Einfach weg - Hans Christian Baum - E-Book

Einfach weg E-Book

Hans Christian Baum

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Beschreibung

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen ... So berichtet Luca über seinen Roadtrip mit dem Motorrad von Österreich nach Slowenien - leider scheint der riesige Kerl vor ihm viel interessanter zu sein als der Ausflug selbst. Felix beschreibt Wien und seine Sehenswürdigkeiten, als ihm ein Fremder über den Weg läuft, und Aaron verbringt seinen Urlaub am Meer - mit seiner Familie anstatt seines Schwarms. Nur Tobias hätte eigentlich nicht viel zu sagen, da er mit Extremtouren in den Bergen nichts am Hut hat. Dennoch legen sie alle eine einzigartige Erzählung ab, die nicht nur jedes Fernweh stillt, sondern auch unter die Haut geht ...

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Seitenzahl: 363

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Gay Romance Anthologie

Inhaltsverzeichnis

Einfach weg

Impressum

Die Autorinnen und Autoren von A bis Z

Einfach weg

Hans Christian Baum: Survival-Camp – Wild Adventure

Jo L. Fellner: Road Trip mit Sozius

Cassidy Starr: Felix’ erste Liebe

Alex Xander: Contigo En La Distancia – Mit dir in der Ferne

Programm

Holy Night - Familie zu verschenken

Winter im Frühling

(Un)Fair Play

People Always Leave

© HOMO Littera

Am Rinnergrund 14, A-8101 Gratkorn,

www.HOMOLittera.com

E-Mail: [email protected]

Grafik und Gestaltung: Rofl Schek

Cover: Traveller Desk © Sebra – Fotolia.com

Bled © detait – Pixabay.com

Einzelfotos im Buch © HOMO Littera

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.

2. Auflage Winter 2023

ISBN Print: 978-3-99144-036-9

ISBN PDF: 978-3-99144-037-6

ISBN EPUB: 978-3-99144-038-3

ISBN PRC/Mobi: 978-3-99144-039-0

Die Autorinnen und Autoren von A bis Z

BAUM, Hans Christian

ist ein österreichischer Schriftsteller. Er schreibt unter einem anderen Pseudonym seit Jahren erfolgreich Horror- und Fantasygeschichten. „Survival-Camp – Wild Adventure“ ist seine erste Kurzgeschichte im schwulen Bereich. Hans Christian lebt mit zwei Hunden und seinem Lebensgefährten in der Untersteiermark.

FELLNER, Jo L.

ist angehender Jurist mit Schwerpunkt Urheberrecht. Er schreibt seit Jahren erfolgreich unter einem Pseudonym belletristische Literatur und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Seit 2008 unterstützt er vor allem Debütautoren bei ihren Veröffentlichungen. Privat verbringt er seine Zeit mit Reisen, Tanzsport und Biken.

STARR, Cassidy

ist eine niederösterreichische Autorin mit einem zweiten Lebensschwerpunkt in Wien. Durch den daraus resultierenden Spagat verbringt sie Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln, die sie kreativ nutzt: Im Geiste spielt sie während dieser Zeit Dialoge und ganze Szenen aus ihren Manuskripten durch. Sie selbst bezeichnet sich als „schreibbesessen“.

Cassidy Starrs Texte sind oft erotisch, manchmal weniger romantisch, geizen jedoch nie mit dem von ihr heiß geliebten Drama.

XANDER, Alec

ist ein deutscher Schriftsteller, der seine Leser mit seinen Büchern gerne unterhält. Er versucht sie zum Lachen zu bringen, stimmt sie aber auch nachdenklich oder treibt sie an ihre Grenzen. Bevorzugt schreibt er dramatische Liebesromane, ist aber auch Horror- und Erotikromanen gegenüber aufgeschlossen.

Mehr Informationen über den Autor auf http://alecsbooks.de

„DIE WELT IST EIN BUCH.

WER NIE REIST,

SIEHT NUR EINE SEITE DAVON.”

AURELIUS AUGUSTINUS

Da war ich also. Ich konnte es noch immer nicht glauben, doch ich saß tatsächlich auf der Rückbank eines Geländewagens, eingepfercht zwischen zwei Rucksäcken und einer Kühlbox. Es war das Ende des Sommers, das Ende der Schulferien und das Ende meiner Freiheit. In zwei Wochen würde ich aufs Internat kommen, um die letzte Klasse und das Abitur zu wiederholen. Das vergangene Jahr hatte ich verkackt – so richtig. Meine Mutter hatte mir zu Ferienbeginn geschworen, dass ich deshalb auf ein Internat käme. All die Streitgespräche, die Drohungen, Tränen und das hilflose Flehen meinerseits hatten nichts gebracht. Sie war von ihrem Entschluss nicht abgerückt. Wahrscheinlich lag das daran, dass sie mich los haben wollte, dass sie mich einfach aus ihrem Leben verbannte – wie sie es mit Vater getan hatte. Seit dem Entschluss, sich scheiden zu lassen, hatte sich alles verändert, mein Leben, ihre mütterliche Fürsorge, unsere Zusammengehörigkeit. Für sie war nur noch ihr neuer Mann wichtig, ihre neue Familie. Was diese Veränderungen für mich hießen, ignorierte sie.

Unruhig blickte ich auf den Hinterkopf von Jürgen, der den Jeep geschickt durch den schmalen Forstweg lenkte. Er war ein guter Autofahrer, das musste ich ihm lassen, leider war er auch mein neuer Stiefbruder, mit dem ich mich nicht verstand. Es lag nicht daran, dass ich ihn nicht mochte, sondern vielmehr waren Welten zwischen uns – und sieben Jahre Altersunterschied. Er war 25, BWL-Student und auf eine ganz besondere Art durchgeknallt. Manchmal erinnerte er mich an einen Manager für Arme. Seit ich ihn vor einem halben Jahr kennengelernt hatte, hatte er noch nie ein stinknormales Shirt getragen, stattdessen trug er immer ein helles Hemd mit Bügelfalten, dazu passend einen Strickpullover, den er meist um seine Schultern warf.

So auch heute. Wir fuhren dank meiner Mutter zu einem Survival-Camp, und er war in Hemd, Pullover und Stoffhose geschlüpft. Natürlich hatte es nur Stunk wegen meiner Kleidung gegeben, da ich mich seit fünf Jahren weigerte, etwas anderes als Schwarz zu tragen. Meine Mutter war damit immer klar gekommen, bis sie sich entschloss, sich von Vater zu trennen und zu Flo zu ziehen – Jürgens Vater, der meiner Meinung in einer Midlife-Crisis steckte und Woodstock gerne noch einmal aufleben lassen würde. Er hatte Verständnis für alles und jedermann, nur meine Abneigung gegenüber diesem Survival-Camp verstand er leider nicht.

Jürgen hielt an einer Weggabelung an und überlegte. „Hm, welchen Weg nehmen wir? Links oder rechts?“ Er sah in den Rückspiegel, unsere Blicke trafen sich. Unschlüssig hob ich die Schultern.

„Keine Ahnung, wie immer“, murrte er und fuhr den Weg links weiter.

Ich biss die Zähne aufeinander, dann schaute ich aus dem Fenster. Ich wusste tatsächlich nicht, wo wir lang mussten, ich wusste ja nicht einmal, wo wir uns befanden. Seit ich auf der Rückbank vor über einer Stunde eingeschlafen war, fehlte mir jede Orientierung. Auf dem Handy das Navi einzuschalten, brachte nichts, da wir so tief in den Bergen und Wäldern keinen Empfang mehr hatten. „Survival-Trip“ eben.

Jürgen drosselte das Tempo, als wir in unliebsames Gelände kamen. Langsam holperten wir dahin, bis nach einer starken Rechtskurve endlich eine Art Camp mitten auf einer Lichtung im Wald zu sehen war.

„Wir sind richtig“, erklärte Jürgen, vermutlich mehr sich selbst als mir.

Ich nickte trotzdem und starrte auf das Lager. Wenige Zelte waren nebeneinander aufgebaut. Daneben war ein Platz mit einer Feuerstelle, um die mehrere Personen hockten – vermutlich der Lagermittelpunkt. Auf der anderen Seite parkten vier PKWs und ein Pick-up.

Ich ließ mich tiefer in die Kissen der Rückbank sinken, als wir nah genug an der Feuerstelle vorbeifuhren. Die Camper sahen zu uns, zwei Kerle und eine Frau winkten. Jürgen winkte freundlich zurück. Ich fühlte mich schon jetzt so wohl wie ein Äffchen auf hoher See – die Fremden waren alle in Jürgens Alter oder viel älter, niemand, der auch nur annähernd in meiner Altersgruppe war. Aber zumindest trugen sie nicht wie Jürgen Designerklamotten, sondern Funktionswäsche.

Jürgen parkte den Jeep ein und stieg ohne ein weiteres Wort aus. Er umarmte die drei Fremden, sie lachten und unterhielten sich miteinander. Die Frau küsste er auf den Mund. Den restlichen Teilnehmern des Trips winkte er zur Begrüßung.

Ich seufzte leise. Wie ich Jürgen kannte, würde er sich nicht die Mühe machen, mich vorzustellen beziehungsweise in die Gruppe zu integrieren. Dieses Camp war sein Ding – sein Abenteuer mit Freunden. Dass ich ihm wie ein lästiges Übel ans Bein gebunden worden war, hatte auch ihn keinen Freudentanz aufführen lassen. Obwohl ich zugeben muss, dass er sich mir gegenüber nicht negativ geäußert hatte. Dummerweise hatte ich ein Gespräch zwischen ihm und seinem Vater gehört, in dem Flo Jürgen eindeutig bedrängte, meiner Mutter eine Freude zu machen und mich mitzunehmen.

„Elli hat es ja nicht leicht mit dem Jungen, du siehst ja, wie der Kleine tickt!“ – Der Satz klingelte mir noch immer in den Ohren. Ich bemühte mich wirklich, meine neue Familie zu akzeptieren und mich unauffällig zu verhalten, aber leider tat ich mir seit jeher schwer, neue Kontakte oder Freundschaften zu knüpfen. Mit Jürgen und Flo ging es mir da nicht anders.

Dass Flo mit Jürgen über mich sprach, als wäre ich irgendwie geschädigt oder schwer erziehbar, belastete mich mehr, als ich zugeben wollte. Ich war zurückhaltend, vielleicht etwas schüchtern, aber ich war kein schwieriges Kind, wie Flo mich beschrieb. Ich war schließlich 18, hatte einen Führerschein und wollte nächstes Jahr, sobald ich mein Abi hatte, unbedingt auf die Kunstuni. Wahrscheinlich war das ein Wunschtraum, aber ich wollte es zumindest versuchen.

Unsicher sah ich nach links, als neben unserem Jeep ein weiterer Geländewagen einparkte. Sekunden später stieg ein großer Kerl aus dem Wagen. Er winkte den anderen zu, ging um das Auto herum und begrüßte sie per Handschlag und Kuss auf die Wange. Ganz automatisch musterte ich ihn. Groß, durchtrainiert, aber kein Muskelpaket, die brünetten Haare waren locker im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, die leicht sonnengebräunte Haut schimmerte im Sonnenlicht. Durch seine dunklen Augen wirkte er südländisch, was er vermutlich nicht war. Er sah gut aus, das musste ich zugeben, auch wenn ich mich am liebsten dafür geohrfeigt hätte. Der Fremde war sicher fünf bis acht Jahre älter als ich, er würde sich nie für einen schmächtigen, blassen Abiturienten interessieren, der ihnen aufgezwungen worden war.

Shit! Ich biss mir auf die Unterlippe und blickte auf meine Finger. Nervös zwickte ich an meiner Nagelhaut herum. Jürgen war hetero, seine Freunde waren es bestimmt auch, ich konnte mir nicht vorstellen, dass einer der Kerle schwul war.

Dass ich es war, wussten weder Jürgen noch Flo noch meine Mutter oder mein Vater. Ihnen das zu erzählen, hatte ich bis jetzt nicht über mich gebracht. Ich kannte niemanden, der so war wie ich, niemand aus unserer Familie oder Verwandtschaft war schwul. Ich hatte auch keine Ahnung, was Mum oder mein Vater zu diesem Thema sagten. Es hatte nie zur Debatte gestanden.

Ich blickte wieder zu Jürgen, der die junge Frau umschlang und laut lachte. Er hatte mich tatsächlich vergessen – oder es interessierte ihn nicht, was ich machte. Wahrscheinlich war ich tatsächlich das lästige Übel, das er nicht mehr losbekam. Ich selbst hätte im Moment vieles dafür gegeben, um von ihm etwas Beistand zu bekommen. Schließlich war er der Einzige, den ich kannte.

Ein Knoten bildete sich in meinem Magen. Die nächsten fünf Tage würden die Hölle werden, ich freute mich schon jetzt wieder nach Hause zu kommen – vielleicht sogar ein wenig auf das Internat. Ich hatte ein Einzelzimmer, dafür hatte Mutter gesorgt, in das ich mich jederzeit zurückziehen konnte.

Unerwartet fuhr ich herum. Hinter mir wurde der Kofferraum aufgerissen. Jürgen packte das Zelt aus. Ich drehte mich im Sitz um, er sah zu mir, bevor er den Kopf schüttelte und sich mit dem Zeug Richtung Lager aufmachte. Die junge Frau half ihm beim Tragen, sie würdigte mich keines Blickes.

Was sollte ich machen? Aussteigen und Jürgen helfen? Oder warten, bis er mich holte? Andererseits wäre es nicht fair, wenn er unser gemeinsames Zelt alleine aufbaute.

Ich schob die Kühlbox auf den leeren Platz im Kofferraum, wo das Zelt gelegen hatte. Dann krabbelte ich auf den Nebensitz und stieg aus. Unsicher sah ich mich um. Jürgen alberte mit der Fremden herum, sie lachte, die anderen Jungs fielen in das Gelächter ein. Gemeinsam begannen sie das Zelt aufzubauen.

„Hey!“

Ich drehte mich um und starrte in ein dunkelbraunes Augenpaar. Der gut aussehende Typ von vorhin stand neben mir.

„Und du bist?“

„Tobias“, murmelte ich und sah unsicher zu Boden. Ohne es zu wollen, spielte ich an meiner dunklen Röhrenjeans herum.

„Tobias!“, wiederholte der Fremde und streckte mir die Hand entgegen. Er bückte sich, um mir ins Gesicht sehen zu können.

Ich linste hoch und nahm die Hand an. Sie fühlte sich warm an und war ein Stück größer als meine.

„Lukas“, stellte sich der Fremde vor.

Fahrig ließ ich seine Hand los und wechselte von einem Bein auf das andere. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Seine Blicke ruhten auf mir, anscheinend wartete er darauf, dass ich mehr von mir erzählte.

„Und du gehörst zu wem?“, fragte er schließlich, weil ich nichts sagte.

„Zu Jürgen.“ Hilflos zeigte ich über meine Schulter zurück.

„Jürgen“, wiederholte Lukas und runzelte die Stirn.

Ich nickte nur und drehte mich um. Sollte ich einfach gehen? Ich hatte keine Ahnung, was er von mir hören wollte. Er hatte doch gesehen, dass ich aus Jürgens Jeep gestiegen war. „Ich … ich denke, ich sollte helfen.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und schaute zu ihm.

Lukas’ Blick lag nach wie vor auf mir. Hektisch wandte ich mich ab und ging zu den anderen. Ich steckte meine Finger in die Hosentaschen und stellte mich zu ihnen.

„Hallo“, murmelte ich und starrte auf Jürgen. Hoffentlich hatte er irgendeine Beschäftigung für mich, sonst stand ich hier dumm herum, während die anderen mich angafften, als wäre ich eine Erscheinung.

Die junge Frau stieß Jürgen an. „Jürgen!“ Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu.

Jürgen schaute auf, rollte mit den Augen und seufzte laut. „Ach so, ja, das ist Tobias, der Sohn der Freundin meines Vaters.“ Genervt widmete er sich wieder dem Zeltaufbau.

Ich biss mir erneut auf die Unterlippe und sah zu den anderen. Sie nickten nur, musterten mich, aber keiner stellte sich vor oder reichte mir die Hand.

„Was … was soll ich tun?“, fragte ich und trat näher zu Jürgen heran.

„Nichts, steh einfach nicht im Weg.“ Er ergriff mich bei den Schultern und schob mich ein Stück zurück. Dann baute er weiter an dem Zelt herum. Die anderen sahen sich an, sagten aber nichts, sondern machten weiter.

„Jürgen, breite dich nicht zu sehr aus, da muss auch noch Platz für mein Zelt sein.“ Lukas ließ neben mir den zusammengefalteten Zeltsack fallen und grinste.

„Jaja, das war klar, dass du mehr Platz brauchst, als dir zusteht!“, antwortete Jürgen feixend, schob seine Sachen aber zur Seite.

Noch immer stand ich unschlüssig herum. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich hatte ja nicht einmal einen Schimmer davon, was mich auf diesem Ausflug erwartete. Ich wischte meine feuchten Hände an meiner Hose ab und lief wieder die zwei Schritte hinter Jürgen her, der soeben um das Chaos am Boden gestiegen war.

„Kann ich nichts tun?“ Flehentlich sah ich ihn an.

„Nein, steh mir einfach nicht im Weg!“ Er steckte die Gestänge des Zeltes ineinander und schob sie dann in die vorgesehenen Kanäle.

„Setz dich am besten ans Feuer.“ Lukas umfasste meine Mitte und führte mich an den Lagerplatz.

Von der Berührung war ich so überrascht, dass ich mich widerstandslos auf einen der Holzstämme setzte. Seine Hand streifte über meinen Rücken, als er ging. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Tatsächlich war es ziemlich kühl hier. Im Auto hatte ich eine Jacke liegen, ohne die mich meine Mutter nicht hatte fahren lassen. Am liebsten hätte ich sie geholt, aber keiner der Teilnehmer trug eine dicke Outdoorjacke. Ich passte jetzt schon nicht hierher, wenn ich auch noch in eine abgesteppte Winterjacke schlüpfte, wäre ich von Anbeginn an der Loser der Truppe.

Ich rückte ein Stück näher ans Feuer und hielt die Hände darüber. Angenehme Wärme kroch mir über die nackten Arme hinauf. Angespannt sah ich mich um. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Pick-up mit dem Logo „Survival-Camp – Wild Adventure“ versehen war. Riesige Lettern prangten an den Seitenwänden. Ein Pärchen mit demselben Aufdruck auf ihrer Kleidung irrte zwischen dem Wagen und einem überdimensionalen De-luxe-Zelt hin und her. Es schien nicht so, als würden sie auf irgendeine Art von Komfort verzichten. Anscheinend galt der Überlebenstrip nur für die Teilnehmer – oder ich hatte komplett falsche Vorstellungen von diesem Ausflug.

Über dem Feuer war eine kleine Vorrichtung mit einem Topf angebracht, in dem irgendetwas Undefinierbares kochte. Dem Geruch nach zu urteilen, war es angebrannt.

„Ist dir nicht kalt?“ Lukas stand unerwartet neben mir und blickte auf mich herab.

Unschlüssig zeigte ich zum Feuer. „Hier ist es in Ordnung.“

Er musterte mich, bevor er seine Funktionsjacke auszog und sie mir über die Schultern warf. „Nimm meine, bevor du dir noch eine Erkältung holst.“

„Ich habe eine im Wagen“, erklärte ich und war versucht, die Jacke wieder abzustreifen, doch Lukas hockte sich vor mich. Seine dunklen Augen flogen über mein Gesicht.

„Mir ist vom Aufbauen ohnehin warm.“ Er griff nach meinen Händen und stopfte sie in die Ärmel.

Abermals war ich so überfordert von seiner Nähe, dass ich mich einfach anziehen ließ. Der Duft eines schweren Parfums kroch von seiner Jacke in meine Nase. „Danke, aber …“ Bevor ich mich versah, zog er auch schon den Reißverschluss zu. Die Jacke war viel zu groß, ich verschwand regelrecht darin, aber sie war warm, vor allem, weil seine Körperwärme darin steckte.

„Irgendwo sollte es Tee geben“, flüsterte er und erhob sich wieder. Ohne ein weiteres Wort ging er zu den anderen zurück, um sein Zelt fertig aufzubauen.

Unsicher sah ich mich um. Zwei Fremde hatten sich mir gegenüber ans Feuer gesetzt. Sie schmunzelten, als ich zu ihnen blickte. Dank Lukas war ich der kleine Junge, der versorgt werden musste. Mürrisch sank ich tiefer in seine Jacke und sog das Parfum ein. Ich musste zugeben, er hatte einen guten Geschmack, obwohl der Geruch überhaupt nicht in die Wildnis und Natur passte. Aber zumindest lenkte er von dem angebrannten Zeug am Feuer ab.

Hinter mir begann das „Survival-Camp“-Pärchen die Leute zusammenzutrommeln. Ich blickte mich um. Jürgen hatte unser Zelt durch die Unterstützung der anderen bereits fertig aufgestellt. Zu fünft fixierten sie nun Lukas’ am Waldboden. Sie waren geschickt, das musste ich ihnen lassen. Auch Jürgen, der in seiner Kleidung völlig deplatziert wirkte, hatte Ahnung davon. Anscheinend war er nicht so unfähig, wie ich ihn eingeschätzt hatte.

Als die anderen Teilnehmer sich langsam um die Feuerstelle versammelten, ging ich zum Jeep, um meine Sachen zu holen. Ich wollte Lukas seine Jacke zurückgeben. Obwohl er einen Funktionspullover trug, fror er sicher bald. Ich schnappte meinen dunkelgrauen Rucksack sowie meinen Anorak und trug alles zum Zelt. Jürgen und die anderen hatten sich mittlerweile am Feuer niedergelassen. Natürlich hatte ich dadurch meinen Sitzplatz verspielt, ebenso war ich nun der Letzte in der Runde.

Ich schlüpfte hastig in meinen Winteranorak mit Kapuze und trat dann ans Feuer heran. Unsicher reichte ich Lukas seine Jacke. „Danke.“

„Schon okay. Hier, setz dich.“ Er rückte ein Stück auf dem Baumstamm zur Seite und machte für mich Platz, während er sich seine Jacke überwarf.

Unruhig sah ich zu Jürgen. Er hockte breitbeinig mit der jungen Frau vor dem Feuer, ohne sich zu bewegen. Auf seinem Baumstamm wäre mehr Platz gewesen, doch er rührte sich keinen Millimeter. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu Lukas zu setzen.

„Danke“, sagte ich abermals. Meine Schulter berührte Lukas’ Arm. Am liebsten wäre ich ein Stück weggerückt, doch dann wäre ich auf den Boden gefallen. Er schien mit der Nähe kein Problem zu haben.

„Sind nun alle so weit?“ Die Frau des Survival-Trips schaute zu mir.

Hastig nickte ich. Ihren Blicken nach zu urteilen, stand ich ganz oben auf ihrer Liste für verhasste Teilnehmer. Mit meinem Winteranorak passte ich auch perfekt hierher – andererseits sah ich noch immer besser aus als Jürgen, der nach wie vor keine passende Allwetterkleidung trug.

Der Survival-Führer teilte Zettel aus, auf dem der Ablauf der nächsten Tage stand, ebenso eine Auflistung jener Dinge, die wir mitführen sollten.

Hastig überflog ich die Sachen. Super, ich hatte rund 90% der Gegenstände nicht bei mir. Hoffnungsvoll blickte ich zu Jürgen. Ob er ein Jagdmesser mithatte? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so etwas in seinem Besitz war, geschweige denn, dass er damit umgehen konnte. Wozu brauchten wir überhaupt ein Messer?

Ich riss mich von dem Blatt Papier los und blickte zu der Führerin. Die obligatorische Vorstellungsrunde war soeben angekündigt worden.

Na, bravo, wie in der Schule … Konnte ich nicht einfach unbemerkt hier sitzen und später mit den anderen mitlatschen – wohin auch immer es ging?

Jürgens Freunde begannen. Heinz und Matthias, beide 27 und BWL-Studenten – eindeutig Jürgens Studienkollegen. Seine Freundin hieß Janine. Sie war 24 und studierte Alte Geschichte. Jürgen selbst hielt sich kurz. Seit er redete, fuhr er sich unentwegt über seine Hose. Vielleicht hatte er mittlerweile mitbekommen, dass er nicht in die Runde passte – genauso wenig wie ich.

Dann stellte sich Lukas vor. Er machte es ebenfalls kurz und bündig: Name, Alter, Beruf: Lukas, 28 und Architekt. Mehr sagte er nicht, stattdessen blickte er mich an und wartete, dass ich mich vorstellte.

Gesprächig war er nicht gerade, was ich schade fand. Andererseits: Was hatte ich erwartet? Er hatte das preisgegeben, was auch die anderen gesagt hatten. Alles andere interessierte niemanden.

Mein Herz pochte bis zum Hals, als ich mich räusperte und schließlich zu sprechen begann. Ja, ich war eindeutig der Jüngste in der Runde, dem Seufzen der anderen nach zu urteilen, waren sie von meiner Anwesenheit auch völlig begeistert. Selbst das Führerpärchen verdrehte die Augen, als ich mein Alter nannte und erklärte, noch zur Schule zu gehen. Super, ich konnte hier noch Freunde fürs Leben finden!

Sofort wurde ich einige Zentimeter kleiner in meinem Anorak.

Der Typ neben mir ergriff das Wort. Christoph, 58, ein Aussteiger, der in diesem Trip wohl die Antworten auf die Sinnhaftigkeit des Lebens suchte. Allerdings sprach für ihn, dass er vermutlich der Einzige in der Runde war, der an der Tour an sich interessiert war, während sich alle anderen – ich ausgeschlossen – auf ein Abenteuer freuten.

Neben Christoph saß Thorsten, 47, er war ein angeblicher Überlebenskünstler, der vorhatte, unsere Nahrung für die nächsten Tage selbst zu erlegen. Stumm fragte ich mich, ob wir dafür ein Jagdmesser benötigten. Ich war Vegetarier, hoffentlich hatte Jürgen das bei meiner unfreiwilligen Anmeldung berücksichtigt.

Es folgten die Brüder Philip und Michael, 29 und 34. Sie führten ein Geschäft für Silikonkleidung – was es nicht alles gab – und prahlten damit, mit Pfeil und Bogen umgehen zu können. Gesteigert wurde das Ganze von Katja und Michelle, 38 und 43, die meiner Meinung zu viele männliche Hormone schluckten oder zumindest Bodybuilding betrieben. Laut ihrer Aussage waren sie stolze Besitzerinnen eines Tattoostudios, das alles und jeden tätowierte. Sofort reichte Michelle einen Stapel Visitenkarten im Kreis herum und versprach uns 50% Preisnachlass, wenn wir uns Intimtattoos stechen ließen. Ich hatte so schon Angst vor Nadeln, warum sollte ich mir noch an meinem Schwanz rummachen lassen?

Philip und Michael hingegen waren von der Idee begeistert und tauschten sich sofort mit den Frauen aus.

„Eine tolle Gruppe!“, erklärte der Campführer und schweifte mit seinem Blick durch die Runde. „Mit euch wird es sicher keine Schwierigkeiten geben.“ Er blieb bei mir hängen. „Hoffe ich zumindest.“

Super, ich war eindeutig der Vollhorst hier – eine Leistung, wenn man bedachte, welche Typen um das Feuer saßen.

Das Führerpärchen erklärte den Ablauf. Morgen früh würde unser Survival-Trip beginnen: Wir würden durch den Wald latschen, uns an irgendeinem Wasserfall abseilen, mit einem selbst gebauten Floß über einen See fahren und schließlich einen Berggipfel besteigen. Der letzte Tag war für den Abstieg gedacht.

Zusammengefasst könnte man sagen: Ich war in der Hölle gelandet. Weder Jürgen noch Flo oder meine Mutter hatten ein Wort davon erzählt, dass ich mit einem Floß fahren oder klettern sollte. Wandern war in Ordnung, aber der Rest überstieg meinen Vorsatz, diesen Trip irgendwie durchzudrücken.

Zumindest wusste ich jetzt, warum Mutter mich zu einem Kletter- und Schwimmkurs überreden wollte. Hatte ich dafür überhaupt die richtige Kleidung mit? Oder Schuhe?

Das Führerpaar begann das angebrannte Etwas aus dem Topf über dem Feuer zu verteilen. Sie prahlten damit, dass sie den Eintopf seit rund sieben Jahren bei diesem Trip kochten und er immer etwas anders schmecke – schließlich griffen sie auf Kräuter des Waldes zurück. Es sei immer schwierig, was Sinnvolles zu finden, was man auch essen könne.

So wie es roch, war ich mir nicht sicher, ob Genießbares darin war.

Die Führerin reichte mir eine kleine Schüssel.

„Ist da Fleisch drinnen?“, fragte ich sie.

Kurz stutzte sie, bevor sie sich zu ihrem Partner umsah. Der hob nur die Schultern und murmelte etwas Unverständliches.

„Nein, aber frische Pilze. Alles aus dem umliegenden Wald.“ Sie drückte mir die Schüssel in die Hand und schöpfte dann weitere Pampe für den nächsten Teilnehmer aus dem Topf.

Mit gerunzelter Stirn starrte ich auf den dunkelbraunen Brei in meiner Schüssel. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn probieren wollte.

„Ist essbar“, murrte Christoph und löffelte langsam das Zeug.

Ich nickte nur. Christoph hatte gesagt, dass er ein Aussteiger war, vermutlich aß er alles.

„Schmeckt seltsam, aber es geht“, mischte sich Lukas ein, der gerade den ersten Löffel voll Pampe gekostet hatte.

Unsicher rührte ich herum. „Sind das Bohnen?“

„Ja, dicke, große Bohnen“, flüsterte Christoph in unsere Richtung. Er sah zu den beiden Führern, die sich lautstark mit den Brüdern Philip und Michael unterhielten. Eine Flasche Whiskey wurde kurzerhand unter einem Baumstumpf hervorgezogen und geöffnet.

Wunderbar, das abendliche Gelage wurde anscheinend mit Alkohol begossen!

„Bohnen aus dem Wald?“, stellte ich trocken fest.

Lukas nickte und durchsuchte seine Brühe ebenfalls. „Ja, scheint nicht alles hier zu wachsen.“

„Ja, Bohnen und Kartoffeln aus der Dose. Pilze und Brennnesseln aus dem Wald“, erklärte Christoph leise und sah zu mir. „Das kannst du essen, es ist kein Fleisch drinnen.“

„Und das wissen Sie, weil?“, fragte ich vorsichtig und beobachtete die Runde. Die Whiskeyflasche wurde im Kreis weitergereicht.

„Weil ich zu früh hier war und sie beim Kochen beobachtet habe. Ich habe auch die giftigen Pilze entfernt.“

Lukas spuckte seinen Löffel Brei in die Schüssel zurück. Mit offenem Mund blickte er zu Christoph.

Doch der hob nur kurz die Schultern und meinte: „Die haben so viel Ahnung von einem Survival-Trip wie die britische Queen vom Tiefseetauchen.“ Er zeigte auf unsere Schüsseln. „Alles Giftige und nicht Genießbare habe ich entfernt, bevor sie es in den Topf warfen.“

Ich blickte zu den beiden Führern. Sie hatten sich mit George und Amelie vorgestellt. Wenn ich mir Amelies manikürte Nägel ansah, hatte Christoph recht. Bei George war ich mir nicht sicher. Er hatte lange Rasterzöpfe und in seinem Mundwinkel hing seit meiner Ankunft eine selbst gedrehte Zigarette. Vermutlich wusste er genau, welche halluzinogenen Pilze in den Topf gehörten und welche nicht.

Christoph folgte meinem Blick und grinste: „Ja, George ist nicht ganz bei uns. Ich will gar nicht wissen, was er raucht.“

„Auf alle Fälle scheint er entspannt und glücklich zu sein.“ Lukas musterte ihn, bevor er weiteraß.

„Ja, das schon.“ Christoph nahm die Whiskeyflasche entgegen und machte einen kräftigen Schluck, bevor er sie an mir vorbei an Lukas reichte.

Der gab sie sofort an Jürgen und Janine weiter, ohne zu trinken oder mich zu fragen, ob ich auch gerne möchte.

Anscheinend sah ich nicht so aus, als würde ich Whiskey vertragen. Oder sie befanden, dass ich zu jung war und noch gar nicht trinken durfte. Ich wusste nicht, was mich mehr aufregte.

Stumm kostete ich den dickflüssigen Eintopf. Er schmeckte nach angebranntem Spinat, der Rest war undefinierbar. Die Pilze fühlten sich in meinem Mund glitschig und noch halb roh an. Mit gerunzelter Stirn kaute ich an den einzelnen Bröckchen herum. In meinem Rucksack hatte ich mehrere Tafeln Schokolade, Bananen und Äpfel. Auch die Kühlbox war voll mit Fressalien, die Mutter uns eingepackt hatte. Sobald wir uns zurückzögen, würde ich darüber herfallen.

Es dauerte auch nicht lange, bis sich die Ersten in ihr Zelt aufmachten. Am liebsten wäre ich ebenfalls aufgestanden, doch ich wollte nicht der kleine Junge sein, der frühzeitig zu Bett ging.

Als Jürgen und seine Kumpels endlich das Lager verließen, war es nach Mitternacht. Heinz und Matthias wirkten deutlich angeheitert, sie hatten wohl zu oft von dem Whiskey getrunken.

Ich latschte hinter Jürgen zu unserem Zelt und packte meine Zahnbürste aus. Ich hatte vorhin beobachtet, dass neben dem Survival-De-luxe-Zelt ein paar Tonnen standen, aus denen sich die Teilnehmer Wasser zum Zähneputzen und Waschen schöpften. Mehrere Meter entfernt und gut verborgen hinter Büschen und Dickicht hatte ich auch ein mobiles WC entdeckt.

So viel also zum Thema Wildnis pur. Vermutlich wurde der ganze Trip mit Tricks und Notunterkünften ausgestattet.

Als ich beim Klo endlich an die Reihe kam, waren die meisten anderen längst in ihren Zelten verschwunden. Auch von Jürgen und seinen Freunden fehlte jede Spur. Lediglich Lukas kramte noch in seinem Wagen herum. Ich schaute zum Feuer. Die Brüder Philip und Michael flirteten wie wild mit den beiden Tattooladies. George und Amelie öffneten die nächste Flasche Whiskey. Da hatten sich ja die Richtigen gefunden.

Ich ging zu unserem Zelt und bückte mich, um den Reißverschluss aufzuziehen, doch mehr als wenige Zentimeter kam ich nicht. Jürgen riss von innen den Eingang ein Stück auf und fixierte mich.

„Was willst du?“, fragte er mich in einem Ton, als hätte ich mich im Zelt geirrt.

„Ähm, schlafen gehen?“ Verwirrt schaute ich ihn an.

„Ja, aber nicht bei mir. Janine ist hier!“ Damit schloss er das Zelt.

Überrascht starrte ich auf den geschlossenen Eingang. „Aber …“

„Verpiss dich, Tobias! Du wirst nicht auch noch bei mir schlafen!“ Wenige Sekunden später erlosch die Campinglaterne im Inneren des Zeltes.

„Aber meine Sachen sind da drinnen!“, flüsterte ich, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

„Ist mir egal! Die kannst du morgen alle wiederhaben! Verschwinde jetzt!“

Verzweifelt sah ich mich um. Ich könnte im Jeep schlafen, vorausgesetzt Jürgen hatte den Wagen nicht abgesperrt. Unruhig steckte ich die Hände in die Anoraktaschen und ging zum Auto. Natürlich war es verschlossen.

„Brauchst du etwas?“ Lukas blickte zu mir. Er hatte seine Kleidung gewechselt und trug jetzt Thermounterwäsche. Unter seinem rechten Arm hatte er einen Schlafsack eingeklemmt.

„Ich … also …“ Hilflos sah ich mich erneut um. „Ich denke, ich bin gerade aus meinem Zelt geflogen.“

Lukas sah an mir vorbei. „Janine schläft bei Jürgen?“

„Ja …“

„Na ja, ich schätze mal, du wurdest bei mir einquartiert.“

Überrascht sah ich Lukas an. „Aber … meine Sachen sind alle bei Jürgen im Zelt. Und außerdem …“ Scheiße, das war nicht fair. Jürgen hätte mich zumindest vorwarnen können. Ausgerechnet bei Lukas. Der Kerl sah selbst in seiner Thermounterwäsche sexy aus.

„Na, komm, ich beiße nicht.“ Lukas ging an mir vorbei und verriegelte per Fernbedienung seinen Wagen. „Wo ist dein Schlafsack?“

Nervös hob ich die Schultern. „Keine Ahnung, vermutlich bei Jürgen?“

Lukas seufzte laut und marschierte dann zum Zelt. Ich konnte nichts anderes tun, als hinter ihm herzugehen. Die Aussicht in einem Zelt zu schlafen und nicht auf dem kalten Erdboden in der Wildnis war ein kleiner Hoffnungsschimmer, auch wenn Lukas’ Nähe mich mehr als nervös machte.

„Na, dann rein mit dir“, sagte er und wies auf sein Zelt.

„Danke“, murmelte ich und wollte schon in das Innere schlüpfen, als er mich zurückhielt und auf meine Chucks zeigte.

„Schuhe ausziehen“, war alles, was er sagte, bevor er über das ganze Gesicht grinste.

Damit hatte ich endgültig verraten, dass ich keine Ahnung vom Campen hatte. Ich knöpfte meine Schuhe hastig auf, streifte sie ab und kroch dann ins Innere. Unsicher sah ich mich um. Am Boden lagen eine Isomatte sowie eine Decke. Daneben ein Buch, eine Flasche Mineralwasser und ein kleiner Rucksack. Die Campinglampe stand auf der anderen Seite des Lagers.

Lukas schob mich von hinten weiter, damit er ebenfalls hereinkonnte. Ich ließ mich auf einem freien Platz nieder und zog meine Jacke fester zu. Jetzt war ich froh, dass meine Mutter darauf bestanden hatte, sie mitzunehmen, auch dass ich sie vorhin angezogen und nicht bei Jürgen im Zelt abgelegt hatte.

Lukas rollte seinen riesigen Schlafsack aus und öffnete den Reißverschluss. „Links oder rechts?“ Schmunzelnd sah er mich an.

Ich verstand nicht. Verwirrt blickte ich zu ihm.

„Willst du links oder rechts schlafen?“ Er wies auf seinen Schlafsack. So groß wie das Ding war, handelte es sich vermutlich um einen Partnerschlafsack.

Er dachte doch nicht tatsächlich, dass ich da zu ihm hineinkroch? „Also … ich werde mich hier daneben hinlegen.“

Lukas musterte mich für Sekunden. Als ich Anstalten machte, mich auf den blanken Zeltboden zu legen, griff er nach meiner Hand und zog mich zu sich.

„Und morgen bist du krank und leidest an einem Nierenleiden und einer Blasenentzündung, oder wie?“ Er zeigte auf die rechte Seite. „Zieh deine Sachen aus, und dann leg dich hin. Wenn ich den Plan richtig im Kopf habe, geht’s um halb acht los.“

Natürlich war der warme Schlafsack verlockend, aber dass ich mit einem fast 30-jährigen Mann darin schlafen sollte, überforderte mich. Warum musste ausgerechnet ich schwul sein? Warum konnte ich nicht auf Mädchen stehen, dann wäre mir Lukas völlig egal gewesen.

Er öffnete meinen Anorak. „Los, ausziehen!“

Mein Herz pochte wie wild. Ich war so aufgeregt, dass ich ihm tatsächlich gehorchte und meine Jacke auszog.

„Weiter!“ Er sah mich herausfordernd an. „Warum trödelst du so?“

Ja, warum trödelte ich? Weil er mich verrückt machte? Weil seine braunen Augen mich bei jedem Blick nervös machten? Weil ich verdammt noch mal schwul und er der erste Mann war, der mir so nahe kam, seit ich mir darüber klar war?

„Ich … es ist kalt … also …“, stotterte ich herum und ohrfeigte mich stumm. Noch offensichtlicher ging es wohl nicht.

„Quatsch, im Schlafsack wird dir schon warm werden.“

Wie meinte er das? Unsicher öffnete ich die Schnalle meines Gürtels, seine Blicke brannten auf mir. Mir wurde tatsächlich heiß. Wahrscheinlich war ich rot wie eine Tomate, aber aufgrund des gedämpften Lichts im Zelt sah Lukas das sicher nicht. Meine Finger zitterten leicht, als ich die Hose aufknöpfte und sie schließlich abstreifte. Ich legte sie zu der Jacke daneben.

„Mein Shirt auch?“, fragte ich leise und biss mir im selben Moment auf die Zunge. Warum fragte ich so etwas? Vor allem in diesem mitleidigen, schüchternen Ton? Warum tat ich überhaupt, was er verlangte?

„Nur, wenn du möchtest.“ Er lächelte.

Ich schluckte trocken, streifte dann meine Socken ab, weil es mir komisch vorkam, nur mehr Pants und ein Shirt zu tragen, aber Socken an den Füßen zu haben. Dann legte ich mich in den Schlafsack. Hastig rollte ich mich auf die Seite und wandte ihm den Rücken zu.

Lukas legte sich neben mich und schlug den Schlafsack über uns. Mit einer Hand fasste er über mich und zog den Reißverschluss an meiner Seite hoch. Sein Unterarm streifte über meine Hüfte. Ich hielt die Luft an. Wäre ich doch nur am Rücken liegen geblieben. Mit dieser Position zwang ich ihn regelrecht, sich hinter mich zu legen. Er bewegte sich. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er sich auf seinen Unterarm stützte und mich beobachtete. Ich hielt abermals die Luft an und schloss dann die Augen. Was tat ich hier? Ich lag mit einem wildfremden Kerl in einem Schlafsack und hatte mich auch noch ausgezogen!

„Okay so?“, fragte Lukas in die Stille hinein.

Ich nickte, ohne die Augen zu öffnen. Sein warmer Atem strich mir über den Nacken. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus und ließ mich frösteln.

„Kann ich das Licht ausmachen? Wir ziehen ungewollt Insekten an.“

Ich schlug die Lider auf und sah auf die Campinglampe. Von draußen flogen immer wieder Insekten gegen die Zeltplane. „Ja, ist okay …“

Lukas beugte sich abermals über mich. Seine Hand streifte meine Schulter, als er aus dem Schlafsack griff und die Lampe ausschaltete. Dann legte er sich hinter mich. Seine Beine berührten meine Kniekehlen, sein warmer Atem streifte erneut meinen Nacken.

Ich schloss abermals die Augen und zählte leise bis zehn. Scheiße, so konnte ich nicht schlafen. Von draußen drang leises Rascheln herein. Irgendwelche Grillen zirpten. Vom Lagerfeuer hallte Gekicher herüber.

„Ist dir kalt?“, unterbrach er die Stille, seine Hand tastete sich um meine Mitte.

„Nein“, murmelte ich und sog laut die Luft ein. Ich wagte mich nicht zu bewegen. Selbst als er sanft über meinen Bauch strich und mich nach hinten zog. Stattdessen biss ich auf meine Unterlippe und wartete gespannt. Sein zweiter Arm schob sich unter meinem Kopf hindurch, seine Brust presste sich gegen meinen Rücken. Er atmete leise, bevor er sein Becken von hinten an mich drückte.

Scheiße, Löffelchenstellung! Ohne es zu wollen, seufzte ich laut auf.

Lukas hielt sofort inne. Er hob den Kopf und sah mich im Dunkeln an. Ich konnte seine Blicke regelrecht auf mir spüren. Als ich nichts sagte, sondern stattdessen hektisch zu atmen begann, legte er sich wieder hinter mich. Sachte drückte er mich näher, seine Arme umschlangen mich, seine Finger streichelten unerwartet über meinen Bauch – fast so, als wollte er testen, ob ich tatsächlich auf ihn reagierte. Natürlich keuchte ich auf.

„Das habe ich nicht erwartet“, flüsterte er. Seine Hand glitt wie von selbst unter mein Shirt und strich über meinen Bauch nach oben und wieder zurück.

Ich spannte meinen ganzen Körper an. Was machte er da? Was hatte er vor? Und woher wusste er, dass ich schwul war und auf seine Berührungen reagierte? Hatte ich mich mit meinem Verhalten verraten?

„Jürgen bringt mich um!“, wisperte Lukas in mein Ohr. Seine rechte Hand strich erneut über meine Brust nach unten. „Davon hat er nichts gesagt …“

Eine Gänsehaut bildete sich abermals auf meinem Körper, ich versuchte angestrengt mein schnelles Schnaufen zu unterdrücken, doch bei jedem Atemzug verriet ich mich.

„Gefällt dir das?“

Ich war versucht, zu nicken. Doch im letzten Moment hielt ich mich zurück. Was tat ich hier? Ich lag mit einem Fremden in einem Schlafsack und ließ mich anfassen. Ich hatte absolut keine Erfahrung auf diesem Gebiet – Lukas dafür umso mehr, wie es schien. Aber war ich dazu bereit? Ich wusste doch gar nichts über ihn – bis vor wenigen Minuten war er auch nur ein gut aussehender Fremder gewesen, den ich ein wenig anhimmelte.

„Alles okay?“, riss er mich aus den Gedanken. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich die Luft angehalten hatte. Hastig stieß ich den Atem aus. Lukas’ Finger schoben sich an den Rand meiner Pants.

„Wie alt, sagtest du noch einmal, bist du?“ Seine Stimme wirkte rau und belegt.

„18.“

18? Warum sagte ich nicht 16 oder so … warum sagte ich ihm die Wahrheit?

„18“, wiederholte Lukas und drückte unerwartet seine Lippen von hinten an meinen Hals. „Das ist gut!“ Er stöhnte laut.

Unbewusst hob ich die Schultern an. Die Berührung war ungewohnt, überhaupt war alles neu.

Lukas hielt inne, ich spürte, dass er seinen Kopf weiter anhob. Als ich nichts sagte, legte er sich wieder hin. Seine Arme umschlossen mich fester. Seine Hand war nach wie vor unter meinem Shirt, doch er hielt still. Sein Daumen streichelte vorsichtig über meinen Bauch.

„Ich soll aufhören, oder?“, murmelte er, während seine Finger sich über den Bund meiner Pants tasteten, bevor er ein Stück tiefer glitt.

Ich keuchte laut, als er meinen Schwanz berührte, dann hielt ich den Atem erneut an und versteifte mich. Obwohl meinem Körper das Spiel gefiel, war ich völlig überfordert. Ich hatte noch nie jemanden geküsst, geschweige denn mit jemandem rumgemacht. Jetzt innerhalb weniger Minuten mit einem Fremden alles auszuprobieren, stresste mich. Lukas war ein erwachsener Mann, er würde sich nicht mit unnötigen Streicheleinheiten und ungeschickten Erkundungen aufhalten.

Er tastete mit dem zweiten Arm, auf dem ich lag, nach mir. Als er mir dabei unbewusst ins Gesicht fuhr, schnappte ich vor Schreck laut nach Luft. Sofort legte sich seine Hand über meinen Mund.

„Psst!“, hauchte er. Sein Körper presste sich an mich, seine zweite Hand lag – bewusst oder unbewusst, da war ich mir nicht so sicher – zwischen meinen Beinen.

Ich riss die Augen weit auf und keuchte laut. Seine Hand auf meinem Mund, die zweite auf meinem Schwanz, ließen meine Gedanken rotieren. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, sodass ich im Schlafsack zu strampeln begann.

„Psst!“, wiederholte Lukas und nahm endlich die Hand von meinem Mund und meinem Schwanz. „Beruhig dich …“

Ich schnappte nach Luft und hustete kurz – keine Ahnung warum, wahrscheinlich ein Reflex.

„Alles okay?“, fragte er leise und umschlang mich wieder. Seine Hand blieb zwar unter meinem Shirt, aber er strich nicht mehr nach unten.

„Hm“, war alles, was ich herausbrachte. Ohne es zu wollen, begann ich zu zittern. Mir war nicht kalt, aber meine Nervenenden spielten verrückt. Da war ich naiver Trottel doch tatsächlich zu einem fremden erwachsenen Kerl in den Schlafsack gekrochen, hatte mich sogar ausgezogen und nicht weiter darüber nachgedacht.

„Hey …“ Lukas drückte mich vorsichtig an sich. „Doch kalt?“

Ich schüttelte den Kopf, war mir aber nicht sicher, ob er es mitbekam. Seine Hand um meine Mitte strich vorsichtig über meinen Bauch nach oben und wieder zurück.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken …“

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Sein ständiges Streicheln beruhigte mich, obwohl ich eigentlich schreiend aus dem Zelt hätte rennen sollen.

„Versuch zu schlafen“, murmelte er schließlich und zog den Schlafsack vor meinem Gesicht höher. Dann umschlang er mich wieder.

Ich hätte ihn wegstoßen sollen, ihm sagen, dass er eindeutig zu weit ging. Aber die Nähe gefiel mir, auch wenn es absolut hirnrissig war, nur wenige Meter neben meinem Stiefbruder mit einem seiner Freunde rumzumachen. Ob Jürgen wusste, dass Lukas schwul war?

Aber was hieß schon rummachen? Was tat er denn? Eigentlich nichts. Vielleicht war er einfach ein anhänglicher und fürsorglicher Kerl. Vielleicht dachte er sich gar nichts und hielt es für seine Pflicht, mich wie einen kleinen Bruder zu umsorgen. Wahrscheinlich ging nur mir die Fantasie durch, weil er mir gefiel.

Quatsch, mit seinem kleinen Bruder kuschelte man nicht. Schon gar nicht strich man über seinen Bauch und streichelte ihn – oder ging auf Tuchfühlung und fasste ihm zwischen die Beine! Das war nicht meine Fantasie.

Ich atmete durch den Mund aus. Mein Atem zitterte noch immer.

„Schlaf!“, wisperte er hinter mir. Dann fasste er nach meinen Händen und drückte sie sachte gegen meine Brust.

Ohne darüber nachzudenken, presste ich mein Gesicht an seinen Arm. Er umschlang mich wie selbstverständlich fester.

Scheiße, da wurde ich mit Gewalt auf einen Survival-Trip geschleppt, und ausgerechnet da lernte ich den ersten Schwulen kennen und machte gleich mit ihm rum. Survival-Trip der besonderen Art sozusagen. Stumm schwor ich, morgen bei Jürgen zu schlafen, egal ob Janine bei ihm war oder nicht, kuschelte mich aber gleichzeitig tiefer in den Schlafsack und genoss die Wärme, die von Lukas’ Körper ausging.

***

Ich erwachte, weil draußen irgendetwas laut knallte. Verwirrt drehte ich mich auf den Rücken. Der Platz neben mir war leer, von Lukas fehlte jede Spur.

Scheiße, wie spät war es?

Ich blickte auf meine Armbanduhr. Kurz nach sechs. Müde rappelte ich mich hoch, schlüpfte in meine Hosen und die Jacke und krabbelte dann nach draußen. Es dämmerte längst, eifriges Treiben herrschte im Camp. Einige Teilnehmer saßen bereits – oder noch immer – um das Lagerfeuer und frühstückten.

Ich griff nach meinen Chucks und zog sie hastig an, während ich mich nach Jürgen und den anderen umsah – vor allem nach Lukas.

Hatte ich mir das heute Nacht eingebildet oder nur geträumt? Oder war Lukas tatsächlich auch schwul?

Mann, wenn das stimmte, musste ich die Gunst der Stunde nutzen und ihn mit Fragen löchern. Er war der einzige Schwule, den ich kannte.

Ich stapfte zu dem Lagerfeuer, wo Jürgen mit Janine saß.

„Das heute Nacht war nicht nett“, motzte ich und hockte mich neben Jürgen. Lukas war nicht zu sehen.

„Was meinst du?“ Jürgen sah zu mir, Janine folgte seinem Blick.

„Du hast mich zu einem Fremden ins Zelt gesteckt – ohne einen Schlafsack, ohne irgendetwas.“

Jürgen verdrehte die Augen und nippte an seiner Teetasse. „Laut Lukas hast du bei ihm geschlafen.“

Ich schluckte. Hatte Lukas etwas erzählt? Wusste jetzt das ganze Camp, dass ich schwul war?

„Lukas ist ein Fremder!“, nörgelte ich und griff nach der Schüssel mit Pampe, die mir Amelie reichte. Ohne darüber nachzudenken, schaufelte ich einen Löffel des undefinierbaren Zeugs in mich. Sofort spuckte ich es wieder aus. Scheiße, war das eklig. Was war das überhaupt? Skeptisch musterte ich es.

Janine lachte, vermutlich wegen meines dämlichen Gesichtsausdruckes.

„Tobias!“, zischte Jürgen leise und holte mich wieder in die Realität zurück. „Ich sage es dir nur ungern, aber du warst nicht eingeplant! Du wurdest mir regelrecht aufgedrückt. Ich wollte eigentlich nichts sagen, aber jetzt fängst du an zu nerven. Lukas meinte, du hättest wie ein Kätzchen geschlafen. Worüber regst du dich also auf? Dass du nicht bei mir schlafen durftest? Entschuldige, aber dieser Ausflug ist seit Monaten geplant – und bei mir im Zelt ist nun mal kein Platz frei.“

Ich riss den Mund auf. Am liebsten hätte ich zurückgemault, aber Jürgen hatte recht. Das war sein Ausflug, seine Freunde – und, verdammt noch einmal, auch sein Zelt. Er konnte mich jederzeit rauswerfen, wenn er wollte. „Aber …“

„Morgen!“, unterbrach Lukas meinen Satz und hockte sich neben mich. „Auch endlich wach?“ Er zwinkerte, bevor er eine Tasse Tee von George annahm.