Eisreise - Silke Neumann - E-Book

Eisreise E-Book

Silke Neumann

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Beschreibung

Es ist wun-der-schön! Leider auch bit-ter-kalt, denn mit jedem Höhenmeter fällt die Temperatur noch tiefer. Bis auf -36,7 °C. Die kleine Pet will nicht mehr so recht und Jan hat mit seiner Super Ténéré ebenfalls Mühe. Bei -37 °C scheinen wir an der Grenze der Vergasermotoren angekommen zu sein, denn beide lassen sich nur mit Gewalt, viel Drehzahl und konstantem Gas am Laufen halten

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2019

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cover

1. Auflage, August 2017

Lektorat & Print-Satz: Petra Schmidt,www.lektorat-ps.com

E-Book-Konvertierung: Corinna Rindlisbacher,www.ebokks.de

Umschlaggestaltung: Katherina Pistorius; Janin Vilhauer

Bildbearbeitung: Katherina Pistorius; Janin Villhauer

Karte Copyright: Sarah Wanning,www.sarahwanning.de

Bildnachweise der Karte: motorama/Fotolia.com;

iconshow/Fotolia.com; alekseyvanin/Fotolia.com;

Alpár-Etele Méder, realstockvector/Fotolia.com

Bildrechte: Silke & Jan Neumann;

Simon Erath, www.erath-fotografie.de

Copyright: © Silke & Jan Neumann, 2017

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Alle Rechte, auch die der Übersetzung des Werkes, liegen bei den Autoren.

Über das Hochzeitspaar

Jan war schon vor dieser Eisreise mit dem Motorrad auf Spikes im Winter in Südnorwegen und fährt seit 1997 Motorrad. Von 2010 bis 2011 ist er in 20 Monaten mit dem Motorrad um die Welt gefahren. Seit 2008 nimmt Jan an internationalen Rallyes teil, wie zum Beispiel der Rallye Breslau in Polen, der Tuareg Rallye in Marokko, Rallye Dalmatia in Kroatien oder Balkan Offroad Rallye in Bulgarien. Reisen und Motorrad stehen ganz klar im Mittelpunkt seines Lebens und so ist klar, dass nur eine Frau Platz darin findet, die mindestens genauso viele Hummeln im Hintern hat und dafür sorgt, dass der Motorradfuhrpark größer statt kleiner wird.

Silke hat es bis zu dieser Reise auch ohne Spikes geschafft, mit dem Motorrad heil durch den Winter zu kommen. Sie fährt seit 1999 Motorrad und spielt mit ihren Motorrädern vom ersten Tag an mit Vergnügen im Dreck. Jan hat Silke das erste Mal 2008 auf der Rallye Breslau gesehen, als sie angeblich an ihm vorbeigedüst sein soll. Fakt ist, dass Silke schon seit 2003 Startnummern an ihre Enduros klebt und das auch gern auf vielen internationalen Veranstaltungen wie bei der Tuareg Rallye, Rallye di Croatia, der Enduromania, Rallye Breslau, Rallye Dalmatia und Balkan Offroad Rallye tut. Silke kennt die ganze Welt, umrundet und bereist diese aber meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, gern aber auch auf zwei Rädern. Aufgrund ihrer hauptberuflichen Tätigkeit als Buchstabenjongleur ist sie die federführende Kraft dieses Buches.

Inhaltsverzeichnis

Prolog
Es geht los!
Endlich Eis und Schnee!
Polarkreis und Weihnachtsmann
Nordlichter und die Magie des Eises
Bitterkalt
N71°10'21'
Die Luft ist raus – nicht beim Sturm!
Heimwärts
Anhang

28.12.2015, Oslo: die alles entscheidende Frage

Wir sind spontan zwischen Weihnachten und Neujahr nach Oslo geschippert. Wir waren sowieso in Hamburg bei Jans Eltern zu Besuch, das Angebot war günstig und Oslo ist immer schön, sodass wir spontan los sind. Wie so oft, sind wir „mal eben schnell“ unterwegs, nichts Besonderes eigentlich. Doch diese kurze Alltagsflucht, diese spontane Kurzreise wird uns beiden für immer in Erinnerung bleiben. Sie legt den Grundstein für eine ganz besondere Reise: die Eisreise.

Am Abend des 28.12.2015 laufen wir durch das stimmungsvoll beleuchtete Oslo hoch zum Schloss. Die Aussicht von dem Hügel hinunter auf die weiß verschneite und weihnachtlich glitzernde Stadt ist hochromantisch und wunderschön. Als Jan plötzlich vor mir im Schnee auf die Knie fällt und fragt: „Willst du mich heiraten?“, halte ich es für einen Scherz. Jan und heiraten?

„Meinst du das ernst?“

Jan wiederholt seine Frage und zückt einen Ring, den er aus Alufolie gebastelt hat. Er meint es ernst. Und ich auch: Ja, ich will!

29.12.2015, Oslo: Eine verrückte Idee?

Der erste Morgen als Verlobte. Es geht zurück nach Deutschland, wir sitzen im Fährterminal und warten darauf, an Bord gelassen zu werden. Wer heiratet, braucht auch eine Hochzeitsreise, stellen wir fest. Doch wohin? Wir haben beide schon die Welt gesehen, irgendwie reizt uns zurzeit nichts wirklich. Eine Hochzeitsreise soll ja etwas ganz Besonderes sein. Wir können uns keine klassische Hochzeitsreise vorstellen, die Idee eines Urlaubes auf den Malediven oder an anderen weißen Sandstränden ist für uns abschreckend langweilig. Wir sind ratlos. Wohin sollen wir fahren? Brauchen wir überhaupt eine Hochzeitsreise? Doch, schon, überlegen wir. Das macht man ja so. Oder nicht?

Wir beobachten, wie die Autos an Bord der Fähre rollen, viele von ihnen verursachen rasselnde Geräusche, wenn ihre Reifen mit Spikes auf den Metallplanken abrollen. Jan war schon mal mit dem Motorrad und Spikes im Winter in Skandinavien. Irgendwann will ich auch mal mit einem Motorrad durch den Schnee pflügen. Habe ich das gerade laut gesagt? Plötzlich ist die Idee für die Hochzeitsreise da: Wir fahren mit Spikes im Schnee herum! Auf zwei Motorrädern! Bloß wo? Und wohin? Irgendwie fahren „alle“ Motorradfahrer ja ans Nordkap, mich jedoch hat es bislang nicht dorthin gezogen. Und genau das ist die Idee. Unsere Hochzeitsreise wird im Winter mit zwei Motorrädern auf Spikes ans Nordkap führen! Was zunächst nach verrückter Idee klingt, wird im Laufe des Tages zum festen Plan. Mit der Bekanntgabe unserer Verlobung werden wir auch den Plan für die Hochzeitsreise kundtun.

10.03.2016, Krefeld: Ein Fahrzeug muss her!

Die Hochzeitseinladungen sind gedruckt und verschickt, der Plan steht. Wir fahren diesen Winter ans Nordkap, die „offizielle Hochzeitsnacht“ soll im Eishotel bei Kiruna in Schweden stattfinden. Jan und ich sind erfahrene Winterfahrer, jeder kann auf viele tausend Winterkilometer auf zwei Rädern zurückblicken. Und jeder hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Und so hat auch jeder sein eigenes Fahrzeugkonzept. Wir haben die vergangenen Monate die Temperaturen entlang unserer anvisierten Reiseroute verfolgt und planen nun mit Tagestemperaturen bis zu -30 °C.

Jan vertraut seiner XT750Z Super Ténéré, ich bin der Meinung, das ist zu kalt für den Elektrostarter, ich möchte mit einem Kickstarter-Motorrad fahren. Davon habe ich zwar zwei in der Garage, doch ich erachte keine als tauglich: Die 32 Jahre alte Yamaha Ur-Ténéré XT600Z 34L ist noch im absoluten Originalzustand, ohne ein einziges Gramm Rost. Sie hat zwar Kickstarter, aber absolutes Schlechtwetter- und Winterverbot. Dann steht da noch meine Yamaha WR250F, die sogar über einen Elektro- und Kickstarter verfügt, doch die Idee, auf einer Dreckfräse mit 250 ccm bis zum Nordkap zu reisen, gefällt mir gar nicht: zu viel Arbeit, diese reinrassige Sportenduro zum Reisemotorrad umzubauen! Viel zu wenig Komfort! Wenn ich nur an die Sitzbank denke, die bei solchen Wettbewerbsfahrzeugen eher nur zum gelegentlichen Absetzen des Hinterteils, jedoch nicht wirklich zum Sitzen gedacht ist … Nein, ich habe kein passendes Fahrzeug im Stall.

Nach Wochen des Nachdenkens bin ich nun zu dem Entschluss gekommen: Es wird eine 23 Jahre alte Suzuki DR350S. Ihre 27 PS und 350 ccm sind zwar nicht wirklich spitzenmäßig, aber Motorcharakteristik und Sitzbank sind reisetauglich. Und einen E-Starter gab es damals noch gar nicht. Eine Freundin, Anke, verkauft mir ihre DR350 zu einem absolut fairen Preis und im zuverlässigen und ehrlichen Zustand. Ankes Motorrad wird das Hochzeitsreisefahrzeug!

Die kleine Suzuki braucht einen Namen. Ich poste ihr Foto auf Facebook und der britische Motorradreisende und Autor Graham Field, der gerade seine Kawasaki KLR „Zee Ben“ (KLR Nummer sieben) getauft hat, schlägt den Namen „Pet“ vor. Der Name passt: Pet bedeutet „fünf“ unter anderem auf Russisch, die kleine zarte Suzuki ist eindeutig ein Mädchen, süß wie ein Haustier (englisch: pet) und zufällig auch noch die fünfte Suzuki DR, die auf mich zugelassen wird und zurzeit sogar mein fünftes Motorrad in der Garage.

Somit stehen die Fahrzeuge fest: beide Motorräder Japaner, beide Motorräder über 20 Jahre alt. Kein Schnickschnack, sondern bewährte Technik. Pet hat kein Vermögen gekostet, für 1.650 € habe nun auch ich ein Eisreisemotorrad. Ob ich mit ihrem kleinen Motörchen und der fast nicht vorhandenen Leistung jedoch auch auf langer Strecke zufrieden bin, weiß ich noch nicht. Aber selbst, wenn nicht: Die Würfel sind gefallen: Pet reist ans Nordkap!

14.05.2016, Molzbichl, Kärnten: kleine Pet auf großer Fahrt

In drei Tagen habe ich Geburtstag, und während ich in den letzten sechs Wochen mit dem Zug in der Mongolei und Russland unterwegs war, hat Jan mir die kleine Pet aufgehübscht. Vor 17 Jahren hatte ich schon mal eine DR350, allerdings nicht zum Reisen, sondern für den ausschließlichen Einsatz im Gelände. Damals war eine DR350 eine Wettbewerbsenduro, die sogar Meistertitel einfuhr! Heute, in Zeiten von KTM EXC oder Yamahas WR-Modellen eigentlich unvorstellbar! Jan hat sich an einem Foto meiner ersten DR350 orientiert und auf dessen Basis Pet sehr ähnlich hergerichtet. Pets Verwandlung zu einem „Zwilling in Blau“ meiner verflossenen, damals gelben DR ist mein verfrühtes Geburtstagsgeschenk. Bei einer kurzen Probefahrt von der Garage nach Hause fühle ich mich um mindestens 17 Jahre jünger, Erinnerungen werden wach. Kurioserweise fahre ich bis heute noch mit derselben Jacke und denselben Handschuhen wie damals.

Die erste große Fahrt von Pet und mir steht an. Jan und ich möchten in den kommenden drei Wochen durch die Balkanländer reisen. Statt meiner BMW soll Pet mit, um zu zeigen, was sie kann. Die Route ist noch völlig unklar. Klar ist eigentlich nur, dass wir gestern schon losfahren wollten und heute mit einem Freund in 927 km Entfernung verabredet sind. Gestern addierten sich jedoch die Staus auf unserer Etappe zu einem Horrorszenario, sodass wir beschlossen hatten, erst heute früh zu starten. Wir sind es beide gewohnt, sehr lange Strecken on- wie offroad zurückzulegen, aber erst, als ich die kleine Pet im Hof stehen sehe, realisiere ich, heute 927 km mit 27 PS und nur 350 Kubik meistern zu müssen! Daran hatte ich gar nicht gedacht. Pet ist das kleinste Motorrad, was ich jemals auf Straße gefahren bin – und damit gleich 927 km nonstop? Es bleibt mir nichts anderes übrig. Pet springt an und wir rollen los.

Elf Stunden später kommen wir völlig entspannt in Kärnten an. Die kleine Pet hat mir gezeigt, dass sie auch das schafft. Und ich habe gemerkt, dass die neue Sitzbank zu meinem Hintern passt und Pets kleines Motörchen völlig ausreichend ist. Wir sind sogar geblitzt worden. Unglaublich, mit 27 PS! Pet hat die Prüfung bestanden, ich tätschele ihr über den Tank und gebe ihr einen Klaps aufs Heck. Wir zwei sind nun Freunde.

17.05.2016, Kotor, Montenegro: Pet beweist Größe

Es ist mein 40. Geburtstag und wir sind seit drei Tagen zu dritt unterwegs. Unser Freund Andreas, mit dem wir vor drei Tagen in Kärnten verabredet waren, ist mit einer R1200GS Adventure unterwegs. Eigentlich dachte ich nur an einen netten gemeinsamen Abend, aber am nächsten Morgen konnte er mich davon überzeugen, dass 100 PS und 850 ccm Unterschied kein Hindernis darstellen, um gemeinsam Spaß zu haben. Er hatte recht behalten. Pet und das Riesenschlachtschiff trennen zwar Welten, aber das Fahrtempo auf den kleinsten Straßen des Balkans ist gleich. Das findet auch die Polizei in Bosnien-Herzegowina, die Andreas und mich auf den sehr ungleichen Motorrädern wegen Raserei anhält. Jan auf seiner Suzuki DR650RSE, genannt „Oskar“, bleibt grinsend zurück, er fuhr ordentlich. Pet hat heute wieder mal bewiesen, dass es weder Leistung noch Hubraum braucht, um (zu) flott unterwegs zu sein. Hatte ich doch vor ein paar Tagen noch das moderne Fahrwerk meiner BMW oder WR vermisst, so habe ich mich nun daran gewöhnt, ein etwas weicheres und weniger straffes Motorrad zu fahren. Ich bin mir nun ganz sicher: Pet ist das perfekte Fahrzeug für die Fahrt zum Nordkap!

23.07.2016, Krefeld: Wir sagen Ja!

Wir feiern Hochzeit! Pet ist nicht dabei, aber wir sind in Gedanken schon ganz bei der Hochzeitsreise. Unsere Idee: Wir möchten keine Sachgeschenke zur Hochzeit, sondern finanzielle Unterstützung zur Verwirklichung der Hochzeitsreise. Unsere Philosophie: Unser gesamter Besitz muss in eine Garage passen! Jedes Sachgeschenk ist daher grundsätzlich hinderlich. Weil wir bei manchen Dingen selbst noch nicht genau wissen, welche Ausrüstungsgegenstände für die Reise sinnvoll sind, können wir uns auch keine konkreten Dinge wünschen. Wir haben stattdessen online eine interaktive Liste erstellt, auf der uns unsere Verwandten, Freunde und Hochzeitsgäste den Gegenwert einzelner Bestandteile der Reise schenken können. Es gibt für jeden Geldbeutel große Auswahl, vom Snack auf der Fähre für 10 € bis hin zum ganzen Fährticket für 250 € − unsere Gäste kaufen sich virtuell in unsere Hochzeitsreise ein.

Ein Teil der Hochzeitsdekoration ist eine große Landkarte von Skandinavien, auf der wir die voraussichtliche Route eingezeichnet und mit Aufklebern die Spenden und ihre Spender darauf markiert haben. So sieht jeder Gast, welche Fahrtstrecke er mit seinem Spritgeld finanziert, wo für das geschenkte Geld übernachtet wird sowie die vorfinanzierten Ausrüstungsgegenstände auf Fotos. Unsere Freunde sind super kreativ und steckenuns ihren Beitrag zur Hochzeitsreise nicht einfach schnöde in einem Umschlag zu, sondern basteln wie die Weltmeister: Ein mit Münzen gefülltes Schubkarrenrad mit aufgeklebten Reißzwecken symbolisiert einen Spikereifen, aus Pappmaché und Styropor entstanden Eishotels, Spielzeugautos und Plastikmotorräder fahren in Schuhkartons durch Winterlandschaften aus Watte, auf einem Pappteller liegen Pommes und Bratfisch aus Geldscheinen gefaltet, etwas Spritgeld ist in einem riesigen Eisblock eingefroren, Lammfellsohlen aufGrillkohlen veranschaulichen beheizte Schuhsohlen − jedes Geschenk ist einzigartig! Am Ende werden wir insgesamt knapp 5.000 € zusammenbekommen, denn wir haben uns zu meinem runden Geburtstag, zum Polterabend und zur Hochzeit nichts anderes gewünscht als eine finanzielle Beteiligung an der Reise. Wir sind überwältigt von der Kreativität und Unterstützung unserer Freunde, Familie und Gäste.

20.09.2016, Krefeld: der Umbau beginnt

Die Stollenreifen sind geliefert, ein Karton Spikes dazu auch. Wir können mit der Vorbereitung der Motorräder beginnen. Jan beschließt, sein weißes Motorrad „Flöckchen“ zu taufen und in den letzten Monaten hat sich auch ein prägnanter Name für die außergewöhnliche Hochzeitsreise gefunden: Eisreise!

So, wie jeder von uns eigene Erfahrungen im Winter auf zwei Rädern gesammelt hat, beginnt auch jeder, aufgrund dieser persönlichen Überzeugungen ein eigenes Wintermotorrad aufzubauen.

Jan hat es da leichter. Sein Flöckchen hat eine vergleichsweise riesige Lichtmaschine, die genug Leistung bringt, um zusätzliche Scheinwerfer und elektrische Heizbekleidung problemlos betreiben zu können.

Meine Pet wurde ursprünglich als Wettbewerbsenduro konzipiert und hat daher nur eine Minimalelektrik, die ich den gesamten Sommer über ohne Batterie und nur mit Kondensator betrieben habe. Pets Lichtmaschine bringt nur 180 Watt Leistung, alleine der Frontscheinwerfer zieht mit seinen 55 Watt ordentlich Strom. Addiert man Blinker, Rücklicht, Cockpitbeleuchtung und Zündung hinzu und schaltet dann noch das Aufblendlicht an, so ist die Leistung der kleinen Lichtmaschine völlig ausgereizt. Doch ich brauche auch zusätzliche Scheinwerfer, wir werden einen Großteil der Strecke im Dunkeln zurücklegen und haben keine Lust auf eine unsanfte Begegnung mit Elch oder Rentier. Ich habe mir außerdem eine Heizweste gekauft und möchte meine uralten Heizhandschuhe anschließen. Dazu hat jeder von uns noch ein Heizvisier am Helm. Und all das muss mit der Zwergenlichtmaschine der kleinen Pet betrieben werden!

In den letzten Wochen habe ich mich schlaugemacht und gerechnet. Wenn ich konsequent alle Lampen an Pet durch LED-Beleuchtung ersetze, dann habe ich genug Strom, um wirklich alle Verbraucher auf voller Leistung betreiben zu können. Rein theoretisch und rein rechnerisch. Die Zukunft wird zeigen, ob Theorie und Praxis miteinander übereinstimmen. Im Anhang finden interessierte Leser übrigens einen Überblick der Vorbereitungen, die an beiden Motorrädern für die Eisreise nötig waren.

04.10.2016, Köln: Wir haben ein Projekt!

In Köln findet die riesige Motorradmesse „INTERMOT“ statt und ich will mich am Fachbesucher-Tag ganz in Ruhe bei den großen Ölfirmen informieren, welches Öl wir auf dem langen und eisig kalten Weg zum Nordkap nutzen müssen. Ich nutze die Gelegenheit für eine kleine Probefahrt mit Pet im Winteroverall. Im T-Shirt, damit ich merke, wo es reinpfeift. Es pfeift nirgends rein, aber Oktober ist eindeutig zu kalt für eine Fahrt im T-Shirt unter dem Overall! Nun gut, bin ich also als Eiszapfen auf der Messe, vielleicht wirkt das glaubwürdiger.

Ich wirke leider alles andere als glaubwürdig. Ich klappere einen Ölhersteller nach dem anderen ab und wiederhole überall mein Anliegen:

„Ich fahre im Winter mit einem 23 Jahre alten Einzylinder ans Nordkap und erwarte Tagestemperaturen um die -30 °C. Welches Öl empfehlen Sie?“

Ich ernte müdes Lächeln und sammele nichtssagende Werbeprospekte mit abschätzenden Worten und Blicken. Ich bin enttäuscht und müde. Aber auch wütend. Warum fertigt man mich so geringschätzig ab? Ich bin ganz sicher nicht der erste Mensch, der das vorhat, warum nimmt mich niemand ernst?

Gott sei Dank treffe ich Stefan Hessler von „Hessler Motorsport“. Er ist spezialisiert auf Suzuki DR-Motorräder und wir kennen uns schon seit fast 20 Jahren. Er weiß, dass die Reise zum Nordkap keine Spinnerei ist, er kennt mich gut genug, um zu wissen: Das ist nur eine weitere außergewöhnliche Reise in meiner Lebensgeschichte. Stefan arbeitet in seiner Werkstatt mit Produkten von „Putoline“ und läuft mit mir zurück zu deren Stand, an dem ich zuvor schon stumpf mit einem Werbeblättchen abgespeist worden bin. Stefan versichert dem Verantwortlichen, dass es sich nicht nur um eine dumme Idee handelt, sondern dass diese Reise wirklich stattfinden wird. Und siehe da, er stößt auf offene Ohren. Es stellt sich heraus, dass der Holländer Sjaak Lucassen, der mit seiner Yamaha R1 um die Welt fuhr, ebenfalls Öl von Putoline nutzte, um im Winter ans Nordkap und ans Nordpolarmeer zu fahren. Man ist bei Putoline also eigentlich solche Ideen gewöhnt.

Ob wir auch Aufkleber auf unsere Motorräder kleben würden und ob die Chance bestünde, eine Veröffentlichung über die Reise zu realisieren, will der Verantwortliche wissen. Ich arbeite als freie Redakteurin unter anderem für eine deutsche Motorradzeitschrift, das „DirtBiker Magazine“, und in der Februarausgabe sind schon sieben Seiten fest für diese Story eingeplant. Das gefällt Putoline und plötzlich haben wir ein „Projekt“! Putoline stellt uns das Öl zur Verfügung. Und ich bekomme sofort eine Softshelljacke geschenkt, über die ich mich fast mehr freue als über das Öl. Ich muss auf Pet ja im Dunkeln wieder heimwärts – und im T-Shirt war es schon morgens alles andere als angenehm gewesen …

Jan ist begeistert. Wir haben ein Projekt! Ich bin auch begeistert, knabbere aber noch seelisch daran, dass ich es allein nicht geschafft habe, auch nur irgendeinem „Ölverantwortlichen“ glaubhaft zu versichern, dass ich keine Märchen erzähle, sondern wirklich im Winter ans Nordkap fahren werde. Und das auch noch am eigentlich entspannten Fachbesucher-Tag der Messe. Ich halte ja wenig von Feminismus, aber da hege ich nun doch den Verdacht, dass man mir die Geschichte eher geglaubt hätte, wenn ich nicht gerade eine 1,68 m kleine blonde, zart gebaute Frau wäre. Egal, denen zeige ich es allen! Pet und ich schaffen das!

21.10.2016, Krefeld: Die Eisreise geht online!

Nachdem Putoline unsere Hochzeitsreise in den Status eines „Projektes“ erhoben hat, schwirrt uns der Kopf. Weil unsere Hochzeitsgäste die Eisreise finanziert haben, sollten sie auch an der Reise teilhaben können. Dazu wollten wir unser am Hochzeitstag neu eröffnetes privates Reiseblog nutzen, um dort von unterwegs alle „finanziellen Teilhaber“ die Reise miterleben zu lassen. Nun, da Putoline mit an Bord ist, können wir die Reise nicht mehr privat auf den Freundeskreis beschränken, wir müssen einen öffentlichen Webauftritt schaffen. Ich schustere schnell unsere „Eisreise-Seite“ www.eisreise.wordpress.com zusammen, auf der wir vom Aufbau der Motorräder, unserer Ausrüstung und den Vorbereitungen berichten.

Das Wort „Projekt“ spukt uns im Kopf herum und bei einem E-Mailwechsel mit der Berliner Manufaktur für Heizbekleidung „Heizteufel“ erwähne ich das. Überraschenderweise möchte auch Heizteufel Teil des Projektes werden und berechnet uns für die vor Wochen bestellten Paar neue Heizhandschuhe für mich und Heizschuhsohlen für Jan nur die Hälfte. Wir sind überrascht und beeindruckt, welche Wellen unsere Hochzeitsreise schlägt. Eigentlich hatten wir nur deshalb bei Heizteufel bestellt, weil ich in meiner „Karriere“ als Winterfahrer schon so viele verschiedene Heizhandschuhe verschlissen habe und nur die von Heizteufel seit über zehn Jahren einwandfrei funktionieren, jedoch handelt es sich um beheizte dünne Unterziehhandschuhe. Für die Eisreise habe ich entschieden, beheizte wasserdichte Winterhandschuhe zu nutzen.

Wir entschließen uns außerdem nach langem Hin und Her, auf dieser Reise zum ersten Mal überhaupt Intercoms auszuprobieren, um während der Fahrt von Motorrad zu Motorrad kommunizieren zu können. Damit kennen wir uns gar nicht aus und lassen uns beim örtlichen BMW-Händler auf dem „Oktoberfest“ von einem Händler die „SENA“-Geräte erklären und sind begeistert. Bei der weiteren Onlinerecherche bzgl. der Intercoms stoßen wir auf die Produktbeschreibung. In der steht allerdings „funktionstüchtig bis -10 °C“, wir erwarten jedoch das Dreifache dieser Tiefsttemperatur. Ob das dann lohnt? Billig ist der Kram ja nicht. Ermutigt von unseren Erfahrungen mit Putoline und Heizteufel schreibe ich eine freche E-Mail an den Kundenservice von SENA, ob wir die Geräte bei -30 °C einmal ausprobieren dürfen. Noch am Wochenende kommt die Antwort: Aber klar doch! Ob wir auch die Actionkameras testen wollen. An Videomaterial hatten wir zwar noch gar nicht gedacht, aber warum nicht?