Eine Welt zwischen Autismus und Borderline - Janina Bürger - E-Book

Eine Welt zwischen Autismus und Borderline E-Book

Janina Bürger

4,9

Beschreibung

Ist es möglich, die Gefühlswelt eines Asperger-Autisten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in einem Sachbuch zu veranschaulichen? Sie zu analysieren und zu kommentieren, ohne in ein Schubladendenken abzurutschen? Für die Autorin kam dies nie in Frage, weil die Welt, in der sie lebt, angefüllt ist mit chaotischen Widersprüchen und Selbstzweifeln. Dieses Buch bietet einen tiefen, sehr persönlichen Einblick in die verwirrende und oft sehr einsame Gefühlswelt eines „Borderline-Autisten“. Es schildert eindringlich das Seelenleben und die Probleme der Autorin und begleitet sie auf der Suche nach sich selbst. Dieses Buch ist eine Ansammlung von Erinnerungen, Gedankensequenzen, Gefühlen und Erfahrungen.

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Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Die Möglichkeit, das Leben schön zu empfinden, erscheint mir sinnvoller als

es so haben zu wollen, wie ich es mir schön vorstelle.... Was die

Wirklichkeit ist, kann man ja sowieso nicht erkennen.... Warum sollte man

sie dann nicht einfach so wahrnehmen, wie sie einem am besten gefällt?

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Asperger und Borderline, Fakten und Sichtweisen einer Betroffenen

…kurzer Rückblick in die Kindheit

Was ist ein SI / Spezialinteresse?

Kleptomanie, Sucht oder Zwang

Sensorischer Overload (kurze Beschreibung)

Shopping – Herausforderung durch taktile Reize

Probleme mit sozialen Kontakten und Regeln

Denken in Bildern und Episoden

Selektiver Mutismus oder: Wenn mein Hirn die Sprache blockiert

Alexithymie / Gefühlsblindheit

Stimmings und Stereotypen

Asperger- was ist das?

Somatoforme Beschwerden und mein Hyperventilations-Syndrom

Liste der Problematiken einer autistischen Frau

Borderline- was ist das eigentlich?

Vorurteile gegenüber Borderliner/innen

SVV- was ist das eigentlich?

Borderline und Asperger, wie passt das zusammen?

Gedanken.- und Gefühlswelt eines „Borderlineautisten“

Einblick in die Zeit meiner Jugend

Identitätsstörung: Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung

Depressionen und Ängste

Asperger Diagnose, erste Gedanken und Gefühle

Meine Welt in Bildern

Die Einsamkeit in mir

Wenn alles zu viel wird - eine Momentaufnahme

Trauma oder: das gespaltene ICH

Verlustangst, Verzweiflung, Erinnerungen… Gedankensalat

Die Leere

Minderwertigkeitsgefühle

Unplanbare Ereignisse oder: mein Gutachter-Termin

Verlustangst, krankhafte Mutterbindung

Das Chaos in mir, ein verwirrender Gefühlsbericht

Der Wunsch nach Kontakt

Freundschaften, Menschen, verwirrende Gedanken

Loslassen, ein Traum

Therapie: Ja oder Nein

Nachts, wenn ich schlafe, besuchen sie mich... Träume

Hausbesuch

Ich habe Gesellschaft…

Die Angst, mein Begleiter

Einer dieser Träume

Was ist Gewalt gegen Kinder? Folgen und Spätfolgen.

Körperliche Gewalt:

Seelische Gewalt:

Vernachlässigung:

Sexueller Missbrauch:

Formen sexuellen Kindesmissbrauchs

Statistik Kindesmissbrauch in Deutschland

Nachwort

Websites und Kontakte

Empfohlene Seiten zum Thema Asperger-Syndrom

Empfohlene Seiten zur Borderline Persönlichkeitsstörung

Empfohlene Seiten zum Thema Mutismus

Empfohlene Seiten zum Thema Alexithymie

Weitere Seiten

Quellen/Literaturangaben:

Vorwort

Mein Leben lang war ich auf der Suche. Auf der Suche nach dem fehlenden Puzzleteil. Schon als Kind spürte ich deutlich, wie sehr ich mich von den anderen Kindern unterschied. Meine Welt war die Natur, das nahe Erleben und Zusammenleben mit Tieren. Die Welt der Menschen war mir schon immer rätselhaft und fremd.

Das Asperger Syndrom wurde bei mir erst im Jahr 2012 mit 34 Jahren diagnostiziert. Vorher war ich bereits viele Jahre in psychiatrischer Behandlung und habe unzählige gescheiterte Therapieversuche hinter mir. Zusätzlich leide ich an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, begleitet von immer wiederkehrenden Depressionen.

Ich habe dieses Buch geschrieben, um mein Erleben mit anderen Menschen zu teilen und um ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine da draußen sind.

Ein Teil meiner Gedanken und Gefühle haben hier endlich ihren Platz gefunden. Es handelt sich um eine Ansammlung von Erinnerungen, Gedankensequenzen, Erfahrungen und Gefühlen.

Es ist chaotisch, voller Schmerz, aber auch voller Hoffnung.

Asperger und Borderline, Fakten und Sichtweisen einer Betroffenen

…kurzer Rückblick in die Kindheit

Ich bin im Jahre 1978, als drittes Kind meiner Eltern, in Berlin geboren. Wirklich aufgewachsen bin ich aber nur mit meiner knapp zwei Jahre jüngeren Schwester, denn meine Eltern ließen sich 10 bzw. 13 Jahre Zeit, bis sie sich für einen "Nachzügler", also mich entschieden.

Laut der Aussage meiner Mutter war ich schon immer sehr anstrengend, denn ich war ein sogenanntes "Schreibaby". Man konnte mich nur sehr schwer beruhigen, so dass ich meinen Eltern viele schlaflose Nächte bereitete, in denen sie nachts mit mir Auto fuhren oder mit dem Kinderwagen unendlich viele Male den Flur auf und ab liefen.

Im Kleinkindalter fingen meine ersten "Wutausbrüche" an; wenn man mich beim Spielen unterbrach oder ich irgendetwas so gar nicht wollte, bin ich derart wütend geworden, dass ich meinen Kopf immer und immer wieder gegen die Wand oder auf den Boden schlug. Gerade draußen war das sehr schlimm, und ich hatte oft blutige, blaue Beulen auf meiner Stirn.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine dieser Szenen: Meine Mutter wollte eilig den Spielplatz verlassen, während ich gerade damit beschäftigt war, eine Sandburg zu bauen. Sie packte mein Buddelzeug zusammen, verstaute alles in meinem fahrbaren Buddeleimer in Fischform, den ich immer hinter mir her zog, und wollte los. Ich verstand die Welt nicht mehr und fing laut an zu schreien. Meine Mutter versuchte, mich auf den Arm zu nehmen, aber ich machte mich schwer und steif, ich zappelte und schlug um mich, bis sie aufgab und mich wieder auf meine eigenen Füße stellte. Mein Unverständnis und meine Wut darüber, dass sie mich im Spiel unterbrach, waren so enorm groß, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit mir, und meinen Kopf mit voller Wucht auf den gepflasterten Gehweg schlug.

Ich war so in Rage, dass ich keinen Schmerz spürte, sondern nur fühlte, wie mir plötzlich Blut ins Gesicht lief. Vor lauter Schreck schrie ich nur noch lauter. Meine Mutter nahm ich erst wieder wahr, als das Wort "Krankenhaus" zu mir durchdrang. Meine Erinnerung reicht nur bis zu diesem Punkt. Aus ihren Erzählungen weiß ich aber, dass sie tatsächlich mit mir ins Krankenhaus fuhr, um die Wunde versorgen zu lassen und mich gegen Tetanus impfen zu lassen.

Mit circa 3 Jahren fing ich dann an, mir die Haare auszureißen (Trichotillomanie); dieses Verhalten hielt bis weit in die Schulzeit hinein an, und teilweise hatte ich viele kahle Stellen an meinem Hinterkopf. Da ich die Haare kurz trug und einen wilden Lockenkopf hatte, ist das anderen Menschen glücklicherweise erst bei genauer Betrachtung aufgefallen. Ich formte die ausgerissenen Haare zu kleinen "Spinnen", um dann stundenlang damit zu spielen. Neben meinem Bett saß eine ganze Armee von ihnen, in verschiedenen Größen, fein säuberlich angeordnet. Der gesamte Ablauf war für mich sehr beruhigend, und noch heute "spiele" ich zur Beruhigung mit meinen Haaren und zwirbele sie fest auf dem Kopf zusammen, um eine gewisse Spannung zu erzeugen, die mir gut tut. Schmerzen spüre ich auch hier keine, ein fester Griff in meine Haare ist für mich viel mehr ein sehr angenehmes Gefühl.

Den Erzählungen zufolge konnte ich sehr früh sprechen, hatte einen großen Wortschatz und wirkte wie eine "kleine Erwachsene". Wenn ich etwas durchsetzen wollte, wurde ich zur "Schallplatte" mit Sprung. Ich wiederholte immer und immer wieder denselben Satz. Jeder Versuch, mich umzustimmen oder abzulenken, schlug fehl, und ich gab erst dann Ruhe, wenn ich mein Ziel erreicht hatte. Meine Eltern standen mehr als einmal am Abgrund der Verzweiflung, da ihnen im Grunde nichts anderes übrig blieb als nachzugeben. Meine Mutter sagte vor kurzem zu mir, dass alles nach meinen Regeln laufen musste und sie nie gegen mich ankam. Nicht sie habe mich erzogen, sondern ich sie.

Die größeren Probleme fingen mit meiner Einschulung an. In der Vorschule gelang es mir nicht, mich im Schulalltag zurechtzufinden. Ich fand keinen Anschluss, redete mit niemandem, und trotz aller Bemühungen war ich nicht in der Lage, zu verstehen, was von mir erwartet wurde.

Ich konnte jedoch ohne große Anstrengung stundenlang malen oder mich alleine beschäftigen. Diese Fähigkeit wurde allerdings wenig wertgeschätzt, und man forderte von mir, mich mehr in den „Klassenverband“ einzubringen.

Meine damalige Lehrerin hielt mich aufgrund meines Verhaltens für sehr unreif und schlug vor, mich noch ein weiteres Jahr die Vorschule besuchen zu lassen. Glücklicherweise haben sich meine Eltern dagegen entschieden und konnten mit dem, was die Lehrer über mich sagten, auch nicht viel anfangen. Zu Hause war ich nämlich nicht so ruhig und legte ein völlig anderes Verhalten an den Tag.

Ab der ersten Klasse kam ich etwas besser zurecht, es gab klare Regeln, und die nahm ich sehr ernst. Im sozialen Bereich hatte ich aber nach wie vor enorme Schwierigkeiten. Ich war nicht in der Lage, Blickkontakt herzustellen, geschweige denn, diesen aufrecht zu erhalten. Meine Möglichkeiten in der Kommunikation waren sehr begrenzt, nur mit wenigen Kindern war es mir überhaupt möglich, ein Gespräch zu beginnen oder in Gang zu halten. Wichtige Voraussetzung hierfür waren natürlich gemeinsame Interessen.

Lehrer, außerhalb des Klassenraums, jagten mir Angst ein, und es war für mich nahezu unmöglich, mehr als einsilbig auf ihre Fragen zu reagieren.

Sobald die Schulglocke läutete, begann für mich der größte Stress: die Pause. Die vielen lauten Kinder, die unkoordiniert auf den Pausenhof stürmten, dabei schubsten und drängelten, überforderten mich.

Es bildeten sich überall kleine Grüppchen, und ich war jedes Mal unsicher, zu wem ich mich gesellen sollte. Meine Hilflosigkeit führte dazu, dass ich gehäuft versuchte, die Hofpause im Klassenraum zu verbringen und irgendwelche Aufgaben zu erledigen. Leider war dies, seitens der Lehrer, nur selten möglich. Da ich mich immer öfter weigerte, den Klassenraum zu verlassen, wurde versucht, gemeinsam mit meinen Eltern eine Lösung für dieses „Problem“ zu finden. Erfolglos!

Es gab damals einen Jungen, Daniel, er schien mich zu mögen und begleitete mich auf dem langen Weg durch die Grundschulzeit. Ohne davon zu wissen, war er mir eine große Stütze. Ich habe sein Verhalten genau beobachtet und es einfach kopiert. Durch seine Anwesenheit wurden die Pausen erträglich, ich musste mich einfach nur in seiner Nähe aufhalten. Schlimm wurde es nur, wenn er mal krank war und deshalb nicht zur Schule kam. Ich geriet völlig aus dem Gleichgewicht, hatte Angst und war extrem angespannt. Ohne ihn kam ich mir hilflos vor und wusste nicht, wie ich in den verschiedensten Situationen des Schulalltags zu reagieren hatte.

Da ich mir bereits früh angewöhnt habe, nett zu grinsen, wenn ich unsicher wurde und nicht wusste, wie ich zu reagieren hatte, war ich im Grunde recht beliebt. Ich weiß nicht, ob es wirklich daran lag, aber meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Menschen das sympathisch zu finden scheinen. Ich wurde des Öfteren zu Geburtstagen eingeladen, und da ich eine sehr gute Schülerin war, hielten mich auch die Eltern meiner Klassenkameraden für guten Umgang.

Nach und nach brachte ich mich jedoch selber in die Rolle des Außenseiters. Ich folgte den Geburtstagseinladungen nicht und lud auch selber keine Klassenkameraden zu mir nach Hause ein. Wozu auch, ich hatte ja immerhin eine kleine Schwester, und ehrlich gesagt hat die mir auch schon gereicht!

Telefonisch war ich nicht erreichbar, denn ich entwickelte bereits sehr früh eine deutliche Abneigung dagegen, mich mit Menschen zu unterhalten, die ich nicht sehen konnte. Es kostet mich viel Mühe, herauszufinden, wann ich damit an der Reihe bin, etwas zu sagen. Gesprächspausen verwirren mich sehr, und durch dieses Rätselraten bin ich nicht mehr in der Lage, dem Gespräch einen Inhalt zu entnehmen. Wenn es nicht gerade ein rein faktenbasiertes Telefonat ist, welches mich erwartet, so vermeide ich es bis heute.

Auch nach Schulschluss ließ die Anspannung erst mal nicht nach, denn ich hatte alle Aufgaben im Kopf, die noch abgearbeitet werden mussten. Sobald ich zu Hause war, fing ich an, meine Hausaufgaben zu machen.

Ich wollte nicht essen, nicht reden, mir nichts angucken, sondern einfach nur in Ruhe meine Arbeit erledigen. Es war wie ein Zwang, eine Pflicht die ich unbedingt erfüllen musste, und solange ich nicht fertig war, konnte ich mich auch auf nichts anderes mehr konzentrieren. An ein gemeinsames Mittagessen war nicht zu denken, und meine Mutter hat einige Zeit gebraucht, um sich daran zu gewöhnen, dass ich einfach nicht zur Ruhe kam, solange noch unfertige Aufgaben vor mir lagen.

Mit acht Jahren, als ich die dritte Klasse besuchte, bekam ich einen starken Ordnungszwang.

Mein Zimmer war damals mit einem beigefarbenen Veloursteppich ausgelegt, den ich circa 20-mal am Tag saugte, es war das Erste, was ich morgens tat, und das Letzte am Abend, bevor ich zu Bett ging. Da mein Vater im Schichtdienst arbeitete und das Schlafzimmer im Haus direkt unter meinem lag, gab es häufig Streit.

Ich saugte immer gerade Spuren, hell, dunkel, hell, dunkel, und wenn jemand auch nur versehentlich mein Zimmer betreten hat, ist für mich innerlich eine Welt zusammen gebrochen und ich bin heulend und schreiend ausgeflippt. Ich stand immer an einem bestimmten Punkt in meinem Zimmer und blickte in den Raum, alles musste symmetrisch sein, und so rückte ich Schrank und Bett etwas von der Wand ab, damit ich gerade Linien erkennen konnte. Bücher und alles, was sich sonst noch so in meinem Zimmer befand, wurden nach Größe und Farbe sortiert. Bücher mussten mit Kanten abschließen, und alle Gegenstände, die nicht symmetrisch waren, verschwanden aus meinem Blickfeld. Es durfte nirgends auch nur ein Staubkorn zu sehen sein, alles hatte seine Ordnung und seinen festen Platz in meinem System. Dieser Zustand begleitete mich ungefähr zwei Jahre lang. Irgendwann war es kaum noch auszuhalten, mein Tag war von dem Gefühl begleitet, dass in meinem Zimmer das Chaos herrschte, von der Angst, dass es jemand betrat und Spuren hinterließ oder irgendetwas verstellte.

Die Last war so groß, dass ich alle Regale leer räumte und sich in meinem Zimmer nicht mehr befand als ein Bett, ein Schrank und ein Stuhl. Selbst hier brachte es mich an den Rand der Verzweiflung, dass nicht alles vollständig symmetrisch war. Jetzt musste sogar das Laken vom Bett, denn das warf Falten, völlig egal, wie gerade man es zog! Ich saugte immer öfter, und irgendwann viel mir im Sonnenlicht Staub auf, der in meinem Zimmer herumflog. An dem Punkt bin ich innerlich komplett zusammen gebrochen und musste erkennen, dass es dieses „Perfekt“, welches ich anzustreben versuchte, nicht gibt! Nirgends!

Ich tauschte mit meiner Schwester das Zimmer, ein Zimmer, das für mich dann auch deutlich besser geeignet war. Der Boden war unempfindlich, kein Velours, und man konnte keine Fußspuren darauf erkennen. Durch den Schnitt des Zimmers war auch irgendwie alles "gerade“! Zumindest für mich!

Mein großes Interesse galt den Tieren, ich war fasziniert von ihnen, und nachdem ich meine Zwänge weitestgehend ablegen konnte, wurde aus dem einst so akkurat geordneten Zimmer nach und nach ein kleiner Zoo. Aus dem Nest gefallene Vögel, kranke Mäuse, Igel und Co. fanden den Weg zu mir nach Hause.

Ich verbrachte viel Zeit damit, „Fallen“ zu bauen, und zeigte unendlich viel Geduld, wenn es darum ging, auf der Lauer zu liegen, um ihre Funktion zu testen.

Am liebsten verbrachte ich meine Zeit im Zooladen. Dort kaufte ich mir viele verschiedene Kleintiere, vom Hamster übers Streifenhörnchen bis hin zum Kaninchen. Nicht zu vergessen, dass zu jedem Tier der passende Ratgeber her musste.

Zu Hause warteten außerdem noch Hund und Katze darauf, dass ich mich um sie kümmerte. Die Verantwortung für all die Tiere lag komplett bei mir, das war die Voraussetzung dafür, dass meine Mutter meinem neuen Hobby überhaupt so viel Raum bot.

Abermals war es so weit, dass alle Gegenstände in meinem Zimmer, in Kisten verstaut, den Weg in den Keller fanden. Diesmal war aber nicht der Zwang Schuld, ich brauchte schlichtweg den Platz für die vielen Käfige samt Zubehör. In meinem Zimmer roch es nach Heu, nach Tieren, und es gab nur noch einen „Trampelpfad“, der mir meinen Weg zum Bett ebnete.

Das war meine Welt! Tiere zu beobachten, sie zu studieren und mir alles an Wissen über sie anzueignen, was ich bekommen konnte. Ich fing an, nach Zeitungsartikeln zum Thema zu suchen, nach neuesten Erkenntnissen, und füllte so Ordner um Ordner.

Bis heute liebe ich Tiere, neige aber dazu, sie zu meinem Lebensinhalt zu machen und alles andere dabei zu vergessen und zu vernachlässigen (Spezialinteresse). Im Grunde ist es völlig egal, was genau gerade meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich gehe meinem Interesse immer sehr extrem nach. Mir tut das gut, für meinen Partner oder damals für meine Mutter ist/war das eher belastend. Meine Welt kreist nur noch um dieses eine Thema!

Außerdem habe ich als Kind phasenweise viel Zeit damit verbracht, zu lesen, zu malen und zu schreiben. Medizin- und Psychologie-Bücher waren für mich am interessantesten, bis heute faszinieren mich der Mensch, sein Körper und seine Psyche. Als noch viel spannender empfinde ich das Zusammenspiel! Nach und nach verschwanden aus dem Bücherregal meiner Eltern all die dicken Wälzer, die mit Informationen über den Menschen gefüllt waren.

Was liegt näher, als sich mit der Psyche der Menschen zu beschäftigen, wenn man sie in der realen Welt so wenig versteht?

Mit zehn Jahren fing ich an, Tagebuch zu schreiben, allerdings weniger in der Form, dass ich aufschrieb, was ich alles erlebte, sondern vielmehr versuchte ich, Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Ich suchte schon immer nach Worten für Gefühle, die irgendwie keinen Namen zu haben scheinen und die ich schon gar nicht mit gesprochenen Worten beschreiben konnte. Ich empfinde so viel, und es gibt so wenig Worte, die ich mit diesen Gefühlen in Verbindung bringen kann.

Mit dem Beginn der Oberschule wurde dann alles nur noch schlimmer, ich bekam weitere Zwänge, und in der Schule kam ich mit Lehrern und Schülern gar nicht mehr zurecht. Der Wechsel machte mir schwer zu schaffen, und nach einigen Mobbing-Erfahrungen, Schulpsychologen und Co. durfte ich nach eineinhalb Jahren Horror die Schule wechseln. Von Real auf Gesamt.

Mein Leben war völlig aus den Fugen geraten, ich fand nirgends Halt, und es folgten schlimme Jahre, in denen auch Drogen eine große Rolle spielten. Aus einer Einser/Zweier-Schülerin wurde eine Schulverweigerin. Mein Zeugnis war geschmückt von Sechsen. Es gab nur zwei Fächer, die ich ganz gerne mochte und bei denen ich zumindest ab und an mal vorbeischaute: Kunst und Mathe...hier standen dann, trotz der Fehlzeiten und meiner immer katastrophaler werdenden Lebensumstände, immerhin Zweien auf dem Zeugnis. Das sah fast schon witzig aus, ein schöner Kontrast.

Ich habe hier mal versucht, Probleme zu schildern, die schon immer da waren. Am schlimmsten davon ist die Tatsache, dass ich nicht mit anderen Menschen umgehen kann! Früher fand ich alle um mich herum merkwürdig, irgendwann erkannte ich, dass ich wohl merkwürdig bin.

Damals dachten alle, ich sei schüchtern, und noch heute hält man mich für zurückhaltend, zumindest fremde Menschen empfinden das wohl so. Ich selber bin eigentlich nicht schüchtern, zumindest ist mir das Wort dafür zu einfach. Ich muss erkennen, dass ich sozial schlichtweg unfähig bin! Ich habe lange überlegt, versucht, mich an verschiedene Situationen zu erinnern und mich gefragt: Hast du dich nicht getraut, etwas zu sagen oder wusstest du einfach nicht, was du sagen sollst? Mir ist klar: Ich wusste nicht, was ich sagen soll, ich wusste nicht, wie ich mich verhalten soll, und ich verstehe häufig auch nicht, was man von mir überhaupt will! Der Kontakt mit Menschen ist für mich extrem anstrengend, da ich permanent rätseln und schauspielern muss und mich immerzu frage, was ich als nächstes zu tun, oder wie ich zu reagieren habe.

Wie bereits erwähnt, habe ich mir schon als Kind angewöhnt einfach, nett zu grinsen. Bin ich unsicher, weiß ich nicht weiter: Janina grinst. Schwierig wird es nur dann, wenn man mir doch mal sein Herz ausschütten möchte und ich, vor lauter Unsicherheit, am liebsten lächeln würde. Es fordert meine gesamte Konzentration, mein Gesicht nicht entgleisen zu lassen und meine Mimik zu kontrollieren. Ich bin dann so mit mir beschäftigt, dass ich schwer auf andere Menschen eingehen kann. Egal, wie sehr ich es mir wünsche, ich weiß nicht wie! Das ist sehr anstrengend! Ich hätte gerne für solche Situationen, ja am besten für alle Situationen, in denen ich menschlichen Kontakt habe, ein Handbuch, welches mir genau erklärt, was ich zu tun habe. Mir fehlt es nicht an Mitgefühl, im Gegenteil ich kann großes Mitgefühl empfinden. Nur nicht spontan, in der richtigen Situation und mit dem passenden Verhalten dazu. Mir wurde schon oft unterstellt, ich sei gefühlskalt, das ist traurig, denn davon bin ich meilenweit entfernt!

Was ist ein SI / Spezialinteresse?

Autistische Menschen haben oft sehr ausgeprägte Interessengebiete, die sie sehr faszinieren und daher auch Spezialinteressen genannt werden. Viele Betroffene verfügen in diesen Gebieten über enormes Fachwissen und sprechen ständig oder immer wieder über ihr Interesse (egal, ob es den anderen interessiert oder nicht).

Bei mir sind es zurzeit Katzen. Ich verbringe viele Stunden am Tag damit, mich mit den verschiedenen Katzenrassen auseinander zu setzen. Mich interessiert hier vor allem das Thema Genetik. Zusätzlich habe ich permanent das Bedürfnis, die verschiedenen Katzenrassen auch in natura kennen zu lernen, um ihre Verhaltensmerkmale zu studieren und Unterschiede in Wesen, Verhalten, Territorialverhalten etc. ausfindig zu machen. Angetan haben es mir insbesondere die Abessinierkatzen, die Somali (Halblanghaar-Abessinier), Burmesen und Tonkanesen, die ursprünglich aus einer Burma/Siam Verpaarung stammen. Für mich sind das die absoluten Menschenkatzen, sie faszinieren nicht nur durch ihr anmutiges Erscheinungsbild, sondern insbesondere durch ihr Wesen! Besonders mag ich die Abessinier in ruddy (wildfarben), Burmesen in chocolate und die Britisch-Kurzhaar- Katze in der tollen Farbe cinnamon.

Durch die viele Zeit, die dieses SI vereinnahmt, passiert es recht häufig, dass man sich isoliert und vereinsamt! Besonders traurig finde ich es, dass ich niemanden finde, der mein Interesse und meine Begeisterung mit mir teilt. Wenn ich meinem Freund freudestrahlend von einer neuen Entdeckung berichte, ernte ich bestenfalls ein müdes Lächeln, schlimmstenfalls ist er einfach nur genervt, da es für mich kein anderes Thema zu geben scheint!

Die Spezialinteressen bleiben oft über einen langen Zeitraum bestehen, viele habe ihr SI seit ihrer Kindheit. Manchmal ist es aber auch so, dass man mehreren Interessen intensiv nachgeht, sie wechseln oder neue entstehen bzw. hinzukommen. Bei mir gab es mal eine Zeit, in der ich jedes Psychologie-Buch, in dem es um Persönlichkeitsstörungen oder Persönlichkeitsprofile ging, quasi aufgesaugt habe. Mein Tag bestand eigentlich nur noch daraus, mir jegliches Wissen, welches ich dazu bekommen konnte, "rein zu schaufeln". Dann wieder gab es eine Zeit, in der ich tagtäglich damit beschäftigt war zu malen, und alleine das Anschauen der Farben mir innerlich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit vermittelte.

Es kommt vor, dass ein SI zwanghafte Züge annimmt. Zumindest wirkt es oft auf Außenstehende so, oder, was noch schlimmer ist, es wird einem eingeredet. Manchmal fühle ich mich dann schlecht, weil ich so viel Zeit in mein "Hobby" investiere und scheinbar alles andere vernachlässige. Durch den dadurch entstehenden Druck gehe ich meiner Beschäftigung allerdings nur noch intensiver nach!

In aller Regel ist es jedoch so, dass ein SI einen beruhigenden, ja, erfüllenden Charakter hat.

Wenn der Alltag stressig ist und mir einfach alles zu viel wird, dann ziehe ich mich zurück und beschäftige mich mit meinem Hobby; damit meine ich, dass ich Wissen sammle und in meinem Kopf fein säuberlich ordne. Manchmal reicht es auch schon, mir Fotos der verschiedenen Katzenrassen anzusehen, um mein Stresslevel herunter zu fahren.

Mir gibt das ein Gefühl von Sicherheit und Zufriedenheit, es fühlt sich an wie eine eigene kleine Welt, in die ich abtauchen kann und in der alles genau so ist, wie ich es mir vorstelle und brauche! Ein Leben ohne mein Hobby, mein Interesse ist für mich undenkbar.

Es gab und gibt allerdings auch immer wieder Phasen, da war/ bin ich so depressiv, dass ich keinem SI nachgehen kann. Zeiten in denen mich nichts mehr in Beschlag nimmt und ausfüllt. Das sind Zeiten, in denen die immer wieder erwähnte Leere in mir unerträglich wird und mir komplett der Halt fehlt.

Ich brauche diese Beschäftigung als Ausgleich, um ein Stück weit wieder zu mir zu finden... und ganz wichtig:

BITTE NICHT STÖREN!

Kleptomanie, Sucht oder Zwang

Das erste Mal gestohlen habe ich bereits als Kind. Damals waren es kleine Dinge wie Kaugummis oder mal ein Eyeliner. Um ehrlich zu sein, habe ich es nie als unrecht empfunden, immerhin hat sich sogar meine Mutter über die kleinen Geschenke gefreut, die ich für sie ergaunern konnte. Lass dich bloß nicht erwischen, war ihr einziger Ratschlag an mich.

In meiner Jugend, mit circa dreizehn Jahren, gab es dann erneut eine kurze Phase, in der ich häufig gestohlen habe; hier war es aber viel mehr so, dass ich mich von meiner damaligen Klassenkameradin habe mitreißen lassen. Eines Tages kam dann, was kommen musste: Man ertappte uns auf frischer Tat. Meine Freundin hatte es übertrieben und sich ihre Tasche mit Parfüm und Schminkutensilien regelrecht vollgestopft. Ich habe mich an diesem Tag nicht getraut etwas mitzunehmen, ich fühlte mich beobachtet und war auf Flucht eingestellt. Als meine Freundin genug hatte, gab sie mir ein Handzeichen, und ich lief langsam in Richtung Ausgang. Draußen angekommen, fiel die Anspannung von mir ab und ich war erleichtert. Wir marschierten in Richtung U-Bahnhof, als zwei Männer uns dazu aufforderten, stehen zu bleiben. Ich war wie gelähmt und ahnte was jetzt kommt. Immer wieder sagte ich mir innerlich: Keine Angst, du hast nichts getan…du hast nichts getan! Aber wie heißt es so schön: mitgegangen, mitgehangen. Die zwei Kaufhausdetektive führten uns in einen abgelegenen Raum und riefen die Polizei. Nach einem längeren Prozedere fanden wir uns auf dem Revier und in einer Ausnüchterungszelle wieder. Man versuchte, unsere Eltern zu erreichen, was den Herren in meinem Fall zuerst