Einfacher Einsatz - Doppeltes Spiel - Monika Heil - E-Book

Einfacher Einsatz - Doppeltes Spiel E-Book

Monika Heil

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Es geht um Geld, die Freiheit und die traurige Gewissheit, dass man sich nach so vielen Ehejahren nichts mehr zu sagen hat. Regina van Straaten hat ein Verhältnis mit dem Chauffeur ihres Mannes Achim von Straaten, der sich wiederum heimlich mit ihrer besten Freundin Mona trifft. Um in eine vermeintlich glücklichere Zukunft zu starten, beauftragen die von Straatens, unabhängig voneinander und ohne es zu wissen, den gleichen Mann für den Mord des jeweils anderen. Das Drama nimmt seinen Lauf mit ungewissem Ausgang.

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Einfacher Einsatz

Doppeltes Spiel

 

Krimi

 

 

 

 

 

von

Monika Heil

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-087-9

MOBI ISBN 978-3-95865-088-6

Urheberrechtshinweis:

Kurzinhalt

Es geht um Geld, die Freiheit und die traurige Gewissheit, dass man sich nach so vielen Ehejahren nichts mehr zu sagen hat. Regina van Straaten hat ein Verhältnis mit dem Chauffeur ihres Mannes Achim von Straaten, der sich wiederum heimlich mit ihrer besten Freundin Mona trifft. Um in eine vermeintlich glücklichere Zukunft zu starten, beauftragen die von Straatens, unabhängig voneinander und ohne es zu wissen, den gleichen Mann für den Mord des jeweils anderen. Das Drama nimmt seinen Lauf mit ungewissem Ausgang.

1. Kapitel

1.

„Vielleicht ist er in der Midlife-Crisis“, mutmaßte Mona.

„Na hör mal, seine einzige Krise war ich höchstpersönlich selbst“, erwiderte Regina und begann, laut zu lachen.

„Ja, ja, mach dich ruhig lustig. Bisher ist Achim von jeder Geschäftsreise wieder zu dir zurückgekehrt. Und du warst in diesen Zeiten nicht gerade einsam, stimmt´s?“

„Du hast ja Recht. Ronaldo ist wirklich ein guter Trainer“, gestand sie, schenkte Mona dabei ein gekonntes Lächeln und prostete der Freundin, die sich in fotogener Pose auf der Liege ausgestreckt hatte, überschwänglich zu. Die jungen Frauen genossen die Stunden am Pool, der bei diesen Temperaturen eindeutig das Glanzstück im weitläufigen Garten von Mona Bergers Villa war. Als Regina das Champagnerglas abstellte, fiel ihr Blick auf ihre Armbanduhr. Mit einem Satz war sie auf den Beinen.

„Ich muss los! Ich bin um zwei mit ihm auf dem Golfplatz verabredet. Er will mein Handicap verbessern.“

„Schade, Gina!“, Mona stellte ihr Glas ab, streckte den Oberkörper und setzte sich auf. „Aber lass dich nicht aufhalten, meine Liebste! Ich bleibe noch ein bisschen.“

Flüchtig umarmten sich die beiden. Ihre Gestik war eingespielt - Küsschen links, Küsschen rechts. Regina van Straaten stopfte achtlos ihre Sonnenbrille, das Handy und ein paar Illustrierte in ihren braunen Lederbeutel. Sie angelte nach ihren Sandalen.

„Tschau, Mona! Ich ruf dich an.“ Regina lief über den kurz geschorenen immergrünen Rasen. Sie zog ihre Schuhe erst an, als sie die Steinfliesen der Terrasse betreten hatte. Sie wieselte durch das Haus ihrer Freundin. Und weg war sie.

Mona Berger sah ihr mit einem spöttischen Lächeln nach. Dann ließ sie sich auf ihre Liege zurücksinken. Sie verschränkte die Arme im Nacken, schloss die Augen und vergaß die Freundin im selben Moment. Denn Regina, die alle nur Gina nannten, war zwar ihre beste Freundin, dennoch konnte sie ihr gestohlen bleiben. Das einzig Interessante an Gina war ihr Mann und der gute Sex, den sie seit einem halben Jahr mit ihm hatte. Wenn Gina wüsste, mit wem ihr lieber Achim letzten Monat eine Woche lang auf „Geschäftsreise“ war, würde sie sich um etwaige weibliche Bekanntschaften bei diesen Reisen keine Gedanken machen. Dann wären sie allerdings auch keine Freundinnen mehr. Das Handy klingelte. Schlagartig erwachte sie aus ihren Tagträumen. „Berger!“, meldete sie sich.

„Bist du allein?“

Sie erkannte seine Stimme sofort.

„Achim, Liebling, ja ich bin allein. Deine Frau ist gerade gegangen und ich habe ganz fest an dich gedacht. Wo bist du?“

„Leider noch in Zürich. Meine Maschine hat Verspätung. Eigentlich sollte ich um diese Zeit bereits in Hamburg sein und nun sitze ich hier fest. Du, das wird heute nichts mehr. Ich weiß noch nicht genau, wann ich hier wegkomme. Wahrscheinlich bin ich erst am späten Nachmittag in Hamburg. Da muss ich dann gleich nach Hause. Wir haben Opernkarten für heute Abend und du kennst Gina. Die wird sauer, wenn ihr geliebter Opernabend in Gefahr gerät.“

„Schade, ich habe solche Sehnsucht nach dir. Könnte ich dich nicht vielleicht am Flughafen abholen?“

„Mona, sei vernünftig! Ronaldo holt mich ab. Wir haben vereinbart, dass ich ihn anrufe, sobald ich gelandet bin. Wir sehen uns morgen, Süße. Ich melde mich. Küsschen!“

Damit war das Gespräch beendet. Keine Liebesschwüre! Küsschen - Ende. Mona schmollte. Sie wollte ihren Ärger mit Champagner runterspülen und musste feststellen, dass die Flasche leer war. Mist! Als sie aufstand, um eine neue zu holen, verlor sie um ein Haar das Gleichgewicht. Das brachte sie zur Vernunft. Besser keinen Alkohol mehr! Sie musste noch Auto fahren und ihrem schönen neuen Sportwagen sollte nichts passieren. Sie war von Freunden zum Abendessen eingeladen, wobei auch getrunken werden würde. Bis zu Achims Anruf war sie sicher gewesen, die Verabredung nicht einzuhalten. Nun fiel ihre Entscheidung anders aus. Barfuß stakste sie in die Küche und stellte die Espressomaschine an.

Sie dachte flüchtig an Bernhard, ihren Ex-Mann. Bei ihm in Sao Paulo war es bestimmt noch heißer als hier und heute. Doch hier in Hamburg war die Luftfeuchtigkeit nicht so hoch. Sie beschloss, nach dem Espresso zu duschen und überlegte, was sie am Abend tragen würde. Das rote Etuikleid, das sie sich gestern – in weiser Voraussicht - für diesen Zweck gekauft hatte, erschien ihr mit einem Mal unpassend. Lange stand sie vor dem Spiegelschrank in ihrem Schlafzimmer und musterte sich kritisch. Der neue kurze Schnitt steht mir, freute sie sich. Und die tolle Farbe auch. Wie schwarzer Lack. Passt gut zu meiner braunen Haut. Und keine einzige Falte, stellte sie mit großer Befriedigung fest. Die dunklen Augen hatte sie dezent geschminkt. Ihrem schlanken Körper sah man die vielen sportlichen Aktivitäten an. Die Muskeln waren fest, die Haut makellos glatt. Sie wog kein Gramm zu viel, achtete streng auf ihre Ernährung. Gina könnte mal wieder ein paar Pfund abnehmen, dachte sie schadenfroh. Sie bestätigte sich einmal mehr, dass man ihr auch nicht ansah, dass sie die vierzig bereits überschritten hatte. Die Scheidung von Bernhard hatte ihr gut getan. Kein Stress mehr, keine Pflichten, kein Kummer. Sie lebte à la carte und genoss ihre Selbständigkeit. Zum Glück hatte sie auch keine finanziellen Sorgen. Bernhard, der als Architekt viel im Ausland arbeitete, hatte ihr das große Grundstück samt Villa und Swimmingpool überlassen. Er selbst hatte die kleine Stadtwohnung bezogen, die über seinem Büro in der Innenstadt lag und früher vermietet war. Er war so selten in Deutschland, dass sich dieses Arrangement angeboten hatte. Seine Unterhaltszahlungen waren großzügig und trafen stets pünktlich auf ihrem Konto ein. Sie sahen sich nur noch selten. Ab und zu telefonierten sie miteinander. Ihr gemeinsamer Freundeskreis hatte sich reduziert. Der überwiegende Teil ihrer Bekannten war in Bernhards Dunstkreis verblieben. Seltsam eigentlich, wo er so selten in Deutschland war. Regina und Achim van Straaten hielten zu ihr, ebenso Linda und Klaus Möller, mit denen sie heute zum Abendessen verabredet war. Sie wollten ihr einen Geschäftsfreund von Klaus vorstellen, einen Amerikaner in ihrem Alter. Natürlich hatte Mona sich inzwischen auch einen eigenen Bekanntenkreis aufgebaut, der jedoch überwiegend aus Frauen ihres Alters bestand, die sie vom Sport oder aus ihrem Fitnessstudio kannte. Nach einem letzten kritischen Blick auf ihre Figur ging sie aufmerksam ihre Garderobe durch. Sie entschied sich für ein weißes Seidenkleid mit Spaghetti-Trägern, das Linda noch nicht kannte. Mona Berger war bereit für jede Überraschung.

Zur gleichen Zeit schritt Achim van Straaten die Gangway hinauf, ließ sich kurz darauf in seinen Sitz fallen, atmete auf. Endlich saß er in der Maschine, die kaum besetzt war. So hatte er zwei Plätze für sich allein. Er ließ sich von der Stewardess diverse Tageszeitungen und einen Whisky bringen, trank in kleinen Schlucken und dachte an Mona. Er wünschte, sein Leben wäre anders verlaufen. Es war ein Fehler gewesen, Gina damals so schnell zu heiraten. Michaela hatte ihn gewarnt. Aber wann hatte er je auf seine Tochter gehört, wenn es um Liebesdinge ging? Umgekehrt war es genauso. Der Unterschied war nur, Michaela schien mit Toni sehr glücklich zu sein, während er und Gina ... Seufzend schob er die Gedanken an seine Frau beiseite, griff nach einer der Zeitungen, deren Schlagzeilen er überflog, um gleich zum Wirtschaftsteil weiter zu blättern. Dabei stellte er fest, dass seine Aktien erneut gefallen waren und hatte schon wieder einen Grund zu seufzen. Als die Stewardess noch einmal mit dem Getränkewagen vorbei kam, setzte er ein strahlendes oft geübtes Lächeln auf. Er orderte einen weiteren Whisky, wobei er ganz unverhohlen flirtete und zufrieden feststellte, dass seine Blicke erwidert wurden. Als die junge Frau das Glas vor ihn hinstellte, berührten sich ihre Hände flüchtig.

„Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?“, fragte sie mit gesenkter Stimme.

„Sehr nett von Ihnen, danke, im Augenblick nicht. Auf Ihr Wohl!“ Er fügte ein paar belanglose Schmeicheleien hinzu. Dann ging es ihm auf die Nerven, dass sie noch immer bei ihm stand und ihn unentwegt anstrahlte. Dumme Gans, dachte er.

In Hamburg empfing ihn brütende Hitze. Während er auf seinen Koffer wartete, lief er immer wieder von einem Ende des Gepäckbandes zum anderen. Dabei kam er anderen Passagieren in die Quere, ohne es zu bemerken. Eine Dame lächelte ihn an, er lächelte automatisch zurück, ohne zu wissen, wer sie war. Einen Augenblick später hob sie ihren Koffer vom Band und ging an ihm vorbei. Achim vergaß sie augenblicklich. Während er weiter auf seinen Koffer wartete, löschte er seine Anrufe auf dem Handy. Er traute seiner Frau zwar nicht zu, ihn zu kontrollieren, aber er wollte ganz sicher gehen. Gina kannte Monas Handynummer. Nicht auszudenken, wenn sie Verdacht schöpfen würde. Er schob das Handy in die Innentasche seines Jacketts zurück und starrte wieder auf das Gepäckband. Das dauerte ihm hier alles viel zu lange! Wo blieb der verdammte Koffer?

2.

Ronaldo Ortega wartete in der Halle auf seinen Chef. Es störte ihn nicht, dass der Flug Verspätung hatte. Im Gegenteil. So war ihm Zeit für eine halbe Stunde in Reginas Schlafzimmer geblieben. Regina van Straaten ist schon eine tolle Frau, dachte er. Dass sie fast zehn Jahre älter war als er selbst, sah man ihr nicht an.

„Na, Ronaldo, wovon träumen Sie?“

Die Stimme seines Chefs riss ihn aus seinen Gedanken.

„Herr van Straaten, haben Sie mich jetzt erschreckt!“, stammelte Ronaldo. „Entschuldigung, ich war wirklich ganz woanders mit meinen Gedanken. Hatten Sie einen guten Flug?“

„Es ging so. Die Verspätung ist ärgerlich. Meine Frau wird sicher ungeduldig sein.“ Ronaldo hätte am liebsten nach diesem Satz gegrinst. Wenn der wüsste!

Achim reichte seinem Fahrer den Koffer, eine Geste, die Ronaldo verabscheute. Natürlich war er sein Angestellter, er war jedoch weder Diener noch Leibeigener. Beide gingen mit schnellen Schritten Richtung Ausgang. Achim van Straaten war zwar doppelt so alt wie sein Fahrer, dennoch sah man ihm seine dreiundsechzig Jahre nicht an. Er hielt sich sehr gerade, sein Gang war federnd und wirkte dynamisch. Der Armanianzug passte wie maßgeschneidert. Die Weste konnte seinen Bauchansatz nicht wirklich kaschieren. Die grauen Schläfen verrieten zwar annähernd sein wahres Alter, doch die blauen lebendigen Augen machten das locker wieder wett und gaben seinem Gesicht ein jugendliches Aussehen. Die feinen Linien seiner Lachfältchen unterstützten diesen Eindruck. Doch der sonst vollkommen faltenlose Teint täuschte. Alles war Täuschung! Seine Erscheinung ließ einen wohlhabenden Geschäftsmann vermuten, einen vom Glück verwöhnten Villenbesitzer und beneidenswerten Ehemann. Alles Täuschung! Die Kleidung war in besseren Zeiten gekauft, die Villa gehörte der Bank, das Auto der Firma, und die Ehefrau war ein Fehlgriff.

Ronaldo verstaute das Gepäck im Kofferraum, während van Straaten auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Zum Glück war er nicht in den Fond des Wagens eingestiegen, eine Geste, die Ronaldo ebenfalls verabscheute, weil auch sie dazu angetan war, Rangverhältnisse zwischen ihnen herauszustellen.

„Wohin soll ich Sie fahren, Herr van Straaten? In die Firma oder nach Hause?“

„Nach Hause, natürlich! Wenn ich jetzt noch Zeit für die Firma verliere, explodiert meine Frau. Die Geschäftsunterlagen kann ich auch zu Hause im Safe deponieren.“

Die Firma gehörte nur mehr dem Namen nach ihm. Seine Tochter Michaela hatte sie nach dem Tod seiner ersten Frau geerbt, während er nur noch ein paar wenige Aktien besaß, die seit geraumer Zeit bedrohlich an Wert verloren.

„Was gibt es Neues in Hamburg?“, wandte er sich an Ronaldo, der nicht nur Fahrer im Hause van Straatens war, sondern als Mädchen für alles herhalten musste. Und er hieß nicht Ronaldo Ortega sondern schlicht Roland Otte. Doch das war sein Geheimnis. Ronaldo erwähnte ein paar Belanglosigkeiten, wobei seine Stimme so monoton klang, als sagte er auswendig Gelerntes auf. Van Straaten hörte bald nur noch mit halbem Ohr zu und fragte auch nicht weiter nach, als Ronaldo schließlich verstummte. Achim ging davon aus, dass Ronaldos Aufmerksamkeit dem Verkehr galt. Doch Ronaldos Gedanken waren bei den Geschehnissen des frühen Nachmittags, als er der Fitnesstrainer und Masseur Frau van Straatens gewesen war. Er hatte viele Talente.

Roland Otte hatte sich den schönen Künstlernamen Ronaldo Ortega zugelegt, dazu eine Bräune, die ihn glatt als Argentinier durchgehen ließ, zumal seine Augen ebenso schwarz waren, wie seine Naturlocken. Seinen Charme und sein gutes Benehmen hatte er von seiner italienischen Mutter, die Körpergröße und den Körperbau von seinem deutschen Vater, der sich als mittelmäßiger Artist durchs Leben geschlagen hatte. Beide lebten nicht mehr. Deshalb hatte er keine Schwierigkeiten gesehen, seinen Künstlernamen als echt auszugeben. Wie dieser Name in seinen Pass gekommen war, blieb sein Geheimnis. Sein größtes Kapital war zweifellos sein Körper. Geld besaß er nicht, was seine reizvolle Auftraggeberin Gina van Straaten nie vergaß. Er hatte sich seinerzeit über den Job als Fitness-Trainer gefreut, mit dem alles anfing. Zumal Achim van Straaten viel Geld für die Stunden zahlte, die Ronaldo sehr großzügig berechnete. Die Naturalien, die seine Frau schon bald nach Beginn ihrer Zusammenarbeit beisteuerte, waren auch nicht zu verachten. Mit der Zeit hatten sich seine Aufgaben im Hause van Straaten vervielfältigt. Irgendwann war er beiden unentbehrlich geworden und inzwischen auch fest angestellt.

„Ronaldo, was ist los? Sie träumen ja schon wieder!“

„Entschuldigung Herr van Straaten.“

„Ich habe gefragt, ob sich meine Tochter während meiner Abwesenheit gemeldet hat.“

„Nicht dass ich wüsste. Sie rief einmal an, als ich selbst am Telefon war. Doch sobald sie hörte, dass Sie noch in der Schweiz sind, legte sie wieder auf.“

Die Auskunft befriedigte van Straaten einerseits, ärgerte ihn aber auch gleichzeitig. Er wusste, dass Michaela den Kontakt zu seiner Frau auf ein Minimum beschränkte. Sie rief meist nur zu besonderen Anlässen an. Zu Besuch in die Villa kamen sie und ihr Mann nur, wenn sie eine formelle Einladung erhielten, was nur dann geschah, wenn ein Geschäftsessen einen persönlichen Rahmen erforderte. Zu derartigen Anlässen lud Achim van Straaten als Repräsentant der Firma in seine Villa ein. An diesen Abenden mietete er Koch und Servicepersonal bei einem renommierten Catering-Unternehmen und bestand auf Michaelas Anwesenheit. Mit ihr bildete er stets das Zentrum des Geschehens, während Regina mit kühlem hanseatischen Charme im Hintergrund agierte. Sie unterhielt Gäste an der Peripherie und sorgte dafür, dass sich keiner unbeachtet fühlte. Bei weniger formellen Geschäftsessen traf man sich in den angesehensten Restaurants der Hansestadt. Regina van Straaten war bei diesen Gelegenheiten nie anwesend. Was zwischen Achim van Straaten und seiner Tochter zu besprechen war, wurde seit Jahren im Büro geklärt, was ganz in seinem Sinne war. Er legte aus gutem Grund großen Wert darauf, Geschäft und Privatleben streng zu trennen. Wieso hatte Michaela während seiner Abwesenheit in der Villa angerufen? Er war in ihrem Auftrag in die Schweiz gereist und Michaela wusste, wann er zurück erwartet wurde. Sollte sie ihn etwa überwachen wollen? Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Achim würde sie bei ihrem nächsten Zusammentreffen darauf ansprechen.

Regina stand mit einem Drink in der Hand regungslos hinter der riesigen Panoramascheibe ihres Wohnzimmers. Doch ihr Blick nach draußen war so unaufmerksam wie ihre Gedanken. Die Terrassentür war geschlossen. Eine gelb-weiß gestreifte Markise spendete der Außenfläche Schatten und sorgte für angenehme Kühle im Wohnraum. Das elegant eingerichtete Wohnzimmer war zur Südseite komplett verglast. Gardinen hatte sie nicht anbringen lassen. Dadurch hatte man freien Blick auf die ausgedehnte Rasenfläche und die hohen schlanken Zypressen, die das Grundstück einrahmten, wie ein riesiges Gemälde. Als ein kurzer Hupton die Ankunft ihres Mannes signalisierte, löste sich ihre Starre. Sie drehte sich um und lief, so schnell es ihre hohen Absätze zuließen, durch den Wohnraum und weiter zur angrenzenden Diele. Die Wand zur Auffahrt teilten sich die Eingangstür und ein weiteres großes Fenster. Beide hatten gewölbte Scheiben zwischen weißen Gittersprossen, sodass die Vorderfront des Hauses eine geschlossene Einheit bildete. Regina beobachtete die beiden Männer, die gleichzeitig ausstiegen. Achim sagte etwas zu Ronaldo, das sie nicht verstehen konnte. Er nickte und schaute dabei zum Haus. Er hob die Hand, als wolle er sie grüßen. Achim folgte seinem Blick. Rasch ging sie zur Eingangstür, setzte ihr Begrüßungslächeln in Gang und öffnete. Ronaldo war verschwunden.

Achim holte sein Gepäck aus dem Kofferraum, schloss den Wagen per Fernbedienung und kam nach ein paar schnellen, elastischen Schritten bei seiner Frau an.

„Hallo Schatz, schön dich zu sehen. Tut mir leid, dass ich so spät bin. An Ronaldo lag es nicht. Der ist gefahren wie der Teufel.“

Er legte den Arm um seine Frau und küsste sie flüchtig auf die Wange. Gina erwiderte den Kuss halbherzig.

„Komm rein. Du hast noch eine Stunde Zeit.“

Überrascht schaute er auf die Uhr.

„Ich habe Sven und Leonie versprochen, dass wir vor der Oper kurz bei ihnen vorbeischauen“, kam sie seiner nächsten Frage hastig zuvor. „Leonie will mir zwei Bilder aus der Galerie Mommsen zeigen. Eines davon will sie in den Salon hängen. Sie kann sich mal wieder nicht entscheiden, welches sie kaufen soll.“

„Konntest du das nicht schon heute Mittag erledigen?“ Statt einer Antwort zuckte sie nur mit den Schultern. An seinem heftigen Tonfall merkte sie, dass er verärgert war.

„Komm, trink ein Glas und entspanne dich. Wie sind deine Verhandlungen gelaufen?“, lenkte sie ab. Eine rhetorische Frage. Sie hatte längst vergessen, mit wem und worüber Achim in der Schweiz verhandeln wollte. So genügte ihr auch seine kurze Antwort.

„Gut. Alles bestens.“

Er stellte seinen Koffer achtlos in der Diele ab und folgte seiner Frau ins Wohnzimmer. Dort warf er sein Jackett über die Sessellehne und griff nach dem Glas, das Gina ihm wortlos anbot. Er trank in großen Schlucken und reichte ihr schnell das leere Glas zurück. Sie goss nach. Beide standen schweigend, als seien sie Fremde, die sich zufällig im selben Raum aufhielten. Ein hochgewachsener breitschultriger Mann und eine schlanke blonde Frau. Ihre Absätze hoben sie optisch auf Augenhöhe zu ihm. Nutzlos. Ihre Blicke trafen auf unterschiedliche Fixpunkte.

„Und wie war es hier? Irgend etwas, das ich wissen müsste?“, fragte er ohne Interesse.

„Was soll es hier schon Interessantes geben? Ich war mit Mona shoppen, mit Ronaldo golfen und gestern Abend mit Rainer und Beate im „Rossini“ essen. Keine besonderen Vorkommnisse“, antwortete sie spöttisch. Er wusste darauf nichts mehr zu sagen. Ihr Schweigen wirkte zunehmend feindlich und schien auf eine unerklärliche Weise zugleich zu einer bizarren Einigkeit zu werden. Sie hatte sich nie für seine Geschäftsreisen interessiert, hatte höchstens gefragt, mit wem er zusammentraf. Dabei interessierte sie nur, welche Gesprächspartner weiblich waren. Achim zog die falschen Schlüsse, weil er nicht wusste, dass es nur ein Reflex ihrerseits war. Ihr Interesse an Achim war schon seit längerer Zeit im Abschwung begriffen. Achim van Straaten waren die Aktivitäten seiner Frau inzwischen ebenfalls herzlich egal.

Achim spürte wieder den Druck in seiner linken Brustseite. Er versuchte, tief durchzuatmen. Sie beachtete es nicht. Da war auch wieder dieser nebulöse Schmerz in seinem Magen, der mit winzigem Brennen begann und sich schnell ausdehnte. Meist brachte ein Cognac die unausgesprochenen Mahnungen zum Schweigen. Hastig trank er noch einen Schluck und schaute dabei wie gebannt auf ein Eichhörnchen, das am Rande der Terrasse hin und her flitzte. Jetzt fiel ihm wieder ein Satz ein.

„Ich gehe duschen und mich umziehen. Bis gleich. Hast du meinen schwarzen Anzug aus der Reinigung geholt?“

„Mist, das habe ich vergessen. Tut mir leid. Zieh den blauen an, okay?“

Achims Laune verschlechterte sich von Minute zu Minute und erreichte den Tiefpunkt, als er nach einiger Zeit wieder im Wohnzimmer erschien, wo seine Frau lässig auf der Couch saß und eine Illustrierte durchblätterte.

„Gina, was ist los? Du bist noch nicht umgezogen. Ich denke, wir müssen bald weg. Und gegessen hätte ich auch gern einen Happen.“

„Im Kühlschrank stehen ein paar Lachsschnittchen. Die sind zwar von gestern, aber bestimmt noch zu essen. Ich brauche nur noch ein anderes Kleid anziehen. Geduscht und geschminkt bin ich schon, wie du mit etwas Aufmerksamkeit hättest bemerken können. Ich bin sofort fertig. Dann kann Ronaldo fahren.“ Wieder dieser Sarkasmus in ihrer Stimme.

„Ich fahre. Und Schnittchen aus dem Kühlschrank sind mir zu kalt. Das bekommt meinem Magen nicht.“ Wütend blaffte er seine Frau an.

„Dann nicht! In einer viertel Stunde können wir fahren!“

Sie knallte die Zeitschrift auf einen Beistelltisch, sprang auf die Füße und rauschte mit hoch erhobenem Kopf aus dem Zimmer. Achim beachtete sie nicht länger.

So ging das nicht weiter. Kaum war er wieder zu Hause, stritten sie. Diese Frau trieb ihn noch in einen Herzinfarkt. In diesem Moment beschloss er, sich von Gina zu trennen. Er konnte und wollte ihre Eskapaden nicht länger erdulden. Wie könnte das gehen? Er seufzte. Eine Scheidung kam nicht in Frage. Die konnte er sich finanziell nicht leisten. Er musste eine andere Lösung finden. Wegen Mona? Er gestand sich ein, dass die Stunden mit seiner Geliebten aufregend waren. Doch Mona für immer? Auch das war für ihn unvorstellbar. Mit Mona verband ihn eine Liebschaft, mit Regina nur noch Zornschaft. Er schaute auf die Uhr und griff zur Fernbedienung, um sich die Abendnachrichten anzusehen. Die Sprecherin moderierte die erste Katastrophenmeldung an, als seine Frau zurück kam. Mit einem flüchtigen Blick registrierte er, wie gut sie aussah. Das rote, eng anliegende Seidenkostüm brachte ihre schlanke Gestalt vorteilhaft zur Geltung. Geschmack hat sie, dachte er versöhnlich. Sogar ein Lächeln brachte er zustande, das er bei ihrem nächsten Satz sofort wieder ausknipste.

„Was ist jetzt, ich denke wir fahren gleich?“

„Schon gut. Wir fahren ja auch.“

Seufzend schaltete er den Fernseher wieder aus. „Wir können.“

Wortlos gingen sie zum Wagen. Wortlos fuhren sie zu den Freunden. Während die beiden Frauen im Salon die Bilder begutachteten, zogen sich die Herren zum Rauchen in Svens Bibliothek zurück.

„Wie war es in der Schweiz? Alles in trockenen Tüchern?“, fragte der Freund.

„Ist nicht so gut gelaufen. Ich glaube, die wollen nicht.“

„Was sagt Michaela dazu?“

„Die weiß das noch gar nicht. Es reicht, wenn sie sich morgen früh aufregt. Mein Flug hatte Verspätung. Ich bin nach der Ankunft sofort nach Hause gefahren. Du kennst Gina und ihre geheiligten Opernabende. Die weiß übrigens auch nichts davon. Also, bitte keine Bemerkung nachher.“

„Du kannst dich auf mich verlassen. Ich sage nichts.“

Kurz darauf steckte Leonie den Kopf durch die offene Tür.

„Regina möchte fahren“, meldete sie.

„Und, für welches Bild habt Ihr beiden Schönen Euch entschieden?“ fragte Sven, während er die angerauchte Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Achim hatte seine nach ein paar gierigen Zügen bereits in der Glasschale zerquetscht.

„Für keines. Die gehen beide morgen wieder zurück in die Galerie.“

„Wie schön, da habe ich vermutlich eine Menge Geld gespart“, lachte der Hausherr.

„Freu dich nicht zu früh“, konterte sie, „die haben noch mehr Bilder zu verkaufen.“

Kurz darauf fuhren die van Straatens weiter. Zum Glück trafen sie in der Opernpause Bekannte, mit denen sie plaudern konnten. Niemanden fiel auf, dass zwischen den Ehepartnern Eiszeit herrschte.

3.

Als Regina am nächsten Morgen erwachte, hatte Achim das Haus bereits verlassen, ohne sich zu verabschieden. Es war ihr gleichgültig. Nackt lief sie zum Fenster, stieß die Jalousien auf, ließ die Morgensonne in den Raum fluten und frische Luft einströmen. Ein lauer Wind trug Vogelstimmen in ihr Schlafzimmer und liebkoste die leichten Vorhänge, die sich fast unmerklich bewegten. Sie atmete tief ein und aus. Dann zerriss sie die Stimmung mit ein paar symbolischen gymnastischen Übungen, bevor sie ins Bad lief. Richtige sportliche Aktivitäten standen später auf dem Programm. Der flauschige Teppich streichelte ihre nackten Füße.

Regina van Straaten war sehr jung gewesen, als sie sich gezwungen sah, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ihre Eltern waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als sie erst fünfzehn Jahre alt war. Ein Vormund hatte ihre finanziellen und behördlichen Angelegenheiten geregelt. Er hatte ihr auch einen Ausbildungsplatz in einem angesehenen Hamburger Anwaltsbüro vermittelt, sich dann aber sofort aus seiner Verantwortung verabschiedet, sobald sie volljährig wurde. Achim van Straaten war Mandant in dieser Kanzlei gewesen. Dort hatten sie sich kennen gelernt. Er hatte ihre Jugend anziehend gefunden, sie seine Reife. Als sie seine Villa zum ersten Mal betrat, verfiel sie augenblicklich dem Glanz und der Scheinwelt des Wohlstandes. Die ersten Jahre ihrer Ehe konnte man durchaus als glücklich bezeichnen.

Regina setzte sich mit einer Tasse Kaffee an den Esstisch und überprüfte ihre Pläne und Termine für den heutigen Tag. Unausweichlich tauchte Ronaldo Ortega in ihren Gedanken auf. Seit dieser ihr Fitness-Trainer war, trugen sie ihre Träume immer weiter weg von der Realität. Mehrfach schon hatte sie sich als trauernde Witwe gesehen, als Frau an Ronaldos Seite. Argentinien, Ronaldos Heimat, von der er viel zu selten sprach, eine Ranch, einen Verwalter, genügend Personal, Träume, süße Träume. Und dann war da wieder diese wahnwitzige Idee, der Schlusspunkt aller Träume, den ungewollt ihr eigener Mann ausgelöst hatte – warum eigentlich nicht? Sie malte sich ihre Zukunft mit Ronaldo in den schillerndsten Farben aus. Sie rief ihn an. Er versprach, so schnell als möglich zu kommen. Sie wusste, die Pläne, die sie ihm darlegen wollte, würden ihn sehr überraschen. Dass dieses Gespräch nicht seine einzige Überraschung an diesem Tag werden sollte, konnte sie nicht ahnen.

Regina hatte alles auf der Terrasse hergerichtet. Sie hatte die weißen Korbstühle mit bequemen blauen Polstern belegt. Die aus dem gleichen Stoff gefertigte Tischdecke lag über der Marmorplatte des runden Tisches. Ein Strauß gelber Sonnenblumen bot einen heiteren Effekt. So früh am Morgen herrschten noch angenehme Temperaturen. Ungeduldig wartete sie auf Ronaldo. Sie trug einen knappen knallroten Bikini. Um die Hüften hatte sie ein passendes Seidentuch geschlungen. Die hohen Absätze ihrer Sandaletten ließen ihre gut geformten Beine noch länger erscheinen, als sie ohnehin schon waren. Ihre blonden Haare fielen offen fast bis zu ihren schmalen Schultern herab. Eine goldene Halskette kontrastierte mit der Bräune ihrer Haut. Bei diesem Wetter verbrachte sie so viel Zeit wie möglich im Freien. Entweder auf ihrer eigenen Terrasse oder am Pool bei Mona. Um den beneidete sie die Freundin wirklich. Wie oft hatte sie Achim schon vorgeschlagen, auch einen Swimmingpool bauen zu lassen. Er hatte stets abgelehnt. Irgendwann würde sie einen eigenen haben, schwor sie sich. Vielleicht schon bald. Wo Ronaldo nur blieb? Er hatte vor zehn Minuten gesagt, er komme sofort. Sie verbarg ihre Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille, weil Ronaldo in ihnen lesen konnte, wie in einem aufgeschlagenen Buch und heute brauchte sie nüchterne Distanz. Nervös lief sie immer wieder zwischen Wohnzimmer und Diele hin und her. Ihre Absätze morsten Ungeduld in den Boden. In dem einen Raum dämpften teure Perserteppiche ihre Schritte, in der mit sehr hellem Marmor verlegten Diele ging ihr das Stakkato ihrer eigenen Absätze auf die Nerven. Endlich sah sie, wie sich das schmiedeeiserne Tor an der Strasse öffnete und ihr Geliebter mit ihrem Auto die Auffahrt herauf kam. Sie atmete tief durch, versuchte ihren schnellen Herzschlag zu beruhigen. Vergeblich. Sie ging zur Eingangstür, öffnete, um ihn zu begrüßen. Seine nackten Füße steckten in weißen Turnschuhen. Er trug eine weiße Leinenhose, dazu ein dunkelblaues T-Shirt. Seine tief gebräunte Haut glänzte wie Seide. Auch er trug Sonnenbrille.

„Bist du allein?“

„Ja, komm rein.“

Hastig zog sie ihn in die große Diele, küsste ihn begehrlich. Er erwiderte ihre Leidenschaft, seine Hände liebkosten ihren Körper. Schon wollte er sie zur Treppe drängen – ihr Schlafzimmer lag im ersten Stock - als sie sich mit erstaunlich viel Kraft von ihm löste.

„Jetzt nicht, Liebling. Später vielleicht. Wir haben etwas zu besprechen. Etwas ganz Wichtiges! Komm, wir setzen uns nach draußen.“

Er folgte ihr durch das Wohnzimmer, ging bis zur Steinbrüstung, welche die ausladende Terrasse vom weitläufigen Gartengelände abgrenzte. Dahinter lag die Außenalster. Weiße Segel kamen ins Blickfeld und entfernten sich kurz darauf aus dem Ausschnitt, der sich von seiner Position aus bot. Nicht umsonst hieß die Adresse „Schöne Aussicht“. Es war sehr still hier. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf, ließ seine Blicke über den dichten, kurz gehaltenen Rasen schweifen, der aussah, als sei er geschoren worden. Als Regina neben ihm auftauchte und sich an ihn schmiegte, schaute er sie fragend an. Was konnte sie Wichtiges zu besprechen haben?

„Kaffee oder Champagner?“

„Hast du ein Wasser da?“

„Was ist denn mit dir los?“

„Ich habe einen kleinen Kater!“

„Wo warst du denn gestern Abend?“ Eifersucht schwang in ihrer Stimme mit.

„Das geht dich zwar nichts an. In meiner Freizeit kann ich machen was ich will“, antwortete er härter, als er beabsichtigte, um dann wieder freundlicher fortzufahren: „ich war nur mit den Jungs vom Yachtclub einen trinken.“

„Einen?“ Sie lachte und ging zurück ins Haus.

„Hast du auch ein Aspirin?“, rief er ihr nach.

„Kommt sofort!“

Er atmete auf. Sie hatte ihre gute Laune offenbar wieder gefunden. Er kannte und fürchtete ihre schwankenden Stimmungen inzwischen. Und er wusste auch, dass sie die Jungs vom Yachtclub nicht mochte. Denn es handelte sich hierbei nicht um einen der seriösen Hamburger Clubs, sondern um eine spezielle geschlossene Gesellschaft.

Wieder blickte er zur Fassade der Villa hinauf. So müsste man wohnen, dachte er. Auf der Sonnenseite. Nicht – wie er – in einem möblierten Appartement in einer unbedeutenden kleinen Seitenstrasse Hamburgs. Im Schatten. Sein ganzes Leben hatte er am Rande zugebracht. Irgendwann wollte er dazu gehören. Irgendwann würde er ein eigenes Studio eröffnen, ach was, eine Kette von Studios. Dann würde auch er in Prominentenkreisen verkehren. Dazu brauchte er Menschen wie die van Straatens. Dass er mit seiner Biografie kaum eine Chance hatte, in deren geschlossenen Zirkel einzutreten, kam ihm nicht in den Sinn.

Als Regina zurückkam, nahm er ihr das Getränk ab, küsste sie in die Halsbeuge.

„Was gibt es Wichtiges, meine Schöne?“, fragte er leise, als befürchtete er, es könne jemand mithören. Doch das war ausgeschlossen. Der nächste Nachbar war weit weg und hinter einer dichten Wand von Bäumen verborgen. Auf ihre einladende Handbewegung hin setzte er sich in einen der Korbsessel, aufrecht, sprungbereit, als wittere er eine Gefahr. Sie saß ihm in der gleichen Haltung gegenüber. Regina hatte das Gefühl, als sei sie vor Anspannung elektrisch aufgeladen. Sie räusperte ihre Stimme frei.

„Ronaldo, kann ich dir wirklich ganz und gar vertrauen?“

„Das fragst du? Ich würde mein Leben für dich geben.“

„Nun werd nicht theatralisch. Ich meine es ganz ernst. Ronaldo, könntest du dir vorstellen, für immer mit mir zu leben?“ Sie hielt die Luft an.

„Ach, Liebling, wie soll das gehen? Du weißt, dass du mir viel bedeutest. Aber du bist verheiratet.“

Und das ist gut so, setzte er in Gedanken hinzu.

Er hatte nicht gesagt, was sie hören wollte. Du bedeutest mir viel, war ihr zu wenig. Ich liebe dich hatte er nicht über die Lippen gebracht. Irgendwann würde er es sagen.

„Ronaldo, es ist mir bitter ernst. Ich liebe Achim nicht mehr und ich weiß, dass ich nicht länger mit ihm leben kann.“

„Du willst dich scheiden lassen?“ Er zeigte seine Überraschung offen.

„Nein. Eine Scheidung kommt niemals infrage. Ronaldo, ich brauche deine Hilfe.“

Und dann entwickelte sie ihren Plan. Sie wollte ihn als Komplizen gewinnen für einen ganz perfiden Mord an ihrem eigenen Ehemann. Ihre Skrupellosigkeit verblüffte ihn. Ihr Plan war einfach. Bei einem Trip an die spanische Küste sollte es geschehen. Die van Straatens besaßen dort ein Ferienhaus. Schwimmen im Mondschein. Vorher reichlich Alkohol. Ein Unfall mit Ronaldos Hilfe. Sie hatte sich alles sehr genau überlegt. Er musste zugeben, ihre Idee klang schlüssig. Wenn das klappte ... Unwillkürlich schweifte sein Blick wieder über das weitläufige Gelände und die Villa. Plötzlich glaubte er sich dem Ziel seiner Träume ganz nah. Und Gina war wirklich eine attraktive Frau. Nachdenklich sah er sie an und erkannte in ihrem Gesichtsausdruck, dass sie seine Zustimmung erwartete. Seine Stimme klang atemlos, als er endlich reagierte.

„Gina, Liebling, das muss ich jetzt erst mal verdauen und dann alles noch einmal in Ruhe durchgehen. Das kommt so plötzlich. Bis du sicher, dass du das so willst?“

„Ganz sicher, Ronaldo. Und morgen nach dem Yoga-Training reden wir noch einmal darüber, okay? Wir müssen ja nichts übers Knie brechen. Natürlich muss das alles gut durchdacht und geplant werden. Ich denke, bis zum Herbst sollten wir einen Weg finden. Irgendwann ist auch in Spanien die Saison vorüber und danach wäre es für dieses Jahr zu spät. Länger halte ich das auch nicht aus. Ach Ronaldo, Liebling, wenn alles vorbei ist, verkaufen wir hier alles und ziehen nach Argentinien. Endlich kannst du dann wieder in deine Heimat zurück. Wir fangen dort gemeinsam neu an.“ Ihre innere Anspannung hatte nachgelassen. In diesem Moment klingelte es. Reflexartig legte sie einen Finger an ihre Lippen. Kein Wort mehr! Sie sprang auf, lief zum Fenster neben dem Eingang und schaute nach, wer draußen war. So konnte sie die Fassungslosigkeit in Ronaldos Gesicht nicht sehen und ihm blieb genügend Zeit, sich wieder zu fangen, denn Regina ging zur Tür.

Sie setzte mechanisch ihr „Nette-Bekannte-Lächeln“ auf und öffnete dem Briefträger. Der schaute bewundernd auf ihren knappen Bikini, hakte seinen Blick an ihrem Oberteil fest und fing an zu stottern:

„Guten Morgen, Frau van Straaten. Eine Menge Post heute. Ging nicht in den Briefkasten.“

Sie nahm ihm einen Stapel Briefe und Kataloge ab.

„Sie Armer, bei der Hitze in Uniform und dann die Schlepperei. Dagegen habe ich es wirklich gut.“

Sie sah an sich herab und dann kokett zu ihrem Gegenüber.

„Schönen Tag noch!“ Eilig trat er den Rückweg an.

“Den wünsche ich Ihnen auch!“

Lachend kehrte sie in die Diele zurück, warf den Poststoß ohne ihn anzusehen auf ein Tischchen und ging weiter in das angrenzende Wohnzimmer. Ronaldo saß jetzt auf der weißen Ledercouch, die als riesige Wohnlandschaft den ansonsten puristisch eingerichteten Raum dominierte. Scheinbar gelassen blätterte er in einem Magazin. Die Sonnenbrille hatte er noch immer nicht abgesetzt. Sie registrierte es, unterdrückte jedoch eine Bemerkung, als sie sich neben ihn auf die Couch setzte. Er nahm sie in die Arme. Und küsste sie.

„Wollen wir nach oben gehen?“, lockte sie. Ronaldo wehrte ab, suchte eine Ausrede und fand eine.

„Dein Mann hat ein paar Aufträge für mich“, log er. „Ich muss gleich los. Kann ich noch mal dein Auto haben?“ Sie nickte stumm. Er sah ihre Enttäuschung und wollte nur noch eines – fort von Regina. Er verabschiedete sich so schnell, dass es fast wie eine Flucht wirkte. Und irgendwie war es auch eine.

4.

Zwischen Achim van Straaten und seiner Tochter bahnte sich ein heftiger Streit an, auch wenn sie scheinbar entspannt in dem schwarzen Ledersessel hinter ihrem ausladenden Schreibtisch saß und mit der Rückenlehne sanft vor und zurück schwang. Die Geste täuschte. Ihr Vater saß auf einem Stuhl ohne Armlehnen auf der anderen Seite. Er fixierte sie schweigend. Michaela trug eine weiße Leinenhose, dazu eine dunkelblaue Seidenbluse, unter der ein weißes Top schimmerte. Eine schlichte Perlenkette, ein passender Ring, dazu eine Armbanduhr mit blauem Lederband. Alles an ihr wirkte seriös. Sie war ganz Geschäftsfrau. Die dunkel gefasste Brille unterstrich diesen Eindruck. Nur ihr stufiger und gefranster Haarschnitt mit den aufhellenden blonden Strähnen milderte die Strenge ihrer Erscheinung. Ihre Aufmerksamkeit schien den Drehbewegungen des Kugelschreibers zwischen ihren Fingern zu gelten. Es war ihr Versuch, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Endlich schaute sie auf und sah ihren Vater streitbar an. In diesem Moment brach das Gewitter über den Stadtteil nieder. Der Himmel hatte sich in der letzten Stunde schlagartig verfinstert. Eine Windböe peitschte dicke Regentropfen an die Scheibe. Das passt zu meiner Stimmung, dachte Michaela in einem Anflug von Ironie. Ihr Gesichtsausdruck blieb unbewegt. Sie versuchte, ihre Stimme zu dämpfen. Es gelang ihr nicht.

„Vater! Ich verstehe das nicht! Die Schweizer waren so gut wie im Boot. Unsere Firma wäre mit einem Schlag saniert gewesen. Was ist da passiert? Wie hast du in der Schweiz verhandelt?“

Achim saß auf der falschen Seite des Schreibtisches. Als er sich dessen bewusst wurde, ärgerte er sich maßlos. Wie konnte sie es wagen, ihn derart abzukanzeln! Er holte hörbar Luft.

„So nicht, mein Kind!“ Zorn verdunkelte seine Augen. Blitz und der fast unmittelbar folgende Donner setzten Ausrufungszeichen.

„Nenne mich nicht dein Kind!“ Ihre Stimme klang schrill.

„Oh Entschuldigung, Frau Chefin!“ Blitzschnell hatte sich sein Tonfall verändert.

„Du brauchst gar nicht sarkastisch zu werden. Die Situation ist viel zu ernst. Vater! Wir brauchen die Schweizer! Wäre ich nur selbst hingefahren.“

Die letzte Bemerkung brachte das Fass zum Überlaufen.

„Glaubst du ernsthaft, du hättest besser verhandelt? Glaubst du wirklich, die Schweizer wären deinem weiblichen Charme erlegen? Jetzt hör mir mal gut zu mein Kind, die Schweizer wollten nicht zu unseren Bedingungen abschließen. So einfach ist das! Und daran können weder du noch ich etwas ändern.“ Blitz und Donner füllten seine kurze Pause. Dann sagte er freundlicher, als ihm zumute war: „Wir haben ja noch das Angebot von den Engländern. Darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren.“

„Die Schweizer sind aber viel interessanter, Vater. Mit denen hätte ich lieber abgeschlossen.“

„Dann hättest du wirklich selbst verhandeln müssen.“

Sie stritten um Dinge, die nicht zu ändern waren und die auch nicht der Grund ihrer Differenzen waren. Es ging um Machtpositionen. Achim van Straaten hatte nicht das Sagen in der Firma, sondern seine Tochter Michaela. Das konnte und wollte er nicht einsehen. Mit verletzenden Bemerkungen von beiden Seiten setzten sie ihren verbalen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis Achim van Sraaten türenknallend ihr Büro verließ. Das Gewitter draußen hatte sich abgeschwächt.

In der leeren Empfangshalle blieb er kurz stehen. Noch immer empört, schnappte er nach Luft und streckte sich. Mit geradem Rücken und hochgerecktem Kinn betrat er das Vorzimmer seiner Sekretärin.

„Keine Telefonate, keine Störungen die nächste halbe Stunde“, blaffte er in ihre Richtung. Sie nickte nur, was er nicht sehen konnte, denn er war unmittelbar danach in seinem eigenen Büro verschwunden. Minutenlang verharrte er bewegungslos an seinem Schreibtisch und starrte auf die Arbeitsplatte, als käme von dort eine rettende Idee. Dann stand er auf, ging zum Fenster und schaute blicklos auf die Strasse, die in schwarzer Nässe glänzte. Der Platzregen hatte aufgehört. Riesenpfützen brauchten Zeit zum Ablaufen. Rücksichtslose Autofahrer jagten, ohne ihre Geschwindigkeit zu reduzieren, mit wasserspritzenden Reifen vorbei. Der Bürgersteig war menschenleer. Achim nahm das alles nicht wahr. Seine Gedanken kreisten ständig um einen Punkt. Irgend etwas musste passieren. Ja, es würde etwas passieren. Bald, sehr bald. Schwer atmend ging er zurück zu seinem Schreibtisch. Sein Puls raste, sein Herzmuskel zog sich schmerzhaft zusammen. Er wählte eine Handy-Nummer. Ronaldo würde ihm helfen. Ronaldo konnte er vertrauen.

„Van Straaten hier. Ronaldo ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Eine wichtige Angelegenheit. Können Sie in mein Büro kommen? ... In einer Stunde. Ja, das passt gut. Da ist hier allgemeine Mittagspause. Dann sind die meisten außer Haus und wir sind ungestört. Wir müssen reden, Ronaldo ... Nicht jetzt. Nachher. In einer Stunde. Bringen Sie uns bitte etwas zu essen mit. ... gut, in einer Stunde.“

Der erste Schritt war getan. Achim van Straaten hatte eine Entscheidung getroffen. Sein Herzschlag normalisierte sich langsam. Der Druck in der Magengegend ließ nach. Draußen kam die Sonne wieder zum Vorschein und brachte den Asphalt zum Dampfen.

Ronaldo Ortega schaute verwundert auf sein Mobiltelefon. Was war das denn eben? Sein Chef hatte so merkwürdig geklungen. Was sollte das für eine geheimnisvolle Besprechung geben und warum in seinem Büro? Bisher hatten sie alles im Auto oder bei den van Straatens daheim besprochen. Seine Unterhaltung mit Regina van Straaten fiel ihm ein. Was für ein Tag!

5.

Nachdem Mona zum dritten Mal vergeblich in Achims Büro angerufen hatte, wurde es ihr zu dumm. Sie war sicher, dass seine Sekretärin ihn verleugnete. Leider hatte er auch sein privates Handy abgeschaltet. Wo steckte er nur? Sie beschloss, ihn einfach in seinem Büro aufzusuchen. Da Mittagszeit war, hoffte sie, seinen Bürodrachen nicht im Vorzimmer anzutreffen, so dass sie Achim überraschen könnte. Sorgfältig zog sie sich an. Das pinkfarbene Shirt mit dem tiefen Ausschnitt, die engen gleichfarbigen Jeans, na, wenn er da nicht seine Arbeit vergaß…