Eine Sommerliebe in Italien - Alexa Hirth - E-Book

Eine Sommerliebe in Italien E-Book

Alexa Hirth

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Beschreibung

Kann sie unter der goldenen Sonne Italiens einen Neuanfang wagen? Umgeben vom Duft der Pinienwälder und Zypressen … So hat sich die junge Irin Valerie ihre Traumhochzeit ausgemalt. Doch nun steht sie verlassen und nur mit dem Brautkleid am Körper mitten in den italienischen Weinbergen – ihr Verlobter und ihr Job in seinem Familienunternehmen haben sich durch einen Skandal soeben in Luft aufgelöst. Prompt stolpert Valerie einem gutaussehenden, allerdings wenig charmanten Fremden vor die Füße, der sie als Eindringling auf seinem Privatbesitz sieht. Widerwillig nimmt Lucio Ferragioli sie jedoch mit auf sein Landschloss. Aber Valerie ist sicher, dass Lucio nicht bloß irgendein Winzer ist. Und tatsächlich sorgt Lucios Geheimnis schon bald für noch mehr Trubel in Valeries Leben – und für jede Menge Gefühlschaos ... Der perfekte Sommerroman mit dem sonnendurchwebten Zauber Italiens und einer stürmischen Liebesgeschichte, die Fans von Margot S. Baumann und Karen Swan begeistern wird!

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Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Umgeben vom Duft der Pinienwälder und Zypressen … So hat sich die junge Irin Valerie ihre Traumhochzeit ausgemalt. Doch nun steht sie verlassen und nur mit dem Brautkleid am Körper mitten in den italienischen Weinbergen – ihr Verlobter und ihr Job in seinem Familienunternehmen haben sich durch einen Skandal soeben in Luft aufgelöst. Prompt stolpert Valerie einem gutaussehenden, allerdings wenig charmanten Fremden vor die Füße, der sie als Eindringling auf seinem Privatbesitz sieht. Widerwillig nimmt Lucio Ferragioli sie jedoch mit auf sein Landschloss. Aber Valerie ist sicher, dass Lucio nicht bloß irgendein Winzer ist. Und tatsächlich sorgt Lucios Geheimnis schon bald für noch mehr Trubel in Valeries Leben – und für jede Menge Gefühlschaos ...

Über die Autorin:

Alexa Hirth ist das Pseudonym der Autorin Beate Schaefer, die seit 1996 Kurzgeschichten, historische Romane und Theaterstücke veröffentlicht. Als Alexa Hirth schreibt sie seit einigen Jahren auch Liebesromane und romantische Komödien. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Lübeck.

Bei dotbooks veröffentlichte sie unter Beate Schaefer auch die historischen Romane »Die Tochter der Ewigen Stadt« und »Die Geliebte des Bischofs«.

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Originalausgabe Mai 2025

Copyright © der Originalausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Alfons Winkelmann

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-895-6

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Alexa Hirth

Eine Sommerliebe in Italien

Roman

dotbooks.

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Zweiter Teil

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Lesetipps

Erster Teil

Kapitel 1

Hatte er gerade richtig gesehen?

Lucio Ferragioli verlangsamte sein Fahrtempo und schaute in den Rückspiegel. Da stand tatsächlich eine Frau im weißen Brautkleid am Straßenrand und winkte hektisch. Lucio trat auf die Bremse. Der alte blaue Ford Transit, mit dem er Wein ausgeliefert hatte, kam abrupt zum Stehen.

Lucio beugte sich aus dem Wagenfenster und beobachtete, wie die Frau den ausladenden Stoff ihres Kleides raffte und auf ihn zurannte. Sie war barfuß. Im Rennen löste sich ihr Schleier, doch sie kümmerte sich nicht darum und ließ ihn einfach auf der schmalen Landstraße liegen.

Noch im Laufen rief sie ihm vorwurfsvoll zu: »Haben Sie mich denn nicht gesehen? Warum haben Sie nicht sofort angehalten?«

Wenn er ehrlich sein wollte, hätte er sagen müssen, dass er sie vermutlich gesehen, aber nicht wahrgenommen hatte. Zu sehr war er mit seinem Problem beschäftigt gewesen. Dieses Problem hieß Francesca Ferragioli und war seine Mutter. Ihr Konto war wieder einmal massiv überzogen und er brauchte dringend einen Plan, wie er sie davon überzeugen konnte, ihre Spielsucht therapieren zu lassen.

Die Braut – falls es sich tatsächlich um eine solche handelte – hatte seinen Wagen nun erreicht und blieb keuchend stehen. »Wieso haben Sie nicht angehalten?«, wiederholte sie.

»Was machen Sie hier in diesem Aufzug?«, fragte er und ignorierte ihren Vorwurf. »Ist das ein Drehort? Spielen Sie in einem Film mit? Reality TV?«

»Wie bitte?« Ihr Atem beruhigte sich langsam. »Sehen Sie hier irgendwo eine Kamera? Ein Filmteam?«

»Die verstecken sich gerne hinter Büschen«, gab er schroff zurück. Sie befanden sich auf dem Grund und Boden seines Familiensitzes, der Villa Tre Torri, und es kam oft genug vor, dass Leute auch ohne Genehmigung Videos vor dem Hintergrund des pittoresken Anwesens drehten, das außerdem einem Star der Radsportszene gehörte. Immerhin sprach die Signorina ein vorzügliches Italienisch, auch wenn ihr Akzent verriet, dass sie vermutlich aus dem angelsächsischen Sprachraum stammte. Außerdem war sie unglaublich schön mit ihrem schmalen Gesicht, den riesigen dunkelblauen Augen und dem rotblonden Haar, von dem sich einige Strähnen aus der strengen Brautfrisur gelöst hatten.

»Ich wollte zurück zum Hotel, aber ich habe mich offenbar verlaufen«, erwiderte sie. »Die Straßen hier sehen alle gleich aus.«

»Welches Hotel?«, wollte er wissen.

»Die Albergo del Lago in Castel Gandolfo.«

Lucio kannte das Luxushotel am See gut. Anscheinend hatte die Hochzeit in der kleinen Kirche S. Pellegrino stattfinden sollen, die bei Brautpaaren sehr beliebt war. Sie lag etwas außerhalb von Castel Gandolfo, ganz romantisch im Wald, in der Nähe der Villa Tre Torri.

»Bitte helfen Sie mir. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich befinde.«

Er zögerte. Es war nicht das erste Mal, dass eine junge Frau ihm eine scheinbar ausweglose Situation vorspielte, um ihn dazu zu bringen, sie zu retten. Das letzte Mal war es eine hellblonde Deutsche gewesen, die so tat, als sei sie gestürzt und habe sich den Fuß gebrochen. Es schmeichelte ihm nicht, dass die Presse ihn, den Ex-Radprofi Lucio Ferragioli, als einen der begehrtesten Junggesellen Italiens bezeichnete. Auch wenn er selbst alles vermied, was ihn in die Klatschspalten oder in die sozialen Medien bringen konnte, hatte er es seiner exzentrischen Mutter zu verdanken, dass er dort öfter auftauchte als ihm lieb war. Eigentlich erwartete er jeden Moment, dass diese Rothaarige ihr Smartphone zückte und mit ihm ein Selfie machen wollte. »Ich weiß weder, wer Sie sind, noch, was Sie hier tun.«

»Nun, offensichtlich wollte ich heiraten!«, rief sie aufgebracht.

»Das kann auch nur eine Behauptung sein.«

Sie machte noch einen Schritt auf ihn zu. »Au!«

»Was ist?«

Sie raffte ihr Kleid und musterte ihren nackten Fuß.

Lucio folgte ihrem Blick. Es war ein schmaler Fuß mit perlmuttfarben lackierten Zehennägeln. »Sie bluten ja!«

»Ich muss in eine Scherbe getreten sein. Oder auf einen spitzen Stein. Auch das noch. Mist.«

Irgendetwas an dieser Frau verriet ihm, dass sie nicht log. Es war nur ein Gefühl, aber dieses Gefühl war stark, auch wenn das, was sie ihm bisher erzählt hatte, nur wirres Zeug war. Aber vielleicht war gerade das wirre Zeug der Beweis dafür, dass sie aufrichtig war? Eine innere Stimme warnte ihn. Es konnte sein, dass er dabei war, einen riesigen Fehler zu begehen. Doch sie hatte sich verletzt und er durfte sie nicht einfach stehenlassen. Einen Moment zögerte er, doch dann siegte der Kavalier in ihm. »Steigen Sie ein!«, forderte er sie auf. »Ich nehme Sie mit in die Villa, verarzte Ihren Fuß und dann sehen wir weiter.«

»Oh«, sagte sie und wirkte überrascht. »Danke. Das ... das ist sehr freundlich von Ihnen.«

Sie humpelte auf die andere Wagenseite, riss die Beifahrertür auf, schwang sich auf den Sitz, knüllte den Stoff ihres Kleides zusammen und schlug die Tür zu.

Lucio gab Gas und der Transit rumpelte über die schmale Straße.

»Ich heiße übrigens Valerie«, sagte die Frau. »Valerie Connaught.«

»Lucio. Lucio Ferragioli.« Aus dem Augenwinkel schaute er, ob sein Name irgendeine Reaktion bei ihr auslöste, die verriet, dass sie genau wusste, wer er war.

Doch Valerie presste nur den Saum ihres Brautkleides auf den blutenden Fuß. »Autsch. So was Blödes.« Dann schwieg sie.

Lucio war es recht. Für Fragen war später noch Zeit. Nach einigen Kurven hatten sie die Zufahrt zur Villa Tre Torri erreicht, die tatsächlich drei markante quadratische Türme mit rotem Ziegeldach besaß. Das Landschlösschen lag auf einem Hügel, umgeben von gepflegten Weinbergen. Unterhalb befanden sich die Wirtschaftsgebäude des Weinguts Tre Torri und in der Ferne ragte düster der Gipfel des Monte Cavo auf.

Er stoppte den Wagen direkt vor dem Portal, ließ den Motor laufen, stieg aus, kam auf Valeries Seite und öffnete die Wagentür. Ehe sie protestieren konnte, hatte er sie hochgehoben und trug sie zum Eingang. Sie fühlte sich irritierend gut an in seinen Armen, leicht und geschmeidig. Und sie duftete lecker. Irgendwie zitronig, aber mit einer herben Note. Das Parfüm passte zu ihr. An dieser Frau war nichts Süßliches. »Klopfen Sie bitte«, forderte er sie auf. »Ich habe keine Hand frei.«

Valerie betätigte den schweren bronzenen Türklopfer mit dem Löwenkopf. Kurz darauf wurde die Tür von einer schwarz gekleideten älteren Frau mit Schürze geöffnet. Sie zog die Augenbrauen hoch, doch gleich darauf war ihre Miene wieder völlig neutral. »Signor Ferragioli, was ist passiert?«

»Die Signorina hat sich am Fuß verletzt. Ich brauche Desinfektionsspray und Verbandszeug. In der Bibliothek bitte, Marta«, sagte Lucio und ging an ihr vorbei. Er trug Valerie quer durch die imposante Halle mit dem Marmorfußboden und der breiten Doppeltreppe, hinüber zu einer Flügeltür, die nun von Marta, die vorausgeeilt war, geöffnet wurde.

In der Bibliothek mit den deckenhohen Regalen, voll mit Büchern, gab es ein großes, grünes Samtsofa und zwei bequeme Sessel. Lucio setzte Valerie behutsam auf dem Sofa ab.

»Warten Sie hier! »Ich bringe das Auto weg und bin gleich wieder da.«

Marta reichte ihr mehrere Papiertaschentücher, damit Valerie sie auf die blutende Wunde pressen konnte. »Möchte die Signorina etwas trinken?«, fragte sie Lucio, ehe dieser den Raum verließ.

In der Tür wandte er sich um. »Möchten Sie etwas trinken, Valerie?«

»Ein Schnaps wäre nicht schlecht«, antwortete sie mit einem schwachen Grinsen. »Aber im Ernst, Wasser tut es auch.«

»Espresso. Wasser. Grappa«, ordnete Lucio an und ging nach draußen.

Marta nickte, lächelte Valerie kurz zu und eilte ihm hinterher.

Als sie allein war, legte Valerie den Kopf zurück und stöhnte frustriert auf. Was für ein Chaos! Und das hatte der schönste Tag ihres Lebens werden sollen. Jedenfalls hatte Terry ihr das ständig einzureden versucht. »Honey, am schönsten Tag deines Lebens darfst du morgens nicht so viel essen, sonst spannt dein Kleid.« Dabei hatte Valerie beim Frühstück im Hotel gerade mal in ein Cornetto gebissen. Und über ihre Figur nachdenken brauchte sie nun wirklich nicht. Terrys Stimme hallte immer noch durch ihren Kopf. »Darling, wenn du meinen Sohn wirklich glücklich machen willst, dann musst du lernen, wie man ein richtiges Irish Stew zubereitet.« Danach hatte Valerie einen Blick mit Kurt gewechselt, ihrem, wie sie dachte, besten Freund. Wortlos hatten sie sich über ihre zukünftige Schwiegermutter lustig gemacht.

Und jetzt?

Kurt hatte sie verraten. Getäuscht und verraten. Sie war immer noch schockiert und ihr Herz begann zu rasen, wenn sie an den schrecklichen Moment dachte, in dem ihr klar wurde, dass all das, die Kapelle im Wald, die Hochzeit, ihre Zukunft mit Timothy, ihre Hoffnung, endlich eine Familie zu haben, auf einer großen Lüge gebaut war.

Wie hatte sie so blind sein können?

War zwischen Timothy und ihr nicht alles gewesen wie immer?

Ja, eben, das war der Punkt. Es war wie immer gewesen. Oder zumindest wie schon seit einer ganzen Weile. Vertraut, freundlich, ein bisschen langweilig. Dass sie nur noch höchst selten miteinander schliefen, war ihr zwar aufgefallen, aber las man nicht überall, dass Sex in einer langjährigen Beziehung keine große Rolle mehr spielte? Timothy und sie waren immerhin schon zehn Jahre zusammen gewesen.

Valerie dachte an den hoch aufgeschossenen blonden Studenten im ersten Semester, mit dem sie so gut reden konnte. Sie teilten das Interesse für Kunst und wenn sie sich in der National Gallery trafen, sprachen sie über Ikonografie oder über Perspektiven als symbolische Form oder über altniederländische Malerei. Auf dem Trafalgar Square hatten sie sich zum ersten Mal geküsst. Ihr fiel ein, dass er ihr in all den Jahren, in denen sie zusammen studiert hatten und zusammen verreist waren, niemals einen Grund zur Eifersucht geboten hatte. Weder flirtete er auf Partys mit anderen Frauen, noch hatte er den eindeutigen Annäherungsversuchen einer Kommilitonin, zugegeben einer äußerst attraktiven, nachgegeben. Valerie lachte trocken. Denn sie wusste jetzt den Grund.

Sie schaute sich in der Bibliothek um und entdeckte ein modernes Ölgemälde, das einen Mann und eine Frau zeigte. Beide waren äußerst modisch gekleidet, sie in einem silbergrauen, schimmernden Seidenkleid, er im Frack, und beide wirkten überaus verliebt und glücklich. Ob es sich bei dem Paar um Lucios Eltern handelte? Valerie studierte den äußerst gut getroffenen Gesichtsausdruck der Signora. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken wieder zu Timothy. Wie sie beide wohl auf ihrem Hochzeitsfoto ausgesehen hätten? Ein großes Fragezeichen bahnte sich den Weg an die Oberfläche und ihr wurde klar, dass es dieses Fragezeichen schon länger gegeben haben musste, ohne dass sie es beachtet hatte oder hatte beachten wollen. War sie tatsächlich verliebt in Timothy gewesen? Oder war sie nur froh gewesen, nicht allein zu sein?

Es fühlte sich seltsam an, plötzlich all das, was jahrelang so selbstverständlich schien, verloren zu haben. Irgendwie, als wäre ihr Schiff untergegangen und sie würde, an ein Stück Treibholz geklammert, von einer starken Strömung, der sie nichts entgegenzusetzen hatte, durch den unendlichen Ozean getrieben.

Sie hörte schnelle Schritte in der Halle. Gleich darauf kehrte Lucio zurück und riss sie aus ihren düsteren Gedanken.

Ohne Umschweife kniete er sich vor Valerie, nahm ihren Fuß in die Hand und begutachtete die Wunde. »Der Schnitt ist nicht tief. Aber wieso tragen Sie keine Schuhe?«

»Ich hatte Riemchensandaletten mit zehn Zentimeter Absätzen an. Könnten Sie in so was rennen?«

»Die Frage ist eher, weshalb Sie davongerannt sind. Und wovor«, erwiderte er.

Valerie antwortete nicht, weil Marta in diesem Moment mit einer Schüssel Wasser, Jodspray und dem Verbandszeug erschien. In den nächsten Minuten verarztete Lucio schweigend und professionell die Wunde.

»Uh«, schrie Valerie leise auf, als er den Schnitt desinfizierte.

»Gleich vorbei«, beruhigte er sie und legte den Verband an.

Die Berührung seiner Finger war Valerie angenehm. Sogar mehr als angenehm. Sie betrachtete seine schwarzen Locken und seine ernsthafte Miene, während er arbeitete. Ihr Blick blieb an seinem Mund hängen. Ein wunderbar modellierter, sensibler Mund. Er erinnerte sie an das Bildnis eines jungen Genueser Adligen von Anthonis van Dyck, das sie in Wien gesehen und nie vergessen hatte.

Marta brachte den Espresso, das Wasser sowie den Grappa für Valerie und stellte das Tablett auf den marmornen Couchtisch.

»Danke«, sagte Valerie lächelnd, gab zwei Stückchen braunen Zucker in den Espresso, rührte kurz und trank das köstliche schwarze Gebräu in kurzen Schlucken. »Oh, das tut gut«, seufzte sie und trank etwas Wasser hinterher.

»Fertig«, verkündete Lucio und richtete sich auf.

Sekundenlang trafen sich ihre Blicke. Ein elektrisierendes Gefühl. Völlig unerwartet und heftig. Rasch schaute Valerie weg und hoffte, dass sie nicht errötet war. »Danke«, sagte sie. »Vielen, vielen Dank.« Als er nicht antwortete, hob sie den Kopf und bemerkte, dass er sie immer noch unverwandt ansah.

Doch dann räusperte er sich und stand auf. »Ihr Kleid ist ruiniert«, stellte er fest. »Voller Blut. Das geht nie wieder raus.«

»Ich werde das Kleid auch nie wieder brauchen«, antwortete Valerie und hob das Grappaglas. »Auf den schrecklichsten Tag meines Lebens.« Dann trank sie den Schnaps in einem Zug aus. »Schon besser.« Sie legte die Handflächen an ihre leicht geröteten Wangen. »Hm, das Zeug wirkt heftig.« Plötzlich fühlte sie sich schon viel besser. Mutiger. Fast abenteuerlustig. Wenn Grappa diese Wirkung hatte, würde sie öfter mal was davon trinken. Sie legte den Kopf schief, lächelte und schaute zu Lucio auf. »Und was passiert jetzt?« Gerne hätte sie noch eine Weile in dieser Bibliothek gesessen, vielleicht noch einen Grappa getrunken und Lucios schönen Mund betrachtet, um zu vergessen, was vorhin in dieser Waldkapelle geschehen war.

Doch Lucio wirkte mit einem Mal kühl und abweisend. »Ich fahre Sie zurück ins Hotel, das ist es, was passiert«, erwiderte er.

Ihre heitere Miene erlosch und sie ließ den Kopf hängen. »Ja, das lässt sich offenbar nicht vermeiden.«

»Ich dachte, Sie wollten vorhin ins Hotel zurück und hätten sich verlaufen«, sagte Lucio.

Valerie hörte sein Misstrauen. »Das stimmt, wenn auch von wollen keine Rede sein kann.« Sie zog ein paar Haarnadeln aus ihrer Frisur und zerrte an den rotblonden Strähnen, doch ihr Haar war durch das viele Haarspray widerspenstig. Seufzend gab sie es auf und stützte den Kopf in die Hände. »Was für ein Schlamassel. Wie konnte ich bloß so dumm sein.«

»Das kann ich nicht beantworten, wenn Sie mir nicht erzählen, was geschehen ist«, entgegnete Lucio.

Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Okay. Ich habe am Traualtar erfahren, dass mein Zukünftiger seit einem Jahr ein Verhältnis mit meinem besten Freund hat. ›Wenn unter den Anwesenden jemand ist, der einen begründeten Einwand gegen diese Ehe hat, möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen‹, zitierte sie sarkastisch den alten Spruch. »Nun, jemand hat gesprochen. Es kam raus, dass Timothy sich einfach nicht getraut hat, mir die Wahrheit zu sagen, weil wir schon ewig zusammen sind und immer feststand, dass wir heiraten, wenn wir beide mit unserer Promotion fertig sind. Am Ende lagen sich Timothy und Kurt weinend in den Armen und ich kam mir überflüssig vor. Das ist alles.«

»Verstehe.« Lucio verschränkte die Arme vor der Brust.

Er musterte sie mit einer Miene, die sie nicht deuten konnte, aber sie war sich nur zu bewusst, was für einen Anblick sie bot, in ihrem bauschigen, blutbefleckten Brautkleid auf seinem mit grünem Samt bezogenen Sofa, die Wangen leicht erhitzt vom Grappa.

»Was tun Sie, wenn ich Sie zurück ins Hotel gebracht habe?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich ziehe mich um, packe meine Sachen und ... Hm, daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«

Als sie schwieg, hakte Lucio nach. »Woran?«

Valerie nagte an ihrer Unterlippe. Dann sah sie zu Lucio auf und lächelte. »Egal. Das ist nicht so wichtig. Bringen wir es hinter uns. Es hat keinen Sinn, die Sache hinauszuschieben.«

»Sie brauchen Schuhe.« Lucio betätigte eine Klingel und gleich darauf erschien Marta. »Wir brauchen ein Paar Schuhe für die Signorina, in die sie mit dem Verband passt, Marta.«

»Ich schlage Badeschuhe vor«, sagte Marta. »Danielas müssten ihr passen. Sie hat sicher nichts dagegen, sie auszuleihen.«

»Bestimmt nicht«, erwiderte Lucio und Valerie sah ihn zum ersten Mal lächeln. »Sie besitzt garantiert Dutzende davon.«

Marta verschwand und kehrte wenige Minuten später mit einem Paar rosafarbener Badeschuhe wieder. »Hier, Signorina, probieren Sie die!«

Valerie zog die Badeschuhe an. »Perfekt, danke.«

»Gut«, sagte Lucio. »Marta, ich bringe die Signorina ins Hotel nach Castel Gandolfo.«

Marta nickte. »Übrigens hat sich Signora Francesca angekündigt. Sie bringt einen Gast mit.«

»Männlich?«

Marta nickte.

Valerie sah, dass Lucio unvermittelt sehr ernst wurde. Doch dann schüttelte er den Kopf, als wolle er unangenehme Gedanken loswerden. »Kommen Sie«, sagte er zu Valerie und half ihr beim Aufstehen. Als sich ihre Hände berührten, durchlief sie ein angenehmer Schauer. Ob er das wohl auch empfand? Sie hatte den Schwung unterschätzt, mit dem er sie vom Sofa hochzog. Valerie taumelte gegen ihn und lag einen Moment an seiner Brust. Sie fühlte, wie er einen Arm um ihre Taille schlang, um sie zu stabilisieren. Etwas atemlos schaute sie zu ihm auf und vergaß alles um sich herum, vergaß ihr ruiniertes Brautkleid, vergaß ihren verletzten Fuß, vergaß Marta, die in der Tür stand, vergaß, dass sie eigentlich eine am Boden zerstörte Ex-Braut hätte sein müssen. Würde er sie jetzt küssen? Ihr Herz klopfte wild. Wie lange war es her, seit sie solch einen prickelnden Moment erlebt hatte? Jahre? Jahrhunderte?

Langsam, ganz langsam senkte er den Kopf.

Erwartungsvoll schloss Valerie die Augen und erwartete jeden Moment, seinen Mund auf ihren Lippen zu spüren.

Doch da löste er sich abrupt von ihr und sie öffnete irritiert die Augen. Der magische Augenblick war vorbei. Besser so, dachte ihr vernünftiges Ich sofort. Gerade war ihre Hochzeit geplatzt und sie war kurz davor gewesen, einen Fremden zu küssen! Das ging gar nicht.

Während sie die Villa verließen und zur Garage hinübergingen, fragte sich Lucio, was bloß in ihn gefahren war. Beinahe hätte er diese fremde Frau geküsst. Eine Frau, von der er nur den Namen wusste – falls es ihr richtiger Name war –, und dass angeblich ihre Hochzeit geplatzt war. Aus Ritterlichkeit hatte er sie mit hierher genommen und ihren Fuß verarztet. Weshalb er es aber so erregend gefunden hatte, ihre nackte Haut zu berühren, konnte er sich nicht erklären. Er hatte das Bedürfnis verspürt, ihre schlanken Fesseln und ihre wohlgeformten Waden zu streicheln. Und als sie wenig später beim Aufstehen in seine Arme taumelte, war das Bedürfnis, sie zu küssen, so stark gewesen, dass es ihn äußerste Selbstbeherrschung gekostet hatte, zu widerstehen. Wahrscheinlich war er einfach sexuell ausgehungert und seine Reaktion rein hormonell bedingt. Ein chemischer Prozess im Körper, weiter nichts. Schließlich war Valerie eine sehr attraktive Frau und er hatte seit dem Ende seiner Beziehung mit dieser wilden Amerikanerin vor einem halben Jahr nur ein paar belanglose Dates gehabt.

Gleichgültig. Denn er hatte überhaupt keine Zeit für einen Flirt. Laut Marta würde nachher seine Mutter hier hereinschweben und einen Mann mitbringen. Das verhieß nichts Gutes.

Je schneller er diese verführerische Fremde loswurde, desto besser.

Kapitel 2

Valerie befand sich immer noch in einer Art Trance. Es war alles so schnell gegangen. Plötzlich hatte sich ihr wohlgeordneter Lebensplan in nichts aufgelöst.

Und jetzt?

Jetzt saß sie neben Lucio Ferragioli in seinem schnittigen schwarzen Alfa Romeo Cabrio, das er gegen den alten Kastenwagen eingetauscht hatte, und fuhr zurück ins Hotel am Lago Albano.

Um was zu tun?

Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde, daher konzentrierte sie sich auf den Mann am Steuer. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie ihn. Lässig saß er hinter dem Lenkrad und fuhr in gemäßigtem Tempo die kurvenreiche Straße entlang. Seine gebräunten Hände und Arme waren kraftvoll und doch elegant. Zu einer schwarzen Jeans trug er ein schwarzes T-Shirt. Beides betonte seine durchtrainierte Figur. Auf dem Ärmel des T- Shirts entdeckte sie ein kleines, stark abstrahiertes Logo, das ihr unbekannt war. Das Icon zeigte einen Radrennfahrer und bestand aus wenig mehr als ein paar Strichen. Es war weiß, aber die angedeutete L-förmige Verbindung zwischen den Rädern war knallpink. Verstohlen ließ Valerie ihren Blick nach oben wandern. Lucio sah unglaublich gut aus. Seine markanten Gesichtszüge wurden kontrastiert durch lange dunkle Wimpern und halblang getragene schwarze Locken. Als ihr Blick auf seinen Mund fiel, dachte sie wieder an den Moment, in dem Lucio sie fast geküsst hätte. Sein Mund war perfekt zum Küssen.

Valerie schluckte. Dieser Mund hatte Dinge gesagt, die sie nicht verstand. Warum dachte er, sie sei Teilnehmerin einer Reality Soap? Weshalb nahm er an, dass sich in den Büschen ein Filmteam versteckte? Wer war dieser Mann?

Nach der nächsten Kurve bot sich ihr ein wundervoller Ausblick auf den See, der gesäumt war von anmutigen Villen, Zypressen und Schirmpinien. Gleich darauf hatten sie Castel Gandolfo erreicht, jenen noblen Ort mit der Sommerresidenz des Papstes. Das Luxushotel Albergo del Lago war bereits zu sehen, und Valerie wurde mulmig, wenn sie daran dachte, welches Chaos in Kürze über sie hereinbrechen würde.

Anstatt vor dem Hauptportal zu vorzufahren, bog Lucio in eine Zufahrt ein, die sicherlich für Lieferanten gedacht war, und hielt vor einer Rampe mit Treppe, die zu einer offenen Eisentür führte.

»Ich gehe davon aus, dass Sie es vorziehen, den Hintereingang zu benutzen«, sagte Lucio, stellte den Motor ab, stieg aus und öffnete die Beifahrertür für Valerie. Dann streckte er seine Hand aus. »Kommen Sie.«

Sie nahm die dargebotene Hand, denn der Alfa war ein Sportwagen, und mit ihrem ausladenden Brautkleid würde es nicht ganz einfach sein, hinauszuklettern. Mit einem ihrer rosafarbenen Badeschuhe blieb sie dann doch an der Kante hängen und wäre ohne Lucios Hilfe gestürzt. Zum zweiten Mal an diesem Tag fand sie sich an seiner breiten Brust wieder, aber diesmal stabilisierte er sie nur. »Machen Sie sich das nicht zur Gewohnheit«, knurrte er. »Ich bin auch nur ein Mann.«

Wider Willen musste sie lachen. »Tut mir leid. Normalerweise habe ich mich und mein Leben ziemlich gut im Griff.«

Er wies auf die steile Betontreppe. »Schaffen Sie das mit dem Kleid?«

»Das muss ich wohl«, erwiderte sie, raffte das Brautkleid zusammen und stieg die Treppe in ihren Badeschuhen vorsichtig hinauf. Auf der Rampe drehte sie sich um. »Auf Wiedersehen, Lucio. Und danke für Ihre Hilfe. Ich weiß nicht, wie ...«

»Schon gut«, winkte er ab und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, auf sie zu. »Ich komme mit. Sonst finden Sie Ihr Zimmer nie.«

Ihr Zimmer. Das Zimmer, das sie mit Timothy in der Hochzeitsnacht hatte teilen wollen. Ob sie miteinander geschlafen hätten? Seit mindestens fünf Monaten das erste Mal? Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass sein Desinteresse an ihr als Sexpartnerin daran lag, dass er Männer liebte. Jetzt war ihr klar, weshalb Tim sie nicht begehrt hatte und plötzlich fragte sie sich, ob sie überhaupt wusste, was Leidenschaft war. Was man nicht kannte, konnte man nicht vermissen. Am liebsten wäre sie umgedreht und davongelaufen. Aber das hatte sie heute schon einmal getan. Ihr Verstand sagte ihr, dass es zu nichts führen würde, vor den Tatsachen wegzurennen. Und Tatsache war, dass sie nicht verheiratet war und dass ihre Zukunft düster aussah. Tatsache war auch, dass sie Lucios Begleitung mehr als tröstlich fand. Doch sie durfte sein Angebot nicht annehmen. Schließlich kannten sie sich kaum.

»Das ist nicht nötig«, wehrte sie ab. »Ich bin für mich selbst verantwortlich.«

»Sicher. Aber es wäre doch gemein von mir, Sie ohne Navi durch die verwinkelten Gänge dieses alten Kastens irren zu lassen, bis man Jahre später in irgendeinem Kabuff Ihre bleichen Gebeine findet.«

»Und dazu noch in diesem scheußlichen Brautkleid«, erwiderte sie und fragte sich, weshalb sie lachen konnte, während sie doch auf dem Weg in ihren Untergang war.

Lucio grinste. »Scheußlich haben Sie gesagt.« Er nahm ihre Hand. »Los geht’s.«

»Na gut«, seufzte sie. »Ich bin Ihnen sehr ...«

»Dankbar, ich weiß«, ergänzte er. »Hören Sie auf, sich ständig zu bedanken, sonst lasse ich Sie sofort stehen.«

Valerie fügte sich und folgte Lucio einem endlos erscheinenden Flur entlang, von dem mehrere Stahltüren abgingen. Dann führte eine Treppe abwärts und ein weiterer Flur folgte. Hinter geöffneten Türen erblickte Valerie Kammern mit Regalen voller Wäsche, mit zusammengerollten Perserteppichen und mit kleinen, antik wirkenden Beistellmöbeln. Es gab sogar einen Lagerraum mit Toilettenschüsseln und marmornen Waschbecken. Ab und zu zweigte ein weiterer Flur nach rechts oder links ab. Nie hätte sie sich allein hier zurechtgefunden.

Nun gelangten sie zu einem Lastenaufzug. Lucio drückte den Knopf. Als der Lift kam, öffnete er die schwere Tür. Valerie zögerte.

»Was ist?«, fragte Lucio. »Der wird uns schneller nach oben befördern als die drei Treppen, die noch vor uns liegen.«

»Mir graut vor dem, was gleich über mich hereinbrechen wird«, gestand Valerie.

»Wieso? Nach allem, was Sie mir erzählt haben, trifft Sie ja keine Schuld an der geplatzten Hochzeit.«

»Das ist richtig. Trotzdem ... Ich komme mir vor, als sei es gar nicht ich, die das alles erlebt, sondern irgendein Avatar in einem Computerspiel.«

»Avatar oder nicht – wir fahren jetzt nach oben und holen den Schlüssel für Ihr Zimmer. Welche Zimmernummer haben Sie?«

»90.« Valerie betrat den Lastenaufzug. Im Zeitlupentempo fuhren sie aufwärts.

Der Aufzug hielt und sie betraten einen quadratischen Raum, der mit Linoleum ausgelegt war. Gegenüber war die riesige Küche des Hotelrestaurants. Köchinnen und Köche mit weißen Hauben und Schürzen arbeiteten in rasantem Tempo an mehreren sechsflammigen Gasherden. Töpfe und Pfannen klapperten, es zischte und brodelte und roch unglaublich gut nach frischen mediterranen Speisen. Auf der anderen Seite war die Spülküche. Ein junger Mann schob einen großen Teewagen, beladen mit schmutzigem Geschirr, hinein, rief etwas und eilte wieder davon.

Lucio trat in den breiten Eingang der Küche und winkte einem der Köche zu. Dieser wischte sich die Hände ab und kam herüber.

»Lucio, was machst du hier?«, wollte er wissen. Dann fiel sein Blick auf Valerie und das ramponierte Brautkleid. »Hast du eine Braut entführt? Muss ich die Carabinieri rufen?«

»Unsinn«, gab Lucio zurück. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Sergio?«

»Klar.«

»Wir können nicht durch die Lobby, wie du vielleicht einsiehst«, begann Lucio. »Aber wir brauchen den Zimmerschlüssel der Signorina. Nummer 90. Und versuch mal, rauszukriegen, wo sich ...« Er schaute Valerie fragend an. »Wie heißt Ihr, hm ... «

»Timothy O’Brien.«

»Wo sich Mr. O’Brien und die Hochzeitsgäste aufhalten«, fuhr Lucio fort.

»Wird erledigt. Wartet hier.« Schon war Sergio unterwegs.

»Wahrscheinlich sind eh alle in der Suite versammelt«, mutmaßte Valerie.

»Kann sein, aber mein Instinkt sagt mir, dass sie alle beim Lunch sind.« Lucio runzelte die Stirn. »Ich habe noch gar nicht gefragt, was Sie vorhaben, wenn Sie in Ihrem Zimmer angekommen sind.«

»Packen und verschwinden«, erwiderte sie ohne Zögern.

»Und wohin?«

»Ich setze mich in einen Bus, fahre nach Rom und suche mir ein Hotel. Mein Flug nach Dublin geht erst in sieben Tagen. Wegen der ... wegen der Flitterwochen. Flitterwoche«, verbesserte sie sich. ›Eine Woche muss reichen‹, hatte Terry O’Brien gesagt. ›Ich brauche euch im Unternehmen.‹ »Aber die fällt ja jetzt aus«, fügte sie lahm hinzu.

»Sie wollen nach Dublin?«

»Genau. Dort leitet Timothys Mutter die Filiale eines großen internationalen Kunstauktionshauses. Ich fange dort als Juniorrepräsentantin für Alte Meister an. Dumm nur, dass ich dort nun keine Bleibe mehr habe. Bisher haben Timothy und ich im riesigen Haus seiner Mutter gewohnt. Wir wollten uns nach der Hochzeit eine eigene Wohnung suchen.« Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Sitzengelassen und ohne Wohnung. So schnell kann es gehen ...«

»Es tut mir sehr leid für Sie«, sagte Lucio leise.

»Danke. Ich denke mittlerweile, dass ich vielleicht nicht ganz unschuldig an dem Desaster bin. Wie heißt es immer so schön in Psychoratgebern: ›Sie haben nicht richtig hingeschaut.‹ Aber wahrscheinlich war ich so im Stress mit meiner Doktorarbeit, dass ich gar nicht hinschauen wollte ...« Sie hörte sich selbst reden und verdrehte die Augen. Immer tapfer, immer bereit, den Fehler bei sich zu suchen. Und normalerweise war sie überzeugt davon, dass man aus Niederlagen nur gestärkt hervorging. Doch dann tauchte die Erinnerung an das, was in der Kapelle geschehen war, vor ihrem inneren Auge auf und sie hatte das Gefühl, ihr würde der Boden unter den Füßen weggezogen.

In diesem Moment kam Sergio zurück und reichte ihr die Chipkarte. »Bitte schön, Signorina.«

»Vielen Dank«, antwortete sie und bemühte sich um ein Lächeln.

»Ja, danke, Sergio«, sagte Lucio und klopfte dem Koch auf die Schulter. »Du hast bei mir was gut.«

»Prima. Auf einen Wein demnächst bei dir? Der letzte Jahrgang soll fantastisch geworden sein.«

»Allerdings.« Lucio grinste. »Du bist jederzeit willkommen.«

»Die Gesellschaft O’Brien befindet sich übrigens im Restaurant. Allerdings sind sie bereits beim Hauptgang«, erklärte Sergio noch, ehe er in die Küche zurückkehrte.

»Gut. Dann haben wir nicht allzu viel Zeit«, raunte Lucio Valerie zu. »Außer, Sie möchten nochmal mit Ihrem, hm ...«

»Timothy«, sagte Valerie.

»Mit Timothy reden«, vervollständigte Lucio seinen Satz.

»Auf gar keinen Fall!«, rief sie.

»Alles klar.« Er nahm Valerie am Arm und führte sie zu einer Tür, die ihr bisher noch nicht aufgefallen war. Hinter dieser Tür öffnete sich ein kleines Foyer mit einem antiken Sessel, einem Tischchen und einem großen goldgerahmten Spiegel.

Als Valerie ihr Spiegelbild erblickte, blieb sie abrupt stehen. Ihr rotblondes Haar war völlig zerzaust und steckte teilweise noch mit Haarnadeln fest. Der Saum ihres Brautkleides war über und über blutbefleckt. Die rosafarbenen Badeschuhe sahen lächerlich aus. »Du meine Güte«, seufzte sie. »Danke, dass Sie mich den Blicken in der Lobby nicht ausgesetzt haben, Lucio.«

Zwei weitere Treppen waren zu überwinden, enge Feuerschutztreppen, ehe sie auf dem Flur angelangt waren, wo sich das Zimmer Nummer 90 befand. Vorsichtig spähte Valerie nach rechts und links und lauschte, ob sie Schritte hörte. Sie hatte nicht die geringste Lust, von irgendjemandem gesehen zu werden. Kurz darauf steckte sie die Chipkarte in den Schlitz und die Tür öffnete sich mit einem Klicken.

»Ich warte hier«, sagte Lucio und wollte sich auf dem bequemen Sessel niederlassen, der unter dem Flurfenster stand, das einen zauberhaften Blick auf das begrünte Atrium bot.

»Nicht nötig. Kommen Sie rein. Ich beeile mich«, erwiderte Valerie und betrat die Suite, in der sie bereits die vergangene Nacht verbracht hatte. Die Nacht vor der Hochzeit, die nicht stattgefunden hatte.

Sie beobachtete Lucio, der ins Zimmer schlenderte, zum Fenster ging und hinaus auf den See schaute, ehe sie ihren großen blauen Hartschalenkoffer öffnete und begann, ihre Kleidung aus dem Schrank zu zerren und hineinzuwerfen. Sie hätte gern geduscht, aber dafür war keine Zeit. Jeden Moment konnten Timothy, Kurt, Terry und Connor hier auftauchen. Mehr Hochzeitsgäste waren nicht geplant gewesen. Anordnung von Terry, selbstverständlich.

Als der Koffer gepackt war, verschwand sie im Bad, zog das Brautkleid aus und schlüpfte in ein geblümtes Sommerkleid mit weitem Rock und enganliegendem Oberteil in Rosé-, Rost- und Orangetönen auf blassgelbem Grund. Flache cremefarbene Ledersandalen mit verstellbaren Verschlüssen, so dass sie mit dem Fußverband hineinpasste, komplettierten ihr Outfit. Hastig zog sie die restlichen Nadeln aus ihrer Frisur und bürstete rasch ihr Haar. Es ging besser als erwartet und Valerie war erleichtert, als es schließlich in weichen Wellen bis über ihre Schultern fiel. Dann warf sie einen letzten Blick in den Spiegel und seufzte. Ihr Braut-Make-up musste bleiben, wie es war. Normalerweise schminkte sie sich kaum. Höchstens etwas Wimperntusche und Lippenstift ...

Da hörte sie, wie die Zimmertür geöffnet wurde. Hörte vertraute Stimmen. Hörte, wie Terry sagte: »Wir lassen ihr Gepäck in die Lobby stellen. Das ist am einfachsten.«

Mist. Sie hatte zu lange gebraucht. Doch sie straffte die Schultern, atmete tief durch und trat aus dem Bad ins Wohnzimmer der Suite. »Nicht nötig«, antwortete sie kühl. »Ich habe bereits gepackt und werde diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.«

Timothy kam auf sie zu. »Bitte lass uns reden, Valerie. Es tut mir so leid.«

Unwillkürlich verglich sie seine schlaksige Jungenhaftigkeit mit Lucios männlicher Erscheinung. »Was tut dir leid?«, fuhr sie ihn an. »Dass du mich ein Jahr lang belogen und betrogen hast? Dass du mir schon lange das Gefühl gibst, nicht attraktiv und begehrenswert zu sein? Dass ich mich schon kaum noch erinnern kann, wann wir das letzte Mal miteinander geschlafen haben?«

»Valerie!«, rief seine Mutter empört. »Das ist geschmacklos.«

»Geschmacklos war es, bis zur Trauung zu warten, um mir die Wahrheit zu sagen«, konterte Valerie.

Sie schaute zur Kurt. Tränen stiegen in ihre Augen, und ihre Wut verwandelte sich in Schmerz. Mit einem Mal fühlte sie sich winzig, elend und verlassen. Da half es auch nichts, dass Kurt sehr kleinlaut dreinschaute, was bei seiner Größe und Statur lächerlich wirkte.

Sie wischte die Tränen weg und straffte die Schultern. »Du warst mein bester Freund, Kurt. Bei dir habe ich mich ausgeheult, wenn Timothy mal wieder keine Lust hatte, mit mir auszugehen, etwas zu unternehmen, langweilig vor dem Fernseher saß und es nicht einmal bemerkte, wenn ich ein neues Kleid anhatte. Warum hast du bloß den Mund nicht aufgemacht und diesen Horror hier verhindert?«

Der große, bärtige Mann, der einen Anzug trug, dessen Ärmel und Hosenbeine etwas zu kurz waren wie bei einem Konfirmanden, mied ihren Blick, als er leise sagte: »Timothy hat es mir verboten. Er wollte das durchziehen, weil ihr schon so lange zusammen seid. Er meinte, er könne dir das nicht antun, weil ...«

»Weil was?

»Er sagte, er habe Angst, dass es dich zerstört.«

»Mache ich den Eindruck, als wäre ich ein schwaches Ding, das eine Trennung nicht überlebt?« Nun gewann ihr Zorn wieder die Oberhand. In ihrer Beziehung mit Timothy war immer sie die Starke gewesen, die ihn aufgebaut hatte, wenn er wieder in eine seiner Krisen aus Selbstzweifel und Depression gerutscht war.

»Nein, aber ...«, begann Kurt, doch Valerie schnitt ihm das Wort ab.

»Und was wäre danach geschehen? Hätten wir eine Ehe zu dritt geführt? Wie lange wäre das denn gut gegangen? Ich bin definitiv nicht polyamor und du hast mir oft erzählt, dass du eine feste Beziehung suchst.«

Kurt schaute zu Boden und schwieg.

»Du kennst Timothy fast so lange wie ich. Bist du schon genau so lange in ihn verliebt?«, fragte Valerie leise.

Er nickte stumm.

»Timothy, was hättest du getan, wenn Kurt nichts gesagt hätte? Hättest du mich geheiratet und damit uns alle drei unglücklich gemacht?«

»Es tut mir leid«, wiederholte Timothy unbeholfen. »Ich ... ich ... die Situation ist mir einfach über den Kopf gewachsen. Ich wollte dich nicht verletzen.«

»Das ist der dümmste Spruch, den ich kenne. Den sagen nur Leute, die genau das tun. Andere verletzen.«

»Jetzt reicht es aber, Valerie«, mischte sich Terry O’Brien stimmgewaltig ein. »Wieder und wieder habe ich Timothy erklärt, dass du nicht die Richtige für ihn bist. Die jetzige Entwicklung hat mich, sagen wir, überrascht. Aber damit kann ich umgehen. Hauptsache, unser Timothy ist glücklich. Nicht wahr, Connor?« Ihr Mann, der sich im Hintergrund hielt und so aussah, als wäre er lieber woanders, nickte stumm. Sie strich ihrem neunundzwanzigjährigen Sohn übers Haar und Timothy zuckte nicht einmal. »Du bist und bleibst mein Tim.« Dann fuhr sie zu Valerie fort: »Wir lassen dir deine paar Habseligkeiten und deine Bücher schicken, sobald du uns deine neue Adresse mitteilst.«

Ihre Bücher! Sie hatten in Kisten verpackt darauf gewartet, im neuen gemeinsamen Zuhause ihre Bibliothek zu füllen.

»Ich gehe übrigens davon aus, dass du keinen Wert mehr darauf legst, für mich zu arbeiten«, fügte Terry mit schneidender Stimme hinzu.

Das traf Valerie wie ein Schlag. Sitzengelassen, wohnungslos, jetzt auch noch arbeitslos? »Das ... das meinst du nicht ernst, Terry«, stammelte sie. Valerie hatte sich unglaublich darauf gefreut, als Juniorberaterin für Alte Meister in Terrys Auktionshaus anzufangen.

»Oh, doch, das meine ich ernst, verlass dich drauf. Und jetzt nimm deine Sachen und verlass dieses Hotel.«

»Ich habe einen Arbeitsvertrag«, protestierte Valerie. »Den kannst du nicht einfach ignorieren.«

»Und wie ich das kann. Ich werde in die Wege leiten, dass er aufgelöst wird. Du erhältst eine großzügige Abfindung. Damit bist du mehr als gut bedient.«

Verzweifelt wandte sich Valerie an ihren Beinahe-Ehemann. »Das kannst du doch nicht zulassen, Timothy!«

Doch Timothy schwieg.

»Meine Güte, bist du feige«, sagte Valerie tonlos. »Was soll ich denn jetzt nur tun? Wo soll ich denn hin?«

Da löste sich eine dunkle Gestalt vom Fenster, die bisher niemand beachtet hatte, weil sie halb verdeckt von dem schweren weinroten Vorhang gewesen war, und trat in die Mitte des Raumes.

»Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«, fauchte Terry.

Alle außer Valerie schauten einen Moment überrascht auf den Fremden.

»D...d...das ... das ist Lucio Ferragioli«, stotterte Kurt mit anbetungsvoller Miene. Und als die anderen ihn fragend anblickten, fügte er hinzu: »Der berühmte Radrennfahrer. Er ... er hat fast alle großen internationalen Rennen gewonnen«, fuhr er begeistert fort. »Zweimal den Giro d’Italia, einmal die Tour de France und die beinahe noch ein zweites Mal.« Er ging auf Lucio zu und sagte auf Englisch: »Es ist mir eine solche Ehre, Mr. Ferragioli.«

Sprachlos starrte Valerie von einem zum anderen. Lucio Ferragioli war ein berühmter Radprofi? Das würde das Logo auf seinem T-Shirt erklären. Kurt war ein enthusiastischer Freizeitradler, allerdings eher mit dem E-Bike. Ihr fiel ein, dass er und Timothy voriges Jahr zusammen die Loire entlanggeradelt waren. Hatte es da zwischen ihnen gefunkt? Nein, sie wollte es gar nicht wissen.

»Würden Sie mir ein Autogramm geben?«, fragte Kurt nun.

»Sicher. Haben Sie was zu schreiben?« Lucios Englisch war makellos.

Kurt ging zum eleganten Sekretär, nahm einen Block mit dem Logo des Hotels und einen Kugelschreiber. »Hier.«

»Was soll ich schreiben?«, fragte Lucio.

»Für Kurt Henry Watson.«

»Wie Dr. Watson?«

Kurt nickte ganz ernsthaft. Lucio kritzelte das Verlangte auf den Block, signierte und datierte die Widmung, riss das Blatt ab und reichte es Kurt.

»D...d...danke«, stammelte Kurt und wurde rot bis zum Ansatz seiner beginnenden Stirnglatze. »Ich ... ich habe auch einige Stücke aus Ihrer neuen Kollektion. Ganz fantastisch. Perfekter Sitz, beste Qualität und aus nachhaltiger Produktion ...«

Lucio ignorierte ihn und nahm Valeries Koffer. »Andiamo«, sagte er. »Lassen Sie uns gehen.«

Aber Valerie stand da wie festgewachsen. Was heute geschehen war, hatte sie völlig überfordert. Und jetzt hatte sich Kurt auch noch absurderweise an Lucio herangeschmissen, um ein Autogramm zu ergattern! Als wäre das mit ihr bereits abgehakt. Weder Terry noch Timothy noch Kurt beachteten sie. Ihr Herz sank ins Bodenlose. Das war ihre Familie gewesen, die Einzige, die sie jemals gehabt hatte. Und alles war nur eine große Lüge. Wo sollte sie jetzt hin? Was sollte sie tun? Ihre Kehle wurde plötzlich eng und sie hatte das Gefühl, in diesem Zimmer keine Luft mehr zu bekommen.

Hier war das Alte, das Kaputte. Draußen war das Unbekannte, Bedrohliche. Aber was auch immer sie erwartete – sie musste raus hier und zwar so schnell wie möglich.

»Ja, gehen wir«, sagte sie zu Lucio und nahm ihre Handtasche. Doch ehe sie Lucio folgte, wandte sie sich noch einmal an Kurt. Ihre Stimme war kalt. »Werdet glücklich. Und sucht euch so schnell wie möglich eine eigene Wohnung. Sonst frisst euch dieses Muttertier mit Haut und Haaren.«

»Wie kannst du es wagen!«, keifte Terry.

»Du hast meine Zukunft ruiniert«, sagte Valerie zu ihr. »Pass auf, dass du die deines Sohnes nicht ebenfalls kaputt machst.«

Kapitel 3

Lucio ging mit dem blauen Rollkoffer voraus. Gleich darauf durchquerte er, gefolgt von Valerie, die vertraute elegante Lobby mit ihrem rosenfarbenen Marmorfußboden, dem venezianischen Lüster und den bequemen Loungemöbeln in einem exquisiten Mix aus modern und antik.

»Ciao, Bruno«, begrüßte Lucio den Portier, einen älteren, glattrasierten Mann, der wie immer seine blaue Livree mit goldenen Applikationen trug.

Bruno hielt ihnen die Tür auf. »Lucio. Welche Freude, dich zu sehen.«

»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragte Lucio.

»Jederzeit.«

Lucio reichte ihm seinen Wagenschlüssel. »Der Alfa steht unten am Lieferanteneingang. Ich möchte die Signorina nicht allein lassen. Könntest du das Auto holen?«

»Selbstverständlich.« Bruno nahm die Schlüssel und ging nach drinnen.

»Sie kennen die Leute hier im Hotel offenbar gut«, bemerkte Valerie.

»Ich beliefere die Albergo del Lago seit einigen Jahren mit unserem Wein«, erklärte er. »Die meisten, die hier arbeiten, stammen aus Castel Gandolfo oder den umliegenden Dörfern. Wir sind alle hier aufgewachsen. Da kennt man sich.«

»Das klingt schön. Sehr schön sogar.«

Er bemerkte ihren gedankenverlorenen Blick. »Was werden Sie jetzt tun?«, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. »Meine Lebenspläne haben sich gerade in Luft aufgelöst. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll, das alles zu reparieren. Meine Beziehung ist anscheinend keine gewesen und ich frage mich, weshalb ich nicht gemerkt habe, dass Timothy nicht der Mann war, mit dem ich meine Träume hätte verwirklichen können. Manchmal braucht es scheinbar einen Knall, damit man aufwacht und begreift, dass sich etwas ändern muss.«

»Sie sind eine mutige Frau«, sagte Lucio.

Valerie lachte trocken. »Mutig? Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe ziemlich Angst vor der Zukunft. Mein Job, auf den ich jahrelang hingearbeitet habe, ist weg und ich weiß noch nicht einmal, wo ich heute Nacht schlafen werde.« Sie schaute blicklos vor sich hin. »Am besten, ich fahre nach Rom, suche mir ein Hotel und buche dann einen Flug nach London. Eventuell kann ich in London zunächst bei einer Freundin unterkommen.«

»Was halten Sie davon, wenn Sie ein paar Tage in der Villa Tre Torri verbringen und in Ruhe darüber nachdenken, wie es für Sie weitergehen könnte?«, fragte Lucio spontan.

Ruckartig hob sie den Kopf und sah zu ihm auf. »Meinen Sie das ernst?«

Lucio wusste, dass es klüger gewesen wäre, sie nach Albano zu bringen und dort in den Zug nach Rom zu setzen. Doch wie sie eben im Hotel die Sache mit ihrer schrecklichen Fast-Schwiegermutter, ihrem Ex-Verlobten und dessen Liebhaber gemanagt hatte, nötigte ihm Respekt ab. Ihm war klar, dass sie zutiefst verletzt war, aber sie hatte weder eine hysterische Szene gemacht, noch war sie zusammengebrochen. Und obwohl er ihre Verzweiflung spüren konnte, zeugte das, was sie gesagt hatte, von hoher Intelligenz und Mut. Bewundernswert.

Außerdem war sie, nach allem, was er hier gehört hatte, definitiv keine Stalkerin, die sich ein Brautkleid angezogen und den Fuß verletzt hatte, um ihn kennenzulernen.

Lucio nickte. »Ja, klar«, erwiderte er.

»Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann. Sie haben schon so viel für mich getan. Und außerdem ...«

»Die Villa hat sieben Gästezimmer«, informierte er sie. »Eines davon steht Ihnen zur Verfügung. Es gibt zweimal täglich einen Bus, der im Dorf Tre Torri hält und nach Albano Laziale fährt. Von dort geht der Regionalzug nach Rom. Wenn Sie genug von uns haben, nehmen Sie den einfach.«

»Von uns?«

»Von mir, Marta, Daniela Canali, der Designerin meiner Kollektion, die in der Villa ein Studio hat, von meiner Mutter Francesca und ihrem neuen Begleiter, mit dem sie uns heute heimsuchen wird, und den anderen, die auf dem Weingut arbeiten.« Lucio lächelte ihr ermutigend zu. »Ich würde mich freuen, wenn Sie ein paar Tage mein Gast wären.«

Schwungvoll fuhr Bruno den Alfa vor, stieg aus und öffnete die Beifahrertür für Valerie, ehe er ihren Koffer im Wagen verstaute. Der große Trolley passte nur knapp in den Kofferraum.

Valerie zögerte.

»Steigen Sie ein«, forderte Bruno sie mit einer einladenden Handbewegung auf. »Lucio beißt nicht.«

Valerie lächelte ergeben und ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder.

»Sehr gut.« Lucio setzte sich ans Steuer, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass Valerie angeschnallt war, fuhr er los.

Wenn er jetzt noch Zweifel hatte, dass es richtig war, diese Fremde mit nach Hause zu nehmen, war es dafür zu spät.

Eine Stunde später lag Valerie erschöpft auf dem Himmelbett in einem der vielen Gästezimmer der Villa und starrte gegen den hellblauen Baldachin. Sie hatte geduscht und sich abgeschminkt und sich einen Moment im Spiegel betrachtet. Blass, müde und zerbrechlich sah sie aus. Ihre Augen verrieten ein wenig Furcht, aber vor allem Unsicherheit. Wie würde es weitergehen?

Es war Nachmittag und die grünen Fensterläden des ganzen Hauses waren geschlossen, um die Juniwärme draußen zu halten. In dem hübschen Raum mit Dielenboden, antikem Schreibtisch, Kleiderschrank und Sofaecke hatte ein Tablett mit zwei Flaschen Wasser und einer Obstschale auf sie gewartet. Es gab sogar ein privates Bad.