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Die Menschlichkeit im Zeitalter der Algorithmen – eine neue Wissenschaft vom Subjekt In einer Welt, in der künstliche Intelligenz zunehmend unseren Alltag prägt, stellt sich die Frage nach dem Platz des Einzelnen neu. Was bleibt vom Subjekt, wenn Entscheidungen berechnet, Emotionen simuliert und Identitäten digitalisiert werden? Dieses Buch gibt eine überraschende und tiefgründige Antwort: Nicht der Mensch soll sich der Logik der Maschine anpassen, sondern die Wissenschaft darf wieder den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Ausgehend von der Psychoanalyse Jacques Lacans entwickelt der Autor eine neuartige Therapiemethode, die KI nicht als Gegner, sondern als Impulsgeber für ein radikal subjektbezogenes Denken versteht. In der Verbindung von algorithmischem Denken und einem „der Liebe unterstellten Intellekt“ entsteht ein therapeutisches Verfahren, das sowohl intellektuell als auch praktisch überzeugt, und sich direkt anwenden lässt. Eine Einladung, die Seele neu zu denken: jenseits von Statistik, Prognose und Optimierung.
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Seitenzahl: 208
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Das Bild der Malerin T. Heydecker aus der Reihe ‚Indizien‘ auf der Umschlagseite passt hervorragend zum Titel des Buches. Obwohl es lange vor der Entwicklung der künstlichen Intelligenz in ihrer heutigen Form gemalt wurde, zeigt es – sozusagen voraussehend – links in dem schwarzen und nur von einer schwachen Glühbirne erhellten Feld, den leeren Geist. Das Haus rechts dagegen mit der ungewöhnlichen Bauweise und den seltsamen Fenstern gleicht der künstlichen Intelligenz mit ihren schwer durchschaubaren Algorithmen. Der Radfahrer davor verbindet die beiden nur scheinbar unterschiedlichen Bereiche, wie im Text des Buches zu lesen sein wird.
1. Der Knoten des Unbewussten
2. Unbewusstes, Vorbewusstes, Bewusstes
3. Identität und Identifizierung
4. Leere Blicke, leere Vorstellungen
5. Psychoanalyse, Meditation und KI
6. Das ‚Ding‘ – Name it and Tame it
7. Die vier Diskurse
8. Der ‚corps jouissante‘ und eine der Liebe unterstellte Intelligenz
Anhang
Literaturverzeichnis
In seinem Vortrag in Mailand, am 12. Mai 1972, ließ der französiche Psychoanalytiker Jacques Lacan seine Zuhörer wissen, dass „es nichts gäbe, das so schlecht laufen würde wie das Verhältnis von Mann und Frau“. In der Intimität funktioniere nichts, sagte er, und dazu existiere – seit es die Welt gibt – „eine ganze Literatur, die nur dazu da ist, um das zu sagen“. Wenn Freud von Sexualität gesprochen habe, hätte schon dieses Wort allein genügt zu suggerieren, dass „Freud die Idee der sexuellen Übereinstimmung voraussetze, nämlich dass esmit dem Sex funktioniere. . . Schließlich brauche man nur zu lesen, dass er bis zum Ende, weil er ein Mann war, dabei geblieben ist. Und er sagt es, schreibt es, breitet es aus, letztendlich um sich zu fragen: eine Frau, was kann sie wohl wollen? (Gelächter bei den Zuhörern)“.1 Bekanntlich hatte Freud bezüglich des Begehrens gefragt: ‚Was will das Weib?‘
„Dazu braucht man nicht auf Freuds Biographie anzuspielen,“ fuhr Lacan fort, „denn auf diese Weise verengt man die Frage immer, zumal er neurotisch war wie jeder andere, denn er hatte eine Frau, die eine Nervensäge war . . nun, das ist bekannt . . . die alte Madame Freud. Das ist jedoch wirklich eine Verkürzung der Frage. . . Das, was Freud sagt, ist dieses Ausrutschen des Signifikanten, was bewirkt . . . dass er wusste, was das bedeutet: Sexualität. Aber was er uns erklärt, ist, dass er es nicht weiß. Er weiß es nicht. Der Grund, warum er es nicht weiß ist genau das, was ihn dazu gebracht hat, das Unbewusste zu entdecken. Das heißt, zu bemerken, dass die Effekte der Sprache an dieser Stelle spielen, wo das Wort Sex einen Sinn haben könnte . . wenn es also anders funktionieren würde, als sich in diesen Spracheffekten zu verstricken“.1
Die Signifikanten sind die bezeichnenden Wortbruchstücke, die Bedeutungseinheiten, die dem Sprechen eigentlich den Wahrheits-Sinn verleihen würden, der über bloße Stottern und Paraphrasieren hinausgehen könnte. Aber die Signifikanten lassen beim Sprechen stets unbemerkt Lücken, sie agieren oft gegensätzlich, so dass es ein Wunder ist, dass man damit überhaupt kommunizieren kann. Meist findet daher stets nur ein Schein-Diskurs statt, ein Schein-Gerede, wie eben auch beim Sex, der „bei den Tieren so aussieht, als ob er anmutig abliefe. Es gibt die Parade. Es gibt alle möglichen charmanten Annäherungsversuche, und dann scheint es bis zum Schluss glatt zu laufen. Bei den Tieren gibt es allem Anschein nach keine Vergewaltigungen und auch nicht diese Komplikationen, all das Geschwafel, das man darum herum macht. Es geschieht bei ihnen, kurz gesagt, auf eine zivilisierte Weise (wieder Gelächter im Publikum)“.1
Was Lacan auch in anderen Vorträgen versuchte zu erklären, bestand hauptsächlich darin, dass die Sprache nur in konterkarierender Form genutzt wird, und der Sex gar nicht richtig existiert, weil er keine Beziehung ist, nichts namhaft Vermittelndes, Definitives. Der ‚Sex‘ existiert nur in Anführungszeichen. Es geht um das unbewusste Begehren in seiner essentiellsten, akronymischen Form, wo es als die Trieb-Kraft gesehen werden muss, die alles durchdringt, so dass man von ihr ausgeht, um einen aussagekräftigen Diskurs zu erzeugen und zu nutzen, der umfassend logisch wäre. Aber das tut der Sex (ohne Anführungszeichen) natürlich nicht. Er verbleibt – jedenfalls deutlich mehr als früher – im bombastischen Nonsens von TV, Filmen und Sozial Media Storys, obwohl er eine Scheinbeziehung ist, die hell strahlt, aber nur als Beziehung dem Anschein nach, nur pseudomorph existiert
Nun ergeht es – laut Lacan – der Sprache also auch nicht anders. Sie müsste so genutzt werden, dass sie den Menschen als Subjekt einschließt, dass das subjektbezogene Spiel der Signifikanten nicht nur Bedeutung um Bedeutung erzeugt, in denen man sich zwangsläufig verstrickt, sondern Sinn macht, Wahrheits-Sinn. So wie der Sex Lacan zufolge ein ‚leeres Ganzes‘ ist, eine tolle, aber leere Sache, so herrscht im üblichen Diskurs, in der üblichen Art zu reden, ein ‚leeres Sprechen‘ vor, dem das ‚volle Sprechen‘, die authentische Wucht des ernsthaften Sagens, gegenübersteht. Ich komme auf all diese Lacanschen Besonderheiten noch ausführlich zurück, versuche aber zuerst auf den Zweck meines Buches einzugehen.
Ich versuche in diesem Buch ein Verfahren zu schildern, das mit der Hilfe Lacans die herkömmliche Psychoanalyse erweitert, so dass der menschliche Geist über sich hinauswachsen kann, und zwar nicht mit künstlicher Intelligenz (KI), sondern mit so etwas Seltsamen wie dem ‚leeren Geist‘. Den entscheidenden Tipp zu diesem Begriff habe ich jedoch ausgerechnet von der KI selbst bekommen, sonst hätte ich diesen hier vorliegenden Text wohl gar nicht verfasst. Ich habe zwar bereits in anderen Veröffentlichungen über dieses Verfahren berichtet, aber der Bezug zur KI hat die Sache erst interessant werden lassen. Grundsätzlich halte ich die KI nur für ein maschinelles Sein, das in sich perfektioniert, steril und mechanisch inszeniert ist, sich gleichzeitig aber auch für das Verständnis des Menschen, und speziell der menschlichen Seele, also seines Subjekt-Seins, weitgehend unzureichend erweist. Dies war auch das Fazit einer neuen wissenschaftlichen Recherche.2 Vor allem kann die KI nichts vom ‚Sex‘ sagen, weil sie ihn nicht kennt, und was Wahrheits-Sinn sein soll versteht sie nicht, weil sie eben kein Subjekt ist.
Aber auch der Mensch ist ein mit Makeln behaftetes Sein, ein Konstrukt, das stolpert, irrt, körperlich und seelisch nicht perfekt ist und sich somit genauso unzureichend präsentiert wie die KI. Doch im Gegenteil zur KI hat der Mensch – um mit einem wichtigen Aspekt vorauszugreifen – ein Unbewusstes, und das heißt eine Chance: er kann seine Unperfektheit eruieren, er kann sich zu ihr bekennen, er kann sie beichten und sich selbst damit ändern – wenn ich mich hier einmal so altkatholisch ausdrücken kann. Die KI dagegen kann nichts eingestehen, nichts beichten. Sie kann sich nicht selbst enthüllen, sie bleibt folgenlos, fehlerfrei mangelhaft und großartig unverbindlich. Sie (hier: z. B. ChatGPT) kann ein bisschen schmeichlerisch auf eigene Fehler eingehen, aber kein echtes Schuldgeständnis ablegen.
Zu ihrem Mangel am Unbewussten wird noch einiges zu sagen sein, denn sie begehrt ja auch nicht, wünscht nicht, liebt nicht, empathisiert nicht, was ich im Weiteren noch als menschliche Besonderheiten herausstellen will. Doch der Tipp mit dem auch ihr zughörigen ‚leeren Geist‘ hat ihr den Pluspunkt eingebracht, dass sie wenigstens für Vergleiche hinsichtlich einer wissenschaftlichen Betrachtung anderer Intelligenzen (seelischer, neuro-psychischer, sozialer, etc.) geeignet sein könnte. Da es in meinem oben erwähnten Verfahren auch um Meditation geht, hatte ich ChatGPT gefragt, ob es ein Vergleichsmoment, einen gemeinsamen Nenner, zwischen ihr und dem Meditieren gibt. „Ja“, meinte sie eben, „den ‚leeren Geist‘“. Sie selbst entleere sich von vielen Bestandteilen der ungeheuren Datenmengen, die sie verarbeitet.
Und dies tue auch der Meditierende, indem er seine Gedanken ständig von sich wegschiebt, um zu einem wesentlichen inneren Kern zu kommen. Bei meinem Verfahren handelt es sich um eine Wissenschaft vom Subjekt, eine Verbindung von Psychoanalyse und Meditation, die den Menschen wesensmäßig erfasst, die KI aber niemals vermitteln könnte. Denn die KI hat – wie gesagt – kein Unbewusstes, keine Emotionen, keine Sehnsüchte, keine Triebe, etc. Das menschliche Subjekt kann mit Hilfe der Psychoanalyse, aber auch meditativ seinen Geist entleeren, aber die KI? Kann man bei der KI überhaupt von Geist reden, von einer Überschau, von etwas Phantasmatischen, Methodischen, Subjekt-Sprachlichem?
Die Sprache scheint im Geistigen eine große Bedeutung zu haben, und die Frage stellt sich, ob sie dazu die von Lacan zerlegte Form berücksichtigt, in der die von der Linguistik vorgegebenen Signifikanten, die sich gegenseitig ziemlich konträr gegenüberstehen. Sie überschneiden, überlappen sich in Worten überlappen, so dass das menschliche Subjekt die Zwischenräume – unbewusst – mit seinen spontanen Einfällen füllt, was mit dem Begehren, dem unwissentlichem Verlangen, zu tun hat. Dass man sich trotzdem sprachlich verständigen kann, frappiert, bedeutet aber auch, dass die Sprache äußerst ungenau ist, ja dass „sie eigentlich misslungen ist“, wie Lacan sagt.3 Eben deswegen braucht es weniger eine Wissenschaft von der Sprache, die Linguistik, als vielmehr eine ‚Wissenschaft vom Subjekt‘.
Mit Hilfe der von S. Freud geschaffenen Grundlagen des Unbewussten und der erweiterten, modernen Sprachwissenschaft, in der also die Lücken in der Sprache durch ihre Bezogenheit aufs Subjekt wichtiger werden als normale Syntax und Grammatik, hat Lacan dieses Methodische vertieft und dahingehend erweitert, wie man den Menschen in richtiger, ernsthafter und wissenschaftlich begründeter Weise zuhören, ihn verstehen, begreifen, seine Symptome interpretieren und seine seelische Reifung und Intelligenz entscheidend fördern kann. Es handelt sich um eine geradezu stoische Art des Zuhörens und der sprachlichen Vermittlung, ein επεχειν (epechein), wie die frühen Griechen sagten, ein sich Zurückhalten, sich Weghalten, ein Skeptisch- und Verinnerlicht-Bleiben.
Für ein derartiges Zuhören und Förderung der seelischen Reife, für eine solche Wissenschaft vom Subjekt, hat die KI allerdings keinen Draht. Sie weiß nichts von den Lacanschen Signifikanten, hat natürlich auch kein unwissentlich Seelisches und redet daher genauso misslungen drauflos, wie ich es gerade vom öffentlichen und ‚leeren‘ Gerede erwähnt habe. Sie füllt die genannten Lücken im Satzbau nicht mit Einfällen des Subjekts, das die KI ja nicht sein kann, sondern mit denen ihrer Programmierer, der Technomilliardäre aus dem Silicon Valley. Trotzdem war der Tipp der KI zu dieser Thematik des ‚leeren Geistes‘ nicht schlecht. Er bestand darin, dass sie zuerst langatmig behauptete, zwischen Disziplinen wie Philosophie, Psychoanalyse, Theologie, Meditation, etc., und ihr selber bestünden große Unterschiede, die sie mit ziemlich allgemein gehaltenen und schwurbeligen Bemerkungen beschrieb.
Aber zum Schluss stellte sie das strukturelle Merkmal heraus, das als solches einen Vergleich der genannten Disziplinen möglich machen würde und auf das ich so nicht gekommen wäre, den ‚leeren Geist‘. Nicht nur Psychoanalyse, Meditation und andere psychologische Methoden würden mit dem ‚leeren Geist‘ operieren, erklärte mir die KI, und so stünde er auch bei ihr selbst im Mittelpunkt.4 Hat das jemand schon einmal so gesehen? Sie ist doch ein kaltes, berechnendes Ding. Denn was der Begriff ‚leerer Geist‘ bei ihr selbst bedeutet, erklärt sie damit, dass sogenannte Content-Filter Personen alles durchforsten, was unbrauchbar, sozial unerwünscht und ethisch geächtet ist und es dann löschen. Das heißt, sie leeren eigentlich nicht den Geist, sondern sie spielen Inquisition, Überwachungsstaat oder Moral-Apostel, und zwar nur nach den Richtlinien ihrer Hersteller. Zudem entgehen der KI auch bestimmte Zusammenhänge, so dass hier eine Leere erscheint.
Aber egal, ich werde dieses von der KI genannte strukturelle Merkmal in Bezug zur Psychoanalyse und meditativen Verfahren in den nächsten Kapiteln darstellen, um den angekündigten Vergleich der Methoden (Psychoanalyse, Meditation, KI) plausibel zu machen und mit der Darstellung des genannten, eigenen, übergreifenden Verfahrens reüssieren zu können, das ich Analytische Psychokatharsis (verkürzt AP) genannt habe und das ich im Text, aber vor allem im Anhang ausführlich schildern werde. Auch wenn der ‚leere Geist‘ bei der KI nur verbannt und inquisitorisch geächtet zustande kommt, einen Vergleich kann man trotzdem wagen und das neue Verfahren damit ins Spiel bringen. Doch vorerst noch einmal zurück zur Wissenschaft und zu den Grundlagen der Wissenschaftlichkeit überhaupt.
Es gibt in allen Wissenschaften einen grundlegenden Dualismus, indem ein Mehrfaches der Kräfte, Prinzipien oder was immer man anfänglich benutzt, um zu einer definitiven Aussage zu kommen, auf Brauchbares reduziert wird. In Sigmund Freuds Psychoanalyse existiert der Dualismus des Eros-Lebens- und des Todes-Triebs. Der Eros-Lebens-Trieb kommt in vielen Teil-Trieben zur Wirkung (oral, anal, phallisch, blick- und stimmbezogen), der Todestrieb dagegen ist gar kein Trieb, also nicht etwas zum Tod hin aktiv Begehrendes. Er besteht eher aus einer automatischen Rückkehr zum Ausgangspunkt, Freud sagte: zum Anorganischen. Aber warum ist das Anorganische der Tod? Es könnte sich doch durchaus um ein sehr primär-primitives Leben handeln wie etwa bei den Prionen, die lediglich fehlgefaltete Proteine sind, aber Nervenkrankheiten wie Bakterien und Viren auslösen können.
Zu Freuds Verteidigung muss man sagen, dass er in seiner ‚Sexualtheorie‘ eben das damals geltende Wissenschaftliche mit einbeziehen wollte. Das bunte, intersubjektive Geschlechtliche, Sexuelle, sollte dem natürlich Einvernehmlichen der genitalen Fortpflanzung gegenüber gestellt sein, wobei das Sexuelle dem Tode besonders nahe stand. Warum das Sexuelle und nicht einfach das Nichts? Und so muss man zum besseren Verständnis zuerst einmal – Lacan folgend – statt von einem Dualismus von einem Trialismus des Wirkenden ausgehen, also nicht von der Wirklichkeit, der äußerlichen Realität sondern des Strebenden, des Triebs, des Begehrens, des Wirkenden als solchem. Lacan unterteilt es eben dreifach in
1. das Imaginäre (Erscheinungs- oder Blick-Wirkende, das dem Eros-Lebens-Trieb entspricht), und in
2. das Symbolische (Wort-Wirkende, das vorwiegend dem Todestrieb zugehört, und in
3. das Reale, wo dieses Wirkende selbst seine Geltung hat. Das Reale ist – wie in der unten stehenden Abbildung eines Dreier-Knotens gezeigt – mit Imaginären und Symbolischen gleichermaßen verbunden, was der Mengenlehre und somit der Wissenschaft geschuldet ist, die mit der drei oder der Mehrheit beginnt.
In diesem Dreierknoten, in dieser Dreierverschleifung, die Lacan den Borromäischen Knoten (verkürzt den Bo-Knoten) nennt, befinden sich die drei Bereiche, von denen das Reale eher etwas Widerspenstiges ist, es könnte tatsächlich eine bestimmte ‚Leere‘ sein, ein grundsätzlicher Mangel, den Lacan überhaupt dafür verantwortlich macht, dass etwas existiert, bzw. zur Existenz drängt. Die Leere des Realen strebt geradezu danach, real zu sein um nicht im Abfall des Wirklichen, Realistischen, zu erstarren. Freilich kann man argumentieren, dass aus einer anfänglichen Leere der Urknall entstanden ist und danach diese ominöse Inflation des Universums, was dann als Drittes einen Schöpfer, einen Gott notwendig machte. Aber ist das nicht eine umständliche und unbefriedigende Erklärung?
Warum nicht grundsätzlich von einer dreiteiligen Strebung, einem dreiteiligen Begehren ausgehen, das die dumme Frage, was vor dem Urknall als Anfang da war, erübrigt. „Das Begehren ist die Beziehung des Seins zum Mangel“, schreibt Lacan, und so ist es die Leere selbst, die strebt, wie man auch am Vakuum sehen kann, dessen Fluktuationen das Sein hervorbringt, je leerer man es von Elementarteilchen macht. Die Leere, der Mangel, Es, erscheint und existiert einerseits als das, was sich gerade vor dem Hintergrund einer Nicht-Existenz zwingend zeigt, was laut Lacan „sich sehen machend“, also imaginär-real wirkend ist (Erscheinungs-Blick-Wirkendes), und was eben auch zu Freuds Lebens-Eros-Trieb passt.5
Freud und Lacan haben diesbezüglich auch vom Schautrieb gesprochen, der nicht das Sehen ist, das aus dem Auge und der Sehrinde im Gehirn besteht, sondern das mitten in diesem Sehen ein Schaubegehren, ein Blick- und Erscheinungs-Begehren darstellt. „Über das Auge triumphiert der Blick“, dozierte Lacan, weil es ein universeller Blick ist, der einen angeht, anblickt. Mit anderen Worten: der Blick ist gespalten, er speist sich aus dem fotografischen Sehen der Netzhaut und dem Blickbegehen, der Schaulust, die eben etwas Triumphierendes an sich hat. In diese Spaltung von Sehen und Blicken steckt etwas von dem, was sich zwischen der Leere, dem Mangel, dem Fehlen und dem Realen abspielt.
Es geht um den Moment, in dem sich eine angebliche oder logisch vorausgesetzte Leere mit etwas füllt, das die Psychoanalytiker als Begehren klassifiziert haben. Etwas strebt zum Zug zu kommen, es wird doch nicht einfach weil es wird. Es handelt sich um etwas als als im Mangel Strebendes, Treibendes, um – wie Lacan sagt – zu „sprießen“, oder um sich „sehen zu machen“, um demonstriert zu sein und sich zu vermitteln. Dieses visuell Strebende, Blick-Wirkende, spielt anfänglich zusammen mit der speziellen Existenz der Sprache (Wort-Wirkendes) eine entscheidende Rolle.
Damit greife ich über herkömmliche psychoanalytische Vorstellungen hinaus, aber Lacans Bo-Knoten ermöglicht es, vom Real-Imaginären zu sprechen, also von etwas EingeBILDetem, das real ist, das sich als Blick aufdrängt. Das Gleiche gilt – so man den Trieb-Begriff beibehält – für den Freud’schen Todestrieb, dem symbolisch-real Wirkenden, VerLAUTendem, nach Lacan dem „sich hören machen“. Dies erklärt, dass nicht Ohr, Kehlkopf und Hör- und Sprech-Areal im Gehirn, sondern Sprech- und Kommunikationslust, Laut, Stimme und Klang, das erzeugen, was anscheinend kommunikativ ist, letztlich aber mit dem Tod zu tun hat.
Denn der Tod kommt weniger durch die Rückkehr zum Anorganischen zustande, als vielmehr durch eine Mehrdeutigkeit, Fluidität, Ungenauigkeit des symbolisch-real Wort-Wirkendem, des Sprechens, weil die Menschen sich nicht gut genug zuhören, weil sie stets daneben reden, sich missverstehen, täuschen und belügen. Statt zu leben, verwörtern, verreden, vertricksen und verrätseln sich die Menschen in Scheingesprächen, Pseudologien und Mythomanien, so dass sie am Ende des Lebens nicht mehr wissen wer sie sind und wer sie waren. Mehr als durch Gifte und Krankheiten bringen sich die Menschen durch falsch Symbolisches in tödliche Verwirrung.
Ich gehe also mit Lacan einerseits von der Leere, vom Mangel und dem ihm folgenden Imaginären, ‚Eingebildetem‘, Erscheinungs-Blick-Wirkenden aus, das heißt nicht nur vom Physischen, sondern von allem was strebend erscheint, was ‚eingebildet‘ da zu sein ‚scheint‘, ‚sprießt‘, hell oder dunkel strahlend anblickt, und in diesem Sinne Wirkung hat: triebartig Blickliches, Imaginäres, das sich von den Sternen bis hin zur Welt der Natur und noch weiter zu den Netzwerken des Gehirns und der menschlichen Vorstellungen erstreckt, was dann aber auch Symbolkraft hat, Zeichen, die zu hören sind. Denn das Eingebildete, das Blick-Begehren ist nicht allein, es gibt auch noch das Verlautende, das Klangbegehren.
Lacan nennt dieses Streben, Begehren, in dem sich „die Aktivität des Triebs“, die grundlegende, sich konzentrierende Kraft sammelt, um sich zu zeigen, um zu sprießen, aber auch sich ‚hören zu machen‘, bereits eine Art von tatkräftigem Symbol. „Die ersten Symbole, die natürlichen Symbole sind hervorgegangen aus einer bestimmten Anzahl ‚maßgeblicher‘ Bilder – aus dem Bild des menschlichen Körpers, aus dem Bild einer Reihe von deutlich sichtbaren Objekten wie der Sonne, dem Mond und einigem anderem [Erscheinungs-Blick-Wirkendes]. Aber das ist das, was der menschlichen Sprache [dem Wort-Wirkenden] ihr Gewicht gibt, ihre Triebfeder und ihr emotionales Vibrieren“.6 Das ist speziell und gleichzeitig äußerst weit gefasst, und doch lässt es sich konkretisieren.
Schon für I. Kant bestand der „gestirnte Himmel“ nicht so sehr aus Materie, sondern aus der Verknüpfung von dessen unermesslicher Weite und Größe mit Kants eigenem Seelenleben. Zu diesem Erscheinungs- und Blick-Wirkendem gehörte bei Kant auch das Wort-Wirkende in Form des in ihm wohnenden ‚moralischen Gesetzes‘. Doch das Dritte, das Verbindende, seine Philosophie, war zu abstrakt, theoretisch überladen und triebabweisend. Seit Freud und Lacan kann man so nicht mehr denken.7 Doch auch der Sprung von den Vakuum-Fluktuationen zum ‚leeren Geist‘, von Kants ‚Gestirntem‘ zu Lacans blicklich Imaginärem und damit wieder zurück den Strebungen und Trieben erscheint sicher zu krass und zu spekulativ. Meine Argumentation verliert sich so vielleicht im Ungenauen.
Und so stütze ich mich einerseits auf die Leere und das Reale, auf neueste Erkenntnisse vom elementaren Geschehen im Universum (Sterne), der Erde (Natur) und den Menschen und dessen Seele, die zu großem Teil unbewusst ist.8 Allein was Temperatur (Hitze, Kälte), Schwere, Bewegung, Dichte, Ausstrahlung, Bindungs-Energie, Substanzielles, Ausdehnung, und einige weitere elementare Vorgänge (also etwa acht bis zehn Parameter) bei Stern- und Naturentwicklung ausmachen, lässt sich vollständig auf das Wesen von Strebungen, also auch denen des Menschen, übertragen, denn schon allein diese acht bis zehn Begriffe, Wesenheiten, Tatsachen, kennzeichnen das Es, das die Psychoanalytiker als das Reservoir der menschlichen Triebkräfte im Unbewussten definieren, das aber eben auch – andererseits – Sternbewegungen, Kräfte der Pflanzenwelt und alles, was sich in darin zusammenbringen lässt, beinhaltet.
Nochmals: Um den Begrenzungen auszukommen, die in den Geistes- und Naturwissenschaften, aber auch in der herkömmlichen, klassischen Psychoanalyse bestehen, und um der Lehre Lacans gerecht zu werden, postuliere ich ein Etwas, ein Es, das sich aus dem Drang des Imaginär-Realen (Erscheinungs-Blick-Wirkenden) und des Real-Symbolischen (Wort-Wirkenden) zusammensetzt (Bo-Knoten), das aber auch elementaren Gegebenheiten entspricht, wie zum Beispiel Temperatur, Dichte und den vielleicht nur acht bis zehn Parametern, die ich oben angegeben habe. Speziell aus Lacans Topologie (Einstein‘sche oder projektive Geometrie) lässt sich dieses umfassend Zusammenwirkende gut belegen.
Schon allen das Möbiusband demonstriert mein Vorhaben. Es hat zwei Seiten (z. B. Imaginäres und Symbolisches) aber dennoch nur eine Fläche (Reales). So wird auch aus Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit als Drittes die Energie des Universums dargestellt –kein gelungenes Beispiel, aber es geht ja nur um etwas rein Strukturelles. Was immer man sich also unter solch einem komplexen Sein, Wesen, Ding, wie den acht bis zehn Parametren vorstellen mag, es hat eine gewisse Konstanz oder Konsistenz, wie eben ein entstehend-vergehender Stern oder etwas in der Natur oder das Unbewusste des Menschen. Ich will ich mich dabei nicht auf all die Autoren berufen, die heutzutage versuchen dem erscheinungs-blick-wirkend Gegenständlichen – wissenschaftlich begründet – Leben einzuhauchen, wie es etwa E. Coccia oder Jane Bennet tun.
Die zentrale These der letzteren Autorin lautet: „Materie ist aktiv – und sie hat bisweilen sogar politische Handlungsmacht. . . Wann sollte diese Aussage [dass die Materie lebt] plausibler sein als heute, wo ein kleines Virus die ganze Welt in Atem hält?“9 Obwohl Bennet so halb wissenschaftlich argumentiert, glaube ich nicht, dass man die Dinge so sagen kann, dass die Materie direkt lebt. Ist es nicht sinnvoller zu sagen: eine Strebung, ein Begehren steckt schon primär in allen Dingen, und wenn etwas damit konsistent wird, bekommt Es auch die bei Freud auf das Leben, aber auch auf die Geschlechtlichkeit, das Sexuelle, bezogene Ausdruckskraft, wie sie Lacan mit dem Bo-Knoten dargestellt hat. Das Sexuelle ist bei Freud, den Psychoanalytikern und bei Lacan, nicht das reelle Geschehen, sondern nur das Charakteristische am Begehren, das Explizite des Drängens, Strebens, kurz: der ‚Sex‘ in Anführungszeichen, als zugespitztes Paradigma, als veranschaulichte Trieb-Kraft.
Für Lacan existiert der Sex (ohne Anführungszeichen) nicht, denn er ist ein Beziehung nur dem Schein nach und keine wirkliche geschlechtliche Relation, von der man definitiv etwas sagen oder gar schreiben könnte. Mann und Freu liegen in ihre Bestrebungen weit auseinander und lasen sich auf einen Ringkampf ein, bei dem beide verlieren. Der Mann kommt zu früh und die Frau gar nicht oder nur selten. Sie hat sich zu sehr dem ‚phallischen‘ Genießen – wie das schon Freud so erklärte – angepasst und schätzt das eigene zu gering ein, und so bleibt manchmal nicht anderes übrig, als zum Psychoanalytiker zu gehen, der aus ‚Sex‘ Logik machen kann, was die Probleme lösen soll. Doch es fehlt das praktische Verständnis für das, was Mann und Frau überhaupt sind.
Die klassischen, herkömmlichen Psychoanalytiker sind nur noch Scholastiker, Schulmeister, wie Lacan sich ständig echauffiert. Sie wehren sich gegen solch eine Erweiterung der Freud’schen ‚Sexualtheorie‘ auf ein weiterführendes Begehren, das allem innewohnen soll. Doch Lacan tut diesen Schritt und beschreibt in seinem 24sten Seminar auch ausdrücklich in Bezug auf das Universum, die Sterne und die Natur der Welt, dass im Bo-Knoten und anderen Topologien das Streben, das Begehren, der ‚Sex‘ als Voraussetzung notwendig ist, um die Dynamik allen Daseins zu verstehen.10 Natürlich haben die Sterne nicht Sex, aber im übertragenen Sinne spielt sich im Universum eine Dramatik ab, hinsichtlich der man exakt vom Begehren reden kann.
Es gibt noch andere Möglichkeiten den Bo-Knoten zu füllen. So zum Beispiel eben auf die Stern-Entstehung zu, der man ein Reales und auch gewisses ‚Sprechen‘ zuweisen kann.11 Selbst im sogenannten ‚Schwarzen Loch‘ der Galaxien kann das Allerletzte nicht ineinander aufgehen, wohl weil gerade schon der Name ‚Schwarzes Loch‘ irgendwie nahelegt, dass „ihre Faszination eine starke sexuelle Komponente besitzt“, wie der Physiker G. Greenstein scherzend meinte.12 Das ist also nicht ganz ernst gemeint, sondern so, wie auch in Freuds Sexualtheorie der ‚Sex‘ nur in Anführungszeichen, nur paradigmatisch, zu verstehen ist. Er befindet sich im kleinen a in der Mitte des Bo-Kotens rein als zentral verbindlicher Begriff für das Wesen, das ‚Objekt‘ des Begehrens, weil er in jedem der drei Bereiche etwas zu tun hat.
Ich zeige dies daher nochmals in anderem Gewand, in dem das imaginär Konsistente in etwa der Temperatur, Ausdehnung und Bewegung, das Insistente des Symbolischen vielleicht der Dichte (in der Dichtung sind Worte verdichtet) und der Bindung korreliert, und letztlich das Reale der Schwere und der Substanz zu zuordnen ist (siehe Abb. nebenan). Solch eine Umsetzung tut der Wissenschaftlichkeit keinen Abbruch, der Knoten verbindet alle drei Aspekte mit denen von Lacan verwendeten und bleibt selbst das eine, triadisch verknotete Ganze. Warum nicht davon ausgehen?Warum nicht die KI damit düpieren, dass sie auf eine solche, umfassend einende Idee nicht kommen kann, weil Es, aber auch die gesamte Lacansche Wissenschaft, ihr zu abstrakt ist. Und freilich auch zu genial.
Allein schon der Knoten ist genial geknüpft. Man kann ihn nicht öffnen, denn dann fällt alles auseinander.13 Die KI kann mit derartigen Korrelationen, die im Endeffekt dem ‚Sex‘, dem unbewussten Begehren, unterstellt sind, absolut nichts anfangen. Das stört auch nicht, Die KI kann über Freud tausend Dinge sagen, hat aber dennoch keine Ahnung von der Psychoanalyse, die man – mas o meno – nur versteht, wenn man in entsprechender Ausbildung, Therapie oder intensiver Selbstanalyse tätig war. Nun nochmals zum Bo-Knoten, den ich in der letzten
