Einhundert Absagen - Mirjam Hoff - E-Book

Einhundert Absagen E-Book

Mirjam Hoff

2,0

Beschreibung

Die übermächtige Angst, sich eine Absage zu holen, hält Franzi stets davon ab, auf Frauensuche zu gehen. Eines Tages können ihre Freundinnen das nicht mehr mitansehen und entwerfen einen Plan: Als Therapie soll sich Franz Einhundert Absagen holen, um ihre Angst zu besiegen. Doch in der Praxis muss die Richtige gar nicht erst gefragt werden ...

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Mirjam Hoff

EINHUNDERT ABSAGEN

Eine Liebesgeschichte

© 2014édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-085-1

Coverillustration: © Marco2811 – Fotolia.com

Franziskas Hände zitterten, und ihr Atem ging flach. Etwas Schweres schien auf ihren Magen zu drücken. Sie kannte dieses Gefühl viel zu gut: Angst.

In welche Situation hatte sie sich da nur wieder hineinmanövriert?

Und das alles nur wegen einer Frau.

Aufmerksam betrachtete sie den Typen. Er war groß und kräftig, aber er sah eigentlich nicht gefährlich aus. Er saß eher gemütlich auf dem orangefarbenen Sitz und betrachtete durch das Fenster die vorbeiziehende Stadtlandschaft.

Sie musste das nicht tun . . .

Annika gab ihr einen Stoß. »Los jetzt!«, flüsterte sie. »Bis hierher war das alles Kinderkram.«

»Dann, also . . .«, stöhnte Franzi leise und gab sich einen Ruck. Sie schluckte noch einmal kräftig. Als die Straßenbahn wieder anfuhr, machte sie ein paar Schritte auf den Typen zu. Ehe sie es sich anders überlegen konnte, sprach sie ihn an: »Würden Sie mir bitte Ihren Sitz überlassen?«

Er drehte sich zu ihr um: »Was?«

»Ich möchte, dass Sie aufstehen und mich hier sitzen lassen«, sagte Franzi, ein wenig lauter.

»Wie käme ich denn dazu?«, fragte er, nachdem er sie eingehend von oben bis unten gemustert hatte. Sehr überzeugend konnte sie noch immer nicht gewesen sein. Dabei wollte sie doch nur, dass er nein sagte.

»Vielleicht geht es mir ja schlecht«, schlug Franzi ihm vor.

»Und – geht es Ihnen schlecht?«, fragte er zurück.

Ein paar der anderen Fahrgäste waren schon aufmerksam geworden. Franzi bemerkte, dass der Geräuschpegel in der Straßenbahn deutlich gesunken war. Sie spürte die Augen der Leute im Nacken, auf ihrem Rücken und sogar auf ihren Schultern. Wie hatte sie sich je im Leben auf diesen Wahnsinn einlassen können?

»Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Wenn man einmal von den Angstgefühlen absah, die sie gerade durchlebte, ging es ihr tatsächlich ausgezeichnet.

»Wollen Sie mich etwa verarschen?« Langsam wurde der Typ etwas lauter. Er hatte die Schultern nach oben gezogen, und über dem Kragenansatz färbte sich seine Haut rot. Die ältere Dame, die neben ihm saß, hielt sich die Hand vors Gesicht, aber Franzi sah deutlich, dass sie grinste.

»Sag einfach nein!«, wünschte sich Franzi verzweifelt im Stillen. Wenn er nein sagte, hätte sie ihre Aufgabe erfüllt. Sie könnte sich nett bei ihm bedanken, ihm einen schönen Tag wünschen und wieder an Lulu denken.

Lulu, die nun schon seit Wochen ins Non-Toxic kam. Sie war wirklich hinreißend. Schlank, nicht zu groß, mit hellbraunem Haar, blaugrauen Augen. Mit diesen Grübchen, die immer dann auftauchten, wenn sie lächelte. Franzi hatte so oft beobachtet, wie sie andere anlächelte. Nur ihr hatte dieses Lächeln leider noch nie gegolten. Deshalb machte sie sich hier und jetzt gerade ziemlich lächerlich.

»Wollen Sie mich verarschen?«, fragte der Typ noch einmal und holte sie unsanft aus ihren Träumereien zurück. Das Rot war von seinem Kragen schon bis zu den Ohren gestiegen. Franzi war sich nicht mehr sicher, ob er wirklich nicht gefährlich war.

»Nein«, sagte sie, ein bisschen leiser als vorher, »ich will nur Ihren Platz.«

»Sie können meinen Platz nehmen«, bot die alte Dame an. »Ich muss sowieso an der nächsten Haltestelle raus.« Hilfsbereit stand sie auf.

»Na also«, sagte der Typ und drehte sich wieder zum Fenster zurück. Für ihn schien die Sache damit erledigt.

Für Franzi leider nicht. »Das geht nicht«, sagte sie, dieses Mal zu der alten Dame, »ich möchte Ihren Platz nicht. Ich möchte seinen.«

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass ein paar Kids, die weiter hinten in der Bahn saßen, ihre Handys gezückt hatten. Sie hielten genau auf die kleine Szene, die sich hier abspielte. In ein paar Stunden würde sie sich auf YouTube wiederfinden. Na klasse, ganz hervorragend.

»Herrgott noch mal, warum denn?«, platzte der Typ heraus.

Franzi dachte kurz nach. »Einfach so«, antwortete sie und spürte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren brach. »Wollen Sie mir jetzt endlich Ihren Platz geben?«

»Nein, auf gar keinen Fall.«

»Na endlich«, atmete Franzi auf. Einen Moment lang hatte sie tatsächlich um ihre Sicherheit gefürchtet. Sie nickte. »Dann nehme ich eben doch den Sitz Ihrer freundlichen Nachbarin.« Erschöpft ließ sie sich neben den Typen fallen. In der letzten Minute hatten ihr die Knie so gezittert, dass sie sich dringend setzen musste. »Danke«, sagte sie zu der alten Dame und dem Typen gleichzeitig. Sie hatte es geschafft.

Annika, die sich inzwischen ganz ohne Stress auf einen leeren Platz ein bisschen weiter entfernt gesetzt hatte, hob grinsend beide Daumen. Dann tippte sie mit den Fingern auf einem imaginären Keyboard herum. Sie wusste genau, dass es im Moment nicht gesund für sie wäre, sich in Franzis Nähe zu begeben.

Franzi holte ihr Smartphone aus der Tasche und ging ins Netz zu ihrem Blog. Sie fing sofort an zu schreiben. »Heute habe ich mein zwölftes Nein kassiert und die erste öffentliche Absage. Mit etwas Glück findet ihr den Videobeweis bald im Netz.« Danach folgten haarklein die Details der Unternehmung, denn so war es abgemacht.

Warum, um Himmels willen, hatte sie sich nur auf dieses Projekt eingelassen?

Es war doch eigentlich alles in Ordnung in ihrem Leben. Sie führte einen Nachtclub, der einigermaßen lief. Sie stand spät auf und mixte jeden Abend coole Drinks. An ihrer Theke hörte sie wilde, romantische und traurige Geschichten, die sich um die Liebe, die Karriere oder das Leben drehten. Sie hatte gut damit zu tun, den Frauen zuzuhören, die ihr all das erzählten. Damit war ihr eigenes Leben aufregend genug.

Und dann war Lulu eines Abends ins Non-Toxic marschiert . . . Franzi seufzte. Der Mann neben ihr schielte neugierig auf das Display ihres Smartphones. Eilig beendete Franzi ihren Eintrag und schob das Handy in die Tasche zurück.

Mit Lulu hatte alles angefangen. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung im Bauch, seufzte Franzi noch einmal.

Ihr Nachbar wandte sich wieder zu ihr um. »Geht es Ihnen wirklich gut?« Er wirkte jetzt sogar ein wenig besorgt.

»Ja, ja«, antwortete Franzi, und ein wenig von der Unverfrorenheit, die sie sich in den letzten Jahren aus beruflichen Gründen zugelegt hatte, trat wieder zutage. »Keine Sorge, wenn ich mich übergeben muss, mach ich es in die andere Richtung.«

Ihr Gesprächspartner drehte sich angewidert weg. Franzi grinste. »Männer«, dachte sie. »Und Traumfrauen . . .«

Traumfrauen waren ein echtes Problem. Sobald eine Frau im Non-Toxic auftauchte, bei deren Anblick Franzis Herz höher schlug, war es vorbei mit ihrer Frechheit. Dann wurde sie einsilbig und schüchtern und hätte sich am liebsten hinter ihrer Theke versteckt.

Lulu hatte sie eiskalt erwischt. Seit Wochen hatte sie sie nun schon aus der Ferne beobachtet. Erst nach der Arbeit, wenn sie die Stühle im Non-Toxic auf die Tische stellte, gestattete sie sich, ein wenig zu träumen.

Zugegeben, an einem Abend hatte sie Annika haarklein erzählt, was sie machen würde.

»Ich weiß genau, wie es geht«, hatte sie großspurig getönt, »ich geb ihr einen aus. Lehn mich ein bisschen über die Theke . . . Vielleicht sollte ich mein mysteriöses Lächeln probieren?«

»Dein mysteriöses Lächeln?« Annika hatte die Hände in die Luft geworfen. »Seit drei Wochen kommt Lulu in die Bar, und jeden Tag hechelst du ihr hinterher wie ein kleines Hündchen.«

»Ich hechle doch nicht.« Franzi war empört.

»Na, komm. Jedes Mal, wenn sie sich an die Bar setzt, halte ich die Luft an. Und . . . und . . .?«

»Was, und?«

»Na, nichts und! Du hältst ihr eine Flasche unter die Nase und fragst, ob sie noch einen Drink möchte, und das war’s. Selbst wenn sie ja sagt – damit erreichst du doch nur, dass sie irgendwann keinen Durst mehr hat. Wenn dir wirklich was an ihr liegt, solltest du dich schon ein bisschen mehr anstrengen.«

»Was ist denn daran falsch, ihr einen Drink auszugeben?«, hatte Franzi erwidert.

»Im Prinzip nichts.« Annika strich ihrer Freundin begütigend über den Arm. »Gib ihr einen aus, wenn du willst. Aber auf gar keinen Fall in der Bar.«

Franzi hatte geschwiegen, unsicher und ein wenig beleidigt. Warum mussten Freunde einem die Wahrheit denn immer wie einen nassen Waschlappen um die Ohren klatschen.

Unbarmherzig fuhr Annika fort: »Früher oder später schaffst du es wieder, dir einzureden, dass die Frau auch nicht die Richtige für dich ist. Weil sie inzwischen irgendeine andere gefragt hat, ob sie nicht mit ihr um die Häuser ziehen will.«

Das Dumme war, dass sie damit nicht ganz unrecht hatte. Franzi hatte sich nachdenklich einen Martini eingegossen und sich neben Annika an die Theke gelehnt. »Aber was, wenn sie nein sagt?«

Genau in diesem Moment waren die letzten Gäste von der Toilette in den Schankraum gekommen, zwei langjährige Stammkundinnen: Sabine und Ivonne, die Psychologie studierte. Sie hatten Franzis letzten Satz noch mitbekommen.

»Du hast Angst davor, dass du abgelehnt wirst?« Sabine lachte ungläubig.

»Nein«, hatte Annika entschieden geantwortet und sich ein wenig näher an Ivonne geschoben, »Franzi hat keine Angst. Franzi hat eine Phobie.«

»Das kann man therapieren«, hatte Ivonne gesagt und den Arm um Annika gelegt.

Franzi hatte gequält aufgestöhnt. Eine Therapie war das Letzte, was sie brauchte.

»Das kann man auch selbst machen«, erklärte Ivonne fröhlich. Und das war er gewesen: der erste Nagel zu Franzis Sarg. Oder eher der erste Schritt zum Blog. Der Rest war ganz schnell gegangen.

»Du musst lernen, mit Abweisung umzugehen. Du solltest dir so in etwa . . . hundert Absagen einholen, egal von wem, dann hast du keine Angst mehr.«

»Ist ja ganz einfach«, hatte Sabine gedehnt geantwortet, »wo soll sie die denn herbekommen?«

»Ach, das ist gar kein Problem.« Annika war Ivonne unerwartet zu Hilfe gekommen. »Wir leben im Zeitalter des Web 2.0. Ich richte ihr einen Blog ein und schicke eine Mail an die Empfänger ihrer E-Mail-Liste, und ich wette, dass ihr tausend Leute gern eine Abfuhr erteilen würden.« Sie hatte gegrinst, als Franzi sie erschrocken anschaute. »Aber es gibt natürlich bessere Wege, seine Traumfrau zu bekommen.« Dann hatte sie wieder Ivonne angesehen. Ziemlich lange.

»Nein«, sagte Franzi, von einer plötzlichen Energie getrieben, die sie selbst überraschte. »Lass uns das durchziehen. Machen wir einen Blog.«

»Okay«, antwortete Annika verträumt, »mach ich dir.« Dann hatte sie Ivonne an der Hand genommen, und beide waren durch die Eingangstür verschwunden.

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