selbstschöpfung - Günter von Hummel - E-Book

selbstschöpfung E-Book

Günter von Hummel

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Beschreibung

Dem Philosophen F. Schlegel genügte der Begriff der Selbstbestimmtheit für das Wesen des aufgeklärten Menschen nicht. Er setzte ihm den Begriff der selbstschöpfung gegenüber, den er allerdings mit dem der Selbstvernichtung konfrontierte. Dies erinnert an Freuds Theorie vom Eros-Lebenstrieb auf der einen, und vom Todestrieb auf der anderen Seite. Doch wie sieht dieser Gegensatz in der Praxis aus, und wie kann man etwas Positives daraus gewinnen? Der Autor versucht mit einem neuen Verfahren, das Psychoanalyse und Meditation verbindet, diese Frage mit wissenschaftlichen Begründungen - oft gestützt auf die Lehre J. Lacans - und einer effektiven Praxis zu beantworten. Denn nicht nur Theoretisches ist wichtig, auch eine Beschreibung der Praxis verhilft dazu, dieses Verfahren direkt aus dem Buch heraus zu erlernen.

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Das Umschlagsbild stammt von der Malerin T. Heydecker und trägt den Titel: Die Baustelle des Ichs. Das Selbstschöpferische liegt freilich schon ein bisschen vor dieser Baustelle, dennoch symbolisiert das Bild anschaulich etwas davon in Form des leichten Durcheinanders der verschiedenen Gestalten. Wenn der Körper durch die Evolution entstanden ist, woher kam dann die Seele, das Subjekt, das Unbewusste? Es in fortgeschrittener Weise zu erfassen, ist Ziel dieses Buches.

Inhaltsverzeichnis

Erscheinungs- und Wort-Wirkendes

Bedürfnis und Begehren

Trauma

Der Sündenfall

Mann und Frau

Virtuelle Schizoidie

Resümee

Das ‚Ding‘

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Erscheinungs- und Wort-Wirkendes

Gewiss ist Selbstschöpfung ein gewagtes Wort. Es klingt nach etwas Übersteigertem, ja geradezu Wahnhaften. Der Begriff wurde vom Philosophen Friedrich Schlegel verwendet, der ihn dem der Selbstvernichtung gegenüber stellte.1 Dass die Menschen sich wechselweise selbstvernichtend und -schöpferisch und verhalten, kann man tatsächlich täglich beobachten, damals wie heute. So gesehen ist diese Gegenüberstellung also ganz modern, aber auch in der Theorie der Psychoanalyse findet man in den Begriffen des Eros-Lebenstriebs und des Todestriebs ganz entsprechende Vorgänge. Letzterer ist tatsächlich eine völlig unbewusste Art der Selbstvernichtung, wenn auch sehr komplexer Art. Aber auch der Akt der Selbstschöpfung ist psychoanalytisch gesehen kompliziert. Der französische Psychoanalytiker J. Lacan hat ihr in seinem VII. und VIII. Seminar ausführliche Kommentare gewidmet.

Für ihn ist es nämlich hauptsächlich die Sprache, die aus dem Nichts selbstschöpferisch gekommen ist.2 Denn woher sollte die Sprache sonst gekommen sein? Es geht weniger um die ersten Worte der Menschen, die Losungsworte oder Namen gewesen sein sollen, sondern um das, was Lacan und auch die Linguisten, die Signifikanten, die Bezeichner, Bestimmer nennen. Ich verstehe darunter etwas grundlegend Wort-Wirkendes, weil die Signifikanten im Symbolischen, im Wort, das Wirkende, das Reale mittragen. Sie sind das Agierende in den Wortfolgen, und Lacan weist an Hand der Psychoanalyse nach, dass sie eine Schöpfung aus dem Nichts, eine ‚creatio ex nihilo‘ darstellen, denn die Sprache wird – vom Signifikanten her gesehen – ständig ge- und erfunden, ohne sich auf Vorhergehendes zu beziehen. Sie ist reine Selbstschöpfung.

Für den Linguisten steht der Signifikant daher im Zähler des oben gezeigten Bruchstrichs. Er ist der Bestimmer, der zählt, der bedeutet. Dagegen ist das Signifikat das Bezeichnete, das ich analog zum Wort-Wirkenden das Erscheinungs-Wirkende nenne, das Imaginäre, das in seinem Anteil am Realen auch eine gewisse Wucht der Schöpfung hat, denn es schließt angefangen vom Big Bang, dem Urknall, bis zur biologischen Gestalt des Menschen alles Objekt-, Bild-, Erscheinungs-Artige ein. Auch diese Schöpfung, die Schöpfung des strukturell, bildhaft Erscheinenden, kam aus dem Nichts, und dann zu fragen, was davor war, vor dem Urknall, ist irrelevant. Ein Vor vor dem Vor ist Nonsens. Die einzige Lösung kann nur darin bestehen, dass sowohl das Wortwie auch das Erscheinungs-Wirkende als solche Schöpfungen aus dem Nichts gelten müssen.3 Eine Chance der letztlichen Klärung besteht dann speziell darin, zu vermitteln, wie die beiden miteinander zusammenhängen, wie gelungen, gut, reif, Wissenschaft und Wahrheit entsprechend kombiniert sind.

Mit diesem Zusammenhang hat man es sich bisher leicht gemacht, indem man einen Gott die Welt erschaffen ließ, der sprach, und so beispielsweise sagte: ‚Fiat Lux‘! Das ist vielleicht mystisch, mythisch, magisch korrekt, doch muss ich schon hier einen kleinen Einschub bezüglich des wissenschaftlichen Erkennens machen. Die Physiker bemühen sich mit immer größeren Teilchenbeschleunigern ihre objektive Sicht zu verbessern. Aber selbst bei den objektivsten Erkennungsweisen wird immer noch ein kleines Stückchen Subjektsein übrig bleiben, ein wort-wirkendes Ich, mit dem beispielsweise der Philosoph R. Descartes ‚dachte, dass er sei,‘ wobei er nur sein Ich verdoppelt hat. Schließlich hat er schon mit seinem Ich gedacht, dessen Sein er dadurch beweisen wollte. Und so ergeben die verschiedenen Arten des Denkens, das Subjekt und Objekt bezogene, nur ein ἓν διὰ δυοῖν, ein Hendiadyoin, ein Eins-Sein durch Zwei-Sein (Philosoph und Physiker). Die Lösung ist also nicht besser als die mit dem Gott. Nun existiert aber auch ein Unbewusstes, das alle Erkenntnis in Frage stellt, denn „dass das Denken transparent ist, ist eine Illusion“,4 egal ob es von Experimenten gestützt wird oder von der sogenannten Logik. Es kommt darauf an, was sich enthüllt, selbstschöpferisch, unbewusst.

Ich vereinfache damit Lacans meist sehr umfangreiche und ausufernde Schilderungen zu all diesen Begriffen, die ihre Wichtigkeit ja vor allem im Unbewussten haben. Der Mensch als Subjekt, als dem Unbewussten Unterstellter (lateinisch subicere heißt unterstellen), steht im Vordergrund, und diesbezüglich gibt es von Lacan zahlreiche Beispiele.5 Doch es genügt zu wissen: Die Sprache ist aus dem Nichts gekommen, der Signifikant ist eine creatio ex nihilo, ist eine Selbstschöpfung, er ist das unbewusst-eigentliche Wesen des Subjekts, das sich inmitten der anderen Selbstschöpfung, der der Objekte und Erscheinungen tummelt. Materielles, Pflanzen, Tiere: alle bestehen sie aus etwas grundlegend gleichwertig Materiell-Strukturell-Erscheinendem wie etwa den Elementen bis hin zu den Geweben und Organen. Das heißt, in allen wirkt das elementar erscheinungs-wirkende Selbstschöpferische noch nach, verkompliziert, verhärtet, verknotet, vervielfacht sich, so auch in den Genen, den Neuronen und anderen wichtigen Zentren beim Menschen. Ich fasse das – wie angedeutet – im Begriff des Erscheinungs-Wirkenden zusammen, in dem einen der beiden Selbstschöpfungen, dessen anderer Begriff – nochmals gesagt – der der sprachlichen Signifikanten, der des Wort-Wirkenden ist.

Ich denke mit dem Untertitel ‚Eine Verbindung von Meditation und Psychoanalyse‘ schon angezeigt zu haben, dass es um ein konkretes Verfahren gehen soll, das eine Wissenschaft ist und nicht ein Herumspekulieren, auch wenn es mit der Rede von der Selbstschöpfung vorerst so klingt. Es geht um eine Wissenschaft vom Subjekt, die den herkömmlichen Versuchen sogenannter objektiver Wissenschaften gegenüber steht, auch wenn das Erscheinungs-Wirkend ins wort-wirkende Subjekt hineinagiert und umgekehrt. Die Psychoanalyse, auf die ich mich zu einem großen Teil stütze, wird als Konjekturalwissenschaft bezeichnet.6 Sie ist Wissenschaft und therapeutisches Werkzeug, und das will ich im Sinne einer Erarbeitung, Erfahrung mittels Selbst (Subjekt) und Schöpfung (Meditation) in neuer Form eines zu übenden Verfahrens, das ich Analytische Psychokatharsis nenne, darstellen. In ihr wird Erscheinungs- und Wort-Wirkendes vereint, was in diesem Sinne nirgendwo sonst – insbesondere nicht als praktische Methode – beschrieben worden ist.

Freud hat gezeigt, dass die Menschen zu viel auf die äußeren Objekte starren, zu viel Aufmerksamkeit auf Ökonomie, Gesellschaft, Politik und die Medien richten, und sich nicht um die im Innern unbewusst waltenden Triebe, ums seelisch Intentionale, ums menschliche, subjektbezogene Begehren kümmern. Das unbewusste Streben, Begehren, steht im Zentrum der Psychoanalyse, die den Weg über das Naturwissenschaftliche und Philosophische hinaus in Richtung der Wahrheit des Seins vom Subjekt her zu begründen, geebnet hat. Ein Weg, der sich nicht auf irgendeine äußerliche Objektivität oder pure Subjektivität reduzieren lässt: „Es handelt sich um die Realisierung der Wahrheit des Subjekts als einer eigenen Dimension, die in ihrer Ursprünglichkeit noch vom Begriff der Realität abgelöst werden muss.“7

Das war eine freche Provokation Lacans gegenüber den herkömmlichen Denkern, die sich doch ständig bemühten, wie man die Realität gedanklich perfekt erfassen könnte, aber auch gegenüber den Naturalisten, die sich darum bemühten, dass in der Realität des Erscheinenden alles begründet und richtig gedacht ist. Doch das Begehren ist weder das Bedürfnis, noch etwas Hormonelles, noch ein Wahn, noch Energie. Das Begehren nach dem Assimilieren beispielsweise, nach dem Etwas-in-sich-Hineinziehen, muss sich beim Menschen zuerst in den Anspruch kleiden, der anfangs beim Kind gegenüber der Mutter ganz unspezifisch bleibt: „Ich will was“, sagt es, es ist gedrängt zu wollen, es begehrt, doch sich so zu äußern, hat das Begehren schon verschoben in die ihm eigene Dimension, die der Anspruch, die Sprache, einem als Ersatz aufzwingt. Da sind wieder die beiden Selbstschöpferischen Vorgänge im Verbund, aber sie sind nicht vollkommen und praxisbezogen vereint,

Das Begehren, die Lüste, bzw. deren Prinzipielles (auch Lustprinzip genannt) galten für Freud als das Primäre, und noch vor zwei-, dreitausend Jahren ist man damit besser umgegangen als heute. Lacan schreibt in diesem – und vorhin erwähnten – Sinne, dass „die Alten den Trieb, das Begehren, betont hätten, während wir heute dessen Objekt betonen. Die Alten umgaben den Trieb mit Festen und waren auch bereit, im Mittel des Triebes einem Objekt von minderem und allgemeinen Wert Ehre zu erweisen, während wir den Wert der Manifestierung des Triebes geringer schätzen und eine Stützung des Objekts durch dessen Vorzüge fordern.“8

Die Objekte des Konsums, die Objekte der Sexualität, die Objekte der Künstlichkeit (Technik, Elektronik), die Objekte der Ideologien und unendlich anderer mehr verwandeln das Subjekt, das Selbst, das Ich und das Begehren in leere Formeln, während die sogenannten Alten, die Griechen von mehr als zweitausend Jahren, in den Lüsten ihrer daktylischen Hexametern (Ilias, Odyssee), im sokratischen, ‚philosophisch manischen Eros‘ und im Eidos, dem visionären Ideen Platons und in den Begriffen des Aristoteles, schwelgten. Sie feierten ihre Thesmophorien, Aphrodisia und Dionysien und zig andere mehr, die den lustvollen Umgang mit mythischen Göttergestalten, magischen Frauen oder anderen kultischen Strukturen zeigten. Sie ließen Raum für grenzenlose Subjektivität, wohingegen der ebenso grenzenlos zivilisierte Mensch heutzutage in sein Smartphone stiert, wie gejagt auf seinem Fahrrad durch die Großstädte düst, und sich abends eine Netflix-Serie nach der anderen reinziehen muss, wie man modernerweise sagt.

Er kennt das wahre Genießen nicht mehr, das eben – meiner Auffassung und späteren Begründung nach – mit dem unbewussten Begehren und dem Selbstschöpferischen wesentlich zu tun hat. Es betrifft nicht die Realität, sondern eben das Reale, das verborgen, noch unerforscht oder vielleicht sogar nie ganz erfahrbar Reales ist. Lacan bezeichnet es als das ‚Unmögliche‘, das selbst im erfolgreichsten Vorwärts immer scheitert, ja offensichtlich gerade immer in diesem, denn wichtiger als jeder Erfolg wäre der Fortschritt. Seit den Neandertalern haben die Menschen sich erfolgreich technisch, zivilisatorisch, ‚sprachpragmatisch‘ wie der Philosoph J. Habermas sagt, entwickelt, aber keinerlei Fortschritt in eben diesem Realen des Menschlichen gemacht (das Selbstschöpferische steht noch so da wie damals).

Das Begehren, diese psychoanalytische Spezialität, wurde anfangs verstanden als das Begehren einer Vater-Alphamann-Figur, die mit dem Gesetz, dem Regulatorischen, dem Gebot identisch war. Das „Es werde Licht“ aus dem Alten Testament zum Beispiel war das Begehren zu Sehen, der Schautrieb wie Freud ihn nannte.9 Diesem Begehren der väterlich-göttlichen Alphafigur im Alten Testament gegenüber waren alle anderen zurückgesetzt, kastriert wie man psychoanalytisch sagt. Und dies ist in gewisser Weise auch heute noch so, indem das Wesen des Vaters zwar nicht mehr eine omnipotente Figur ist, sondern eher ein Prinzip, die paternale Mächtigkeit (nicht Macht), das Institutionelle, die reine Kraft des Wort-Wirkenden, der Name, der Vater-Name als solcher, wie Lacan monierte.

Umgekehrt gesagt: Allein die Tatsache, dass die Menschen sprechen, unterstellt sie dem Kastrationskomplex, dem Mangelkomplex, hinter dem diese Mächtigkeit, dieser Name lauert, gerade wenn man ihn nicht ausspricht.10 Das Gleich gilt für den Gegensatz von An- und Abwesenheit. Wenn niemand da ist, kann man alles tun, aber für das, was man dann tun würde, braucht es meistens wieder andere. Diesen inneren Konflikt zeigt auch der Ausspruch Dmitri Karamasows (in Dostojewskis Roman ‚Die Brüder Karamasow‘): „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt“. Das Gegenteil ist Fall, denn dann würden – so Lacan – die (neurotischen) Menschen sich selbst alles verbieten, denn ohne das Gesetz, ohne den Mangel, ohne den Kastrationskomplex können sie nicht leben. Wenn nämlich nichts mangelt, alles perfekt schon da, voll, fertig ist, was soll dann noch geschehen, wer soll man dann noch sein? Und wenn es den Kastrationskomplex nicht gäbe, keiner würde die Anstrengung auf sich nehmen, ständig von allen Lüsten Gebrauch zu machen. Allein dies erhellt auch, dass das Erscheinungs- und Wort-Wirkende anfänglich schlecht, unreif, mangelhaft kombiniert ist und verbessert werden muss, denn es macht das Begehren regulatorisch nicht klar.

Nochmals: die Selbstschöpfung kommt in Form der Sprache, der symbolischen Ordnung (das Wort-Wirkende), in die menschliche Welt, in der die Objekte und deren imaginäre Ordnung (das Erscheinungs-Wirkende) ebenso selbstgeschöpft schon da sind. Es handelt sich beim Symbolischen nicht um die Aneinanderreihung von Vokabeln, um monotonen Tratsch, sondern um die Überlappung von Signifikanten, sprachlichen Wesenheiten, die in ihrem Zusammenspiel ein Subjekt repräsentieren, an einzelne Figuren Namen verteilen und mit Bedeutungen spielen wie an den obigen Beispiel-Objekten erwähnt. Man könnte auch vom Gewürzmischung in der Suppe sprechen: die noch fast geschmacklose Flüssigkeit ist Physisches, Erscheinungs-Wirkendes, während die Signifikanten die dazugegebene, wort-wirkende Mischung (natürlich nach Ottolenghi) darstellen, der Suppe also ihre Bedeutung gibt.

Beide gehören zusammen, doch so, reif und gelungen vereint, sind sie noch nie gesehen (bzw. im obigen Beispiel geschmeckt) worden, auch wenn man sich darum bemüht hat. Ich will noch zeigen, dass es außer der Kulinarik auch einen Zusammenschluss zu einer Einheit gibt, die – wenn ich die Metapher weiter treiben darf – im Genießen der Suppe des Realen besteht.11 Vorerst aber – gehe ich wieder vom Anfang des menschlichen Lebens aus – bleibt dem kleinen Kind nichts anderes übrig, als sich – etwa hinsichtlich der Assimilierung – im Unbewussten ein Phantasma, eine unbewusst erstellte Phantasie zuzulegen, die diese Abhängigkeit von der Mutter ein Leben lang zementieren kann, auch wenn der zum Erwachsenen Gewordene dies bewusst nicht immer merkt. Es kann sich vielleicht in Symptomen zeigen, die zum Ausgangspunkt einer psychoanalytischen Behandlung werden können oder auch nur unerklärlichen Hemmungen bleiben, die das wahre Genießen verhindern.

Lacan beschreibt, dass das Genießen, die ‚Jouissance‘, und das sogenannte Reale sich gegenseitig bedingen. Mit dem Realen ist also nicht die Wirklichkeit, die äußerliche Realität gemeint, sondern das ‚Wirkende‘ als solches, das Substanzielle, Körperhafte, das ich schon auf den Wort- und Erscheinungs-Bezug als den zwei Grundkräften verteilt habe. Man kann es auch so sagen, „dass die eigentliche Definition eines Körpers darin besteht, dass er eine ‚substance jouissante‘ ist, ein genießendes Substanzielles, ein Körperselbstgenießen.12 Wieso hat das noch nie jemand behauptet? Dies ist das Einzige, abgesehen vom Mythos, das wirklich erfahrbar ist. Ein Körper genießt sich selbst, er genießt es gut oder schlecht . . .,“ sagt Lacan in dem gerade zitierten Seminar und ergänzt, dass das ganze Köperselbstgenießen nur funktioniert, wenn es in den Rahmen gestellt ist, in dem neben dem Realen auch das Imaginäre und Symbolische wirksam ist, weil nur so das menschliche Subjekt, das dem Unbewussten unterstellte Subjekt, erfassbar wird.

Das Reale, Imaginäre (unbewusst Erscheinungs-Wirkende) und das Symbolische (unbewusst Wort-Wirkende) stellen, wie schon in der Fußnote 11 erwähnt, für Lacan die grundlegende Dreiheit alles Existenziellen dar (siehe auch Abb. von Lacans Borromäischen-Knoten (abgekürzt Bo-Knoten) nebenan, zu dem ich später noch Kommentare abgeben will). Demnach gibt es, was nunmehr das Genießen angeht, außer dem Realen des Genießens auch das dem Symbolischen zugeordnete Genießen in Form der Sprech-, Invokations-Lust, und das dem Imaginären zugeordnete Genießen in Form der Schau-, Wahrnehmungs-Lust. Ich lege den Schwerpunkt zuerst auf Letzteres, weil damit eine weiterführende Ergänzung der Psychoanalyse möglich ist. Denn die herkömmliche Psychoanalyse betont stark das Symbolische, das Wort-Wirkende, die Signifikanten. Dadurch gerät sie häufig in eine Sackgasse, wenn nämlich Psychisches nicht mehr in Worte zu fassen ist. Es ist dann aber bereits bildlich, im unbewusst Ein- und Vorgebildeten des Erscheinungs-Wirkenden schon da.13

Außer den beiden Grundintentionen habe ich jetzt auch das Subjekt und das Genießen vorgestellt, auch eine Dreiheit, indem man noch ein verbindendes Element dazu geben muss. Klingt das alles zu umständlich, zu kompliziert? Ich versuche es einfacher zu sagen. Lacan geht wie gesagt von einem grundsätzlichen Mangel aus, von einer Minus Eins. Das beginnt auch schon damit, dass der Mensch viel zu früh geboren wird (Neotenie), und dass er deswegen jahrelang eine Bezugsperson braucht, die aber nicht vollkommen ist. Und somit hängt man geradezu am Mangel und wird versucht, diesen Mangel mit den genannten Objekten oder dem Begehren zu bewältigen. Nun geht Lacan geht einen Schritt weiter und sagt, dass wegen des Vorhandenseins des Erscheinungs-Wort-Wirkenden der Mangel eigentlich ein Nein ist, eine Untersagung (sie steckt genauso in dem oben erwähnten Vater-Begehren =_Gesetz). Wenn dieses Nein allerdings fehlt, es selbst daran mangelt, tritt der Grundaffekt der menschlichen Seele zu Tage: die Angst.14 Nichts ist schlimmer als eine Welt ohne Nein.

Nun liegt in der gelungenen, konkreten, wahrhaften Kombination beider das Wesentliche der beiden Selbst-Schöpferischen Ebenen und auch der Aussage dieses Buches. Mit der allein wort-wirkenden Selbst-Schöpfung, wie sie den Signifikanten zufolge im Unbewussten stattfindet, kommt man allerdings allein nicht ganz zum Ziel (vor allem, wenn das Nein überhand wird), genauso wenig wie mit den Beschwörungen des Erscheinungs-Wirkenden im Rahmen der Physik durch ausufernde, moderne Theorien oder in den Geisteswissenschaften durch zu viel Spekulatives. Trotzdem lässt sich mit den beiden Grundintentionen natürlich gut etwas schreiben – und vor allem: selbstschöpferisch praktizieren.

Der Philosoph I. Kant hat es schon versucht, als er sich in lateinischer Sprache so ausdrückte: „Aktiv fängt die Ursache an (infit) „weil passives Anfangen als Kausalität Ursache wird (fit)“.15 Basta, fertig, selbstgeschöpft, aber ganz logisch ist das nicht. Was soll ein passives Anfangen sein? Es passiert nichts, und obwohl nichts passiert, wird die Ursache aktiv? Anscheinend hat Kant doch im Wort Ur-Sache schon die Sache präferiert (sie sozusagen ‘ge-urt’, verurtümlicht), anstatt im Wort Anfang den Fang zu präsentieren, den er für sich somit gemacht hat. Kurz: er ist in einer Art Spiegelbeziehung, in einer Symmetrielust, in einem ‚fit’/‚fit‘ festgefahren. Er hätte zum Wort-Wirkenden eine wissenschaftliche Kombination mit dem Erscheinungs-Wirkenden gebraucht.

Psychoanalytisch gesehen geht es – wie deren Theoretiker sagen würden – in Kants ‚fit‘/‚fit‘ (wie im vor Vor), um einen Wiederholungszwang, eine Verdopplungssucht. Die Sache ist trotzdem irgendwie originell, und ich werde darauf zurückkommen. Kant sagt es nicht ganz falsch, er weiß alles ganz genau – und dies gilt durchaus auch für heute noch – aber er sagt es nicht gut genug! ‚Fit‘/‚fit‘, er stottert, er rhythmisiert. Er genießt seine sprachliche Argumentation, die Symmetrie der Buchstaben, und erklärt nichts so, dass wir es gut und unmittelbar erfahren können. Er gibt sich eben der Sprechlust hin, wobei alles richtig gewusst ist, aber nicht gelungen kommuniziert, nicht einfühlend gut gesagt! (Es war auch schon zu Kants Zeiten so, dass die Leser über seinen Werken stöhnten). Er hat eben den Sound des Wort-Wirkenden zu sehr betont, es aber nur in wissenschaftlich fundierten Kombination mit der Spiegelung des Erscheinungs-Wirkenden gelungen hätte ausdrücken können.

Computerwissenschaftler und KI-Spezialisten können das Wesen dieser beiden Grundkräfte, des Wort-Wirkenden (Signifikanten) und Erscheinungs-Wirkenden (Imaginären, Ikonischen) viel einfacher erklären, auch wenn esmit der Kombination der beiden nicht besser klappt. Sie sagen, man müsste nur sprachverarbeitende (Wort-Wirkendes) und bildverstehende (Erscheinungs-Wirkendes) Algorithmen in den Computer eingeben und das Programm starten!16 Der Autor meint: „Menschen sind Maschinen im Sinne der Turing Maschine, die man als Komponenten eines umfassenderen Systems aus solchen Maschinen aufzufassen hat.“ Na ja, das Ganze dieser zwei Wirkkräfte soll ja im Subjekt, im Seelischen, Psychischen stattfinden, und nicht nur in der Maschine, und so klingen diese Bemerkungen wie auch die diesbezüglichen in den neueren Büchern von Y. N. Harari (z. B. Homo Deus), in denen es um Ähnliches geht, absurd.

Der Philosoph Harari behauptet die universale Wirkung von Algorithmen, Elementen mathematischer Logik, indem er mit deren Hilfe erklärt, wie der Mensch in naher Zukunft eine Gott-Maschine sein wird. Lassen wir diese Blödeleien beiseite. Ich gehe davon aus, dass diese zwei Grund-Gegebenheiten (Erscheinungs- und Wort-Wirkendes) den Anfang und das Wesen eines jeden Diskurses (jeder symbolischen Vermittlungsart) ausmachen, und es wird darauf ankommen, sie in eine bessere, reife, gelungenere Kombination zu bringen, wobei ich beide wie angekündigt im Verfahren der Analytischen Psychokatharsis eng verbinden möchte, da sie hier praktische Relevanz bekommen.17

Ich gehe nochmals zurück zum Anfang und liste in einem Schema all die gebrauchten Begriffe in der Weise auf, wie sie zueinander korrelieren. Eine Einheit finden

all diese Begriffe rein pychoanalytisch nicht, was ja auch nicht notwendig ist, sie dienen ja nur der Theorie. Aber was ist mit der Praxis? Da hapert es in der herkömmlichen Psychoanalyse manchmal. Während nämlich das ins Unbewusste Verdrängte üblicherweise über alle möglichen Assoziationen, die der Patient äußert, und die das Verdrängte also als psychisches ‚Objekt‘ repräsentieren, fassbar ist, gibt es anderes, das nicht verdrängt sondern im Psychischen regelrecht abgespalten, dissoziiert ist. Es ist dann nicht mehr als psychisches ‚Objekt‘ (orales, anales ‚Objekt‘, etc.) im Unbewussten repräsentiert, so dass man die diesbezüglichen Zusammenhänge nicht auf die herkömmliche Weise deuten kann. Herkömmlich heißt, dass der Patient auf den Therapeuten Bedeutungen überträgt, die mit ihm direkt gar nichts zu tun haben, also eigentlich inadäquat sind, die der Therapeut aber dennoch in Bezug zu sich sehen und – sozusagen herumgedreht – interpretieren und deuten kann.

Während im Herkömmlichen die Beziehung Psychoanalytiker / Patient (Analysand) im Vordergrund stehen, und hier auch das Wort-Wirkende betont wird, muss man im Fall des Vorliegens einer Dissoziation von einer Spiegelbeziehung, von dem Erscheinungs-Wirkenden als primär Agierendem ausgehen. Etliche Autoren sprechen diesbezüglich dann doch auch von einem besonders früh entstandenen psychischen ‚Objekt‘, dem ‚concrete original object‘ (COO),18 das sich direkt zwischen dem sich entwickelnden Ich und dem Körper dadurch erfassen lassen, dass der Patient speziell körperliche Symptome äußert, die der Therapeut bei sich nachvollziehen oder durch Befragung, wie der Patient im Einzelnen mit seinem Körper umgeht, interpretieren kann.19 Von den meisten Psychoanalytikern wird diese Auffassung als nicht plausibel genug kritisiert, weil sie wieder zu sehr das Erscheinungs-Wirkende betont, wie es eben schon Freuds Begriff vom ‚primären Narzissmus‘ getan hat.

Umgekehrt wird dann vom ‚sekundären Narzissmus‘ geredet, wenn äußere Objekte (Aspekte der Mutter oder anderes) libidinös, seelisch, besetzt und dann, auf Grund eines Traumas z. B., des Ich wieder rückbesetzt wird. Und so – im Konflikt zwischen primären und sekundärem Narzissmus – wurde bereits in früheren Heft der PSYCHE ausgiebig darüber diskutiert, wie man auch in der herkömmlichen psychoanalytischen Therapie über diese Grenze, die mit der mangelnden ‚Erinnerungsspur‘ der nicht fassbaren psychischen Repräsentation zu tun hat, trotz Betonung des Wort-Wirkenden doch hinauskommen kann.20 In diesem Artikel der PSYCHE schreiben die Autoren, wie sie diese nicht deutbaren Aspekte doch anderweitig einer Deutung zugänglich machen wollen und erwähnen z. B. den Psychoanalytiker A. Ferro, der beschreibt, wie er mit seinem Patienten ‚gemeinsam träumt‘, d. h. beide phantasieren und erzählen sich alles Mögliche und versuchen dann therapeutische Schlüsse daraus zu ziehen.21 Auch versuchen die genannten Autoren ‚semiotische Ummantelungen‘, Prosodien und anders Effekte des Sprechens des Patienten zur Deutung heran zu ziehen, kurios, aber nicht unbekannt.

Ich denke, schon jeder Laie kann erkennen, dass gemeinsames Träumen (so faszinierend das klingt) und die Prosodie (Stimmklang) nur ungenaues Material zur Deutung bereitstellen. Ich kann auf die Fülle von fachlichen Veröffentlichungen zu diesem Thema hier nicht eingehen. Natürlich reagiert man als Therapeut darauf, wenn der Patient zu lange schweigt, gar erregt und emotional übersteigert etwas sagt oder plötzlich hustet. Aber eine gelungene Deutung kann man dazu nicht geben und somit nur fragen, was dem Patienten dazu einfällt oder was er gerade denkt. Damit kommt man meist aber nicht sehr weit, denn der Patient kann wohl kaum verstehen, dass sein Husten, den er als Bronchialreiz empfindet, psychologische Bedeutung haben soll. Wenn er Einfälle dazu hat, deren Deutung zu neuen Einfällen führt, kann man evtl. nach weitschweifigen Umwegen eine Interpretation geben.

Vielleicht gelingt auch eine direkte, gesättigte Übertragungsdeutung, etwa in der Art: „Husten Sie mir jetzt etwas“? Doch das wäre zu provokant. Kurz: es existiert in der herkömmlichen, klassischen Psychoanalyse ein komplexes Sprachspiel, ein Unterstellungs- / Übertragungs-Arrangement, ein vielschichtiger Kampf um die Wahrheit des Wort-Wirkenden, der langdauernd und umständlich ist. Die Autoren des letztgenannten PSYCHE-Artikels fügen dem schließlich noch weitere Umständlichkeiten hinzu, die für den therapeutischen Vorgang nicht viel bringen. Das von Freud angegebene Zuhören des Therapeuten mit fast meditativer ‚gleichschwebender Aufmerksamkeit‘, schließt ohnehin ‚semiotische Ummantelungen‘, Veränderungen des Stimmklangs und anderes mit ein. Das ist nichts Neues, und so muss man auch die herkömmlichen, klassisch agierenden Psychoanalytiker bezüglich der Verarbeitung des Nicht-Repräsentierbaren als äußerst kritisch betrachten, weil dort aber zu sehr das Wort-Wirkende betont wird und man aus dieser Einseitigkeit nicht mehr herauskommt.

Die ist auch einer der hauptsächlichen Gründe, warum ich die Psychoanalyse mit der Meditation verbunden habe, wobei in der letzteren eben mehr das Erscheinungs-Wirkende zum Zug kommt, womit wesentlich mehr – und zwar auch Nicht-Repräsentiertes – erreicht werden und meditativ ‚gesehen‘ werden kann. Aber ich vergesse das Wort-Wirkende nicht, da ich mich auf Lacan stütze, der es zur Haupt-Devise seiner Aussagen macht, indem er sich auf die Linguistik bezieht. Er verwendet allerdings einen Trick, indem er den eingangs gezeigten Bruchstrich so schreibt, dass auch im Nenner ein Signifikant steht. Den im Zähler nennt er den Wort-Wirkenden Signifikanten 1, den Herren-Signifikanten, den im Nenner stehenden nennt er den bild-erscheinungswirkenden Signifikanten 2.22 Damit sind die beiden Grundintentionen wieder vereint, allerdings nur mathematisch. Das wird in der Analytischen Psychokatharsis anders, nämlich Praxis bezogen und damit vollständiger erreicht.

In der ersten – und zwar mehr meditativen – Übung des Verfahrens der Analytischen Psychokatharsis wird – anfänglich bei geschlossenen Augen – auf des Innere geachtet. Wie beim Einschlafen ergibt man sich einfach