mit seiner Reputation, mit einem Niemand wie ihr Zeit verbringen?

Trotzdem war es der erste Tanz, den man ihr seit zwei Wochen anbot. So gern wie sie tanzte, wäre es sträflich ihn auszuschlagen.

»Dann entschuldige ich mich für … meine Dummheit und nehme Ihr Angebot gerne an, Mylord.«

Sacht platzierte sie ihre Hand auf dem Ärmel seines Justaucorps und ließ sich freudig auf die Tanzfläche führen. Ein Zittern durchlief ihren Körper, als er seine Hand auf ihren Rücken legte, was sie der Freude zuschrieb, endlich mal wieder über das Parkett zu fegen. Frances schloss wonnevoll die Augen, sobald er sie in die ersten Tanzschritte zog, und Lynnwood schüttelte milde amüsiert den Kopf.

Sehr zu Frances‘ Freude würde ihr einziger Tanz dieses Abends, der wahrscheinlich auch der einzige in dieser Woche sein würde, ein Walzer sein. Sie überließ sich bedenkenlos der Führung des Lords, der sich zunehmend über den eklatanten Mangel an Höflichkeit der jungen Dame wunderte.

War Lady Frances Barrows nicht nur unattraktiv, sondern auch taktlos?

In dem Fall war es wohl nicht verwunderlich, dass er sie allein in einer Nische angetroffen hatte.

Als hätte Frances seine uncharmanten Gedanken gehört, seufzte sie ergeben und sah zu ihm auf. »Sie tanzen ausgezeichnet, Mylord, fast so gut, wie Sie singen.«

Jonathan war fast geneigt zu lachen, stattdessen fragte er sie mit ernster Miene: »Haben Sie mir gerade ein Kompliment gemacht und es dann mit einem zweiten wieder zurückgenommen?«

In Frances‘ Gesicht zeigte sich für einen kleinen Augenblick echte Zerknirschung, als sie mit ihrem Fauxpas konfrontiert wurde. Dann erhellten sich ihre Züge.

»Keineswegs, ich habe Ihnen lediglich zwei Komplimente gemacht und als eine angemessene, höfliche Erwiderung wäre ein ›Danke vielmals, Lady Fanny‹ angebracht gewesen. Es ist sehr beruhigend, dass wir beide gleich unhöflich sind.«

»Ich würde Sie niemals unhöflich nennen, Lady Fanny«, beeilte sich Jonathan zu sagen, unangenehm berührt, dass ihm seine Gedanken so leicht aus der Miene abzulesen waren. Unverständlicherweise störte es ihn, dass sie davon ausgehen könnte, er habe eine schlechte Meinung von ihr.

»Natürlich nicht!«, beschwichtigte sie mit einem Lachen in der Stimme. »Zumindest nicht in aller Öffentlichkeit, dazu sind Sie zu sehr Gentleman. Aber ich war unhöflich, da ich es versäumte, ein Gespräch zu beginnen. Bitte nehmen Sie meine aufrichtige Entschuldigung an.«

Ihre ruhige, sanfte Stimme wurde von einem ehrlich bedauernden Lächeln begleitet, das Jonathan eigenartigerweise faszinierte. Er war es gewohnt von Damen jeglichen Alters angelächelt zu werden, aber selten begegnete ihm dabei Fannys Offenheit.

»Ich bekomme nicht allzu oft Gelegenheit zu tanzen. Deshalb konzentriere ich mich, wenn es mal dazu kommt, am liebsten ganz auf diese Freude. Leider leidet darunter mein Benehmen.« Ihre Worte wurden von einem weiteren kleinen Seufzer begleitet, der die Last ganzer Welten zu transportieren schien.

»Auf einem Fest wie diesem sollte es Ihnen an Tanzpartnern beileibe nicht fehlen«, äußerte Jonathan und beobachtete verdrossen, wie sich Lady Fannys glücklich leuchtendes Antlitz verdunkelte.

»Sie belieben zu scherzen!«, grummelte sie und verzog die süßen Lippen.

»Keineswegs«, hielt er dagegen, wodurch ihre Miene noch düsterer wurde.

Frances schenkte ihm einen weiteren, diesmal recht verärgerten Blick.