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Fanny Zechner, die Tochter eines wohlhabenden Bauern, liebt Severin Wildner, den einzigen Sohn des Dorflehrers von Sonnental. Doch das Glück steht unter keinem guten Stern: Beider Eltern tun alles, um das junge Paar zu trennen, und sowohl Fanny als auch Severin ahnen nichts von der traurigen Vergangenheit ihrer Eltern.
Schließlich verlässt Fanny Sonnental und den heimatlichen Hof. Ist dies das Ende ihrer großen Liebe? Oder wird Severin um sein Glück kämpfen?
Mit Eine Liebe im Sonnental legt Erfolgs-Autorin Elisabeth Winterhalder einen ebenso dramatischen wie romantischen Heimat-Roman vor.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
ELISABETH WINTERHALDER
EINE LIEBE IM SONNENTAL
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
EINE LIEBE IM SONNENTAL
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Fanny Zechner, die Tochter eines wohlhabenden Bauern, liebt Severin Wildner, den einzigen Sohn des Dorflehrers von Sonnental. Doch das Glück steht unter keinem guten Stern: Beider Eltern tun alles, um das junge Paar zu trennen, und sowohl Fanny als auch Severin ahnen nichts von der traurigen Vergangenheit ihrer Eltern.
Schließlich verlässt Fanny Sonnental und den heimatlichen Hof. Ist dies das Ende ihrer großen Liebe? Oder wird Severin um sein Glück kämpfen?
Mit Eine Liebe im Sonnental legt Erfolgs-Autorin Elisabeth Winterhalder einen ebenso dramatischen wie romantischen Heimat-Roman vor.
»Schön singen sie heute wieder, die zwei!«, flüsterte die Mesnerin von Sonnental ihrer Nachbarin, der Frau des Rechenmachers Kirchleitner, zu.
Die kleine Frau nickte nur. Sie hatte den Kopf lauschend gehoben. Von der Orgelempore schwebten die Töne des Benedictus Dei durch das überfüllte Kirchenschiff, in dem sich die Einwohner von Sonnental dicht zusammendrängten.
Die Kirche reichte schon seit langem nicht mehr aus, um alle aufzunehmen, die in den letzten Jahren den Ort bevölkerten. So musste der Pfarrer von Sonnental am Sonntag drei Messen halten: den Frühgottesdienst, das Hochamt und um elf die Kindermesse. Seit Sonnental neben der Erweiterung der Kramer-Brauerei auch noch die Errichtung einer Strumpffabrik erlebte, war die Bevölkerungszahl gestiegen. Es gab neuen Zuzug.
Der Bürgermeister Wendinger, der in der ersten Kirchenbank kniete, hatte seine Sorgen. Statt zu beten, dachte er daran, wie er den geplanten Neubau für die Gemeinde finanzieren sollte. Seine Gedanken schweiften einen Augenblick ab, als er die beiden Stimmen aufklingen hörte. Die Fanny sang heute wieder wie eine Nachtigall. Und der Severin stand ihr in nichts nach. Dunkel und verhalten begleitete sein warmer Bariton die helle Mädchenstimme.
Oben neben der Orgel standen die beiden Sänger: Fanny Zechner, groß, blond und braunäugig. Ihr dichtes Haar war zu einer hohen Flechtenkrone aufgesteckt und ließ das schmale Gesicht noch zarter erscheinen. Während sie sang, sah man die zwei Reihen tadelloser weißer Zähne. Fanny trug die Tracht ihrer Heimat: den schwarzen, gefältelten Rock mit dem gleichfarbenen Spenzer und die weiße Bluse dazu, deren Ärmel sich bauschten. Schultertuch und Schürze waren aus heller Seide. Das silberne Geschnür klirrte leise. Um den schlanken Hals lag die siebenfache Kette mit dem Onyx-Verschluss. Die tropfenförmigen Ohrringe passten dazu. Fanny war ein schönes Mädchen. Kein Wunder, dass die Burschen den Kopf nach ihr drehten und ihr werbende Blicke zuwarfen. Die Fanny bekäme auch einmal einen schönen Batzen Geld mit. Ihr Vater, der wohlhabende Gmundner-Bauer, würde sich nicht lumpen lassen, wenn er seine Jüngste weggab. Es war nur schade, dass die Fanny so gar keine Anstalten machte, irgendeinem bestimmten Jüngling schöne Augen zuzuwerfen. Sie war wie ein Eisblock. Keiner konnte sich rühmen, auch nur die geringste Ermunterung von ihr bekommen zu haben.
Man munkelte zwar, dass es die Fanny faustdick hinter den Ohren habe, aber etwas Gewisses wusste keiner. Manche wollten sie zwischen Dämmerung und Dunkelheit unten beim Bach hinter den Erlen gesehen haben, doch sprach man das besser nicht aus. Wenn es wirklich wahr sein sollte, was sich die Klatschbasen von Sonnental erzählten, dann war es besser, das für sich zu behalten.
Barbara Zechner, Fannys Mutter, die in der zweiten Bank kniete, hatte ihr Gesicht zwischen die aufgestützten Arme gelegt. Auch sie lauschte der Stimme ihrer Tochter. Woher die Fanny das nur hatte! Keiner von ihnen konnte singen. Ihr Mann brummte zuweilen mit heiserer Stimme ein altes Volkslied, aber man konnte es beim besten Willen nicht als Gesang bezeichnen. Und sie selbst brachte keinen Ton aus der Kehle. Auch Fannys Geschwister, die beiden Brüder Hans und Georg, konnten nur laut grölen, wenn sie am Sonntagabend aus dem Wirtshaus kamen.
Die Fanny aber sang wie eine Nachtigall. Die Nachtigall von Sonnental wurde sie überall genannt. Von weither kamen sie, um Fanny zu holen, sobald irgendwo ein Heimatabend oder ein Trachtenfest gefeiert wurde. Eigentlich hätte Barbara Zechner stolz auf die Tochter sein müssen.
Aber die Gmundner-Bäuerin empfand nur einen dumpfen Druck in der Herzgegend, als sie jetzt ihre Tochter die Messe zu Ende singen hörte. Oder kam es davon, dass der Severin neben Fanny stand und sie mit seiner Stimme begleitete?
Severin war der einzige Sohn des Hauptlehrers Wildner. Er hatte vier Schwestern, von denen zwei bereits nach auswärts verheiratet waren. Nur noch die Frieda und die Wally waren daheim. Sie vergötterten den Bruder und schirmten ihn gegen jedes Mädchen hermetisch ab. Keine erschien ihnen gut genug für ihn. Nur Friedas Freundin, die in der Stadt aufs Lehrerinnenseminar ging, hatte Aussicht, Gnade vor ihnen zu finden. Die Gmundner-Bäuerin erinnerte sich an das magere, blasse Mädchen, das einen Sommer lang bei den Lehrersleuten zu Besuch gewesen war. Das Fräulein Weissgerber war keine Schönheit und schien auch ziemlich blutlos zu sein. Aber es war besser, Severin kümmerte sich um sie als um Fanny.
In der letzten Zeit war der Gmundner-Bäuerin allerhand zu Ohren gekommen, das sie sorgfältig vor ihrem Mann verbarg. Wenn sie Fanny danach fragte, dann bekam sie keine Antwort von ihr. Aber die Mutter kannte ihre Tochter. Ihr blieb das jähe Erröten nicht verborgen, wenn die Sprache auf Severin Wildner kam.
Aber es durfte nicht sein, dass sich das Schicksal eine Wiederholung erlaubte. Fanny sollte sich nicht in eine Sache verrennen, die vollkommen aussichtslos war.
Vorn am Altar gab der Priester seiner Gemeinde den Segen. Drüben auf der Männerseite begannen die schweren Schuhe der Männer zu scharren. Langsam drückte man sich in Freie hinaus, wo man sich endlich eine Zigarre oder eine Pfeife anzünden konnte.
Die Frauen waren nicht so hastig. Sie ließen sich Zeit. Aber schließlich standen sie alle draußen auf dem blumengeschmückten Friedhof und warteten auf die letzten. Das waren die Sänger des Kirchenchores, die nun die enge Treppe herabpolterten. Zuerst kam der Hauptlehrer, der die Orgel gespielt hatte. Walter Wildner war ein hagerer, leicht nach vorn gebeugter Mann mit weißem, dichtem Haar. Er lebte erst seit einigen Jahren in Sonnental, wohin man ihn versetzt hatte. Die Kinder respektierten ihn. Er stand in dem Ruf, ein strenger, gerechter Lehrer zu sein.
Barbara Zechner, die auf ihre Tochter wartete, senkte den Blick, als er an ihr vorüberkam. Auch er tat, als sähe er sie nicht. Niemand ahnte, dass sich diese beiden Menschen sehr gut gekannt hatten, ja, dass sie durch Liebe miteinander verbunden waren.
Als er verschwunden war, ging die Gmundner-Bäuerin ihrer Tochter entgegen, die soeben aus dem Portal trat. Fanny blinzelte ein wenig in die Sonne. Hinter ihr kam Severin Wildner.
Er war ein großer, kräftiger Mann, der mit seinem Vater wenig Ähnlichkeit hatte. Alles an ihm war dunkel: die Haare, die Augen, sogar die Haut hatte einen Bronzeton.
»Auf Wiedersehen, Fanny!«, sagte er freundlich. »Wir treffen uns also übermorgen bei der nächsten Singprobe. Vergiss es nicht!«
»Nein«, antwortete sie lachend und drehte sich nach ihm um.
Severin machte eine kleine Verbeugung vor Fannys Mutter, die die Lippen zusammenpresste und kaum den Kopf neigte.
»Komm jetzt!«, forderte sie die Tochter auf und zog sie am Arm mit sich fort.
»Was hast du denn?«, fragte Fanny.
»Du weißt, dass es der Vater nicht leiden kann, wenn du dich mit dem Severin so viel unterhältst.«
»Jetzt schlägt es aber dreizehn!« Die Tochter sah ihre Mutter erstaunt an. »Schließlich singen wir zusammen im Chor und haben gemeinsam Probe. Soll ich da am Ende nicht einmal mit ihm reden?«
»Das hat uns gerade noch gefehlt, dass der Severin in seinen Ferien im Kirchenchor mitsingt.«
»Aber Mutter, der Severin war doch schon früher dabei«, erwiderte Fanny.
»Damals seid ihr noch Kinder gewesen.«
»Das kann ich nicht sagen. Warte mal, wie lange ist der Hauptlehrer jetzt schon im Dorf?«
»Sechs Jahre«, antwortete die Mutter schnell. »Aber es wäre besser gewesen, er wäre geblieben, wo er war.«
»Ich möchte nur wissen, was dir die Leute getan haben. Du bist von Anfang an dagegen gewesen. Und der Vater ebenfalls. Das muss doch einen Grund haben.«
»Kann schon sein. Aber dafür bist du noch zu jung, um das zu verstehen. Und deshalb wollen wir auch nicht, dass du und der Severin zusammen eine Freundschaft habt.«
Fanny schwieg trotzig. Es war wie immer. Sie rannte gegen eine Mauer, sooft sie mit der Mutter in dieser Sache in ein Gespräch kam. Sie wusste nur eines: Severins Vater schien einmal im Leben ihrer Eltern eine Rolle gespielt zu haben, aber etwas Genaueres wusste sie nicht. Bisher hatte sie sich auch nicht besonders dafür interessiert. Doch nun, seit sie den Severin wiedergesehen hatte, war vieles anders geworden. Er hatte ihr schon immer gefallen, aber sie war sich bisher über ihre Gefühle noch nie so klar gewesen wie seit kurzem. Genau gesagt, seit gestern.
Während sie neben ihrer Mutter herging, dachte sie an jenen Tag, als ihr Severin den ersten Kuss gegeben hatte. Es war vor der Kirchenprobe gewesen, als sie sich beide allein im Studierzimmer seines Vaters befanden. Der Kuss, den ihr Severin verstohlen zwischen Tür und Angel auf die Lippen gedrückt hatte, brannte noch immer auf ihrem Mund. Er hatte zur Folge gehabt, dass sie an diesem Tag miserabel sang und sich die finsteren Blicke des Hauptlehrers zuzog. Sie hatte das Gefühl, dass er sie durchschaute und alles wusste. Aber Severin hatte sie getröstet, als sie sich am nächsten Tag drunten am Bach trafen.
»Das bildest du dir nur ein, Fanny. Mein Vater ist halt so. Denn kenne ich gar nicht anders. Ich habe ihn immer nur ernst gesehen, so als wenn ihn etwas bedrücken würde.«
»Ich fürchte mich vor ihm. Manchmal schaut er mich an, als ob er in meinem Herzen lesen könnte. Er wird nicht wollen, dass wir beide uns gerne sehen. Genau wie meine Eltern.«
»Die alten Leute sind eben so. Denen kann man es nicht recht machen.«
»So alt sind sie auch wieder nicht. Meine Mutter ist erst sechsundvierzig. Von ihr könnte man schon ein wenig Verständnis erwarten. Aber immer bohrt sie in mich hinein, dass ich mir was vergeben könnte, wenn ich dich anschaue.«
»Mach dir nichts draus, Fanny! Wir tun ja doch, was wir wollen.«
Sie saßen nebeneinander am Bach und küssten sich. »Ich hab' dich lieb, Fanny«, flüsterte Severin an ihrem Ohr. Seine dunklen Augen loderten wie Feuer und verbrannten ihr das Herz. »Ich habe nie gewusst, dass du so schön bist.«
»Dabei kennst du mich immerhin schon ein paar Jahre.« Sie lachte.
»Aber früher warst du noch ein ziemlich mageres Gestell, als du zur Schule gingst. Und dann habe ich dich lange nicht mehr gesehen.«
»Weil du studieren musstest. Aber jetzt bist du doch bald fertig.«
»Nur noch ein halbes Jahr. Dann hört das Büffeln auf.«
»Und du bist Lehrer.«
Er gab ihr einen sanften Nasenstüber.
»Kein Lehrer schlechthin, Fanny! Ich werde Studienrat.«
Sie seufzte.
»Oh weh, dann bist du noch weiter entfernt von mir als bisher. Wie kann ich da noch zu dir passen?«
Er legte den Arm um sie.
»Wir zwei gehören immer zusammen, merke dir das. Seit ich weiß, dass ich nur dich liebe, gibt es für mich keinen Zweifel mehr. Und wenn du mir erlauben würdest, mit deinen Eltern zu reden...« Sie legte ihm die Hand auf den Mund.
»Noch nicht, Severin! Ich habe Angst davor. Außerdem bist du mit deinem Studium noch nicht fertig. Lass uns solange warten.«
»Du hast vielleicht recht«, pflichtete er ihr bei. »Warum sollen wir unser Geheimnis jetzt schon preisgeben? Sie werden noch früh genug die Mäuler darüber auf reißen.«
Fanny schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter.
»Siehst du, noch wissen sie alle nichts. Wenn ich so neben dir auf der Orgelempore stehe, dann möchte ich vor Glück fast vergehen. Aber ich verschließe alles in meinem Herzen. Niemand soll mir neidisch sein. Niemand soll unsere Liebe mit Worten zerpflücken. Diese paar Monate gehören uns allein.«
»Aber einmal müssen sie es doch erfahren, Fanny. Deine und meine Eltern.«
»Ich habe Angst davor. Sie gehen jetzt schon aneinander vorbei, als möchten sie sich am liebsten gegenseitig die Köpfe einschlagen. Weißt du überhaupt, warum unsere Eltern so spinnefeind gegeneinander sind?«
»Nein, bisher hat es mich auch wenig gekümmert. Erst jetzt, als ich mein Herz für dich entdeckte, denke ich darüber nach. Aber ich werde einfach meinen Vater fragen.«
Fanny schwieg. Sie spielte mit einem Grashalm. Fragen, ja, das musste man. Sie hätte längst ihrer Mutter mehr zusetzen müssen und sich nicht mit den Worten abspeisen lassen, dass sie zu jung sei. Aber die beiden jungen Leute vergaßen bald wieder ihre Probleme. Sie lagen einander in den Armen und genossen den Zauber ihrer jungen Liebe inmitten einer untergehenden Sonne.
»Erzähl mir was«, bat Fanny. »Es interessiert mich, was du in der großen Stadt treibst.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin ja erst seit einigen Wochen in München. Vorher studierte ich in Freiburg, weil meine älteste Schwester dort verheiratet ist und ich umsonst bei ihr wohnen konnte. Mein Vater muss nämlich rechnen. Mit fünf Kindern kann er sich keine großen Sprünge erlauben. Aber seit auch Claudia verheiratet ist, ist es für mich leichter geworden. Claudias Mann ist im Münchener Patentamt angestellt. Ich habe eine kleine Kammer bei ihnen. Jetzt kann ich auch immer über das Wochenende nach Hause fahren, was mir bisher nicht möglich war.«
»Ich weiß. Daher sehen wir uns jetzt auch öfter«, sagte das Mädchen.
»Und trotzdem habe ich lange gebraucht, um dir zu beweisen, was ich für dich fühle«, lachte er. »Was meinst du, wie erstaunt ich war, als ich entdeckte, dass du dich von einem hässlichen Entchen zu einem wunderschönen Schwan herausgemausert hast!«
»Geh«, wehrte sie ihn ab. »Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass es in München nicht auch eine Menge hübscher Mädchen gibt.«
»Das schon, aber ich habe gar keine Zeit dafür. Ich bin froh, wenn ich mein Pensum durchackere. Meine Eltern erwarten von mir, dass ich ihnen nicht mehr lange auf der Tasche liege. Ich habe also gar keine Zeit für Vergnügungen. Und jetzt bist du für mich die einzige, die mich fesselt. Ich werde alles daransetzen, um bald fertig zu werden und eine Anstellung zu bekommen. Dann kann ich dir auch etwas bieten. Ich möchte nicht von der Gnade deines Vaters abhängig sein und als Mitgiftjäger gelten.«
»So lieb hast du mich also?«, fragte sie ihn.
»Ja, und noch viel mehr.« Seine Arme umschlangen sie. Ihre Lippen lagen aufeinander. Sie spürten die Süße ihres Kusses wie etwas Kostbares und Einmaliges.
Von der nahen Dorfkirche erklang das Abendläuten. Fanny sprang erschrocken auf. Sie fuhr mit den Händen glättend über das aufgesteckte Haar.
»Ich muss heim, Severin. Bleib noch sitzen, damit uns keiner sieht! Morgen treffen wir uns wieder hier.«
Er schnellte hoch. Als er neben ihr stand, sah man, dass er um einen Kopf größer als das Mädchen war. Noch einmal umfing er sie, ehe er sie mit einem letzten Kuss aus seiner Umarmung entließ.
Der Gmundner-Bauer stand gerade drinnen beim Dorfschmied, um den Braunen beschlagen zu lassen, als seine Tochter vorbeikam.
Der Schmied stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Die Fanny ist ein Prachtmädel«, sagte er. »Wenn ich jünger wäre, die ließe ich mir nicht entgehen.«
»Wenn sie dich möchte«, lachte Ulrich Zechner. »Die Fanny ist heikel. Die nimmt nicht den Erstbesten.«
»Aber vielleicht den Severin vom Lehrer«, erwiderte der Schmied, der sich viel in den Wirtshäusern herumtrieb und allerhand zu hören bekam.
»Den erst recht nicht«, sagte der Gmundner-Bauer ganz ruhig.
Er war ein untersetzter, zur Korpulenz neigender Mann mit einem breitflächigen Gesicht. Das schüttere Haar war graumeliert.
»Woher nimmst du überhaupt den Mut, unsere Fanny mit dem Severin Wildner in Verbindung zu bringen?«, fuhr Zechner den Schmied an.
Der zeigte die schadhaften Zähne.
»Wäre nicht das erstemal, dass man sie abends unten am Bach entdeckt hätte. An deiner Stelle würde ich mich lieber davon überzeugen, ehe ich groß angäbe.«
Der Bauer schwieg betroffen. Er besah sich den Huf des Pferdes.
»Da muss noch etwas weg«, sagte er heiser. Sein Gesicht war vom Bücken rot angelaufen. Oder kam es von etwas anderem?
Es war nicht das erstemal, dass man dem Gmundner-Bauern Andeutungen über seine Tochter machte, aber noch nie so präzise und unumwunden. Sie traf sich also mit dem Kerl. Es war wirklich wahr. Er musste sofort mit Barbara sprechen. Sein Ärger richtete sich gegen die Frau. Eine Mutter hatte die Pflicht, auf ihre heranwachsende Tochter ein Auge zu haben. Wenn es die Spatzen schon von den Dächern pfiffen, dann musste es schon weit sein.
Er kam mürrisch nach Hause. Die Gmundner-Bäuerin wusste sofort, dass ihn etwas verstimmt hatte.
»Wo ist Fanny?«, fragte er seine Frau.
»Drüben im Stall. Sie versorgt das Kalb. Warum fragst du?«
»Weil du dich anscheinend nicht darum kümmerst, was sie treibt«, fuhr er sie an. »Der Schmied erzählt schon in aller Offenheit, dass sich Fanny mit dem jungen Lehrer trifft. Das hat mir gerade noch gefehlt. Meine Tochter ausgerechnet mit einem von denen.«
Barbara Zechner sah zu Boden. Ihr Schweigen brachte den Mann noch mehr in Rage.
»Oder passt dir das am Ende auch noch, dass Fanny in das Haus deines ehemaligen Liebhabers kommen möchte?«
»Walter Wildner war nicht mein Liebhaber«, sagte sie aufbrausend. »Wir waren richtig versprochen miteinander.«
»Und dann hast du aber doch mich geheiratet«, erwiderte er. »Mich hast du genommen und nicht ihn. Aber die ganzen Jahre hast du an keinen anderen als nur an ihn gedacht. Ich habe es gespürt. So was merkt ein Mann.«
»Du tust mir Unrecht«, verteidigte sie sich. »Ich bin dir eine gute Frau geworden. Habe ich nicht dein Eigentum zusammengehalten und dir die Kinder geboren?«
»Ja, das hast du«, entgegnete er ernst. »Und doch gehörtest du mir niemals ganz. Du warst immer auf einem anderen Stern.«
Barbara Zechner sah ihren Mann erstaunt an. Sie hatte ihn noch nie so reden gehört. Ihr Kopf sank herab. Ja, es war alles wahr, was er sagte. Aber sie hätte niemals gedacht, dass er es merken würde. »Wir haben keine schlechte Ehe geführt, Barbara. Nach außen hin gilt sie sogar als glücklich. Doch ich hatte mir mehr erhofft als nur eine folgsame Ehefrau. Ich habe Liebe von dir erwartet. Du bist sie mir bis heute schuldig geblieben. Und warum? Weil du zu den Frauen gehörst, die nur einmal im Leben lieben können.«
»Das bildest du dir nur ein«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Keine Einbildung! Ich weiß es. Und deshalb hasse ich diesen Kerl. Vielleicht wäre alles zwischen uns gut geworden, wenn man den Lehrer nicht nach hier versetzt hätte. Nun hast du ihn jeden Tag vor Augen. Aber nicht genug damit, Fanny muss auch noch anfangen. Ehe sie mir jedoch in diese Familie kommt, jage ich sie aus dem Hause.«
Er hatte sich in Wut geredet. Sein Gesicht lief rot an. Er schlug mit der Faust auf den Küchentisch. »Ulrich, das ist alles falsch, was du denkst. Ich bin hier auf dem Gmundner-Hof zu Hause und dir nicht einmal in Gedanken untreu geworden. Mach die Augen auf und sieh mich an! Ich bin nicht mehr zwanzig Jahre alt wie damals, als ich das Leben noch nicht kannte.«
Er schien sich zu beruhigen. Langsam ließ er sich auf die Eckbank nieder und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
»Barbara, ich möchte dir ja gern glauben. Du weißt nicht, wie das ist, wenn es jahrelang in einem bohrt und wispert. Du hast mich damals genommen, weil es deine Eltern so wollten. Weil dein Vater Geld brauchte und ich welches hatte. Geliebt hast du den anderen, aber du warst deinem Vater eine gehorsame Tochter.«
»Hör auf!«, schrie sie ihn an, »ich habe es nicht verdient, dass du mich daran erinnerst. Es stimmt, dass ich dich geheiratet habe, weil es mein Vater so wollte. Aber ich habe dich schätzen und achten gelernt.«
»Das ist mir eben zu wenig Barbara!«
Sie errötete.
»Was willst du denn? Wir sind schon alte Leute, die erwachsene Kinder haben. Der Hans heiratet im Frühjahr. Wie lange wird es noch dauern, dann sind wir Großeltern.«
»Und dann kommt der Georg dran und nachher die Fanny«, sagte ihr Mann spöttisch. »Das willst du mir doch begreiflich machen. Weiß ich alles selbst. Nur mit dem Unterschied, dass ich den Mann für die Fanny selbst aussuche. Den Sohn vom Wildner muss sie sich aus dem Kopf schlagen, das kannst du ihr bei der nächsten Gelegenheit sagen.«
»Ich habe es schon versucht und ihr ins Gewissen geredet. Aber sie begreift es nicht. Solange sie den wahren Grund nicht weiß, fürchte ich, wird sie auch nicht beeindruckt sein.«
»Dann sage es ihr eben«, polterte er.
Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich soll Fanny die alten Geschichten erzählen. Nein, das kann ich nicht. Vielleicht später einmal, wenn sie selbst Kinder hat...«
Er unterbrach sie heftig.
»Kinder... am Ende von diesem schwarzen Kerl. Nein, Barbara! Fanny muss wissen, dass wir es nicht dulden, wenn sie mit dem Lehrersohn herumzieht und ins Gerede kommt.«
»Dann sage es ihr nur selbst«, erwiderte seine Frau.
»Das werde ich auch, darauf kannst du dich verlassen.« Er verließ die Küche und warf die Tür hin- ter sich ins Schloss. Die Gmundner-Bäuerin sah ihm durch das Fenster nach, wie er über den Hof zum Stall hinüberging.
Sie stand unschlüssig vor dem Herd und starrte in die Pfanne, in der die Milch zu kochen begann. Die Unterredung mit ihrem Mann hatte sie aufgewühlt. Voriges Jahr hatten sie ihre silberne Hochzeit gefeiert. Ulrich Zechner hatte nie ein Wort darüber verloren, was sie beide zusammengeführt hatte. Nur heute war alles aus ihm herausgebrochen, und sie hatte gemerkt, wie sehr er darunter heimlich gelitten hatte.
In ihren Gedanken drehte sich das Rad der Zeit zurück. Sie sah sich wieder als junges Mädchen im Hause ihrer Eltern. Sie war voller Träume und Erwartungen gewesen. Deshalb hatte sie auch nicht gesehen, dass der Vater Sorgen hatte. Ihr Herz und ihre Sinne waren erfüllt von ihrer ersten großen Liebe zu Walter Wildner, dem jungen Lehramtskandidaten, der aushilfsweise Schuldienst machte. Sie hatten sich beide auf den ersten Blick ineinander verliebt. Blind und verzaubert waren sie sich entgegen gegangen. Die Umwelt versank für sie. Sie machten Pläne wie alle Liebenden der Welt. Aber sie wurden jäh aus ihrem Glück herausgerissen. Barbaras Vater, der auf sein baufälliges Anwesen Geld aufgenommen hatte, sah sich außerstande, die Schulden zurückzuzahlen, als sie ihm gekündigt wurden. Er griff nach dem rettenden Strohhalm, der sich ihm bot.
Ulrich Zechner, der sich bereits Mitte der Dreißig näherte und ein Auge auf Barbara geworfen hatte, war die Rettung für die ganze Familie. Dass er um vierzehn Jahre älter als das junge Mädchen war, schien dem Vater sogar eine Gewähr für eine gute Ehe zu sein. Als Barbara erfuhr, was man von ihr verlangte, wollte sie gegen das Schicksal aufbegehren. Doch die Bitten ihrer Mutter, der Kummer, den der Vater zur Schau trug und die Sorge um die Geschwister, ließen sie auf das eigene Glück verzichten und ja sagen. Als sie von dem Vater die Last nahm, war sie entschlossen, mit allem zu brechen, was bisher ihr Leben ausgemacht hatte. Ohne sich mit Walter Wildner auszusprechen, verließ sie ihr Heimatdorf, um ein halbes Jahr lang in die Landwirtschaftliche Haushaltschule zu gehen. Sie hatte ihn nie mehr gesehen, denn als sie zurückkehrte, war er nicht mehr im Dorf anwesend.
Barbara heiratete Ulrich Zechner. Am Anfang tat das Herz noch weh, und ihre Gedanken waren weit fort. In der Nacht erwachte sie mitunter von den Tränen, die sie im Schlaf weinte. Aber dann ergab sie sich in ihr Schicksal. Sie gewöhnte sich an den Gmundner-Hof und an den Mann, den sie gewählt hatte. Zuletzt wusste sie nicht einmal mehr, wie das Gesicht des einstmals Geliebten ausgesehen hatte, so sehr bemühte sie sich, es zu vergessen.
Es bedeutete daher eine Art Schock für sie, als sie erfuhr, dass Walter Wildner ausgerechnet als Hauptlehrer nach Sonnental kommen würde. Tagelang verließ sie das Haus nicht. Sie wollte ihm nicht begegnen. Aber in einem so kleinen Ort wie Sonnental war es auf die Dauer nicht möglich, sich zu verstecken. Barbara traf mit Walter Wildner auf dem Dorffriedhof zusammen. Sie wollte auf dem Familiengrab der Zechners frische Blumen pflanzen. Der Hauptlehrer aber benützte den kürzeren Weg über den Friedhof, um zum Schulhaus zu gelangen. Als die beiden Menschen, die sich einmal so nahegestanden hatten, einander erkannten, war es für ein Ausweichen zu spät.
Stumm und abwartend verharrte Barbara an ihrem Platz. Sie war einer Ohnmacht nahe. So lange hatte sie Walter nicht mehr gesehen. Zwanzig Jahre waren seither verstrichen. Er war alt geworden. Nicht nur sein Haar hatte eine schneeweiße Farbe bekommen, auch sein Gesicht war blutleer und hager. Tiefes Mitleid überkam die Frau bei seinem Anblick.
Walter Wildner aber ging stumm und grußlos an ihr vorbei. Sie erhaschte einen kurzen Blick aus seinen Augen, die sie kalt und verächtlich anblickten. Ihr blieb jedes Wort in der Kehle stecken.
Er hatte also nicht vergeben und vergessen. Das Herz tat weh bei diesem Gedanken. Sie senkte den Kopf und hörte seine Schritte auf dem sauberen, gepflegten Kiesweg verhallen. Seither hatten sie sich noch ein paarmal flüchtig gesehen, aber es war immer wieder derselbe eisige, geringschätzige Blick, der sie traf, sobald sie die Augen zu ihm erhob.