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Als Christ unterwegs zu sein ist oft alles andere als einfach. Davon erzählen die Tagebuch-Notizen dieses Buches. Und sie erzählen von schönen, erstaunlichen, kostbaren Erfahrungen. Es geht darum, in der Bandbreite des Alltags realistisch zu werden, Vertrauen zu üben, Lieben zu lernen. In allem zu entdecken: Mit Jesus unterwegs zu sein und an seiner Liebe festzuhalten lohnt sich, auch wenn es nicht immer einfach ist. Beobachtungen. Begegnungen. Erfahrungen. Nachdenkliches. Zum Weiterdenken…
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Seitenzahl: 526
Veröffentlichungsjahr: 2022
Aus Persönlichem etwas Öffentliches zu machen war nicht der Plan gewesen. Ich habe über die Jahre viele Male „nein“ gesagt, ein paar Male „vielleicht“ und erst sehr spät doch „ja“. Von Herzen DANKE an alle, die zu diesem Ja inhaltlich und technisch beigetragen haben!
Verwendete Bibelübersetzung: Wenn nicht anders vermerkt, wird gemäß https://www.bibleserver.com zitiert aus: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Weitere Übersetzungen und ihre Abkürzungen: im Anhang.
Susanne Folkers
Einfach
glauben fällt mir
schwer
© / Copyright: 2022, 1. Auflage, Susanne Folkers
Umschlag, Illustration: Dena Teherianfar, denadesigns.at
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
ISBN
978-3-347-67410-3 (Paperback)
978-3-347-67411-0 (Hardcover)
978-3-347-67412-7 (e-Book)
Vorwort
Es gibt Menschen, die scheinen von Natur aus mit sehr sonnigem Gemüt und ziemlich unerschütterlichem Urvertrauen gesegnet zu sein; sie strahlen etwas erfrischend Fröhliches, Ansteckendes aus. Und wenn sie Christen werden, dann prägt das oft entsprechend auch ihr Glaubensleben; sie können das Leben anpacken, ohne von mühsamen Grübeleien ausgebremst zu werden. Das ist etwas sehr Schönes.
Bei mir ist das etwas anders. Ich lebe seit über 50 Jahren bewusst als Christ und bin sehr froh und dankbar für viele kostbare Erfahrungen auf diesem Weg. Aber ich habe immer schon zu der eher nachdenklichen bis schwermütigen Sorte Mensch gehört. Und das prägt auch mein Glaubensleben; was ich wahrnehme, wie ich hinterfrage, wie intensiv ich Dingen auf den Grund gehen „muss“. Wie stark ich trotzdem in den vergangenen Jahren noch einmal alles neu durchbuchstabieren musste, war allerdings für mich selbst überraschend. Und manchmal schier zum Verzweifeln. Und doch letztlich vergewissernd, bestärkend, ermutigend.
Eine große Hilfe zum Sortieren meiner Gedanken ist für mich schon immer das Aufschreiben gewesen. Also habe ich entsprechend viel Tagebuch geschrieben. Und schließlich – angestoßen und ermutigt durch andere Weggefährten - hier jetzt einige Auszüge zusammengestellt, in der Hoffnung, dass auch für andere hilfreich werden könnte, was mich bewegt hat und bewegt.
Vordergründig geht es also um Einfälle vorwiegend aus einem Zeitraum von etwa 9 Jahren, Gedanken-Splitter, Perspektiven, Gebete, Erfahrungen, minimal überarbeitet/anonymisiert und ohne Anspruch auf vollständige Erfassung des jeweiligen Themas. Denk-Anstöße in der Form von meistens eher kürzeren Notizen (u.U. auch mehreren an einem Tag), manchmal aber auch längeren Gedankengängen. Aufzeichnungen von Versuchen, „ins Unreine vor mich hin zur denken“, um einfach ehrlich festzuhalten, wahrzunehmen und zu sortieren, was ich glaube oder nicht glaube und herauszufinden, woran das liegen könnte. Es ist also kein allgemeines Nachschlagewerk für evangelisches Christsein! Möglicherweise wird auch der eine oder andere Leser hierdurch erst auf Fragen und Probleme gestoßen, die er bis dahin noch gar nicht hatte. Aber vielleicht hat sie ja jemand in seiner Umgebung.
Hintergründig geht es auch um das Teilen einer lebenslangen Erfahrung: Nachfolge verläuft in aller Regel nicht auf einem Panorama-Höhenweg.
Es gibt einfachere Wegstrecken, aber auch sehr mühsame; es gibt Bestätigungen dafür, auf dem richtigen Weg zu sein, aber auch Phasen der Unsicherheit oder Orientierungslosigkeit. Es gibt Wegstrecken mit gutem Überblick, aber auch dschungel-artige Pfade, wo man sich Schritt für Schritt vorwärts kämpft und in Frage stellt, ob man überhaupt noch auf dem richtigen Weg ist.
Und schließlich: älter zu werden bedeutet nicht einfach automatisch, dass man in allem nun endlich ruhiger, gewisser, besonnener wird. Wir reden ja oft vom „Wachsen“ im Glauben, und sehnen uns auch danach. „Wachsen“ ist aber ein Bild, und Bilder erfassen immer nur Teile der Wirklichkeit. Uns das bewusst zu machen kann uns vor Illusionen, falschen Erwartungen und geistlichem Stress bewahren. So kann das Bild vom Wachsen unterschwellig in uns ja die Vorstellung auslösen, dass es sich hier um einen sehr kontinuierlich und nahezu „automatisch“ ablaufenden Prozess handelt, so wie sich eine Pflanze nach und nach, aber stetig vom Keim bis zur vollen Blüte entfaltet. Und wenn wir dann in unserem Leben entdecken, wie wenig gradlinig es vorwärts geht, dann kann uns das in die Verzweiflung treiben; sind wir wohl eine Art hoffnungsloser Fall, eine beschämende Ausnahme?
Aber in Beziehungen - und beim Glauben geht es ja um Beziehung zu einem lebendigen Gegenüber - verläuft das Wachsen eben nicht so einlinig. Da sind es manchmal sogar gerade die Krisen, die letztlich dazu führen, dass unser Vertrauen stärker wird. Richtig und wichtig am Bild vom Wachsen ist, dass wir auf ein positives Ziel hin leben (die vollkommene Wiederherstellung und Entfaltung dessen, wie wir eigentlich von unserem Schöpfer gedacht waren), und dass wir im Rückblick immer wieder mal hier und da etwas und dann vollkommen in der Ewigkeit erkennen werden, wie alles von Gott dazu in Dienst genommen wurde.
Ich habe also bewusst den Tagebuchcharakter meiner Notizen weiter bestehen lassen und auch Unausgegorenes, offene oder ähnliche Fragestellungen einfach zum eigenen Weiterdenken stehengelassen. Das spiegelt außerdem die Erfahrung wider, wie sehr sich unser Glaube aus einer Kette von Momentaufnahmen entwickelt. Und niemand hat alles vor Augen, schon gar nicht jederzeit. Das gilt selbst für das, was man „eigentlich endlich kapiert“ zu haben meint - und manches Mal dann doch noch wieder vergisst, wie einem das Durchblättern eines Tagebuches schonungslos ernüchternd und eindrücklich vor Augen führen kann.
Ich vermute, dass es nicht wenige Christen gibt, die sich im Auf und Ab des Glaubenslebens wiederfinden werden. Uns einander auch und gerade in den Durststrecken unseres Lebens zu öffnen und mitzuteilen bedeutet zwar auch, sich verwundbar zu machen; aber gerade das ist die Chance, unsere Beziehungen untereinander und mit unserem Herrn zu vertiefen, uns zusammenzuschweißen. Und ich hoffe deshalb, dass ich andere ermutigen kann, scheinbar Selbstverständliches getrost zu hinterfragen und sich auch mit Sperrigem und Schmerzlichem auseinanderzusetzen statt auszuweichen. Es ist ein heilsamer Weg. Jesus hält das aus, hält uns aus, daran hege ich keinen Zweifel.
Ein paar größere Themenkomplexe zusammenzustellen erschien mir sinnvoll, auch wenn dadurch im jeweiligen Kapitel unvermeidbar stimmungsmäßige Schlagseiten entstehen, die der tatsächlichen Abwechslung im täglichen Lebenslauf nicht immer gerecht werden.
Insgesamt also einfach nicht mehr und nicht weniger als:
Beobachtungen. Begegnungen. Erfahrungen. Nachdenkliches.
Zum Weiterdenken…
Inhaltsverzeichnis
1. Beziehung zwischen Gott und Mensch
2. Gespräch mit Gott – Beten
3. Sinn - Berufung - Platzanweisung
4. Staunen – Freuen – Danken
5. Vergewisserung - Zweifel
6. Miteinander glauben, hoffen, lieben
7. Vertrauen - Durchhalten
8. Anmerkungen
1. Beziehung zwischen Gott und Mensch
27.05.2013
Ich habe viel nachgedacht über ein alltägliches Geschehen im Gottesdienst, das mich tief beeindruckt hat. Wir (der Chor) saßen auf der Empore. Eine junge Mutter hatte ihr kleines Baby bei sich, wenige Monate alt. Der Kleine schlief die meiste Zeit. Aber manchmal öffnete er seine Augen und suchte nach den Augen seiner Mutter. Wenn ihre Augen sich trafen, war er zufrieden. Seine Mutter lächelte, schaukelte seinen Sitz ein wenig und er schlief wieder ein.
Unmittelbar verstand ich Jesu Botschaft an mich in diesem Moment: „Sieh, so bin ich dir gegenüber!“ Ein unerwarteter himmlischer Rippenstoß in einer schwierigen Lebensphase.
Dieser liebevolle Augenkontakt ist das, was wir unbedingt brauchen in unserer Beziehung mit Jesus. Wissen, Verständnis (mein natürlicher Schwerpunkt von Natur aus) ist sehr wichtig, aber nicht das Wichtigste überhaupt. Wenn wir dort unseren Frieden zu finden versuchen, wird uns das nicht gelingen. Gewissheit, dass liebende Augen uns im Blick haben, ist das Wichtigste. Warum? Wir sind bedürftige und begrenzte Wesen, die sich danach sehnen, sicher und nicht allein zu sein. Individuelle liebevolle Kontakte/Berührungen sind Zeichen, die auf die beständige Liebe dahinter hinweisen, die gegenwärtig bleibt, selbst wenn die Berührung in einem bestimmten Moment nicht gespürt wird.
Die Frage ist: was bedeutet Augen-Kontakt im Hinblick auf den auferstandenen und unsichtbaren Herrn? Wie ist das möglich? Wo kann er stattfinden?
Es ist nicht etwas, das wir erzwingen können durch irgendeine Art von Technik oder Verhalten.
Es kann geschehen während des Betens.
Es kann geschehen, wenn uns plötzlich ein Wort von ihm nicht nur in den Sinn kommt, sondern unser Herz berührt.
Es kann geschehen, wenn wir das Mahl des Herrn feiern und ihn in dem Moment als den wahren Gastgeber erkennen.
Es kann im täglichen Leben geschehen (wie anfangs beim Chor).
Und wenn es geschieht, ist es ein Hinweis auf die höchste Wirklichkeit.
27.05.2013
Als ich mein Tagebuch durchblätterte, stieß ich auf eine ein paar Jahre zurückliegende Notiz (warum bloß sind wir so vergessliche Leute???). Wir waren damals in einem kurzen Abendgottesdienst zusammen und dachten über den Weg Jesu ans Kreuz nach. Die Schriftlesung war aus Joh 13; Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Plötzlich hatte ich eine sehr intensive innere „Vision“ (extrem außergewöhnlich für mich), wie Jesus respektvoll und zärtlich meine Füße in seine Hände nimmt. Er, der allen Respekt der ganzen Menschheit verdient, ist mir einzelnen Frau so nah; Er, der der Herr der ganzen Schöpfung ist, konzentriert sich so auf die eine Person vor ihm - unbeschreiblicher Eindruck.
Wie gesagt - die Aufgabe bleibt, nicht auf seine Abwesenheit zurückzuschließen, wenn solche berührenden Erfahrungen ausbleiben (die ja eher die große Ausnahme sind). Stattdessen gilt es, auf die untergründige Wirklichkeit zu vertrauen, auf die diese Ausnahme-Erfahrungen verweisen: Er ist nahe und bleibt nahe - nur auf eine Weise, die meinen Sinnen verborgen bleibt, mich aber dennoch effektiv schützt und sicherstellt, dass ich nicht unter meiner Last zerbreche. Er wird mich nicht aus den Augen lassen. Das hat er mit seinem Leben und Tod besiegelt: Er, der im Gebet (Joh 17) seinem himmlischen Vater bezeugt, dass er keinen der ihm Anvertrauten verloren hat, wie es versprochen war - und wie es dem Guten Hirten entspricht. Er, der sich sogar noch in den letzten Minuten seines Lebens um die Zukunft seiner Mutter kümmerte (Joh 19,6). Und der Tag wird kommen, an dem er meine letzten Tränen wegwischen wird.
(Wir leben weder nur von Erfahrungen noch nur vom Wort - wir brauchen beides, und beides steht in Wechselwirkung zueinander).
Paulus’ Erfahrung des Schiffbruchs (Apg 27,22) passt hierher - er bekommt das Versprechen, aus dem Schiffbruch gerettet zu werden, aber das entspricht nicht dem menschlichen Ideal, dass Gott doch lieber gleich einfach den Schiffbruch verhindern würde und all die Panik und den Schmerz, die damit verbunden sind.
Ich lasse mich immer noch oft verleiten zu denken, ich bräuchte mehr Wissen. Um so dringlicher nochmals: Oft ist Gewissheit aber viel wichtiger (ohne das andere einfach dagegen auszuspielen); Gewissheit über Jesu Charakter, Gegenwart, Zusagen, Handlungsweisen – weil diese Gewissheit zu Gelassenheit und Flexibilität und aus falschen Fixierungen führt. Und sie entsteht durch sein Wort, Zeit mit ihm, Hören auf andere Zeugen und Sehen auf seine Spuren der Treue und Fürsorge in ihrem Leben.
Ps 131,2
Ja, ich ließ meine Seele still und ruhig werden; wie ein kleines Kind bei seiner Mutter, wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir.
29.06.2013
Mir geht eine Begegnung immer noch sehr nach. Ich traf ein sehr liebes altes Ehepaar unserer Gemeinde vor einem Supermarkt, sie schoben gemeinsam ganz langsam ihren Einkaufswagen vor sich her. Ihr einziger Sohn ist im Alter von 40 Jahren an Krebs gestorben. Sie haben seine Hand gehalten bis zum Ende. Nun sehen sie selbst ihrem letzten Wegabschnitt entgegen, ziehen Kraft aus dem Gebet, aber das hält natürlich nicht den Prozess zunehmender Schwäche auf. Sehr wahrscheinlich werden sie diese Welt nicht zusammen gleichzeitig verlassen. Und sie fragen sich: „Wenn ich der letzte bin - wer wird meine Hand halten?“
Der letzten Einsamkeit ins Auge zu sehen, verdient Respekt; es ist völlig realistisch, aber geht auch sehr unter die Haut. Wie gesegnet ist der, der aus Erfahrung weiß, dass Jesus immer in der Lage sein wird, sein Versprechen treuer Liebe zu halten und an unserer Seite zu bleiben; dass er Wege finden wird, uns seine Gegenwart spürbar zu machen selbst da, wo menschliche Liebe an ihre Grenzen stößt. Er hat das selbst durchgemacht, er weiß, wie sich Sterben anfühlt.
Ja, das ist es, was letztlich zählt. Mir ist wieder Ps 131 in den Sinn gekommen. Diese Liebe zählt:
„Von David, ein Wallfahrtslied. Herr, mein Herz ist nicht hoffärtig, und meine Augen sind nicht stolz. Ich gehe nicht um mit großen Dingen, die mir zu wunderbar sind. Ja, ich ließ meine Seele still und ruhig werden; wie ein kleines Kind bei seiner Mutter, wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir. Israel, hoffe auf den Herrn von nun an bis in Ewigkeit!“
22.08.2013
Zum Stichwort „Erste Liebe verlassen“ Offb 3,1ff. gelesen.
Erschreckend. Man kann so viel Richtiges tun - und doch dabei das Zentrum verlieren: die erste Liebe. Die ist das Herzstück von allem.
Vgl. Jer 2,2 „So spricht der Herr: Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Lande, da man nicht sät.“ Jer 2,8 ergänzt das mit einer tiefgründigen Beschreibung: “Die Priester fragten nicht: Wo ist der Herr?“. Das „wissen“ sie wohl schon – die fraglose Selbstverständlichkeit, mit der sie leben, wird bewertet als „sie leben die Beziehung nicht“. Routine ist der Tod jeder Beziehung.
Vgl. Joh 21: Petrus wird nicht gefragt, ob er jetzt endlich die Schriftbeweise zu Jesus als Messias kapiert und akzeptiert hat, sondern ob er seinen Herrn liebt.
Immer wieder geht es ums Herz, um Liebe, Beziehung, Leidenschaft. Alles andere dient dem nur bzw. sollte Ausdruck davon sein/ergibt sich daraus. Eigentlich. Machen wir uns das genügend klar? Und unserer Gemeinde? Von Vertrauen ist viel die Rede, und darin kann ja auch Liebe stecken. Aber wer würde spontan auf die Frage: „Worum geht es beim Christsein?“ antworten: „Um die Wiederherstellung und das Leben einer Liebesbeziehung mit unserem unsichtbaren, aber gegenwärtigen Schöpfer und Herrn!“??? Vielleicht würde aber das häufige bewusste Formulieren dieses Zentrums zu einer Bewusstseinsänderung unter uns führen können, zu einer Suche nach geistlichem Leben, das mehr ist als das Hüten von Traditionen und Werten; wenn wir das sozusagen als Lernziel „einzuhämmern“ versuchen würden!? Als Christ leben lernen heißt doch, die Sprache Jesu mehr und mehr hören und verstehen lernen und einander dabei zu helfen versuchen!? Zu fragen: „Was macht Jesus liebenswert?“ würde „ganz nebenbei“ auch den Blick weglenken von unseren vermeintlichen oder wirklichen Bedürfnissen erst einmal auf die Person Jesu und so den Glauben aus der Falle der Zweckorientiertheit holen („was bringt mir das?“). Liebe braucht das Staunen.
Vor vielen Jahren habe ich mal den großen Schein „Liebe Gottes“ in kleine Münzen zu wechseln versucht, um die Dinge konkreter zu bekommen. Daraus ist ein Denk-Zettel für den Kühlschrank entstanden. Die Übersicht immer mal wieder aufzufüllen mit passenden Bibelstellen ist eine gute Übung, aus der Freude und Staunen erwachsen können:
Gottes Liebe ist Grund zum Feiern, zur Anbetung.
Sie äußert sich
- in Seinem Denken über uns
• Gedanken des Friedens
• Wie eine Mutter vergisst Er uns nie
- in Seinem Fühlen für uns
- in Seinem Tun:
• Erlösung, Vergebung
• Auf dieser Grundlage ist jeder Tag ein neuer Anfang
• Schutz
• Fürsorge
• Durchtragen
• Führung
• Trost
• Hoffnung
• ethische Orientierung
• Sinnvolle Aufgaben
• Heilung
Wenn die Beziehung zu Jesus unsere wichtigste Sorge sein, den wichtigsten Platz in unserem Denken, Fühlen, Wollen, Tun einnehmen soll - welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es? Skizziert:
Beziehungen werden gepflegt durch:
Bei Menschen
Bei Gott
Miteinander reden
Beten
Aufeinander hören
Gottesdienst, Bibellesen u.Ä.
Gleiche Werte und Ziele verfolgen
Gleiche Werte und Ziele verfolgen
Miteinander arbeiten, füreinander
In Seinem Sinn den Alltag gestalten,
arbeiten, sich einsetzen
mit Ihm und für Ihn
Miteinander essen
Abendmahl
Miteinander feiern, freuen, trauern
Musik, Anbetung
24.08.2013
Jesus (wieder) lieben lernen - wie kann das aussehen? John Eldridge1 weist in die Richtung: alles Erleben mit Jesus in Verbindung bringen; ich nehme den Faden auf:
Alles Schöne (jetzt im Urlaub z.B.: von der italienischen Bettwäsche über blumengeschmückte Häuser bis zu einem hübschen Schmetterling) kommt letztlich von ihm.
Alles, woran ich mich freue, kommt von ihm.
Alle Freundschaft unter Menschen, alle Liebe, alles Verstehen, alle Versöhnung, alle Zärtlichkeit, alle Romantik kommt von ihm.
Alles, worüber ich staune, kommt von ihm, ist seine Erfindung, spiegelt seine Herrlichkeit und Phantasie wider.
Alle Arbeit, die gelingt, alles Mühen, das zu einem guten Ergebnis führt, kommt letztlich von ihm.
Alle kleinen und großen Siege über Böses kommen von ihm.
Er hat mir Sinne gegeben, dies alles wahrzunehmen und einen Geist, der dies alles als Hinweis auf ihn verstehen kann.
Und sollte.
Aber das nicht automatisch tut.
Und es genau deshalb bewusst einüben muss.
Und dann den Schritt vom (eher distanzierten) Nachdenken zum (herzlichen) Aussprechen im Gebet gehen „muss“.
Die Kleinigkeiten des Alltags erscheinen oft so unscheinbar, so selbstverständlich - und damit entgehen sie uns als geschenkte Gegengewichte, liebevolle himmlische Fingerzeige gegen das, was sich als erdrückend negativ in den Vordergrund drängen oder gar als die eigentliche Wirklichkeit zu präsentieren versucht.
Lieben lernen also eigentlich „ganz einfach“: im Alltag beten lernen. Eindrücke auch wieder ausdrücken in Freude, Staunen, Bitten usw. „Nachdenken über“ ergänzen durch „Reden mit“…
Nichts Neues, natürlich nicht. Ich muss es nur tun statt nur darüber nachzudenken - ohne den Gedanken, mir damit etwas einzureden, sondern mit dem Gedanken, etwas Wahres auszudrücken und damit anzuerkennen (und zu hoffen, dass dieses Ausdrücken vergewissernd wirkt).
14.01.2014
Nachtgedanken, unsortiert aufgeschrieben, ausgehend von der Frage, was Glück bedeutet.
Glücksempfinden:
Wo ich selbstvergessen bin, mit mir eins, in der Gegenwart lebe, hineingenommen bin in ein Größeres, Staunen „bin“ - da spüre ich einen Hauch Ewigkeit. (Goethes Faust: „Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“)
Ist das vielleicht ein Merkmal des Lebens, das Zukunft hat - das Eigentliche?
Glück, Gott nahe zu sein (Jahreslosung):
Es gibt ja in Dogmatik und Kirchengeschichte immer wieder diese steilen Thesen, man müsse Gott um seiner selbst willen lieben. Das hört sich zunächst mal auch sehr edel an, aber im nächsten Moment auch frustrierend, weil die Umsetzungsmöglichkeit offensichtlich fehlt. Dieses Fehlen wird dann als Hinweis auf die Sünde in uns gesehen. Aber ich frage mich: ist da nicht vielleicht ein Denkfehler im Spiel?
Es geht um Liebe, Liebe geht um Beziehung - wie kann Gott für uns etwas bedeuten abgesehen von seiner Beziehung zu uns? Ist das nicht völlig abstrakt? Er ist unser Schöpfer, unser Retter usw. - wie sollen wir das wegdenken? (Selbst wenn es gelänge - was bliebe???) Da ist immer etwas „Egoistisches“ drin. Aber trifft "egoistisch" die Sache wirklich?
In dem Moment, wo ich von einem anderen etwas erwarte, kann ich ihn damit auch ehren, seine Fürsorge ernst nehmen, seine Gaben anerkennen, mein Vertrauen beweisen. Sonst spielt sich Liebe doch im luftleeren Raum ab!?
Weiterer Gedanke zu Gottes Art von Liebe.
Menschliche Liebe freut sich an der Freude des anderen, leidet mit an seiner Traurigkeit, trauert über seine Gleichgültigkeit oder Ablehnung, sehnt sich nach Zusammensein. Wäre es nicht so, wäre der andere einem gleichgültig. Also ist Liebe eigentlich immer mit „Bedarf“, mit Sehnsucht, mit potentiellen „Defiziten“ verbunden. Sollte das bei Gott - der doch der „Erfinder“ von Liebe und Beziehung ist und den wir jedenfalls widerspiegeln sollen - anders sein? (ggf.: Könnten wir den Begriff dann aber überhaupt noch füllen?) Die Philosophen und alten Theologen werden ja nicht müde zu betonen, dass wir Gottes Liebe nicht verdient haben und er aus absoluter Freiheit heraus beschenkt usw. Klar, es hört sich auch irgendwie falsch an zu sagen, dass dem Gott etwas fehlt, der der Inbegriff von Fülle und Glück und Vollkommenheit in Person ist. Aber irgendwie hört es sich genauso falsch an zu betonen, dass er unabhängig von uns glücklich ist. Man möchte seine Souveränität erhalten und verhindern, dass Gott zu einer Karikatur wird, einem hilflosen Opa oder so, und das Anliegen ist sicher berechtigt. Aber ist das nicht das falsche Extrem? Ist es nicht gerade ein Zeichen von Stärke, z.B. Ablehnung „ohnmächtig“ zu ertragen ohne den anderen zu unterdrücken, zu zwingen usw.? Die Calvinisten versuchen ja die Gründe der Erwählung von allem reinzuhalten, was in uns einen Anhaltspunkt hat aus lauter Sorge vor Stolz, Verharmlosung unseres Sünderseins usw.; aber macht man damit nicht eigentlich – entgegen den positiven Absichten dabei - den Schöpfer schlecht? Angemessene Sprache ist eine schwierige Sache.
06.02.2014
Joh 13 ff. angefangen zu lesen.
Seine Liebe - bis zum Ende, spiegelt den himmlischen Vater wider.
Wenn er mit Augen der Liebe, der Achtung, des Erbarmens Leute im Schatten, in Not ansah, dann gilt das auch heute noch, das ist ja sein Wesen.
Warum hilft er dann nicht auch deutlicher?
Er hilft durch Nähe, Bewahrung, Stärkung, ob wir es wahrnehmen oder nicht; er ist bei uns, sein Blick ruht auf uns. Wie der von Eltern am Kinderbett, die den Kleinen vieles noch nicht erklären oder ersparen können.
Aus solcher Vergegenwärtigung kann Gegenliebe von uns wachsen.
Und Hoffnung, dass wahr wird (Ps 34,6): „Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden.“
03.03.2014
Um dem auf die Spur zu kommen, was elementar, grundlegend wichtig ist, lohnt sich zu fragen:
Was ändert sich, wenn jemand Christ wird?
Versuch einer griffigen Antwort:
Es gibt eine neue Beziehung im Leben und man beginnt, die große Geschichte hinter den vielen kleinen Lebensgeschichten zu ahnen, die Dinge in neuem Licht zu sehen. Die Alltäglichkeiten werden transparent im Hinblick auf den Autor.
Oder mit einem anderen Bild gesagt:
Es gibt einen Reiseleiter, einen Sinn, eine Zukunft.
02.04.2014
Es gibt eine größere Wahrheit, die all unsere kleinen Leben umgreift.
Wir sollen und können in ihr leben lernen.
IHN erleben, in dem die unermesslich große Wahrheit menschlich anschaulich wird.
Jesus redet.
Er will die Beziehung mit uns.
Jesus erleben - was kann damit gemeint sein?
Wenn er mir lebendig wie den Jüngern erscheinen würde, ginge es um:
Sehen, Hören, Fühlen; gemeinsames Erleben; seine Reaktionen mitbekommen auf das, was geschieht.
Da er jetzt unsichtbar ist:
- Sehen fällt weg
- Hören: auf den verschiedenen „Kanälen“ (biblisches Wort, auch vermittelt durch Menschen, Träume u.a.)
- Fühlen: mehrdeutig, passiert aber gelegentlich (aber anders als damals in Israel natürlich)
- Gemeinsam erleben: das ist eine Frage, wie bewusst mir sein Wort ist: er sagt mir seine Gegenwart zu. D.h.:
Der Erfinder der Freude freut sich mit mir.
Er hat Mitgefühl mit mir.
Er teilt meine Traurigkeit über Unglauben, Unverständnis, Gleichgültigkeit, Hartherzigkeit - er kennt das aus eigener Erfahrung. In dieser Hinsicht haben wir Anteil an seinem Leiden in solchen Momenten.
Er lässt mich nicht fallen, wenn die eben beschriebenen Haltungen bei mir selbst durchschlagen.
Er teilt meinen Schmerz bei Krankheit usw. - er ist ja als Arzt im umfassenden Sinn, als Heiland gekommen.
08.04.2014
„Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Lk 9,57ff.)
Jesus bietet - zumindest hier - diesen Nachfolge-Willigen nichts an - außer sich selbst, seine Nähe. Keine „Bestechung“. D.h. - auch wenn das nur eine Weise seiner Einladung ist (er lädt ja auch die „Durstigen“ usw. ein, die ihr Bedürfnis empfinden und Befriedigung von ihm in Aussicht gestellt bekommen):
Er führt nicht zu einem Ziel (in erster Linie), er ist das Ziel - bzw. die Gemeinschaft mit ihm; in seiner Nähe dann die Vielfalt des Lebens zu erleben und zu erleiden und zu bestehen. Nur wenn die konkreten Dinge des Lebens untergeordnet sind unter die Beziehung zu ihm und eingeordnet in sein größeres Drehbuch, haben sie ihren richtigen Platz (den sie ja vom Schöpfer her ohne Frage im Prinzip haben sollen). Es geht (erst einmal) nicht um Dinge/Menschen/Träume haben, nicht darum, „etwas“ zu bekommen, zu behalten, sondern darum, etwas zu sein bzw. wieder zu werden - in sein Ebenbild verwandelt zu werden. Deshalb: immer wieder loslassen. Er gab alles für uns, Phil 2,5ff., für uns gilt umgekehrt das Gleiche, 1.Gebot.
Wir neigen allerdings dazu, seine Liebe zu uns doch immer wieder eher an unserem guten Ergehen festzumachen (und uns damit zu vergewissern) als am Kreuzes-Geschehen, seiner Hingabe für uns.
Noch ein wichtiger Gedanke in diesem Zusammenhang:
Die an sich richtige Konzentration auf das Wesensmerkmal der Liebe Gottes kann uns verleiten, den Anteil an bleibender Fremdartigkeit darin zu übersehen. Die Welt dreht sich aber nicht um uns - obwohl wir ihm so wichtig sind, dass er mit uns und für uns lebt und stirbt. Das scheint widersprüchlich; aber sich bewusst in diese Spannung hineinzudenken verhilft uns zu dem größeren Rahmen, den wir brauchen, damit wir nicht Erwartungshaltungen wie kleine Babies aufbauen, deren Denken nur um ihre Bedürfniserfüllung kreist.
10.04.2014
• Wenn unsere Kirche Christsein anders präsentiert als es das Leben in der Nachfolge biblisch gesehen beinhaltet (und als es auch in der weltweiten Christenheit noch überwiegend gesehen und gelebt wird),
• wenn sie wichtige Elemente vorenthält, reduziert, umdeutet, entleert,
• dann läuft das praktisch darauf hinaus, dass Leuten schon mangels Information bzw. dank Fehl-Information die Möglichkeit der Erfahrung der Wirklichkeit Gottes vorenthalten bleibt.
Denn: ihnen fehlt die Landkarte, die Ausrüstung, die Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit oder was immer man für Bilder nehmen will. Erfahrungen mit Gott/Jesus beruhen in der Regel auf Erlebnissen, die als Begegnungsräume wahrgenommen und von Gottes Wort/Selbstoffenbarung her gedeutet werden müssen. D.h. ohne Teilnahme an dieser Seh-/Hörschule sehe/höre ich nichts. Stattdessen wird den Leuten aber meistens nur noch gesagt, dass sie – einfach per Taufe - von Gott angenommen sind, dass er sie liebt. Aber sie merken in ihrem Alltag nichts davon. Und wenn dann Schlimmes passiert, fragen sie sich: warum Gott das denn zulässt, wenn er einen doch angeblich liebt… Die Zusage der Liebe Gottes ohne die verbindliche Nachfolge ist billige Gnade. Liberalismus produziert auf diese Weise Enttäuschung.
19.04.2014
Jesu Einsamkeit am Kreuz spiegelt sich in der volkskirchlichen Realität wider. Die Karfreitags-Gottesdienste werden nur noch von wenigen besucht, Tendenz seit Jahren abnehmend.
Aber Jesus wusste das von vorneherein und hat sich davon nicht abhalten lassen zu tun, was getan werden „musste“. Und was (zumindest im Sinne der objektiven Schwächung des Bösen) selbst denen zugutekommen würde, die - aus welchen Gründen auch immer - dem ganzen Geschehen gegenüber ignorant bleiben würden. Selbstlose, schenkende Liebe. Ohne Vorbehalte. Ganze Hingabe - nicht: „Dienst nach Vorschrift“, weil die meisten es ja doch nicht wertschätzen/kapieren würden.
Und: Wenn wir von einem Sterbenden Abschied nehmen, versuchen wir ihn zu vergewissern, dass wir uns kümmern werden um die, die zurückbleiben. Auf Golgatha ist es anders herum: Jesus kümmert sich noch im Todeskampf um seine Mutter und vertraut sie Johannes an. Herr des Geschehens bis zuletzt. Und Liebe in Person. Noch einmal: wie weit entfernt sind wir Menschen davon…
06.10.2014
Beobachtungen, wie sich Jesu Liebe ausdrückt und wie nicht.
„Und er sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide.“ (Luk 22,15)
Jesus sehnt sich nach der Gemeinschaft mit seinen Leuten; dass sie bisher kaum Durchblick haben, um was es eigentlich geht und was alles kommt, all ihre menschliche und geistliche Schwäche ist kein Hindernis. Es sind seine Leute. Er liebt sie. Deshalb sehnt er sich nach Zusammensein.
Diese Mitteilung ist ein Unterpfand dafür, dass die Liebe des Herrn etwas Reales ist, auch wenn sie für uns nach der Auferstehung wieder unanschaulicher geworden ist. Aber das Wesen unseres Herrn ändert sich ja nicht.
Kap 22,31f.:
„Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Jesus hat nicht gebetet, dass der Prozess des Siebens ausfällt, sondern dass der durchzustehen ist.
Vgl. Apg 27,22 – Paulus macht die entsprechende Erfahrung beim Schiffbruch.
05.11.2014
Was macht unseren Wert aus? Wir sind originelle Kinder des Schöpfers, er ist für uns gestorben, so viel bedeuten wir ihm – das bleibt aber z.B. für unsere Konfirmanden meist blutleer, viel zu weit weg. Nun fiel mir ein – wenn auch noch holpriges – Beispiel ein. Ein großer Hollywoodstar (z.B. Clooney) ist anlässlich einer Werbe-Kampagne mit Teenagern auf einem Boot; ein Teenager fallt ins Wasser, Clooney springt ins Wasser und rettet ihn. Was würde das für den Jugendlichen bedeuten: „Das hat der für mich getan!“!? Was Jesus tat, war ja noch viel mehr – aber viel weniger anschaulich. Wenn es uns irgendwie gelänge, das zu vermitteln, dass für uns das genauso wirklich ist wie die Clooney-Geschichte (sein könnte), dann wären wir einen Schritt weiter!?
Fundsache zum Thema „Christ werden heißt Umdenken lernen“: „Geistliches Sehen ist ein eingeübtes Bevorzugen biblischer Sichtweisen.“2
15.11.2014
Gestern kam in einem Kreis kurz die Frage nach Erwählung und Willensfreiheit auf.
Einerseits heißt es: letztlich tut Gott alles – andererseits tun doch auch wir etwas. Das ist paradox.
Paradox heißt:
Nicht das eine ist Schein, das andere Wirklichkeit, sondern beides ist Wirklichkeit; auch wenn wir uns das angesichts des hierarchischen Gefälles zwischen Gott und Mensch nicht wirklich vorstellen können.
Gottes Wirken schaltet unsere Person, unsere Individualität nicht aus, sondern ein; wir denken dann zwar spontan sofort an Fremdbestimmung, der Vergleich mit Robotern kommt uns in den Sinn, oder als ob wir „gekapert“ werden (wie im Roman „Seelen“, wo Außerirdische in menschliche Körper eindringen und die Steuerung übernehmen); aber das trifft es nicht. Das wäre teuflische Art von Herrschaft, denn die will uns reduzieren zu bloßen Werkzeugen. Göttliche Herrschaft dagegen will uns entfalten zu eigenen Persönlichkeiten. Uns fehlen die treffenden Worte und Konzepte dafür; Freiheit ist zu groß, Unfreiheit irgendwie zu klein.
13.04.2015
Gestern Nacht wurde ich wach und es kam mir Joh 13,1 in den Sinn, und spontan zogen parallel dazu Stationen der Passionsgeschichte an mir vorbei, in so eindrücklicher Weise, das ich es unmittelbar aufschreiben konnte.
„Er liebte sie bis zum Ende“ (nach Joh 13,1)
SIE würden die tiefen Bedeutungen der Fußwaschung noch nicht begreifen. Aber ER liebte sie bis zum Ende.
SIE würden seine Bereitwilligkeit zu sterben noch nicht verstehen (trotz Jahren enger Gemeinschaft und Unterweisung).
Aber ER liebte sie bis zum Ende.
SIE würden nicht in der Lage sein, wach zu bleiben und in seinem letzten Kampf mit ihm zu beten.
Aber ER liebte sie bis zum Ende.
Sie versanken in Verzweiflung, indem sie seine Worte und Perspektive der Hoffnung außer Betracht ließen.
Aber ER liebte sie bis zum Ende.
Worin zeigt sich seine Liebe ihnen gegenüber? Scheint das nicht ein irgendwie leeres Wort zu sein?
Er gab ihnen nicht tiefere Einsicht und Verstehen.
Er überwand nicht ihre Müdigkeit.
Er trieb nicht ihre Feigheit aus.
Er erwies sich nicht als Tröster.
Er verkürzte nicht die Zeit der Angst, Verzweiflung und Trauer.
Er ließ sie in ihrer quälenden Illusion von Frustration und Verlust,
in dem Gefühl, in einer Sackgasse gefangen zu sein.
Er ging einfach seinen Weg, tat sein Werk.
Er tat, was er tat, um ihretwillen.
Das ist der faktische, objektive „solide“ Teil seiner Liebe.
Handelte er darin wie ein gefühlloser Roboter?
Sicher nicht:
Er, der das Doppelgebot der Liebe als höchstes Gebot zitierte, war der erste und einzige, der es erfüllte - mit einem reinen und leidenschaftlichen Herzen. Das ist der emotionale Teil seiner Liebe - wenn auch oft vor unseren Augen verborgen.
Ja, mit Sicherheit gibt es ein Element der Fremdheit in seiner Beziehung zu uns.
Wir dürfen nicht vergessen: Er ist Mensch, aber nicht nur Mensch.
Aber er wusste:
Die Zeit würde kommen, wenn sich die Tränen der Traurigkeit in Tränen der Freude verwandeln würden, wenn die inneren Augen und Ohren seiner Nachfolger sich endlich öffnen und die Wahrheit über seine unerschütterliche intensive Liebe erfassen würden.
Und er war entschlossen, sie zu diesem Punkt hinzutragen, ob sie es wussten oder nicht - BIS sie es erkennen würden.
Das griechische Wort für „Ende“ bedeutet auch „Ziel.“
Ich denke, das kann als eine Art Paradigma gesehen werden für Zeiten der Dunkelheit in unserem Leben.
17.06.2015
Das Thema Erwählung/Vorherbestimmung kam wieder einmal auf, im gemeinsamen Nachdenken über die Frage, wie verantwortlich / „glaubensfähig“ die Leute sind, die Amtshandlungen beantragen, obwohl sie sonst mit der Gemeinde nichts zu tun haben wollen.
Einerseits verlasse ich mich darauf, dass Jesus nicht lügt, wenn er sagt, dass die Haare auf unserem Haupt gezählt sind und es keinen Zufall gibt; andererseits kann das aber ja nicht bedeuten, dass Gott es ist, der den Menschen grausame Gedanken, Lust am Zerstören und Quälen eingibt – oder dass Gott den Teufel böse gemacht hat. In Gott ist keine Finsternis (1 Joh 1,5). Die Dinge müssen komplexer sein als wir erfassen können; das Bild von den zwei Seiten einer Münze trifft es nicht. Und Luthers Rede vom verborgenen Gott auch nicht – denn das läuft daraus hinauf, dass der offenbare Gott nur eine Maske ist, eine Schein-Realität. Wir rutschen immer wieder in die Falle eines mechanistischen Weltbildes, wo alles letztlich auf ein einfaches Verhältnis von Ursache und Wirklichkeit zurückgeführt werden kann; aber das Verhältnis Gott-Mensch ist nicht vergleichbar z.B. mit dem Verhältnis Programmierer-Computer. Die Unterscheidung zwischen Gottes Tun und Gottes Zulassung mag wie Haarspalterei erscheinen, aber ist es nicht – sie hält das Wissen wach, dass Gottes Handeln nicht mit unseren Kategorien zu erfassen ist. Wir brauchen solche sprachlichen Behelfe. Zu denen gehört auch auszusagen, was jedenfalls nicht gemeint sein mit Gottes Allwirksamkeit. Selbst wenn sich daraus wiederum logische Probleme ergeben, ist das näher an der Wirklichkeit als eine (eben nur auf den ersten Blick scheinbar) stimmige Logik. Denn die überschreitet in dem Moment ihre Reichweite und Kompetenz, wo sie den Inbegriff des Guten letztlich zum Verursacher des Bösen und damit zum Teufel macht – und damit in einer sinnlosen Aussage endet, einer Entleerung der Begriffe „gut“ und „böse“.
18.06.2015
Heute morgen beim Aufwachen zwitscherten die Vögel. Parallel kam mir das Thema Vorherbestimmung von gestern wieder in den Sinn; das Thema hat mich ja mein Leben lang intensiv umgetrieben. Der Gott, der soviel Phantasie in seine Geschöpfe investiert hat, sollte es „gut“ finden, genau diese Geschöpfe zu quälen, ihnen Schmerzen zuzufügen usw. durch andere Geschöpfe, denen er die Ideen dazu eingibt und ihnen keine Wahl lässt??? Das ist eine absurde Vorstellung. Als alles sehr gut war im Anfang, gab es noch keinen Hass, keine Zerstörung, keinen Schmerz, keinen Tod usw., und eines Tages soll es keine Tränen mehr geben und bis dahin werden sie gezählt – das kann nur bedeuten: nein, auch wenn „der Teufel Gottes Teufel ist“ und daher Gott untergeordnet ist: Gott ist kein Teufel, auch wenn uns die Beziehung der beiden darüber hinaus weitestgehend rätselhaft und unanschaulich bleibt. Ein Verfechter der Vorherbestimmung mag einwenden: Ist es nicht eben „nur menschlich gedacht“, dass wir das Bedürfnis haben, Gott von der Verursachung des Bösen freizuhalten? „Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken!“ (vgl. Jes 55,8)? Achtung, Falle! Abgesehen vom ganz anderen Zusammenhang dieses Jesaja-Wortes: Menschlich zu denken ist nicht nur unvermeidbar und gleichzeitig unvermeidbar auch fehlerhaft, sondern – weil wir im Unterschied zu allen anderen Geschöpfen als Gegenüber Gottes geschaffen sind – das, was trotzdem der Wirklichkeit am nächsten kommt. Unser Empfinden von Gerechtigkeit, vom Zusammenhang von Verantwortlichkeit und (relativer) Freiheit, von Liebe, die das Beste des anderen sucht, ist von Gott selbst angestoßen. Es wäre absurd zu denken, dass der Gott, der absolut gut und Liebe in Person ist, Selbsthingabe als höchsten Wert darstellt und darin selbst vorangeht, es für das Beste hält, dass jemand die Ewigkeit in der Hölle zubringt, ohne dass der je eine Chance auf den Himmel hatte; oder dass dieser Gott Qual, Zerstörung, Folter, sadistische Gedanken und Machtgelüste in die Herzen der Menschen pflanzt, obendrein: um sie anschließend dafür zu bestrafen. Diese praktischen und logischen Schlussfolgerungen aus einer doppelten Prädestinationslehre zeigen die Absurdität des Unterfangens. Es läuft auf die Entleerung von Worten hin, auf eine Gottesvorstellung, die so anders ist, dass man eigentlich nichts Verlässliches und Sinnvolles mehr aussagen kann. Inwiefern das der Verherrlichung, der Ehre Gottes dienlich sein soll, bleibt mir absolut rätselhaft; „Verherrlichung“ würde zu einer weiteren Worthülse, ehrlich staunende Anbetung aus tiefstem Herzen unsererseits darüber absurd und unmöglich.
19.06.2015
Und noch einmal Vorherbestimmung, durch Joh 15,22.24 angestoßen: „Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es ihnen nicht gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen. (…) Hätte ich nicht die Werke getan unter ihnen, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde. Nun aber haben sie es gesehen, und doch hassen sie mich und meinen Vater.“
Den Reformatoren zufolge reicht ja zur Verantwortlichkeit, dass man die richtige Information bezeugt bekommen hat, dass die physischen Ohren und Augen damit konfrontiert worden sind – auch wenn Gott gleichzeitig die entscheidenden Ohren und Augen des Herzens verschlossen hält und damit eine positive Reaktion aktiv verhindert, während er den Menschen aber in dessen Illusion der selbstbestimmten Wahlmöglichkeit belässt. Wenn Jesu Worte aber so gemeint wären, dann müsste man das Ganze eigentlich ehrlicherweise als ein Schein-Angebot Gottes enttarnen – sein wirklicher und buchstäblich effektiver Wille steht im Widerspruch zum äußerlich bezeugten (ebenso gut könnte man ja einem Felsen predigen - der kann genauso wenig reagieren.) Im menschlichen Bereich würde man so ein Verhalten als „hinterhältig, verlogen, gespielt, vorgetäuscht, falsch, doppelzüngig, link“ bezeichnen, als Reden mit gespaltener Zunge… Das ist absurd im Hinblick auf einen Gott, der die Verkörperung von Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit und Liebe ist. (Und Jesus selbst sagt ausdrücklich, dass nicht Lippenbekenntnisse zählen, sondern Taten – was wiederum ein Selbstwiderspruch wäre, Gott bliebe ja hinter seinem eigenen moralischen Anspruch zurück.)
Wenn die anfangs beschriebene reformatorische Interpretation der Worte Jesu also auszuschließen ist, kann das nur bedeuten, dass Jesus hier auf eine relative Freiheit hinweist, die eröffnet wird spätestens in der Begegnung mit ihm; wie und wie groß oder klein, entzieht sich unserem Wissen. Aber prinzipiell von der Existenz eines solchen Entscheidungs-Spielraumes auszugehen macht Sinn.
19.06.2015
„Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe in seiner Liebe. Das habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.“ (Joh 15,9-11)
Beim Nachdenken über den letzten Vers erzählte Andreas vom Taufgespräch morgens. Der Vater war gerade vom Dienst gekommen, und seine Frau reichte ihm sein drei Monate altes Mädchen – und Vater strahlte über das ganze Gesicht seine Kleine an, die das aber noch nicht erwidern konnte – noch nicht. Wenn der Moment kommt, wo sie zurücklächelt, wird seine Freude vollkommen, beider Freude – ein eindrückliches Bild!
15.07.2015
Warum sollte ein Mensch Christ werden?
Wir verdanken unser Leben unserem Schöpfer.
Auf ihn läuft unser Leben auch zu.
Nach seinem Willen sollen wir in dieser Welt leben und sie gestalten. Entweder stellen sich die Menschen der Wirklichkeit oder die Wirklichkeit wird sie spätestens im Tod einholen.
Christ werden heißt Realist werden.
Bezeugen heißt:
anhand von Gottes Informationen unser Leben unserem Schöpfer unterzuordnen, verständlich zu machen, zu bewältigen und zu gestalten helfen.
In der Nachfolge leben ist „nützlich“, weil es der Wirklichkeit angemessen ist, weil es richtig ist, der Wahrheit entspricht. Der „Nutzen“ kann nicht unabhängig von der (vorrangigen!) Wahrheitsfrage bewertet werden.
08.10.2015
Weiterer Gedanke, dass es durchaus einen gewissen Sinn macht, von göttlichen „Gefühlen“ zu sprechen: Jesus nahm z.B. zu seinem Gebet in Gethsemane auch drei Jünger mit (auffällig: er bittet nicht alle darum!); ebenso: „es verlangte ihn“ nach dem gemeinsamen Passah; zwar kann das auch als durch seine menschliche Natur bedingt verstanden werden, aber andererseits ist die menschliche Natur ja zum Ebenbild Gottes geschaffen, d.h. der Wunsch, Dinge zu teilen, ist im Wesen der Dreieinigkeit verankert.
26.02.2016
Zum Ausdruck „in Jesus bleiben“ (z.B. Joh 15 u.a.):
Ich merke, ich tue mich oft schwer mit dem Empfinden und der Erwartung der Art Nähe, die das Wort „bleiben“ suggeriert.
Mir scheint zutreffender, wie C.S.Lewis die Erfahrung der Bewohner von Narnia schildert: die sehen ihren König Aslan gelegentlich und leben dann wieder mehr oder weniger lange Zeit von seinen Worten und der Erinnerung – das spiegelt die Dynamik der Beziehung wider, die ja nicht ohne Auswirkung bleiben kann. Es gehört ja zu den menschlichen Grunderfahrungen, dass Begegnungen zu Momentaufnahmen, Bildern „gefrieren“/erstarren und mit der Zeit u.U. auch verblassen; die zeitliche und räumliche Entfernung bewirkt so etwas wie einen Verlust an „Wirklichkeit“ der entfernten Person. Eine lebendige Person ist sowieso immer mehr als wir wahrnehmen, aufnehmen, festhalten können – das gilt schon IN der Begegnung, und Distanz trägt noch dazu bei, selbst bei Menschen, die wir lieben und gut kennen. Wieviel mehr gilt das für Begegnungen mit Gott!?
Natürlich ist das alles aus der menschlichen, subjektiven Perspektive beschrieben. Aber die objektiv beständige Anwesenheit Gottes bleibt nun einmal eine eher abstrakte oder besser: nicht beständig subjektiv spürbare Wahrheit. Doch um falschen Erwartungen und daraus folgenden Enttäuschungen entgegenzuwirken, vorzubeugen, ist es für mich jedenfalls hilfreich, die subjektive Erlebnisweise sehr bewusst differenziert zu beschreiben und nicht vollmundig „schönzureden“, als ob das alles so einfach wäre.
03.03.2016
Ich hatte gestern noch vergeblich über einen Ansatz nachgedacht, eine Freundin auf ihre tendenzielle Angst vor Gott anzusprechen. Heute morgen stand mir beim Aufwachen plötzlich die Szene vor Augen, wo Jesus Petrus fragt: „Liebst du mich?“ Und ich konnte mir vorstellen, ihr anhand dieser Szene einfach erst einmal die beiden Fragen zu stellen, a) wie sie antworten würde b) was sie glaubt, ob Jesus sie liebt.
Davon ausgehend habe ich mir selbst überlegt, wie ich denn antworten würde, wenn Jesus jetzt vor mich träte. Und meine spontane Reaktion war jedenfalls ein Ja, ein tiefes Aufatmen – all die Faszination, Freude, Hoffnung, Sehnsucht, die sich mit seiner Person über all die Jahre verbunden hat, standen mir plötzlich vor Augen und die Vorstellung, dass es bzw. er sich in so einer Situation plötzlich als „unübersehbar“ wahr und wirklich herausstellen würde, war schon jetzt im Halbschlaf überwältigend. (Das zog alles in wenigen Sekunden an mir vorbei). Was muss das erst für ein Gefühl sein, wenn der Tag wirklich da ist…
Nach-Gedanke: Im buchstäblichen Sinn merk-würdig, was für Geschenke gemeinsam getragene Lasten enthalten können. Ohne das stellvertretende Nachdenken für die Freundin wäre mir das jetzt vermutlich nicht durch den Sinn gegangen.
21.04.2016
Ich brauche als kleiner Mensch einen Raum der Geborgenheit, kann mit der gigantischen Größe des Universums schwer leben.
Deshalb versuche ich, mir ein emotional wirksames Gegengewicht zu dem überwältigenden Eindruck des Universums zu verschaffen.
Das Problem ist: wenn der emotionale und gedankliche Blickwechsel weg von der unheimlichen Größe des Universums und des noch größeren Schöpfers hin zu seiner Nähe gelingt, z.B. durch Konzentration auf die Bilder vom Hirten, Vater, Mutter, Freund usw., dann können diese von menschlichen Erfahrungen und Erwartungen geprägten Bilder wiederum zur Stolperfalle werden – in Richtung Theodizee-Frage (Gott und sein Verhältnis zum Bösen). Der Spagat zwischen dem Bewusstsein seiner Größe, Heiligkeit und Fremdheit einerseits und Güte und Nähe andererseits ist und bleibt schwierig. Im Kreuz konzentriert sich beides.
07.05.2016
Wieviel verrät Sehnsucht über das Maß der Liebe?
Wenn ich das Empfinden für die Nähe Gottes schmerzlich vermisse, sollte ich diesen Gedanken bedenken, ehe ich meinen Zustand schwärzer sehe als berechtigt.
Zur Frage, wie ein Weg „zurück zur ersten Liebe“ aussehen kann:
Liebe lebt vom Staunen.
Was bewundere ich an Gott?
Was kann ich aus der Welt und Natur erschließen, trotz Gebrochenheit?
Was bewundere ich an Jesus?
„Erinnert euch“ – nicht ohne Grund werden wir dazu in der Bibel immer wieder herausgefordert…
12.08.2016
Markus 8,1-9
Jesus sagt: „Ich bin innerlich bewegt“ – wörtlich: „mir drehen sich die Eingeweide um“; eine sehr anschauliche Beschreibung, wie der Körper in den Schmerz der Seele einbezogen ist. Laut meiner Studienbibel wird das immer gebraucht, wenn es um Gottes oder Jesu Erbarmen geht, wenn Jesus Mitleid empfindet, das Elend der Menschen sieht. Unser Gott ist ein leidenschaftlicher, mitfühlender Gott, kein kaltes und distanziertes Prinzip. Er, der unsere Fähigkeit zu lieben und zu trauern, zu freuen und zu weinen geschaffen hat, kennt das selbst. Unser Empfinden ist ein kleines Echo seiner großen Liebe.
„Passend“: Jemand bat um Fürbitte für eine von Selbstmord betroffene Familie.
Daraufhin ging mir das alles noch einmal durch den Sinn – samt der kritischen Frage: ist der Hinweis auf Gottes mitfühlendes Wesen in so einer Situation der Verzweiflung nicht nur hohles Gerede, das nicht wirklich helfen kann? Nein. Denkfehler. 1) Wenn Menschen uns ihre Anteilnahme z.B. in einem Brief bezeugen und das aufrichtig rüberkommt, dann tröstet uns das auch, auch wenn sie sonst nichts tun können – wir wissen, wir sind nicht allein. Und das tut gut. Das ist schon in sich selbst eine gewisse Erleichterung und kostbar. 2) Gott überbietet diese Erfahrung ja noch – er informiert uns nicht nur über seine Anteilnahme, sondern er verspricht auch, uns durchzubringen – und er hat die Möglichkeiten, die kein Mensch hat, auch wenn die Hollywood-Helden in Katastrophenfilmen natürlich immer versprechen, dass sie ihre Leute mit Sicherheit retten werden…(was mich regelmäßig emotional aus dem Film wirft, weil es so offensichtlicher Unsinn ist). Der Weg mag fürchterlich schwierig sein und ist es oft, warum auch immer, und das kann uns rebellieren lassen und /oder lebensmüde machen, aber ER kann nicht lügen noch sich selbst überschätzen. Selbst wenn wir uns aufgeben – ER wird nicht aufgeben.
Niemand kann uns seinen fürsorgenden Händen entreißen, nicht einmal wir selbst.
14.09.2016
Im Bibelkreis versuchen wir uns in die Offenbarung des Johannes hineinzudenken.
„Sprechen Sie mit Gott über die positiven Aspekte seines Zornes.“
Diese Formulierung aus dem Arbeitsheft des Bibellesebundes ist ein gelungener Denk- Anstoß. Uns wird bewusst:
Zorn ist Ausdruck leidenschaftlicher Liebe, die nicht gleichgültig zusieht, wie geliebte Geschöpfe in der Gefangenschaft des Bösen untergehen. Der Gott, der zornig ist und Unrecht beim Namen nennt und letztlich außer Gefecht setzt, hat sein Leben als Retter eingesetzt. Das darf man nie aus dem Blick verlieren.
Zum Thema passt ein anderer Gedankengang, den ich vor einiger Zeit aufgeschrieben und wiedergefunden habe:
Hölle – Konzept, das eines Gottes der Liebe unwürdig ist und als überholt aufgegeben werden müsste?
1) Es kommt alles darauf an, ob Hölle ein Konzept ist, das auf Offenbarung beruht oder menschlichen Ideen entspringt.
2) Wir müssen weiterhin mitdenken, dass diese Hölle nur existiert, falls dieser Gott existiert - der absolut gut und gerecht und Liebe in Person ist. Wenn der existiert, dann muss die Existenz von Hölle mit diesem absolut guten Wesen vereinbar sein, alles andere wäre Unsinn. Das aber würde logischerweise bedeuten, wir können davon ausgehen, dass alle sein Urteil anerkennen werden, wenn es so weit ist - aufgrund von Gesamt-Einsicht in Zusammenhänge, die uns jetzt noch fehlen mag.
Der Gott, der jetzt keine Erbsen zählt, wird es auch dann nicht tun.
Der Gott, der jetzt nichts lieber tut als zu schenken, wird es auch dann tun. Aber auch:
Der Gott, der jetzt nicht Böses gut nennt, wird es auch dann nicht tun.
Der Gott, der das Böse jetzt nicht folgenlos sein lässt, wird es auch dann nicht tun.
3) Warum straft Gott, wenn er freiwilligen Gehorsam will? Mögliche Antwort: unter sündigem Verhalten leidet ja die ganze Schöpfung- wenn Gott das alles kommentar- und folgenlos laufen lassen würde, hätten die Schwächsten keinerlei Schutz, keinen Anwalt, der für ihr Recht eintritt. Alle entsprechenden anderslautenden Worte in der Bibel würden leere Worte bleiben, Gott Lügen strafen.
4) Wir verlieren sehr leicht aus dem Blick, wofür Gott kämpft: für Liebe, Barmherzigkeit, Ehrlichkeit, Demut, Bescheidenheit, Güte, Gerechtigkeit.
5) Wir verlieren auch sehr schnell aus dem Blick, dass für uns die Verantwortlichkeit zur Würde des Menschen gehört, die wir in anderen Zusammenhängen so hochhalten. Nur, wenn es um die negativen Folgen der eigenen Verantwortung geht, ziehen wir den Rückzug in das Selbstmitleid vor. Wie der Jugendliche, der sagt: ich bin schon erfahren genug, um mit Papas Auto fahren zu können, und der nach dem Unfall nach Disco-Besuch sagt: ich habe doch noch nicht so viel Erfahrung…
6) Natürlich wäre es am besten, wir würden das Gute aus Überzeugung tun und das Böse aus Überzeugung lassen; aber das Zweitbeste ist trotzdem, das Gute passiert und das Böse unterbleibt, auch wenn die Motivation dahinter zu wünschen übriglässt. Für den, der nicht ermordet wurde, weil der Gangster im letzten Moment aus Angst vor Strafe zögerte, ist nicht die Motivation wichtig, sondern dass er lebt…
29.09.2016
Jemand äußerte sich zum hohen Anspruch der Bergpredigt (Mt 5-7) und dem subjektiv empfundenen und bedrückend starken „Hinterherhinken“. Mir wurde beim Nachdenken darüber bewusst:
Es ist immer wieder eine bereichernde Erfahrung mitzubekommen, wie die gleichen Worte der Bibel unterschiedliche Gedanken auslösen können, abhängig davon, wo wir uns gerade auf unserem persönlichen Lebensweg befinden.
Das Empfinden, der Bergpredigt nicht genügen zu können, kann ich sehr gut nachempfinden. Dennoch steht für mich zur Zeit etwas anderes im Vordergrund. Seit einigen Monaten kämpfe ich immer wieder mit dem Eindruck, dass Gott irgendwie weit weg zu sein scheint, sogar irgendwie unwirklich. Eines Morgens las ich „zufällig“ Mt 5. Und es fühlte sich ein wenig an wie nach Hause zu kommen und seine Stimme wieder zu hören, zu der ich einfach nur „Amen“ sagen konnte. Ja, so wie es Jesus beschreibt, sollten die Dinge sein. Genauer gesagt: der Mensch, wir sollten so sein. Dann würde die ganze Welt SEHR anders aussehen – und zwar besser, natürlich. Gott hat seine lebenspendende und schützende Wahrheit nicht als Geheimnis gehütet, sondern er hat seine Stimme klar und deutlich erhoben. Spontan wärmten diese Gedanken regelrecht mein Herz und sie tun es jetzt wieder. Ich kann die Freude an Gottes guten Geboten verstehen, die der Psalm 119 widerspiegelt. Und in der Bergpredigt sind es besonders die Seligpreisungen, „Worte aus der ewigen Heimat“, Werte, die diesen Namen verdienen.
22.10.2016
Woran erkennt man das Wesen einer Person? Es ist ja nicht direkt anschaulich. Aber: Es zeigt sich in den Worten plus in den Taten plus in der Übereinstimmung zwischen beidem. Von da aus weitergedacht:
Woran wurde eigentlich im Alten Testament Gottes moralisches Wesen erkannt; wir sehen es ja in Jesus, aber wo wurde es für die Juden „greifbar“? Antwort: im Gesetz, in dem Gott seine Werte, seinen Willen äußert; ebenso in dem leidenschaftlichen Ringen der Propheten, die für die Umsetzung kämpfen und Gottes Leiden unter der Missachtung eindrucksvoll schildern. Ich habe mir schon öfter vor Augen gehalten, dass sich in unserer Liebe die Liebe Gottes widerspiegelt / abbildet, in unserer Freude Gottes Freude. Das muss ich weiter ausdehnen – z.B. auch auf Wahrhaftigkeit, Treue, Gerechtigkeit. Psalm 119 ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Beter auf eine so hohe „Meinung“ von Gott kommt, die seine Anbetung auslöst (voraussetzend, dass die von innen kommt und nicht aus Pflichtgefühl). Existenz und Inhalte des Gesetzes lassen zurückschließen auf Gottes Charakter und wecken von daher Hoffnung auf den letztendlichen Sieg des Guten.
02.11.2016
In der Bibellese heute war Mt 10 dran. Vers 21: „Es wird aber ein Bruder den andern zum Tod überantworten und der Vater das Kind, und die Kinder werden sich empören gegen ihre Eltern und werden sie zu Tode bringen.“
Das erinnerte mich an Jes 49,15: „Vergisst etwa eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde dich niemals vergessen.“ (ELB)
Der gleiche Gott, der Elternliebe geschaffen hat und selbst kennt, hat trotzdem diese Welt so eingerichtet, dass Kinder Eltern (und umgekehrt) bekämpfen können, für Böses und gegen Gutes – was für ein Szenario…Jedoch: Die Eltern, die trauern über ihre revoltierenden Kinder, können sich verlassen auf das Mitgefühl Gottes (s. obiges Jesaja-Wort, Lk 15 u.a.), auf seine stärkende Nähe und Fürsorge. Er weiß, was es bedeutet, wenn selbstlose Liebe abgelehnt wird – auf der tiefstmöglichen Ebene, jenseits unseres Vorstellungsvermögens. Denn er IST Liebe. Seine Liebe ist nicht begrenzt auf die Eltern, sondern bleibt auch gegenüber den Kindern in Kraft; sonst wäre seine Liebe ja geringer als menschliche Liebe, da schon elterliche Liebe nicht endet, wenn Kinder ihr den Rücken zukehren. Wiederum aber erlaubt diese göttliche Liebe bewusst die Freiheit der Rebellion und akzeptiert den Preis eigenen Leidens und Schmerzes – wo wir als Menschen aus Schutzbedürfnis möglicherweise eher versuchen würden, unsere Kinder mit allen möglichen und auch eigentlich unmöglichen Mitteln zu hindern…
03.11.2016
Mt 10,34-42
Gott ist nicht ein Gott falscher Versprechungen und Illusionen. Wir werden in einen Krieg zwischen Gut und Böse hineingeboren – wir dürfen nicht überrascht sein von den schwierigen Seiten der Wirklichkeit. Wir wissen wenig vom vollständigen Bild. Sehr wenig. Gerade genug, um verlässliche Gründe zu haben, an Glaube, Liebe, Hoffnung festzuhalten; gerade genug, um Gottes vertrauenswürdigen und liebenswerten Charakter zu kennen; gerade genug, um die richtige Seite im Kampf zu wählen, unsere Berufung zu akzeptieren und zu leben. Jede Tat, so unscheinbar sie erscheinen mag, wird ewige Spuren hinterlassen.
18.11.2016
Beerdigung einer jungen Mutter, ganz plötzlich gestorben. Hier am Grab, so offensichtlich ohne Kontrolle über unser Leben, kommt die Bewährungsprobe, auf welchem Grund wir unser Leben gebaut haben – Sand oder Fels, wie Jesus in Mt 7,24 ff sagt. Ist Ostern ein Märchen oder Wahrheit?
Wenn Wahrheit, dann ist auch wahr, was Jesus versprochen hat – dass er gegangen ist, um uns ewige Wohnungen zu bereiten. Dann gibt es Hoffnung, auch für den Weg zu diesem Ziel. Dann sind wir nicht allein, sondern haben unseren Schöpfer und Retter bei uns, der vor uns hergeht und an unserer Seite ist, obwohl wir uns sicherlich noch oft allein fühlen mögen. Als ich den jungen Teenager vom Grab weggehen sah, gingen mir Szenen ihres zukünftigen Lebens durch den Sinn – erste Liebe, ohne die Mama, mit der man es teilen kann; Schritte in das eigene unabhängige Leben/den Beruf ohne Mama; Hochzeit ohne Mama, Kinder ohne Mama, um nur die großen Stationen des Lebens zu nennen (und sicher sind die täglichen „kleinen“ Versionen des „ohne“ gleichermaßen schmerzhaft, zumindest für eine lange Zeit). Kann sich jemand so einer Perspektive stellen ohne völlige Verzweiflung oder zumindest bitter zu werden? Ich denke, es ist möglich am ehesten, wenn man weiß: da ist ein liebender Herr, der nie die Kontrolle verliert und an dessen Hand ich sicher gehen kann, egal, wie schwach und zittrig sich meine Beine anfühlen mögen. Die große Herausforderung des Lebens ist, diese Frage zu beantworten: gibt es einen lebendigen und liebenden Gott, dem ich trauen kann, und wie kann ich mit ihm leben? Eine positive Antwort zu finden ist nicht einfach. Ich weiß, wie zerbrechlich mein Glaube oft ist, wie stark angegriffen, immer und immer wieder. Gut zu wissen, dass Gott treu bleibt, auch wenn wir versagen…Mir kam ein Bild wieder in den Sinn, das mich schon viele Jahre begleitet: ein Mann sitzt in einem kleinen Boot auf einem Kanal, und der Finger Gottes erschafft vor ihm her Stück für Stück die Fortsetzung des Kanals. DORT ist die Hoffnung für den Teenager, die kleine Schwester, den Ehemann, die Familie – für jeden…wir wissen nur, was von nun an unmöglich sein wird, die aufgelisteten Dinge z.B., aber er wird Alternativen finden, die unsere Phantasie übersteigen.
In gewisser Weise müssen wir leben, als ob die nächste Stunde unsere letzte wäre (was waren die letzten Worte, die wir denen gesagt haben, mit denen wir leben? Haben wir wirklich alles getan, um mit jedermann Frieden zu suchen? Waren wir treu gegenüber den Leuten und Aufgaben, für die wir verantwortlich sind? Usw.).
Und auf der anderen Seite können wir das gar nicht wirklich, es übersteigt unsere Begrenztheit, und wir müssen leben, als ob wir genug Zeit hätten, um unsere Verantwortung und Verpflichtungen zu erfüllen. Schwierige Balance… herausfordernde Balance…vielleicht unmögliche Balance!?
Es fühlte sich heute sehr unwirklich an auf dem Friedhof – beides, sowohl der Tod wie die Botschaft vom Leben.
21.11.2016
Wie kann es aussehen, zurückzufinden zur „ersten Liebe“?
Ich weiß im Moment nur: ich wünsche mir, dass alles wahr ist, und ich freue mich riesig, wenn alles wahr ist. Ist das so etwas Ähnliches wie „ich glaube, hilf meinem Unglauben“? Darf/soll ich es deuten als ein Zeichen, dass wenigstens noch etwas da ist vom Echten? Und ist es genug, dass das vorgreifende Weiterleben „als ob“ nicht als Heuchelei zu bewerten ist, sondern als Treue in Zeiten vielfach angegriffenen und herausgeforderten Glaubens? Mein Konfirmationsspruch Gal 2,20 kommt mir öfter in den Sinn. („Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“) Vielleicht Jesu leise Stimme!?
03.01.2017
Dreieinigkeit
Christen bekennen sich zwar zum dreieinigen Wesen Gottes, aber um das Nachdenken darüber machen die meisten lieber einen weiten Bogen und überlassen das den Theologen. Man bekommt einfach Knoten im Kopf. Ein Buch zum Thema hat mich allerdings unerwartet gefesselt und weiter bewegt: Reeves, Delighting in the Trinity3. Z.B. stellt Reeves Fragen, die auf den ersten Blick einfach nur abwegig erscheinen, aber dann überraschende Zugänge zum Thema öffnen. (Was hat Gott vor der Schöpfung gemacht? Wenn es einen Gott gibt, warum dann auch etwas anderes?) Natürlich kann auch Reeves nicht das Unbegreifliche begreiflich machen; aber er weckt eine Ahnung von der Schönheit und dem tiefen und realistischen Sinn dieses Geheimnisses, Staunen, Freude. Deshalb ein paar Impulse hier.
Sehr wichtig ist der Hinweis auf die Erfahrung, dass wir in der Regel ein Vorverständnis von „Gott“ haben und in diesem die Trinität mehr schlecht als recht unterzubringen versuchen (versuchen, 3 in 1 zu stopfen) – statt all die Vorverständnisse möglichst beiseitezuschieben und der Selbstoffenbarung Gottes in der Bibel nachzuspüren – einer unerwarteten „Sorte Gott4“. In der biblischen Wortwahl zu bleiben, den Beschreibungen mehr nachzuspüren als sie in abstrakte Begriffe aufzulösen (und damit mehr zu verlieren als zu gewinnen) macht Sinn.
Eindruck:
Woran sich Liebe innertrinitarisch entzündet und worin sie sich vor der Schöpfung Ausdruck verschafft, bleibt göttliches Geheimnis, das bleibt buchstäblich unvorstellbar. Die wiederholte Betonung der wechselseitigen Liebe ist einerseits eindrücklich, andererseits inhaltlich nicht wirklich zu füllen (zumal in der sichtbaren Welt wenig bis nichts Eindeutiges davon anzukommen scheint). Ist das Ganze daher im Grunde doch nur ein Spiel mit leeren Worten? Nein – dieser Gedanke übersieht, dass Information mehrere Ebenen hat. Auf der emotionalen Ebene lösen die Worte etwas aus, das unsere Ahnungen und Sehnsüchte in die richtige Richtung leitet (zumal Erfahrungen aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ja durchaus als tragfähige Eselsbrücke dienen können), selbst wenn uns auf der Sachebene die Dinge unanschaulich/fremd bleiben. In der Naturwissenschaft ist es doch ähnlich – unsere Modelle vom Atom sind uns als vorläufig und begrenzt bewusst und doch wahr genug, um damit arbeiten zu können.
Also nicht beiseiteschieben, sondern konstruktiv aufnehmen.
Ich denke, wir können nur von der Tatsache der Schöpfung her denken. Wir brauchen Konkretion; Liebe kann nicht im luftleeren Raum gelebt und ausgedrückt oder geglaubt werden und ist auf Geben und Nehmen angewiesen. Unsere Bewunderung und Liebe kann sich
• an Natur (Größe, Vielfalt, Schönheit, Ideenreichtum, Humor, Musik, Harmonie, Weisheit) entzünden
• und an der Gerechtigkeit und Weisheit der Gebote
• und vor allem an Jesus (Zuwendung, Barmherzigkeit, Fürsorge, Heilungswillen, Selbstlosigkeit, Menschenfreundlichkeit, Demut).
An Jesu Wesen und Wirken wird uns Gottes lebenspendende Vaterschaft anschaulich – sofern wir glauben können, dass Jesus Gott in Person ist.
Und das „Anschauen seines Bildes“ (vgl. 2 Kor 3,18 ELB), das der in uns „wohnende“ Hl. Geist in uns zum Leuchten bringt, ist eine umgestaltende, dynamische Kraft; sie zieht uns in die liebevolle Gemeinschaft Gottes hinein. Daher: Seine persönliche Anwesenheit ist der Inhalt von Gnade – Gnade ist nicht eine Energieportion, die uns irgendwie „eingeflößt“ wird.
Nebenbei: Mehrfach hat mich das Buch wieder an meinen Eltern-Kind-Spiel-Vergleich erinnert – die Freude, die Eltern empfinden, wenn Kinder kreativ Lego-Welten erfinden (Kapitel 4, 07.05.2016).
Reeves versucht zu begeistern: Der Geist Gottes öffnet uns die Augen dafür, will unser Herz zurückgewinnen und es erfüllen mit dem Wunsch, seine Freude an unserem Schöpfer zu teilen, ihn als Vater zu erkennen, dann ihn bekannt zu machen, zu ihm einzuladen, die Gemeinschaft der Liebe so immer mehr zu vergrößern.
Weitergedacht: Dann wird es möglich, die Fragerichtung: „Woher kommt das Böse?“ umzuformulieren: „Woher kommt das Gute?“ und das Gute in der Welt zurückzuführen auf das begonnene Eingreifen Gottes zugunsten seiner geliebten Kinder (anstatt das Böse als Beweis gegen ihn zu deuten).
Problem: das Bild des beständigen Überfließens der Liebe triggert die Vorstellung eines beständigen starken unübersehbaren und unwiderstehlichen Stroms von Liebe – während in unserer sichtbaren Welt eher das Böse überzufließen scheint.
Die sich angesichts der Betonung überfließender Liebe um so dringlicher stellende Theodizee-Frage behandelt Reeves jedenfalls in diesem Buch nicht, auch nicht die mögliche Selbstbeschränkung Gottes und mögliche Gründe dafür (z.B. die wie auch immer geartete Freiheit des Menschen). Aber das spricht nicht gegen die Einsichten dieses Buches, sondern nur für die Notwendigkeit einer Fortsetzung.
10.02.2017