Nach Lacan - Günter von Hummel - E-Book

Nach Lacan E-Book

Günter von Hummel

4,4

Beschreibung

Die neuen physikalischen Theorien und die Psychoanalyse haben einen gemeinsamen Nenner. So wie zwei Paralleluniversen nur durch eine ganz enge Durchtunnelung mittels der Gravitonen - (Schwerkraft) Strings verbunden sind, so hängen auch Bewusstes und Unbewusstes nur durch knappe wortartige Formeln (die défilés signifiantes von J. Lacan) zusammen. Bei Esoterikern und Parapsychologen werden derartige, faszinierende Analogien meist missbraucht, sie lassen sich aber auch dazu benutzen, eine weiterführende Wissenschaft darzustellen: die Analytische Psychokatharsis, in der psychoanalytische und meditative Elemente sowohl in Theorie wie auch in der Praxis verbunden werden. Beides wird in diesem Buch geschildert und erste Schritte zum Erlernen des Verfahrens werden auch im Anhand vermittelt.

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Inhaltsverzeichnis

Verschränkungen

1. Einführung in die Thematik

2. Top-Pop-Wissenschaften

3. Eine der Liebe unterstellte Wissenschaft

4. ‚B(r)uchstaben‘

5. Lacan versus Habermas

6. Der Graph des Begehrens

7. Die Dit-Mension und das Luzide

ENS – CIS – NOM

8. Der runde Satz

9. Der Andere des

Anderen

10. Identitäts- oder

Pass-Worte

11. Das Zirpen der Gravitationswellen

12. Das „Ding“ und die ‚Metapher des Genießens‘

Anhang: Kurze Einführung in die Praxis der

Analytischen Psychokatharsis

Literaturverzeichnis

I. Verschränkungen

1. Einführung in die Thematik

Einer der ersten Physiker, die auf fragwürdige Weise argumentiert haben wie Geist und Materie zusammenhängen, war Capra mit seinem ‘Tao der Physik’, in dem dieser nicht uninteressant die Frage der Raum-Zeit-Problematik mit den Auffassungen der Leere im Zen Buddhismus verglich.1 Auch fragte er sich, ob die Quark-Symmetrie (also die Ordnung kleinster Elementarteilchen) nicht ein neues Koan ist, also aufgebaut wie ein Zen buddhistisches Rätselwort. Viele Esoteriker, sogenannte Quantenpsychologen und andere Autoren sind ihm hinsichtlich dieser Analogien gefolgt, ja haben sie sogar als etwas Identisches sehen wollen. Wenn ich hier neben etlichen anderen Aspekten die Psychoanalyse Lacans2 und die physikalische String Theorie (sowie auch andere moderne Theorien wie die Supersymmetrie und Theorien zur sogenannten ‚Verschränkung)) vergleiche, scheine ich das Gleiche vorzuhaben. Doch die faszinierende Gemeinsamkeit zwischen beiden erwähne ich aus einem ganz anderen Grund.

Die Psychoanalyse ist enorm sprachbezogen, Lacan hat sich durch den Einbezug der Linguistik ganz auf den Begriff der Signifikanten gestützt, um dieses Wort-Wirkende differenzierter auszudrücken. Trotzdem kommt auch bei ihm das Bild-Wirkende zu kurz, so sehr er es auch durch den Bezug zur Topologie, Knotentheorie und seiner ‚Faden-Geometrie‘ berücksichtigt hat. Er weist zwar gelegentlich auch auf den ‚imaginären Signifikanten‘, also exakt auf dieses Bild-Wirkende hin, aber der sprachliche Signifikant überwiegt in seinen Ausführungen erheblich. Die Unterscheidung dieser zwei Schwerpunkte hat mit dem Trieb-Struktur-Konzept der Psychoanalyse zu tun, das laut Freud auf zwei Grundtriebe zurückführbar ist. Es geht um den Eros-Lebens- und den Todes-Trieb, deren Thematisierung unbefriedigend blieb. Lacan setzte diesem Konzept den des Wahrnehmungs-Schautriebs (schon von Freud so beschrieben) und des Entäußerungs-Sprechtriebs (Invokationstrieb) gegenüber. Nun passte ersterer zum Bild-Wirkenden, Imaginären, letzterer zum Wort-Wirkenden, Symbolischen (Sprachlichen).

Die enorme Sprachbezogenheit der Psychoanalyse beherrscht auch die Praxis. So werden selbst Traumbilder ganz nach ihrer sprachlich-symbolischen Aussage bewertet und nicht nach ihrem Bildgehalt. Als ein Patient berichtete, er habe von ‚van Houten‘, einer Kaukau-Marke geträumt, fragte Freud nach: „Wen haut denn die Mutter“? Genial oder zu sehr wortversessen? In Freuds Schrift ‚Zur Psychologie des Alltagslebens‘ finden sich mehrere solcher Deutungen, die, selbst wenn sie wortversessen waren, sich doch therapeutisch von großen Nutzen erwiesen. Dennoch möchte ich die Praxis um eine Bild-Blick-Bezogenheit erweitern, obwohl letztlich der Symbol-Wort-bezogenheit – einem typischen Ausdruck folgend – das letzte Wort gebührt. Mit Topologie und ‚Faden-Geometrie‘ alleine wird sich die Praxis nicht füllen lassen. Selbst Mathematik benötigt für ihre aus dem Arabischen übernommenen Bild-Zeichen (1, 2, 3, etc.) sprachlich formulierte Axiome, wie auch die Strings, die Fäden der String Theoretiker, erklärende Worte brauchen.

Aber als Bild sind sie faszinierend (mathematisch konstruierte Zeichnungen unter String Theorie/Bilder im Internet). Die Stringtheorie ist also eine Errungenschaft der modernen Physik, der es annähernd gelungen ist, die Einstein’sche Relativitätstheorie (vereinfacht: die Theorie des ganz Großen, also der Sterne und der Gravitation) und die von N. Bohr begründete Quantenmechanik (Theorie des ganz Kleinen, also der Elementarteilchen) zu vereinen.3 Fast ein Jahrhundert hat man damit leben müssen, dass von diesen beiden physikalischen Konzepten jedes für sich richtig und schlüssig war, es aber unmöglich schien, sie zu verbinden. Obwohl sie der gleichen Naturwissenschaft und Mathematik angehören und sich mit den letztlich gleichen Substanzen des Universums befassten, ließen sie sich nicht verheiraten bzw. vereinen (wenn ich das einmal so lasziv sagen darf).

Der String Theorie könnte das Problem der sogenannten Dunklen Materie und Dunklen Energie in etwa klären. Dunkle Materie und Energie sind schon seit langem als rätselhafte Monster im Universum bekannt, denn sie nehmen ein Mehrfaches der sichtbaren Materie und der messbaren Energie ein. Die Dunkle Materie lässt sich z. B. dadurch nachweisen, dass sie eindeutige Schwerkraftwirkungen zeigt. Es muss sie also wirklich geben, aber man kann sie nicht sehen, da sie kein Licht und keine Strahlung aussendet. Bei der Dunklen Energie ist es ähnlich, da man sie zur Erklärung der Expansion des Universums benötigt. Was treibt die Sterne auseinander, wo alle ihre Kräfte nur untereinander Effekt haben.

Die diesbezügliche Hilfe der String Theorie besteht darin, dass sie von einem Multiversum ausgeht, das sich aus zwei, drei oder mehr Universen zusammensetzt und eines dieser Teiluniversen (sagen wir z. B. das unsrige) mit einem anderen derartigen Teil-bzw. Paralleluniversum in einer ganz bestimmten minimalen Form wechselwirkt. Die Wechselwirkung wird in erster Linie von den Schwerkraftwellen oder Schwerkraftteilchen (auch Gravitonen genannt) getragen. Doch wie, war bisher ein Geheimnis. Die Strings sind eine Art ultrahauchdünner Fäden, gespannter Saiten, die schwingen und auch ultralang sein können und somit das Wesen der Elementarteilchen ausdrücken. In ihrer geschlossenen Form, in der sie sich also rund schließen, haben sie mit der Gravitation zu tun und stellen zum Paralleluniversum die Hauptverbindung her. Diese Verbindung, dieser Verbindungsgang oder diese Durchtunnelung, die wegen ihrer Kleinheit auch „Wurmloch“ genannt wurde, ist nicht nachweisbar und wird es vielleicht auch nie sein, aber wenn man doch sehr plausibel auf sie schließen kann, hat sie eine große Bedeutung.

Über diese Durchtunnelungs-Verbindung kommt eben Schwerkraft, Wirkung großer Massen und Energien, die dunkel bleiben, in unser Universum. Kurz: unser Dasein, wie es sich hier auf der Erde sich abspielt, wird zu einem größeren Teil von einer Welt her gesteuert, zu der es von uns aus gesehen nur einem äußerst minimalen Zugang gibt. Diese andere Welt, die selbst auch Massen und Energien beherbergt, mutet wie das Jenseits an, das die Religionen schon seit Jahrtausenden als den uns dominierenden ‚Himmel‘ bezeichnet haben. Die Hauptkräfte liegen drüben auf der anderen stets unbekannten Seite, und nur durch den engen Tunnel einer Offenbarung gibt es Kontakt dorthin. Und hier kann ich jetzt auch den Sprung zur Psychoanalyse Lacans machen (nochmals: es wird keine Esoterik sein).

Auch in der Psychoanalyse Lacans gibt es eine dunkle, schwer sichtbar zu machende Verbindung, die äußerst zutreffend den Namen ‚Wurmloch‘ verdienen würde. Es ist die Verbindung vom Ich und seinen bewussten Gefühlen und Gedanken zum bis heute noch rätselhaft gebliebenen Unbewussten durch eben solche sehr ähnliche Durchtunnelungen, die Lacan „défilés signifiantes“ nennt.4 Das Unbewusste ist nicht das Unterbewusste, wie oft berichtet wird. Das Unbewusste ist in einer recht krassen Weise unbewusst, es wirkt wie ein Paralleluniversum in uns selbst und wie das physikalische Paralleluniversum lässt es sich nur indirekt nachweisen. In Träumen, Versprechern, Fehlleistungen und spontanen, unbedachten Assoziationen des Patienten in der psychoanalytischen Sitzung kommt dieses tiefenseelische Paralleluniversum manchmal heraus. Mehr und mehr zeigt es seine unglaublich starke und vielseitige Wirkung auf das Bewusste. Können nicht Bilder manchmal alles besser erklären?

Genauso wie in der Astrophysik die Dunkle Materie mehr Raum und Zeit einnimmt als die sichtbare, so hat das Unbewusste wohl auch weitaus mehr Geltung und Wirkung als unser Ich samt seinen Attributen. Und tatsächlich scheint das Ganze also wie durch ein „Wurmloch“, ein ‚défilé‘, einen Engpass, von statten zugehen, wobei man das Gefühl hat, dass schon dieser Aspekt allein die Andersheit dieses Gegenuniversums darstellt. Lacan spricht hier auch von den „défilés logiques“, den logischen Engführungen, logischen Durchtunnelungen, durch die unbewusste Bedeutungen sich – wohl durch so etwas wie einen ‚linguistischen Kanal‘ – hindurch quälen. Auch hier scheint das Wort ‚Engführung‘, ‚défilé‘, schon alles zu sagen. Hier wird etwas wie durch den Fleischwolf gedreht, und ist es nicht dieser selbst, der die Haupt-Bedeutung in sich trägt? Ist er doch zudem auch noch ‚Wurm‘, das klassische ‚phallische Symbol, das Lacan mit dem großen griechischen Buchstaben Φ (Phi) schreibt!

Wenn die Strings von den Physikern selbst als schwingende Saiten bezeichnet werden, dann ist die „défilés signifiantes“ so etwas wie ein Musikinstrument, das bei Lacan auch „symbolischer Automatismus“ heißt. Lacan hatte diesen Automatismus, diese ‚Lautrhythmik‘ mit dem Pluszeichen (+) für sprachliche Anwesenheit und dem Minuszeichen (-) für Abwesenheit markiert, und dann aus alternierenden Gruppenverteilungen (+++ oder ---, +-+ oder -+-, sodann ++- , --+, -++, +--) weiter Ketten formiert, so dass eine dem Symbolischen entsprechende Systematik entstand. Das Gegenuniversum scheint nämlich genauso wie das psychoanalytische Sprechzimmer aus Klängen zu bestehen wie in dem Kapitel mit dem ‚Zirpen der Neutronensterne‘ noch beschreiben will.

Viele psychoanalytische Autoren haben diesbezüglich ebenfalls von ‚Laut‘- und ‚Klang‘-Strukturen des Unbewussten gesprochen. Die Psychoanalytikerin S. Maiello hat beispielsweise aus ihrer Arbeit mit psychisch gestörten Patienten heraus das „Klang-Objekt“ als eines der ersten seelisch-psychischen ‚Objekte‘ des Menschen beschrieben. Das „Klang-Objekt“ stellt exakt jenen frühzeitig auftretenden Vorgang dar, der mit „Widerhalleffekten“ von Mutter und Kind noch vor der Geburt, mit den Echo-Neuronen oder der ersten Signifikanten-Kombination beschrieben ist. Maiello geht davon aus, dass das Kind durch die Wahrnehmung erster Klanggeräusche, wie etwa der Stimme der Mutter, ihres Herzschlags etc., durch Laute also, deren Einordnung in das beim Menschen bereits früh ausgeprägte Hör-Sprech-System schon während der Schwangerschaft stattfindet, dieses echoartige seelische ‚Objekt‘ aufbaut.5

Abb. 1 Dreimannigfaltigkeit und Kleinsche Flasche

Ich bin etwas zu rasch vorangegangen. Ich wollte eigentlich nur die enge, ‚naive‘ Analogie der physikalischen und psychoanalytischen ‚défilés‘ vorstellen und bin dann auch noch zusätzlich bei Analogien zur Musik, Klangstrukturen und Lacans Signifikanten gelandet. Nun haben Lacans Signifikanten nicht nur Nähe zu Klangphänomenen, Lacan bezeichnet sie auch als ‚akustisches Bild‘, denn sie haben Akustik (Schwingung) und das Aussehen geometrischer Linien (Saiten), also Optik. Die Linien sind topologisch gewoben. Lacan ist wie gesagt Topologe, er ist oder genauer war ein Anhänger dieser Einstein’schen Geometrie, auch – wie im Vorwort auf Seite 2 gesagt – Gummigeometrie genannt. Für Lacan ist beispielsweise das Loch einfach grundsätzlich der Anfang von allem, oder noch besser: alles beginnt mit der Rand-Linie eines Lochs, einer Leere. Zur Illustration zeige ich daher gleich jetzt schon eine Abbildung (siehe oben) , die von dieser Wissenschaft, von dieser Topologie, eine Kleinigkeit vermittelt.

Die Abbildung 1 stellt zwei topologische Figuren dar, die dieses Loch-Rand-Phänomen zeigen. Das Loch der Kleinschen Flasche z. B. besteht nur aus Rand, da das eigentliche Loch wieder in sich zurückfließt. Auch die linke Figur mit ihren sich zudem noch drehenden Schichtungen ist den als 3-Mannigfaltigkeit bezeichneten Figuren gleichwertig. Für Lacan gibt es nun also gleich zu Beginn, diese Lücke, das Loch, den Mangel in Form eines derartigen Randes. „Etwas fehlt an seinem Platz“, sagt Lacan, und damit nimmt das Paradoxe seinen Lauf. Das Loch mit seinem Ring-Rand bestimmt den Anfang. Nicht mit etwas, sondern mit dem die Leere, mit einer die primäre Kluft umspannenden Rand, mit dem Nichts oder der Minus Eins beginnt die Welt und das Leben. Wirklich seltsam, aber vielleicht auch originell.

Doch wenn man die String Theorie die Supersymmetrie und die Schleifenquantengravitation kennt, wundert es einen nicht, dass auch hier, in der Astrophysik, alles so, also in Form einer Topologie, beginnt. Denn auch die String Theoretiker benutzen die gleiche Topologie, um ihre Vorstellungen als Realität anschaulich zu machen. Man könnte es auch so sagen: in der Astrophysik fehlt nicht unbedingt etwas an seinem Platz, sondern dieses Etwas befindet sich eben woanders, in der Parallelwelt, die scheinbar nicht sichtbar ist. Es befindet sich anderswo, nämlich in der Mathematik, Topologie oder im Hypersphärischen. Vielleicht auch im menschlichen Gehirn oder im Unbewussten? Zwar fehlt auf jeden Fall in der Astrophysik jeglicher Hinweis, jeder Zusammenhang mit dem menschlichen Subjekt als solchem, also als einer durch Signifikanten bestimmten Wesenheit. Doch dass solch ein Zusammenhang fehlt, heißt nicht, dass er keine signifikante Bedeutung hat. Ich verstehe den Lacanschen Signifikanten wie erwähnt so, dass er einen klaren Bezug nicht nur zum Real-Symbolischen (Wort-Wirkendem), sondern auch zum Real-Imaginären (Bild-Wirkendem) hat.

Das lässt sich am besten an Lacans Dreierkonten (Borromäischer, abgekürzt Bo-knoten) sehen, den ich später noch ausführlicher beschreiben will. Hier unten nur eine vorläufige Abbildung, die zeigt, wie die drei Begriffe in einer Weise verbunden sind, in der sie auch durch Aufschneiden eines einzigen dieser Rand-Schlingen wieder aufgelöst werden können. Der Ring-Rand war sogar auch Freuds Ausgangspunkt. Denn für Freud war dieser Rand, der den Anfang macht, der Mund. Im sich zuspitzenden Mund des Säuglings repräsentiert sich nicht nur das Bedürfnis nach Nahrung, sondern auch der Anspruch an den Anderen, der anfänglich der nach der Mutter und deren Brust ist. Freud nannte diesen Anfang das Orale, den Oraltrieb, die Mund- und Inkorporationslust mit all ihren weitreichenden Folgen (in der Abbildung ist das Orale als ‚Objekt‘ a dargestellt). Denn selbst wenn das Kind vollauf gesättigt ist, benötigt es noch seinen Daumen, um den Mundrand zu stimulieren, eine typisch menschliche Lust-Reaktion, die es beim Tier so nicht gibt. Das Tier entwickelt nicht ein vom Bedürfnis abgespaltetes, völlig isoliertes eigenes Begehren, das einen quasi-sexuellen Charakter hat. Es folgt nur seinen Instinkten.

Allerdings kann das Tier, wie es der Verhaltensforscher K. Lorenz nachwies, gelegentlich für den kurzen Moment einer Art Wahlfreiheit die Instinktgebundenheit verlassen, um dann jedoch sofort wieder in einen etwas anders gebildeten Instinkt zurückzufallen.6 Genau so etwas fördert auch der Begriff „sexuell“ bei Freud, indem die Wahlfreiheit jedoch sehr umfassend ist und sie eigentlich wenig mit dem zu tun hat, was wir landläufig darunter verstehen, nämlich die genital sexuelle Beziehung Erwachsener. Die Betonung liegt bei Freud mehr auf dem, was er das „infantil Sexuelle“ nannte wie eben das gerade erwähnte Orale, die Mundlust und deren Trieb, deren Quelle-Ziel-Weg jedoch nach dem Modell der Sexualität verläuft, ebenfalls aber auch zu ‚Fixierungen‘ führen kann. Doch auf psychoanalytische Details will ich nicht gleich zu Beginn ausführlich eingehen. Zuerst lieber noch etwas zu Lacan selbst, bevor ich wieder zum Prinzip der Parallelwelten, der Durchtunnelungen und den wie von jenseits her kommenden Wirkkräften zurückkehren kann.

Ich frage mich nämlich, ob es überhaupt gelingen kann auf Lacan aufbauend – also mit einem Nach Lacan im Sinne von ‚gemäß Lacan‘ – und zudem noch ausgestattet mit einem echten ‚Danach‘, in der ‚Folge von Lacan‘, ein Buch zu schreiben. Und dann auch noch das Ganze mit der Physik der String- oder Supersymmetrietheorie zu verbinden! Doch warum nicht? Wahrscheinlich wird kein Anhänger Lacans mir folgen und kein Astrophysiker mich ernst nehmen. Am schwierigsten ist wahrscheinlich das echte ‚Danach‘ erfüllend zu beschreiben, also ein Nach Lacan in der heutigen Zeit, von der Lacan selbst ja vieles noch nicht wissen konnte, wie eben neuere Erkenntnisse der modernen Physik, die Ergebnisse der großen Teilchenbeschleuniger wie des LHC in der Nähe von Genf, aber ebenso neue psychoanalytische Theorien und anderes mehr.

Auch was das Nach Lacan im Sinne von gemäß und laut Lacan angeht, so ist ja dieser Anspruch von den meisten Autoren, die sich Lacanianer nennen, bis heute nicht wirklich eingelöst worden. Lacan wird meistens von diesen Epigonen lediglich nüchtern und umständlich erklärt, es wird versucht ihn abstrakt verstehbar zu machen und genau zu beschreiben. Heute existieren Zig dieser seelisch kalten Interpretationen, doch genau so wollte Lacan nicht begriffen werden. Es wird ihm nicht zurückgegeben oder zurückgezahlt „avec la même monnaie“, mit der gleichen Münze, wie er es selbst oft gefordert hat. Damit ist nicht Revanche an ihm gemeint, sondern ein Zurückzahlen mit der gleichen kühnen Kreativität wie er sie selbst verwendete. Lacan liebte solche direkten Sprüche, er mochte diese unmittelbare Reziprozität. Solche etwas kernigen Ausdrücke schätzte er auch an seinem Lehrer S. Freud, dessen Kommentar zu C. G. Jung auf der Fahrt nach Amerika Lacan immer wieder gerne zitierte. Freud und Jung sollten in Amerika Vorträge über die Psychoanalyse halten und Freud kommentierte den Zweck ihrer Reise so: „Sie [die Amerikaner] wissen noch nicht, dass wir ihnen die Pest bringen.“ Sie wissen noch nicht, dass die Psychoanalyse alles andere als eine – wie Nietzsche noch jubeln konnte – „fröhliche Wissenschaft“ ist, sondern ein schwer erträglicher und mit Mühen beladener, gefährlicher Bazillus.

Die Art Lacans sich zu vermitteln liegt nicht die 180 Grad-Drehung der Ironie zugrunde, sondern schon eher eine Drehung von 360 Grad um die ganze Achse sprachlicher Anspielungen, logischer Negationen, Adynatons und Metalepsien (das unmöglich zu Sagende verkehrt herum oder ganz anders zu sagen). Oft erwähnte Lacan in seinen Seminaren die sprachwissenschaftlichen Begriffe der Metapher (ein Wort für ein anderes) und Metonymie (Wort für Wort) als typisch für das Unbewusste, wo sie bis zur Unkenntlichkeit durcheinander gemixt sein können. 7Nach Lacan beinhaltet also auch ein Neues und ein Quer-Zu Lacan.

Schon diese einleitenden Bemerkungen erlauben mir daher von Anfang an den Vergleich mit der Astrophysik zu wagen, die heutzutage so sehr en vogue ist. Wie schon angedeutet, verwendet die physikalische Konzeption über die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie gerne auch solche Umkehrungen, Verdrehungen und Verwicklungen bis hin zu den „Wurmlöchern“, die unsere übliche Auffassung des Universums und der kleinsten Dinge auf den Kopf zu stellen scheinen. Auch wenn dies im Moment weiterhin noch eine Analogie ist, also bildhafter Vergleich, ich werde diese Analogie später durch einen exakt wissenschaftlichen Zusammenhang ersetzen. Aus der String Theorie (und aus noch ein paar anderen Bereichen unserer Wissenschaftskultur) und der Lacanschen Psychoanalyse werde ich etwas Drittes machen, das hält, das zählt und das wissenschaftlich begründet ist, das ich Analytische Psychokatharsis nenne und in der Folge schildern will.

Lacan wird von seinen Nachfolgern also nicht wirklich neu und ebenso kontrapunktisch vermittelt, wie er selbst redete. Schon gar nicht wird er neu erfunden, wie er selbst sagte und was noch mehr sein Vorgehen und seine Lehre beinhalten würde. Diesbezüglich verglich sich Lacan gerne mit Picasso, der sagte: „Ich suche nicht, ich finde,“ und so sollten es auch andere machen. Psychoanalytische Forschung fand Lacan daher absurd, denn die Wahrheit – und dies speziell in der Psychoanalyse – ist eingebettet in eine Fiktion, man muss sie geradezu erdichten.8 Jedenfalls kommt die Wahrheit Lacans Meinung zufolge nicht durch großangelegte Studien und universitäre Untersuchungen zustande. Sie kommt aus dem Unbewussten eines jeden Subjekts, und zwar aus der Art, wie dort das Wissen verteilt wird. Es gilt also das Umgekehrte: nicht noch so viel Wissen kann Wahrheit erzeugen, sondern die Wahrheit liegt darin, wie das Wissen verwendet, verteilt und umgesetzt wird.9 Das Wissen muss der Wahrheit dienen und nicht anders herum wie es beim „universitären Diskurs“ (bei der Art, wie die Universität damit umgeht) der Fall ist.

Die Weisheiten Lacans werden manchmal vielleicht nicht so schlecht interpretiert, jedoch wie gesagt meist auf einer äußerst schulmeisterlichen oder zu sehr abstrakt-akademischen Erklärungsebene, die nun einmal ganz und gar nicht zu Lacan passt. Natürlich ist es schwierig nicht zu seinen eher schlichten Epigonen zu zählen sondern zu den „Dupes“,10 den Blöden, die „auf seiner Spur“ – wie er sagte – aber doch „mit ganz eigenen Wegen“ ihn neu begründen würden. Die „Non Dupes“ dagegen, die „Nicht-Blöden“, die Weltklugen, die Epigonen, die ihn perfekt zu erklären versuchen, weil sie ihn perfekt verstanden zu haben glauben, liegen schon deshalb falsch, weil Lacan ja selbst gar nicht perfekt verstanden werden wollte. Jedenfalls nicht allzu schnell und nicht allzu direkt. Wenn man bei einem Redner alles versteht, meinte Lacan, schläft man ein, da einem ja alles zu bekannt vorkommt. Dagegen bleibt man wach und interessiert bei einem, den man nicht ganz mitbekommt, aber doch bemerkt, dass an seiner Rede etwas dran ist. Und das war bei Lacan ganz sicher der Fall. Einmal sagte Lacan sogar, er spreche nicht so, dass man seine Worte genussvoll aufnehme, sondern eher so, dass es zum Kotzen ist. Nur so erzielen sie die richtige Wirkung, weil sie die Zuhörer auf Trab halten.

In seinem Seminar, das er in der Kapelle von Saint-Anne hielt, sagte er einmal, dass er „zu den Mauern“ spräche. Als dann einige seiner Hörer protestierten und sagten, „ja, wenn Sie nur zu den Mauern sprechen, können wir ja nach Hause gehen“, erklärte ihnen Lacan, dass es den psychoanalytischen Vorgang viel besser darstelle, wenn er zu den „Mauern“ spreche, sie, die anwesenden Zuhörer aber, wichtige Zeugen dieses eigenartigen und engagierten Sprechens seien! Wie sollte er zu ihnen direkt sprechen, die er nicht kennt und die ihn nur schwer verstehen! Aber zu „Mauern“ sprechen, hieß, auch zu den „Mauern“, die seine Hörer selbst noch in sich haben, zu sprechen! Wesentlicher sei es, dass die Zuhörer den Schall, der von den Wänden, zu denen er sich wendet, und die noch dazu die schönen, historischen, religiöskultischen Wände der Kapelle von Saint-Anne waren, widerhallend wahrnehmen und begreifen würden. Denn man kann viel verstehen, hat es aber nicht begriffen.

Und tatsächlich: in der psychoanalytischen Sitzung soll man ja auch nicht zu vorschnell, zu klug verstehen, was der Patient sagt. Zwischen den Zeilen oder zwischen den Atempausen kommen die Dinge oft besser heraus als aus direkter Rede und nur sachlichem Zuhören. Das ist nichts Neues, schon Freud sprach in diesem Zusammenhang davon, dass der Patient spontan, frei „assoziieren“ und aussprechen sollte, was ihm gerade in den Sinn käme, und der Analytiker sollte dies mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ in sich aufnehmen (also nicht so sehr auf Inhalt und Sinn, sondern fast unbekümmert, fast etwas rammdösig auf das „Zwischen-Den-Zeilen-Stehende“ achten).

All dies klingt danach, als würden Analytiker und Analysand eine Trance-Sitzung abhalten. Doch welcher Patient assoziiert wirklich so frei, wer sprudelt wirklich alles so von sich weg oder kann wirklich so „unter sich reden“ als sei er in Trance? Selbstverständlich wäre so ein echtes Durcheinander Plappern zwar ein ideales Terrain, ein ideales Material, um psychoanalytische Deutungen anzubringen, die in die Tiefe gehen könnten. Doch die meisten Patienten haben ihr Material, selbst wenn sie es ausspucken, schon ein bisschen vorgefiltert, und der Psychoanalytiker, der darauf auch nur mit dem geringsten Verstehen eingeht, irrt damit schon. Er soll gar nicht alles gradlinig mitbekommen, sondern die Assoziationen seines Patienten vorwiegend mit seinem eigenen Unbewussten erfassen, quasi träumerisch nur dann aufhorchen, wenn aus dem Reden seiner Patienten eher etwas unverständlich und seltsam herausklingt. Trotzdem ist es nun einmal so, dass man als Therapeut nicht ewig auf diesen Moment wartet und halt mal verfrüht, mal verspätet etwas sagt.

Ich habe ohnehin vieles von Lacan nicht verstanden, obwohl ich seine Seminare mehrmals gelesen habe. Etliches wollte ich auch gar nicht zu genau verstehen, z. B. manche Ausführungen zur französischen Literatur oder zur mathematischen Logik, mit der er etwa das Verhältnis von Mann und Frau in Formeln bringen wollte. Einige Formeln aus seinem XIX. und XX. Seminar haben mir zwar schon etwas vermittelt, aber dazu hätten ein paar Seiten genügt. Ich werde im Weiteren nur das Notwendigste dazu sagen. Auch die Lesungen über immer komplexere geometrische Knotenbildungen und seine späteren topologischen Ausführungen zu Mehrfachschleifen des Bo-Knotens z. B. fand ich nicht immer sehr erhellend, und so werde ich nur zum Knoten selbst und zu dem, was Lacan den ‚Graphen des Begehrens’ nannte, eine generelle Interpretation geben.

Lacan selbst war der Ansicht, dass man ihn, also seine Schriften, lediglich „angemessen gelesen haben sollte“, nicht mehr und nicht weniger. Er hat es mit Freud genau so getan. Wenn man seine Seminare verfolgt, könnte man meinen, er habe jede Zeile von Freud in sich aufgesogen und völlig neu interpretiert. Aber das stimmt nicht. Jeder, der ihn einigermaßen kennt, weiß, dass es oft nur einige wesentliche Stellen des Freud´schen Werkes waren, auf die er sich gerne wiederholt bezogen hat: das siebente Kapitel der Traumdeutung, den Brief Nr. 52 der Korrespondenz mit Fließ, der Begriff des „einzigen Zugs“ bei Freud und noch einige andere mehr.

Allgemein bekannt geworden sind Lacans Standartsätze wie der von der „sexuellen Beziehung“, die „nicht existiert“. Oder dass ein „Signifikant ein [menschliches] Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert“. Auch dass „das Ich ein imaginäres Objekt ist“ oder das „EIN das Sein bewirkt“. Ich werde zu allem ein bisschen Stellung nehmen, denn natürlich muss man ganz in „seiner Spur“ bleiben, und das heißt eben manchmal ihn auch wörtlich zitieren und vom Sinn her erfassen. Aber insgesamt kann man gar nicht viel von Lacan übernehmen, denn man würde dann unvermeidlich zu einem dieser Nachbeter-Epigonen werden, vor denen ich gerade gewarnt habe.

Lacan wollte kein System, nichts in seinen Vorträgen sollte sich zu einer systematischen Form verdichten lassen. Die Denksysteme der Philosophen, Neurowissenschaftler und Linguisten, aber auch der Naturwissenschaftler insofern sie ihren Beobachtungen ein mentales Gerüst überstülpen, nannte Lacan debil, schwachsinnig. Überhaupt sollte die Sprache nicht der Kommunikation dienen, sondern der Enthüllung, denn nur dafür sei sie eigentlich gemacht. Verwenden die Menschen die Sprache vorwiegend zum Kommunizieren, verschleiern und verdrängen sie dabei mehr als sie sagen, während man doch oft schon mit ein paar Silben etwas von sich offenbaren kann – und nur das wäre wichtig.

Die Unschärferelation der Signifikanten

Im simplen Bezeichnungsvorgang, in unserem alltäglichen Reden liegt also sozusagen etwas primitiv Objektivierendes, etwas nur vordergründig Konkretes, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass „ein Zeichen nur etwas für jemand ist“ und nicht mehr. In diesem Sinne ist auch der Semantiker G. Gamm der Ansicht, dass man sowieso nichts mit Bestimmtheit sagen kann, egal, ob man es jetzt sogar als Dichter oder als Wissenschaftler tut, ob man Philosophie betreibt oder von Liebe redet.11 Für jedes noch so philosophische Sprechen würde das Gleiche gelten, was Heisenberg schon vor langer Zeit für die Physik formuliert hat: eine Unschärferelation, eine Unbestimmtheit.12 Die letzte Bestimmtheit kann nur das menschliche Subjekt selber haben, indem es sich - wenn man dies einmal so blöd sagen darf - irgendwie objektalisiert. Man darf es natürlich nicht so blöd sagen, und daher muss man das blande Zeichen als „etwas für jemand“ ausdehnen auf die Zeichen von jemand, also auf die Zeichen eines Subjekts, auf die Zeichen anstelle von jemand, was ebenfalls ein Hinweis auf das Wesen der Signifikanten ist.

„Die Natur liefert Signifikanten“, schreibt Lacan. „Noch bevor die eigentlichen Humanbeziehungen entstehen, sind gewisse Verhältnisse schon determiniert . . . Noch vor jeder Erfahrung, vor aller individuellen Deduktion und noch bevor überhaupt kollektive Erfahrungen . . . sich niederschlagen, gibt es etwas, das dieses Feld organisiert und die ersten Kraftlinien in es einschreibt . . . die Funktion einer ersten Klassifizierung. Wichtig ist für uns, dass wir hier die Ebene erkennen, auf der es – noch vor jeder Formierung eines Subjekts, das denkt – bereits zählt, auf der gezählt wird. Wichtig ist, dass in diesem Gezählten ein Zählendes schon da ist“.13 Ein Zählendes, ein menschlich Zählendes, ist auch schon ein Er-Zählendes, eine ‚Sprechung‘, ein Es Spricht. Das ist nicht einfach ganz klar zu machen, man muss es in einer gewissen Unschärfe belassen, vorerst. Diesem Es Spricht, dem Wort-Wirkenden, steht also das Feld der ersten Kraftlinien gegenüber, das ich verkürzt ein Es Strahlt nennen möchte, weil Strahlen oder ein ‚Es Scheint‘ noch plastischer wiedergeben, was mit Kraftlinien gemeint ist, die mit dem Bild-Wirkenden, dem imaginären Signifikanten identisch sind.

Die Signifikanten, die in Lacans Theorie eine so wichtige Rolle spielen, sind also unscharfe, nicht ganz präzisierte Begriffswesen, die zählen, die einem etwas aufdrängen und so – in ihrer Kombination, in ihrer Kette, wie Lacan sagt – den Trieben nahe stehen, diesen Laut Freud ursprünglichen „konstanten Kräften“, die eben Konstanz auch sonst wo haben. Auch der italienische Psychoanalytiker und Mathematiker A. Sciacchitano meint das Gleiche, wenn er von der geschwächten binären Logik spricht. Man muss, sagt er, den starken logischen Binarismus schwächen, bei dem das Wahre und das Falsche strikte Gegensätze sind. Selbst in der extremsten Wahrheit steckt ein klein bisschen Falsches und umgekehrt, und gerade so betreibt man moderne Mathematik.14 Die Signifikanten sind also nicht ganz definitiv festgelegt, sie sind leicht unbestimmt, unscharf wie die Strings, und doch kann man mit ihnen ganze Bücher füllen, Reden halten, ja sogar die Natur kann damit – wie ich Lacan gerade zitierte – etwas von ihren Geheimnissen verraten, weil sie Zugang zum Realen haben. Sie sagen vielleicht nichts Direktes, aber Es Spricht und Strahlt aus ihnen originär heraus.

Und damit wieder kurz zurück zu den Strings. Denn nunmehr lässt sich leichter sagen, dass die „défilés du signifiant“ in etwa den Durchtunnelungen der Gravitonen entsprechen. Gewiss ist dies nur eine Analogie, aber eine, die es in sich hat. D. Hofstadter (bekannt durch sein Buch Gödel, Escher, Bach) bezieht sich recht erhellend auf das Wesen der Analogie, die für ihn das Alpha und Omega der psychisch-geistigen aber auch linguistischer und mathematischer Prozesse ist.15 Dabei sind es vor allem die elementaren, „naiven“ Analogien, die wissenschaftliche Beweiskraft haben können, wie er an zahlreichen Beispielen, insbesondere auch am Beispiel Einsteins erklärt. Die elementare Analogie des elektromagnetischen Spektrums eines sogenannten Schwarzkörpers mit dem Energiespektrum eines idealen Gases hat ihm zur Teilchentheorie des Lichts geführt, sagt Hofstadter. Natürlich konnte er Letzteres dann in mathematisch-physikalischen Gleichungen ausdrücken. Aber vorher muss er die völlig gleichgewichtigen geometrischen Aspekte gesehen haben. Auch der Neurowissenschaftler V. Ramachandran erwähnt diese knappen, direkten Analogien.16 Er unterscheidet sie von den oberflächlichen und nennt sie die „tiefen Analogien“, die so kompakt und präzise sind wie zwei Universen in ihrem bedeutungsvollen und durchtunnelten Zusammenhang.

In der Psychoanalyse Lacans geht es also um eine Art von Schwerkraft-Signifikanten, von schwer mit Signifikanz beladenen Übermittlern vom Strahlt zum Spricht, vom Unbewussten ins

Bewusste und umgekehrt. Der ‚Widerstand‘, den die Menschen in der psychoanalytischen Behandlung der Aufdeckung unbewusster Tendenzen entgegensetzen, korreliert tatsächlich diesen Widerständen, die die ultraengen Verbindungsgänge von einem Teiluniversum ins andere bewirken, auch wenn diese Korrelation erneut kein Beweis ist. Man muss diese Dinge ‚anders herum‘ verstehen, d. h. dass sie im menschlichen Subjekt erst einen ‚Begreifens Weg‘, einen ‚könästhetischen Fühlvorgang‘ des Bild-Wort-Wirkenden durchlaufen müssen, um an den Beweis heran zu kommen. Der Philosoph D. Heller-Roazen definiert die Könästhesie als den „inneren Sinn“,17 der fähig ist, einer Wahrnehmung von innen heraus eine Bedeutung zu geben, doch dagegen gibt es Widerstand, der nach Freuds Bemerkung „Es-Widerstand“ heißt, der dem gewöhnlichen und in der Therapie üblichen „Ich-Widerstand“ gegenübersteht. Auch damit beharre ich nicht auf einer Beweiskraft, sondern vorläufig nur auf einer Analogie.

Das sind schon ungeheure Sätze, und ich füge dies hier nur ein, weil es genau so ungeheuer ist, eine perfekte symbolische Ordnung zu haben, also z. B. eine absolut perfekte Sprache zu sprechen, von der man dann glauben darf, Sprecher und Hörer würden damit exakt gleichorientiert und würden sich total verstehen und sogar begreifen können. Die Psychoanalyse würde nämlich eine derartige symbolisch perfekte Kommunikation benötigen, die zwischen Bewusstem und Unbewusstem vermitteln könnte. Der Psychoanalytiker und der Proband in der Therapie könnten ideal von solch einer Übersetzungsmaschinerie profitieren, wie sie Freud in seinem Konzept einer Kommunikation von Unbewussten des Analytikers zum Unbewussten des Patienten ja schon mit der erwähnten ‚gleichschwebenden Aufmerksamkeit‘ und ‚freien Assoziation‘ vorkonzipiert hat.

Doch es gibt diese direkte und perfekte Kommunikation noch nicht, obwohl Bemühungen von Computerwissenschaftlern und Psychoanalytikern in Wien, das ja schließlich auch die Hauptstadt der psychoanalytischen Bewegung ist, dahin streben.19 Sie wollen „Maschinen mit „human-like intelligence“ produzieren, eine automatisierte Psychoanalyse sozusagen, die besser funktionieren würde, als die heute noch übliche psychoanalytische Vorgehensweise. Trotzdem: schwer vorstellbar. Solche KI-Methoden hätte Lacan abgelehnt, hätte er sie gekannt, doch zu seiner Zeit war die ‚Künstliche Intelligenz‘ noch weit entfernt, allgemein bekannt zu sein. Die Autoren dieser Wiener Gruppe stellen besonders die Funktion sogenannter „innerer“ oder „software agents“ heraus. Zuvor haben sie herkömmliche informationsverarbeitende Systeme als überholt dargestellt und die neue „emergente KI“ favorisiert. Diese „agents“ werden nun mit dem psychoanalytischen Theoriemodell beladen, mit Körperhaftigkeit ausgestattet und in eine virtuelle Umgebung gebracht. Verschiedene Sensoren erfassen Inneres und Äußeres und lassen es in die Welt der „Agenten“ rekursieren.

In ersten Stellungnahmen zu dem Buch der Wiener Gruppe schreibt der Wissenschaftsphilosoph G. Doeben-Henisch, dass schon der Top-Down-Ansatz, den die Autoren aus Forschungen über Künstliche Intelligenz heraus favorisieren, problematisch ist. Gerade in der Psychoanalyse, wo Erkenntnisse aus den „freien Einfällen“ der Patienten gezogen werden, und daher durcheinandergeworfene Sätze, ja sogar verwirrende Träume als Basis dieser Erkenntnis dienen, kann man nicht plötzlich von oben her dem Ganzen ein Konzept aufstülpen. Es ist dennoch verständlich, dass die genannten Computerwissenschaftler sich die Psychoanalytiker als Partner ausgesucht haben. Deren Konzepte erscheinen besonders intelligent. Doch da sie ihnen nicht ganz folgen können, erklären sie, dass sie sich an das halten wollen, was man Neuropsychoanalyse nennt.20

Schon der Neurologe A. R. Luria hatte bereits die unterschiedlichen Gehirnstrukturen zu der Freud´schen II. Topik in Beziehung gesetzt. Doch es handelt sich – wie auch bei den neueren Neuropsychoanalytikern – um wenig spezifische Analogien. Die freien Assoziationen des Patienten legen auf jeden Fall ein Bottom-Up Konzept viel näher. „Diese subjektbezogenen Daten können nicht unter ein Paradigma empirischer Messungen subsumiert werden,“ schreibt Doeben Henisch daher weiter, „das wesentlich für die empirischen Wissenschaften ist. . . . In den letzten Jahren haben wir mehr über die Wichtigkeit subjektbezogener Daten gelernt, insofern sie notwendige erkenntnistheoretische Hinweise für ein tieferes Verständnis empirischer Strukturen sind. Wir haben auch über die Notwendigkeit gelernt, zu versuchen formale Modelle dieser subjektbezogenen Daten zu entwickeln.“ Doeben-Henisch weist auch darauf hin, dass dies besser ist als eine “magische” Umformung nicht-empirischer Daten in empirische Tatsachen, wie es die Wiener Psychoanalyse-Automatisierer tun.

Es verhält sich auch nicht so, dass der Mensch direkt in den Dingen lesen kann, wie es der Mystiker J. Böhme noch behauptete, als er von der „signatura rerum“ sprach, den Zeichen, die den Dingen eingedrückt sind; ein Mythos, an den auch heute noch viele moderne Esoteriker glauben. Esoteriker sind Leute, bei denen die Bäume und die Sterne sprechen können wie die Tiere im Märchen. Nein, die Natur ist nicht schon fertig beschriftet, so dass man sie nur abzulesen braucht. „Die ersten Symbole [hier gleichzusetzen mit den noch mehr imaginären Signifikanten], die natürlichen Symbole sind hervorgegangen aus einer bestimmten Anzahl maßgeblicher Bilder