Einzelfalldiagnostik - Klaus Willmes - E-Book

Einzelfalldiagnostik E-Book

Klaus Willmes

0,0
19,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In diesem anwendungsbezogenen Buch wird zum ersten Mal für die neuropsychologische Praxis der Einsatz psychometrischer und inferenzstatistischer Methoden für die differenzierte Analyse der Leistungen einzelner Probanden und Patienten in gut standardisierten und normierten Testverfahren, in orientierend normierten Verfahren und experimentellen Aufgabenstellungen vermittelt. Es handelt sich um Methoden für die Analyse einmaliger diagnostisch-neuropsychologischer Untersuchungen sowie für den Vergleich zweier Anwendungen eines Verfahrens zur Beurteilung des Verlaufs oder des Effekts einer therapeutischen Intervention. Alle Methoden werden ausführlich anhand neuropsychologischer Fallbeispiele demonstriert. Die verwendeten Programme zur statistischen Analyse von Einzelfalldaten sind frei im Internet als Download-Version oder Online-Rechner verfügbar. Die vorgestellten Verfahren eignen sich nicht nur für Leistungstests, sondern auch für Fragebogendaten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Willmes

Bruno Fimm

Einzelfalldiagnostik

Fortschritte der Neuropsychologie

Band 21

Einzelfalldiagnostik

Prof. Dr. Klaus Willmes, PD Dr. Bruno Fimm

Die Reihe wird herausgegeben von:

Dr. Angelika Thöne-Otto, Prof. Dr. Siegfried Gauggel, Prof. Dr. Dr. Hans-Otto Karnath, Dr. Hendrik Niemann, Prof. Dr. Boris Suchan

Die Reihe wurde begründet von:

Dr. Angelika Thöne-Otto, Prof. Dr. Herta Flor, Prof. Dr. Siegfried Gauggel, Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Dr. Hendrik Niemann

Prof. Dr. rer. nat. Klaus Willmes, geb. 1950. 1969-1979 Studium der Mathematik und der Psychologie in Aachen, 1979-1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neurologischen Klinik, Uniklinik RWTH Aachen, 1987 Promotion. 1994 Habilitation. Von 1997 bis zur Pensionierung 2016 Professor für Neuropsychologie und Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Neuropsychologie, Medizinische Fakultät, RWTH Aachen. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Numerische Kognition, Aphasie, Kognitive Neuropsychologie, Statistische Methoden für den Einzelfall.

PD Dr. phil. Bruno Fimm, geb. 1961. 1983-1988 Studium der Psychologie in Mannheim und Freiburg i. Br. 1989-1994 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg i. Br. Ab 1994 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Neurologie, Lehr- und Forschungsgebiet Neuropsychologie der Uniklinik RWTH Aachen. 1995 Promotion. 2018 Habilitation. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Aufmerksamkeit, Klinische Neuropsychologie, Neurodegeneration, Fahreignung, Einzelfalldiagnostik.

Copyright-Hinweis:

Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

Merkelstraße 3

37085 Göttingen

Deutschland

Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2666-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2666-3)

ISBN 978-3-8017-2666-9

http://doi.org/10.1026/02666-000

Nutzungsbedingungen:

Der Erwerber erhält ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht, das ihn zum privaten Gebrauch des E-Books und all der dazugehörigen Dateien berechtigt.

Der Inhalt dieses E-Books darf von dem Kunden vorbehaltlich abweichender zwingender gesetzlicher Regeln weder inhaltlich noch redaktionell verändert werden. Insbesondere darf er Urheberrechtsvermerke, Markenzeichen, digitale Wasserzeichen und andere Rechtsvorbehalte im abgerufenen Inhalt nicht entfernen.

Der Nutzer ist nicht berechtigt, das E-Book – auch nicht auszugsweise – anderen Personen zugänglich zu machen, insbesondere es weiterzuleiten, zu verleihen oder zu vermieten.

Das entgeltliche oder unentgeltliche Einstellen des E-Books ins Internet oder in andere Netzwerke, der Weiterverkauf und/oder jede Art der Nutzung zu kommerziellen Zwecken sind nicht zulässig.

Das Anfertigen von Vervielfältigungen, das Ausdrucken oder Speichern auf anderen Wiedergabegeräten ist nur für den persönlichen Gebrauch gestattet. Dritten darf dadurch kein Zugang ermöglicht werden.

Die Übernahme des gesamten E-Books in eine eigene Print- und/oder Online-Publikation ist nicht gestattet. Die Inhalte des E-Books dürfen nur zu privaten Zwecken und nur auszugsweise kopiert werden.

Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung

2 Analyse von Leistungsprofilen mit der psychometrischen Einzelfalldiagnostik

2.1 Grundbegriffe

2.1.1 Reliabilität

2.2 Normierte Testwerte

2.3 Praktische Voraussetzungen

2.4 Statistische Inferenzen in der Diagnostik

2.4.1 Tau-Normierung und Berechnung eines Konfidenzintervalls für den NVLT bei Z. n. SHT (Beispiel 1)

2.5 Individuelle Profilanalyse

2.5.1 Bestimmung der Profilhöhe

2.5.2 Analyse der Profilstreuung

2.5.3 Gezielte Linearvergleiche innerhalb eines Testprofils

2.5.4 Spezialfall paarweiser Vergleiche in einem Leistungsprofil

2.6 Intraindividueller Profilvergleich

2.6.1 Test auf Identität zweier individueller Profile

2.6.2 Test auf Identität der individuellen Profilhöhen

2.6.3 Test auf Identität der individuellen Profilgestalten

2.6.4 Gezielter Profilvergleich

2.6.5 Spezialfall differenzieller Veränderungen paarweiser Vergleiche eines Leistungsprofils

2.6.6 Veränderungen der Testleistungen in den individuellen Tests eines Leistungsprofils

3 Praktische Ausführung der psychometrischen Einzelfalldiagnostik

3.1 Eingabe/Modifikation psychometrischer Kennwerte

3.2 Profilanalyse und Profilvergleich für den VVM (Beispiel 2)

3.3 Profilanalyse für das LPS 50+ bei Z. n. linksseitigem Mediainfarkt (Beispiel 3)

3.4 Profilanalyse für das LPS 50+ bei akut aufgetretener Episode mit Sprachstörung (Beispiel 4)

3.5 Profilanalyse für das LPS 50+ bei V. a. Primär Progressive Aphasie (Beispiel 5)

3.6 Profilanalyse für den RWT bei Z. n. linksseitigem Mediainfarkt (Beispiel 6)

3.7 Profilanalyse für TAP-Visuelles Scanning bei rechts parietalem Tumor (Beispiel 7)

3.8 Profilvergleich für das LPS 50+ bei V. a. Primär Progressive Aphasie (Beispiel 8)

3.9 Profilvergleich für TAP-Neglect bei Z. n. rechts parietalem Infarkt (Beispiel 9)

4 Einzelfall-Methodologie für kleinere Kontrollstichproben nach Crawford

4.1 Einleitung

4.2 Inferenzstatistische Prüfung auf ein Leistungsdefizit

4.2.1 Prüfung auf ein Leistungsdefizit beim BORB bei Z. n. Posteriorinfarkt links (Beispiel 10)

4.3 Inferenzstatistische Feststellung von Leistungsdissoziationen

4.3.1 Prüfung auf Leistungsdissoziation mit der WMS-R bei Z. n. links temporo-okzipitaler Blutung (Beispiel 11)

4.3.2 Prüfung auf Leistungsdissoziation mit der CERAD bei V. a. beginnendes dementielles Syndrom (Beispiel 12)

5 Inferenzstatistische Analyse von Einzelfall-Daten

5.1 Einleitung

5.2 Grundlegende Datenschemata bei der Feststellung von Leistungsunterschieden

5.3 Randomisierungstests für Einzelfallstudien

5.3.1 Vergleich der Leistungen bezüglich zweier verschiedener Itemmengen

5.3.1.1 Prüfung auf Aufmerksamkeitsasymmetrie mit TAP-Gesichtsfeldprüfung und Neglect bei Z. n. Mediainfarkt rechts (Beispiel 13; metrische und dichotome Daten)

5.3.2 Vergleich der Leistungen für dieselben Items unter zwei Aufgabenstellungen

5.3.2.1 Therapieevaluation (Beispiel 14; Analyse von dichotomen Daten)

5.4 Allgemeine Hinweise zur Anwendung von Randomisierungstests

5.5 Analyse von Leistungsdissoziationen – Planung der Itemzahlen und Teststärke

5.6 Analyse von (differentiellen) Therapieeffekten

5.6.1 Vor- und Nachtest Therapiedesign

5.6.2 Kreuzblock-Therapiedesign

5.6.3 Statistische Verfahren für die Feststellung differentieller Therapieeffekte

5.7 Komplexere Therapiestudienpläne

5.8 Abschließende Bemerkungen

6 Fazit

7 Literatur

8 Glossar

Karte

Voraussetzungen der im Buch behandelten statischtischen Methoden

|1|Vorwort

Die Qualität neuropsychologischer Diagnostik und Begutachtung hängt entscheidend davon ab, wie überzeugend empirisch gut abgesicherte Aussagen zu kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen von Probanden und Patienten in verschiedenen Phasen eines Erkrankungsverlaufs getroffen werden können. Auch wenn die ökonomischen Randbedingungen von klinischer und ambulanter Patientenversorgung immer häufiger dazu führen, dass der Einsatz schneller und kostengünstiger Verfahren und Vorgehensweisen unumgänglich erscheint, möchten wir mit diesem Buch für eine methodisch möglichst gut abgesicherte neuropsychologische Diagnostik plädieren.

In vielen Jahren an Fortbildungs- und Prüfungstätigkeit für die Gesellschaft für Neuropsychologie e. V. und andere neurologisch/neuropsychologische Organisationen und Fachgesellschaften hat sich der Eindruck zunehmend verstärkt, dass für die Befundung von Patienten ein möglichst routiniertes Vorgehen mit ausschließlicher Anwendung von Standardverfahren eingesetzt wird, welches sich in der deskriptiven Darstellung von erzielten normierten Leistungen und der Angabe von Schweregraden von Einschränkungen erschöpft. Auch bei der Verlaufsbefundung werden die Ergebnisse neuropsychologischer Testuntersuchungen häufig ohne eine Bezugnahme auf kritische Differenzen gegenübergestellt.

Mit diesem anwendungsbezogenen Buch möchten wir Kolleginnen und Kollegen aus der Neuropsychologie sowie Personen anderer interessierter Berufsgruppen darin unterstützen, grundlegende Methoden der inferenzstatistischen Analyse individueller Leistungsprofile von Probanden und Patienten in gut standardisierten und normierten Testverfahren in der beruflichen Praxis im Sinne einer möglichst guten Evidenzbasierung oder kontrollierten klinischen Praxis einzusetzen. Das gilt auch für die inferenzstatistisch abgesicherte Beurteilung von Leistungsveränderungen als Folge einer neuropsychologischen Therapie. Wir möchten aber auch dazu ermutigen, bei spezifischen Fragestellungen nur orientierend normierte Verfahren und u. U. selbst erstellte Aufgabenstellungen einzusetzen und mit den ebenfalls vorgestellten statistischen Verfahren zu analysieren.

Wie häufig, gründet sich die eigene Arbeit auf die bahnbrechenden Arbeiten anderer. In unserem Fall ist es ganz vorrangig das 1973 erschienene Buch zur Psychometrischen Einzelfalldiagnostik von Helmuth P. Huber, das die inferenzstatisch abgesicherte diagnostische Hypothesenprüfung individueller Leistungsprofile und deren intraindividuellen Vergleich für nach Methoden der klassischen psychometrischen Testtheorie erstellte, gut normierte psychologische Testbatterien auf feste Füße gestellt hat. Der spätere Ordinarius für Klinische Psychologie an der Universität Salzburg hatte für diese, seine Habilitationsschrift an der Universität Düsseldorf ein statistisch-methodisch exzellentes Umfeld für diese Arbeit. In diesem Buch kommen die unserer Einschätzung nach wichtigsten statistischen Verfahren für die neuropsychologische Diagnostik, zum Teil mit leichten Verbesserungen beim multiplen Testen, zum Einsatz. In der Vergangenheit – auch in der eigenen diagnostischen Ausbildung und im Gut|2|achtenseminar – wurde der Routineeinsatz dieser Methoden durch das Fehlen handlicher Software erschwert. Mit der von uns erstellten Software CASE123 sind alle Berechnungen nun leicht zu erledigen. Das gilt auch für alle anderen in diesem Buch vorgestellten statistischen Testverfahren, insbesondere die Methoden aus der Arbeitsgruppe des Kollegen John Crawford, die alle leicht aus dem Internet heruntergeladen und eingesetzt werden können.

Der gewählte Formalisierungsgrad der Darstellung ist unserer Meinung nach für ein fundiertes Verständnis der vorgestellten Methoden notwendig. Die Darstellungsweise wurde in vielen Vorlesungen und Übungen sowie Fortbildungsveranstaltungen für Psychologinnen und Lehr- und Forschungslogopädinnen erprobt. Alle Verfahren werden aber für einen direkten Anwendungsbezug mit vielen Beispielen aus der klinisch neuropsychologischen Praxis in der Uniklinik der RWTH Aachen illustriert.

Danken möchten wir den Herausgebern der Reihe Fortschritte der Neuropsychologie für ihre Bereitschaft, ein Buch mit dieser Thematik in die Reihe aufzunehmen. Insbesondere gilt unser Dank Dr. Angelika Thöne-Otto aus diesem Gremium für ihre Geduld wegen des oft verschobenen Abgabetermins.

Aachen, im September 2019

|3|1 Einleitung

In diesem Band wird der Einsatz psychometrischer und inferenzstatistischer Verfahren für eine differenzierte Analyse der Leistungen individueller Patienten dargestellt, die für neuropsychologische diagnostische Fragestellungen von zentraler Bedeutung ist (Sturm, Fimm & Willmes, 2011; Willmes & Fimm, 2014). Die Leistungen können in normierten psychometrischen Testverfahren, im Vergleich mit kleinen Kontrollstichproben für spezielle diagnostische Fragestellungen oder aber bei Verwendung nicht normierter Testverfahren ohne Bezug zu Kontrollstichproben beobachtet worden sein.

Aufgrund gut gestützten neuropsychologischen Wissens über spezifische Zusammenhänge zwischen fokalen oder diffusen Hirnschäden und beeinträchtigten oder gestörten psychischen Funktionen lassen sich für einen einzelnen Patienten oft gezielte diagnostische Hypothesen über erwartete Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Tests eines Testprofils oder einer Testbatterie ableiten. Für einen neuropsychologischen Befund ist es im Sinne einer evidenzbasierten Vorgehensweise in der neuropsychologischen Diagnostik wünschenswert, eine für Dritte überprüfbare Entscheidung bezüglich dieser Hypothesen treffen zu können.

Vergleichbare Überlegungen gelten für nicht normierte Zusammenstellungen von Aufgabenstellungen, die besonders in der kognitiv-neuropsychologischen Untersuchung von Einzelfällen, oft orientiert an einem expliziten Verarbeitungsmodell, eingesetzt werden, um mehr oder weniger selektive Leistungsbeeinträchtigungen zu ermitteln. Solche Leistungsdissoziationen (Willmes, 2009a) müssen ebenfalls statistisch abgesichert werden (Willmes, 2009b).

Oft ist die einmalige Statusdiagnostik oder die einmalige kognitiv-neuropsychologisch orientierte Diagnostik mit Bezug auf ein explizites Verarbeitungsmodell bei neuropsychologischen Patienten nicht ausreichend oder aussagekräftig. Die Analyse des spontanen Verlaufs und/oder eine oder mehrere Kontrolluntersuchungen nach einer Zeitspanne sind für die Beurteilung eines neuropsychologischen Patienten häufig erforderlich. So sollte beispielsweise die Diagnose einer degenerativen Hirnerkrankung nicht aufgrund einer einzelnen Untersuchung gestellt werden, sondern sich auf den Nachweis von schlechter werdenden Leistungen aus mindestens zwei Untersuchungen in geeignetem Zeitabstand stützen. Auch hier sind aus neuropsychologischer Perspektive kurze Screening-Verfahren nicht angezeigt (Willmes, 2018), sondern Untersuchungsverfahren mit hinreichend abgestufter quantitativer Leistungsbeurteilung, die erst eine differenzierte Analyse von Leistungsveränderungen zulassen, unabhängig davon ob eine oder mehrere der Untersuchungen im Verlauf im auffälligen Leistungsbereich angesiedelt sind.

Weiterhin ist die Analyse von Leistungsveränderungen nach einer Phase neuropsychologischer Intervention ohne oder in Verbindung mit pharmakologischer oder elektrophysiologischer (Transkranielle Magnetstimulation, Transkranielle Gleichstromstimulation) Behandlung geeignet, um die Wirksamkeit eines Trainings oder einer |4|Therapie zu belegen. Insbesondere der Nachweis differentieller Veränderungen ist zur Stützung eines spezifischen Therapieeffektes aufgrund der Intervention von großer Bedeutung, da beim selben Patienten oft keine geeignete Kontrollbedingung einführbar ist. So sollten diejenigen (Unter-)Testleistungen eines Testprofils nach Beendigung der Therapie deutlich stärkere Verbesserungen aufweisen, die als Indikatoren für die spezifisch trainierte psychische Funktion gelten. Diese Analyse individueller Leistungsmuster und ihr Vergleich ist nicht beschränkt auf die wissenschaftliche Erprobung neuer Therapieansätze oder -methoden, sondern sollte auch Bestandteil ,kontrollierter klinischer Praxis‘ (Petermann, 1992, 1996) oder – moderner ausgedrückt – einer evidenzbasierten Vorgehensweise in der neuropsychologischen Diagnostik und Therapieevaluation sein.

Gerade unter dem Gesichtspunkt einer zunehmenden Forderung nach Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle im gesamten Gesundheitswesen haben Fragen der Überprüfbarkeit diagnostischer Aussagen und Entscheidungen sowie des Nachweises der Wirksamkeit neuropsychologischer Therapie an Bedeutung gewonnen (vgl. Diener et al., 2012).

Aussagen über Patienten anhand von normierten Testverfahren bilden in aller Regel den Schwerpunkt diagnostischer Tätigkeiten klinisch arbeitender Neuropsychologen. Unter Umständen liegen aber für eine spezifische Fragestellung keine geeigneten, etablierten Verfahren vor. Dennoch ist eine diagnostische Aussage erwünscht, die sich dann nur auf bei kleineren Stichproben verwendetes Untersuchungsmaterial stützen kann. Gerade der Vergleich der Leistungen eines Einzelfalles mit einer möglichst gut vergleichbaren kleineren Kontrollgruppe gesunder Personen ist in einer stärker modellorientierten neuropsychologischen Diagnostik sehr relevant. Die Arbeitsgruppe um John Crawford hat sich in vielen Publikationen mit der Entwicklung geeigneter statistischer Testverfahren für den Fall keiner Kontrollgruppen beschäftigt und allgemein zugängliche Software auf einer Internetseite bereitgestellt1.

Die Analyse der Leistungen einzelner Patienten mit einer adäquaten Kontrollgruppe in nicht normierten Testverfahren ist auch für einzelne neuropsychologische Störungsbilder oder Beeinträchtigungsmuster, die generell selten anzutreffen sind, unabdingbar.

Die Analyse von Leistungsdefiziten und Leistungsdissoziationen im Einzelfall ist jedoch nicht unbedingt an die Verwendung normierter Testverfahren oder den Vergleich mit adäquaten Kontrollgruppen gebunden. Vielmehr lassen sich auch mit nicht normierten oder experimentellen Verfahren erhobene Testwerte ohne Rückgriff auf eine Kontrollgruppe inferenzstatistisch auswerten.

In diesem Band wird die Analyse der Leistungsmuster einzelner Patienten unter vier generellen Gesichtspunkten einschließlich ausführlich erläuterter Beispiele anwendungsorientiert dargestellt:

(1)

Inferenzstatistische Analyse von individuellen Leistungsprofilen in normierten psychologischen Testverfahren mit Methoden der psychometrischen Einzelfalldiagnostik

(2)

Inferenzstatistische Analyse von individuellen Leistungsdefiziten und Leistungsdissoziationen im Vergleich mit einer kleineren Kontrollgruppe

(3)

|5|Inferenzstatistische Analyse von Leistungsdissoziationen mit nicht normierten Testverfahren ohne Vergleichsdaten einer Kontrollgruppe

(4)

Evaluation von Therapieeffekten im Einzelfall mit inferenzstatistischen Methoden für normierte Kontrolltestverfahren, für Leistungstestverfahren erhoben an kleineren Stichproben und für nicht normierte Testverfahren ohne Vergleichsdaten.

Die Methoden der psychometrischen Einzelfalldiagnostik werden mittels des frei erhältlichen Programms CASE123 für verschiedene in der neuropsychologischen Diagnostik häufig verwendete Testverfahren u. a. mittels Screenshots demonstriert2. Für die Analyse von Defiziten und Dissoziationen wird die Verwendung von der allgemein im Netz zugänglichen Software der Arbeitsgruppe um Crawford ebenfalls an Beispielen erläutert. Die Analyse ohne Kontrollgruppe wird ebenfalls kurz mit Beispielen demonstriert.

Alle vorgestellten Verfahren sind nicht nur für die Analyse von Daten aus Leistungstests von einzelnen Probanden verwendbar, sondern auch für die Analyse von Fragebogendaten – beispielsweise zu Persönlichkeitseigenschaften, Lebensqualität oder Beschwerden – sowie Einschätzungen auf Analogskalen, etc. Wichtig ist immer darauf zu achten, dass die Skalen, bezüglich derer Daten verglichen werden sollen, gleichsinnig gepolt sind oder falls nicht, vorab eine Umpolung zu erfolgen hat (vgl. Hartje, 1987). Ansonsten sind eventuell scheinbar gefundene Unterschiede trivial auf unterschiedliche Polung zurückzuführen.

Hinweise auf weiterführende Software und Webseiten mit interaktiven statistischen Analyseprogrammen sind auf der Homepage des Hogrefe Verlags unter dem Link hgf.io/einzelfalldiagnostik zu finden.

1

http://homepages.abdn.ac.uk/j.crawford/pages/dept/SingleCaseMethodsComputerPrograms.HTM

2

https://psytest.net/download/CASE123/CASE123.ZIP

2 Analyse von Leistungsprofilen mit der psychometrischen Einzelfalldiagnostik

2.1 Grundbegriffe

Ziel der psychometrischen Einzelfalldiagnostik (Huber, 1973, 1992; Willmes, 1985, 2009b, 2010) ist die zufallskritische Beurteilung der Testleistungen einer Person, indem analog zum statistischen Hypothesentesten in der experimentellen Forschung fehlerkontrollierte Entscheidungen bezüglich diagnostischer Hypothesen über die Gleichheit bzw. Verschiedenheit wahrer Testleistungen bzw. deren Veränderungen über die Zeit getroffen werden. Nach Lienert und Raatz (1998) ist ein psychologischer Test ein „wissenschaftliches Routineverfahren zur Erfassung eines oder mehrerer empirisch abgrenzbarer psychologischer Merkmale mit dem Ziel einer möglichst genauen quantitativen Aussage über den Grad der individuellen Merkmalsausprägung.“ (zitiert nach Lienert & Raatz, 1998, S. 1).

|6|Bevor die spezifischen Grundlagen des Ansatzes der psychometrischen Einzelfalldiagnostik dargestellt werden, muss kurz zu deren Verständnis das Modell der sog. Klassischen Testtheorie (KTT) erläutert werden. Diese geht auf Überlegungen von Spearman und von Yule zurück (vgl. Huber, 1973, S. 47) mit umfangreichen Darstellungen durch Gulliksen (1950) sowie Lord und Novick (1968). Im deutschsprachigen Raum ist besonders das 1961 erstmalig erschienene Buch „Testaufbau und Testanalyse“ von Lienert zu nennen, das bereits in 6. Auflage vorliegt (Lienert & Raatz, 1998) sowie die vertiefende Darstellung von Steyer und Eid (2001), die auch den Zusammenhang zum Messen in der Psychologie allgemein beinhaltet. Im Modell der klassischen Testtheorie ist jede Person charakterisiert durch ihr eigenes Leistungsniveau mit einem eigenen individuellen Ausmaß von Variabilität um dieses Leistungsniveau herum. Dieses Leitungsniveau kann allgemeiner auch das Ausprägungsniveau eines beliebigen psychologischen Merkmals oder jedweder Persönlichkeitseigenschaft sein.

Die wesentliche Modellannahme der KTT besteht darin, dass der beobachtete Testwert X eines zufällig aus einer definierten Personenpopulation ausgewählten Probanden i im Test j sich additiv aus dem wahren Wert des Probanden (τij) sowie einem zufälligen Messfehler (Eij) zusammensetzt. Auch wenn von einem Probanden nur ein einzelner Testwert in Test j beobachtet wird, ist es hilfreich, die Grundgleichung der KTT in Variablenform zu schreiben.

(2.1.1)

Damit ist ausgedrückt, dass ein zu erhebender Wert nicht völlig feststeht, sondern mit einer (unbekannten) Wahrscheinlichkeit beobachtet wird, die durch die intraindividuelle Verteilung möglicher beobachteter Testwerte einer Person bestimmt ist. Weiterhin hat man in der Gleichung den sog. wahren Wert τij des Probanden i im Test j (eigentlich True-Score Variable; vgl. Steyer und Eid, S. 103) und als Messfehlervariable EijXij – τij, sodass die obige additive Zerlegung einer Testvariablen in True-Score Variable und Messfehlervariable resultiert. Macht man noch die unproblematische Annahme, dass die Testvariable eine endliche Varianz hat, so gilt, dass der Erwartungswert der Messfehlervariablen Null ist

(2.1.2)

und dass der wahre Wert eines Probanden gleich dem Erwartungswert (EW) der Testwertvariablen ist.

Man kann sich den Erwartungswert als den Durchschnittswert der beobachteten Werte des Probanden i bei theoretisch unendlich häufiger Vorgabe des Tests j als individuums- und testspezifische Konstante vorstellen:

(2.1.3)

Für die Varianz der Testvariablen für Proband i im Test j gilt dann

(2.1.4)

Sie wird testspezifische Fehlervarianz genannt und könnte prinzipiell für unterschiedliche Probanden einer Population unterschiedlich groß ausfallen. Bei einer einmaligen diagnostischen Untersuchung mit einem resultierenden Testrohwert xij erhält man jedoch keine Information über die mögliche Leistungsvariabilität eines Probanden. |7|Auch wenige Wiederholungen derselben diagnostischen Untersuchung mit demselben Test oder eventuell vorhandenen Parallelformen würden wegen der allgemein zu erwartenden statistischen Abhängigkeit dieser wiederholten Testleistungen die Situation nicht verbessern – ganz abgesehen von der fehlenden Praktikabilität dieses Vorgehens.

Üblicherweise ist die KTT nicht auf die bisher eingeführten intraindividuell definierten Zufallsgrößen und Parameter bezogen, da sie vorrangig für die Analyse interindividueller Unterschiede entwickelt wurde. Unter der Annahme, dass einzelne diagnostisch untersuchte Personen per Zufall ausgewählte Personen aus einer bestimmten Probandenpopulation sind, ist ein für die jeweilige Person beobachteter Testrohwert xij Realisation einer interindividuell definierten Zufallsvariablen X.j , die die Gesamtheit aller möglichen Testrohwerte in der Probandenpopulation bezeichnet. Damit hat man dann die interindividuelle Formulierung der Modellgleichung der KTT:

(2.1.5)

Für die drei Zufallsgrößen nimmt man unproblematischer Weise an, dass ihre Varianzen größer Null und endlich sind, was auch impliziert, dass ihre jeweiligen Erwartungswerte existieren. Insbesondere gilt mit EWi(.) zur Bezeichnung des Erwartungswerts über die Probanden der Referenzpopulation:

(2.1.6)

und

(2.1.7)

Damit kann man den Zusammenhang zu den wichtigen Aussagen der KTT in interindividueller Formulierung herstellen (vgl. Huber, 1973, Kap. 3.7):

(1)

Der Erwartungswert der Fehlervariablen ist EW(E.j) = 0.

(2)

In der Probandenpopulation ist die Korrelation zwischen der True-Score Variable und der Messfehlervariable gleich Null:

(2.1.8)

Der Messfehler ist also nicht beeinflusst vom wahren Leistungsniveau der Probanden; der Test misst in der KTT in allen Leistungsbereichen mit gleicher Genauigkeit.

(3)

In der Probandenpopulation ist die Korrelation zwischen der Fehlervariablen in Test j und der True-Score Variablen in einem zweiten Test k gleich Null:

(2.1.9)

Der Messfehler in einem Testjist somit nicht beeinflusst vom wahren Leistungsniveau der Probanden in einem anderen Test.

(4)

Unter der üblichen Annahme, dass die intraindividuellen Beobachtungsvariablen Xij und Xik experimentell unabhängig sind, ist die Korrelation zwischen den Messfehlern zweier Tests j und k gleich Null:

(2.1.10)

Der Messfehler im Testjist also nicht davon abhängig, wie groß der Messfehler bei Testkist (vgl. genauer beiSteyer & Eid, 2001, S. 123).

(5)

|8|Weiterhin gilt folgende Beziehung

(2.1.11)

d. h. in einer definierten Probandenpopulation ist der Erwartungswert der Rohwerte gleich dem Erwartungswert der wahren Testwerte.

(6)

Für die Varianz der Fehlervariablen in der Probandenpopulation gilt, dass sie identisch ist mit dem Erwartungswert der intraindividuellen testspezifischen Fehlervarianzen sowie der intraindividuellen testspezifischen Rohwertvarianz in der Population

(2.1.12)

Diese Beziehung ist grundlegend für die zufallskritisch orientierte psychometrische Einzelfalldiagnostik. Man kann leicht zeigen (vgl. Huber, 1973, S. 65), dass folgende Beziehung zur Varianz der Rohwerte und zum Reliabilitätsparameter ( ρjj) des Tests j gilt:

(2.1.13)

oder nach Ziehen der Wurzel:

(2.1.14)

Das ist aber nichts anderes als der sog. Standardmessfehler des Tests j (vgl. Lienert & Raatz, 1998).