Eisblumenzauber - Isabella Muhr - E-Book

Eisblumenzauber E-Book

Isabella Muhr

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Beschreibung

Eine junge Mutter auf der Suche nach dem Glück Ella und Ralf kennen und lieben sich seit ihrer Teenagerzeit. Der Höhepunkt dieser Bilderbuchbeziehung heißt Sophia und ist fast ein Jahr alt, als Ellas und Ralfs Ehe in eine gefährliche Krise gerät. Denn Ralf hat Ella betrogen. Was Ella zunächst erfolgreich verdrängen konnte, bricht nach einem aufwühlenden Gespräch mit ihren Freundinnen unerwartet heftig wieder hervor und die junge Mutter muss sich eingestehen: Sie hat durch Ralfs Seitensprung nicht nur das Vertrauen in ihn, sondern auch in sich selbst verloren. Gott sei Dank hat Ella ihre beste Freundin Linda in dieser schweren Zeit an ihrer Seite. Doch aller Unterstützung zum Trotz kann nur Ella selbst entscheiden, ob sie am Ende mutig genug ist, um ihre Ehe zu kämpfen ...  »Eisblumenzauber« ist der dritte Band der Blumenzauber-Reihe und erzählt Ellas Geschichte. Es handelt sich hierbei um einen in sich abgeschlossenen Roman, der auch unabhängig von den anderen beiden Teilen gelesen werden kann. Von Isabella Muhr sind in der Blumenzauber-Reihe bei Forever erschienen: »Schneeglöckchenzauber« (Band 1) »Veilchenzauber« (Band 2) »Eisblumenzauber« (Band 3)

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Die AutorinIsabella Muhr, geboren 1984 in Moosburg an der Isar, lebt und liebt seit 2001 in München und arbeitet dort als Erzieherin. Bereits zu Schulzeiten hat sie ihre Klassenkameraden mit kleinen Kurzgeschichten unterhalten und sich schließlich kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag den großen Traum vom ersten eigenen Roman erfüllt. Seither schreibt sie mit Begeisterung an neuen Projekten. Zusammen mit ihrem Mann, ihren beiden Söhnen und ihrer Katze wohnt sie am Münchener Stadtrand und backt und häkelt, als hätte sie eine Großfamilie.

Das BuchElla und Ralf kennen und lieben sich seit ihrer Teenagerzeit. Der Höhepunkt dieser Bilderbuchbeziehung heißt Sophia und ist fast ein Jahr alt, als Ellas und Ralfs Ehe in eine gefährliche Krise gerät. Denn Ralf hat Ella betrogen. Was Ella zunächst erfolgreich verdrängen konnte, bricht nach einem aufwühlenden Gespräch mit ihren Freundinnen unerwartet heftig wieder hervor und die junge Mutter muss sich eingestehen: Sie hat durch Ralfs Seitensprung nicht nur das Vertrauen in ihn, sondern auch in sich selbst verloren. Gott sei Dank hat Ella ihre beste Freundin Linda in dieser schweren Zeit an ihrer Seite. Doch aller Unterstützung zum Trotz kann nur Ella selbst entscheiden, ob sie am Ende mutig genug ist, um ihre Ehe zu kämpfen ...  Eisblumenzauber ist der dritte Band der Blumenzauber-Reihe und erzählt Ellas Geschichte. Es handelt sich hierbei um einen in sich abgeschlossenen Roman, der auch unabhängig von den anderen beiden Teilen gelesen werden kann.  Von Isabella Muhr sind in der Blumenzauber-Reihe bei Forever erschienen: »Schneeglöckchenzauber« (Band 1) »Veilchenzauber« (Band 2) »Eisblumenzauber« (Band 3) 

Isabella Muhr

Eisblumenzauber

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2016 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-090-1  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Für Thomas Muhr,

weil unsere Liebesgeschichte schöner ist, als es jemals ein Roman sein könnte.

Informationen zur Blumenzauber-Reihe

Die melancholische Nadine, die lebenslustige Linda und die introvertierte Ella könnten unterschiedlicher nicht sein. Was die drei Freundinnen verbindet, sind ihre neue Rolle als Mutter und ein Winter voller Veränderungen. Während sich Linda mit dem Gedanken beschäftigt, ihren Mann zu betrügen, versucht Nadine gerade verzweifelt, eben dies nicht zu tun. Ella wollte eigentlich nur mit ihren Freundinnen einen Abend lang abschalten und Spaß haben, da trifft sie ausgerechnet auf ihren Exfreund Chris …

Drei Geschichten über Freundschaft, Liebe und die Erkenntnis, dass man sein Happy End nicht finden kann, bevor man nicht zu sich selbst gefunden hat.

***

Protagonisten

Nadine FischbachMann: Torsten SeifertSohn: Fynn Fischbach

Linda BlodigMann: Dennis BlodigTochter: Luisa Blodig

Ella SteinbeckMann: Ralf SteinbeckTochter: Sophia Steinbeck

Dies ist ein fiktiver Roman. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Liebe folgt keinen Kriterien. Es ist die bloße Existenz eines Gefühls, das so individuell verschieden ist wie die Menschheit selbst. Und doch gibt es nichts, was uns mehr miteinander verbindet.

Prolog

August 2011

Das Hotel »Alte Mühle« am Ortsrand von Knollenburg erglühte in einer traumhaften Farbexplosion aus flammendem Sonnen-untergangsrot.

Auf den Tischen flackerten die Kerzen in großen Windlichtern im Takt des Sommerwinds und brachten die daneben als Dekoration angerichteten Wildblumen zum Leuchten. Das Rauschen des Baches, welcher sich um das Grundstück schlängelte, vermischte sich mit dem ausgelassenen Stimmengewirr der Gäste. Laubbäume in üppigem Grün drängten sich dicht an dicht wie ein schützender Umhang um das Anwesen und trennten die angrenzenden Maisfelder vom Grundstück ab. Die Abendsonne tanzte durch ihre Baumkronen und landete schließlich in schrägem Einfall auf Ella, die gerade vom Fenster der Hochzeitssuite aus auf den Innenhof hinabblickte. Sie hatte ihr schwarzes Haar zu einem klassischen Dutt nach oben gebunden, so dass ihre leuchtenden Mondstein-Ohrhänger zusammen mit ihren strahlend blauen Augen besonders gut zur Geltung kamen. Der seiden glänzende Stoff ihres hochgeschlossenen, schlichten Brautkleides umschmeichelte ihre zarte Figur und ließ sie sehr edel und anmutig wirken. Beinahe zärtlich fuhr sie mit ihren feinen Fingern die Glasscheibe entlang, hinter der sich all die vielen Gäste tummelten. Alles geliebte Menschen, die nur wegen ihr und Ralf da waren. Alle hatten sich versammelt, um gemeinsam mit dem Brautpaar zu feiern. Alle, bis auf eine …

Ein Seufzer erfüllte den Raum, und Ellas Kopf sank kraftlos gegen das von der Sommersonne erhitzte Glas. Sanfte Hände antworteten prompt und umfassten mit stützendem Griff ihre zierliche Taille. Ella schloss ihre Augen und genoss die tröstliche Wärme von Ralfs Körper, der sich von hinten an ihren Rücken schmiegte, und ließ sich bereitwillig gegen ihn sinken. Sie konnte sein Herz durch den dünnen Stoff ihres Kleides pulsieren spüren, und ein wohliges Kribbeln breitete sich auf ihrer Haut aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen reckte sie sich ihm entgegen.

»Na, Frau Steinbeck, was gibt es da am Hochzeitstag zu seufzen?«, raunte er ihr ins Ohr, und Ella bekam eine Gänsehaut, weil sein Atem ihren Nacken kitzelte. Wie ein schüchterner Teenager hob sie ihre Schultern an und wand sich verspielt im Radius seiner Umarmung, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Ralfs sanfte Augen versenkten sich in den ihren, und der leise Anflug von Trübsal war mit einem Mal wie weggeblasen. Ella betrachtete die vertrauten Gesichtszüge ihres Mannes, die ihr nun schon seit zehn Jahren das Liebste auf der Welt waren. Zärtlich, beinahe ehrfürchtig glitten ihre Fingerkuppen über das glatt rasierte Kinn und hinauf zu seinem kräftigen dunklen Haar, das ihm lässig in die Stirn fiel. Er roch nach Aftershave – roch so vertraut. Ihre Blicke trafen sich erneut, und Ella konnte spüren, wie die Ernsthaftigkeit, die ihre Augen eben noch fest im Griff hatten, von Ralfs Güte hinfortgespült wurde. Sie tauchte ein in dieses sanfte Braun, das wie ein Meer aus flüssiger Zartbitterschokolade funkelte, und fühlte sich in diesem Moment unendlich dankbar und glücklich. Sie küssten sich lange und zärtlich im rötlichen Schein der Abendsonne, bevor ihrer beider Aufmerksamkeit zurück auf den Innenhof gelenkt wurde. Die Band hatte nach ihrer Pause wieder begonnen zu spielen, und lautes Gelächter dröhnte zum Brautpaar hinauf.

»Wir sollten wieder runtergehen, findest du nicht?«, meinte Ella und klang dabei weniger motiviert. Der schönste Teil des Tages war vorüber. Sie hatte »Ja« zu ihrem Traummann gesagt und in der Freude und den Glückwünschen von Familie und Freunden gebadet. Jetzt warteten die üblichen Brautspielchen und eine Brautentführung auf sie. Ella war nicht der Typ, der derlei Traditionen zu schätzen wusste. Ralf schmunzelte, als wüsste er genau, was im Kopf seiner Frau vorging, und verschränkte seine Finger mit den ihren.

»Wir haben gesehen, wie Onkel Albert eingeschlafen und von der Kirchenbank gerutscht ist, wie sich der Dackel von meiner Großmutter beinahe selbst im Bach ertränkt hat und den kleinen Kevin, der mitten auf die Wiese vor das Buffet gepinkelt hat. Ich würde sagen, das sind genug Höhepunkte für einen Tag.« Sie kicherte leise an seiner Brust. »Und sollte tatsächlich noch etwas Weltbewegendes geschehen, bin ich mir sicher, dass es mit den ganzen Einwegkameras, die du auf den Tischen verteilt hast, genug Beweisfotos für uns geben wird«, setzte er nach und stahl sich einen weiteren Kuss von Ellas Lippen.

»Du willst nicht live dabei sein, wenn der erste Volltrunkene in die Torte fällt, oder eine der Brautjungfern anfängt, Karaoke zu singen?«, witzelte sie und hob mit gespielter Empörung eine Augenbraue. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, doch seine Augen blieben ernst, als er sagte:

»Wir haben die Tanzfläche eröffnet und den Kuchen angeschnitten. Unser Job ist damit erledigt. Lass mich dich entführen, bevor es die Jungs dort unten tun.«

Ella, die noch nicht so recht glauben wollte, dass ihr Ehemann diesen Vorschlag tatsächlich ernst meinte, amüsierte sich über die Vorstellung. »Das wäre toll, wenn wir einfach so verschwinden könnten«, sinnierte sie. Sie spielte die Szene bereits in ihrem Kopf durch, und sofort wurde ihr Hochgefühl durch einen entscheidenden Eckpunkt dieser Geschichte getrübt. Nämlich die Tatsache, dass sie ihrer besten Freundin am Ende nicht von diesem Abenteuer würde berichten können. Das Lächeln auf ihren Lippen schrumpelte zusammen, und zurück blieb nichts weiter als ein verhärmter Strich.

»Was ist los?«, erkundigte sich Ralf alarmiert und hob mit besorgter Miene Ellas Kinn an, damit sie seinem forschenden Blick nicht ausweichen konnte.

Ella versuchte sich an einem beschwichtigenden Lächeln, um Zeit zu gewinnen. Sie hatte Angst, die Stimmung zu ruinieren, indem sie mit dem Thema Linda anfing, aber andererseits wollte sie Ralf auch nicht anlügen. Ralf würde nicht locker lassen. Nicht heute. Seine Augen auf ihrem Gesicht machten sie ganz nervös. Schließlich gab sie nach. »Ich wünschte einfach, Linda wäre gekommen«, erklärte sie mit resigniertem Tonfall und blickte wehmütig auf die Gästeschar zu ihren Füßen.

Ralf folgte ihrem Blick. Mit zusammengezogenen Augenbrauen, die ihn auf einmal sehr mürrisch aussehen ließen, starrte er aus dem Fenster und kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. Er zog seine Braut schützend in die Arme und gab ihr einen langen Kuss auf die Stirn. Seine Augen hatten sich gefährlich verdunkelt, als er sie schließlich wieder freigab. Dann reichte er ihr die Hand. »Komm, wir gehen«, bestimmte er, und sein Tonfall ließ keinerlei Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

»Jetzt?« Ella blinzelte ungläubig, als sie die Entschlossenheit in seinen Augen erkannte.

»Ja, jetzt«, versicherte er tonlos und zog sie mit sich, bevor sie überhaupt reagieren konnte.

Ella war so aufgeregt wie eine Fünfjährige am Weihnachtsmorgen, als sie die knarrenden Stufen der Holztreppe hinunterhuschte. Hastig sah sie sich nach allen Seiten um, doch es schien sie niemand zu bemerken. Ralf marschierte zielstrebig voraus und zeigte keinerlei Bedenken, erwischt oder aufgehalten zu werden. Ella imponierte diese überraschend rebellische Attitüde ihres Mannes, die so gar nicht zu dem sonst so gewissenhaften Ralf passen wollte.

»Was hast du mit mir vor?«, verlangte sie zu wissen, und ihre Augen leuchteten voller Erwartung. Ralf überging ihre Frage mit einem vielsagenden Lächeln und hielt ihr die Tür des Hintereingangs auf.

»Für Vegas ist es jetzt zu spät Cowboy, wir haben schon JA zueinander gesagt«, gab sie belustigt zu bedenken, als sie an ihm vorbei ins Freie schlich.

»Für Vegas ist es nie zu spät«, widersprach er und zwinkerte ihr dabei zu.

Von der Sommersonne war lediglich ein feuriges Glimmen am Horizont übrig geblieben, als Ralf mit seiner Angetrauten direkt auf das Maisfeld zusteuerte. Ella runzelte verwirrt die Stirn, während sie sich zwischen den hohen Maisstauden hindurchwanden. »Was hast du vor?«, fragte sie, und leises Misstrauen schwang in ihrer Stimme mit. Als Ralf nicht antwortete, wurden ihre Schritte zögerlicher, und ihre Hand versteifte sich in der seinen.

Ralf dachte gar nicht daran, sich mit Erklärungen aufzuhalten, und zog sie mit selbstbewusster Bestimmtheit durch das grüne Dickicht. »Es wird Zeit für dein Hochzeitsgeschenk«, war die einzige Andeutung, zu der er sich hinreißen ließ.

Ella konnte erkennen, dass er lächelte, und ein nervöses Flattern in ihrer Brust sorgte in ihrem Inneren für helle Aufregung. Das alles war derart aufregend und abenteuerlich, dass sie ganz feuchte Hände bekam. Ralf und sie waren ein vernünftiges, fast schon spießiges Paar. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag klammheimlich zur Hintertür eines Gasthauses hinausschleichen und in einem Maisfeld verschwinden würden.

Als Ralf plötzlich mitten im Feld innehielt, wäre sie beinahe in ihn hineingerannt, so abgelenkt war sie. Sie hielt sich mit beiden Händen an seinen Schultern fest und folgte seinem Blick. Als sie die ganzen Kissen und LED-Teelichter am Boden erkannte, die mitten in dem ganzen Grünzeug wirkten wie ein Legostein in einem Moosgeflecht, blieb ihr vor lauter Überraschung der Mund offen stehen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie dort stand, ohne sich bewegen zu können, doch nach einer Weile tätschelte ihr Ralf die rechte Hand und meinte: »Keine Angst: Ich weiß, wie wichtig dir bleibende Erinnerungen sind. Deshalb habe ich bereits im Vorfeld alles abfotografiert.«

Ella war noch immer viel zu baff, um einen ordentlichen Satz über die Lippen zu bringen, deshalb schüttelte sie nur ungläubig den Kopf.

»Unsere Beziehung begann in einem Maisfeld. Da dachte ich mir, es ist nur fair, wenn unsere Ehe die gleichen Startvoraussetzungen bekommt.« Mit stolzgeschwellter Brust hatte er sich mittlerweile zu ihr herumgedreht und schenkte ihr ein hinreißendes Lächeln.

Übermütig schlang sie ihre Arme um seinen Hals. »Das ist …«, begann sie, doch ihr wollten keine geeigneten Worte für diese Situation einfallen.

Hastig hielt er ihr mit dem Zeigefinger den Mund zu und nickte bedächtig. »Genau – das ist total romantisch«, beendete er ihren Satz.

»Ich wollte eigentlich total verrückt sagen«, gluckste sie amüsiert. »Aber romantisch ist auch okay.«

»Ich liebe dich«, sagte Ralf. Dann verschloss er Ellas freches Mundwerk mit einem leidenschaftlichen Kuss, und gemeinsam ließen sie sich auf den Berg aus Kissen neben sich sinken.

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, und die Musik der Hochzeitsband plätscherte in sanften Wogen über das Brautpaar, welches eng umschlungen mitten in einem Feld lag und verträumt zu den Sternen emporblickte, hinweg. »Das ist die krasseste Hochzeitsnacht aller Zeiten«, stellte Ella ehrfürchtig fest und malte mit dem Zeigefinger kleine Kreise auf Ralfs Brust. Das Einzige, was sie vor der herannahenden Abendkälte schützte, war Ralfs Jackett, das sie sich über die nackten Schultern geworfen hatte. Ihr Kleid lag zerknittert und mit Grasflecken übersät zu ihren Füßen, und sie fühlte sich verschwitzt und verwuschelt, doch sie war nie glücklicher gewesen. Ralf, dessen Kleidung nicht weniger mitgenommen aussah, lächelte lediglich zustimmend und gab seiner Frau einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

»Sollten wir nicht langsam zurück?«, fragte Ella etwas unsicher. »Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.«

Ralf schmunzelte. »Glaub mir, mein Schatz, die Letzte, die ich über meinen geplanten Ausflug informiert habe, bist du. Die machen sich garantiert keine Sorgen. Oder glaubst du wirklich, ich hätte diesen Alien-Kornkreis hier ohne die Hilfe von Bauer Lamprecht hinbekommen? Geschweige denn, dich auf deiner eigenen Hochzeit unter den Argusaugen deiner kontrollsüchtigen Mutter hinausschmuggeln? Wir können froh sein, wenn sie uns nicht heimlich aufgelauert und gefilmt haben.«

Ella lachte laut auf. Es klang ausgelassen und wunderschön. »Du bist ein wahres Organisationstalent«, lobte sie anerkennend und setzte hinzu: »Verschlagen und berechnend.«

»Deswegen hast du mich ja auch geheiratet«, konterte Ralf. »Gib‘s doch zu, du stehst auf Bad Boys.« Er schnappte nach ihrer Hand, die auf seiner Brust ruhte, und küsste diese zärtlich. Der innige Blick, den er ihr dabei schenkte, sorgte dafür, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Ein ungläubiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wie schaffte es dieser Mann, dass sie sich nach zehn Jahren immer noch wie ein verliebter Teenager in seiner Gegenwart fühlte? Zeit schien für ihre Beziehung zueinander keinerlei Bedeutung zu kennen.

»Ich liebe dich«, wisperte sie und senkte ihre Stirn gegen seine. Mit geschlossenen Augen saugte sie diesen besonderen Moment in sich auf und versuchte, mit bloßer Willenskraft die Zeit anzuhalten.

Als sie kurz darauf wieder in seinen Armen lag, um schweigend mit ihm die Sterne zu betrachten und ihrem eigenen Hochgefühl nachzuspüren, fragte sie sich, ob es wohl verwerflich war, derartig glücklich zu sein. »Woran denkst du gerade?«, wollte sie von Ralf wissen.

»An dich natürlich«, versicherte er ihr sogleich mit übertrieben säuselndem Tonfall, und sie konnte das freche Grinsen auf seinem Gesicht erahnen.

Ihre Augen blitzten herausfordernd, als sie sich auf seinen Bauch rollte. »Fühlt sich gut an, nicht wahr?«, bemerkte sie selbstbewusst und wackelte dabei kokett mit den Augenbrauen.

Er zog in einer grüblerischen Pose einen Flunsch und schüttelte dann entschieden mit dem Kopf. »Mmh … Nein«, entschied er schließlich.

»Nein?«, fragte Ella ungläubig und musste sich ein Lächeln verkneifen.

Ralfs Selbstbeherrschung war offensichtlich weniger ausgeprägt, denn er lächelte bereits, als er erneut den Kopf schüttelte. »Nein«, wiederholte er und legte eine dramatische Pause ein. »Es fühlt sich wie zu Hause an.«

Vier Jahre später

1

September 2015

Nr. 12: Weil du mir so liebevoll den Nacken streichelst, wann immer du Zeit findest, weil du weißt, wie sehr ich das mag.

Ella stand unter der Dusche, um die bleischweren Themen des heutigen Tages von ihren Schultern zu waschen, und ärgerte sich über sich selbst. Bis vor wenigen Stunden war es ein ganz normaler Tag gewesen. Sie hatte sich mit ihren Freundinnen und den Kindern am Spielplatz getroffen und in völliger Entspannung die Spätsommersonne genossen. Bis Linda mit dieser Hammer-Info über ihre Affäre um die Ecke gekommen war und Ella damit total aus der Bahn geworfen hatte. Dass ihre Freundin ihren Ehemann ausgerechnet mit ihrem Nachbarn betrügen wollte, war für Ella schwer zu akzeptieren. Zunächst hatte sie wirklich lange durchgehalten, Haltung bewahrt und geschwiegen. Sie hatte sich als aufmerksame Zuhörerin präsentiert und sich um ein wertfreies Erscheinungsbild bemüht. Doch das Thema ging ihr zu nahe, und als Nadine auch noch angefangen hatte, eine hitzige Diskussion daraus zu machen, da war es irgendwie über Ella gekommen. Missbilligend schüttelte sie ihren Kopf unter dem heißen Strahl, während sie sich erinnerte. Hatte sie denn ausgerechnet diese grausamste aller Episoden ihrer Ehe ans Licht der Öffentlichkeit zerren müssen? Nach all den guten Vorsätzen, es als großes scharlachrotes Tabu aus der Stadt zu jagen, tanzte es nun dreist und mit herausgestreckter Zunge auf Ellas Nase herum.

»Wer weiß, ob Dennis unsere Linda nicht auch schon längst betrogen hat. Hat Ralf auch schon gemacht.« Was hatte sie sich nur dabei gedacht, diesen Gedanken laut auszusprechen? Ella hielt ihren Kopf unter den warmen Wasserstrahl und grübelte. Als dunkles Geheimnis verpackt, war Ralfs Seitensprung das letzte Jahr im Sumpf der Verdrängung umhergetrieben und hatte mit der Widerwärtigkeit seiner Existenz niemanden beleidigt. Und nun hatte sie es in einem Anflug geistiger Umnachtung einfach so am helllichten Tag vor ihren Freundinnen ausgepackt. Mit seiner Preisgabe hatte sie all die schrecklichen Gefühle freigelegt, die sie bisher so erfolgreich hatte ausblenden können. Mit einem Mal fühlte sie sich beschämt, gedemütigt und wütend zugleich. Genau wie damals an dem Abend, als Ralf ihr erzählt hatte, dass er mit einer in Köln stationierten Kollegin gebumst hatte. Richtig klischeemäßig waren sie während eines Schulungsseminars über Metakommunikation im Bayerischen Wald aneinander und offensichtlich später auch noch ineinander geraten. Bei dem Gedanken daran, wie Ralf mit einer anderen Frau Intimitäten austauschte, fing ihre Kopfhaut an zu prickeln. Die Zeit danach war furchtbar gewesen. Sie hatte sich schrecklich elend und vor allem ratlos gefühlt. Ralf und sie waren seit ihrem sechzehnten Lebensjahr zusammen. Ihre Beziehung hatte viel erlebt, doch nichts davon hatte ihre Verbundenheit zueinander erschüttern können. Bis zu diesem Tag. Nur widerstrebend dachte sie an diesen dunklen Moment ihrer Biographie zurück. Damals war eine Welt für sie zusammengebrochen. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte sich der Blick auf ihre Beziehung um 180 Grad gedreht. Am konkretesten konnte sie sich an eines erinnern: an Ralfs Gesichtsausdruck, nachdem er es ihr gestanden hatte. Das war die grausamste und quälendste aller Erinnerungen. Diese Mischung aus Mitleid und Bedauern, die sie in die Rolle des Opfers drängte und die ganze Situation noch tausendmal schlimmer machte, als sie ohnehin bereits war, hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt. Er hatte die Verwandlung von der stolzen Ehefrau in eine hilflose Betrogene Realität werden lassen. Genau derselbe Gesichtsausdruck, der sich auch auf die Gesichter von Linda und Nadine geschlichen hatte, nachdem sie mit dieser ungeliebten Geschichte herausgeplatzt war. Und genau das war es, was Ella letztendlich das Herz gebrochen hatte. Nicht der Sex, den er gehabt hatte, sondern die radikale Veränderung ihres Verhältnisses zueinander. Bis heute versuchte sie, sein Verhalten zu relativieren, indem sie sich die damals vorherrschende Situation immer und immer wieder vor Augen führte, um den Schmerz erträglicher zu machen.

Sie war schwanger, dick und schlecht gelaunt gewesen. Die neue Verantwortung, die Aussicht auf drastische Veränderungen, und dann auch noch eine Frau, die für ihn kaum wiederzuerkennen war, mussten Ralf schwer zugesetzt haben. Dass er in dieser Zeit Panik gekriegt und sich in die Arme einer anderen Frau geflüchtet hatte, war für Ella (damals wie heute) durchaus verständlich. Verheiratet zu sein bedeutete nicht, dass man aufhörte, ein Mensch mit Fehlern zu sein.

Und dennoch: Etwas zu verstehen war die eine Sache, damit zurechtzukommen eine völlig andere.

Ella spürte, wie sich heiße Tränen unter das Duschwasser mischten. Sie erinnerte sich, wie er ihr mit feuchten Augen und blanker Angst im Gesicht beteuert hatte, dass es ihm nichts bedeutet hätte und wie groß seine Befürchtung wäre, sie zu verlieren. Er hatte sie mit lahmen Entschuldigungen und schalen Versprechungen überhäuft, schwor, dass es eine einmalige Sache gewesen war. Dass es nie wieder vorkäme und er sich selbst auf ewig für diesen schrecklichen Ausrutscher hassen würde. Sie hatte sich noch am selben Abend dazu entschieden, ihm zu verzeihen. Aber das, was sie wusste, konnte sie nicht vergessen. Das, was sie von nun an fühlte, nicht verdrängen. Ihre Emotionen waren ihre Emotionen. Die ließen sich nicht in ihr Handwerk pfuschen. Es war passiert, und es ließ sich nicht rückgängig machen.

Ihre besten Absichten, aus der ganzen Sache kein großes Ding zu machen, scheiterten kläglich an ihren verletzten Gefühlen. Sie sprach mit Ralf kein einziges Mal mehr über den Vorfall oder diese Gefühle, weinte nur, wenn er nicht zu Hause war, und befahl sich, ihren Schmerz so lange zu ignorieren, bis er von alleine wieder verschwinden würde. Aber dieser besagte Schmerz ließ sich länger Zeit, als ihr lieb war. Zwischen Ella und Ralf war es seither nicht mehr dasselbe. Sie wusste, dass er unter ihrer Veränderung und dem damit verbundenen Verhalten litt. Er sagte ihr regelmäßig, wenn sie nachts alleine im Bett eng ineinander verschlungen dalagen und sich gegenseitig beim Atmen zuhörten, dass er sie vermisste. Sie wusste genau, worauf er hinauswollte, aber sie hatte einfach nicht die Kraft und den Mut, sich mit ihm und der Sache auseinanderzusetzen. Viele Fragen brannten in ihrer Brust (vor allem die Frage nach dem Warum), aber sie wagte nicht, auch nur eine Einzige davon direkt an Ralf zu richten. Dieser Konflikt, dieser Berg an unaufgearbeiteten Gefühlen und diese Kette, geflochten aus unausgesprochenen Gedanken, lagen zwischen ihnen. Deutlich spürbar, tierisch unangenehm und doch war die Angst vor einem klärenden Gespräch zu groß, als dass sie bereit gewesen wäre, diesen Berg zu besteigen bzw. diese Kette in seine Gliedmaßen aufzudröseln und zu entsorgen. Also hatte sie dieses Thema und die dazugehörigen Gefühle einfach weggesperrt und gehofft, dass sie irgendwann wegen mangelnder Aufmerksamkeit verhungern würden.

Aber sie waren zäh geblieben, und jetzt hatte sie Ella auch noch selbst zurück ans Tageslicht gezerrt und ihren engsten Freundinnen präsentiert. Ella rubbelte mit hektischen Bewegungen das Duschgel von ihrer Haut, als könnte sie sich damit das Beklemmungsgefühl in der Brust wegwaschen. Sie schniefte geräuschvoll und fühlte sich mit einem Mal ganz klein und schutzlos. Sie wünschte, sie hätte diese Sache nie zur Sprache gebracht, hätte sie nicht wieder rausgelassen und all den Schmerz, der damit verbunden war. Aber Lindas Eröffnung, sich mit ihrem Nachbarn auf ein Stelldichein zu treffen, hatte alte Bilder heraufbeschworen, tiefe Wunden aufgerissen und sie emotional derart mitgenommen, dass es quasi wie von selbst aus ihr herausgeplatzt war. Dass sie nun in dieser Angelegenheit auch noch Helferlein spielen und auf Lindas Tochter aufpassen sollte, damit sich diese ihrem Nachbarn widmen konnte, machte das Ganze nicht besser. Wie konnte sie ihre Freundin bei einer Aktion unterstützen, die sie selbst für verwerflich hielt?

Was Ella unheimlich half, war das Wissen darum, dass Linda offensichtlich das schlechte Gewissen plagte. Ihre Entscheidung war mit Sicherheit nicht leichtfertig und über Nacht gefallen. Genauso wie bei Ralf damals, war sie nun auch bei Linda weit davon entfernt, sie kategorisch zu verurteilen. Linda war eben so. Wenn ihr etwas nicht passte, dann ging sie. Ohne Vorankündigung und ohne großartig darüber zu verhandeln. Sie entschied, wie tief die Beziehung zu ihren Mitmenschen war – sie behielt die Kontrolle. Linda war damals so plötzlich und so radikal aus Ellas Leben getreten, dass diese nicht geglaubt hatte, überhaupt jemals wieder ein Wort mit ihr zu wechseln. Und jetzt trafen sie sich mehrmals die Woche und plauderten miteinander. So als wären sie nie voneinander getrennt gewesen. So wie sich Linda damals vor knapp zwölf Jahren dazu entschieden hatte, den Kontakt zu ihr abzubrechen, auf dieselbe Weise hatte sie sich, als sie sich derart unerwartet über Facebook bei Ella gemeldet hatte, auf einmal und völlig unvorbereitet dazu entschieden, dass sie wieder Freundinnen waren.

Seit ihr Marita in der Schule damals übel zugesetzt hatte, war Linda nicht mehr bereit gewesen, sich in eine passive Rolle drängen zu lassen. Das hatte Ella am eigenen Leib zu spüren bekommen, und nun würde es Dennis ebenso ergehen. Auch wenn Ella besser als jeder andere wusste, was Dennis bevorstand, so konnte sie dennoch kein richtiges Mitleid für ihn empfinden. Ihr Herz hatte sich nie wirklich für diesen Kerl erwärmen können. Wenn sie Linda und Dennis zusammen beobachtete, hatte Ella immer das Gefühl, Dennis fühlte sich durch Lindas Anwesenheit gestört. Dieser Mann war kühl, lieblos und hatte etwas Bedrohliches an sich. Ella fühlte sich stets unwohl in seiner Gegenwart. Dennoch belastete sie Lindas Vorhaben auf quälende Art und Weise.

Ella schnaubte sich den Leidensdruck aus den Lungen und blies die feinen Wassertropfen von ihrer Oberlippe. Nur widerstrebend schälte sie sich aus der Geborgenheit ihrer Dusche und schlang sich ein Handtuch um die Hüften. Sie konnte sich nicht ewig im Bad verstecken. Ihre kristallblauen Augen starrten ihr kühl durch den mit Dampf verhangenen Badezimmerspiegel entgegen. Ihre dunklen Haare boten einen exotischen Kontrast zu ihren strahlend hellen Augen und umrahmten ihr blasses Gesicht. Ella widerstand dem Impuls, das Wasser von der Oberfläche des Spiegelglases zu wischen, und betrachtete stattdessen mit schief gelegtem Kopf die schummrigen Konturen, die der Spiegel von ihrem Körper hinter der Wand aus Wasserstaub zeichnete. Der Ruf ihrer Tochter aus dem Kinderzimmer sorgte dafür, dass sie sich schließlich von der verschwommenen Abbildung ihres Selbst lösen und in die Realität des Alltags zurückfinden musste.

Sophia stapelte mit hoch konzentrierter Miene und bewundernswerter Ausdauer immer die gleichen drei Bausteine auf ihrem Spielteppich in der Wohnküche übereinander, während sich Ella an einem Abendessen versuchte. Gedankenversunken starrte sie in den köchelnden Reis vor sich, als sie Ralfs schwere Schritte im Hausflur hallen hörte. Ihre Finger krampften sich in plötzlicher Anspannung um den Löffel in ihrer Hand. Schnell strich sie sich die Haare, die ihr noch in feuchten Strähnen im Gesicht klebten, mit dem Handrücken beiseite und leckte sich nervös über die Lippen. Ihr Kopf zuckte für eine flüchtige Sekunde über ihre Schulter, während sie seine Silhouette durch das von Dunkelheit geschwärzte Küchenfenster erkannte. Doch der Rest ihres Körpers verharrte wie gelähmt in seiner Position.

Ralf marschierte zielsicher mit dem beschwingten Gang eines Nichtsahnenden auf seine Frau zu und schenkte ihr einen routinierten Begrüßungskuss auf die Wange. Seine Haut fühlte sich kühl und frisch auf ihrem Wangenknochen an, und sie schloss (kurzzeitig eingenommen von der tröstlichen Geborgenheit, die dieser Kuss versprach) ihre Augen. Es war wohl windig draußen, denn er roch nach Herbst. Seine Hand glitt wie selbstverständlich um ihre Taille, und sie schmiegte sich an ihn, wie sie es seit so vielen Jahren tat, ohne noch großartig darüber nachzudenken. Es war so vertraut wie Atmen geworden, und dennoch wagte sie es nicht, sich in diesem Moment zu ihm herumzudrehen und ihm in die Augen zu sehen. Er hätte sofort erkannt, dass sie sich aufgewühlt und durcheinander fühlte, und das war das Letzte, was sie anstrebte. Es waren ihre Gefühle, und sie gedachte, sich selbst mit ihnen auseinanderzusetzen.

»Was kochst du denn Leckeres?«, erklang Ralfs muntere Stimme, und Ella musste trotz ihres getrübten Gemüts schmunzeln, weil sie wusste, dass ihre gesundheitsbewussten Gerichte nicht zu den Dingen gehörten, die Ralf an ihr schätzte.

»Gemüsecurry mit Reis«, war die knappe Antwort, und Ella machte keinen Hehl aus ihrem schadenfrohen Tonfall. »Wie war die Arbeit?«, erkundigte sie sich und ignorierte dabei Ralfs verächtliches Schnauben, das dem Abendessen galt.

Ralf und Ella hatten nach ihrem gemeinsamen BWL-Studium zufällig beim gleichen Unternehmen den Einstieg in die Berufswelt gefunden. Auch wenn Ralf mittlerweile von der Credule-Bank abgeworben worden war und nicht mehr bei Pits & Care als Unternehmensberater tätig war, kooperierte er in seiner neuen Position als Bereichsleiter des Vertriebs immer noch eng mit seiner alten Firma, und Ella freute sich über jede Neuigkeit, die ihre alten Arbeitskollegen betraf. Ella liebte das Muttersein. Doch ihre beratende Tätigkeit und vor allem die Arbeit im Team fehlten ihr sehr, und so brannte sie jeden Abend darauf, ein paar kleine Anekdoten von Ralf zu erhaschen, in denen so viele bekannte Schnittpunkte ihrer jungen Vergangenheit zu finden waren. Auch heute wurden ihre Erwartungen nicht enttäuscht.

»Ich habe mich in der Mittagspause mit Mario getroffen. Er hat erzählt, dass Frau Kaster die Leitung des Hursh-and-Skulls-Projekts übernommen hat, und jetzt ist der gute Schnippsch beleidigt. Du weißt ja, wie ausgeprägt sein Ego ist. Wenn es nach ihm ginge, würde er jeden großen Auftrag für sich beanspruchen«, berichtete Ralf und beugte sich währenddessen zu seiner spielenden Tochter hinab. Ella nickte wissend, und ein schadenfrohes Grinsen huschte bei dem Gedanken an Herrn Schnippschs Grumpy-cat-Gesicht über ihre Lippen.

Während sich Ella noch mit ihrer geistigen Reise in ein früheres Leben beschäftigte, war Ralf nun voll und ganz in seiner Vaterrolle angekommen. Mit rührender Begeisterung betrachtete Ralf Sophias Bauwerk und drückte seine Tochter an die durch väterlichen Stolz geschwellte Brust. Sophia patschte ihm im Gesicht herum und begrüßte ihren Vater mit kindlicher Euphorie. Die beiden gaben ein hinreißendes Pärchen ab. Ralfs Haare, die an manchen Stellen bereits gräulich schimmerten, gepaart mit seiner stoischen Ruhe, die er ausstrahlte, ließen Ralf ohnehin sehr reif und sexy erscheinen. Doch wenn er dann auch noch anfing, sich mit dieser bewundernswerten Hingabe seiner Tochter zu widmen, dann hatte Ella das Gefühl, ihr Herz würde aus ihrem Brustkorb heraus und direkt in seine Arme flattern. Dann gehörte sie ganz und gar ihm. Er war ein sehr fürsorglicher Vater und ein wirklich liebevoller Ehemann. Ausrutscher hin oder her – er war ein guter Mensch. Ella beobachtete die beiden mit einem verträumt melancholischen Lächeln im Gesicht und war trotz der bedrückenden Geister in ihrem Kopf dankbar für ihre kleine Familie und glücklich.

»Puh, unser kleiner Engel stinkt aber ganz gewaltig!« Ralf zog seine Nase kraus und machte Anstalten, sich zu erheben.

»Das sind nur Blähungen«, wiegelte Ella unbeeindruckt ab und wandte sich wieder dem Reis zu. »Sie verträgt wohl den Blumenkohl nicht so gut.«

Alles andere als überzeugt von dieser Aussage, verschwand Ralf mit seiner freudig quietschenden Tochter, die er sich über die Schulter geworfen hatte, im Kinderzimmer. Als ein erstickter Laut wenige Augenblicke später durch den Flur fegte, eilte Ella beunruhigt hinterher. Sie blieb erleichtert im Türrahmen stehen, als sie erkannte, dass keiner gestorben war, und lächelte. Ralfs Miene wirkte leidend.

»Doch nicht nur Blähungen?«, schlussfolgerte sie und nickte in Richtung Sophia, die vergnügt auf der Wickelkommode zappelte.

»Nicht nur …«, wiederholte Ralf mit erhöhter Dramatik in der Stimme. »Sie hat ihren kompletten Unterbau geflutet! Sie ist so voll, dass wir uns glatt eine zweite Sophia aus ihrem Windelinhalt basteln könnten.«

Ihr gemeinsames Lachen hallte von den Wänden wider und erfüllte den gesamten Raum mit ihren Stimmen, die so im Einklang waren, dass man hätte denken können, dass sie nur von einer Person stammten. Ellas und Ralfs Blicke trafen sich. Seine Lachfältchen, gepaart mit seinen warmen, gütigen Augen, gruben sich in ihr Herz, und für diesen einen Moment schien es wieder so wie damals, als die Zeit für sie beide nicht existierte. Sein Anblick löste so viel Liebe in ihr aus und machte alles andere um sie herum bedeutungslos. Mochte sein, dass sie gerade eine schwere Zeit durchmachten, doch ihre Liebe zueinander würde das aushalten. Dessen war sich Ella sicher. Dieser Vorfall von letztem Jahr würde vielleicht ihr Leben lang zwischen ihnen stehen. Er würde immer wieder zum Vorschein kommen und sie mit seiner bloßen Existenz quälen. Doch in so besonderen Momenten, die aus dem Alltag wie kleine Diamanten in der Sonne hervorblitzen, da war es klar und deutlich für Ella zu spüren. Egal was Ralf getan hatte – er war ihr Ralf, und er würde es auch immer bleiben. Er war ihr Freund. Er war ihr engster Vertrauter. Er war ihre Familie.

2

Nr. 14: Weil du so ein guter Freund bist. Und das nicht nur mir gegenüber

Als Linda drei Tage später mit Luisa im Kinderwagen und einem verkrampften Lächeln im Gesicht am Spielplatz auftauchte, warteten Ella und Nadine bereits auf sie. Ella kam ihrer Freundin auf halbem Weg entgegen und zog sie in eine herzliche Umarmung, bevor Lindas Ich-weiß-nicht-wie-ich-mich-dir-gegenüber-verhalten-soll-jetzt-da-ich-das-mit-dir-und-Ralf-weiß-Blick ihr die Laune verderben konnte. Sie würde für den heutigen Tag dieses Thema einfach ausblenden und sich ganz auf Linda konzentrieren. So wie früher. Linda wirkte blass und angespannt – gar nicht wie sie selbst. In Ellas Vorstellung war Linda noch immer das lebenslustige, quirlige Mädchen mit pinken Zöpfen und frechen Sprüchen. Sie nach über zwölf Jahren nun derart ernst, mit blonden langen Haaren und knappen, eleganten Kostümen, die ihre sinnlichen Rundungen betonte, zu begrüßen, war bei jedem Wiedersehen wie ein Kulturschock für Ella. Lediglich die bunten Farbkombinationen, die ihre Freundin trug, deuteten darauf hin, dass sie tief im Inneren dieselbe geblieben war.

»Du bist zu spät«, tadelte Ella sie mit gespielter Strenge, um Linda ein wenig aus der Reserve zu locken. Diese löste sich mit einem unbeeindruckten Schmunzeln aus der Umarmung und zeigte an sich herab.

»Pünktlich sein oder heiß aussehen? Wofür ich mich da wohl entschieden habe?«, fachsimpelte sie übertrieben grüblerisch.

Ella verdrehte nur leicht die Augen und stemmte die Hände in die Hüften. Doch ein Zucken um ihre Mundwinkel verriet ihre Erleichterung darüber, die alte Linda aus diesem frechen Kommentar hervorblitzen zu sehen. Und sie musste wirklich zugeben, dass Linda verboten gut aussah. Unter der Bluse ließen sich die Konturen eines mit sündiger Spitze besetzten BHs ausfindig machen, und der Rock, den sie trug, betonte ihre braunen Beine sehr vorteilhaft. Bevor sich Ella zu diesem Outfit äußern konnte, setzte Linda nach: »Und ich würde es jederzeit wieder tun!«

Auch wenn Ella es aufrichtig genoss, einen Hauch der alten Linda vor sich zu haben, so blieb die Sorge um deren Gemütszustand. Weshalb sie die Show unterbrach und sich anteilnehmend erkundigte: »Bist du sehr nervös? «

Lindas aufgesetztes Lächeln zerbröselte auf ihrem Gesicht, und sie zuckte stattdessen mutlos mit den Schultern. »Ich fürchte, ich mach mir gleich in mein rotes Spitzenhöschen, um ehrlich zu sein«, gab sie zu. »Diese Situation ist ziemlich abgefahren, oder nicht?«

»Dann lass es doch einfach«, entgegnete Ella, auch wenn sie wusste, dass Linda gerade diesen Satz nicht hören wollte. Linda senkte den Blick und schüttelte mürrisch den Kopf.

»Du verstehst das nicht. Man kann das nicht nachvollziehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.« In ihren Augen glitzerte etwas Flehentliches, als sie wieder zu ihrer Freundin aufsah. »Hältst du mich für ein mieses Flittchen, Ella?«

Ella schnaubte laut auf. Linda hatte recht. Sie konnte ihr Handeln wirklich nicht nachvollziehen, aber das war auch gar nicht nötig. Linda war schon immer sehr impulsiv und leidenschaftlich gewesen. Eben komplett anders als Ella. Linda wollte viel, und sie wollte es schnell. Ihre Gefühle waren stets intensiv und unbändig, so als hätten sie ein Eigenleben. Ella hatte sich bereits damals, als sie noch Teenager waren, gefragt, wie es sich wohl anfühlen mochte, derart vereinnahmend zu empfinden, ohne daran zu zerbrechen. Als deutlich rationaleres Wesen hatte Ella die Aufgabe übernommen, diesem sporadisch auftauchenden Chaos in Lindas Innenleben den Wind aus den Segeln zu nehmen und für eine nüchterne Sichtweise zu sorgen, sobald dies nötig wurde. Und jetzt wurde es wieder einmal höchste Zeit, dass sie ihres Amtes waltete. Denn wie Ella überdeutlich erkennen konnte, war Linda kurz davor, zu ertrinken. In einem Meer aus Selbstzweifeln, fragwürdigen Entscheidungen und einer Maske aus Schicki-Micki-Outfits, die gar nicht zur alten Linda passen mochten. Am liebsten hätte sie ihre Freundin mit einer ordentlichen Standpauke an den Haaren und aus diesem Sumpf des Destruktiven gezogen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Jetzt würde sie sich vorerst nur um die Selbstzweifel kümmern.

»Du bist kein Flittchen«, kommentierte sie deshalb entschieden. »Du warst früher keins, und du bist auch heute keins. Du bist unglücklich und tust etwas dagegen. Das ist in Ordnung. Also hör auf, immer an dir zu zweifeln!« Fröstelnd rieb sich Linda ihren Oberarm, und Ella hätte sie am liebsten in den Arm genommen und ihr versprochen, dass alles gut werden würde. Doch was wusste sie schon darüber, wann etwas gut werden würde, dachte sie bitter, und ihre Gedanken wanderten für einen Herzschlag lang zu Ralf. Verstohlen wagte Linda einen Blick über Ellas Schulter hinüber zu Nadine, die noch immer auf der Holzbank saß.

»Und was ist mit ihr?«, fragte sie mit ungewollt piepsiger Stimme und nickte dabei mit dem Kinn in Nadines Richtung. »Hat sie sich schon das Maul über mich und meine Flittchen-Qualitäten zerrissen?«

Ella folgte Lindas Blick hinüber zu Nadine, die mittlerweile angestrengt in ihrer Handtasche herumkramte. »Ich werde mit ihr reden«, versprach Ella und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Freundin. Beruhigend strich sie Linda über den Arm und wiederholte: »Du bist kein Flittchen.«

Nachdem sich Linda verabschiedet hatte, marschierte Ella, mit der kleinen Luisa auf dem Arm, zum Sandkasten. Sie spürte Nadines Blick in ihrem Nacken und verkniff sich ein genervtes Seufzen. Jetzt, wo der Fokus in Form von Linda um die Ecke verschwunden war, musste Ella sich wieder dem Wissen stellen, dass Nadine über Ralf und seinen Ausrutscher Bescheid wusste. Was dazu führte, dass sich Ella beobachtet fühlte und sich mit einem Thema auseinandersetzen musste, dass sie eigentlich bis an ihr Lebensende ignorieren wollte. Schnell sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass Nadine ihre unbedachte Bemerkung vom letzten Zusammentreffen über ihr geschundenes Liebes-leben einfach in eine Tabu-Schublade schieben und nie wieder erwähnen möge.

»Seht mal, ihr Mäuse, wer noch gekommen ist«, verkündete Ella gegenüber den Kindern betont locker, als sie am Sandkasten angekommen war. Sie setzte Luisa neben Sophia und Fynn und drückte ihr eine freie Sandschaufel in die Hand. Ihr müsst euch noch nicht mit solch kompliziertem Gefühlskram herumschlagen, dachte Ella und blickte mit einem sehnsüchtigen Lächeln auf das zufriedene Dreiergespann hinab. Sie kniete sich kurz neben Sophia und streichelte ihr zärtlich über deren rosa Schirmmütze. Dann erhob sie sich wieder und setzte sich zu Nadine auf die Bank. Nadines angespannter Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Ella konnte aus den Augenwinkeln heraus erkennen, dass Nadine angefangen hatte, an einer ihrer Lockensträhnen zu kauen. Das tat sie immer, wenn sie nervös oder unsicher war. Ihre langen, schlanken Finger umkreisten ihr Haar in gleichmäßigen Bewegungen wie eine Art meditative Entspannungstechnik. Ich will nicht über Ralf und auch sonst über nichts und niemanden diskutieren, dachte Ella resigniert, klopfte sich den Sand von der Hose, atmete geräuschvoll aus und starrte trotzig in die Ferne.