Eines jeden Kreuz - Malachy Hyde - E-Book
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Eines jeden Kreuz E-Book

Malachy Hyde

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Beschreibung

Ein verzwickter Fall für das sympathische Ermittler-Trio: Der historische Krimi »Eines jeden Kreuz« von Malachy Hyde jetzt als eBook bei dotbooks. Wein, Weib und … Totschlag? Im Jahre 41 vor Christus hält eine Gaunerbande mit ihren Tavernen-Überfällen die Stadt Ephesus in Atem. Silvanus Rhodius, Gefolgsmann von Marcus Antonius und ehemals bester Ermittler Roms, möchte damit eigentlich nichts zu tun haben … doch als dann auch noch die Leiche eines bekannten Schriftgelehrten gefunden wird, kann er sich nicht länger drücken. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Verbrechen – und sind die drei Verdächtigen, die eilig verurteilt und ans Kreuz geschlagen werden, wirklich die Täter? Die schlauen Freundinnen Laelia und Illica lassen nicht zu, dass Silvanus die Ermittlungen einstellt, denn sie verbindet mehr mit dem Toten, als ihnen lieb ist … »Die Figuren – historische wie fiktive – sind glaubhafte Charaktere, deren Beziehungsnöte und Lebenslügen verblüffend gut ins 21. Jahrhundert passen. Die originelle Sprache und der oft ironische Tonfall tun ein Übriges: ›Eines jeden Kreuz‹ ist die beste Zeitreise, die ich seit langem unternommen habe.« Bestseller-Autorin Rebecca Gablé Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Eines jeden Kreuz« von Malachy Hyde ist der zweite historische Kriminalroman um Silvanus Rhodius, den Hercule Poirot der Antike, und seine überaus schlauen Partnerinnen Illica und Laelia; jeder Band der Serie kann unabhängig von den anderen genossen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 711

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Über dieses Buch:

Nicht schon wieder eine Leiche! Kleinasien im Jahre 42 vor Christus. Er war der beste Ermittler Roms – nun hat Silvanus Rhodius genug von Mord und Totschlag: Ein ruhiger Verwaltungsposten im Gefolge des großen Marcus Antonius, mehr braucht er nicht zum Glück. Aber schon kurz nach seiner Ankunft im Osten des römischen Reichs stolpert er bei einer Wallfahrt über einen Toten. Und weil es sich ausgerechnet um einen Priester des Apollon-Tempels handelt, bleibt Silvanus keine andere Wahl: Er muss erneut auf Mörderjagd gehen. Unerwartete Hilfe bekommt er dabei von den Freundinnen Laelia und Illica … doch warum, beim Zeus und allen Furien, scheinen diese ungehörig schlauen Frauen ihm oft einen Schritt voraus zu sein?

»Ein aufregender Kriminalfall, atmosphärisch dicht, spannend und brillant erzählt, voller überraschender Einfälle und sehr nah an den historischen Quellen. Und eben einmal ganz anders als alle Krimis, die wir kennen.« Kölnische Rundschau

Über die Autorinnen:

Malachy Hyde ist das Pseudonym des Autorenduos Karola Hagemann und Ilka Stitz.

Karola Hagemann, Jahrgang 1961, studierte Geschichte, Anglistik und Diplompädagogik und arbeitet heute bei der Polizei Niedersachsen; sie lebt in Hannover. Ilka Stitz, Jahrgang 1960, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und klassische Archäologie und arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Künstlerin; sie lebt in Köln. Mehr Informationen über Ilka Stitz finden sich auf der Website www.ilkastitz.de.

Unter dem Pseudonym Malachy Hyde erschienen bei dotbooks die vier Romane der Silvanus-Rhodius-Krimireihe: »Tod und Spiele«, »Eines jeden Kreuz«, »Wisse, dass du sterblich bist« und »Gewinne der Götter Gunst«; unter der Autorenmarke Hagemann & Stitz veröffentlichten die Autorinnen bei dotbooks zwei Krimis aus der Römerzeit: »Das Geheimnis des Mithras-Tempels« und »Jung stirbt, wen die Götter lieben«

***

eBook-Neuausgabe Mai 2021

Copyright © der Originalausgabe 2002 bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Der Roman erschien 2002 außerdem als gebundene Ausgabe im Weitbrecht Verlag.

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de, unter Verwendung eines Digital image courtesy of the Getty's Open Content Program.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-462-6

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Malachy Hyde

Eines jeden Kreuz

Ein Fall für Silvanus Rhodius – Kriminalroman

dotbooks.

Dramatis Personae

Marcus Antonius: römischer Politiker und Oberbefehlshaber, Herrscher über den Osten des Römischen Reichs, Triumvir (zweites Triumvirat: Antonius, Octavian, Lepidus)

Kleopatra: Königin von Ägypten, Geliebte des Gaius Julius Caesar und später des Marcus Antonius

Glaphyra: Mutter des Archelaos Sisinnes von Karpadokien, kurzzeitige Geliebte des Marcus Antonius

Lucius Munatius Plancus: römischer Politiker, Prokonsul der Provinz Asia

Avidia Plautilla: seine Ehefrau

Natilla: beider Tochter

Silvanus Rhodius: römischer Ermittler

Lucida: seine Ehefrau

Larix: ihre Sklavin

Nasutus: ihr Sklave

Laelia: Geliebte des Silvanus Rhodius und Freundin von Illicia

Monoculos: ihr Sklave

Illicia: Tochter des Tollimos und Freundin von Laelia

Flusia: nubische Sklavin Illicias

Tollimos: Vater der Illicia, ehemaliger Priester des Apollon

Arkadia: Illicias Tante, Besitzerin der Taberna Tilia

Orvietus: Illicias Onkel

Gallia: beider Sklavin

Scopus: beider Sklave

Rutilius Rufus: Leiter der Akademie in Ephesos

Ulpia: seine Ehefrau

Sabina: ihre Sklavin

Gabyonos: ihr Sklave

Gnaeus Lutatius: Rhetoriklehrer an der Akademie in Artocreatus, Ephesos

Pykideme: seine Ehefrau

Hani Rami: ägyptischer Arzt

Spuntius Fellator: Inhaber des Bordells in der »Insula VII«

Arphocas: Würfelfreund des Silvanus

Facilis: Besitzer einer Taverne

Sylvester, Lingus, Perstylos, Karsas, Himanes, Caldis: Studenten

Mithriventes: Mitglied der parthischen Delegation, Sohn der Großnichte des parthischen Königs Orodes

Pakoros: Sohn des parthischen Königs Orodes, potenzieller Thronfolger

Quintus Dellius: Feldherr und Geschichtsschreiber des Marcus Antonius

Arsinoe: Schwester der Kleopatra, Asylantin im Artemision in Ephesos

Kasophas: Oberpriester des Artemisions

Decimus Fronto: Zenturio

Sophronios: Ratsältester der Stadt Ephesos

Peloros: Quacksalber

Kyon: älterer Herr, Experte in Sachen Wagenrennen

Octavian: römischer Politiker, Oberbefehlshaber im Westen des Römischen Reiches, Mitglied des zweiten Triumvirats, der spätere Augustus

Gaius Julius Caesar: Mitglied des ersten Triumvirats (Caesar, Pompeius, Crassus), römischer Feldherr, Politiker und Diktator, ist schon tot

Brutus und Cassius: Mörder Caesars, sind auch schon tot

Fulvia: dritte Ehefrau des Marcus Antonius

Orodes: parthischer König

Marcus Tullius Cicero: römischer Politiker, Philosoph, Redner und Anwalt

Gnaeus Pompeius: römischer Politiker und Feldherr

sowie zahlreiche Legionäre, Händler, Bürger, Arbeiter, Sklaven

Die fett gesetzten Personen haben real existiert.

Irgendetwas war an der Tür. Sie stand auf, lauschte. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Da war es wieder, jemand machte sich am Riegel zu schaffen. Unwillkürlich nahm sie das Messer vom Tisch, ihre Hand zitterte. Was, im Namen aller Götter, sollte sie tun?

Kapitel I

Eine kühle Brise wehte vom Hafen durch die Straßen von Ephesos. Langsam erwachte die Stadt, und die Händler nahmen ihre Geschäfte auf. Viele Fremde mischten sich unter die Passanten, aber das war in dieser Stadt, einer Metropole der östlichen Welt, nichts Besonderes. Angelockt von den Sehenswürdigkeiten, darunter das berühmte Heiligtum der Artemis, eines der Weltwunder, kamen zahlreiche Reisende hierher. Eine leichte Beute für gerissene Halsabschneider, die die Besucher herumführten, sie mit unzähligen Anekdoten – wahren und erfundenen – unterhielten und sich damit ein gutes Auskommen sicherten. Einige hielt nach einem ausgefüllten Vormittag nicht einmal die unbarmherzigste Hitze davon ab, ihre Schäfchen durch die finstersten Gassen zu schleusen. Müde, staubig und verschwitzt trotteten diese hinter ihrem Führer her, der die dankbaren Opfer schließlich zu einer Taverne lotste, mit derem Besitzer ihn meist ein einträgliches Geschäft verband. Die zusätzlichen Einnahmen durch hoffnungslos überzogene Preise wurden redlich untereinander aufgeteilt. Nahmen die hungrigen Fremden dann ihre Mahlzeit ein, waren sie fliegenden Händlern ausgeliefert, die ihnen für teures Geld Andenken feilboten: kleine Modelle des Tempels, Nachbildungen der dazugehörigen berühmten Artemisstatue, von genau der richtigen Größe, um sie zu Hause in einer Nische im Atrium aufzustellen und den Daheimgebliebenen von den Erlebnissen in der Fremde vorzuschwärmen. Einige Schlitzohren verstanden es, den Ahnungslosen kostbare Altertümer – Dolche, Fibeln oder Münzen – zu horrenden Preisen aufzuschwatzen, nur um ihre Bestände bei Schmieden in dunklen Hinterhöfen unauffällig wieder aufzufüllen. Das Fälscherhandwerk war eine der lukrativsten Einnahmequellen der Stadt, auf die der Magistrat zu seinem Bedauern aber keinen Zugriff hatte. In dieser Hinsicht hielten die Bürger zusammen und alle Bemühungen, gegen die Neppereien einzuschreiten, waren bisher fruchtlos geblieben. Dennoch hatte die Obrigkeit keinen Grund zu klagen. Die legalen Geschäfte florierten, die Tavernen und Gasthäuser waren gut besucht, und auch den Bürgern der Stadt saß das Geld locker.

Schon lange gehörte Ephesos, die Hauptstadt der Provinz Asia, zum Römischen Reich – das war in der Stadt nicht zu übersehen. Rege Bautätigkeit herrschte noch immer, und zahlreiche von römischen Magistraten errichtete öffentliche Bauwerke führten den Einwohnern täglich vor Augen, wer hier das Sagen hatte. Auch ein neues Amtsgebäude war geplant, so dass der römische Statthalter bald in einem prächtigen Neubau residieren würde. Bis dahin aber musste man sich mit dem bestehenden Gebäude begnügen, dessen zwar altmodische, doch eindrucksvolle Fassade die Staatsagora beherrschte.

An die unübersehbare Präsenz der Römer hatten sich die Einwohner allmählich gewöhnt, trotz aller Vorbehalte gegen die fremde Macht. Denn eigentlich war sie der Bevölkerung ein Dorn im Auge. Die Älteren erinnerten sich noch an die Zeit, als auf Befehl des pontischen Herrschers Mithridates 80 000 römische Bürger in der gesamten Provinz niedergemetzelt wurden – auch hier auf den Straßen von Ephesos, wo jetzt das rege Treiben der Händler und Käufer eine geschäftige Stimmung verbreitete.

***

Silvanus Rhodius lag auf seiner Arbeitskline und langweilte sich. Vor ihm auf dem Tisch häuften sich Stapel mit Schriftrollen und Schreibtäfelchen, dazwischen standen eine Karaffe mit Wein und ein Schälchen mit Nüssen. Abwesend hielt er seinen Becher in der Hand und blickte aus dem Fenster, hinaus auf die Staatsagora, wo sich die Kunden vor den Auslagen der Geschäfte drängten. Nun war er schon seit gut einem halben Jahr hier in Ephesos dem kommissarischen Statthalter Lucius Munatius Plancus zur Seite gestellt. Was sich anfangs vielversprechend angehört hatte, erwies sich zunehmend als lästige Pflicht. Die Zeit schleppte sich mit niederen und langweiligen Aufgaben dahin. Dabei hatte er hier Karriere machen wollen, unterstützt von dem Triumvirn Marcus Antonius. Nach der siegreichen Schlacht bei Philippi gegen die Mörder Caesars zum bedeutendsten Mann des Imperiums aufgestiegen, war Antonius jetzt Herrscher über den römischen Osten. In seinem Gefolge, so hieß es damals in Rom, konnte jeder etwas werden, auch ohne aristokratische Vorfahren, darauf legte Antonius nicht viel Wert. So hatte Silvanus Rom verlassen, um sich in Kleinasien einen Namen zu machen, vielleicht sogar einmal Senator zu werden. Und im vergangenen Frühjahr, als er zu Antonius stieß, schien es ihm tatsächlich zu gelingen, denn er, der kleine Beamte aus dem Stand der Equites, hatte die Gunst und Freundschaft des großen Imperators erlangt. Was aber war aus seinen Plänen geworden?

Silvanus seufzte, warf sich die restlichen Nüsse in den Mund und trank einen Schluck Wein. Munatius Plancus, sein Vorgesetzter, schien ihm nicht sehr gewogen, und so musste er sich mit Banalitäten herumschlagen, haufenweise öder Schriftverkehr. Verwaltungsprobleme zum Beispiel und die Überwachung der Steuereintreiber, eine denkbar undankbare Aufgabe. Der einzige Lichtblick war die Aufsicht über die Bordelle – aus steuerlichen Gründen. Vielleicht sollte er sich ebendies für den Nachmittag vornehmen und ein oder zwei der Freudenhäuser überprüfen. Das war wenigstens etwas fürs Auge, meistens sprang auch ein gutes Essen dabei heraus, erstklassiger Wein natürlich, und an eindeutigen Angeboten fehlte es auch nicht. Speisen und Wein nahm er gern, die sonstigen Annehmlichkeiten schlug er hingegen immer aus, niemand sollte ihm nachsagen, er sei käuflich. Mit Frauen war er zudem bestens versorgt.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, und er griff nach einer Schriftrolle. Das Übliche. Ein reicher Händler klagte über die hohe Steuerlast, beteuerte wortreich seine Unfähigkeit, die ihm auferlegten Abgaben leisten zu können. Er sei überfallen und beraubt worden. Wie erwartet, bat er um Herabsetzung des Satzes.

Silvanus rief nach seinem Sklaven, ein Mann aus Bithynien mit unaussprechlichem Namen und daher Bithynicus genannt, der ihm hier für die Arbeit zugeteilt worden war. Stets missmutig, doch intelligent, zuverlässig und sehr dienstbeflissen, widerlegte dieser auf das Eindrucksvollste die Vorurteile der einheimischen Bevölkerung, alle Menschen vom Schwarzen Meer seien dumm, nichtsnutzig, träge und ausnahmslos Betrüger.

»Bithynicus, prüfe doch einmal nach, ob der Mann die Wahrheit sagt und die Überfälle den örtlichen Behörden gemeldet hat!« Silvanus reichte dem herbeieilenden Sklaven die Schriftrolle. »Und bringe mir noch ein paar Nüsse!«

Der hagere Mann mit dem schütteren, farblosen Haarkranz nickte verdrossen und nahm die Rolle. »Natürlich, Herr. Sofort. Ach übrigens, gerade ist dieser Einäugige hier eingetroffen, du weißt schon, der Sklave Monoculos. Er wollte dich sofort sprechen, es sei wichtig. Ich sagte ihm, du arbeitest, und er solle warten.« Bithynicus seinerseits hatte nicht geringe Vorurteile gegenüber körperlich Behinderten und Menschen aus dem Norden.

Silvanus horchte auf. Monoculos, der Sklave seiner Freundin Laelia, kam nicht ohne Grund hierher; und hatte ihn Laelia geschickt, musste in der Tat etwas Außergewöhnliches geschehen sein, aus nichtigen Anlässen benachrichtigte sie ihn nicht. Schärfer als beabsichtigt fuhr er Bithynicus an: »Lass ihn sofort vor, jetzt und wann immer er mit einer solchen Botschaft kommt. Hast du verstanden, Sklave?«

Bithynicus’ schmale Lippen zuckten süffisant. »Natürlich, Herr. Der persönliche Sklave der Dame Laelia wird immer vorgelassen werden, ganz wie du anordnest, Herr.« Hocherhobenen Hauptes ging er zur Tür und rief Monoculos herein.

Ein junger Mann betrat vorsichtig den Raum. Monoculos war fast blind. Durch eine schwere Augenkrankheit in seiner Jugend hatte er die Sehkraft eingebüßt, ein Auge musste damals sogar gänzlich entfernt werden. Doch der Sklave hatte die ihm verbliebenen Sinne außergewöhnlich geschärft und kam sehr gut zurecht.

»Herr«, stieß Monoculos nun aufgeregt hervor, »du musst sofort kommen! Illicia ist überfallen worden, in der Taverne, man hat sie zusammengeschlagen! Alles ist verwüstet! Die Herrin Laelia macht sich große Sorgen.«

»Bei Jupiter, Monoculos, ist das wahr?« Silvanus war aufgesprungen. »Ist sie schwer verletzt? Lass uns sofort gehen!«

»Sie war bewusstlos, aber als ich sie verließ, wachte sie gerade wieder auf.« Monoculos hatte sich bereits zur Tür gewandt, Silvanus folgte ihm. Vor dem Amtszimmer kam ihnen Bithynicus mit den Nüssen entgegen. Silvanus ignorierte ihn, eilte durch die endlosen Gänge des Gebäudes, vorbei an Büsten und Statuen römischer Würdenträger. Bithynicus schüttelte den Kopf.

Mit wehender Toga lief Silvanus über den Vorplatz des Amtsgebäudes. Die Menschen, die im Schatten der Säulenhallen lustwandelten, blickten ihm erstaunt nach. Ein römischer Magistrat in solcher Eile, das Haar schon ein wenig licht über der Stirn und einen stattlichen Bauch vor sich hertragend, mit einem blinden, einäugigen Sklaven im Gefolge, das war kein alltäglicher Anblick!

Es war nicht allzu weit bis zur Taberna Tilia, deren Name an die stattliche Linde erinnern sollte, die einst hier gestanden, aber der Zivilisation hatte weichen müssen. In Ephesos war dieses Haus eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen unter den Schänken, allesamt üble Kaschemmen und finstere Spelunken. Die Taberna Tilia dagegen war bekannt für hervorragendes Essen, gemütliche Atmosphäre und gutes Publikum. Illicia und Laelia bewohnten in dem Haus die erste Etage und halfen den Besitzern, Illicias Onkel Orvietus und Tante Arkadia, ab und an bei der Arbeit.

Die Taverne lief gut. Silvanus hoffte inständig, dass dies der alleinige Grund für den Überfall war. Bei Jupiter, hoffentlich war Illicia wohlauf. Die Freundin Laelias war ihm ans Herz gewachsen, und er machte sich Sorgen. Natürlich war der Bevölkerung von Ephesos nicht verborgen geblieben, dass Laelia und Illicia, genau wie er selbst, von Marcus Antonius protegiert wurden. Und natürlich wusste man – so etwas sprach sich immer schnell herum –, dass gerade Illicia die besondere Sympathie des Herrschers über die östlichen Provinzen besaß. Es gab bestimmt Neider und zudem solche, die noch immer die römische Herrschaft ablehnten ...

Silvanus traf weit vor Monoculos bei der Taverne ein. Sofort bemerkte er die beschädigte Tür. Vorsichtig – er würde sie später genauer untersuchen – drückte er sie auf und trat ein. Der Schankraum bot ein schreckliches Bild: Tische, Bänke und Stühle waren umgeworfen, Becher und Geschirr lagen auf dem Boden herum, dazwischen die Scherben zertrümmerter Weinamphoren. Überall Lachen ausgelaufenen Weines, die bei dem herrschenden Dämmerlicht – die Fensterläden waren noch geschlossen – fast wie Blut aussahen.

Langsam durchquerte Silvanus den Raum. »Geh durch den Hintereingang«, rief er dem nahenden Monoculos zu. »Wo ist Illicia?«

»Oben, in ihrem Schlafgemach, wir haben sie dorthin gebracht, die Herrin Laelia und ich. Ich hoffe, der Arzt ist schon da, ich habe ihn benachrichtigt, bevor ich zu dir kam.«

Die Augen auf den Boden geheftet, ging Silvanus auf Zehenspitzen weiter. Es wimmelte geradezu von Fußabdrücken, großen, wohl auch von dem Arzt und Monoculos, und kleineren, wahrscheinlich von Laelia. Die der Täter dabei herauszufinden, dürfte erhebliche Schwierigkeiten machen, überlegte er. Doch auch danach würde er später suchen, zunächst musste er nach den Mädchen sehen.

Sein Herz zog sich angstvoll zusammen, als er neben dem Tresen Blut entdeckte, viel Blut, teilweise schon getrocknet. Besorgt stürmte er die Treppe empor, die zu den Wohngemächern führte, und fühlte eine unendliche Erleichterung, als er aus einem Zimmer Illicias Stimme hörte. Zuversichtlicher trat er ein.

Illicia, in ihrem Bett liegend, Laelia auf einem Stuhl daneben, und ein ihm unbekannter Mann, wahrscheinlich der Arzt, sahen ihm entgegen.

»Bei Apollon, gut, dass du so schnell gekommen bist, Silvanus.« Erleichtert sprang Laelia auf, um ihn zu begrüßen.

»Ich wünschte, es wäre aus angenehmeren Gründen.« Silvanus drückte ihr einen Kuss auf die Wange und widmete dann seine Aufmerksamkeit Illicia. Mit Entsetzen stellte er fest, dass die junge Frau übel zugerichtet war. Ihr Chiton war blutbefleckt, das lange, braungelockte Haar verklebt, ein Auge geschwollen. »Wie fühlst du dich?«, fragte er mitfühlend.

»Nun, es geht.« Illicia versuchte ein Lächeln.

»Ist sie schwer verletzt?«, wandte sich Silvanus an den Arzt. Dieser hatte bereits begonnen, seine Utensilien in ein Tuch einzuschlagen. »Nein, sie hat Glück gehabt, es ist nur eine Platzwunde. Dennoch musste ich mein ganzes Können aufwenden, um die Blutung zu stillen und die Wunde zu nähen, aber in ein paar Tagen wird die Dame wieder vollkommen gesund sein.« Zufrieden wischte er sich die Hände an seinem Chiton ab. »Du bist Silvanus Rhodius, nehme ich an. Man hat mir dein Kommen angekündigt. Mein Name ist Peloros, Arzt und stets zu Diensten, wenn ich gebraucht werde. Ich wohne gleich in der Parallelstraße, in der ersten Insula links, du brauchst nur einen Sklaven zu schicken, wenn du einmal der Hilfe bedarfst oder einen Menschen triffst, der die Kunst des Asklepios benötigt. Ich war in Pergamon und habe dort viel gelernt.«

»Tatsächlich?« Silvanus fiel es nicht leicht, seine Abneigung gegen diesen Mann zu verbergen. Allein sein mit Flecken übersäter Chiton, seine ungepflegten Hände mit schwarzen Rändern unter den Fingernägeln, die halblangen grauen, fettigen Haare vermittelten nicht den Eindruck eines kundigen Heilers. Und der wollte in Pergamon gelernt haben? Eher schien er einer der vielen Quacksalber in diesem Gewerbe zu sein, die, ohne umfassende Ausbildung und immer auf der Suche nach Kunden, ihren Patienten eher schadeten, als sie zu heilen. So warf Silvanus zunächst voller Sorge einen Blick auf die Wunde an Illicias Kopf. Der Arzt hatte die Haare ringsherum abgeschnitten, blutige Haarbüschel lagen überall auf dem Boden verstreut. Die Verletzung war leidlich gereinigt und mit groben Stichen genäht. ›Bei Apollon‹, dachte Silvanus, ›hoffentlich geht das gut!‹ Bei dem Gedanken an die Nadel, bestimmt in keinem besseren Zustand als ihr Besitzer, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Als er jetzt sah, wie der so genannte Arzt schmutzigweiße Leinentücher hervorholte, um sie Illicia um den Kopf zu wickeln, musste er einschreiten. »Wir danken dir sehr für deine Hilfe, Peloros, aber ich glaube, den Verband werden wir selbst anlegen können. Auch will ich mir die Wunde noch einmal ansehen.« Höflich, aber bestimmt, trat er zwischen den Arzt und Illicia, entnahm seinem Beutel einige Münzen, drückte sie dem Mann in die Hand und führte ihn zur Tür. Peloros, den Blick auf das Geld geheftet, schien sein Glück kaum fassen zu können. »Wie überaus freundlich von dir. Du wirst mich doch weiterempfehlen an deine Freunde? Ist deine Familie gesund? Ich heile alle Krankheiten!« Unter vielen Verbeugungen und noch mehr Worten ging er rückwärts aus der Tür. Sie hörten ihn noch die Treppe hinunterlaufen, dann war es still.

Silvanus und Laelia sahen sich an. Beide wussten, was der andere dachte, wagten es aber Illicias wegen nicht auszusprechen. Doch diese seufzte erleichtert: »Gut, dass du ihn weggeschickt hast, Silvanus, ich weiß nicht, was schlimmer war, dieser Mensch oder der Überfall. Die Schmerzen sind schon übel genug, aber sein Geruch!« Angewidert rümpfte sie die Nase.

Silvanus beugte sich über die Wunde und sah sie sich aus der Nähe an. »Du scheinst wirklich Glück gehabt zu haben, Illicia, das hat er richtig erkannt. Dennoch werde ich nach Hani Ramm schicken, es erscheint mir sicherer.«

Der ägyptischer Arzt Hani Rami, der sich in Didyma, dem Heimatort der beiden Mädchen, niedergelassen hatte, war ein guter Freund von ihnen. Seine medizinischen Fähigkeiten waren hervorragend, Silvanus hatte sie vor einem halben Jahr kennen und schätzen gelernt. Ihn holen zu lassen erschien ihm das Mindeste, was er tun konnte.

»Meinst du, das ist nötig?« Illicia zweifelte. »Hani wegen so einer Kleinigkeit zu rufen, finde ich etwas übertrieben.«

»Nun, eine solche Kleinigkeit ist es auch wieder nicht, außerdem wäre er wahrscheinlich ungehalten, wenn wir es nicht täten.«

Monoculos kam mit sauberen Tüchern und Wein.

»Gute Idee«, sagte Silvanus und reichte Illicia zuerst einen Becher. »Nimm einen kräftigen Schluck, Mädchen, du kannst es gebrauchen. Willst du dich erst ein wenig ausruhen oder kannst du mir gleich erzählen, was passiert ist?« Vorsichtig begann Silvanus, ihren Kopf zu verbinden.

»Es wird schon gehen.« Dankbar nahm Illicia einen Schluck Wein. »Vielleicht lenkt es mich von den Schmerzen ab.« Stockend berichtete sie nun, dass vier Männer in die Taverne eingedrungen waren. Wegen der Geräusche war sie in den Schankraum gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Doch dort war alles ruhig gewesen, nur die Tür hatte einen Spalt offen gestanden. Gerade hatte sie draußen nachsehen wollen, als die Männer auf sie zustürzten. Einer war mit einem Knüppel auf sie losgegangen. Sie hatte noch versucht, sich mit einem Küchenmesser zu wehren und, wenn sie sich richtig erinnerte, ihn sogar verletzt. Dann hatte sie nur noch einen furchtbaren Schlag auf den Kopf gespürt. Aufgewacht war sie erst wieder, als Laelia sich über sie beugte. Einzelheiten hatte sie nicht erkennen können, die Läden der Taverne waren ja geschlossen gewesen, und die Männer hatten Kapuzenmäntel getragen. Nur, dass der, der sie angegriffen hatte, um einiges größer war als sie und dunkle Augen hatte. Nein, wo sie den Angreifer mit dem Messer getroffen hatte, vermochte sie nicht zu sagen, sie hatte einfach nur blind zugestochen.

»Sagten sie etwas?« Silvanus verknotete vorsichtig den Stoffstreifen.

»Nein.« Illicia drückte das feuchte Tuch, das Laelia ihr gereicht hatte, auf ihr geschwollenes Auge. »Kein Wort.«

»Fehlt etwas?«

»Laelia sagt, die Einnahmen von gestern seien weg, ich hatte sie unten gelassen. Tante Arkadia wird mit Recht außer sich sein, wenn sie davon erfährt, aber zum Glück sind sie und Onkel Orvietus noch bei meinem Vater in Didyma. Hier oben fehlt anscheinend nichts, vielleicht sind die Männer gestört worden.«

Silvanus legte nachdenklich die Stirn in Falten. Viel war das nicht, was er da über die Täter erfahren hatte. »Wann ist das Ganze genau geschehen?«

»Kurz nach Sonnenaufgang.«

Silvanus wandte sich an Laelia. Auch sie sah blass und mitgenommen aus. »Wo warst du, als es passierte? Hast du nichts gehört? Oder die Sklaven?«

»Nein, ich war nicht hier.« Laelia fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ausgerechnet heute morgen musste ich wegen einer Übersetzung zu einem Buchhändler. Einmal gehe ich früh aus dem Haus, und dann passiert so etwas. Monoculos hat mich begleitet. Dann, als ich wiederkam, lag Illicia auf dem Boden des Schankraumes ...« Sie stockte. »Wo die nichtsnutzige Flusia war, weiß ich nicht, sie ist nicht aufzufinden, wer weiß, wohin sie sich verkrochen hat. Du kennst sie ja, sie hat sich wahrscheinlich wieder bei dem ersten Geräusch versteckt. Aber ich werde sie fragen, wenn sie auftaucht. Und die beiden anderen Sklaven sind mit nach Didyma gereist.«

Silvanus trank einen Schluck. Hatten die Schläger gewartet, bis alle aus dem Haus waren? Handelte es sich um einen geplanten Akt, gezielt, nach langer Beobachtung? Aber woher hätten sie wissen sollen, dass Laelia gerade an diesem Morgen eine Verabredung hatte? Auf jeden Fall war der Moment gut gewählt, denn um diese Zeit, wenn die Karren noch auf den Straßen ratterten, um Geschäfte und Tavernen zu beliefern, waren laute Geräusche nichts Besonderes.

Besorgt blickte er auf Illicia. Sie sah schlecht aus, er sollte sie jetzt besser in Ruhe lassen. »Hast du Kopfschmerzen?«

»Ja, ziemlich.«

»Dann solltest du dich ein wenig ausruhen. Laelia, hast du nicht etwas, damit sie schlafen kann?«

Laelia nickte. »Natürlich. Ich weiß von Hani Rami das Rezept für einen Trank, der die Kopfschmerzen lindern und dich einschlafen lassen wird.« Sie drückte ihrer Freundin ein neues feuchtes Tuch an den Kopf.

»Aber lange schlafen kann ich jetzt auf keinen Fall«, protestierte Illicia schwach, »alles muss noch aufgeräumt und vorbereitet werden. Ich habe doch Tante Arkadia versprochen, sie zu vertreten.«

»Nichts wirst du aufräumen!« Silvanus legte Autorität in seine Stimme. »Ich muss mich hier nach Spuren umsehen, danach können die Sklaven Ordnung schaffen. Mach dir keine Sorgen, Laelia wird mit Monoculos später den Schankbetrieb übernehmen und ich werde sehen, ob ich ein paar Sklaven zur Verstärkung schicken kann.«

Illicia, zu mitgenommen, um sich weiter zu wehren, konnte dem nichts entgegenhalten. So gab sie nach, als Laelia ihr versicherte, sie bekäme das schon hin, nicht umsonst sei sie in einer Taverne aufgewachsen, deren Führung ihr doch ihr Vater oft genug anvertraut habe.

Silvanus machte sich derweil auf, den Schankraum genauer zu untersuchen, öffnete die Fensterläden und schaute sich um. Im hellen Tageslicht konnte er das ganze Ausmaß der Verwüstung erkennen. Was musste Laelia wohl empfunden haben, als sie, nichtsahnend zurückkommend, die Taverne in Trümmern und ihre Freundin in ihrem Blut vorfand?

Er konzentrierte sich auf den Tatort. Dort, wo die Blutlache im Sonnenlicht schimmerte, war Illicia vermutlich niedergeschlagen worden. Er würde sie danach fragen müssen. Handelte es sich hier nur um Illicias Blut oder auch um das eines der Schläger? Wie schwer hatte sie ihn wohl verletzt? Und das Messer, mit dem sie sich gewehrt hatte? Akribisch suchte er den ganzen Boden ab. Nichts. Das Messer fand er nicht, und auch nicht den Knüppel, von dem Illicia erzählt hatte – nichts außer einer Blutspur, die zur Tür führte und dort endete. Der Verletzte hatte sich wohl etwas um die Wunde gebunden. Da Illicia nicht bis dorthin gegangen sein konnte, musste es von einem der Täter stammen. Er suchte also nach einem großen Mann mit dunklen Augen, der eine Verletzung hatte, vermutlich an Brust, Bauch oder an einem Arm – und das in einer Stadt wie Ephesos, die fast 300 000 Einwohner hatte, dazu wer weiß wie viele Besucher und Tagelöhner, von den Sklaven ganz zu schweigen.

Silvanus seufzte und unterzog die Tür einer näheren Untersuchung. Sie war brutal aufgebrochen worden, Schloss und Riegel hingen zertrümmert herunter. Außer den Spuren eines Werkzeuges, mit dem die Täter wohl zunächst vergeblich versucht hatten, den innenliegenden Riegel zu heben – ein scharfer, flacher Gegenstand, ein Schwert vielleicht – war hier nichts zu entdecken, was ihm weiterhelfen konnte. Frustriert ging er wieder hinein. Auch die verschiedenen Fußabdrücke, die er jetzt einer näheren Untersuchung unterzog, halfen nicht weiter, es waren einfach zu viele und obendrein ohne erkennbare Unterschiede, außer in der Größe.

Laelia war heruntergekommen und stand bleich an der Theke. »Sieh mal, Silvanus«, sagte sie leise, »hier steht etwas.« Sie zeigte auf den Tresen. Dort war ein Wort mit Blut auf den weißen Marmor geschrieben: »Rediemus«.*

***

Laelia hatte mit Monoculos und Flusia – Illicias scheue schwarze Sklavin war wieder aufgetaucht – die Taverne so gut es ging aufgeräumt. Auf Silvanus’ vorsichtige Fragen hatte Flusia verstört angegeben, sie wäre, als sie den Lärm an der Tür gehört hätte, voller Angst in den Lagerraum zwischen die Weinamphoren geflüchtet und hätte nichts gesehen und gehört, nur etwas später die entsetzlichen Geräusche zerbrechender Amphoren und umfallender Möbel. Da hätte sie sich die Ohren zugehalten.

Silvanus hatte sich höflich bei dem schönen, aber sehr verängstigten Wesen bedankt, ihr gut zugeredet und innerlich die Möglichkeit verworfen, hier etwas über die Täter zu erfahren. Flusia hatte ihn mit einem zwischen Skepsis und Vertrauen schwankenden Ausdruck in den dunklen Augen angesehen, ihre langen tiefschwarzen Haare zurückgebunden und sich an die Arbeit gemacht.

Sodann hatte Silvanus die Nachbarn befragt, ob sie etwas bemerkt hätten. Wie befürchtet, war niemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen, schließlich war Lärm um diese Uhrzeit in Ephesos normal. So war Silvanus voller Unbehagen zurück in sein Amtszimmer gegangen und hatte einen Sklaven losgeschickt, die Verwandtschaft in Didyma und Hani Rami zu benachrichtigen. Einem zweiten trug er auf, einen neuen starken Riegel mitsamt Schloss an der Tür der Taberna Tilia anzubringen und dort bei der Arbeit zu helfen. Danach musste er seinen Vorgesetzten, Munatius Plancus, über den Vorfall in Kenntnis setzen.

Die Arbeitsräume des Statthalters lagen im gegenüberliegenden Flügel des Gebäudes. Silvanus durchquerte die Eingangshalle, wo reger Betrieb herrschte. Je näher er dem Wirkungsbereich des höchsten Amtsträgers der Provinz – nach Marcus Antonius natürlich – kam, desto prächtiger wurden die Wandgemälde, desto zahlreicher die Statuen. Im Vorzimmer des hohen Herrn hieß ihn ein Schreiber warten, meldete ihn an und öffnete dann die Tür zu Plancus’ Zimmer.

Der hochgewachsene Mann gab wie immer das Bild eines vielbeschäftigten Würdenträgers ab, wie er da in seiner blütenweißen, purpurgesäumten Senatorentoga auf dem Sofa lag, vor ihm, ordentlich aufgereiht, die Korrespondenz, die er gerade gewissenhaft geprüft hatte. Er war ein gut aussehender Mann in den besten Jahren, das musste Silvanus zugeben, mit vollem dunklen Haar und einer sehr römischen Nase, der Körper gepflegt und muskulös. Plancus war Feldherr und hielt viel auf körperliche Leistungsfähigkeit, was Silvanus immer wieder bewundernd feststellte, wenn er ihn in den Thermen oder in den Sportanlagen traf.

Wie jedes Mal, wenn er hierher kam, fühlte Silvanus wieder diese leichte Unsicherheit, die ihn beschlich, wenn er mit hochgeborenen Patriziern, Senatoren und ihresgleichen zu tun hatte. Ihm, dem Spross aus der eher unbedeutenden Nobilität Roms, jetzt ein Mitarbeiter dieser Männer, die zu nichts anderem erzogen worden waren, als Politik zu machen, ihm war das noch nicht zur Gewohnheit geworden. Verstärkt wurde dieses Gefühl durch die Pracht des Raumes, eingerichtet mit den wertvollsten Möbeln, bemalt mit den kunstvollsten Malereien, bestückt mit Bildnissen, die fast lebensecht wirkten. Die Büste des Marcus Antonius war von dieser Art. Ein Stück von so exquisiter Qualität, dass Silvanus immer das Gefühl hatte, das Zimmer wäre von seiner Gegenwart erfüllt, ein Effekt, der natürlich gewollt war. Doch Silvanus schöpfte aus der – wenn auch nur materiellen – Anwesenheit des Antonius Mut, er war hervorragend mit ihm ausgekommen. Munatius Plancus dagegen ließ ihn den Rangunterschied jedes Mal spüren.

So auch diesmal. Nachdem Silvanus dem Statthalter die Vorkommnisse geschildert hatte, lehnte sich dieser auf seiner Arbeitskline zurück und musterte seinen Mitarbeiter herablassend. »Das fällt nicht in unseren Verantwortungsbereich, Silvanus. Ich sehe in keiner Weise, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die uns etwas angeht. Du wirst einen Bericht darüber schreiben und ihn an die zuständigen örtlichen Behörden weiterleiten. Sollen die sich darum kümmern.« Missbilligend runzelte der Statthalter die Stirn. »Falls du ein persönliches Interesse an der Sache hast, so tut es mir Leid, aber du hast Wichtigeres zu tun, nehme ich an.«

»Munatius Plancus«, Silvanus unternahm noch einen letzten, zögerlichen Versuch, »es geht nicht um meine persönlichen Interessen, sondern das Opfer, Illicia, steht in enger Verbindung zu Marcus Antonius. Meinst du nicht, dieser ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Ein Blick auf Plancus’ hochgezogene Augenbrauen bestätigte ihm, dass dieser nicht von seiner Meinung abweichen würde, auch die entstandene senkrechte Falte auf dessen Stirn versprach nichts Gutes. »Silvanus Rhodius. Ich denke, ich brauche nicht zu betonen, dass auch ein Triumvir den Gesetzen unterliegt. Wegen einer jungen Frau, die wahrscheinlich nicht nur die Gunst des Antonius errungen hat, werden wir uns nicht in die Kompetenzen der örtlichen Behörden einmischen. Höchstwahrscheinlich ist das Ganze ein Eifersuchtsakt, nichts, womit ich oder du kostbare Zeit verschwenden müssten! Schreibe jetzt deinen Bericht und gib ihn mir zur Kenntnis, bevor du ihn absendest. Vale, Silvanus.«

Bedrückt begab sich Silvanus zurück in sein Zimmer. Er hätte es wissen müssen, ja, eigentlich hatte er es gewusst. Dennoch musste er etwas unternehmen, um die Mädchen zu schützen, um sie zu beruhigen. Sollte er außer dem Bericht an die örtlichen Magistraten noch einen an Marcus Antonius schreiben, hinter dem Rücken seines Vorgesetzten? Nun, er würde darüber nachdenken. Zunächst allerdings rief er missgelaunt nach Bithynicus und diktierte seine Schilderung der Vorfälle.

Als Silvanus später am Abend zurück in die Taverne kam, hatten Laelia und Monoculos mit dem von ihm geschickten Sklaven ihr Bestes gegeben, die Gäste zu versorgen. Doch nun waren sie am Ende ihrer Kräfte, und so ergriff Silvanus die Initiative. Mit dröhnender Stimme verkündete er, dass aufgrund eines personellen Engpasses jetzt nichts mehr ausgeschenkt werden könne und es Zeit zum Aufbruch sei. Unwillig und murrend wurden seine Anweisungen befolgt.

Mit einem Seufzer der Erleichterung schloss Monoculos die Tür hinter den letzten Gästen und brachte seiner Herrin und Silvanus einen Krug Wein.

Dankbar nahm Laelia den Becher entgegen. »Nimm dir auch einen Schluck, Monoculos, du hast ihn wahrlich verdient. Und dann kannst du schlafen gehen, das Aufräumen soll Flusia morgen besorgen, es ist schon traurig genug, dass sie bei solchen Notlagen nicht hilft.«

»Ach, sie kann doch nichts dafür, Herrin!« Monoculos schätzte die Sklavin sehr, was zu seinem Leidwesen auf keine große Gegenliebe stieß.

»Du hast ja Recht«, murmelte Laelia und musste unwillkürlich daran denken, dass das Mädchen in seinem Leben schon viel erlitten hatte. Als Kind in Nubien geraubt, als Sklavin verkauft, wegen ihrer Schönheit missbraucht, war sie gegenüber Fremden äußerst misstrauisch. So konnte man sie zu aller Bedauern nur für einige Hausarbeiten einsetzen – sicherlich wäre die schöne junge Nubierin mit der schwarzglänzenden Haut, dem atemberaubenden Körper und den langen, ebenholzfarbenen Haaren eine zusätzliche Attraktion für die Taverne gewesen. Aber daran war nicht zu denken.

Silvanus nahm einen tiefen Schluck Wein, legte liebevoll einen Arm um Laelia und sagte anerkennend: »Bei Jupiter, was für ein Tag! Ich bin stolz auf dich, meine Laelia, du hast das alles wahrhaft meisterlich bewältigt. Wie geht es Illicia?«

Laelia lehnte sich an ihn. »Sie schläft. Hast du etwas erreicht?«

»Wenig.« Er erzählte ihr von seinen Befragungen und dem Gespräch mit Munatius Plancus.

»Du sollst nicht weiterermitteln?« Laelia war fassungslos. »Da wird eine gute Freundin von Marcus Antonius brutal niedergeschlagen und die örtlichen Behörden sollen das bearbeiten? Wo doch jeder weiß, wie wenig Interesse die an solchen Vorkommnissen haben? Und du, der du über so reiche Erfahrungen verfügst, sollst nur einen Bericht schreiben? Das darf doch nicht wahr sein! Was willst du tun?«

Silvanus zuckte die Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Immerhin ist Munatius Plancus mein Vorgesetzter, ich muss tun, was er sagt. Und rechtlich gesehen stimmt es, das Verbrechen betrifft keine Staatsangelegenheit, und dass Antonius private Interessen an Illicia hat, ändert die Gesetze nicht. – Aber ich werde mir etwas überlegen. Mache dir keine Gedanken, ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt!« Er strahlte eine Zuversicht aus, die er nicht verspürte, und beeilte sich das Thema zu wechseln. »Du zitterst ja, Carissima, komm, trink noch einen Schluck.« Fürsorglich reichte er ihr den Becher.

Laelia nahm einen tiefen Zug und spürte, wie der starke Wein ihre Kehle hinabrann. Sie schluckte. »Weißt du, Silvanus, ich habe immer noch vor Augen, wie ich hier hereinkam und Illicia fand. Bei Apollon, ich dachte, sie sei tot, als ich sie dort liegen sah. Und alles war voller Blut.« Sie schauderte. »Warum, meinst du, haben sie das gemacht?«

Silvanus zog sie fürsorglich an sich. »Vielleicht waren es einfach nur betrunkene Randalierer. Vielleicht suchten sie nach Geld und wurden von Illicia gestört. Vielleicht wollen sie Schutzgeld erpressen und schicken in den nächsten Tagen eine Botschaft. Ach, ich weiß es auch nicht, aber ich werde es herausfinden.«

»Rediemus!«, murmelte Laelia. »Silvanus, ich habe Angst. Wenn sie nun wirklich wiederkommen? Außer Monoculos, Illicia und Flusia ist niemand im Haus, ein Blinder, eine Kranke und eine wunderliche Sklavin. Sag, kannst du nicht heute Nacht hier bleiben?«

Silvanus atmete tief durch. Das hatte er befürchtet. Laelia, sonst so eigenständig, unabhängig, brauchte ihn heute Nacht. Er überlegte kurz. »Nein, Laelia, und das weißt du. Es geht nicht. Was soll ich Lucida sagen? Dass ich meine Geliebte beschützen muss? Es wird schon schwer genug sein, ihr zu erklären, wo ich bis jetzt war. Ich habe nur einen Sklaven nach Hause geschickt mit der Nachricht, ich würde mich verspäten. Aber wenn ich ihr erzähle, dass ein Überfall in einer Taverne stattgefunden hat und ich mich darum kümmern muss, wird sie genau wie Munatius Plancus sagen, das sei doch gar nicht meine Aufgabe. Nein, Laelia, es geht wirklich nicht. Es tut mir Leid, es tut mir wirklich sehr Leid, aber es ist nun einmal so.«

Laelia machte sich von ihm los. Ja, sie hatte es gewusst. Seit Lucida, seine Frau, ihm aus Rom nachgereist war, hatte sich einiges verändert. Am Anfang, als sie nach Ephesos gekommen waren, hatten Silvanus und sie eine herrliche Zeit verlebt. In der kleinen Wohnung, die sie hier in Arkadias Haus bewohnte, hatten sie tun und lassen können, was sie wollten. Das Leben war wunderbar – ausgestattet mit einem beruhigenden finanziellen Polster, das Marcus Antonius ihr und Illicia für ihre Hilfe in Didyma hatte zukommen lassen, an der Seite eines Mannes, der nicht müde wurde, ihr zu beteuern, wie sehr er sie liebte. Dann erschien Lucida, und alles wurde anders. Oh, nicht dass er sie vernachlässigte, im Gegenteil, Silvanus war sogar noch liebevoller als zuvor, sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Aber sie trafen sich nicht mehr so häufig: Nur noch zwei Abende in der Woche, an denen er zuvor mit Freunden Sport getrieben oder gewürfelt hatte, verbrachten sie miteinander. Die anderen Tage gehörten Lucida und dem Leben mit ihr.

›Ich hätte ihn gleich, als sie ankam, verlassen sollen. Niemals hätte ich auf seine Versprechungen hören dürfen, dass er sich scheiden lassen wird. Warum hänge ich nur so an diesem Mann?‹ Laut sagte sie: »Irgendwann wird sie es sowieso erfahren.«

»Ja, irgendwann. Aber es muss nicht heute sein. Lass Monoculos hier im Schankraum schlafen, er ist der beste Wächter, den du dir wünschen kannst. Und der neue Riegel an der Tür wird jedem Angriff standhalten. Außerdem werde ich zwei Legionäre beauftragen, die Taverne zu beobachten. Es wird dir nichts passieren, dafür verbürge ich mich!« Er stand auf, umarmte sie noch einmal und flüsterte schuldbewusst in ihr Ohr: »Ich liebe dich, meine Laelia, vergiss das nicht.«

Laelia sagte nichts.

Kapitel II

Tante Arkadia saß mit ihrem Bruder im Garten seines Hauses in Didyma und beklagte die mangelnde Disziplin der Dienstboten. »Sieh doch, Tollimos, der Teich ist voller Laub! Du musst dringend veranlassen, dass er gereinigt wird!«

Tollimos nickte duldsam und nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher. Anklagend hob Arkadia die Augenbrauen und schüttelte leidend den Kopf. »Tollimos, Tollimos, du trinkst zu viel! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst das lassen! Du machst dich zum Gespött der Leute. Du – ein Priester! Das geziemt sich nicht!«

Gehorsam stellte Tollimos seinen Becher ab. Seine Schwester daran zu erinnern, dass er schon lange kein Priester mehr war, wäre sinnlos gewesen. Sie pflegte diese Tatsache hartnäckig zu ignorieren. Ihre Anklagen würden jetzt eine Weile so weitergehen, jede Erwiderung war vergebene Mühe. Dabei mochte er seine Schwester. Seit Illicia nach Ephesos gegangen war und die Sklavin Flusia mitgenommen hatte, war er froh, dass jemand in seinem Hause ab und zu nach dem Rechten sah. Das konnte Arkadia. Sie hatte in der kurzen Zeit, die sie hier war, Ordnung in Haus und Garten gebracht, zwar zu Lasten ihrer Sklaven, ihres Mannes Orvietus und natürlich seiner selbst, doch sehr effektiv. Und seit sie zufällig von Tollimos’ Geldschwierigkeiten erfahren hatte, griff sie sogar oft in den Geldbeutel, allerdings nicht ohne ihre Freigebigkeit wortreich zu betonen und die Undankbarkeit ihres Bruders zu beklagen.

Ihr Mann Orvietus, ein recht geschickter Handwerker, hatte sich in den hinteren Teil des Gartens zurückgezogen, wo er mit dem Sklaven Scopus den Zaun reparierte. Auf Arkadias Anordnung natürlich, die ihm aber sehr gelegen kam. Auch Orvietus hatte unter Arkadia zu leiden, wusste sich aber immer aus ihrem direkten Eingriffsbereich zu entfernen.

An dieses Talent seines Schwagers dachte Tollimos gerade voller Neid, als ein offiziell aussehender Sklave nahte und Arkadias Wortschwall rüde unterbrach. Erleichtert blickte Tollimos ihm entgegen.

»Salve! Ich habe eine Nachricht für die Herren Tollimos und Orvietus und für die Dame Arkadia!«, rief der Abgesandte außer Atem.

»Was ist denn das für eine Begrüßung?« Erbittert musterte Arkadia den Boten.

»Du bist Arkadia?«, vergewisserte dieser sich, unbeeindruckt von dem Vorwurf.

Ja. Wer schickt dich überhaupt? Es muss schon etwas Wichtiges sein, wenn man mich hier belästigt.« Sie richtete sich gerade in ihrem Sessel auf, bemüht, ihrem fülligen Körper imposante Größe zu verleihen. Auffordernd heftete sie ihre stechenden, hellbraunen Augen auf den Boten.

»Silvanus Rhodius schickt mich.«

Unwillig zog Arkadia bei diesem Namen die Brauen über der schmalen Nase zusammen. Als der Bote aber von dem Vorfall in Ephesos berichtete, war sogar sie von den Nachrichten erschüttert.

Tollimos war blass geworden. »Wie geht es Illicia? Ich fahre sofort los!« Er wartete kaum die Antwort ab und sprang auf.

»Soweit ich weiß, geht es ihr gut. Näheres ist mir nicht bekannt. Ich soll euch alle bitten, so schnell wie möglich nach Ephesos zurückzukommen. Alles Nähere werdet ihr dort erfahren. – Ich begleite euch, wenn ihr es wünscht!«, rief der Sklave, doch Tollimos war schon im Haus verschwunden.

Arkadia saß wie gelähmt in ihrem Sessel. Krampfhaft umklammerte sie die Armlehnen, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Fassungslos starrte sie vor sich hin. »Das mir!«, dachte sie. Nie hatte sie geglaubt, dass ihr so etwas passieren würde. Sicher, sie hatte davon gehört, dass einigen Tavernenbesitzern in Ephesos schon Gleiches widerfahren war. Aber doch nicht ihr! Es musste etwas mit Illicia zu tun haben! Und diese Bekanntschaft mit dem Römer. Was Illicias Freundin Laelia mit ihm zu schaffen hatte, darüber wollte sie nicht nachdenken.

Schwerfällig richtete sie sich auf. Sie hieß den Boten warten und folgte ihrem Bruder ins Haus, um die Sklaven anzuweisen, das Gepäck zu holen.

Es konnte ihnen nicht schnell genug gehen. Auf dem kurzen Weg zum Hafen Panormos, wo sie ein Schiff nach Ephesos besteigen würden, trieb Tollimos den Fahrer zur Eile an. Auch auf dem Boot kam er nicht zur Ruhe. Unablässig knetete er den Saum seines Mantels, den er nachlässig zum Schutz gegen die Kühle der Nacht um die Schultern geworfen hatte. Er bewegte lautlos die Lippen, als schicke er stumme Gebete an die Götter.

Ununterbrochen redete seine Schwester auf ihn ein. »Es ist deine Schuld, Tollimos. Wie konntest du deiner Tochter erlauben, nach Ephesos zu gehen? Ganz allein. Du weißt doch, wie gefährlich diese Stadt ist. Schließlich ist es eine Hafenstadt und da treibt sich viel Gesindel herum. Ein Mädchen aus Didyma ist so einen Umgang nicht gewohnt. Wie konntest du das zulassen? Dann diese Laelia, ihre Freundin. Musste ausgerechnet sie Illicia nach Ephesos begleiten? Sie hat doch diesen Römer angeschleppt! Ist es nicht so? Wir wissen doch alle, wie die Römer sind! Außerdem sind sie hier nicht gut gelitten! Kein Wunder! Es ist doch klar, dass es etwas mit diesem Römer zu tun hat! Das musst selbst du erkennen, Tollimos. Wie konntest du zulassen, dass es so weit kommt. Es liegt doch auf der Hand, wer dahinter steckt!«

Erst jetzt erwachte Tollimos aus seiner Versunkenheit. »Was willst du damit sagen?«

Beruhigend legte Orvietus seine Hand auf die Schulter seines Schwagers. »Tollimos, höre nicht auf das, was sie sagt. Du kennst sie besser als ich. Du weißt, es hat nichts zu bedeuten.«

Arkadia ließ sich nicht beirren. »Aber es ist doch so. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass es Menschen gibt, die nicht erfreut darüber sind, dass wir die Römer hier haben! Kein Wunder, dass sich der Ärger über das Mädchen ergießt, wo es bekanntermaßen auf so gutem Fuße mit ihnen steht. Kommen nicht neuerdings immer mehr Römer in meine Taverne, angelockt von diesem Silvanus? Ist es da ein Wunder?«

»Jetzt schweige still, Weib!«, brach es aus dem sonst so ruhigen Orvietus heraus. »Musst du Tollimos mit deinen unsinnigen Verdächtigungen belästigen? Du siehst doch, wie er leidet.«

Verblüfft über den Zorn ihres Mannes schwieg Arkadia. Doch nicht lange, da hatte sie sich wieder gefasst und wandte sich nun ihrem Gatten zu. »Du wagst es? Du? Das bisschen Arbeit in der Taverne war dir doch schon zu viel! Wenn ich nicht wäre, mich um alles gekümmert hätte, wären wir doch arm wie die Mäuse im Marstempel.«

Orvietus hatte sein Mut verlassen. Den Kopf eingezogen, wickelte er sich fester in seinen Umhang und ließ die weiteren Anschuldigungen seiner Frau daran abprallen.

Endlich erreichten sie Ephesos. Den Weg vom Hafen zur Taverne gingen sie zu Fuß, dem Boten folgend, der eine Fackel entzündet hatte und ihnen zügig voranschritt. Die Sklaven Gallia und Scopus kamen langsam nach, schwer beladen mit dem Gepäck. Je näher sie der Insula kamen, von der die Taverne einen guten Teil einnahm, desto langsamer, zögernder wurden ihre Schritte. Vor allem Tollimos drückte die Sorge um seine Tochter nieder. Wie es ihr wohl ging? Der Bote hatte zwar gesagt, es sei ihr nichts Ernstes geschehen, aber was wusste der schon. Vielleicht wollte er sie nur beruhigen, vielleicht war Illicia schon tot?

Allein Arkadia eilte voran und blickte sich ungeduldig nach ihnen um. An der Tür hielt sie überrascht inne. Ein neues Schloss war eingebaut worden, das sah sie auf den ersten Blick, und natürlich passte auch ihr Schlüssel nicht mehr. Wütend rüttelte Arkadia an der Tür. »Wir können nicht einmal mehr in unser eigenes Haus, siehst du das, Orvietus«, bellte sie ihren herankommenden Mann an, der verstohlen dem Boten einige Münzen in die Hand gedrückt hatte und nun die Fackel trug. »Und die Taverne ist zu dieser Stunde schon geschlossen? Das ist doch eine Schande! Wovon sollen wir denn leben, wenn das Mädchen wegen einer solchen Sache die Taverne schließt? Wo sind jetzt ihre so genannten Freunde? Die hätten dem armen Ding doch auch einmal helfen können, all die Römer!«

»Arkadia, beruhige dich«, sagte Tollimos warnend, denn zwei Legionäre waren aus der Dunkelheit hervorgetreten und kamen mit gezückten Schwertern auf die Gruppe zu. »Wer seid ihr, was wollt ihr hier?«, herrschte einer der beiden Tollimos an. Der andere hatte sein Schwert auf Orvietus gerichtet.

»Das ist meine Taverne«, keifte Arkadia, »und es ist sicherlich eher angebracht, zu fragen, was ihr hier macht.«

Unsicher geworden blickten die Legionäre sich an. »Kannst du das beweisen?«

»Natürlich kann ich das beweisen, ich besitze den Schlüssel zum Hintereingang – wenn dort nicht auch das Schloss ausgewechselt worden ist. Und ich möchte darum bitten, dass ihr gütigst die Schwerter herunternehmt, was sollen denn die Leute denken.«

In der Tat hatten sich schon ein paar Schaulustige versammelt, die auf dem Weg nach Hause gewesen waren.

»Geht zum Hintereingang«, befahl einer der Legionäre. Als Arkadias Schlüssel dort tatsächlich passte und sie ihnen eine genaue Beschreibung ihrer Nichte Illicia sowie des Gastraumes geben konnte, entschuldigten sich die beiden Männer, steckten ihre Schwerter ein und begaben sich wieder auf ihren Posten.

Arkadia, Orvietus und Tollimos eilten in den Schankraum, der bis auf eine kleine Öllampe auf einem der hinteren Tische vollkommen im Dunkeln lag. Alle überlief ein leises Frösteln, denn normalerweise war die Taverne um diese Zeit bestens gefüllt und der Platz reichte kaum für alle. Auch die Würdenträger der Stadt, einheimische wie römische, pflegten auf einen Becher Wein hier einzukehren. Arkadia sah sie zwar nicht gern, die römischen Beamten, würdigte jedoch, dass sie stets ihre Rechnung ohne zu feilschen beglichen und nicht selten auch ein reichliches Trinkgeld zurückließen.

Arkadia sah sich um und erfasste mit einem entsetzten Blick, was man aus ihrer Taverne gemacht hatte. Die wenigen Tische, Stühle und Bänke, die der Verwüstung entkommen waren, zeigten deutliche Spuren von Gewalt. Dass jemand sie notdürftig repariert und im Raum verteilt hatte, um die entstandenen Lücken im Mobiliar so gut es ging zu schließen, kümmerte sie nicht. Dann gewahrte sie eine Gestalt, zitternd ein Stuhlbein umklammernd, hinter der Theke. Als der Schatten nun zögernd näher kam, erkannte sie das bleiche Gesicht von Monoculos, dessen eines trübes Auge voller Erleichterung in ihre Richtung blickte. »Teutates sei Dank, dass ihr gekommen seid!«, seufzte er.

»Was machst du da?«, fuhr Arkadia ihn an.

»Ich halte Wache, um meine Herrin und ihre Freundin zu beschützen.«

»Wache halten nennst du das?« Kopfschüttelnd eilte Arkadia in die Küche, um dort den Schaden zu begutachten.

Tollimos wandte sich an den blinden Sklaven. »Wo ist Illicia? Wie geht es ihr?«

»Deiner Tochter geht es gut, Herr. Sie ist oben und schläft. Meine Herrin hat ihr einen Schlaftrunk gegeben. Dann haben wir den Schankraum aufgeräumt und hatten sogar geöffnet, wirklich!«, fügte er in Arkadias Richtung hinzu.

Illicia hörte die Stimmen im Schankraum und erschrak. Noch immer schmerzte ihr Kopf von dem Schlag. Waren sie wiedergekommen? Ängstlich lauschend blieb sie an ihrer Zimmertür stehen. Dann erkannte sie die Laute, die schrill heraufdrangen. Noch nie hatte Illicia die Stimme ihrer Tante mit so großer Erleichterung gehört. Eilig hastete sie die Treppe hinunter und blickte suchend durch die dunkle Schankstube. Zuerst erkannte sie ihren Vater. Voller Freude lief sie auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Tollimos, überglücklich, seine Tochter wohlbehalten wieder zu sehen, drückte sie an seine Brust.

Auch Arkadia kam wieder in den Schankraum. »Illicia, Illicia! Was machst du nur für Sachen?« Kühl drückte Arkadia ihre Nichte an sich und hauchte ihr Küsse auf die Wangen. Dann schob sie sie ein Stück zurück und begutachtete ihr Gesicht. Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über Illicias geschwollenes, inzwischen blau verfärbtes Auge und sagte mitfühlend: »Armes Kind, tut es sehr weh? Gallia«, rief sie ihrer vom Gepäcktragen noch immer schnaufenden Sklavin zu, »hole sofort etwas zum Kühlen! Sieh in der Küche nach!«

Erstaunt ob ihrer Besorgnis und Anteilnahme sahen Orvietus und Tollimos den Bemühungen Arkadias wortlos zu. Dann trat Tollimos zu seiner Tochter, legte ihr einen Arm um die Schulter, drückte sie noch einmal sanft an sich und ließ sich endlich erzählen, was geschehen war.

Kapitel III

Es war ein schöner Herbsttag. Ein paar Wolken zogen über den Himmel, und der frische Wind kühlte angenehm die Stirn. Silvanus saß vor einer Garküche an der Hafenagora im Schatten. Hunger, Durst und das schöne Wetter hatten ihn hinausgetrieben, außerdem wollte er dem Amtsgebäude für ein paar Stunden entkommen. Gedankenverloren löffelte er eine Suppe und ließ seine Blicke über den Platz schweifen. Die Agora war sehr belebt, vornehme Damen ließen sich in Sänften zu den Geschäften tragen, Priester gingen in gelehrte Gespräche vertieft an ihm vorüber, Studenten hasteten mit Schriftrollen unter dem Arm vorbei. Eigentlich, so dachte er, war Ephesos ja doch eine schöne Stadt. Nicht so viel los wie in Rom, na ja, das konnte man auch nicht erwarten, aber es gab alles, was ein kultivierter Mensch zum Leben brauchte: Spiele, Bildung, gesellschaftliche Zusammenkünfte, ein buntes Straßenbild.

Silvanus hatte seine Schüssel geleert, mit Brot ausgewischt und nahm zufrieden einen Schluck verdünnten Wein. Sein Blick fiel auf das nahe gelegene Theater, das in den Hügel hineingebaut war und die Stadt beherrschte. Ein schönes Theater, wenn auch die Stadtmagistraten sich beklagten, es sei zu klein für die ständig wachsende Bevölkerung, und Brief um Brief an Marcus Antonius sandten, es doch vergrößern zu lassen.

›Vielleicht sollte ich drei Eintrittsmarken besorgen und Laelia und Illicia ins Theater einladen, das wird ihnen gefallen‹, dachte er, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Er selbst war kein großer Theaterfreund, und zudem fiel sein Blick auf eine in großen Lettern an eine Mauer geschriebene Ankündigung.

20 Gladiatorenpaare aus der Schule des Capinus werden an den Iden des Oktober in Ephesos kämpfen. Außerdem wird es Wagenrennen geben, und Sonnensegel werden aufgebaut werden. Lucius Munatius Plancus ließ dies im Auftrag von Marcus Antonius schreiben.

Das war doch etwas. Die Wagenrennen waren zwar nur Ausscheidungsrennen für das große jährliche Hauptrennen, das wenige Wochen später stattfinden würde, doch liebte er diesen Sport sehr, und er wusste, dass auch die beiden jungen Frauen sich dafür begeistern konnten. Er sollte gleich einen Sklaven losschicken und Marken holen lassen, das würde Laelia wieder mit ihm versöhnen. Sie war doch sehr gekränkt gewesen, dass er sie nach dem Überfall allein gelassen hatte. Und es passte so gut: Genau für diesen Termin hatte Lucida eine Reise nach Priene angekündigt, um dort an einer speziellen Zeremonie für die Göttin Isis teilzunehmen. Hervorragend, das gab ihm mindestens zwei Tage mit Laelia.

Er bestellte sich noch einen Becher Wein. Seltsam, obwohl er sich Sorgen machte wegen des Überfalls gestern, fühlte er sich voller Energie, tatkräftig wie schon lange nicht mehr. Vielleicht, so überlegte er, weil sich endlich einmal eine richtige Aufgabe abzeichnete. Wenn er auch nicht offiziell ermitteln durfte, so bedeutete es für ihn auf jeden Fall eine Herausforderung. Heute Morgen erst hatte er – ohne Wissen von Plancus – einige Sklaven geschickt, um Erkundigungen einzuholen, und auf dem Weg hierher vermochte er mit einem Griff in seinen Beutel diverse Geschäftsleute und Kneipenwirte zu überreden, sich für ihn umzuhören. Er war recht zuversichtlich, dass er, wenn er diesen Fall schon nicht selbst lösen durfte, wenigstens den örtlichen Behörden bald einige wichtige Hinweise würde geben können. Das war doch etwas anderes als die ewige Schreibarbeit und Verwaltung. Immerhin hatte er als Ermittler in Rom und auch in Didyma gute Erfolge gehabt, und wenn auch gewisse Bereiche dieser Arbeit ihm zuwider gewesen waren – es grauste ihm vor Leichen – so war doch die Jagd nach dem Täter immer befriedigend und meistens erfolgreich gewesen.

Seine größte Sorge war, dass Illicia weitere Gefahr drohte, aber darauf gab es bis jetzt keinen Hinweis. Er hatte ein wenig in den Meldungen der letzten Wochen geforscht und festgestellt, dass dies nicht der erste Überfall auf eine Gaststube war. Schon drei waren verwüstet worden. Wo Geld leicht zu finden war, hatte man es mitgenommen, die Täter jedoch waren nie zurückgekehrt. Das Ausmaß der Zerstörung schien zuzunehmen, nur war bisher noch kein Mensch zu Schaden gekommen. Doch diesmal war Illicia niedergeschlagen worden. Was immer dahinter stecken mochte, im Lichte der vorhergehenden Taten schien es kein gezielter Angriff auf Illicia gewesen zu sein, eher ein unglücklicher Zufall, dass das Mädchen gerade anwesend war.

Nur, was war das Motiv? Aus welchem Grund wurden die Tavernen überfallen? Wenn ein paar Taugenichtse Geld für Wein brauchten, warum dann diese Brutalität gegenüber Illicia? Wenn es Schutzgelderpressung war, müssten Forderungen gestellt werden, aber davon stand nichts in den Unterlagen. Allerdings, meistens wurde das auch nicht angezeigt. Vielleicht aber, so überlegte er, standen die Überfälle in gar keinem Zusammenhang, vielleicht hatte Arkadia, Illicias unzugängliche Tante, persönliche Feinde, das konnte er sich gut vorstellen. Sie selbst war nicht zugegen, so schlug man ihre Nichte nieder, um sie zu treffen, man verwüstete ihre Taverne, um sie zu schädigen. Einfache Rache? Oder ging es gegen Marcus Antonius? Hatte man bewusst eine Freundin des Imperators ausgesucht, um diesen zu treffen? Dann war die Sache ernster, als sie jetzt erschien, ernster, als Munatius Plancus sie nahm. Auch wenn dies zugegebenermaßen nicht sehr wahrscheinlich war, ausschließen durfte man die Möglichkeit nicht. Er konnte sich eines unguten Gefühles nicht erwehren. Von neuem überlegte er, Antonius in einem informellen Brief von den Geschehnissen in Kenntnis zu setzen.

Sein Blick glitt über die Säulenhallen, unter denen sich die Menschen drängten. Dahinter lagen die großzügig angelegten Hafenanlagen, auf denen der Wohlstand der Stadt beruhte, direkt daneben die Thermen mit dem Gymnasion, deren Dächer die Arkaden überragten, so dass er die Wasserspeier an den Dachtraufen im Dunst der feuchten Luft erahnen konnte. Einen Besuch in den Thermen wollte er machen, nahm Silvanus sich vor, nachdem er noch einmal kurz im Amtsgebäude vorbeigeschaut haben würde. Er trank seinen Becher aus, suchte in seinem Beutel nach ein paar Münzen, stand auf und strich seine Tunika glatt. Ja, erst ins Gymnasion, ein wenig Sport treiben, und dann in die Bäder, das täte ihm gut. Voller Vorfreude reckte er seinen massigen Körper.

Sein Lächeln erstarb, als er Arphocas, einen seiner Würfelfreunde, mit versteinertem Gesicht auf sich zukommen sah. Silvanus hatte ihn gleich zu Anfang seiner Dienstzeit in Ephesos kennen gelernt und zuweilen mit ihm und seinen Freunden gewürfelt – viel Spaß hatte er dabei gehabt. Einmal in der Woche, wie er Lucida vorschwindelte, traf er sie jedoch nicht, sondern verbrachte diese Abende stattdessen mit Laelia.

Arphocas hatte sich inzwischen auf die Bank vor der Garküche gesetzt und einen Krug Wein bestellt. Also setzte sich auch Silvanus wieder. »Salve, Arphocas, was ist los? Hat dich deine Frau mal wieder verlassen?«, scherzte er und bereitete sich innerlich auf einen Schwall von Selbstmitleid, die üblichen Anschuldigungen gegen die ungetreue Gattin, welche in regelmäßigen Abständen dem Eheleben zu entfliehen suchte, und Frauen im Allgemeinen vor. Doch Arphocas sagte nur: »Nein, du musst etwas unternehmen, Silvanus.« Dann trank er in einem Zug seinen Becher leer.

Silvanus schenkte nach. »Was denn? Ist sie wirklich verschwunden? Soll ich nach ihr suchen lassen? Offiziell wird das nicht gehen.«

Arphocas schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nein, nein. Es ist etwas ganz anderes. Facilis ist tot. Erschlagen! Ich habe es eben erfahren.«

»Was?«

Facilis war der Wirt der Taverne, in der sie würfelten, ein dicker, gemütlicher Mann, mit dem man manch deftigen Witz reißen konnte.

»Oh«, murmelte Silvanus betroffen. »Was ist passiert?«

Arphocas erzählte. Facilis sei in seiner Gaststube erschlagen, der Raum verwüstet worden. Geschehen sei das Ganze heute Vormittag, als außer dem Wirt keiner in der Taverne war. Arphocas hatte eben einen von Facilis’ Sklaven getroffen und von ihm die traurige Nachricht erhalten. »Du wirst doch etwas unternehmen, nicht wahr, Silvanus? Das war Mord, kaltblütiger Mord. Der arme Facilis! Die Schweine, die das getan haben, gehören an das Kreuz, besser heute als morgen! Und die Griechen, die diese Dinge bearbeiten, sind absolut unfähig und phlegmatisch. Da sind die Römer doch von einem ganz anderen Schlag.« Obwohl selbst Epheser, war Arphocas von der römischen Wesensart sehr angetan.

Silvanus schwieg erschüttert. Bei Jupiter, nun nahm die Sache bedrohliche Ausmaße an. Illicias Bild trat ihm wieder vor Augen, wie sie in ihrem Bett lag, die Locken von Blut verklebt, das Gesicht geschwollen. Er musste unbedingt Munatius Plancus dazu bringen, ihn ermitteln zu lassen. Seine Sorge um die Sicherheit der Mädchen steigerte sich zu einem dumpfen Angstgefühl. Wenn diese Schläger nun doch zurückkehrten? Er wandte sich an Arphocas. »Ich werde sehen, was ich machen kann, mein Freund. Als Erstes werde ich mir den Tatort anschauen. Geh du erst einmal nach Hause und ruhe dich aus.«

In der Tat sah Arphocas gar nicht gut aus. Die langen, schon grau werdenden Haare hingen wirr um seinen Kopf, das sonst rosig glänzende Gesicht war von einer erschreckenden Blässe und die grauen Augen blickten trübe. »Du hast Recht, Silvanus, ich werde nach Hause gehen. Ich vertraue darauf, dass du unseren alten Facilis rächen wirst. Salve, mein Freund!« Damit stand er auf und ging schwankend von dannen. Silvanus sah ihm nach. Aus unerfindlichen Gründen mochte er diesen etwas verschrobenen Mann und er wusste, dass ihm der Tod des Wirtes wirklich nahe ging. Trotzdem verspürte er einen leichten Anflug von Ärger, als er jetzt aufstand und der Besitzer der Garküche ihn erwartungsvoll ansah – Arphocas hatte ihm die Rechnung überlassen. Nun, sei’s drum, Silvanus zahlte und machte sich auf den Weg in die Taverne, in der sie zu würfeln pflegten.

***

Niedergeschlagen betrat Silvanus einige Stunden später das Amtsgebäude. »Bithynicus«, wies er den Sklaven an, als er sein Zimmer erreicht hatte, »hilf mir beim Anlegen der Toga und frage dann bei Munatius Plancus nach, ob er für mich zu sprechen ist. Es ist wichtig.«

Mürrisch holte der Sklave die Toga aus der Truhe, tat wie geheißen und verschwand. Silvanus sah ohne großes Interesse die Eingänge auf seinem Schreibtisch durch. Nichts Besonderes, das konnte alles bis morgen warten. Nachdenklich schritt er im Zimmer auf und ab. Sein ungutes Gefühl bei dieser Reihe von Tavernenanschlägen wuchs, und auch wenn er nicht persönlich davon betroffen gewesen wäre, hätte er darauf gedrungen, dass dieser Fall von den römischen Behörden übernommen werden sollte. Dahinter steckte mehr als bei gewöhnlichen Überfällen, nur was, das vermochte er nicht zu sagen. Noch nicht.

Zum ersten Mal in seinem Leben zweifelte er an der Richtigkeit der römischen Politik in den Provinzen. Diese behielten ihre Autonomie in Sachen Religion und Rechtsprechung bei, was in der Bevölkerung dafür sorgte, dass sie die römische Herrschaft kaum als solche wahrnahm. Nur bei Delikten, die den römischen Staat und seine Bürger betrafen, griffen dessen Magistrate ein, ansonsten beschränkten sie sich darauf, Steuern zu erheben und die Verwaltung zu überwachen. Steuern musste die Provinzbevölkerung so oder so zahlen, auch an eigene Herrscher, und die Römer sorgten darüber hinaus dafür, dass Straßen und öffentliche Gebäude, Aquädukte und Tempel gebaut oder restauriert wurden. Meist ging es den Menschen in den Provinzen unter dem Dach Roms besser als zuvor.

»Nun«, sagte sich Silvanus, »Einzelfallentscheidungen gibt es immer, vielleicht kann ich Plancus ja davon überzeugen, dass wir eingreifen müssen. Und wenn nicht ...«