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Gottfried ist die Hauptfigur der Geschichte. Wir lernen ihn kennen, als er nach einem langen und relativ freudlosen Leben, im beachtlichen Alter von 93 Jahren auf dem Totenbett liegt. Gepeinigt von Schmerzen wünscht er sich nur noch vom Tod erlöst zu werden, macht sich aber doch Gedanken über das, was danach kommen könnte. Denn sicher war bisher nur der Tod, über das Danach, hatte noch niemand zuverlässig berichtet. Als er schließlich seiner Altersschwäche erliegt, findet er sich unerwartet in dem Himmel wieder, an den er nie geglaubt hatte. Nach anfänglicher Skepsis und Unsicherheit fühlt er sich dort dann doch erstaunlich wohl. Daran hat der ihm zugeteilte Engel Michaela, erheblichen Anteil... Zu seinem Leidwesen muss er jedoch feststellen, dass er nur Teil eines großen Plans der Götter ist. Ja, Götter! Denn alle Götter, die sich die Menschheit in tausenden Jahren erdacht hatte, sitzen (oder saßen) dort gemeinsam an einem Tisch. Ihr Plan besteht nun darin, Gottfried, zusammen mit all den anderen Auserwählten auf die Erde zurückzuschicken, damit sie mit vereinten Kräften die Religionen abschaffen. Die Götter wollen endlich ihre wohl verdiente Ruhe vor den Menschen haben. Nach intensiver Vorbereitung kehrt er, nun wieder jung und gesund, mit dem Auftrag der Götter in ein reales Leben zur Erde zurück. Michaela, die ihn dabei unterstützen soll, ist nun, zumindest äußerlich, kein Engel mehr. Gottfried möchte sich nach der ersten gemeinsamen Nacht, pflichtbewusst an die von den Göttern geforderte Aufgabe machen. Doch Michaela hat andere Pläne: Sie hält ihm vor Augen, was die Folge wäre, wenn es ihnen tatsächlich gelänge die Götter samt Himmelreich abzuschaffen. „Wir würden altern und sterben, ohne eine weitere Chance auf den Himmel und erneute Jugend, mit der wir wieder und wieder von vorn beginnen könnten.“ Nach kurzer Überlegung war auch Gottfried von Michaelas Ansicht überzeugt. „Ach, geh doch zum Teufel mit den Göttern“, stimmte er ihr mit zufriedenem Lächeln zu. Protagonisten: Gottfried Ein alter Mann der sein Leben nach dreiundneunzig Jahren gründlich satt hat. Er möchte nur noch friedlich einschlafen, um dann endgültig seine Ruhe zu finden. Michaela Der Engel, der Gottfried zugeteilt wurde, um ihn auf die Rückkehr in ein neues Leben vorzubereiten und anschließend auf die Erde zu begleiten. Sie finden mehr Gefallen aneinander, als unter himmlischen Wesen üblich. Weitere Mitstreiter kommen aus allen Teilen der Erde und wuchsen unter dem Ein
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Hoffentlich,
wird es uns allen eines Tages,
genau so,
oder wenigstens so ähnlich,
widerfahren.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Im Dämmerlicht seines Schlafzimmers herrschte Grabesstille; die Mienen der um sein Bett versammelten, hatten sich der ausgesprochen finsteren Atmosphäre pietätvoll angepasst.
Doch Gottfried wollte die düstere Umgebung nicht mehr wahrnehmen, er hoffte nur noch, sich mit aller Würde die ein Sterbender aufbringen kann, endlich aus diesem scheinbar unendlichen Leben zu verabschieden. Seit zu vielen Jahren schon, zog es sich ohne jeden Sinn, nur noch quälend in die Länge.
Vermutlich war er nicht einmal der Einzige, der seit längerer Zeit ungeduldig auf sein Ende wartete. Sollte doch der letzte Vorhang fallen, um dem freudlosen Schauspiel ein Ende zu bereiten.
Mittlerweile war die Mühsal seines Greisenalters sicher nicht nur ihm, sondern auch den Menschen zur Last gefallen, die sich verpflichtet fühlten, ihm die letzte Phase seines Lebens einigermaßen erträglich zu gestalten.
Sein Körper war nur noch ein Behälter aus runzliger Haut, der Sehnen, Knochen und verbrauchte Organe notdürftig zusammen hielt. Obwohl alternde Menschen bekanntlich kleiner werden, reichte dieses Bündel ziemlich deprimierenden Lebens, auch nach dreiundneunzig Jahren noch vom Kopf- bis zum Fußende des Bettes. Aber selbst diesem großen und ehemals äußerst imposanten Mann, würde das Sterben nicht leichter fallen, als vielen anderen Menschen. Der Abschied von einer vertrauten Welt in eine vollkommen unbekannte, macht es so schwer. Doch die Schmerzen, die er nun schon jahrelang ertrug, waren sehr hilfreich dabei, die Angst vor dem Unbekannten zu überwinden.
Keiner der anwesenden Trauernden, kam auf die hilfreiche Idee, ihn behutsam auf die Seite zu drehen, damit sich der Rücken von seinen Druckstellen erholen konnte. Aber wie sollten sie von seinem Übel erfahren, schließlich hatte er schon seit Stunden nicht mehr mit ihnen sprechen können.
„Geht nach Hause, hier gibt es nichts erfreuliches zu sehen“, dachte er, „bringt die Kinder weg von dem unerquicklichen Trauerspiel. Sie werden noch früh genug auf das unerfreuliche Ende des Lebens stoßen.“
Ein quengelndes „Mama, wann gehen wir nach Hause?“, war die Folge unüberlegten Handelns den Kindern gegenüber und ein weiteres Zeichen dafür, dass er auf dieser Welt nichts mehr verloren hatte.
Das Letzte, was den Dienst verweigerte, waren seine Gedanken. Sie irrten mit immer weniger Eifer im Hirn umher und suchten nach schönen Erinnerungen. Doch jeder halbwegs erfolgreiche Fund wurde von irgendeinem heimtückischen Schmerz vertrieben. Es war ein weiteres Zeichen dafür, dass die Leiden nach und nach die Herrschaft über Gottfried übernahmen, bis auch ihnen, gemeinsam mit dem Hirn, endgültig die Puste ausgehen würde.
Um endlich die wohltuende Erlösung zu finden, wünschte er nichts sehnlicher, als sich bis in alle Ewigkeit im absoluten Nichts zu verlieren. Worte wie Liebe und Genuss; Lachen und Scherzen; Glück und Zufriedenheit, sind Begriffe, die aneinandergereiht, Lebensfreude ausmachen. Die wenigen, wirklich glücklichen Momente in seinem langen Leben, waren zwar nicht komplett aus seiner Erinnerung verschwunden, hatten aber nicht mehr genug Kraft, um seinen Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, zurück zu nehmen.
Jetzt blieb ihm nur noch der Trost, dass seine Hoffnung, auf die er schon lange baute, endlich zur festen Gewissheit wurde: Wenn sich ein Mensch nur lange genug gequält hatte, wird ihm, gewissermaßen als Wiedergutmachung für sein beschwerliches Leben, nicht nur die Angst vor dem Tod genommen, er würde zu guter Letzt sogar sehnlichst darauf warten, endlich erlöst zu werden
Wie schon so oft in seinem Leben, hatte ihm auch jetzt die Vorstellung Trost gespendet, dass Menschen, die mit ihrem unermesslichen Reichtum im Luxus baden, sich verzweifelt an ihrem irdischen Leben festklammern. Denn sie haben allen Grund, das Ende so lange wie möglich hinaus zu zögern, denn sie können es in vollen Zügen genießen.
Anders, als so ein armer Wicht wie Gottfried, der es wahrlich im Leben schwer genug hatte. Da ist es nur fair, wenn ihm wenigstens der Abschied vom beschwerlichen Leben leichter fällt, als den reichen Pfeffersäcken.
Die, die sich ohnehin schon am Überfluss berauschen, können sich auch noch die besten Ärzte leisten, von denen sie dann mit allen möglichen medizinischen Künsten, so lange am Leben gehalten werden, bis absolut nichts mehr geht. Und dann kommt sie, die Angst, wenn sie eines Tages begreifen müssen, dass ihnen ihr Reichtum auch nicht weiterhilft. Aus diesem Grund, wird es den Vermögenden ungleich schwerer fallen, wenn sie zum Schluss aus ihrem selbsterschaffenen Paradies vertrieben werden. Sie wissen ebenso wenig, wie alle anderen, was sie auf der anderen Seite erwartet. Kein Mensch, egal welcher Religion er angehört, kann wirklich wissen, ob es nicht doch so etwas wie Himmel und Hölle gibt. Viele Geldfürsten werden begründete Angst vor einer himmlischen Gerechtigkeit haben. Sie lassen sich viel zu spät durch den Kopf gehen, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind. „Hab ich mein Geld redlich verdient, oder habe ich andere übervorteilt, vielleicht auch betrogen?“ Was hilft es, in der Stunde des Todes auf ein schönes Leben zurückblicken zu können, wenn die Sicht nach vorn, von Angst und Entsetzen geprägt ist.
Gottfried hingegen, dem es im Leben nur selten wirklich gut ergangen war, begrüßte nach all den Jahren des Leidens, seinen Tod als mittlerweile willkommene Erlösung. Insofern saß er den Reichen gegenüber, zumindest in der Stunde des Todes, am besseren Ende.
Nein - wenn ihm sein Leben nichts besseres mehr anzubieten hatte, als Schmerzen und den Mitmenschen mit seinem hilflosen Körper zur Last zu fallen, wollte er sich nicht noch unnötig lange daran festhalten. Es ergibt doch einfach keinen Sinn, wenn man an nichts mehr teilhaben kann. Alles was das Leben im Großen und Ganzen lebenswert machte, lag schon weit hinter ihm. Jetzt, da ihm nichts als Quälerei geblieben war, wollte er nur noch ein letztes Mal einschlafen; sich selbst und seine Mitmenschen, von einem beschwerlichen Dasein zu erlösen.
Sogar Ruth, seiner Frau, die beinahe zwanzig Jahre jünger war als Gottfried, würde er mit seinem Ableben vermutlich entgegen kommen. Denn er konnte sich beileibe nicht vorstellen, sie mit seinem Tod in tiefe Trauer zu stürzen. Immerhin hatte sie sich nicht nehmen lassen, ihm bis zum letzten Herzschlag beizustehen und so lange an seiner Seite durchzuhalten, bis es vorbei war. Vermutlich wollte sie seinen Kindern zeigen, welch gute Frau sie ihrem Vater, Großund Urgroßvater gewesen war.
Fünf Jahre nach dem Tod seiner geliebten Hilde, hatte er Ruth auf der Feier zu seinem sechsundsechzigsten Geburtstag kennengelernt. Sie war damals mit irgendwelchen Bekannten erschienen, an die er sich nicht mehr erinnerte. Alles, woran er sich heute noch zu erinnern glaubte, war, sie brachten Ruth schon in der Absicht mit, sie mit ihm zu verkuppeln. Als er bemerkte, dass die noch recht junge und überaus attraktive Frau, nicht abgeneigt war, sich auf ein intimes Verhältnis mit ihm einzulassen, wollte er sie um keinen Preis wieder ziehen lassen. Schon nach wenigen Monaten hatte ihm Ruth alle Zweifel ausgetrieben und ihm eine schnelle Heirat schmackhaft gemacht.
In dieser neuen Verbindung blühte er auf und fand zu einem recht glücklichen Dasein zurück, an das er schon lange nicht mehr geglaubt hatte.
Doch dann trübten ausgerechnet seine Kinder, das neue Glück auf empfindliche Weise. Sie wussten nicht wie sie ihm ihre Bedenken möglichst schonend beibringen sollten. Natürlich trauten sie sich nicht zu sagen: „Papa, sie ist zu schön und zu jung für dich. Du bist eine graue Maus mit einem strahlenden Juwel an seiner Seite.“
Stattdessen versuchten sie nur auf den Altersunterschied und die kurze Bekanntschaft anzuspielen.
„Kinder, ich bin nicht von Gestern.“
„Nein, Papa, von Vorgestern“, sagte die jüngste dann lachend, und das Thema war erst einmal wieder vertagt.
Doch schon nach kurzer Ehe fiel er aus allen Wolken, denn ihm wurde schnell bewusst, dass seine Kinder ihn zu recht vor ihr gewarnt hatten.
Als er sie kennenlernte, war er, wie es so seine Art war, ein wenig zu großzügig gewesen. Unglücklicherweise lag natürlich genau darin der Grund, weshalb sie in ihm einen recht vermögenden Mann vermutete. Aufgrund seiner bis dahin gezeigten, bescheidenen Lebensweise, ging es ihm ja auch wirklich nicht schlecht, rein materiell betrachtet. Als Reichtum konnte man seine mühsam zusammengekratzte Rücklage jedoch nicht bezeichnen.
Nachdem sie ihre Fehleinschätzung erkannt hatte, zog sie sich in sich selbst zurück, ohne dass ihr bewusst war, wie sehr sie Gottfried damit strafte. Aus der romantischen, lebhaften Gemeinsamkeit wurde nun allerdings eine eher platonische Verbindung, in der weder Leidenschaft noch Streit einen bedeutenden Platz einnahmen. Da sie Gottfried inzwischen aber schon einen großen Teil ihres Lebens geopfert hatte, wollte sie die letzten Tage ihrer Ehe nun auch noch mit Anstand überstehen. Und für eine, wenn auch bescheidene Erbschaft, konnte man sich ein wenig zusammenreißen.
„Ich denke, sie wird mich nicht sonderlich vermissen“, dachte er, „wir hatten doch sowieso kaum noch etwas gemeinsam“.
Seine fahrigen Gedanken glitten wieder zu seinen geliebten Töchtern Julia und Ines, die er gerade jetzt so schmerzlich vermisste. Sie waren gemeinsam bei einem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen.
„Obwohl es schon so lange her ist, schmerzt es dennoch, fast so furchtbar wie damals.“
Trotz ihres frühen Todes, war Ruth das schlimme Ereignis nicht erspart geblieben.
„Gottfried, was für Hirngespinste erzählt uns die Kirche über den liebenden Gott, der den guten Menschen Gnade erweist, fragte Ruth mit gebrochener Stimme, als sie sich von der Beerdigung auf den Rückweg machten. „Waren unsere beiden kleinen nicht die reinen Engel?“ Dann brach sie wieder in Tränen aus.
Es war eine schlimme Erinnerung, die seither schwer wie Blei auf seiner Seele lag und gerade auf seinen letzen Metern noch an Gewicht zugenommen hatte.
Seine Enkelkinder waren ihm ja schon ziemlich fremd geworden, aber die Urenkel, die hätte er auf der Straße unter all den anderen Kindern wohl nicht mehr herausgefunden, denn sie hatte er kaum noch zu Gesicht bekommen; für ihn waren sie praktisch wie fremde Wesen. Umso überraschter war Gottfried, als sich jetzt doch einige von ihnen, zu seiner vermutlich letzten Stunde an seinem Bett eingefunden hatten.
„Die werden ihren Eltern aus irgendeinem Grund eine Freude machen wollen, denn ich hab sie so selten gesehen, dass ich sie nicht auseinander halten könnte. Denken ihre Eltern nicht darüber nach, welche Narben der Anblick eines Sterbenden auf der Seele ihrer Kindern hinterlässt?“
Seine negativen Gedanken fielen in sich zusammen, als sie sich wieder unangenehm für sein Ende zu sammelten.
Gottfried hatte nie zu den Menschen gehört, die an überirdische Wesen glaubten, sondern er hielt den Himmel mit all seinen Engeln, Harfen und Hallelujas, für eine besonders einträgliche Erfindung der Religionsstifter. Schon ihre ersten Nachfolger profitierten recht gut davon, denn der Grundstein zur Ausbeutung der Gläubigen war gelegt. Sie mussten nur noch ihre jeweilige Position festigen, das Heer der Schafe vermehren und es sich ansonsten gutgehen lassen.
Dennoch hingen seine letzten Gedanken der Hoffnung nach, Hilde, seine große Liebe, vielleicht doch irgendwo da draußen wiederzusehen.
„Wenn ich, statt einfach nur tot zu sein, wider erwarten doch in so etwas wie Himmel oder Hölle landen sollte, dann hoffe ich inständig, wenigstens dort wieder mit ihr vereint zu sein. Dazu müsste ich mir allerdings verdient haben in den Himmel zu kommen, denn für einen anständigen, bescheidenen und aufrechten Menschen wie Hilde, käme die Hölle wohl kaum in Frage“. Ein Lächeln erwärmte sein Innerstes, als er an sie dachte: „Ich bin mir nicht sicher, ihr in ihrer Tugend immer ebenbürtig gewesen zu sein.“
Auf ermüdende dreiundneunzig Jahre hatte er es nun gebracht. Den größten Teil dieses erstaunlich langen Lebens musste er sich mit Entbehrungen, Schinderei und Sorgen herumschlagen. Die verblassende Erinnerung an die vergleichsweise kurzen Glücksmomente in seiner ungewöhnlich langen Lebenszeit, reichte bei Weitem nicht aus, um seinem morschen Leib ein Weiterleben schmackhaft zu machen. Es fehlte einfach jedes bisschen an Erfolg, Gesundheit und Vergnügen, was den Zeiger der Waagschale auch nur annähernd hätte auf Lebensfreude ausrichten können.
In den letzten Jahren kamen dann auch noch die schwer zu ertragenden Schmerzen hinzu, die ihn immer öfter verzweifeln ließen. Die meisten Menschen, die ihr Leben in Gottesfurcht mit Gebeten und Ängsten verbrachten, glaubten an ein unvergängliches Dasein im Himmel, oder fürchteten, wenn es wider erwarten doch schlecht ausgehen sollte, eine grässliche Unendlichkeit in der Hölle.
Gottfried verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an Himmel und Hölle. Er dachte lieber in eine ganz andere Richtung. Wenn er sicher wüsste, er würde schlicht und einfach aufhören zu existieren, würde ihn das schon ausreichend beruhigen. Er wollte von all dem Elend auf der Welt, nichts mehr hören und sehen und vor allem nichts mehr fühlen.
Da er in seinem Leben nichts ausmachen konnte, wofür es sich gelohnt hätte, weiterhin die lästigen Schmerzen zu ertragen, wollte er wenigstens durch den Tod von ihnen erlöst werden.
Nach einem tiefen, ruhigen Atemzug, schien ihm zumindest dieser Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein. Er war, wie nach Wunsch, sanft entschlafen.
Das glaubten jedenfalls alle Anwesenden, die an seinem Bett saßen und um ihn trauerten…
… und Gottfried schien wirklich am Ende zu sein, oder ging es für ihn vielleicht doch erst jetzt so richtig los?
Um den Zustand der schmerzfreien Leichtigkeit, die ihn plötzlich durchflutete, nicht durch unliebsame Realitäten zu gefährden, behielt Gottfried die Augen erst einmal geschlossen. Er wollte das unerwartet aufgekommene Hochgefühl so lange und intensiv wie möglich auskosten.
Schlagartig mit dem erhebenden Glücksgefühl überschüttet, kehrte von einem Moment zum anderen, der Wunsch zu leben, in seinen uralten Körper zurück.
Zuerst wurde sein Gehirn mit neuem Leben erfüllt, es begann heftig zu arbeiten und suchte seinen Körper eifrig nach dem kleinsten Wehweh ab, fand jedoch nicht die geringste Beschwerde.
„Wenn das der Tod ist, dann heiße ich ihn herzlich willkommen“.
In flauschige, anschmiegsame Wärme gebettet, sog er das nie für möglich gehaltene Wohlbefinden in sich auf. Er konnte seine Leichtigkeit und neu gewonnene Lebenskraft kaum begreifen.
Gerade als er sein neues Glücksgefühl zu akzeptieren begann, tauchte ein seltsamer Gedanke aus den tiefsten Tiefen seiner Seele auf, bis er die Oberfläche seines Geistes erreicht hatte.
“Irgendetwas stimmt hier nicht. Wenn ich noch lebe, wo ist dann das Geflüster der an meinem Bett versammelten scheinheiligen Trauergemeinde geblieben? Andererseits kann ich nicht mehr denken wenn ich tot bin.“
Langsam und vorsichtig öffnete er seine Augen, gerade so, als müsse er sich vor allem fürchten, was er zu sehen bekommen könnte.
Aber - da war nichts zu sehen.
Nichts - außer wohlig warmem und erfreulichem Licht.
Für einen Moment schloss er die Augen wieder, und hoffte, es würde sich nichts geändert haben, wenn er sie wieder öffnete. Bedächtig und ängstlich, erst ein wenig blinzelnd, doch dann immer mutiger werdend, blickte er vorsichtig in die fremde Umgebung. Er richtete seinen Kopf auf, und bewegte ihn vollkommen schmerzfrei, in jede Richtung.
Doch wohin er auch sah, alles blieb tatsächlich so wunderbar ruhig und einzigartig angenehm; wie ein warmes Bad in der Sonne. In ihm breitete sich ein sonderbares, überwältigendes Gefühl aus, als währen Glück und Zufriedenheit in seinem Innersten ein unzertrennliches Bündnis eingegangen.
Doch er stellte fest, dass die Umgebung im Grunde nicht so ganz und gar unverändert geblieben war.
Irgendwie hatte sich das Licht ein wenig verbessert, nein, nicht verbessert, es war nur nicht mehr dasselbe wie vorher, es schien jetzt irgendwie transparenter, nicht mehr so undurchdringlich. Außerdem gab ihm ein kaum spürbarer Druck unter den Füßen, das Gefühl, nicht mehr zu liegen, sondern nahezu schwerelos in aufrechter Haltung durch den sich lichtenden Nebel zu gleiten.
Aufmerksam beobachtete Gottfried, wie sich durch diesen märchenhaft leuchtenden Nebelschleier, langsam einige diffuse Konturen abzeichneten. Neugierig wie ein kleines, eifriges Kind, versuchte er schon im Voraus zu erraten, was sich hinter diesen schemenhaften Linien verbergen könnte. Erst als sich der Nebel in wenige Fragmente auflöste, bemerkte er, dass er sich in Wolken befand, die vollkommen lautlos und gemächlich um ihn herumtanzten. Doch diese Wolken waren die schönsten, die er je gesehen hatte. Sie waren die reinste Liebkosung, nicht störend, oder gar bedrohlich, wie man sie im Allgemeinen wahrnimmt.
Nach einer Weile blickte er ein wenig verwirrt auf seine Füße, weil er glaubte, der unbekannte Untergrund würde sich mit ihm gemeinsam fortbewegen.
„Aber natürlich“, stellte er nach einem Moment verblüfft fest, „das scheint tatsächlich so etwas wie ein Laufband zu sein, ähnlich wie im Kaufhaus. Allerdings ist es hier wesentlich angenehmer, weil es nicht durch die lärmenden Etagen eines Warenhauses geht, sondern vollkommen lautlos durch diese angenehm warmen Wolken. Wie kann ein einzelner Mensch, so unglaublich glücklich sein?“
Gottfried hatte beinah schon vergessen, dass er sich noch vor wenigen Augenblicken aus seinem qualvollen Leben verabschiedet hatte. Das Empfinden für die schweren Leiden der letzten Jahre war wie ausgelöscht, tauchte im Hintergrund unter und verschwand in einer blassen, bedeutungslosen Erinnerung die keinerlei Einfluss mehr auf ihn zu haben schien.
Jetzt gab es weitaus wichtigeres, als über die Vergangenheit nachzudenken; etwas, dem er seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen wollte – und wohl auch musste. Denn er war gezwungen, sich mehr damit zu beschäftigen, wo er angekommen war, als darüber nachzudenken, welchem Elend er anscheinend gerade entkommen war. „Ist das der Himmel? Sieht ja fast so aus. Oder ist es der ganz normale Übergang in den Tod, von dem schon so viele Menschen berichtet hatten, die dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen waren? Wenn es aber doch nur ein Traum ist, möchte ich bitte nicht wieder aufwachen“.
Seine Ankunft im schmerzfreien Hier, in dem er so behaglich gestrandet war, beschäftigte all seine Sinne. Ungeduldig suchte er nach neuen Eindrücken, tastete mit Augen und Ohren die Umgebung ab, um auf unliebsame Überraschungen vorbereitet zu sein; was würde als nächstes kommen, welche Traumbilder - oder Realitäten - würden noch auf ihn warten.
Die letzten Jahre hatte er überwiegend damit verbracht, wehmütig zurückzudenken, denn eine Zukunft, in die er voller Hoffnung hätte blicken können, gab es für einen Mann in seinem Alter schon lange nicht mehr.
Das schien sich, wenn er nicht träumte, nun schlagartig geändert zu haben. Er konnte wenigstens kurzfristig wieder nach vorn schauen, ohne vor dem, was ihn noch erwarten könnte, Angst zu verspüren. Nichts bereitete ihm Sorgen, im Gegenteil, er genoss sein Wohlbefinden mit jedem Herzschlag und fühlte sich wie ein erwartungsvolles Kind unter dem Weihnachtsbaum.
Zögerlich legte seine Hände links und rechts von sich, auf eine Art Begrenzung, oder Geländer, das sich mit ihm bewegte. Dann sah er sich langsam um.
Viel zu sehen gab es eigentlich noch immer nicht. Gottfried fragte sich gerade, ob es tatsächlich nichts zu sehen gab, oder ob die restlichen Wolken alles Sehenswerte verhüllten, als er unerwartet, nur wenige Meter neben sich, eine Reihe dicht gedrängter Menschen aus den Nebelschwaden ans Licht kommen sah.
Ein Schwall finsterer Gestallten tauchte praktisch aus dem Nichts auf. Und doch schienen sie der gleichen Quelle zu entspringen, wie Gottfried. Er vermutete, dass sie alle an einem Punkt ankamen, an dem sie vorsortiert wurden. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Doch war Gottfried sich nicht ganz sicher, wer nun zu den Guten zählte und welches Ziel auf wen wartete. Die dunklen Gestalten, die Gottfried für die Schlechten hielt, strömten viel schneller dahin, als er selbst; willenlose Menschenmassen, die sich stumm hinter einem lang gezogenen Gitter in ihr Schicksal fügten. Offenkundig durfte sich niemand von seinem vorgeschriebenen Weg entfernen, der ihn in die Richtung zu führen schien, aus der Gottfried gerade kam.
Dieser endlos lange Käfig, der mit unglaublich vielen, düster und apathisch wirkenden Menschen vollgestopft war, wirkte dämonisch und furchterregend.
Bisher hatte Gottfried auf seinem Weg noch keinen weiteren Menschen gesehen. Er drehte sich noch einmal um und erkannte nach einer Weile, wie sich hinter ihm schemenhaft, eine vermutlich männliche Gestalt abzeichnete, die sich ebenfalls auf seinem Weg befand. Als die Konturen nach und nach immer deutlicher hervortraten, wurde klar, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Obwohl es ein Mensch in weiter Entfernung war, den er nie zuvor gesehen hatte, fühlte er sich nicht mehr so einsam.
Als er wieder nach vorn schaute, bemerkte er gerade noch rechtzeitig einen Hinweis vor sich, dass er sich möge doch bitte nach links orientieren möchte. Über der Menschenmenge zu seiner rechten dagegen, wies ein unter bedrohlichen Geräuschen hektisch blinkender Pfeil, vollkommen unnötig nach unten, da es sowieso kein Entkommen gab. Schon nach wenigen Metern wurde der Pfeil, durch die steile Abfahrt in ein stockfinsteres Loch, bestätigt.
Ohne erkennbare Regung fügten sich die grauen Gestalten, mit ihren unbeweglichen Gesichtern in ein ungewisses dunkles Schicksal, so als ginge sie ihr eigenes Trauerspiel nichts an.
Gottfried war wie vom Donner gerührt. Von Kopf bis Fuß mit eisiger Gänsehaut überzogen, sah er ihnen einen kurzen Moment hinterher, erinnerte sich dann aber an die Richtung, die ihm der Hinweis vorgab. Äußerst beeindruckt von dem entsetzlichen Schauspiel auf der anderen Seite, wollte er dem Hinweis lieber folgen, um auf dem beschriebenen Weg zu bleiben, als irgendein Risiko einzugehen. Ob Traum oder Realität, um nichts auf der Welt wollte er auf die Abfahrt in die Finsternis umgeleitet werden.
Als er seinen bisherigen Weg verließ, spürte er allmählich, ganz leicht nur, wieder ein Gewicht unter den Füßen. Es war nicht etwa störend, denn er glitt, wie in seinen besten Zeiten, mit federleichtem Gang, ohne den geringsten Kraftaufwand, dahin.
„Wenn das tatsächlich der Tod ist so heiße ich ihn herzlich willkommen. Sollte ausgerechnet der gefürchtete Sensenmann, der erste sein, der mich in meinem Leben so richtig zufrieden stellt?“
Er musste nun doch schmunzeln weil ihm sofort auffiel, was an dem Gedanken nicht stimmte, und verbesserte sich. „Hätte ich mich vor dem Ende meines Lebens so wohl gefühlt wie danach, wäre mir das Sterben bestimmt nicht so leicht gefallen.“
Jedenfalls konnte er bis jetzt keinen Grund ausmachen, der ihn sein vergangenes Leben vermissen ließ.
„Was mag aus Wolfgang und Gaby geworden sein“, fragte er sich, „die werden mit ihren hinterhältigen Tricks und Machenschaften gut durchs Leben gekommen sein, aber wohl kaum das Glück gehabt haben, über diesen Weg in den Himmel zu gelangen. Für diese Sorte Mensch wird eher der vergitterte Abstieg gedacht sein“.
Doch dann erinnerte er sich tröstlich an die geliebten, vor ihm verstorbenen Menschen, die er vermisst und betrauert hatte. Wenn sie sich den gleichen Weg verdient hätten wie er, dann gäbe es keinen Grund mehr sie zu bedauern oder zu beweinen, weil es auch ihnen jetzt sicherlich viel besser gehen wird, als in ihrem kompletten Leben zuvor.
Bei diesem Gedanken durchfuhr ihn ein wohliges Gefühl inneren Friedens.
Wie beflügelt schwebte Gottfried, auf beinahe schneeweißem und samtweich federndem Grund unter seinen Füßen, seinem unbekannten Ziel entgegen.