Eine Psychoanalyse für alle - Günter von Hummel - E-Book

Eine Psychoanalyse für alle E-Book

Günter von Hummel

0,0

Beschreibung

Schon Freud hatte für die Möglichkeit geworben, dass die Psychoanalyse nicht nur von Akademikern (spez. Ärzten), sondern auch von Laien ausgeübt werden kann. Doch die Ausbildungsinstitute haben sich im alten Muster fest etabliert, so dass von daher Eine Psychoanalyse für alle nicht zu erwarten ist. In eine Psychoanalyse gehen kann jeder, aber sie auch ausüben ist für jeden nur möglich, wenn man - der besseren Zugänglichkeit wegen - die psychoanalytische Methode um meditativ Psychologisches erweitert. So etwas hat der französische Psychoanalytiker J. Lacan bereits entworfen, als er neben der Linguistik auch Geometrie und Bildwissenschaft in seine Lehre mit einbezog. Mit weiterer Betonung des Meditativen hat der Autor ein Verfahren (Analytische Psychokatharsis) entwickelt, dass die genannten Bedingungen in Gänze erfüllt und in diesem Buch kurz gefasst - um es zuerst einmal kennen zu lernen - dargestellt wird.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 224

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Bild der Malerin T. Heydecker mit dem Titel ‚Love and Pray‘ auf der Umschlagseite zeigt die Zeichen, die Körperbilder, des Liebens in Form von skizzenartigen Armen und Beinen und die des Betens in Buchstaben, die jedoch alle von den Buchstaben des Titels so überlagert sind, dass man sie kaum erkennen kann (wohl aber auf der Webseite >semantikart.com<). In diesem knapp gehaltenen Buch stehen die Buchstaben allerdings für etwas anderes, nämlich für das sogenannte Wort-Wirkende, und die Körperbilder für das ebenfalls noch zu erklärende Erscheinungs-Wirkende, zwei generelle, psychoanalytischmeditative Grundsätzlichkeiten, Grundintentionen.

Inhaltsverzeichnis

Einführung in die Thematik

1.Von Europa nach Indien

2. Geist, Libido und die Sprache der Neandertaler

3. Die Psychoanalyse und das Begehren

4. Das Genießen des Realen

5. künstliche Intelligenz

6. Meditation

7. Kirpal Singh

8. Eine Psychoanalyse für alle

9. Hans im Glück

10. Resümee

Literaturverzeichnis

Einführung in die Thematik

Der Anfang ist nie ganz leicht. „Aktiv fängt die Ursache an (infit)“, sagte der Philosoph I. Kant, „weil passives Anfangen als Kausalität Ursache wird (fit)“.1 Basta, fertig. Aber ganz logisch ist das nicht, denn was sollte ein passives Anfangen sein? So richtig passiert nichts, und obwohl nichts passiert, wird die Ursache aktiv? Anscheinend hat Kant doch im Wort Ur-Sache schon die Sache präferiert (sie sozusagen ‘ge-urt’, verurtümlicht), anstatt im Wort Anfang den Fang zu präsentieren, den er für sich somit gemacht hat. Kurz: er ist in einer Art Spiegelbeziehung, ‚fit’/‚fit‘ festgefahren. Die Sache ist trotzdem originell. Kant sagt es nicht ganz falsch, er weiß alles ganz genau, aber er sagt es nicht gut genug!

‚Fit‘/‚fit‘, er stottert, er rhythmisiert. Er genießt seine sprachliche Argumentation, seine Sprechlust, und erklärt es nicht so, dass wir es gut und unmittelbar erfahren können. Alles ist richtig gewusst, aber nicht gelungen kommuniziert, nicht einfühlend gut vermittelt! (Es war auch schon zu Kants Zeiten so, dass die Leser über seinen Werken stöhnten). Aber wie es besser machen? Vielleicht mit der künstlichen Intelligenz? Denn die künstliche Intelligenz (KI) ist eine Mechanik, eine Maschinerie, ein Sein, das in sich perfektioniert, steril, mechanisch makellos klappernd, gleichzeitig aber völlig unzureichend ist. Sie ist ein algorithmisch technisches Konstrukt, das ebenso Rhythmen nutzt, aber wie Kant bei weitem den elementaren menschlichen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Auch der Mensch ist ein mit Makeln behaftetes Sein, ein Konstrukt, das stolpert, irrt, körperlich imperfekt ist und sich somit als eine ebenso schlechte Intelligenz präsentiert, aber er hat eine Chance: er kann seine Fehler eingestehen, er kann sich zu ihnen bekennen, er kann sie beichten – wenn ich dieses altkatholische Wort hier einmal im übertragenen Sinn benutzen darf. Die KI dagegen kann nichts eingestehen, nichts beichten. Sie kann sich nicht selbst enthüllen, sie bleibt unzureichend, fehlerfrei mangelhaft, großartig unverbindlich. Man braucht sie nicht zu fürchten, aber wie ein störriges Kind ist sie schwer zu erziehen. Und so muss ich mit etwas Anderem weitermachen – zum Beispiel mit der Psychoanalyse.

Auch die Psychoanalytiker gehen von simplen Grundsätzen aus, nämlich genau dem vorhin erwähnten Rhythmisierenden, sich unbewusst Wiederholendem, das der französische Psychoanalytiker J. Lacan als Wurzel der Sprache bezeichnete. Der Mensch sei ein „être parlant“ sei, ein sprechendes Sein, konstatierte er. Er sah dieses Sein nicht als etwas Statisches, sondern als etwas Bewegendes, Strebendes, ja gar als etwas Begehrendes an. Zum Beispiel als etwas, das gesehen zu werden und zu sehen begehrt, als visueller Trieb, wie Freud sagte. Ich nenne es das Erscheinungs-Wirkende, das bereits da ist, das zeigt und sich zu Sehen gibt, um es gleichzeitigeinem anderen Trieb, eben dem des Sprechens, der Sprache im Unbewussten, dem Wort-Wirkenden gegenüber zu stellen.

Ein Dualismus der Triebe, des Begehrens, ist notwendig, meinte Freud, und erfasste es als Eros-Lebens- und Todes-Trieb, was heutigen Ansprüchen nicht mehr so ganz genügt. Wichtig ist, dass es um zwei Grundsätzlichkeiten, Kräfte, Triebe geht, um die man nicht herumkommt, und deren ersten ich nach Lacan das Erscheinungs-Wirkende, das zum Sehen, zum Erscheinen Drängende genannt habe. Es hat also seinen Schwerpunkt in allem, das existiert, das sich als Sein zu Sehen gibt, bis hin zum maschinisch Gegebenen der KI. Und es ist nicht nur physikalisch aus sich selbst heraus entstanden und erschienen, sondern entsteht auch immer wieder neu, in der Natur und sonst wo. Das lässt sich zum Beispiel in der Frage, was zuerst erschienen ist, Henne oder Ei, ganz gut eruieren. War es das Gen oder das die Gene steuernde Proteom, das zuerst da war? Der Physiker und Informatiker D. Hofstadter schrieb schon vor vielen Jahren im Scientific American, dass die Frage, ob die Henne oder das Ei früher dagewesen seien auf eine Unbestimmtheit verweist, die immer wieder auf andere Wissenschaften verschoben wird.

Denn die Hardware-DNA vermittelt die genetischen Anweisungen über die Boten-RNA an die Ribosomen (RNA-Protein-Komplexe), wo wiederum Proteine hergestellt werden, die dann im Proteom, dem Gesamteiweiß-Zustand und -Vorrat der Zelle, ihre Arbeit verrichten. Ihre Arbeit besteht jedoch wieder daraus, Veränderungen an der DNA vornehmen zu können. Hofstadter stellte sich daher die berechtigte Frage, wie der genetische Code, also die gerade benannte DNA zusammen mit den Mechanismen für ihre eigene Übersetzung (Ribosomen, transfer-RNA, Proteine) überhaupt entstanden sein kann. Es ergibt sich eine eigenartige Schleife all der beteiligten Substanzen, die endlos ist und nach wissenschaftlicher Erklärung ruft, die Hofstadter letztlich nicht beantworten konnte.

In einer anderen Veröffentlichung erklärt er dies auch mit den ‚naiven’, kompakten, elementaren Analogien, die durch ihre Unmittelbarkeit auch Kausalitäts- und Beweischarakter hätten.2 Doch das genügt einem realwissenschaftlichen Anspruch nicht. Ich verweise daher auf die zweite Grundsätzlichkeit, Triebkraft, die ich als das Wort-Wirkende bezeichnet habe. Es geht in diesem Begriff letztlich um die Sprache und das Sprechen, was – erneut Lacan folgend – ebenso eine Entstehung aus sich selbst heraus verdankt, ‚ex nihilo‘ wie er sagt. So richtig ist es nämlich erst seit der Entdeckung des Unbewussten bekannt, denn dort spricht Es, enthüllt Es, das Subjekt, das Freudsche Es: es hat ein bisschen mit dem zu tun, was man früher als das Gewissen bezeichnet hat, das bei den Menschen allerdings nie viel Wirkung hatte. Aber im Unbewussten hat es sie.

Für die Psychoanalytiker ist das Erscheinungs-Wirkende eine Identifizierung, es geht also um das sich mit etwas Anderem identisch sehen, als libidinös identisch erfassen, und zwar blitzartig, wenn auch nicht total (sonst würde man dann ja selbst mit dem Anderen gleich sein), sondern nur „mit einem Zug des Objekts“, wie Lacan schreibt. Es handelt sich um einen flüchtigen Vorgang, der stets stattfindet und der genauso wie oben beschrieben dem Wort-Wirkenden gegenübersteht, wenn auch mit ihm verbunden. Es bleibt nämlich in einer Idealisierung stecken, und zwar in dem, was Freud Ideal-Ich und Ich-Ideal nennt. Zu diesen zwei ein bisschen unglücklichen Ausdrücken komme ich noch später.

Das Wort-Wirkende dagegen kommt nicht von einer Identifizierung, sondern von einer psychoanalytisch ‚Objektwahl‘ oder Objekt-Besetzung genannten Vorgehensweise her. Die vom Begehren her kommende Besetzung eines Objekts (eines anderen Menschen zum Beispiel) ist im Gegensatz zur Identifizierung ein sprachlicher, libidinös orientierter Vorgang, der dauerhafter und bestimmender ist, wie es sich etwa bei einem Gebrauchsgegenstand, einem Nutz-Objekt, einer hetero- oder homosexueller Objektwahl, aber auch bei einem definitiven, symbolischen Objekt des Wahrheitswissens, Wirkende des Wortes durchdringt alle Dinge, alles Erscheinende. Und umgekehrt genauso.

Damit habe ich auf zwei Grundsätzlichkeiten, Grundtriebe, das Erscheinungs- und das Wort-Wirkende verwiesen, die den gesamten Text des Buches als roter Faden durchziehen werden, auch wenn meine Begriffe vorerst noch pauschal und ungenau sind. Überhaupt wird den meisten Lesern nicht gleich einleuchten, dass mit diesen beiden Grundkräften oder wie man sie auch immer vorerst nennen will, die Welt besser zu erklären ist als mit allen anderen Wissenschaften vorher. Doch wenn man einmal Lacan ausführlich gelesen hat, kann man nicht umhin als ihm wenigstens im Wesentlichen zu folgen. Schon Freud hatte betont, dass die Geisteswissenschaftler, die Theologen, Philosophen, etc., sublime Hysteriker seien, weil sie ihr Wissen aus sich selbst, aus ihrem Ich-Bewusstsein – wie Münchhausen an seinem Schopf aus dem Sumpf – gezogen haben. Sie verleugnen bis heute, dass es ein Unbewusstes gibt.

Nicht anders die Naturwissenschaftler, die ihre Objekte erst zerschneiden, zertrümmern, mit Protonen beschießen oder sonst wie experimentell verändern, um dann – aus diesem Versuch (lateinisch experimentum) – auf das wirklich Wirkende zu schließen. Gut, das ist viel wert, aber eben nicht das Letzte. Bleibt noch die Mathematik, Geometrie, Topologie – Platon hat sich schon im Parmenides den Kopf darüber zerbrochen, und bis heute gibt es keine empirisch belegte Theorie der ersten ganzen Zahlen. Aber egal, alle haben ihre Berechtigung, aber als Übergeordnetes empfiehlt sich Lacans String-, Knoten-, Fäden-Theorie zusammengefasst im Borromäischen- abgekürzt: Bo-Knoten (Abb. unten). Darin ist das imaginär/reale das Erscheinungs-Wirkende, das symbolisch/reale das Wort-Wirkende und das imaginär/symbolische der Sinn.

Alles ganz einfach. Das Erscheinungs-Wirkende betrifft also alles sich Gestaltende, Bildhafte (imaginär/reale), und verrät seinen letztlichen Grund nicht, es agiert meist unbewusst im Körperlichen wie im Geistigen. Genauso das Wort-Wirkende (symbolisch/reale), das dem Menschen wenigstens ermöglicht zu erkennen, dass die Sprache nicht so sehr zur Kommunikation dient, wie man landläufig meint, sondern der Enthüllung, der offenen Aussprache, dem Eingeständnis und vor allem der Wahrheitsfindung. Ohne Wirkendes (Reales) ist die Verbindung von Imaginärem und Symbolischen, der Sinn, wie ihn schon Goethe im Faust treffend erfasst hat: „Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinne ewige Unterhaltung“.

Exakt dies betrifft auch die KI, sie kann nur Sinn erzeugen, der keine Bedeutung hat. Die KI kann nicht lügen, sie kann Falsches sagen, sie kann sogar der Unwissenheit einfach ein Wissen gegenüberstellen, aber sie kann nicht eine Wahrheit ausdrücken, innerhalb derer der Begriff Unwissenheit erst richtig konstituiert werdenkann. Sie kann keinen Trialog halten, das heißt sich nicht austauschen in einem Dialog, der als Drittes einen Wissenschaftsanspruch erfüllt. Ich werde in weiteren Kapiteln noch ausführlich zu dieser Thematik kommen, indem ich klar machen will, dass nicht nur die KI, sondern auch die Sachwissenschaften, selbst die universitären Lehrmeinungen, in denen das Erscheinungs-Wirkende gegenüber dem Wort-Wirkenden betont ist, nichts von einer Wissenschaft der Lüge verraten können, weil sie sie selbst nicht begehen können. Sie sind selbst der KI ähnlich, sind nur ein savoir pour savoir, keine Wissenschaft vom Subjekt, vom Es, die doch so nötig wäre.

Wie H. Weinrich in seinem Buch ‚Linguistik der Lüge‘ schrieb, sah ‚Augustinus eine Lüge als gegeben an, wenn eine Täuschungsabsicht hinter dem Lügensatz steht. „Die Linguistik sieht jedoch demgegenüber eine Lüge nur dann als gegeben an, wenn hinter dem (gesagten) Lügensatz ein (ungesagter) Wahrheitssatz steht, der von jenem kontradiktorisch . . . abweicht. Nicht duplex cogitatio [zweifaches Denken], wie Augustinus sagt, sondern duplex oratio [zweifaches Sagen] ist dann das Signum der Lüge.“3 Diese Argumentation ist fast richtig, aber wohl auch zu abstrakt. Zum erleichterten und besseren Verständnis haben die Psychoanalytiker nämlich gleich direkt die Lüge zum Garanten der Wahrheit gemacht. Sie warten auf die Versprecher, die Freudschen Fehlleistungen und die verräterischen Träume, die immer die Wahrheit sagen, obwohl sie in lügenhafte Formen gekleidet sind. Schon wenn der Patient in der psychoanalytischen Sitzung aufbrausend und lautwerdend sagt: „Nein, die Mutter war es auf keinen Fall“! vermutet der Therapeut zu Recht, dass es genau die Mutter war, um die es gerade ging.

Da die Psychoanalyse in ihrer heutigen Form nur für einen engen Kreis gedacht ist, will ich in diesem Buch ‚eine Psychoanalyse für alle‘ vorstellen, also für alle, die sich dafür interessieren und sie – in gewisser Weise – auch ausüben möchten. Dies wird aber nur gelingen, wenn man so etwas wie Meditation, also eine eigene kontemplative Tätigkeit, die nur jeder Einzelne auf sich gestellt praktizieren kann, hinzunimmt. Denn dadurch wird der ganze psychologische Vorgang in seiner Intensität vorbereitet, ja geradezu auf eine sogenannte Berührungs-Intensität hin ausgeweitet. Schon zu Freuds Zeiten gab es Autoren, denen die Theoretisierung des unbewusst Psychischen an den Körperübergängen innen/außen wie etwa dem Oralen (Mund, Lippen, Schlund) oder dem Skopischen (Auge, Blick, Pupille) nicht genügte. Sie wollten ein inneres Ganzheits-Empfinden, den ‚inner touch‘, das Koenästhetische gleichermaßen darin einbringen.

Doch wie ich noch ausführen werde, erwies sich dies als nicht beweisbar und nicht wissenschaftlich verifizierbar. Nun will ich mit der Berührungs-Intensität, besser Berührungs-Objekt als etwas Meditativem, vorwiegend in der Praxis und nicht so sehr in der Theorie Erfahrbarem,einen Brücke von der meditativen Einzelpraxis, die man vorwiegend in bestimmten Übungen zu Hause durchführen kann, und der Psychoanalyse Lacans bauen. Letztere kann schon vom Studium her Therapiesitzungen beim Therapeuten ergänzen, wenn nicht gar ersetzen. So bleibt – überlagernd in einem zweiten Vorgang – das Unbewusste, die Widerstände gegen die Aufdeckung der Wahrheit, die Übertragung, die Deutung und vieles andere Psychoanalytische voll erhalten, was ich in diesem Buch schildern werde.

Kurz zusammengefasst: Das Erscheinungs- und das Wort-Wirkende sind die zwei Grundsätzlichkeiten, Triebkräfte des Unbewussten, von denen das erstere mit seiner Bild-Betonung für einen meditativen Zugang, das letztere mit seiner Wort-Betonung für einen psychoanalytischen Gebrauch wichtig ist. Denn das Wort-Wirkende führt in das unbewusste, gleichzeitig erscheinungswirkende Leben das/den Andere(n) ein (es ist strukturiert wie die Sprache des Anderen, so Lacan). Das heißt also eines Anderen innerhalb des Menschen, der Sinn macht, dabei jedoch dem Berührungs-Objekt die Möglichkeit gibt zu erscheinen, was wieder in Worten seinen Ausdruck findet, usw., usw., bis der Einzelne das Ziel erreicht hat, das hinter all diesen Verfahren steht, und das zu verstehen seltsamer Weise gerade die künstliche Intelligenz auch ein ganz klein wenig vermitteln kann.

Man braucht keinen Anderen des Anderen, wiederholt Lacan daher häufig in seinen Seminaren, denn auch wenn die KI jetzt als Vermittler dienen soll, so ist siedoch kein Anderer im Sinne der Lacanschen Psychoanalyse. Im Gegenteil, sie ist besonders gut durchschaubar, da sie ja von Menschen, Informatikern, Computer-Technikern, Mathematikern, Neuro-Wissenschaftlern und wen es diesbezüglich sonst noch alles gibt, erstellt worden ist. Ich beschreibe in Kapitel 5 dazu etliche Einzelheiten.

Es ist ganz egal, ob der/das Andere als Gesprächspartner ein KI oder ein Mensch ist, man muss sich ihm so oder so stellen, denn Anders-Sein ist nicht Fremd-Sein, es besitzt lediglich eine ganz aufs Subjekt bezogene andere Dimension. Es geht um die Wahrheit des Wissens und die Fähigkeit, das Rätsel des typisch menschlichen Begehrens, das nicht Instinkt und Bedürfnis ist, zu lösen. Dieses Begehren hat gerade anfänglich mehr Anteil am Erscheinungs-Wirkenden, aber es würde keinen Halt finden. Den besorgt ihm das fast zeitgleich agierende Wort-Wirkenden, und so kommt es entscheidend auf deren Zusammenwirken und Verbundenheit an, nämlich auf dessen Reife, Gelingen und Güte – auch hinsichtlich des Genießens, das ebenfalls einen Schwerpunkt beim Vergleich der drei Parameter, Psychoanalyse, Meditation, künstliche Intelligenz darstellt.

Das lässt sich am besten an der Freudschen Sexualtheorie beweisen, denn der Sex ähnelt sehr dem Erscheinungs-Wirkenden, dem Maschinischen der KI, einem selbst im visuellen Feld blinden und automatischen Begehren. So vor allem beim Mann und dessen grundlegende Abhängigkeit vom Begehren, während es bei derFrau mehr um eine Abhängigkeit vom Anspruch (Liebes-Einforderungen, Geltungen, etc.) geht.4 Man müsste beide in eine gelungene, reife und mehr als nur eine intelligente Verbindung bringen, doch bei Freud scheitert es schon damit, dass selbst die Fortpflanzung von lauter Infantilität durchkreuzt wird und man froh sein muss, dass die Menschheit bis heute überlebt hat.

In Kunst, Kultur, Religion, Philosophie, Wissenschaft, etc., hat es diese Kombination des Erscheinungs- und Wort-Wirkenden schon immer gegeben, aber sie war nicht ausreichend (wie eben jetzt auch in der KI), sie war nicht reif, nicht perfekt und nicht gut genug vermittelt. Selbst in der herkömmlichen Psychoanalyse ist sie in Scholastik, in institutionelle Klüngel Vereine abgerutscht. In einer ‚Psychoanalyse für alle‘ wird sie jedem zugänglich sein, Voraussetzung ist nur, dass man mit dem Anderen zuerst in gegenseitiger Enthüllung die enge, konkretistische, gelungene Zusammenführung des Erscheinungs- und Wort-Wirkenden erreichen kann in einer Form, die sich auf die Wissenschaft Lacans stützt.

1 Kant, I., Kritik der reinen Vernunft, Reclam (1993) S. 499

2 Hofstadter, D., Surfaces and Essences: Analogy as the Fuel and Fire of Thinking, Basic Books (2013)

3 Weinrich, H., Linguistik der Lüge, C. H. Beck (2000) S. 41

4 Lacan, J., Livre X, L‘Angoisse, Edit. Seuil (2004) S. 233

1..Von Europa nach Indien

In seiner Abhandlung ‚Die Frage der Laienanalyse‘ von 1926 nimmt Sigmund Freud Stellung dazu, ob nur Ärzte Psychoanalytiker werden dürfen. Lange Jahre hat diese Auffassung nämlich im Sinne eines stillschweigenden Regulariums bestanden. Vor allem in Amerika plädierten die bereits tätigen Psychoanalytiker, die fast alle Ärzte waren, weiter für diese Richtung, während sich Freud in seiner Manuskript nach langem hin und her und mit zahlreichen, geradezu dialektischen Argumenten dafür aussprach, dass auch Laien oder andere Akademiker diese neue psychotherapeutische Methode ausüben können sollten. Doch hundert Jahre später ist immer noch nichts in Richtung Laienanalyse entschieden, dem Vater der Psychoanalyse wollen seine Söhne nicht mehr folgen, ja, sie stellen sich ganz gegen ihn, die Liebe zu ihm ist erloschen. Fast könnte man denken, dass sie alle an der negativen Form des Ödipus Komplexes leiden, in dem man gegen den Vater wütet.

Aber so krass muss man es nicht sehen, denn die Bejahung der ‚Frage der Laienanalyse‘ betrifft im Wesentlichen nicht die Freudsche Lehre als solche, sondern lediglich die Diskussion um die Art, wie sie vermittelt werden soll. Schon von Freud geschätzte Persönlichkeiten wie Otto Rank, Melanie Klein, Erik Erikson oder sogar Freuds Tochter Anna, waren bekannte Laienanalytiker. M. Klein und A. Freud beherrschten sogar lange die Lehrmeinungen in der Kinder- und Jugendlichen Analyseund speziell in Südamerika und vielen anderen Ländern gelten bis heute keine so strengen Voraussetzungen zur Ausübung der psychoanalytischen Therapie. Somit stellt der Titel meines Buches, ‚Eine Psychoanalyse für alle‘, keine Besonderheit dar. Ich versuche nur einen anderen Weg mit einem auch anders gearteten Verfahren, diesen Wunsch Freuds nach der Tätigkeit von Laien in der Psychotherapie endlich zu erfüllen.

Ein anders geartetes Verfahren wird es deswegen sein, weil ich – wie angekündigt – auch etwas Meditatives darin einfügen werde. So etwas ist der Psychoanalyse nicht fremd, denn wie bekannt muss der Psychoanalytiker mit ‚gleichschwebender Aufmerksamkeit‘ seinem Patienten zuhören, und dies heißt ja nichts anderes, als dass er sich in einen leicht meditativen Zustand begeben muss. Ein anderer Weg ist es aber auch deshalb, weil ich neben dem Umgang mit der Struktur des Ödipus Komplexes von zeitlich vorher liegenden und auch strukturell elementareren Komplexen ausgehe. Es wird mit der ‚Psychoanalyse für alle‘ also keine klassische Psychoanalyse mehr sein, aber sowohl vom Grundgerüst wie von zahlreichen Aspekten her der Psychoanalyse treu bleiben, sie sozusagen erweitert fortführen.

Es handelt sich bei diesen zeitlich früheren und elementareren Komplexen – will man es fachsprachlich ausdrücken – um das sogenannte Prä-Ödipale, also all das Psychische, Seelische, das als zeitlich Vorherliegendes und Grundsätzlicheres verstanden werden muss, als die genannte Konflikthaftigkeit zwischen Vater und Sohn und andere Figuren aus der Familie im Ödipus Komplex. Ich selbst habe mich viel mit dem französischen Psychoanalytiker J. Lacan beschäftigt und finde seine Annäherung an dieses Prä-Ödipale besonders gut, pfiffig, aufschlussreich, und für mein Buch geeignet. Ich werde davon noch ausführlich berichten. Um es nicht gleich von Anfang an zu trostlos sachlich zu machen, beschreibe ich jedoch zuerst einmal meinen eigenen Weg dahin.

Angefangen hat alles im Jahr 1969 mit einer Autofahrt von mir, einem Freund und unseren Freundinnen von München nach Indien. Zwei unreife Männer, zwei reifere Frauen, viele Umwege und Abstecher in den Irak, nach Afghanistan und Nepal. Mein Freud wollte unbedingt Babylon, Ur, und Ninive sehen, während mich das Magische, der Zauber und das ‚Spirituelle‘ Indiens interessierte. Wir hatten eineinhalb Jahre zuvor das medizinische Staatsexamen abgeschlossen, hatten in Kliniken gearbeitet, aber beschlossen weit weg zu fahren, bevor wir uns ganz dem standardisierten und nüchternen Lebenslauf hingeben würden. „Später machst du das nie mehr“, war unser Slogan all denen gegenüber, die uns für extravagant oder gar waghalsig hielten. Am mutigsten und engagiertesten waren ohnehin die beiden Frauen, Freundinnen, die mit uns fuhren und – so ziemlich mit allem d‘accord waren.

Damals war es noch nicht üblich mit dem Auto durch all diese Länder bis hinein in den Himalaya zu fahren und – nach vielen reizvollen Zielen – dort eine Trekking Tourin das Gebiet zwischen Anapurna und Dalaughiri, zwei Fast-Achttausendern, zu unternehmen. Doch ich will hier keine Reisebeschreibung liefern, sondern etwas Ernsteres, wenn auch nicht Ur-Problematisches. Zurück von der Fahrt begann für uns nämlich erneut die Suche nach der Art weiterer allgemeiner Orientierung und beruflicher Tätigkeit. Chirurgie schied aus, zu ruppig, zu wenig sentimental. Auch kleinere Spezialisierungen wie Ophthalmologie oder Urologie kamen nicht in Frage, zu einseitig, zu schmalbrüstig. Blieb letztlich die Innere Medizin als eine Art Quasi-Kompromiss, mit dem man nichts ganz Falsches macht, aber auch nicht die Ideallösung findet.

Zuerst bummelten wir noch in Schwabing herum und verloren unsere Reise Kameradinnen ein etwas aus den Augen. Wir besuchten die Highfish Kommune, einen Ableger der Kommune 1 in Berlin. Uns war bald klar geworden, dass wir auf unserer Fahrt kaum über unsere Beziehungen untereinander geredet hatten. Speziell nicht über die Beziehung Mann/Frau, auch die Frauen nicht. Wir hatten uns durch viele kleine Abenteuer abgelenkt, die wir ja nur eingegangen waren, um dann zu Hause ausführlich damit reüssieren zu können. In der Highfish Kommune dagegen sprachen sie oft über sich selbst in weitgehendster Offenheit, über jede Intimität, über das Wesen anderen Sexualitäten oder die versteckten Aggressionen gegenüber Vätern, Frauen und einem selbst.

Politik stand in der Kommune gar nicht mehr so im Vordergrund wie noch zwei Jahre zuvor. Einer der dortigenBewohner, Thomas A., angeblicher Student und wohl auch leicht verkrachter Existenzialist, wollte uns Ärzte von seinem Selbststudium tibetischer Medizin überzeugen. „Ohne einen klaren Rückhalt, z. B. wenigstens als Heilpraktiker“, erklärten wir ihm, „kannst du damit hier im Westennichts anfangen“.

Aber Thomas A. verstrickte sich in der Frage nach den therapeutischen Möglichkeiten asiatischer Heilkunst, passte zunehmend weniger in die Kommune und beging eines Tages Harakiri: er schlitzte sich den Bauch auf. Wir waren geschockt. Hatte er sich zu vehement mit der asiatische Geisteswelt eingelassen, die uns doch auch fasziniert hatte? Wir fragten uns, was wohl tief in ihm steckte, wie man so etwas erklären kann, denn er war nicht unsympathisch, war sogar ein irgendwie auch interessanter Typ. Oder nochmals und umgekehrt gefragt: hat er sich dem Leben hier so stark entfremdet, dass er nicht mehr weiter fand?

Denn auch wir hatten uns vielleicht dem Alltag entfremdet: schon in Afghanistan hatten wir Marihuana probiert, aber nicht allzu viel davon bemerkt. In der Highfish Kommune gab es LSD Tabletten und ein Trip damit ließ einen zwölf Stunden wach sein und – in kontrollierter Form – halluzinieren. Das heißt, man hatte irgendwelche interessante Einblicke in die menschliche Psyche und dessen Gehirn, die berauschend interessant und erschreckend zugleich sein konnten. Der amerikanische Psychologie Professor T. Leary war damals schon als LSD Papstverschrien, weil er nach seinem zweihundertsten LSD-Trip von Tiefen-Einsicht und Bewusstseins-Erweiterung als höchsten Formen von Erkenntnis und Erleuchtung sprach, zudem Kurse gab und Bücher schrieb, damit es alle probieren sollten. Uns genügten allerdings drei oder vier Versuche mit dieser auch ‚psychedelisch‘ genannten Substanz, die uns allerdings stark fasziniert und zu abwegigen psychologischen Theorien verführt hatte.

Wenige Wochen später, noch im Jahr 69, begegnete ich einem ärztlichen Kollegen, den ich aus dem Studium kannte, der aber auch in der Highfish Kommune des Öfteren aufkreuzte, in der Nähe des Münchner psychoanalytischen Instituts. „Geh dahin“, sagte er inspiriert und überzeugend. „Ich habe auch lange gesucht, aber dort habe ich das gefunden, was im Moment das aktuellste, politisch wichtigste und spannendste ist.“ Ich ging sofort hin und meldete mich noch für das Wintersemester an. In der Folgezeit besuchte ich dort Vorträge und Seminare und nahm dann auch meinen Freund zu einer Veranstaltung mit. Er entschloss sich aber erst im nächsten Semester zur Teilnahme an der Ausbildung.

Wie es so oft geht: ich habe ihn zur Indienfahrt animiert, dann ins psychoanalytische Institut gebracht, wo er voll einstieg, ich selbst jedoch stand bald wieder vor einem Problem. Denn nach eineinhalb Jahren ließ meine Begeisterung für die psychoanalytische Ausbildung etwas nach. Die Dozenten im Institut waren nett und gebildet, aber es fehlte Ihnen irgendwie die Jovialität, die Ausstrahlung, das Persönlichkeits-Genre, das ich erwartet hatte. Sie erschienen mir zunehmend alle ein bisschen bieder, spießig, ja fast zwanghaft, wo dies doch gerade ein Merkmal war, das sie psychoanalytisch zu behandeln vorgaben. Mehr und mehr war ich von der Arbeit im Ausbildungsinstitut befremdet, fand alles zu übersachlich gelehrt und theoretisch überfrachtet. Nur mit meinem Lehranalytiker, O. Graf Wittgenstein, kam ich einigermaßen gut zurande.

Graf Wittgenstein war bei G. R. Heyer, einem Schüler von C. G. Jung, einem der engsten Mitarbeiter – aber auch Kritiker – Freuds, in Ausbildung gewesen.5 Damit war er nicht so eng und strikt freudianisch, und vor allem ging er mit mir respektvoll und gutmütig um, was ich brauchte, denn ich war doch ziemlich neurotisch gewesen. Vor allem tolerierte er das, mit dem ich noch während meiner Ausbildung und wegen meiner Unzufriedenheit begonnen hatte, nämlich meine Teilnahme an einer Meditationsgruppe. Ich hatte schließlich schon in Indien nach so etwas gesucht, nach Yoga und indischer Philosophie, hatte die Bhagvadgita gelesen und was sonst noch so dazugehört. Aber Graf Wittgenstein reagierte kritisch auf meine Schilderung, dass ich regelmäßig eine Meditationsgruppe besuchte und sagte:

„Man kann schlecht zwei Herren dienen. Man kann nicht gleichzeitig mit psychologischer Arbeit, Erkenntnis und Lehre beschäftigt sein“, brummte er, „und ganz woanders, nämlich in östlicher Denkweise und Meditation verhaftet bleiben“.

Im psychoanalytischen Institut galt ohnehin, dass man keine größeren Veränderungen unternehmen, so z. B. nicht heiraten, den Wohnort oder Beruf wechseln und schon gar nicht weitere psychologische Ausbildungen absolvieren sollte. Spielt man nicht überhaupt beide Formen der psychischen Bearbeitung – Psychoanalyse und Meditation – in sich selbst gegeneinander aus? war die berechtigte Frage. Wird man nicht eher verrückt und ist dann nirgends mehr richtig zu Hause? „Wenn Sie weiterkommen und in diesem Bereich überhaupt einmal reüssieren wollen,“ sagte Graf Wittgenstein weiter zu mir, „müssen Sie dies letztendlich in der abendländischen Wissenschaftskultur tun und nicht in Mythos oder Mystik von woanders her. Hic Rhodos hic salta!“

Das war überzeugend. Dennoch hatte ich irgendwie so eine Ahnung, wie ich die beiden Verfahren, Psychoanalyse und Meditation, im Endeffekt trotzdem auf einen Nenner bringen könnte. Ich erkannte von vornherein, dass die erwähnte ‚gleichschwebende Aufmerksamkeit‘, mit der der Analytiker seinen Patienten zuhören sollte, genau mit dem in sich Hineinhören und dem entspannenden Abschalten von Gedanken, dem meditativen Vorgehen ganz ähnlich ist. Ich fand also, dass inbeiden Methoden die gleiche Art leichter Trance zum Zug kommt, in der man noch so viel nach außen hin orientiert bleibt, dass man weiß, was man tut, dass man aber eine den eigentlichen Akt der inneren Konzentration begleitende Bewusstheit beibehält.