Einfach war gestern - Frank Uekötter - E-Book

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Frank Uekötter

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Beschreibung

»Die Zeit ist reif für eine neue Generation umweltpolitischer Macher.« Stehen wir angesichts von Kohleausstieg und Fridays for Future an der Schwelle zu echter Veränderung? Oder führen uns Populisten und geldgierige Konzerne in eine dunkle Zukunft? Der renommierte Umwelthistoriker Frank Uekötter wirft einen Blick auf die globale Umweltpolitik der letzten Jahre – und klärt über wenig bekannte Zusammenhänge auf. Wussten Sie zum Beispiel, dass die Idee, Plastiktüten zu verbieten, aus dem Globalen Süden stammt und Malaria eindämmen sollte? Oder dass Waldbrände in Portugal deshalb so heftig wüten, weil dort in den 1930er-Jahren ein autoritäres Regime auf hochentzündliche Eukalyptusbäume setzte? Fundiert wie unterhaltsam beleuchtet Uekötter Hintergründe und bewertet vergangene Entscheidungen. Das Buch stellt sich der Komplexität der Umweltkrisen und hilft, zwischen wirkungsvoller und ineffektiver Umweltpolitik zu unterscheiden.

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Frank Uekötter
Einfachwar gestern
Über Umweltpolitikin unruhigen Zeiten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2021 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Umschlaggestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.deCoverabbildung: © HildenDesign unter Verwendung eines Motives von shutterstock.com/SOMMAILektorat: Konstantin GötschelKorrektorat: Silvia StammenSatz & Layout: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-809-6

INHALT

Einleitung
Umweltpoltitik nach Merkel
Kapitel 1
Chronik eines angekündigten Desasters
Diesem Anfang wohnte kein Zauber inne • Der Hambacher Forst fordert die Kohlekommission heraus • Enter Justitia • Das Scheitern kündigt sich an • Der Abschlussbericht der Kohlekommission besticht vor allem durch Großzügigkeit • Eine UN-Studie bot die Gelegenheit, den Kohlekompromiss zu beerdigen • War da noch etwas anderes im Spiel?
Kapitel 2
Auslaufmodelle
Die neue Atomdebatte • Und immer wieder lockt die Wohlstandsdebatte • Eine Skandalnudel namens Emissionshandel • Das Umweltministerium ist auch nicht mehr das, was es mal war • Es war einmal … die Ölpest • Bill Gates rettet das Klima
Kapitel 3
Im Räderwerk der Umweltpolitik
Das grüne Musterland ist unter Merkel verblasst • Bei der Windkraft stellt sich die Machtfrage • Wie viele Gerichtsurteile verträgt die Umweltpolitik? • Revue eines Klimajahres • Die Deutsche Umwelthilfe bringt die Umweltszene in Verruf • Der Dieselskandal und das Kartell der Autohersteller • Was folgt aus »Folgt der Wissenschaft«?
Kapitel 4
Das Ende der Erdpolitik
Trump verkündet den Austritt aus dem Pariser Abkommen • Japan zieht sich aus der Internationalen Walfangkommission zurück • Wie berichtet man über einen Klimagipfel? • Beim Plastikmüll zeigen sich die Grenzen der globalen Umweltpolitik • Monsieur Macron hat die Absicht, eine Mauer zu errichten • EU-Politik statt globaler Klimadiplomatie
Kapitel 5
Ein Experiment namens Trump
Trump annulliert Obamas Klimapolitik • Der Präsident irrlichtert beim G7-Gipfel • Die Amerikaner, der Hurrikan und der Staat • Trump lässt Naturschutzgebiete schrumpfen • Eine erste Bilanz Trump’scher Klimapolitik • Trumps Umweltminister wirft das Handtuch • Die Schamgrenzen sind gefallen, der Kahlschlag geht weiter • Die Corona-Pandemie treibt den Umbruch der Energiebranche voran • Die Welt ohne Trump: Ein Besuch in Cancer Alley, Frühjahr 2007
Kapitel 6
Von der Vielfalt der Welt
Stell dir vor, der Wald brennt, und niemand redet von den Bäumen • Im Smog von Seoul kann man über Luftverschmutzung neu nachdenken • Wer von neuen Atomkraftwerken träumt, sollte nach Großbritannien schauen • Der Streit um Fessenheim und das französische Atom-Drama • Bolsonaro spielt mit dem Feuer
Kapitel 7
Was macht eigentlich die Landwirtschaft?
20 Jahre Agrarwende • Die falschen Fragen zu Glyphosat • Die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft hängt nicht am Kampf um die Gentechnik • Mit brachialen Protesten schaden sich die Bauern selbst • Die Pandemie rückt den Bauernprotest in ein neues Licht • Wie stellt man die Systemfrage, wenn es nur ein System gibt?
Kapitel 8
Jenseits der Kritik
Über Greta • Über das Ende von Harrisburg • Nach der Pandemie das Klima • Über die Ökologie der Modebegriffe • Sex und Klimawandel • Über Bayer, Monsanto und Frankenstein • Über einen nutzlosen Kanal
Kapitel 9
Das Ministerium für menschliche Lebensgrundlagen
Ausblick auf eine mögliche Zukunft der Umweltpolitik
Nachwort
Von der Selbstbeobachtung zum Handeln
Anmerkungen • Dank
Über den Autor

Einleitung

Umweltpolitik nach Merkel
Im Sommer 2013 nahte eine Bundestagswahl, aber das bewegte jenseits der Parteizentralen kaum jemanden. Lustlos plätscherte der Wahlkampf vor sich hin, obwohl es eigentlich eine Menge zu diskutieren gab. Die Euro-Krise hatte den Kontinent erschüttert und die Europäische Union vor die größte Herausforderung ihrer Geschichte gestellt. Eine neue Partei, die eine »Alternative für Deutschland« versprach, machte sich daran, den Unmut wütender Bürger politisch auszuschlachten. Zwei Jahre zuvor hatte die Regierung Merkel eine Energiewende verkündet, aber was daraus werden würde, war weithin offen. In Syrien herrschte Bürgerkrieg, im Mittelmeer ertranken Flüchtlinge, und in Ungarn bastelte Viktor Orbán an seiner »illiberalen Demokratie«. Es brannte an allen Ecken und Enden, und große Entscheidungen bahnten sich an. An sich war klar, dass dem Atomausstieg über kurz oder lang ein Kohleausstieg folgen müsste, aber irgendwie wollte niemand darüber reden. In ihrem Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2013 bekannte sich die CDU zum Bau neuer Kohlekraftwerke.
All dies ging mir durch den Kopf, als ich im besagten Sommer in München saß und meine Habseligkeiten in Kisten packte. Drei Wochen vor der Bundestagswahl trat ich eine Stelle an einer britischen Universität an, und so dachte ich darüber nach, welch seltsames Vaterland ich da eigentlich gerade verließ. Woher kam die merkwürdige Selbstgefälligkeit, die das Land seit ein paar Jahren prägte und offenbar selbst in Wahlkampfzeiten nicht verschwinden wollte? Warum diskutierte man vor einer Bundestagswahl nicht über Zukunftsentwürfe und Pläne, sondern allenfalls über Trivialitäten? Kurz vor der Wahl präsentierte die CDU in Berlin ein riesiges Poster, auf dem nichts anderes zu sehen war als Merkels Hände, und löste damit ein heftiges Rauschen im Internet aus.
In meiner neuen Heimat wurde hingegen eifrig diskutiert. Die Bankenkrise von 2008 hatte Großbritannien heftig getroffen, die Regierung fuhr einen rigiden Sparkurs, unter dem das Land spürbar ächzte, und über die Folgen gab es eine lebhafte Debatte. Der verbale Schlagabtausch ist im Vereinigten Königreich eine Art Volkssport, am bekanntesten sind die Debattierclubs von Oxford und Cambridge und die legendär turbulenten Redeschlachten im Unterhaus. Auch über die Unabhängigkeit Schottlands wurde ausführlich und hitzig diskutiert, bevor sich der nördliche Landesteil im September 2014 in einer Volksabstimmung dagegen entschied. Ein wenig spürte man da schon die ersten Schockwellen des nahenden politischen Erdbebens namens Brexit.
Es dürfte bekannt sein, welche Kapriolen sich mein neues Heimatland seit dem Referendum von 2016 geleistet hat. Weniger bekannt sind die Folgen für deutsche Migranten in angelsächsischen Ländern. Sie dürfen sich seither freundliche Bemerkungen über ihre Bundeskanzlerin anhören, und zwar auch von Leuten, die sonst eher keine Freunde christdemokratischer Politik sind und womöglich gar nicht genau wissen, was es mit dieser Christdemokratie eigentlich auf sich hat. Aber wenn man täglich mit dem Aberwitz eines Boris Johnson oder eines Donald Trump konfrontiert war, wirkte Angela Merkel plötzlich wie eine Heilsfigur, bis sie auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft die Impfkampagne gegen COVID-19 fulminant versemmelte.
Als Deutscher hört man es mit gemischten Gefühlen. Einerseits freut sich jeder Migrant, wenn die eigene Heimat auf wohlwollendes Interesse stößt. Ich bin viel in der angelsächsischen Welt unterwegs, seit ich im Studium ein Jahr in den USA verbracht hatte, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Helmut Kohl oder Gerhard Schröder jemals ähnlich sentimentale Anwandlungen ausgelöst hätten. Andererseits weiß man um die Schattenseiten der Ära Merkel: eine sedierte politische Kultur und ein Regierungsstil, bei dem die Dinge gemächlich vor sich hinplätscherten und am Ende vermeintlich alternativlose Entscheidungen präsentiert wurden. Aber wie konnte man darüber reden, ohne mal eben einen Schnellkurs bundesdeutsche Politik abzuhalten? Wieder einmal spürte man den Zwiespalt, der sich durch die politischen Debatten des neuen Jahrtausends zu ziehen scheint. Es gab einerseits populäre Gewissheiten, hinter denen sich bestenfalls eine Halbwahrheit verbarg, und andererseits eine kompliziertere Wirklichkeit, die sich jedoch einer konzisen Beschreibung in zwei oder drei Sätzen entzog.
Dieser Zwiespalt war mir aus zahlreichen Debatten über ökologische Fragen bestens vertraut. Ich hatte darüber sogar schon einmal ein Buch geschrieben. Am Ende der Gewissheiten hieß das Werk, das im August 2011 bei Campus erschienen war und eine Gesamtinventur der bundesdeutschen Umweltdebatte unternahm. Es ging um die Atomkraft und die Agrarwende, das Klima und die Gentechnik und einiges mehr, und immer wieder fanden sich populäre Klischees, die ihre eigene Geschichte hatten und längst anachronistisch geworden waren. Das Buch war auch ein Plädoyer für einen neuen Politikstil: mutig, experimentierfreudig, mit Augenmaß und wissenschaftlicher Expertise, die ja nicht immer nur aus der naturwissenschaftlichen Forschung kommen muss, sondern durchaus auch aus den Geisteswissenschaften.
Es ist nicht unbedingt so, dass solche Ausflüge in die Tagespolitik in akademischen Kreisen auf große Begeisterung stoßen. Gerne werden flott geschriebene Texte für eine breite Leserschaft unter Wissenschaftlern als »journalistisch« tituliert, und das ist an deutschen Universitäten kein Kompliment. Damals hatte ich jedoch ein Fellowship der VolkswagenStiftung, die solche Ausflüge durchaus wohlwollend verfolgt, und außerdem war ich Deputy Director am Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft in München, das sich der Förderung ökologischer Forschung in den Geisteswissenschaften verschrieben hatte. So war Am Ende der Gewissheiten auch eine Programmschrift, mit der ich zeigen wollte, was man als Historiker zur laufenden Umweltdebatte beitragen konnte. Im Wissen um die historischen Wurzeln konnte man klarer und gezielter diskutieren, warum wir eigentlich so und nicht anders über ökologische Herausforderungen reden.
Aber ob ein solches Projekt auch den Segen von Klio hatte, der Schutzpatronin der Geschichtswissenschaft? Ich bin nicht abergläubisch, aber es waren schon ausgesprochen unzeitgemäße Betrachtungen, die da im August 2011 auf den Buchmarkt kamen. Ein paar Monate zuvor waren die Atomreaktoren von Fukushima explodiert, der Bundestag beschloss den Atomausstieg, während das Buch in den Druck ging, und die Grünen standen in den Umfragen zeitweise bei 25 Prozent. Das sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für ein Buch über die Krise der Umweltbewegung. Zu allem Überfluss hatte mein Doktorvater Joachim Radkau kurz zuvor ein Buch über die Ära der Ökologie veröffentlicht, das im Kern eine große Liebeserklärung an die Umweltbewegung und ihre charismatischen Vorkämpfer war. Das traf die Stimmung nach Fukushima irgendwie besser. Manche haben das Glück, auf einer Welle des Zeitgeists zu reiten, andere werden unter ihr begraben.
Auf dem Markt der öffentlichen Meinung weht ein rauerer Wind als im akademischen Elfenbeinturm, aber das muss man nicht unbedingt negativ sehen. Wer als Wissenschaftler immer nur unter seinesgleichen verkehrt, verliert leicht aus dem Blick, wie rasant sich die Welt da draußen verändert. Als ich mich vor ein paar Jahren mit der Geschichte der deutschen Landwirtschaft beschäftigte, habe ich viel Zeit mit Bauern und Experten unterschiedlichster Provenienz verbracht. Das war nicht immer ein Vergnügen, weil fachfremde Akademiker mit Sympathie für eine Agrarwende seinerzeit in bäuerlichen Kreisen ein gern gepflegtes Feindbild waren. Aber wenn man einfach mal zuhört, kann man aus solchen Gesprächen eine Menge lernen.
Deshalb musste ich nicht lange überlegen, als ich Anfang 2017 von der Redaktion von Focus Online gefragt wurde, ob ich vielleicht als Gastautor über umweltpolitische Themen schreiben wollte. Es lockte nicht nur ein reichweitenstarkes Nachrichtenportal, sondern auch das perfekte Spielfeld für einen Akademiker, der sich immer mal wieder zwischen alle Stühle setzt. Wenn Stefan Rahmstorf für Spiegel Online schreibt, orientiert er sich meist eng an den Orthodoxien von Klimaforschung und Klimapolitik. Bei Focus Online merkte ich beim Blick in die Kommentarspalte ziemlich rasch, dass ich mir um linksliberale Beißreflexe keine großen Sorgen machen musste. Immer wenn ein Artikel erschien, las ich nach ein paar Tagen alle Reaktionen meiner Leser – die Habermas’sche Diskursethik forderte ihren Tribut –, und deshalb wusste ich nach einiger Zeit, was passieren würde, wenn mir die Redaktion die Worte »Trump«, »Merkel« oder »AfD« in den Titel redigierte.
Ein Online-Medium hat sein eigenes Tempo, und daran muss man sich als akademischer Autor erst einmal gewöhnen. Über das Ende der Gewissheiten hatte ich mehrere Jahre lang nachgedacht, und etliche Kapitel wurden in den Diskussionsrunden des Rachel Carson Centers kontrovers diskutiert. Wenn Focus Online anfragte, was ich eigentlich über die Waldbrände am Amazonas dachte, musste hingegen nach ein paar Stunden ein Text vorliegen, auch wenn ich in diesem Fall zum Beispiel gerade auf einer Konferenz in Estland war. Die Themenpalette hing zwangsläufig an den Wechselfällen der Tagespolitik, aber als ich in einem ruhigen Moment ein paar ältere Kolumnen las, fiel mir auf, dass ich da unter der Hand an einer Fortsetzung zum Ende der Gewissheiten schrieb. Nicht alles war über den Tag hinaus von Bedeutung, aber in der Gesamtschau ergab sich ein Querschnitt der ökologischen Themen unserer Zeit. Die rigide Begrenzung auf 3.500 Zeichen sorgte auch für einen klaren, konzisen Schreibstil. Die akademische Gepflogenheit, alles differenziert und von verschiedenen Seiten zu beleuchten, kann man sich in einer Online-Kolumne getrost schenken, von Fußnoten oder Methodendebatten ganz zu schweigen, und letztlich erwies sich das Schreiben unter solchen Bedingungen als eine bereichernde Erfahrung. Die Welt ist zu kompliziert für die 280 Zeichen eines Twitter-Tweets, aber mit 3.500 Zeichen kann man durchaus eine Menge erklären, wenn man sich ein wenig zusammenreißt.
Diese Kolumnen bilden den Grundstock für dieses Buch. Einige brauchten lediglich redaktionelle Änderungen, andere wurden umgearbeitet, und in mehreren Fällen wurden zwei Kolumnen zusammengeführt. Manchmal schien es auch ratsam, spätere Ereignisse mit in den Blick zu nehmen oder zur Abrundung des Gesamtbildes weiter auszuholen. Obsolet waren hingegen die freundlichen Ratschläge für politische Entscheidungsträger, die von diesen – Kolumnistenschicksal! – mit schöner Regelmäßigkeit ignoriert wurden. Neu sind auch die Titel, die bei Focus Online den redaktionsinternen Vorgaben folgten.
Die einzelnen Beiträge wurden in Kapiteln gebündelt und mit einer Einleitung versehen, um übergreifende Themen besser kenntlich zu machen. Am Anfang steht die Kohlekommission, die wie in einem Brennglas alles vereinigte, was in der Ära Merkel politisch schieflief. Es folgen Kommentare zu lebenden Anachronismen, dem Abschied von der Vision einer globalen Umweltpolitik und anderen Entwicklungen. Donald Trumps Präsidentschaft wird als Realversuch analysiert, was eigentlich passiert, wenn man mit populistischem Furor eine ökologische Rolle rückwärts versucht. »Jenseits der Kritik« ist ein relativ buntes Kapitel mit Kommentaren, die speziell für dieses Buch geschrieben wurden, um das Themenspektrum abzurunden. Zu manchen Dingen war mir seinerzeit nichts eingefallen, was nicht schon hundertfach gesagt worden war (Greta Thunberg), andere standen im Ruch von Insider-Themen (Anthropozän), und in einem Fall ging es schlicht darum, dass auch Kolumnisten ab und zu über Dinge reden wollen, die nicht so recht zu seriösen Online-Medien passen (Sex und Klimawandel).
Am Ende wird der Reigen der Kommentare durch das Szenario einer neuen Umweltpolitik abgerundet, das in der Nach-Merkel-Ära Wirklichkeit werden könnte. Das mögen Leser bitte nicht als Prognose verstehen oder gar als Blaupause für das Bundeskabinett. Über die Frage, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist, habe ich mir relativ wenig Gedanken gemacht. Jeder Historiker weiß, dass die Zukunft letztlich unberechenbar ist, und der Autor von Am Ende der Gewissheiten weiß das erst recht. Ich wäre schon zufrieden, wenn diesmal nicht wieder ein Reaktor explodiert. Das Szenario dient vielmehr als ein Gedankenexperiment, das einmal durchspielt, wie der Weg zu einer anderen Umweltpolitik praktisch aussehen könnte. Die Zeiten für energische Politik sind besser denn je. Man muss sie nur wollen.
Dieses Szenario ist zugleich meine Antwort an alle, die im »Lockdown« die Hoffnung nährten, dass die entschlossene Reaktion auf die Pandemie einen Präzedenzfall für eine künftige Klimapolitik liefern könnte. Es ist eine romantische Idee, nach einer solchen Katastrophe mit ähnlichem Schwung die nächste Herausforderung anzugehen, nur steht das leider im eklatanten Widerspruch zur historischen Erfahrung. Die Hoffnung, aus Katastrophen zu lernen, ist das säkulare Äquivalent zur Buße in religiöseren Zeiten, weil sich nach schockierenden Ereignissen ohne Sinn und Zweck ein mentales Vakuum öffnet, das wir heute nicht mehr moralisch-eschatologisch, sondern narrativ-prognostisch zu füllen versuchen. (Alles Weitere im Abschnitt „Nach der Pandemie das Klima“). Wenn es für gute Umweltpolitik vor allem noble Absichten bräuchte, hätten wir sie längst. Tatsächlich geht es auch um Interessen, um Bündnisse, um Leidenschaft und Augenmaß und nicht zuletzt um den Kairos des günstigen Moments. Gute Politik fällt nicht vom Himmel. Gute Politik wird gemacht.
Vor ein paar Jahrzehnten hätte man für ein solches Projekt noch eine ordentliche Theorie oder ein neues Paradigma gebraucht. Inzwischen kann man sich solche Klimmzüge wohl sparen, und das liegt nicht nur an der Solidität der naturwissenschaftlichen Forschung, die im Folgenden relativ wenig Beachtung findet, weil ihre Erkenntnisse längst in zahlreichen Büchern dargelegt und in der Gesellschaft angekommen sind. Dass hinter Am Ende der Gewissheiten kein aufwendiges konzeptionelles Gerüst stand, hat meines Wissens keinen Rezensenten gestört. Heute braucht es eher eine Kultur der Selbstbeobachtung, eine geistige Offenheit und die Bereitschaft, nach neuen Wegen zu suchen, und es ist nicht nur dem akademischen Hintergrund des Verfassers geschuldet, dass diese Suche im Folgenden immer wieder in die Geschichte führt. Nach einem halben Jahrhundert intensiver Umweltdebatten gibt es einen riesigen Erfahrungsschatz zu allen einschlägigen Themen, den wir viel zu selten für die anstehenden Herausforderungen nutzen.
Damit ist diese Einleitung zugleich mein Gruß an die Kollegen im akademischen Elfenbeinturm, die mich immer mal wieder fragen, ob ich als Umwelthistoriker denn auch über ordentliche historische Themen forsche. Als dieses Buch an den Verlag ging, klagte man in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten des Vereinigten Königreichs lautstark über die Geringschätzung der aktuellen Regierung, die von der Forschung »value for money« verlangt. Jede anständige akademische Disziplin pocht auf den Eigenwert ihrer Methoden und Erkenntnisinteressen, aber deshalb ist die Frage nach dem Nutzen noch längst nicht unanständig. Wenn man immer nur auf den eigenen Bauchnabel schaut und nicht auch einmal hinaus in die Welt, muss man sich nicht wundern, wenn besagte Welt mit spiegelbildlichem Desinteresse reagiert. Außerdem ist die geisteswissenschaftliche Sprachlosigkeit zu COVID-19 auch eine Warnung. Vielleicht sollte man einen Teil der emotionalen Energien der Frage widmen, wieso die historischen Wissenschaften und benachbarte Fächer während der Pandemie weitgehend unauffällig blieben. Es gibt eine Menge, was man als Historiker zum Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beitragen kann, und das nicht nur bei Umweltthemen. Aber das merkt man erst dann, wenn man sich jenseits der akademischen Moden auf die Suche begibt.
Kapitel 1
Chronik eines angekündigten Desasters
Der Kohleausstieg war der größte umweltpolitische Kraftakt der vergangenen Jahre. Er war auch das Ende des kostspieligsten Industrieprojekts der bundesdeutschen Geschichte. Seit den späten fünfziger Jahren war die Kohleförderung ein Sorgenkind, das durch Subventionen und politischen Flankenschutz jahrzehntelang am Leben gehalten wurde. Die Kohle war der entscheidende Energieträger der Industriellen Revolution, die ersten industriellen Ballungsräume entstanden in Deutschland rund um die Zechen im Ruhrgebiet, im Saarland und in Oberschlesien. Der Kumpel wurde zum Inbegriff des Malochers, der durch harte Arbeit und Solidarität sein Auskommen fand. Der Kohlebergbau blieb auch im 21. Jahrhundert Teil der politischen Folklore, obwohl er faktisch nur noch ein Milliardengrab war. Als sich Armin Laschet im Januar 2021 um den CDU-Vorsitz bewarb, baute er seine Rede um die Erkennungsmarke, die sein Vater als Steiger auf der Steinkohlenzeche Anna I im Aachener Revier mit sich geführt hatte.
Man konnte die Dinge natürlich auch etwas nüchterner sehen. Im Ruhrgebiet war 2018 nach einem erinnerungspolitischen Feuerwerk sondergleichen die letzte Steinkohlenzeche Deutschlands geschlossen worden. Seither ging es nur noch um die Braunkohle, die mit Großgerät im Tagebau gefördert wurde und deshalb beschäftigungspolitisch nie ins Gewicht fiel. In den vier deutschen Braunkohlerevieren arbeiteten etwa 20.000 Menschen, und etwa die Hälfte war älter als 50 Jahre. Auch im internationalen Rahmen deutete alles auf ein Auslaufmodell hin. 2017 hatten Großbritannien und Kanada die Powering Past Coal Alliance gegründet, um den Abschied von der Kohleverstromung zu beschleunigen. Braunkohle ist der klimaschädlichste fossile Brennstoff überhaupt, die Verstromung belastet die Umwelt zudem mit Feinstaub und Quecksilber-Emissionen. Allen Beteiligten war klar, dass über kurz oder lang kein Weg am Ausstieg vorbeiführte. Offen war nur, wie der Weg aussehen würde.
Die Kohlekommission wurde zu einem Lehrstück über politische Entscheidungen in der Ära Merkel. Monatelang wurde verhandelt, und am Ende gab es eine Einigung, die in jeder Hinsicht ein Desaster ist. Der Kohlekonsens ist extrem teuer, er sorgt dafür, dass Kohle noch mindestens anderthalb Jahrzehnte verstromt werden darf, und bei den folgenden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg wurde die AfD zur zweitstärksten Partei. Im Ruhrgebiet hatten die Steinkohlesubventionen immerhin die Loyalität für demokratische Parteien gesichert, aber selbst dieses Minimalziel wurde verfehlt. Auf absehbare Zeit kann die Bundesrepublik jede Hoffnung aufgeben, in der internationalen Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu spielen. Trotzdem ist der Kohlekonsens wohl unwiderruflich. Aus der Nummer kommt Deutschland nicht mehr heraus.
Am Anfang stand der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, der die Einsetzung einer Kommission mit allen Beteiligten vorsah. Danach gab es verschiedene Gelegenheiten, einen anderen Kurs einzuschlagen oder das ganze Projekt abzublasen, aber dazu war augenscheinlich niemand bereit. Wie per Autopilot steuerte die Kohlekommission auf ein Ergebnis zu, das dann für alternativlos erklärt wurde – wie so vieles in der Ära Merkel. Man musste nicht am Verhandlungstisch sitzen oder zu den Berliner Insidern gehören, um zu ahnen, dass da etwas schieflief. Der vierte der folgenden Beiträge erschien am 6. Dezember 2018 unter dem Titel »Warum die Kohlekommission gescheitert ist«, und anders als die übrigen Texte wurde er für dieses Buch nicht überarbeitet; selbst das Tempus blieb ausnahmsweise unverändert. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Debakel noch zu verhindern gewesen, und als Politiker hätte man dabei Tugenden bewiesen, die in der bundesdeutschen Politik unterentwickelt sind: Mut und Verantwortungsgefühl.
Als Bundeskanzlerin trägt Angela Merkel die politische Letztverantwortung, aber es griffe zu kurz, die Kohlekommission lediglich als Produkt der Endphase einer langen Kanzlerschaft zu verbuchen. Die bundesdeutsche Politik ist ein System ewiger Verhandlungen, und deshalb sagt der Kohleausstieg auch etwas über die Vor- und Nachteile des Lebens in einer Verhandlungsdemokratie. Der Vorteil ist, dass politische Entscheidungen in der Bundesrepublik seit 1945 von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden, und das war den Vätern des Grundgesetzes nach der Katastrophe des Nationalsozialismus wichtig. Der Nachteil ist, dass sich der Blick auf die Welt verändert, wenn man zu lange am Verhandlungstisch sitzt. Dann geht es immer weniger darum, ob eine Entscheidung von der Sache her sinnvoll ist, und immer mehr darum, aus dem sich anbahnenden Kompromisspaket das Beste herauszuschlagen. So geht es in diesem Kapitel nicht nur um die Chronik eines angekündigten Desasters, sondern auch um ein Lehrstück über einen politischen Stil, mit dem die Bundesrepublik in der Zeit des Wirtschaftswunders ganz gut gefahren ist. Es ist die Frage, ob dieser Stil im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist.

Diesem Anfang wohnte kein Zauber inne

Es gehört zum guten Ton, neuen Ministern etwas Zeit zu geben, um sich einzuarbeiten und der eigenen Politik eine Richtung zu geben. Der US-Präsident Franklin D. Roosevelt hatte dafür 1933 eine Frist von 100 Tagen erbeten, die seither zur Mythologie des Journalismus gehört. Bei der neuen Bundesumweltministerin Svenja Schulze stand jedoch schon nach zwei Wochen im Amt eine Entscheidung ins Haus, die Züge einer Richtungsentscheidung trug. Es ging vordergründig um den Vorsitz der Kohlekommission, aber eigentlich ging es um viel mehr. Schulze musste sich entscheiden, welche Ministerin sie sein wollte.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sah für den Kohleausstieg eine neue Kommission vor, die bis Ende des Jahres ein »Aktionsprogramm« vorlegen sollte. Die Idee war, dass diese Runde »unter Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften sowie betroffenen Ländern und Regionen« tagen sollte. Das Wirtschaftsministerium sollte die Kommission federführend leiten, und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ließ verlauten, dass er einen »breiten Konsens« wollte. Das wirkte freilich im Frühjahr 2018 eher wie ein frommer Wunsch, denn die Umweltverbände zeigten sich reserviert.
BUND, Nabu, WWF, Deutscher Naturschutzring, Umwelthilfe und Germanwatch erklärten, dass sie nur dann mitarbeiten wollten, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt würden. Das war ihr gutes Recht. Über die Mitarbeit in Kommissionen entscheidet jeder Verband ganz für sich allein, die Regierung kann nur Einladungen aussprechen. Aber ohne Umweltverbände wäre die Kommission von Anfang an eine Farce gewesen.
Der Austausch mit Verbänden ist in allen Ministerien tägliche Routine. Aber Konsensrunden haben eine besondere Qualität. Da geht es um einen Kompromiss, den am Ende alle Beteiligten mittragen müssen. Das macht ein Umweltverband nur, wenn es sich lohnt, und die historischen Erfahrungen sind in dieser Hinsicht durchaus gemischt. Manchmal gelingt die Suche nach dem Konsens. Der Atomausstieg der rot-grünen Bundesregierung war so ein Fall: Nach monatelangem Ringen stimmten die Energiekonzerne einem schmerzhaften Kompromiss zu. Dieselbe Regierung scheiterte hingegen, als sie das Kunststück beim Dosenpfand zu wiederholen versuchte. Da gab es nach endlosen Verhandlungen keine Lösung und stattdessen einen Erlass des Bundesumweltministeriums, den niemand wirklich wollte.
Svenja Schulze stand im Frühjahr 2018 vor der Entscheidung, wie sie sich zu den Forderungen der Verbände verhalten sollte. Sie kamen ihr in gewisser Weise entgegen, denn zu den Bedingungen gehörte auch, dass Umwelt- und Wirtschaftsministerium die Kommission gemeinsam leiten sollten. Da lockte ein Schulterschluss mit den Verbänden. Aber sollte sie diese Option suchen?
Für die neue Umweltministerin bot sich eine Chance zur öffentlichkeitswirksamen Profilierung. Sie konnte auf die Mobilisierung der umweltbewussten Öffentlichkeit setzen und die Verhandlungspartner mit geschickt kalkulierten Initiativen vor sich hertreiben. Eine Kommission für den Kohleausstieg wäre dafür die ideale Bühne, gerade weil der Streit vorprogrammiert war. Gegen die Kohlelobby konnte man nicht viel erreichen, wenn man nicht bereit war, auch mal die Ellbogen auszufahren. Sofern man es nicht übertrieb, hätte man den Schlachtenlärm getrost als Beleg des eigenen Engagements verbuchen können. Zur Heiligen Johanna des Klimaschutzes wird man nicht einfach so.
Man kann sich im Umweltressort aber auch darauf beschränken, das Bestehende zu verwalten. Auch so konnte man die Kommissionsverhandlungen angehen: lange verhandeln, intensiv miteinander reden, aber immer schön gemäßigt bleiben. Als Umweltministerin konnte man auch Karriere machen, indem man einfach unauffällig bleibt. So machte es zum Beispiel Angela Merkel, als sie von 1994 bis 1998 Bundesumweltministerin war. Für die Umwelt kam dabei allerdings nicht viel heraus.
Am Ende einigte man sich auf vier Vorsitzende für eine Kommission mit 31 Mitgliedern. Das klingt nach einer anstrengenden gruppendynamischen Übung. Wenn die Beteiligten aussagekräftige Notizen gemacht haben, könnte daraus in ein paar Jahren eine spannende zeithistorische Studie entstehen. Damals wirkte es wie ein fauler Kompromiss, damit man überhaupt erst einmal in die Gänge kam. Es sollte nicht der letzte Kompromiss dieser Art bleiben.

Der Hambacher Forst fordert die Kohlekommission heraus

Die Kohlekommission nahm im Juni 2018 ihre Arbeit auf. In der idealen Welt der Verhandlungsdemokratie steht in solchen Situationen das gegenseitige Kennenlernen im Mittelpunkt. Wenn man monatelang arbeiten soll, dann gilt es zunächst, Vertrauen aufzubauen und einen Konsens über den gemeinsamen Weg zu entwickeln. Das galt erst recht für eine bunt zusammengewürfelte Kommission, in der Umweltverbände und Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler und auch fünf Vertreter der betroffenen Regionen miteinander reden sollten. Es zeigte sich jedoch rasch, dass es eine Welt jenseits des Verhandlungstisches gab.
Es ging um den Hambacher Forst im rheinischen Braunkohlerevier. Dort lebten seit Jahren Menschen in den Bäumen, um gegen die geplante Rodung des Waldes zu demonstrieren, und das hatte diverse Rangeleien mit der Polizei nach sich gezogen. Im Januar waren zum Beispiel neun Aktivisten verhaftet worden, für die am 3. Februar 2018 ein »Soli-Aktionstag« veranstaltet worden war. Man hätte erwarten können, dass sich Demonstranten und Polizei da ein wenig kennengelernt haben. Aber als die Ordnungshüter im September 2018 im Hambacher Forst Baumhäuser räumten, zeigte sich eine frappierende Ahnungslosigkeit. Offenkundig war niemand richtig sicher, worum es da eigentlich ging.
Bei der Räumungsaktion entdeckte die Polizei ein Tunnelsystem. Ein Beamter zog einen Vergleich zu »unterirdischen Anlagen während des Vietnamkriegs«. Da hätten die Soldaten des Vietcongs wohl nur müde gelächelt. In deren Tunneln wurden Maschinengewehre und ähnliche Waffen geschmuggelt, und das amerikanische Militär bekämpfte sie mit flächendeckenden Bombardements. Davon war man im Rheinland gottlob noch ein Stück entfernt.
Andere Beobachter verwiesen auf die Proteste der siebziger und achtziger Jahre, als Wälder für umstrittene Großprojekte abgeholzt werden sollten: für ein Atomkraftwerk in Wyhl, eine Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, die Startbahn West in Frankfurt. Das passte schon ein wenig besser. In beiden Fällen ging es um Menschen, die für ihre Überzeugungen monatelang in improvisierten Behausungen lebten, und Respekt vor solchen Menschen steht jeder Demokratie gut zu Gesicht. Allerdings gab es in Wyhl und anderswo eine starke Verwurzelung in der Region, die im Hambacher Forst eher schwach ausgeprägt war. Das war nicht verwunderlich. Wer das Rheinland vor der Braunkohle retten wollte, kam ein paar Jahrzehnte zu spät. Der harte Kern der Aktivisten wurde augenscheinlich international rekrutiert. Meine Frau fand ein Plakat, als sie im Flughafen von Birmingham auf die Toilette ging.
Vorläufiger Höhepunkt der Absurdität war die Entscheidung der Landesregierung, zur Räumung der Baumhäuser ausgerechnet das Baurecht zu bemühen. Entweder handelte es sich dabei um einen plumpen Vorwand. Oder es gab in einem Ministerium von Nordrhein-Westfalen einen Beamten, der mal dringend an die frische Luft musste. Auf die Idee, ein Protestcamp streng nach DIN-Norm zu bauen, konnte man wirklich nur in einem muffigen Beamtenkabuff kommen.