Wenn die Idylle trügt - Monika Heil - E-Book

Wenn die Idylle trügt E-Book

Monika Heil

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Stalking, Betrug, eine ominöse Foto-Datei und sogar ein Tötungsdelikt sorgen dafür, dass es nur scheinbar idyllisch zugeht im Leben einiger Menschen in Stade. Zunehmend schwierig gestalten sich der Alltag und die Ehe von Felia und Sven Lewandowsky. Da sind der Maler Bruno Meiser und seiner Muse Manuela und nicht zuletzt Thomas, der nun das Haus von Eleonore Marten bewohnt, die derzeit auf Milos lebt. Alle Schicksale ist miteinander verbunden. Der Roman ist eine Fortsetzung von Eleonore ordnet ihr Leben, deren Missetaten bisher noch nicht aufgeklärt waren und nun teilweise in neuem Licht erscheinen.

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Seitenzahl: 318

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Monika Heil

Wenn die Idylle trügt

Krimi

Imprint

Wenn die Idylle trügt

Monika Heil

Copyright: © 2019 Monika Heil - [email protected]

Umschlag & Satz: sabine abels | www.e-book-erstellung.de

Druck: epubli

www.epubli.de

Ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei korrekter vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Autors.

Dieser Roman ist – wie immer –meinem lieben Mann Edgar gewidmet und diesmal auch meiner Freundin Brigitte Kühn.

Sie wissen beide, warum.

Das Buch

Stalking, Betrug, eine ominöse Foto-Datei und sogar ein Tötungsdelikt sorgen dafür, dass es nur scheinbar idyllisch zugeht im Leben einiger Menschen in Stade. Zunehmend schwierig gestaltet sich der Alltag und die Ehe von Felia und Sven Lewandowsky. Da ist der Maler Bruno Meiser und seiner Muse Manuela und – nicht zuletzt – Thomas, der nun das Haus von Eleonore Marten bewohnt, die z.Zt. auf Milos lebt. Alle Schicksale ist miteinander verbunden.

Der Roman ist eine Fortsetzung von ´Eleonore ordnet ihr Leben`, deren Missetaten bisher noch nicht aufgeklärt waren und nun teilweise in neuem Licht erscheinen.

Die Autorin

Monika Heil, Jahrgang 1945 wohnt seit Beginn ihres Ruhestandes mit ihrem Ehemann in Stade. Bis dahin hatte sie ihren Lebensmittelpunkt in der Nähe von Frankfurt, wo sie in der Rechtsabteilung einer Versicherung arbeitete. Zeitgleich engagierte sie sich ehrenamtlich im sozialen, kommunalpolitischen und kulturellen Bereich. Nun widmet sie ihre Zeit dem Schreiben. Dies ist ihr vierter Roman und die Fortsetzung von Eleonore ordnet ihr Leben, der im MCE-Verlag erschienen war.

1. Kapitel

1.

»Wenn ihr wollt, könnt ihr das Haus haben.«

»Papa, was soll das? Wir sind zufrieden mit unserem Haus am Horstsee. Und für uns drei zusammen ist deines sowieso zu klein.«

»Und für mich allein ist es schwer zu ertragen. Ich ziehe aus.« In seinem Blick lag Überforderung und Hilflosigkeit.

»Papa! Wo willst du denn hin?« Der Vorwurf in Felias Stimme ließ den Ton um einiges ansteigen.

»Ich ziehe zu Teresa!«

»Papa!!!« Jetzt wurde ihre Stimme schrill. »Mama ist seit sechs Monaten unter der Erde. Und wer ist Teresa?«

»Du hast sie damals in Bad Bederkesa gesehen.«

Also doch.

Blitzartig stieg die Erinnerung an eine Szene in ihr auf, die nie ganz geklärt worden war. Damals waren Sven und sie noch nicht verheiratet gewesen. Sven. Er hatte ihren Verdacht immer wieder entkräftet, bis sie nicht mehr über das Thema sprachen. Wut schnürte ihr die Kehle zu.

»Du musst das verstehen, Kind. Hier habe ich zu viele …«

»Nichts verstehe ich«, schrie sie und rannte aus dem Zimmer. Luft! Sie brauchte frische Luft. Die Tür knallte hinter ihr zu, als sie das Haus ihres Vaters grußlos verließ. Sie murmelte noch einen Satz, der in abgehackte, unzusammenhängende Worte zerfiel und den ihr Vater nicht mehr hörte. Plötzlich fiel ihr ein kürzlich gelesener Text ein. ´Spuren von Arsen in zu vernachlässigender Menge. Herkunft unbekannt. Wahrscheinlich von einer unbekannten Lebensmittel- oder Metallbelastung`. Der Obduktionsbericht. Sie erinnerte sich schwach an ihren Chemieunterricht im Athenaeum, wusste, dass Arsen ein Element war. Mehr nicht. Der Gedanke verflog sofort, als sie ihren Vater aus dem Haus kommen sah. Sie wollte nicht mit ihm reden. Schnell startete sie den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Was die Nachbarn dachten, war ihr egal. Und schon gab es den nächsten Aufreger. Mist! Auf der Glückstädter Straße war doch noch nie geblitzt worden! Mist, Mist, Mist. Vor den Berufsschulen bestand eine kurze Dreißiger Zone, die sie nicht beachtet hatte.

Kurz darauf hatte Felia die Elbe bei Twielenfleth erreicht und erklomm den schmalen Deich, setzte sich auf die weiße Hochzeitsbank und atmete tief durch. Ein, aus, ein. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie wischte sie nicht weg. Blicklos starrte sie auf die Elbe. Alles sollte sein wie immer, wünschte sie sich und nichts war mehr wie immer.

Liane Hansen war seit einem halben Jahr tot. Spaziergänger hatten sie in den Schwingewiesen gefunden, wo sie jeden Morgen sehr früh eine Joggingrunde drehte. Äußere Spuren von Gewalt waren nicht zu erkennen. Herzschlag? Vergiftung? Wegen der ungeklärten Todesursache an ungewöhnlichem Ort wurde eine Obduktion vorgenommen. Spuren von Arsen! Papa? Niemals. Diese Teresa? Hätte sie Mama Gift verabreichen können? Wann denn? Wo? Sie hörte Svens Stimme. »Felia, du verrennst dich da in was. Denk an deine Phantasien, deine Nachbarin betreffend.«

Nein, diesmal würde sie sich nicht von Sven beruhigen lassen. Wegen Frau Marten mag er Recht gehabt haben. Mamas Tod war etwas anderes. Der ging sie persönlich an. Ihre Jackentasche spielte ´True love`. Eine Nachricht von Sven. Seine SMS informierte sie, dass er zum Abendessen nicht zu Hause sein werde. Wie oft hatte das Papa auch zu Mama gesagt? Termine, Termine. Zum Kotzen das alles. Wieder kamen die Tränen. Niemand sah es, denn weder Spaziergänger, noch Radfahrer kamen an ihrer Bank vorbei. Selbst Frachter brachten keine Bewegung ins Bild, denn es herrschte Niedrigwasser.

Eine halbe Stunde später fuhr sie nach Stade zurück.

2.

Felix Hansen sah seine Tochter davonbrausen.

»Wir sprechen uns später«, rief er dem Auto hinterher und war selbst nicht sicher, ob es sich um ein Versprechen oder eine Drohung handelte. Letztendlich war das egal. Felia hörte es nicht. Mit hängenden Schultern ging er zurück ins Haus. Die Tür klinkte langsam ins Schloss. Felix lehnte sich müde dagegen. Hätte er das jetzt nicht sagen sollen? Seine Tochter hatte Recht. Es war zu früh, Entscheidungen zu fällen, die seine Zukunft betrafen. Schwerfällig wie ein alter Mann ging er weiter in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Müde setzte er sich an den Tisch und trank in kleinen Schlucken. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Ständig und ständig.

Er hatte Liane geliebt. Sehr geliebt. Deshalb hatte er sich auch von Teresa Bergmann getrennt, als seine Frau von ihrem Verhältnis erfuhr. Sofort. Sie hatten sich versöhnt und ihre gute Ehe fortgeführt. Gute Ehe? Ja, doch. Es war eine gute Ehe gewesen, auch wenn er hin und wieder nach anderen Frauen geschaut hatte. Teresa Bergmann und er hatten sich voneinander fern gehalten. Bis zur Steuerberater-Tagung in Hannover. Es war Teresa gewesen, die an alte Zeiten angeknüpft hatte. Und er hatte sich nicht gewehrt, nur darauf geachtet, dass niemand von ihrer erneuten Beziehung erfuhr. Er dachte an die peinliche Begegnung in Bad Bederkesa, die nun allerdings schon lange zurücklag. Sein Schwiegersohn hatte ihm damals sehr geholfen, die Bedenken seiner Tochter zu zerstreuen. Männer hielten eben zusammen.

Felix Hansen verließ seinen Platz am Fenster, von wo er in Gedanken versunken nach draußen geschaut hatte, ging zum Telefon und wählte die Nummer seines Schwiegersohnes.

»Lewandowski.«

»Felix hier. Können wir reden?«

»Was ist passiert?«

»Nix ist passiert, außer, dass deine Frau und ich uns mal wieder gestritten haben. Kannst du kommen?«

»Warte mal, ich muss schnell meine Termine abchecken.« Kurze Pause. Felix trommelte nervös auf der Tischplatte, bis ihn das Geräusch nervte. »Ab sieben geht es. Soll ich zu dir kommen?«

»Wäre mir am liebsten.«

»Pizza?«

»Perfekt. Rotwein ist im Haus.«

»Gut bis später.«

Er trennte die Verbindung und schaute sich um. Wann hatten sie die Küche das letzte mal gestrichen? Wie alt war die Einrichtung? Kurz überlegte er, sie zu erneuern. Doch was würde das bringen? Felix schüttelte den Kopf. Unsinnige Gedanken. Eine Renovierung würde den Charakter des Raumes verändern und dabei hing er doch an den Erinnerungen, die mit der Küche verknüpft waren. Schließlich hatten Liane und er den größten Teil ihrer gemeinsamen Zeit hier verlebt, als sie noch eine komplette Familie waren, als Felia und Liane noch mit ihm lebten und sie eine Einheit bildeten.

Felix wechselte ins Wohnzimmer, ging zur Musikanlage und wählte eine klassische Komposition. Dann griff er nach einer Fachzeitschrift und versuchte, sich in einen Artikel über die Weltwirtschaft zu vertiefen.

Alles wird gut. Zumindest in meiner kleinen Welt. Alles wird gut, schloss er seine privaten Gedanken beschwörend weg. Vorübergehend gelang es ihm.

Sven Lewandowski legte auf und lehnte sich von seinem Schreibtisch zurück. Müde rieb er die Augen. War das jetzt richtig? Sein Schwiegervater und seine Frau hatten sich gestritten. Wahrscheinlich hatten beide Redebedarf. Und was machte er da gerade? Bot sich seinem Schwiegervater als seelischen Mülleimer an. Und Felia? Er fischte das Handy aus seiner Lederjacke, tippte ihre Nummer ein bevor sie Gelegenheit hatte, ebenfalls anzurufen. Er schrieb ihr eine SMS, dass er zum Abendessen nicht daheim sei. Den Grund erwähnte er nicht. »Feigling«, schimpfte er leise. Wir können ja später am Abend immer noch reden beruhigte er sein schlechtes Gewissen. Dann weiß ich auch mehr über Felix´ Befindlichkeiten. Er vertiefte sich wieder in den Vorgang ´Wirtschaftsskandal in Buxtehude` und konzentrierte sich auf seine Arbeit. Kurz nach halb sechs fuhr er den Computer herunter. Schluss für heute. Der Feierabendverkehr von Hamburg nach Stade zog sich inzwischen zeitlich immer mehr in die Länge. Wenn er pünktlich bei Felix sein wollte, musste er jetzt unbedingt los.

3.

Er konnte sich nicht konzentrieren. Schwerfällig stand Felix Hansen auf und wechselte zu seinem Schreibtisch. Den Ordner hatte er im untersten Fach versteckt. Nun kramte er ihn hervor, blätterte, bis er den Obduktionsbericht fand. Spuren von Arsen. Niemand verdächtigte ihn. Außer vielleicht seine Tochter. Aber das war lachhaft. Nein, es war zum heulen. Wie war Arsen in Lianes Körper gekommen? Er blätterte durch die Abhandlungen, die er im Internet heruntergeladen hatte. Nichts passte. Außer vielleicht der Hinweis auf die Tatsache, dass viele Meeresfische arsenbelastet seien. Liane liebte Fisch und aß ihn mindestens zwei- bis dreimal die Woche. Felix schüttelte vehement den Kopf. Das kann nicht sein. Fisch, der in den Handel kommt, wird vorher lebensmitteltechnisch genau untersucht. Das ist Quatsch. Und wenn, erkrankt der Mensch langsam und über lange Zeiträume. Liane war beim Joggen umgefallen. Herzversagen. Dr. Fischer hatte die Diagnose gestellt und die war richtig. Sven hatte einen Freund bei der Staatsanwaltschaft. Olaf Franke. Den hatte sein Schwiegersohn unauffällig befragt. Es wurden keinerlei Ermittlungen gegen Felix in Erwägung gezogen. Er sollte endlich mit diesen Gedankenspielen aufhören.

Es klingelte. Erstaunt blickte Felix auf seine Armbanduhr. Schnell räumte er den Aktenordner weg und ging zur Tür.

»Sven, pünktlich auf die Minute. Schön. Komm rein.«

»Hallo Felix. Nimmst du mir die Pizzakartons ab? – Danke.«

Die beiden Männer gingen direkt in die Küche und luden ab, was Sven mitgebracht hatte. Pizza, Rotwein, fertig gemischte Salate.

»Ich habe doch gesagt, Rotwein ist da.«

»War im Preis inbegriffen.«

»Dann kann er nichts taugen.«

»Sag das nicht. Ist ein ordentlicher Landwein. Zur Pizza reicht er.«

»Wenn du meinst. Wollen wir hier essen? Oder gehen wir ins Esszimmer?«

»Komm, hier ist es doch gemütlich.«

Felix deckte den Tisch, Sven entkorkte den Wein. Er holte zwei große Pizzateller aus dem Schrank und verteilte den Inhalt der Packungen.

»Einmal mediterran für dich und einmal Sicilia für mich. Voila.«

»Sind da auch keine Pilze drin?« Argwöhnisch stocherte Felix in dem Belag.

»Ganz sicher nicht. Pizza Vegetarier hat Pilze, diese hier nur Oliven, Zucchini, Paprika, Schafskäse und italienische Gewürze. Hundert pro. Glaub mir. Und wenn du doch einen entdeckst, pulst du ihn raus.«

»Ich will aber nicht pulen, ich will essen und dabei genießen und nicht Angst haben, dass doch ein Pilz dazwischen ist.«

»Das nächste mal bringe ich für dich Pizza Hawaii mit. Auf der ist nur Schinken und Ananas.« Sven ärgerte sich über das Gemeckere seines Schwiegervaters. Man hörte es seiner Stimme an. »Lass es dir schmecken.«

»Danke, du dir auch.«

Aus dem Wohnzimmer klangen die letzten Akkorde von Grieg. Liane hätte es nicht gepasst, dass wir hier in der Küche sitzen, ging Felix durch den Kopf. Aber seine Frau war tot.

4.

Der nächste Tag versprach grau und düster zu werden und er hielt später sein Versprechen. Dass es ein Tag der kleinen Katastrophen werden sollte, konnte Sven Lewandowski so früh am Morgen nicht ahnen. Als er schlaftrunken die Augen öffnete, registrierte er die Uhrzeit und sofort anschließend die Tatsache, dass er vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Was für ein Tag war heute? Es fiel ihm nicht ein.

Er stand auf und versuchte, trotz herabgelassener Jalousien, durch das große Panoramafenster nach draußen zu schauen. Dicke Wolkenfetzen jagten einander. Nieselregen lag wie ein schmutziger Vorhang vor den Scheiben und erschwerte zusätzlich den Blick auf die Straße. Das Schwarz seines Cabrios sickerte dennoch durch. Schlimmer noch. Das Rot der Sitze signalisierte ihm, dass er vergessen hatte, das Dach zu schließen. Mist! Warum war er auch wieder einmal zu faul gewesen, den Wagen unter das Carport zu fahren? Jetzt fiel es ihm ein. Dort stand das Auto seiner Frau.

Sein Hirn verweigerte die Antwort auf seine Fragen nach der letzten Nacht. Wie viele Flaschen Wein hatten Felix und er geköpft? Wann war er nach Hause gekommen? Das ´wie` hatte sein Cabrio beantwortet. Mist. Er hätte auf keinen Fall mehr fahren dürfen. Die Zerknirschung hielt nur kurz an. Der dumpfe Kopfschmerz würde durch eine kalte Dusche und einen starken Kaffee vergehen und erst dann die Erinnerung an das Gespräch mit seinem Schwiegervater freigeben. Das wusste er aus Erfahrung. Wenigstens bekam Felia seinen Zustand nicht mit. Sie hatte letzte Nacht bereits geschlafen, als er – nicht mehr nüchtern – nach Hause gekommen war. Hatte sie das wirklich?

»Geh weg, du stinkst«, fiel ihm ein, als er darüber nachdachte, wie sie auf seinen Versuch, sie wachzuküssen, reagiert hatte. Er war daraufhin ins Bad gegangen. Als er zurückkam, schlief sie wieder. Oder? Heute morgen war das Bett neben ihm leer als er aufwachte. Mühsam setzte er die gedanklichen Brocken zusammen. Felia wollte irgendwo hinfahren. Wohin? Warum? Mit wem? Sven fiel es partout nicht ein.

Als er eine halbe Stunde später sein privates Büro betrat, wusste er beim Anblick des Tageblattes auf seinem Schreibtisch, dass Felia heute morgen noch Zeit gehabt hatte, es zu lesen. Sonst läge das Exemplar noch im Briefkasten. Er musste grinsen. Das Hirn funktionierte wieder. Er nahm den gelb leuchtenden Merkzettel in die Hand.

8.14 Uhr Metronom Buxtehude/HH

9.00 Uhr Fa Schindeler, Buxtehude

11.oo Metronom nach Hamburg

12.30 Uhr Besprechung Fa. Hennemann

??? Uhr wieder zu Hause.

20.00 Uhr Abendessen mit Adrian und Caroline,

Blumen besorgen.

Für wen ist dieses Memo? Für mich? Wer oder was ist Firma Schindeler? Er starrte auf die schnörkellose Handschrift seiner Frau. Wer besorgt Blumen? Doch wohl Felia. Also ein Memo an sich selbst. Oder?

Seine Laune besserte sich nach Kaffee und Aspirinfrühstück deutlich. Hatte Felia ein Taxi zum Bahnhof genommen oder ihren Wagen? Als er kurze Zeit später den Golf seiner Frau unter dem Carport entdeckte, fiel ihm ein, dass er noch immer nicht das Dach seines Cabrios geschlossen hatte und die Polster mit Sicherheit pitschnass waren. Also nahm er ihren Wagen. Der Berufsverkehr nervte – wie jeden Tag. Morgens fuhr er mit dem Strom aus der Stadt hinaus, abends kamen sie, wie die Lemminge, im großen Pulk und alle gleichzeitig nach Stade und Umgebung zurück.

Dreimal in der Woche saß er in seinem Büro in Hamburg. Der Beratervertrag des Medienkonzerns brachte ihm feste und höhere Einkünfte ein als die Honorare, die seine Detektei abwarf. Obwohl, in den letzten Jahren konnte er auch da nicht über mangelnde Aufträge klagen. Zum Glück hatte sich auch seine Frau mehr und mehr eingearbeitet. Er, der Sachliche, Rationale, sie die Emotionale, manchmal ein bisschen Sprunghafte. Eine gute Kombination. Als Team perfekt. Zumindest, was das Dienstliche anbelangte. Ihr Privatleben allerdings …

Heute lagen seine Termine denkbar blöd. Es war nicht anders gegangen. Morgens Hamburg. Eine wichtige Besprechung in der Hafencity und gegen Mittag zurück nach Stade. Erste Station Parkstraße. Der Einfachheit halber stellte er sein Auto in der Großgarage eines nahe gelegenen Einkaufsmarktes ab. Die beiden weiteren Besprechungen in der Hökerstraße und am Fischmarkt konnte er von dort aus leicht zu Fuß erreichen. Es erwartete ihn eine Unannehmlichkeit nach der anderen. Es war schon nach eins, als Sven Lewandowski beschloss, einen kleinen Imbiss in einem der vielen Lokale am Fischmarkt einzunehmen.

Vorher schaute er bei Benjamin Holledau vorbei. Dem Inhaber einer kleinen Galerie waren ein paar Bilder gestohlen worden. Arbeiten eines russischen Künstlers, der seit ein paar Monaten bei ihm ausstellte. Sven hatte den Auftrag – unabhängig von der Kripo – nach deren Verbleib zu forschen. Eine mehr als ärgerliche Geschichte für den jungen Galeristen. Holledaus Kontrahent – oder besser gesagt: Mitbewerber – ein paar Häuser weiter in Wasser West hätte das nicht passieren können. Dessen Exponate waren mit Alarmanlagen gesichert. Der stellte in seinen oft spektakulären Ausstellungen allerdings auch Werke berühmter Künstler aus, deren Wert viel höher lag, als jene, die in seiner weitaus kleineren Galerie gezeigt wurden.

»Hallo, Herr Holledau. Wie laufen die Geschäfte?«

»Grüß Gott, Herr Lewandowski. Bescheiden, bescheiden. Was führt Sie zu mir? Gute Nachrichten?«

Obwohl Holledau schon seit mehr als zehn Jahren im Norden wohnte, konnte er seine bayerischen Ursprünge nicht verleugnen.

»Leider nein. Ich hatte zufällig in der Nähe zu tun. Da wollte ich kurz guten Tag sagen und hören, ob die Kripo schon weitergekommen ist.«

Der Galerist seufzte und schüttelte mit missmutiger Miene den Kopf.

»Nix Neues, nicht.«

»Schade. Tut mir leid. Aber ich bleibe am Ball. Meine Frau verfolgt gerade eine interessante Spur im Internet. Bisher jedoch ohne Erfolg.«

»Was für eine Spur ist das?«

»Tut mir leid. Das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Meine Frau weiß da besser Bescheid. Außerdem muss ich weiter, will einen Happen essen, bevor der nächste Termin ansteht.«

»Oh, da komme ich mit. Mein Magen knurrt auch schon. Ist´s recht? Und dann erzählen Sie mir von der interessanten Spur.«

Mist. Er hatte das eben nur so dahin gesagt. Irgend etwas musste ihm schnell einfallen.

»Aber klar. Wohin gehen wir?«

Auswahl gab es rund um den Fischmarkt genug. Sie setzten sich an einen der beiden schmalen Tische, die das Oln Hooven direkt neben dem Baumhausmuseum in Wasser Ost herausgestellt hatte. Schnell einigten sie sich auf Folienkartoffel mit Schmand und Krabben. Sven gönnte sich nur ein Mineralwasser. Schließlich konnte er nicht mit Fahne zum nächsten Kunden kommen. Natürlich kam Benjamin Holledau auf die angebliche Spur zurück. Sven hielt sich derart nebulös, dass es schon fast peinlich wurde. Irgendwie schaffte er einen Themenwechsel. Nach der kleinen Verschnaufpause nervte der restliche Tag weiter. Irgendwann war er abgespult.

Schon sieben Uhr vorbei. Mist. Sven war spät dran. Flüchtig fiel ihm das Wort ´Blumen` ein. Wahrscheinlich hat Felia die selbst besorgt, schloss er das Thema gedanklich wieder ab. In der Tiefgarage brachte der Anblick von Felias Auto eine weitere Überraschung. Eine ganz neue Beule sprang ihn förmlich an. Die Stimme seiner Frau schrillte in seinen Ohren. Die Kopfschmerzen begannen erneut. Sven Lewandowski sehnte sich nur noch nach Ruhe und einem kühlen Bier.

Es regnete schon wieder. Er parkte Felias Wagen vor der Tür, als er entdeckte, dass sein eigenes Auto jetzt unter dem Carport stand. Wer hatte es umgeparkt? Offensichtlich war Felia zurück. Er suchte vergeblich nach einem Schirm auf dem Rücksitz. Wütend knallte er die Wagentür zu, sprang, die Pfützen umgehend, mit ausholenden Schritten auf die Tür seines Hauses zu. Felia öffnete, ohne dass er geklingelt hätte. Automatisch setzte Sven sein Ehelächeln auf.

»Hallo Schatz», begrüßte sie ihn. Flüchtig umarmte er seine Frau und gab ihr einen leblosen Kuss.

»Hallo Felia. Das war wieder ein Tag. Ich bin fix und fertig.«

»Danke, mir geht es auch gut. Ich hatte keinen anstrengenden Tag.« Ihr Blick zerhäckselte seine Begrüßungsworte. Er registrierte ihren Sarkasmus.

»Entschuldige. War nicht so gemeint. Natürlich bist du nach dem langen Tag auch geschafft. Weshalb warst du eigentlich in Buxtehude?«

Gemeinsam betraten sie das Haus.

»Nicht so wichtig. Reden wir morgen drüber. Was war denn bei dir schon wieder los?«

»Jetzt nicht. Ich erzähle es dir später. Ich muss erst mal ´ne halbe Stunde abschalten.«

»Was ist los?«

Drei Worte. Ein Fragezeichen. Keine Antwort.

Er bemerkte das Heben ihrer Augenbraue und die erneute Veränderung ihres Gesichtsausdrucks. Es war ihm egal. Er brauchte jetzt Ruhe.

Sven schlenzte in die Küche, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und ließ Felia, die ihm schweigend gefolgt war, ohne ein weiteres Wort stehen.

»Wenn du jetzt schon trinkst, fahre ich heute Abend.«

Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt. Sie versuchte, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Sven blieb auf dem Treppenabsatz stehen und drehte sich um.

»Wohin fährst du?«

»Schatz, wir sind heute Abend mit Adrian und Caroline im Knechthausen verabredet. Ihr zehnter Hochzeitstag. Hast du das vergessen?«

Ihre Haltung, ihr Blick – ein einziger Vorwurf, trotz der Anrede »Schatz«.

Verdammt! Das hatte er wirklich vergessen. Seine Zerknirschung war echt. Deshalb auch Blumen.

»Entschuldige, Schatz. Das wusste ich wirklich nicht mehr. Das eine Bier! Da fahre ich nachher schon noch. Ich will mich schnell duschen und umziehen.«

Er betrat das Bad. Doppelverglaste Stille umfing ihn. Vor dem Fenster breitete sich Dunkelheit aus. Die Bierflasche noch immer in der Hand, ging er langsam auf den Spiegel zu. Aufmerksam betrachtete er die steile Falte, die sich zwischen seine Augenbrauen geschoben hatte.

»Na, alter Junge, das kann wieder ein schöner Abend werden. Caroline und Felia klatschen über ihren weiblichen Bekanntenkreis. Adrian ergeht sich in Lebensweisheiten aus seiner Praxis. Na, wenigstens ist das Essen im Knechthausen vorzüglich und ich muss es nicht bezahlen. Prost, mein Lieber!«

Sven trank seinem Spiegelbild zu. Er setzte die Flasche auf dem breiten Wannenrand ab. Wenn Felia das sieht!, dachte er flüchtig und konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen. Erst die Wechseldusche, dann das kalte Bier. Die Kombination täuschte den Eindruck von Entspannung vor. Gern hätte er noch eins getrunken. Aus Rücksicht auf seine Frau unterließ er es.

5.

Als sie das Lokal betraten, saßen Adrian und Caroline Burwieck bereits am reservierten Tisch. Adrian erhob sich sofort. Mit strahlendem Lächeln ging er auf die Freunde zu.

»Ihr seid spät. Aber nicht zu spät.«

Herzlich umarmte er Felia und erwiderte Svens festen Händedruck. Caroline war sitzen geblieben. Sven beugte sich über sie. Flüchtig küsste er ihre Wange.

»Ich befürchtete schon … Himmel, Felia, bist du chic. Du stichst mich aus. Und das an meinem Hochzeitstag!«

»Nicht so laut, Caroline«, dämpfte Adrian ihren Ausbruch. »Außerdem ist es unser Hochzeitstag, nicht nur deiner. In der Tat Felia, das Kleid ist eine Wucht.«

»Gefällt es dir wirklich? Mein lieber Mann hat es gar nicht wahrgenommen.«

Betroffen starrte Sven seine Frau an. Tatsächlich. Er hatte ihr vorhin in den Mantel geholfen und nicht darauf geachtet, was sie anhatte. Nun nahm er das schmale schwarze Kleid, das bunte Seidentuch über ihrer linken Schulter bewusst wahr. Den Ausschnitt fand er gewagt. Betont langsam wandte er den Blick zu Caroline, die die Szene offensichtlich genoss.

»Na, dein Kleid finde ich mindestens ebenso schick. Bei der Figur.«

Lachend winkte die Freundin ab.

»Die kostet mich eine Menge Geld, diese Figur. Letzte Woche erst bin ich aus Lisas Wellness-Tempel zurückgekommen …« Caroline war in ihrem Element. Felia heuchelte Interesse, während ihre Gedanken spazieren gingen. Sven ignorierte sie.

Die beiden Männer sahen sich mit spöttischem Grinsen an. Dann vertieften sie sich in die Speisekarten. Beide entschieden sich für Fisch und einen leichten Grauen Burgunder. Gesprächsfetzen flogen an ihm vorbei, während Sven an seinem Aperitif nippte. Carolines helles und Felias dunkles Lachen vermischten sich. Er schwieg beharrlich.

»Was ist mit dir, Sven, du wirkst so abwesend?«

»Nichts ist mit mir, Adrian. Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken bei einer Sache im Büro. Ich bin schon wieder voll hier. Wie geht es mit deiner Praxis?«, lenkte er von sich ab.

»Stress. Stress wie immer. Aber der Rubel rollt. Seit dem Ersten habe ich eine neue Sekretärin. Sieht gut aus, die Kleine. Und tüchtig scheint sie auch zu sein.«

»Hoffentlich nur am PC«, warf Caroline ein.

»Schätzchen, du weißt doch, dass mein Personal für mich tabu ist.«

Adrian küsste seine Frau auf die Wange. Sie lächelten sich an. Sven registrierte aus den Augenwinkeln, dass ihm Felia einen schnellen Blick zuwarf. Er wollte sie jetzt nicht anschauen. Während des Essens flirteten Adrian und Caroline wie jung Verliebte. Sven konzentrierte sich auf seinen Zander, als könne der ihm plötzlich davonschwimmen. Den Wein trank er viel zu hastig. An der Unterhaltung der drei beteiligte er sich kaum. Felia wurde Svens Schweigen peinlich. Immer wieder versuchte sie, ihn mit kurzen Bemerkungen in die Gespräche einzubeziehen. Es gelang ihr nicht. Fast atmete sie auf, als sie bei Espresso angelangt waren und Caroline vorschlug:

»Ich würde jetzt gern noch irgendwo anders hingehen. Kennt ihr schon die Bar, die vor vier Wochen in der Altstadt neu eröffnet hat? Schummriges Licht, leise Musik, einen exotischen Drink.«

Adrian, der seiner Frau keinen Wunsch abschlagen mochte, stimmte der Idee sofort zu. Sven winkte ab.

»Ohne uns. Mir reicht es für heute. Feiert ihr zwei Turteltauben nur allein weiter.«

Trotz stieg in Felia hoch. Plötzlich wollte sie sich amüsieren.

»Warum nicht. Kurz können wir noch mitkommen. Ich war noch nicht da«, ging sie einfach über die Absage ihres Mannes hinweg.

Sven versuchte gar nicht, seine Irritation zu verbergen.

»Wir haben heute keinen Hochzeitstag«, erklärte er bissig.

Felia sah ihn an, sagte nichts weiter. In ihrem Blick lag eine solche Entschiedenheit, dass ihr Mann endlich seufzend erklärte:

»Von mir aus.« Begeistert klang er nicht.

Als Adrian die Rechnung unterzeichnete, wurde ihm bewusst, dass sie alle reichlich getrunken hatten und eigentlich keiner mehr fahren sollte. Es wird schon nichts passieren, beruhigte er sich selbst. Als er und Caroline zu ihrem Auto gingen, hörte er Felias Stimme. Leise, aber in schneidendem Ton:

»Ich fahre! Du hast wieder zu viel getrunken. Du musstest ja schon zu Hause anfangen.«

Wortlos ging Sven zur Beifahrertür.

»Sie hat recht«, flüsterte Caroline ihrem Mann zu. »Er hatte schon eine Fahne als er hier ankam. In letzter Zeit trinkt er wirklich reichlich.«

»Das geht uns nichts an. Halte du dich da raus«, warnte Adrian.

Die neue, angesagte Bar war gut besucht. Dennoch fanden sie Platz.

»Champagner!«, verlangte Caroline. Ihre Stimme war zu laut und zu schrill.

»Den hätten wir auch im Knechthausen trinken können«, murmelte Sven.

»Was du willst, mein Schatz«, stimmte Adrian zu.

Als der Barpianist einen leisen, langsamen Song anstimmte, sprang Caroline auf.

»Komm, Schatz, ich möchte tanzen.«

»Das ist nur Unterhaltungsmusik, keine Tanzmusik, Liebling.«

Caroline ließ sich nicht abweisen. Seufzend folgte ihr Mann in den schmalen Durchgang Richtung sanitäre Anlagen. Der einzige Platz, um auf der Stelle zu tanzen.

Schweigend blieben Felia und Sven zurück. Der Kellner servierte den Champagner. Aufmerksam beobachte Sven jede seiner Bewegungen. Als der Ober den Tisch verlassen hatte, fuhr Felia ihren Mann an:

»Du bist unmöglich heute Abend. Wenn dir unsere Gesellschaft nicht passt, hättest du wirklich besser zu Hause bleiben sollen. Was haben wir dir nur getan?«

Er konnte ihre Frage nicht beantworten. Also schwieg er. Felia wurde noch wütender.

»Ich habe es satt. Herr Ober, bitte rufen Sie mir ein Taxi.« Der Angesprochene reagierte nicht, hatte ihre Bitte offenbar nicht gehört.

»Was soll der Quatsch?« Svens Tonfall klang schroff und wütend. »Du wolltest hier her. Nun bleiben wir auch.«

Als er ihren zornigen Blick sah, lenkte er endlich ein.

»Entschuldige, ich hatte einen harten Tag heute.«

»Ganz was Neues«, murmelte Felia. Eng umschlungen kehrten Caroline und Adrian zum Tisch zurück.

»Ist was?«

Caroline blickte stirnrunzelnd auf ihre Freunde.

»Ich fahre heim. Adrian, ruf mir bitte ein Taxi.«

»Felia! Nun sei kein Spielverderber.«

Sven lachte gezwungen.

»Wir gehen alle in Kürze. Gleich nach dieser Flasche«, versprach Adrian. Felia ließ sich auf keine Diskussionen mehr ein. Sven, der die Wirkung des Alkohols allmählich spürte, reagierte mit stoischem Schweigen. Felia schnappte sich ihre Tasche und verließ grußlos den Tisch. Ihr Glas hatte sie nicht angerührt. Adrian folgte ihr zum Ausgang, holte ihren Mantel und versuchte gleichzeitig, sie zum Bleiben zu bewegen. Felia blieb stur.

Als sie auf der Straße stand, überlegte sie nicht lange. Thorsten. Sie dachte an die eine Nacht. Nein, nicht zu Thorsten. Mit schnellen Schritten lief sie zum Taxistand am Pferdemarkt und nannte kurz darauf dem Fahrer die Anschrift ihres Hauses.

Als Adrian und Felia außer Hörweite waren, stellte Caroline Sven zur Rede.

»Also weißt du, du benimmst dich unmöglich. Was ist nur los mit dir?«

»Lass mich einfach in Ruhe, ja?«, motzte er zurück. Sie sprachen kein weiteres Wort, bis Adrian zurückkehrte.

»Na, das war ja ein schöner Abend. Wirklich Sven, deine Launen hat Felia nicht verdient.«

»Scher dich zum Teufel, Adrian. Ihr kotzt mich heute alle an.«

»Nicht so, mein Freund. Ich lasse mich nicht von dir beleidigen.«

»Ich hatte mich so auf den Abend gefreut.«

Carolines Stimme klang weinerlich. »Felia hat recht. Du benimmst dich manchmal wirklich unmöglich.«

»So. Hat sie sich bei dir ausgeweint? Ich muss ja ein schrecklicher Ehemann sein.«

Adrian warf seiner Frau einen warnenden Blick zu. Caroline tat, als bemerke sie es nicht.

»Manchmal ja«, warf sie Sven vor. An den Nebentischen wurden andere Gäste aufmerksam. Plötzlich stand Sven auf. Er verneigte sich und verabschiedete sich mit spöttischem Lächeln.

»Danke für den schönen Abend. Ich empfehle mich.«

»Ich dich nicht«, dachte Adrian und blieb sitzen.

Sven stolzierte kerzengerade mit hoch erhobenem Kopf zwischen den Tischen hindurch Richtung Ausgang. Fremde merkten nicht, dass er ganz leicht schwankte. Adrian und Caroline registrierten es genau.

6.

Vor der Tür blieb Sven unschlüssig stehen. Nach Hause würde er jetzt auf keinen Fall gehen. Es gab noch eine Bar nahe dem Pferdemarkt. Betont langsam schlenderte er dorthin. Aus der harten Helligkeit des Vorraumes tauchte er in rotes Schummerlicht. Es herrschte eine unruhige Stille. Keine weiteren Gäste. Er steuerte die Theke an, hinter der eine rothaarige, sehr schlanke Frau Gläser polierte. Ihr Alter vermochte er bei diesen Lichtverhältnissen nicht zu schätzen. Er suchte keine Frau. Er brauchte etwas zu trinken. Schwerfällig ließ er sich auf einem Barhocker nieder.

»Einen Whisky bitte«, bestellte er.

Scheinbar flüchtig sah Svenja hoch. Trotzdem taxierte sie ihn genau. Berufserfahrung.

Das kann ja heiter werden, dachte sie. Sie hatte gehofft, bald schließen zu können und nun kam dieser angeheiterte Typ, dessen Blick keine gute Laune signalisierte. Gut sah er aus. Dunkler Anzug, modische Krawatte, teure Uhr.

»Bitte, der Herr.« Sie schob ihm das Glas zu. Sven war sich bewusst, dass er nichts mehr vertrug. Er umklammerte das Glas, als wollte er sich daran festhalten, hob es der jungen Frau entgegen, setze es wieder ab.

»Trinken Sie ein Glas mit mir? In Gesellschaft schmeckt es besser.«

Sie nickte und goss sich aus ihrer Geheimflasche Tee ein.

»Ich trinke auf Ihr Wohl. Wie heißen Sie?«

»Svenja. Und Sie?«

»Sven.«

»Wie witzig. Prost Sven.«

»Prost Svenja«, und nach kurzer Pause: »Mein Gott, sind Sie schön.«

Svenja lächelte sparsam und nur mit den Lippen. Ihre Augen blieben unbeteiligt. Sie dachte an die Falten, die sie heute Abend wieder mühsam weggetuscht hatte.

»Sie sehen auch gut aus, Sven. So ein Mann wie Sie läuft doch gewiss nicht allein durch die Welt.«

Sven winkte ab.

»Sehen Sie noch jemanden? Natürlich bin ich verheiratet. Meine Frau geht nicht in solche Lokale. Sie versteht mich nicht.«

Der meist gesprochene Satz in allen Bars der Welt. Svenja kannte das. Sie setzte die Sanftes-Lächeln-Variante ein und lehnte sich über den Tresen. Gebannt starrte er auf ihre vollen Brüste. Felia war so flach gebaut. Verdammt, warum war sie in letzter Zeit oft so kühl? Eine Frau wie Svenja, die brauchte er heute. Zum Zuhören, nur zum Zuhören. Auf einmal konnte er reden. Svenja war eine gute Zuhörerin. Als er endlich bereit war, ein Taxi zu bestellen, war er stockbetrunken. Beim Abschied versprach er, bald wiederzukommen. Svenja behauptete, sich darauf zu freuen.

2. Kapitel

1.

Bruno Meiser war zufrieden. Er hatte einen erfolgreichen Tag hinter sich gebracht. Als Manuela gegen Abend sein Atelier betrat, hörte sie ihn laut und falsch pfeifen.

»Der Künstler ist gut aufgelegt. Sag nur, du hast das Bild verkauft?«

Bruno warf die Pinsel beiseite, die er zwischen zwei Fingern balancierte und breitete seine Arme aus. Mit schnellen, katzenhaften Bewegungen lief sie auf ihn zu und warf sich mit einem kleinen Jauchzer an seine Brust. Er presste sie an sich.

»Au, du tust mir weh!«

Bruno lockerte sofort den Griff. Er vergaß immer wieder, wie schmal und zart sie war.

»Schätzchen, ich habe den ´Wintermarkt` verkauft.«

Die gute Nachricht! Sie küsste ihn überschwänglich. Seine schmalen Künstlerhände glitten über ihren Rücken. Erneut zog er sie an sich.

»Nicht jetzt, Bruno.«

Sie löste sich rasch aus seinen Armen.

»Erzähle!«

Sie übersah seine begehrlichen Blicke, registrierte die flüchtige Enttäuschung. Er setzte sich auf den einzigen freien Stuhl im Zimmer. Manuela glitt mit geschmeidigen Bewegungen auf seine Knie.

»Die Galerie in Rotenburg hat den ´Wintermarkt` gekauft.«

Er fischte einen Scheck aus dem Papierwust auf seinem Schreibtisch und wedelte damit vor ihrer Nase hin und her. Mit beiden Händen hielt sie seinen Arm fest, um die Summe lesen zu können.

»Eintausendzweihundert Euro!«

Entrüstet sprang sie auf. »Das Bild ist viel mehr wert!«, behauptete sie theatralisch, obwohl sie genau wusste, dass das nicht stimmte.

»Aber Schätzchen, die müssen doch ihre Handelsspanne dazu rechnen.«

Mit einem Schlag war seine gute Laune verschwunden. Hatte er nicht am Morgen genau so reagiert? Und genau mit diesem Argument war er abgespeist worden. Natürlich erzählte er ihr das nicht. Die junge Frau spürte den Stimmungswechsel sofort. Nur das nicht! Sie schmiegte sich wieder in seine Arme.

»Ach Bruno, ich finde, es ist ein schöner Erfolg, dass du das Bild so schnell verkauft hast. Ich freue mich mit dir.« Ihr Kuss war Lockung. »Das müssen wir feiern. Ist Sekt da?«

»Aber klar. Steht im Kühlschrank.«

Sie holte Gläser von einem Wandbord. Einen Schrank gab es in diesem Riesenraum nicht.

Bruno Meiser konnte Möbel nicht ausstehen. Er brauchte Platz für seine Werke und Luft für seine Gedanken. Freiräume! Besonders, da sein Atelier im Souterrain eines kleinen Fabrikgebäudes lag. Ein flüchtiger Bekannter, der in Ottenbeck einen Handwerksbetrieb führte, hatte ihm den ungenutzten unteren Teil des Hauses zur Verfügung gestellt.

Ein kleiner Schreibtisch aus billigen Hartfaserplatten, überwuchert mit Zeitungsausschnitten, unbezahlten Rechnungen, Notizzetteln mit Telefonnummern, deren Inhaber er oft nicht mehr zuordnen konnte. Ein heller Korbstuhl. Dahinter ein zusammengeklappter Tapeziertisch, der bei Bedarf Ess- oder Arbeitsplatte darstellen konnte. Ein paar Schritte weiter und mitten im Raum ein silberglänzender Bistrotisch mit drei Stahlstühlen. Eine nüchterne Insel. An der langen, weißgetünchten Wand stapelweise teils gerahmte, teils ungerahmte Bilder unter einer schmalen Fensterfront – Oberlichter wäre der richtigere Ausdruck. Gegenüber eine breite Schlafcouch mit einem wackeligen Teakholzhocker, lange schmale Wandborde, zwei Meter Kleiderstange mit ein paar unordentlich aufgehängten Kleidungsstücken und mehreren leeren Bügeln. Und ein alter, überdimensionierter Kühlschrank. Das alles war auf einer Fläche von ca. fünfzig Quadratmetern verteilt. Raum für Kunst, nicht für unwichtigen Alltagskram.

Die Staffelei stand an dem gardinenlosen Lichtband an der Schmalseite des Zimmers, vis-a-vis der Tür. Sie war umgeben von Scheinwerfern verschiedener Intensität. Es wirkte eher wie der Arbeitsplatz eines Fotografen, denn eines Malers, wäre da nicht diese Ansammlung von gemalten Bildern. Bilder, Bilder, wohin man schaute.

Manuela stieg über ein paar Farbtöpfe und öffnete den Kühlschrank. Der Anblick war – wie so oft – deprimierend. Eine Flasche billiger Sekt, der unvermeidliche Rotwein, ein Stück alter Käse. Mehr gab es nicht. Als sie sich bückte, stand Bruno schon wieder hinter ihr.

»Komm ins Bett«, flüsterte er mit rauer Stimme.

»Wüstling«, lachte sie. »Was willst du nun, trinken, oder …«

»Beides.«

Als sei sie eine Feder, hob er die junge Frau hoch und trug sie zur Couch.

Später lag sie entspannt an seiner Seite. Die Augen geschlossen, versuchte sie, den Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen noch ein Weilchen festzuhalten. Bruno beobachtete sie. Er konnte sich nicht satt sehen an ihrer bronzefarbenen Haut, den Linien ihrer schmalen Glieder. Bruno Meiser war siebenundfünfzig Jahre alt, dreißig Jahre älter als seine Geliebte.

Vor drei Jahren im Urlaub waren sie sich begegnet. In Spanien an einem FKK-Strand hatte er sie eines Morgens zum ersten Mal gesehen. Sie saß mit ein paar Freundinnen plaudernd und lachend im feinen, weißen Sand. Sein Künstlerauge hatte sie entdeckt. Damals war es Liebe auf den ersten Blick. Heute würde er den Ausdruck Liebe nicht mehr verwenden. Begehren, ja. Was Manuela für ihn empfand, hatte er nie genau ergründen können und er fand, das hatte seinen Reiz. Sie war eine zärtliche und wilde Geliebte, launisch, unberechenbar. Immerhin war sie ihm nach Deutschland gefolgt. Und, obwohl sie Stade vom ersten Tag an spießbürgerlich fand, war sie geblieben. Ob aus Liebe oder anderen Beweggründen, war ihm nach drei Jahren Zweisamkeit nicht mehr wichtig. Sie lebte mit ihm zusammen, aber sie wohnte nicht bei ihm. Manuela hatte eine eigene kleine Wohnung gemietet und beharrte auf ihrer Selbständigkeit. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie als Friseuse und Kosmetikerin in einem Salon in der Innenstadt.

Svenja Olufsson war ihre engste Vertraute. Die Schwedin und die Spanierin. Ein spannender Kontrast, der Brunos Künstlerauge immer wieder anregte. Außer Sport verbanden die beiden Frauen viele gemeinsame Interessen. Sie hatten sich in der Volkshochschule bei einem Nähkurs kennengelernt, hatten in der Tanzschule Hillmann einen Tangokurs besucht, und trafen sich oft und gern zum Shoppen, Bummeln oder einfach nur zum Quatschen.

Sanft strich er über ihre Schenkel. Manuela öffnete die Augen.

»Ich habe Hunger.«

»Ich auch. Nach dir.«

»Nein, auf Steaks und Salat. Du bist doch heute reich. Lädst du mich zum Essen ein?«

»Die Bank hat schon zu. Ich kann den Scheck jetzt nicht mehr einlösen. Darüber hinaus bin ich völlig blank. Mein letztes Geld liegt im Kühlschrank. Oder jedenfalls das, was man dafür bekommen kann.«

»Ich lade dich ein.«

»Ich habe noch Käse.«

»Den essen wir, wenn wir nach Hause kommen. Als Dessert.«

Sie wand sich aus seinem forderndem Griff, las die im Raum verteilte Unterwäsche zusammen und verschwand im angrenzenden Bad.

Seufzend stieg Bruno aus den Kissen. Er brauchte nichts zu essen. Sein chronischer Geldmangel hatte ihn zum Hungerkünstler werden lassen. Gerade als Manuela die Dusche aufdrehte, kam auch er ins Bad, dem einzigen abgeschlossenen Teil in diesem unteren Keller-Wohnbereich. Außer der Miniküche natürlich. Übermütig hielt sie den Wasserstrahl auf seinen erhitzten, sehnigen Körper. Mit schnellem Griff entwendete er ihr die Brause und ließ den warmen Strahl über ihren Körper gleiten. Sie griff nach der Seife. Ihre Hände machten sich selbständig, strichen über seine festen Lenden, hinterließen eine weiße sahnige Spur. Seine Bewegungen wurden fordernd. Noch einmal liebten sie sich.

2.

Als sie endlich das Atelier im Stadtteil Ottenbeck verließen, war es draußen schon dunkel.

Zuerst gingen sie in ihr Lieblingslokal, mehr Kneipe als Restaurant. Gern hätten sie andere Lokale als ihr Lieblingsrestaurant bezeichnet, wären sie nicht so teuer. Und dann schauten sie noch in der Bar vorbei, in der Manuelas Freundin arbeitete. Heute Abend war die Bar gut besucht. Svenja hatte wenig Zeit. Sie begrüßte Manuela mit einer flüchtigen Umarmung. Bruno nickte sie freundlich zu.

»Nehmt hier in der Ecke Platz. Ich komme gleich zu euch.«