Slow Dating Alpenglühen - Alexa Hirth - E-Book

Slow Dating Alpenglühen E-Book

Alexa Hirth

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Beschreibung

"Diese Verliebtheit ist für mich beendet." Mit diesem Mantra versucht Maike Schirmer, Assistentin der erfolgreichen Datingagentur Slow Happy, ihre Gefühle für ihren attraktiven Kollegen Petros unter Kontrolle zu bringen. Der sieht sie nämlich nur als guten Kumpel, während er ansonsten ein heißes Date nach dem anderen hat. Als sie zum ersten Mal gemeinsam mit ihm einen Slow Dating-Workshop in Schönau am romantischen Königssee durchführt, wird ihr Vorsatz jedoch auf eine harte Probe gestellt. Denn plötzlich scheint sich Petros für sie zu interessieren. Doch dann wird ein Teilnehmer des Slow Datings ermordet, und ehe Maike herausfinden kann, ob Petros es wirklich ernst meint, gerät sie selbst in höchste Gefahr! Slow Dating Alpenglühen ist nach Slow Dating und Slow Dating Ahoi! der dritte und letzte Teil der Miniserie von Alexa Hirth.

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Seitenzahl: 300

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch

Slow Dating Alpenglühen ist der dritte Roman von Alexa Hirth und der letzte Teil einer Miniserie. Zu dieser Serie gehören die Romane Slow Dating, im Februar 2017 erschienen, sowie Slow Dating Ahoi! (2020). Alle drei Romane sind in sich abgeschlossen. Sie beziehen sich zwar in einigen Details aufeinander, können aber auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Über die Autorin

Alexa Hirth ist das Pseudonym der Schriftstellerin Beate Schaefer, die seit 1996 historische Romane, Kurzgeschichten und Theaterstücke veröffentlicht. Als Alexa Hirth schreibt sie moderne Liebesromane (unter anderem ab Mai 2025 für den Verlag dotbooks.de). Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Lübeck.

Mehr unter www.beate-schaefer.de

Inhaltsverzeichnis

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

EPILOG

1. KAPITEL

Ding Dong.

Das Bett, in dem Maike Schirmer die letzten Minuten vor dem Klingeln des Weckers genoss, knarrte ein wenig, als sie sich seufzend auf die andere Seite drehte. Ihr Sohn, Timo, war für zwei Wochen bei seinem Vater, wie ausgemacht, und sie musste nicht um sechs Uhr raus zum Frühstück zubereiten, Schulbrot schmieren, Ranzen kontrollieren.

Ding Dong.

Hatte es gerade an der Tür geklingelt? Maike rollte sich auf den Rücken, streckte die Beine aus und wackelte mit den Zehen. Dann gähnte sie und wollte gerade wieder in Seitenlage gehen.

Ding Dong! Ding Dong!

Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Timo! Was war los? Hatte er sich mit seinem Vater gestritten? War er krank? Brauchte er etwas für die Schule, das er hier vergessen hatte?

Ding Dong, Ding Dong, Ding Dong!

Sie sprang aus dem Bett und rannte zur Tür. Keinen Moment lang dachte sie darüber nach, dass sie nur ein labberiges, ausgeblichenes T-Shirt trug.

Schwungvoll riss sie die Tür auf. „Was ...?“

Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie sah, wer draußen im Hausflur stand und gerade wieder auf den Klingelknopf drücken wollte.

Petros Meyer-Roussi.

Der Mann, in den sie seit seinem Vorstellungsgespräch bei Slow Happy – der Datingagentur, für die sie arbeitete –, verliebt war. Und der seit zwölf Monaten ihr Nachbar war, denn sie hatte ihm, dem Neu-Hamburger, die Wohnung vermittelt. Natürlich mit Hintergedanken.

Seit zwölf Monaten hoffte sie darauf, dass er bei ihr klingeln, sie in die Arme nehmen und sie ins Bett tragen würde.

Danach würden sie frühstücken und über eine gemeinsame Zukunft sprechen.

„Hast du eventuell ein Kondom für mich?“, fragte Petros ohne Einleitung. „Oder vielleicht zwei?“

Maike glaubte, sich verhört zu haben. Verstört schaute sie auf den hochgewachsenen schlanken Mann mit den widerspenstigen dunkelblonden Locken, der barfuß auf ihrer Matte stand und nichts weiter trug als ein um die Hüften geschlungenes rotes Handtuch.

„W... wie bitte?“, stammelte sie.

„Uns sind die Kondome ausgegangen“, erklärte Petros freundlich. „Ich dachte, du könntest uns eventuell aushelfen.“

Uns.

Als Petros sich damals als Workshopleiter bei Slow Happy beworben hatte, war er angeblich wegen einer Frau nach Hamburg gezogen. Maike hatte diese Frau ein oder zwei Mal gesehen. Bald jedoch war diese Beziehung auseinander gegangen. Seitdem war Petros als Jäger und Sammler unterwegs, und Maike hatte gehofft, dass er irgendwann feststellen würde, wie nah das Wild war, das er am meisten begehrte.

Seit zwölf Monaten lag daher in ihrem Badezimmerschrank eine Großpackung Kondome. In allen Farben.

„Maike?“, erinnerte Petros sie an seine Anwesenheit.

Sie hob den Kopf und sah in seine braunen, goldgesprenkelten Augen. Augen, in denen Verlangen schimmerte. Aber nicht nach ihr. Dann schaute sie auf seine nackten Füße. Attraktive, gepflegte Füße. Gleich darauf wanderte ihr Blick nach oben und blieb an dem roten Handtuch hängen. War da eine Wölbung zu erkennen?

Sie wurde knallrot, rannte wortlos ins Bad, holte die ganze Packung Kondome, rannte zurück, drückte sie Petros in die Hand und warf ihm die Tür vor der Nase zu.

Gleich darauf sprang sie ins Bett und hämmerte heulend auf ihr Kissen. „Mistkerl! Frauenverbraucher! Gemeiner Schuft!“

Aber sie war keine, die sich so leicht unterkriegen ließ. Als ihre Wut und ihre Enttäuschung verebbt waren, stand sie auf, ging duschen, zog sich an und machte Kaffee. Beim Frühstück erinnerte sie sich daran, was sie neulich in der Frauenzeitschrift My Dream, die regelmäßig über die Slow Dating-Workshops von Slow Happy berichtete, gelesen hatte. Bei aussichtsloser Verliebtheit oder Liebeskummer solle man sich täglich mehrmals vor den Spiegel stellen und sagen: „Diese Beziehung ist für mich beendet.“ Es würde eine Weile dauern, aber irgendwann würde man feststellen, dass man nicht mehr verliebt sei.

Maike stellte ihre Kaffeetasse ab und ging ins Bad. Dort stellte sie sich vor den Spiegel und wollte den Satz laut sagen, aber es kam ihr zu blöd vor, und sie bewegte nur die Lippen. Stattdessen schaute sie sich im Spiegel an. Ovales Gesicht, helle Haut, grüne Augen, eine lustige Nase mit einem kleinen silbernen Ring als Nasenpiercing, ein fröhlicher Mund, immer bereit zu lachen. Zurzeit trug sie einen Vollpony, ihr Haar war überschulterlang und zur Abwechslung mal wieder braun mit ein paar grünen Strähnen. Ab und zu haderte sie mit ein oder zwei Pfund zu viel, aber da sie sowieso meist selbstgeschneiderte bunte Kleider oder bequeme Leinenhosen und dazu wildgemusterte Blusen nach eigenen Schnitten trug, kümmerte sie das nicht.

Noch ein Versuch.

„Diese Beziehung ist für mich, hm ...“

Grrr ... Wieso war sie plötzlich so gehemmt? Schließlich war sie allein hier im Bad. Niemand schaute oder hörte zu.

„Diese Beziehung ist für mich beendet.“

Das ging schon besser. Nun noch einmal richtig laut.

„Diese Beziehung ist für mich beendet.“

Maike brach in Tränen aus. Mist. Das klappte nicht. Es war ja auch gar keine Beziehung.

Trotzdem war es Zeit, etwas gegen diese Gefühle zu unternehmen. Sollte er doch poppen, wen er wollte. Sie brauchte eine Strategie, um sich zu schützen. Und außerdem würde sie ihm im Büro nicht mehr jeden Wunsch erfüllen, ehe er überhaupt danach gefragt hatte.

Noch rollten die Tränen, aber sie blickte entschlossen in den Spiegel und sagte laut und fest: „Petros, du kannst mich mal. Meine Verliebtheit ist hiermit beendet.“

Da! Sie konnte sogar lächeln.

Als sie zurück in die Küche ging, fühlte sie sich schon besser. Falsche Hoffnungen zogen eine unerwiderte Liebe nur in die Länge und hinderten dich am echten Leben. Auch das hatte sie irgendwo gelesen.

Ihr Smartphone auf dem Tisch vibrierte. Sie nahm es und schaute auf das Display. Die Nachricht war von Tina, ihrer Chefin.

Kannst du Toilettenpapier mitbringen, wenn du nachher kommst? Ich bin heute im Homeoffice. Danke. Tina.

Dahinter ein lila Herzchen als Emoji.

Klar konnte Maike Klopapier mitbringen. Als Assistentin der kleinen, feinen Partneragentur Slow Happy in der Hamburger Rothenbaumchaussee war sie die Seele des Betriebs, und sie war stolz darauf. Tina hatte im vergangenen Juli während eines Slow Dating-Workshops auf der Bella Luna, einem Kreuzfahrtschiff, ihre große Liebe gefunden. Nun war Tina hochschwanger mit Zwillingen und führte seit Kurzem keine Workshops mehr durch. Nur deshalb durfte Maike nun zum ersten Mal mit Petros arbeiten. In den vergangenen Monaten hatte sie immer nur Tina assistiert. Sie vermutete stark, dass Tina ein Duo Petros/Maike bisher bewusst verhindert hatte.

Noch eine Nachricht auf dem Mobilteil. Wieder von Tina.

Für den Workshop am nächsten Wochenende hat sich noch jemand angemeldet, der passen dürfte. Er heißt Meinhard von Trems und sieht fantastisch aus. Um den werden sich alle Damen reißen. Wir sind also zum Glück doch noch voll!

Dahinter ein Daumen-hoch-Emoji.

Uh, das nächste Wochenende. Slow Dating mit zwölf Teilnehmer:innen in Schönau am Königsee. Tiefstes Bayern. Thema: Wanderdating. Das bewährte System aus Rollenspiel, gemeinsamer Aktivität, geselligem Beisammensein und zum Abschluss der berühmte Fragebogen des Dr. Arthur Aron. Garant dafür, dass sich zwei völlig Fremde ineinander verliebten, wenn sie bereit waren, ihn gemeinsam und ehrlich zu beantworten.

Im vergangenen Jahr hatte Tina ein Angebot der großen Partnervermittlung Valentine‘s abgelehnt, Slow Happy zu kaufen, und beschlossen, die Slow Dating-Seminare möglichst im Zweierteam zu begleiten.

Bis zu diesem schrecklichen Tag heute hatte sich Maike auf das Seminar am Königssee gefreut. Weil – da war ja immer diese Hoffnung. Ich werd‘ verrückt, wenn‘s heut passiert ... Der olle wahre Song von Nena ...

Und jetzt?

„Petros, du kannst mich mal. Diese Verliebtheit ist für mich beendet“, murmelte sie, und dann gleich noch einmal hinterher. „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

So, das wäre also geklärt.

Klare Verhältnisse waren ihr wichtig. Eindeutigkeit. Ehrlichkeit. Auch gegenüber sich selbst.

Eine Frau musste sich eingestehen können, wenn sie verloren hatte.

Oder war verloren nicht das richtige Wort?

Irgendwie fühlte es sich aber so an, als hätte sie einen Wettkampf verloren. Gegen die anderen Frauen, die Petros bevorzugte.

Die anderen Frauen. Mit einer davon lag er gerade im Bett oder auf dem Eisbärenfell oder stand mit ihr unter der Dusche und ... Nein, daran wollte sie gar nicht denken. Und außerdem hatte er gar kein Eisbärenfell. Oder? Schließlich war sie noch nie in seiner Wohnung gewesen.

Haare färben. In solchen Situationen half eine neue Haarfarbe. Murmel, murmel: „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

Maike schaute auf die Uhr. Es war halb acht. Keine Zeit mehr, sich um so etwas wie Colorationen zu kümmern. Wenn sie noch halbwegs pünktlich ins Büro kommen wollte, musste sie sich beeilen.

Als sie eine Viertelstunde später ihre Wohnung verließ, wurde gegenüber die Tür geöffnet.

Oh, nein! Petros!

Er trug Jeans, dazu ein rotes T-Shirt, Sneakers und wie üblich seinen kleinen schwarzen Rucksack. Er sah lässig und gut aus wie immer, und ihr Herz klopfte wild.

„Tschüs“, rief er nach drinnen. „Kaffeepulver ist im linken oberen Küchenschrank.“ Dann zog er die Tür zu und erblickte Maike.

„Hi, fahren wir zusammen?“, fragte er und wirkte so cool, als hätte er sie nicht gerade vor vierzig Minuten um Kondome gebeten.

„Nee, ich muss noch was besorgen“, antwortete sie und sprintete die Treppe hinunter. „Ich komme heute erst um zehn“, rief sie über die Schulter zurück, denn gerade hatte sie beschlossen, zum Friseur zu gehen. Schließlich hatte sie massig Überstunden abzufeiern. Und Petros konnte in der Agentur ruhig mal allein die Stellung halten.

Sie öffnete die Haustür und blinzelte in die Morgensonne. Murmel, murmel. „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

Blond, hatte sie entschieden. Gegen Liebeskummer half nur Blond. Und zwar sofort. Nicht selbst gemacht, sondern von einem Profi.

Sie nahm ihr Handy, rief die Friseurin ihres Vertrauens an und beobachtete dabei, wie Petros zu seinem Fahrrad ging. Er warf ihr einen fragenden Blick zu. Doch sie drehte ihm den Rücken zu und war froh, dass sich am Ende der Leitung jemand meldete.

„Salon Donna, was kann ich für Sie tun?“, fragte eine helle Frauenstimme.

„Sinem, hier ist Maike. Hast du Zeit für mich?“, fragte sie.

„Hm, jetzt gleich?“

„Ja, jetzt gleich.“

„Lass mich nachschauen. In zehn Minuten kommt Herr Behncke, aber den könnte ich an Ljudmila abtreten.“

Maike hörte sie blättern. „Bitte, bitte, Sinem. Es ist ein Notfall.“

„Na gut. Komm vorbei. Aber möglichst umgehend.“

„Du bist ein Schatz, Sinem. Ich bin in fünf Minuten da.“

Sie schwang sich aufs Fahrrad und trat kräftig in die Pedale. Es war zwar schon Mitte September, aber noch herrlich warm in Hamburg. Ihr kurzes weißblaues Batikkleid wehte bis über die nackten Oberschenkel hoch, und ihr langes braunes Haar mit den grünen Strähnen flatterte im Wind. Ihre Füße steckten in Birkenstocksandalen, und ihre Fußnägel waren grün lackiert. Wenn sie darauf geachtet hätte, dann hätte sie die anerkennenden Blicke männlicher Passanten bemerkt, doch sie war total fokussiert auf ihr Ziel, den Friseursalon Donna, entschlossen, ihren Willen zur Veränderung auch äußerlich sichtbar zu machen.

Um kurz nach zehn verließ sie den Friseur. Ihr hellblonder Bob mit der einen grünen Strähne wippte, und sie warf einen Blick ins Schaufenster. Ja, die neue Frisur verschaffte ihr definitiv neues Selbstbewusstsein. Beschwingt kaufte sie nebenan in der Drogerie eine Packung Toilettenpapier, klemmte sie auf den Gepäckträger, und radelte los. Eine Viertelstunde später betrat sie die kleine Partneragentur Slow Happy in der Rothenbaumchaussee. Eigentlich hätte sie ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil sie eigenmächtig freigenommen hatte, doch eine Notlage duldete keinen Aufschub. Sie ging zu ihrem Empfangstresen, schaltete den Computer ein und entsperrte das Telefon. Während sie ihre ebenfalls selbst entworfene und genähte Patchworktasche verstaute, hörte sie den Anrufbeantworter ab. Nur eine einzige Nachricht, und die war nicht wichtig. Kein Mensch telefonierte heutzutage noch übers Festnetz. Ihr Mailprogramm öffnete sich automatisch. Da sah es schon anders aus.

Ehe sie mit der Arbeit begann, ging sie in die winzige Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Doch die Kaffeemaschine war kalt, der Rest Kaffee in der Glaskanne eingetrocknet, und gespülte Tassen gab es auch nicht.

Alles musste man selber machen!

Seufzend kehrte sie zu ihrem Arbeitspatz am Fenster zurück, nahm drei Henkelbecher, die verschiedene Füllhöhen mit abgestandenem Kaffee aufwiesen, ging wieder in die Küche und spülte die Tassen. Dann schrubbte sie die Glaskanne, goss Wasser in den Behälter der Maschine und holte die Kaffeedose aus dem Küchenschrank.

„Neue Frisur?“

Maike zuckte beim Klang von Petros‘ Stimme zusammen und ließ die Kaffeedose fallen. Der Deckel sprang ab, und das Pulver verteilte sich großräumig auf dem Küchenfußboden. „Oh, nein!“

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte Petros. „Wo ist der Handfeger? Ich helfe dir.“

„Der ist hier unter der Spüle“, fauchte sie, und ihre Hände zitterten, als sie die Spülentür aufschob. Die klemmte. „Mist.“

„Lass mich mal“, meinte Petros, aber Maike ließ den Griff nicht los, so dass sich ihre Hände trafen.

Hektisch riss sie ihre Hand weg. Seine Nähe machte sie so nervös wie damals, als sie ihm hier bei seinem Vorstellungsgespräch das erste Mal begegnet war und ihm ein Glas Cola über die Hose gekippt hatte.

Sie atmete tief durch und wiederholte im Stillen ihr Mantra: Diese Verliebtheit ist für mich beendet.

„Nein.“ Warum kiekste ihre Stimme denn plötzlich? „Tu mir den Gefallen und geh raus. Ich mache das hier schon.“

„Wie du willst.“

Klang Petros leicht amüsiert? Immerhin verschwand er, und als sie sauber gemacht, endlich Kaffee aufgesetzt hatte und wieder zurück zu ihrem Tresen ging, stellte sie erleichtert fest, dass Petros die Tür zu seinem verglasten Büro im hinteren Teil der Agentur geschlossen hatte. Offenbar telefonierte er.

Ihr Mobiltelefon klingelte. Es war Tina.

„Hallo, Tina“, meldete sich Maike etwas atemlos.

„Was ist los?“, wollte ihre Chefin wissen. „Ich habe dir hunderttausend Nachrichten geschickt und dich zwei Mal angerufen.“

„Es ... es gab ein Malheur in der Küche“, sagte Maike.

„Ein Wasserschaden?“

„Eher ein Dachschaden“, antwortete Maike, ohne nachzudenken.

„Wie bitte?“, fragte Tina verständnislos.

„Ich meinte, ich habe einen Dachschaden“, erklärte Maike, riss sich zusammen und fügte hinzu: „Nein, Unsinn, ich habe Kaffeepulver in der Küche verteilt und musste putzen.“

„Egal“, sagte Tina. „Hör zu ...“

In den nächsten zehn Minuten bekam Maike verschiedene Aufgaben, die alle noch erledigt werden mussten, bevor sie morgen früh um sieben mit Petros gen Berchtesgaden aufbrechen würde. Und in den nächsten drei Stunden arbeitete sie diese und andere Aufgaben in ihrer bewährt zuverlässigen und kompetenten Art ab.

Während sie E-Mails beantwortete, Formulare verschickte, den Background von potenziellen Teilnehmer:innen an Slow Dating-Workshops checkte und mit Hotels, Reiseunternehmen und Dienstleistern telefonierte, kam Petros ein oder zwei Mal aus seinem Büro, um sich Kaffee zu holen. Normalerweise war sie es, die ihm den ersten Kaffee des Tages brachte. Um Kontakt herzustellen, seine Stimme zu hören, ihm ein Lächeln zu entlocken, ein Dankeschön. Immerhin hatte sie es heute geschafft, dieses Bedürfnis zu unterdrücken. Sie war nach dem Desaster noch nicht einmal in die Küche zurückgekehrt, um sich selbst Kaffee zu holen.

Während sie ihre Arbeit erledigte, murmelte sie immer wieder ihr Mantra vor sich hin. „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

Die Klientel von Slow Happy war im Durchschnitt nicht mehr ganz jung, wohlhabend bis reich, und sehr entschlossen, sich zum ersten Mal oder noch einmal zu binden. Tina hatte Maike den Kontakt von Meinhard von Trems geschickt. Laut Selbstauskunft lebte er in Nürnberg, war von Beruf Immobilienmakler, achtundfünfzig Jahre alt, geschieden mit einem Sohn aus erster Ehe. Maike gab seinen Namen bei einer großen Suchmaschine ein und fand einen Eintrag bei einem Businessnetzwerk sowie eine Homepage, die sehr exklusiv wirkte. Man konnte kein Menü aufklappen, um Angebote zu sehen, sondern wurde aufgefordert, sich direkt an den Geschäftsführer Meinhard von Trems zu wenden, der sich dann persönlich um geeignete Objekte bemühen würde. Daneben ein Foto des Inhabers. Tina hatte Recht. Er sah wirklich sehr gut aus. Wache blaue Augen hinter einer modischen Brille, silbergraues, dichtes, leicht gewelltes Haar, markantes Kinn, hohe Wangenknochen, ein gepflegter, graumelierter Bart. Sie klickte sich zurück zur Suchmaschine. Seitlich war noch etwas Interessantes. Das Foto einer romantisch wirkenden Burg auf einem Hügel. Trems in Thüringen. Mit Wappen, Entstehungszeit im vierzehnten Jahrhundert, neugotisch umgebaut im neunzehnten Jahrhundert. Ob Meinhard von Trems diese Burg gehörte?

Zufrieden mit ihrer Recherche schloss Maike den Browser und öffnete ihre Mail, um Tina eine Nachricht zu schreiben. Meinhard von Trems würde beim Slow Dating-Workshop definitiv punkten. Apropos Dating. Sie erinnerte sich an ihr Mantra und murmelte: „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

„Was brummelst du denn da die ganze Zeit?“

Abrupt wandte Maike den Kopf. Sie war so konzentriert gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, dass Petros herübergekommen war.

Sie hörte auf zu tippen. „Könntest du dich bitte nicht so anschleichen“, fuhr sie ihn an. „Du hast mich heute schon zum zweiten Mal erschreckt.“

So, besser aggressiv als liebebedürftig.

Sie war stolz auf sich.

Er hob beide Hände. „Sorry, ich kann ja nicht wissen, dass du heute so empfindlich bist. Kriegst du deine Tage?“

Normalerweise hatten sie einen lockeren Umgangston, der solche kleinen Frechheiten durchaus zuließ. Und normalerweise stand sie Petros darin in nichts nach.

Was sich neckt, das liebt sich.

Hatte sie gedacht. Oder gehofft.

Sie dachte an das rote Handtuch. An die Art, wie er „Kaffee ist im linken oberen Schrank“ zurück in die Wohnung gerufen hatte. Wo seine derzeitige Gespielin sich im Bett räkelte und darauf wartete, dass er irgendwann Feierabend machte und eines von Maikes Kondomen überzog, um mit ihr ...

„Das war ein sexistischer Kommentar“, sagte sie. „Lass das.“

„Okay, okay. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du mit mir Mittagessen gehst.“

Das taten sie oft. Auf eine schnelle Pasta. Oder einen Döner. Oder sie holten sich ein Sandwich und gingen eine Weile spazieren. Sie hatte diese Zweisamkeit immer genossen. Und gehofft, dass daraus mehr entstehen würde. Manchmal, beim Spazierengehen, hatten sich wie zufällig ihre Arme berührt. Oder ihre Blicke trafen sich sekundenlang, und sie meinte, in seinen Augen so etwas wie Zuneigung gelesen zu haben.

Beinahe hätte sie daher jetzt spontan ja gesagt. Zum Glück fiel ihr noch rechtzeitig ein, was sie sich vorgenommen hatte, und sie schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich muss die zwei Stunden von heute Morgen wieder aufholen.“

„Soll ich dir was mitbringen?“

Wieder schüttelte sie den Kopf.

„Willst du verhungern?“

Gegen ihren Willen musste sie lachen. „Unsinn. Bring mir ein Schokomuffin mit, wenn du eins triffst.“

Petros grinste. „Das hört sich schon mehr nach dir an. Also, dann bis später.“

Er winkte und verließ die Agentur. Durch die geöffnete Lamellenjalousie des Fensters, das ehemals ein Schaufenster gewesen war, ehe der große Laden als Büro umfunktioniert worden war, schaute Maike ihm nach. Seine Beine waren lang und durchtrainiert und formten ein leichtes O, was seinem Gang etwas Wiegendes verlieh. Sie hätte ihn an diesem Gang unter Tausenden erkannt.

Frustriert wandte sie sich ab und versuchte, sich wieder auf ihre Mail zu konzentrieren. Murmel, murmel. „Diese Verliebtheit ist für mich beendet.“

Doch irgendwie erschien ihr dieses Ziel mit einem Mal ziemlich unerreichbar.

Vergeblich zu hoffen, tat weh.

Aber diese Hoffnung ein für allemal aufzugeben, schmerzte noch viel mehr.

2. KAPITEL

Es war Freitagmorgen, zehn vor sieben, und Maike war nicht da.

Petros Meyer-Roussi stand auf Bahnsteig eins des Hamburger Dammtor-Bahnhofs, in Blue Jeans, brauner Lederjacke, gut eingelaufenen ledernen Wanderschuhen, einen kleinen Rollkoffer an der Hand. Langsam wurde er nervös. Der ICE nach München kam in wenigen Minuten, und wer fehlte, war Maike Schirmer. Er hatte vorgeschlagen, zusammen zum Bahnhof zu fahren, denn schließlich waren sie ja Nachbarn. Doch sie hatte abgelehnt, warum auch immer. Vor fünf Minuten hatte er sie angerufen, aber nur die Mailbox erreicht.

Wo steckte sie?

Sie hatten eine Platzreservierung und eine Zugbindung. Es war das erste Mal, dass er zusammen mit Maike einen Slow Dating-Workshop durchführen sollte. Abgesehen von dem Chaos auf ihrem Schreibtisch mit angebissenen Mettbrötchen, leeren Muffinhüllen, Kaffeetassen in verschiedenen Füllzuständen und lächerlich antiquierten Post-it-Notes am Computerbildschirm, war Maike die Zuverlässigkeit in Person.

„Am Gleis eins erhält jetzt Einfahrt ICE 610 nach München über Hannover, Göttingen, Fulda, Würzburg, Nürnberg, Ingolstadt. Die Wagen der ersten Klasse halten in den Abschnitten A und B, die Wagen der zweiten Klasse in den Abschnitten C bis F. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges.“

Petros schaute nach rechts und sah den weißen Zug um die Kurve biegen. Dann schaute er nach links und erstarrte, als er auf der Rolltreppe zuerst Maikes Kopf, dann ihren Oberkörper, dann den Rest von ihr erblickte. Ihr Mund war vom raschen Atmen leicht geöffnet, und ihr kinnlanges, frisch blondiertes Haar wippte, als sie hastig auf ihn zukam.

In den Händen hatte sie Wanderstöcke, die auf dem Fliesenboden des Bahnsteigstock, tock, tock machten. Sie trug nagelneue Funktionskleidung in anthrazitgrau, und obwohl der einfahrende Zug das pft, pft, pft, pft des aneinanderreibenden Hosenstoffs übertönte, nahm Petros es wahr. Auf Maikes Rücken saß ein riesiger Wanderrucksack, ebenfalls funkelnagelneu. Obendrauf eine blaue, zusammengerollte Isomatte, in einer flexiblen Seitentasche aus Mesh steckte eine blaue Trinkflasche aus Blech.

„Da bin ich“, keuchte sie, als sie Petros erreicht hatte. „Tut mir leid, die U-Bahn ist auf halbem Weg verreckt.“

„Am Gleis eins steht abfahrbereit der ICE nach München über ...“

„Los, einsteigen“, forderte Petros sie auf und nahm die am nächsten gelegene Tür. Maike folgte ihm. Sobald sie drinnen waren, wurden die Türen geschlossen.

„Uff, geschafft“, sagte sie und lehnte sich gegen die Wand.

Der Zug setzte sich in Bewegung und Petros schaute auf sein Mobiltelefon. „Welcher Wagen ist das hier?“

Maike schaute sich suchend um. „Keine Ahnung.“

„Ah, Nummer drei“, sagte Petros. „Unsere Plätze sind in Wagen sieben. Wir müssen uns beeilen. Am Hauptbahnhof wird es voll.“

Er ging voraus durch den über Weichen schlingernden Zug und hörte das Klappern, als Maikes Stöcke zu Boden fielen. Genervt verdrehte er die Augen. Der Zug war noch relativ leer, in den Waggons war es ruhig, und er konnte das pft, pft, pft, pft der aneinanderreibenden Hosenbeine von Maikes neuem Wanderoutfit jetzt nur zu gut hören. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Schließlich wollten sie ja nicht den Watzmann besteigen, sondern nur mit zwölf heiratswilligen Slow Datern ein bisschen am Königssee spazieren gehen. Klar, es nannte sich Wanderdating. Aber so wörtlich hätte sie das nicht nehmen müssen.

Kurz bevor der Zug in den Hamburger Hauptbahnhof einfuhr, erreichten sie endlich ihre reservierten Plätze. Petros verstaute erst sein Gepäck und half Maike dann beim Absetzen ihres Rucksacks.

„Was hast du denn da drin?“, fragte er, als er merkte, wie schwer das Ding war.

„Alles“, erwiderte Maike schlicht. „Willst du am Fenster sitzen?“

„Lieber am Gang. Da habe ich Platz für meine Beine.“

Der ICE bremste, und Maike taumelte gegen ihn.

„Sorry“, sagte sie, wurde rot und ließ sich auf ihren Sitz fallen. Gleich darauf stand sie wieder auf. „Ich muss nochmal an meinen Rucksack. Die Brötchen ...“

Innerlich seufzend holte Petros ihn wieder herunter und wartete, bis sie die Schnallen geöffnet und eine große Tüte vom Bäcker herausgeholt hatte. Dann nahm sie die Trinkflasche aus der Halterung am Rucksack. Mittlerweile drängten sich die zusteigenden Reisenden im Gang.

„Tut mir leid, bin gleich weg“, verkündete Maike, lächelte die Leute freundlich an und setzte sich wieder.

Petros verstaute ihren Rucksack erneut und quetschte sich dann auf seinen Sitz. Für Leute seiner Größe war die Bestuhlung im ICE einfach nicht gemacht, jedenfalls nicht in der zweiten Klasse.

„Hast du nichts zu essen dabei?“, fragte Maike.

Einen Moment war er irritiert. Es wurde ihm bewusst, dass er einfach angenommen hatte, Maike würde ihn mitverpflegen. Denn tat sie das nicht im Büro auch meistens? Maike, die Fürsorgliche. Maike, die stets um sein Wohl bemühte. Er hatte sich daran gewöhnt, dass sie ihm morgens als erstes einen Kaffee in sein kleines verglastes Kabuff in der Agentur brachte. Später brachte sie oft was Süßes vom Bäcker mit. Ab und zu machte sie zu Hause mit Spinat und Feta gefüllte Blätterteigtaschen und spendierte eine Runde für alle. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, als er daran dachte. Ihre Frage kam daher unerwartet. „Ich dachte, wir gehen nachher ins Zugbistro“, meinte er. „Auf Firmenkosten“, fügte er grinsend hinzu.

Sie wühlte in ihrer Papiertüte, und er nahm an, dass sie ihm gleich etwas anbieten würde. Doch sie holte nur ein belegtes Brötchen heraus und verschloss die Tüte wieder, ehe sie herzhaft in das lecker aussehende Brötchen mit Mortadella und Gewürzgurke biss. „Sobald ich im Zug sitze, muss ich was essen“, sagte sie mit vollem Mund und schaute aus dem Fenster, während sie über die Elbbrücke fuhren. „Guck mal, da ist die Elphi“, rief sie, verschluckte sich und hustete. „S..sorry“, krächzte sie, nahm ihre blaue Campingflasche, schraubte sie auf und trank. „So, wieder gut“, meinte sie und schraubte die Flasche zu.

Ihre Arme berührten sich auf der Lehne, und Maike rückte hastig von ihm ab. „Eng hier“, bemerkte sie und biss wieder in ihr Brötchen.

Sein Magen knurrte, aber sie schien es nicht zu bemerken. Wollte sie ihn verhungern lassen? Er hatte noch nicht gefrühstückt.

„Wie lange fahren wir bis München?“, wollte sie wissen.

Er schaute auf sein Smartphone und öffnete die Bahn-App. „Sechseinhalb Stunden.“

„Was machen wir so lange?“

„Ich schlage vor, dass wir die Liste der Teilnehmer:innen durchgehen und uns überlegen, welches Rollenspiel diesmal drankommt.“

„Prima, das haben Tina und ich auch immer so gemacht.“ Sie verzog reuig das Gesicht. „Mein Tablet ist im Daypack, und das ist im Rucksack.“

Das hatte er sich fast gedacht.

Er faltete sich wieder aus dem Sitz, wühlte das Gewünschte aus ihrem Gepäck, und gab Maike das Tablet. Sie klappte den Tisch herunter und legte es darauf. Ehe er den Rucksack wieder verstaute, fragte er: „Brauchst du vielleicht sonst noch was?“

Maike schüttelte stumm den Kopf und wirkte schuldbewusst. Als Petros wieder saß, hielt sie ihm die Tüte mit den Brötchen hin. „Wiedergutmachung“, murmelte sie.

Er griff zu und biss hungrig in ein Käsebrötchen. „Danke.“ So war er wenigstens zu seinem Frühstück gekommen ...

„Hat dir Tina von der Neuanmeldung berichtet?“, wollte Maike wissen. „Dieser von soundso?“

Petros nickte kauend und meinte dann mit vollem Mund: „Meinhard von Trems. Hört sich an wie aus einem anderen Jahrhundert.“

„Häuptling Silberlocke“, ergänzte Maike. „Die Damen werden sich gegenseitig die Augen auskratzen, um beim Dinner neben ihm sitzen zu dürfen.“

Gerne hätte Petros etwas zu trinken gehabt, um den Rest Brötchen runterzuspülen, doch er wagte nicht, Maike um einen Schluck aus ihrer funkelnagelneuen blauen Blechflasche zu bitten. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Nimmst du die Herren und ich die Damen?“

„Klar. Wer fängt an?“

„Ich. Herrn von Trems hatten wir ja schon.“

„Gut.“ Maike erlöste ihr Tablet aus dem Schlummer und suchte die Teilnehmerliste.

Petros holte einen Zettel und einen Bleistift aus der Innentasche seiner Lederjacke, entfaltete den Zettel und las vor. „Viola Frank, zweiundvierzig. Sie ist Finanzwirtin und kommt aus Oberfranken. Geschieden, keine Kinder.“

„Finanzwirtin? Was macht so jemand?“

„Geldanlage, vermute ich. Für Leute, die nicht wissen, wohin mit ihrer Kohle. Dafür bekommt sie Provision.“

„Und in dem Job lernt man niemanden kennen? Ich meine, um ihn zu daten?“

„Keine Ahnung. Was schreibt sie denn?“

Maike tippte auf das Foto von Viola Frank. „,Ich habe schlechte Erfahrungen mit Online-Dating gemacht und hoffe, beim Slow Dating jemanden kennenzulernen, der es nicht eilig hat, mit mir ins Bett zu gehen. Außerdem gefällt mir das Konzept mit dem Rollenspiel. Auf den Fragebogen des Dr. Arthur Aron bin ich gespannt. Ich habe darüber gelesen und würde mich freuen, wenn ich beim Slow Dating jemanden treffe, mit dem ich ihn beantworten möchte.‘“

„Hört sich sympathisch an“, sagte Petros. „Apropos Rollenspiel. Was sollen wir machen? Bioladen oder Aldi?“

„Hm, ist das nicht mittlerweile ein bisschen out of date? Schließlich gibt es bei Aldi mittlerweile fast alles auch bio“, wandte Maike ein.

„Vegan gegen Fleisch?“

„Finde ich interessanter. Und sehr aktuell.“

„Perfekt. Du bist dran.“

Maike tippte auf ein anderes Foto. „Professor Dr. Holger Hinterseer, Altphilologe. Lehrt an der Uni Erlangen. Er ist sechsundfünfzig und schreibt, er möchte sich nach dem Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin neu binden.“

„Zeig mal.“

Maike reichte ihm das Tablet.

„Keine Konkurrenz für Herrn von und zu, aber er sieht ganz interessant aus mit den vielen Lachfältchen. Die meisten männlichen Kandidaten lächeln auf ihren Fotos nicht, jedenfalls nicht die älteren. Der hier schon.“ Petros gab ihr das Tablet zurück und schaute auf seine Liste. „Agnes Wirth, sechsundfünfzig, Vertreterin für Tierbedarf.“

„Tierbedarf? Heißt das, Kauknochen für Hunde und Katzenstreu?“

„Keine Ahnung. Wie sieht sie aus?“

„Wo ist denn dein Tablet?“, fragte Maike.

„Ich habe nur meinen Laptop dabei, und der ist noch im Koffer. Komm schon, schieb rüber.“

Maike seufzte und baute ihr Tablet so auf, dass er den Bildschirm von seinem Platz aus gut sehen konnte. Dann tippte sie auf das Foto von Agnes Wirth, einer äußerst gepflegten Frau mit kurzem, leicht gelocktem braunen Haar, Bluse und Blazer, wertvoll aussehenden Ohrringen und einer Perlenkette. Agnes Wirth war dezent geschminkt und lächelte.

Petros streckte die Hand aus und scrollte nach unten. „,Ich bin vor allen Dingen in Osteuropa unterwegs, um hochwertige Accessoires für Haustiere zu vertreiben‘“, las er vor. „,Dabei bleibt mir wenig Zeit für die Partnersuche. Ich möchte jemanden kennenlernen, der unabhängig ist und kein Problem damit hat, dass wir uns nicht regelmäßig sehen können. Trotzdem soll es eine feste, dauerhafte Beziehung sein‘.“

„Könnte schwierig werden“, bemerkte Maike. „Aber schau mal, hier, dieser Hugo Froh. Er ist fünfundfünfzig und Pilot für privat gebuchte Maschinen. Der ist doch auch ständig unterwegs.“

„Was bedeutet, dass sie sich niemals sehen werden, weil sie keine gemeinsamen Termine finden. Für eine Beziehung finde ich das eher unattraktiv.“

„Was fändest du denn persönlich attraktiv?“, fragte Maike, ohne ihn anzusehen.

Petros dachte an Eva, mit der er in den vergangenen zwei Wochen wilde Nächte verbracht hatte. Konnte er sich eine Beziehung mit ihr vorstellen? Nein, eigentlich nicht. Dazu war sie ihm zu oberflächlich. Er zuckte die Achseln. „Weiß ich nicht so genau. Ständig aufeinander zu hängen ist definitiv nicht mein Ding. Aber eine Fernbeziehung möchte ich auch nicht. Ich glaube, wenn ich die Frau gefunden habe, mit der ich zusammen sein will, dann ergibt sich das ganz von allein.“

Maike erwiderte nichts und schaute kurz aus dem Zugfenster. Er folgte ihrem Blick. Sie fuhren durch die weite, langweilige niedersächsische Ebene. Ab und zu lagen Nebelfelder über den Septemberwiesen.

„Kaffee, Tee, kalte Getränke“, ertönte eine freundliche Stimme, und das Klappern des Servicewagens wurde hörbar.

„Möchtest du Kaffee oder Tee?“, fragte Petros. „Ich möchte mich für das Brötchen revanchieren.“

„Gerne einen Kaffee.“

Als der Servicemitarbeiter an ihrem Platz ankam, kaufte Petros zwei Becher Kaffee und gab einen Euro Trinkgeld.

Der junge Mann mit der roten Schürze lächelte. „Danke. Gute Fahrt noch.“ Dann schob er seinen Wagen weiter.

Petros reichte Maike den Becher. „Auf Slow Dating Alpenglühen“, sagte er und stieß mit ihr an.

„Hast du das gerade erfunden?“, fragte sie, nachdem sie an ihrem Kaffee genippt hatte.

„Nö, die Idee hatte ich schon letztes Jahr, als wir beschlossen haben, all unseren Seminaren romantische Titel zu verpassen. Bisher hatten wir halt bloß noch keinen Workshop in den Alpen.“

„Ich war noch nie in den Bergen“, bekannte Maike. „Immer nur in Norddeutschland. Meistens auf Föhr. Wenn überhaupt ...“

Das erklärte ihr neues, völlig übertriebenes Wanderoutfit ... „Was heißt, wenn überhaupt?“, hakte er nach.

„Meine Eltern haben immer nur auf den Nordseeinseln Ferien gemacht, weil mein Vater Allergiker ist. Und ich bin sowieso nicht mehr mitgefahren, seit ich fünfzehn war. Zu langweilig.“

„Was hast du in den Ferien gemacht?“

„Mit Punks abgehangen. Ich hatte jahrelang null Bock auf gar nichts. Wie ich mein Abi geschafft habe, kann ich dir nicht sagen.“

„Verstehe.“

„Glaube ich nicht. Und du?“, wollte sie wissen. „Wie hast du deine Ferien verbracht?“

„Ich war meist auf Karpathos, der griechischen Insel, von der meine Familie väterlicherseits stammt. In den Schulferien war ich oft ohne meine Eltern dort und habe meine Großeltern besucht. Sie wohnen in einem kleinen Dorf unterhalb des Kalí Limní. Das ist mit zwölfhundert Metern der höchste Berg der Insel. Den habe ich oft bestiegen. Und mit meinen Freunden bin ich auf Ziegenpfaden über die ganze Insel gewandert.“

„Das hört sich herrlich an.“

„Ist es auch.“

„Griechenland“, sagte sie verträumt und trank einen Schluck Kaffee. „Im Ausland war ich noch nie.“

„Warum?“

„Kein Geld. Ich bin mit Anfang zwanzig schwanger geworden und musste zusehen, dass ich über die Runden komme. Timo sollte ein echtes Zuhause haben und nichts entbehren müssen. Ganz gelungen ist mir das nie. Erst seit ich für Tina arbeite ...“

„Was ist mit Timos Vater?“ Petros hatte seinen Becher bereits geleert, knüllte ihn zusammen und steckte ihn in das Netz unten am Sitz.

„Wir waren nur ganz kurz zusammen, aber zum Glück verstehen wir uns gut. Er ist Libanese und liebt seinen Sohn. Mittlerweile ist er verheiratet und hat zwei weitere Kinder. Timo ist gern dort. Er gehört zur Familie.“

„Das ist bestimmt eine große Erleichterung.“

Maike nickte. „Machen wir weiter?“ Sie stellte ihren Kaffee ab und tippte auf ein Foto. „Hannelore Ostermann.“

„Neunundvierzig Jahre alt, Vorstandssekretärin“, ergänzte Petros. „Lebt in München.“

„Sie ist superattraktiv“, sagte Maike. „Wieso braucht die einen Dating-Workshop?“

Petros scrollte und las. „Sie hat vor einigen Jahren einen Schicksalsschlag erlitten und möchte sich dem Thema Dating nun ganz vorsichtig wieder annähern.“

„Aber sie schreibt nicht, was für ein Schicksalsschlag das war“, murmelte Maike, nahm ihren Becher wieder und trank.

„Leider nicht. Du bist dran.“

„Arthur Wellendorf, einundsechzig Jahre alt, Immobilienbesitzer und Privatier. Bildender Künstler. Das heißt, er hat es einfach nicht nötig zu arbeiten und macht Kunst.“ Den Becher in der linken Hand, suchte Maike mit rechts im Internet nach seiner Homepage. „Schau mal. Der ist durchaus international unterwegs.“

Petros betrachtete die großen, in allen Farben schillernden blasenähnlichen Gebilde, die in großen, weißgestrichenen Galerieräumen an den Wänden hingen oder auf dem Boden lagen. „Interessant“, meinte er grinsend.

„Voll interessant“, stimmte Maike mit ironischem Unterton zu, ehe sie wieder zur Liste zurückkehrte. „Er lebt übrigens in Garmisch. Also hat er es nicht weit.“ Sie stellte ihren Becher ab.

„Weswegen Slow Dating?“

„Er schreibt nur, dass er sich neu verlieben möchte und das Konzept interessant findet.“

„Okay. Dann weiter. Franziska Hammer, dreiundfünfzig Jahre alt, Unternehmerin. Inhaberin von Hammerbau, einer Kette, die Baustoffe verkauft. Nie verheiratet, ein erwachsener Sohn.“

„Guter Name für so ein Geschäft“, bemerkte Maike. „Hammerbau. Klingt wie von einer Werbefirma erfunden.“

Der Zug bremste, und Maike rettete ihren Kaffeebecher im letzten Moment vor dem Umkippen. Hastig trank sie aus und stopfte das Pappding in den kleinen Müllbehälter zwischen den Vordersitzen.

„Hannover“, sagte Petros.

„Schon?“

Er lachte. „Schon? Wir haben noch fünf Stunden vor uns bis München. Und dann noch weiter mit der Regionalbahn.“

Einige Reisende stiegen aus, neue stiegen zu. Gleich darauf fuhren sie weiter. Petros schielte auf Maikes Brötchentüte, doch wenn sie seinen hungrigen Blick gesehen hatte, so ignorierte sie ihn.

„Wen haben wir noch?“, fragte sie.

„Beata Kozlowsky, fünfundvierzig Jahre alt, Optikermeisterin mit mehreren Filialen. Sie wohnt in Augsburg, hat eine achtzehnjährige Tochter und ist verwitwet.“

„Polin, nehme ich an, dem Namen nach zu urteilen.“

Petros schaute sich das Profil an. „Geboren in Bayreuth. Also höchstens polnische Wurzeln. Was hast du noch zu bieten?“

„Sebastian Lösch, siebenundvierzig, hat eine Mietwäschefirma.“

Er runzelte die Stirn. „Mietwäsche? Kann man mit so was Geld verdienen?“

„Ich glaube schon. Krankenhäuser, Hotels, Pflegeheime. Das sind wohl seine Kunden. Und davon gibt es viele.“