Ella - Verlorene Träume - Silke Mahrt - E-Book

Ella - Verlorene Träume E-Book

Silke Mahrt

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Beschreibung

Eiderstedt 1939 - Nachdem Hinrich sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, muss Ella den Hof im Koog allein bewirtschaften. Unterstützt wird sie nur von einigen Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen. Als Horst an einer Lungenentzündung erkrankt, verliert sie fast ihren Lebensmut. Karl und Anne sorgen sich immer mehr um ihren behinderten Sohn Michel. Als Karl eingezogen wird, ist Anne auf sich allein gestellt. Lilly erlebt den Krieg in Hamburg. Nach einer traumatischen Bombennacht macht sie sich mit ihren Kindern Konrad und Helga auf den Weg in den Koog. Fortsetzung von "Ella Zeit der Träume"

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buchbeschreibung:

Eiderstedt 1939 - Nachdem Hinrich sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, muss Ella den Hof im Koog allein bewirtschaften. Unterstützt wird sie nur von einigen Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen. Als Horst an einer Lungenentzündung erkrankt, verliert sie fast ihren Lebensmut.

Karl und Anne sorgen sich immer mehr um ihren behinderten Sohn Michel. Als Karl eingezogen wird, ist Anne auf sich allein gestellt.

Lilly erlebt den Krieg in Hamburg. Nach einer traumatischen Bombennacht macht sie sich mit ihren Kindern Konrad und Helga auf den Weg in den Koog.

Fortsetzung von „Ella – Zeit der Träume“

Über die Autorin:

Silke Mahrt studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Braunschweig und Hamburg. Heute lebt, arbeitet und schreibt sie in Bad Oldesloe. Ihre Themen sind starke Frauen und gesellschaftliche Anforderungen, die das Leben jeder Einzelnen prägen. Sie schreibt Harzkrimis mit dem Ermittlerduo Carla Altmann und Tom Steiger. In ihren Nordseeromanen drückt sie ihre Liebe zu ihrer neuen Heimat Schleswig-Holstein aus.

Inhaltsverzeichnis

Ella – Zeit der Träume

Personenverzeichnis

1939

1

2

1941

1

2

3

4

5

1942

1

2

3

4

5

6

6

7

1943

1

2

3

4

1944

1

2

3

4

1945

1

Nachwort

Ella – Zeit der Träume

Was bisher geschah ...

Ella Dicks wächst behütet auf einem kleinen Hof in Schobüll auf. Bei einem Ball anlässlich der Verfilmung von Storms „Hauke Haien“ lernt sie Hinrich, den jüngsten Sohn des Großbauern Jansen in Schobüll kennen.

Hinrich ist auf der Suche nach einer Ehefrau. Er möchte im neu eingedeichten Heverkoog siedeln, doch dazu benötigt er neben Kapital und Fürsprache anderer Nationalsozialisten auch eine Bäuerin. Seine Jugendliebe Lilly träumt jedoch von einem Leben als Kaufmannsfrau in Hamburg.

Ella wird schwanger und heiratet trotz der Warnungen ihrer Eltern Hinrich. Gemeinsam mit ihrer Tochter Johanna siedeln die beiden 1937 in den neu eingedeichten Koog. Das Leben ist hart, denn es gibt weder Elektrizität noch fließend Wasser. Die Neusiedler wohnen in den Baracken der ehemaligen Deichbauer.

Schnell zeigt sich, dass Hinrich nicht zum Bauern geeignet ist. Immer häufiger reist er zu Parteiveranstaltungen nach Hamburg und trifft sich dort mit Lilly, die in ihrer Ehe mit dem Kaufmann Konrad Matthiesen unglücklich ist.

Unterstützung bekommt Ella nur von Karl, dem Schmied des Kooges. Doch er und seine Frau Anne haben ihre eigenen Sorgen. Nach einem schweren Unfall ist ihr Sohn Michel behindert.

Ellas zweites Kind Horst ist oft krank. Doch Hinrich nimmt ihre Sorgen nicht ernst. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbricht, meldet sich Hinrich sofort freiwillig an die Front und lässt Ella mit zwei kleinen Kindern allein auf dem Hof im Koog zurück.

Personenverzeichnis

Schobüll

Ella Jansen geb. Dicks

Käthe und Wilhelm Dicks

Ellas Eltern

Hanno und Erwin Dicks

Ellas Brüder

Dorothea

Hannos Frau

Hinrich Jansen

Ellas Ehemann

Katharina Jansen

Hinrichs Mutter

Hermann Jansen Bruder

Hinrichs ältester

Hamburg

Lilly Matthiesen geb. Jensen Hinrichs Ex-Verlobt

Konrad Matthiesen

Lillys Mann

Karsten Matthiesen

Lillys und Konrads Sohn

Koog

Karl Soerensen

Schmied im Koog

Anne Soerensen

seine Frau

Michel Soerensen

Karls und Annes Sohn

Christian Jacobsen

Hinrichs Freund

Stine Jacobsen

Christians Frau

Johanna Jansen

Ellas und Hinrichs Tochter

Horst Jansen

Ellas und Hinrichs Sohn

1939

1

Hinrich stieg in Hamburg aus dem Zug. Er hatte sich fortgeschlichen, bevor Ella vom Deich zurückgekehrt war. Bei Christian auf dem Hof hatte er gewartet, bis ein Automobil die Freiwilligen aus dem Koog abholte und nach Husum brachte.

Auch Stine war nicht begeistert gewesen, dass Christian sich freiwillig an die Front gemeldet hatte. Die Jungen hatten gemault, weil ihr Vater sie verpflichtet hatte, auf dem Hof zu helfen. Gleichzeitig bewunderten sie Christian auch. Das hatte Hinrich deutlich gespürt. Johanna und Horst dagegen hatten nur geweint und ihn mit großen Augen angesehen. Der Abschied von seinen Kindern war ihm leicht gefallen.

Ella gegenüber hatte sich sein Gewissen gemeldet. Wie sollte sie die ganze Arbeit auf dem Hof nur alleine schaffen? Andererseits kannte sich seine Frau sehr viel besser in der Landwirtschaft aus als er. Und sie war im Koog beliebt. Irgendjemand würde ihr schon helfen. Wahrscheinlich Karl, der Schmied. Er scharwenzelte die ganze Zeit um sie herum.

Außerdem konnte der Krieg ja nicht so lange dauern. Bis zur Ernte war er bestimmt zurück.

Bereits in Husum hatte er seine Uniform erhalten. Gemeinsam mit den anderen Männern ging es dann weiter. Alles war gut organisiert und hatte bisher reibungslos geklappt.

Der Bahnsteig war überfüllt. Es wimmelte nur so von Wehrmachtsuniformen und SS-Angehörigen. Die Zivilisten waren eindeutig in der Unterzahl. Hinrichs Herz klopfte wild. Er spürte eine tiefe Freude und Verbundenheit in sich aufsteigen. Endlich war er am richtigen Ort.

«Weißt du, wo wir hin müssen?» Christian sah sich um. «Ich gestehe es nur ungern, aber ich war erst einmal in meinem Leben in Hamburg. Ich hasse den Trubel in dieser großen Stadt.» Er lächelte vorsichtig. «Ich vermisse das Meer jetzt schon.»

Hinrich griff nach seinem Arm. «Folge mir einfach. Ich war schon ein paar Mal zu Parteiversammlungen hier.» Zum ersten Mal fühlte er sich Christian gegenüber nicht mehr klein und dumm.

Er zog den Freund hinter sich her. Auch ein Großteil der anderen Männer folgte ihnen. Er atmete tief ein. Nun begann sein wirkliches Leben, endlich konnte er die Enge des Koogs hinter sich lassen.

Doch bald machte sich Ernüchterung breit. Die Schlange an der Meldestelle war endlos. Einige Männer lagen auf dem Boden und schliefen. Unmöglich, dass sie noch am heutigen Tag ihren Einsatzbefehl bekamen. Ganz Norddeutschland schien auf dem Weg zur Front.

«Und nun?» Christian sah sich um. Fernab von seinem Hof wirkte er klein und hilflos.

«Wir suchen uns ein Zimmer für die Nacht und kommen morgen ganz früh wieder her», bestimmte Hinrich. «Auf St. Pauli gibt es billige Schlafplätze für Seeleute. Da finden wir auf jeden Fall etwas. Lass uns gehen, bevor die anderen auf die gleiche Idee kommen.»

Tatsächlich fanden sie zwei Betten in einer drittklassigen Absteige. Es roch nach Alkohol und Schweiß. Die Toiletten waren sicher seit Monaten nicht gereinigt worden. Die Matratzen waren dünn und das Bettzeug hatte eine undefinierbare Farbe. Doch Hinrich war das alles egal. Dies war nur ein Übergang. Morgen begann sein neues Leben. In dieser Nacht schlief er tief und fest. Nur manchmal hörte er Christian seufzen.

In aller Frühe brachen sie zur Meldestelle auf. Dort erfuhren sie, dass ihr Zug nach Berlin erst in drei Tagen ging. Alle Plätze vorher waren bereits belegt. In der Hauptstadt sollten sie ihre Grundausbildung erhalten, bevor es weiter zum Einsatz Richtung Osten ging.

«Na, hoffentlich ist der Krieg bis dahin nicht vorbei», frotzelte Hinrich und schlug Christian auf die Schulter.

Dieser verzog das Gesicht. «Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt. Vielleicht wäre ich doch besser auf dem Hof geblieben.»

«Ach was, wir machen uns noch ein paar schöne Tage in Hamburg. Ich zeige dir den Hafen und St. Pauli bei Nacht.» Hinrich grinste.

«Lass gut sein.» Christian schüttelte den Kopf. «Ein Vetter von mir lebt in Altona. Bei dem schaue ich mal vorbei. Bestimmt hat er auch einen Schlafplatz für mich. In diese Absteige bekommen mich jedenfalls keine zehn Pferde mehr. Da ist ja ein Strohlager im Stall angenehmer.» Er hob die Hand zum Gruß. «Wir treffen uns dann in drei Tagen am Zug.» Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ den verdutzten Hinrich allein zurück.

Ziellos wanderte Hinrich durch die Stadt. Plötzlich stand er an der Alster. Hier war er Lilly das letzte Mal begegnet. Er schloss die Augen und meinte, ihr blumiges Parfum zu riechen. Wie es ihr wohl ging? Noch immer kannte er ihre Adresse nicht, doch nun hatte er ein Ziel. Er musste Lilly finden und sich von ihr verabschieden. Wer wusste schon, ob er gesund aus diesem Krieg zurückkommen würde?

Es war leichter, als er gedacht hatte. Konrad Matthiesen war bei den Kaufleuten in Hamburg bekannt. Hinrich gab sich als Lillys Vetter aus und erhielt ohne Probleme ihre Adresse. Vielleicht half auch seine neue Wehrmachtsuniform, die ihm überall Respekt verschaffte.

Eine Stunde später stand er vor der Tür eines Patrizierhauses. Er musterte die Fassade und ihm wurde schwer ums Herz, als er an seinen Hof im Koog dachte. Hierher passte Lilly, das war das Leben, das sie sich gewünscht hatte und das er ihr niemals bieten konnte.

Er atmete tief ein und klingelte. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Vor ihm stand ein junges Mädchen mit adrett gebundener Schürze und einem Staubwedel in der Hand. Sie musterte ihn von oben bis unten.

«Heil Hitler. Ich möchte zu Lilly Matthiesen. Ich bin ihr Vetter.» Sein Herz klopfte schneller und zu seinem Verdruss zitterte seine Stimme ein wenig.

«Warten Sie einen Moment.» Die Tür wurde wieder geschlossen.

Er trat einen Schritt zurück. Würde sie kommen? Hatte sie überhaupt einen Vetter? Mit einem Mal erschien es ihm, als würde sein ganzes Leben von dieser Begegnung abhängen.

Die Tür öffnete sich und Lilly stand vor ihm. Sie hielt einen Jungen an der Hand und war noch schöner als in seiner Erinnerung. Ein Strahlen glitt über ihr Gesicht. «Oh», war das Einzige, was sie hervorbrachte. Dann schloss sich die Tür wieder.

Hinrich atmete tief ein. Wollte Lilly ihn wirklich einfach so stehen lassen, ohne ein liebes Wort? Das konnte doch nicht sein.

Er hob die Hand, um erneut zu klingeln, als die Tür sich wieder öffnete.

Lilly drückte ihm einen Zettel in die Hand, schloss die Tür und verschwand ohne ein weiteres Wort im Inneren des Hauses.

Hinrich blickte noch einmal die Fassade empor. Hinter der Gardine im zweiten Stockwerk erkannte er eine Silhouette. Eine Hand schob sich an die Fensterscheibe und machte eine Bewegung, als wolle sie einen Schwarm Fliegen verscheuchen. Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab.

An der nächsten Ecke blieb er stehen und faltete den Zettel auseinander.

Konrad ist da. Heute Abend ist er beim Treffen der Kaufleute. Wir sehen uns an der Bank an der Alster. L.

Sein Herz machte einen Sprung. Mit schnellen Schritten eilte er davon.

Bereits am späten Nachmittag setzte sich Hinrich auf die Bank an der Alster. Lilly hatte keine konkrete Zeit genannt und er wollte sie auf keinen Fall verpassen. Er schloss die Augen und wartete. Wann trafen sich die Kaufleute wohl? Zu einem frühen Abendessen oder erst später? Es war ihm egal. Er könnte ewig auf dieser Bank sitzen und auf Lilly warten.

Er griff neben sich. Dort lag eine Tüte mit Gebäckstücken und ein Blumenstrauß, den er in einem schicken Laden an der Elbchaussee gekauft hatte. Ella hatte er noch nie Blumen mitgebracht, fiel ihm ein und kurz rührte sich sein Gewissen. Doch Ella war im Gegensatz zu Lilly auch keine Frau für Blumen. Sie glich einem Gänseblümchen oder einem Löwenzahn, hart und beständig, während Lilly eine Rose war, edel und schön. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er schlief ein.

«Na, du bist mir vielleicht ein schöner Kavalier.»

Hinrich zuckte zusammen und öffnete die Augen. Es dämmerte bereits. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und blinzelte.

Lilly funkelte ihn spöttisch an. «So groß kann die Sehnsucht ja nicht gewesen sein, lieber Vetter.»

Hinrich sprang auf und zog sie in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn. Er spürte ihr Herz an seinem schlagen und für einen Moment war das Leben perfekt. Er hielt sie fest umschlungen. Am liebsten hätte er sie nie wieder losgelassen.

Sie löste sich abrupt von ihm und sah sich um. «Nicht hier», hauchte sie. «Hast du ein Zimmer hier in Hamburg?»

Hinrich dachte an sein Bett in der Absteige und schüttelte den Kopf. «Ich habe mich freiwillig gemeldet. Morgen früh geht es an die Front.» Er wusste selbst nicht, warum er die Abfahrt vorzog und somit die Chance auf ein weiteres Treffen verspielte. «Ich gehe noch heute Nacht zum Bahnhof.»

«Du ziehst in diesen unnötigen Krieg?» Sie rümpfte die Nase. «Was sagt denn deine kleine Frau dazu?»

Die Stimmung hatte sich gewandelt.

Sie trat zwei Schritte zurück und musterte ihn von oben bis unten. «Schicke Uniform!» Es klang nicht ehrlich.

«Der Krieg dient dem Wohl des deutschen Volkes und des Vaterlandes.»

Sie prustete. «Dem Land vielleicht, dem Volk weniger.» Bevor Hinrich etwas erwidern konnte, griff sie nach seiner Hand. «Lass uns nicht streiten. Karsten ist allein zu Hause, ich habe nicht viel Zeit.» Sie zog ihn hinter sich her zu ein paar Büschen. «Es ist schön, dass du gekommen bist, um dich zu verabschieden.» Sie schlang die Arme um seine Hüften und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. «Mein lieber Vetter.» Sie grinste.

Hinrich spürte die Erregung in seinem Unterleib. Er begehrte sie so sehr. Er zog sie näher an sich. Sie hob den Kopf. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, ihr Atem ging schneller. Er presste seinen Mund auf ihren, seine Zunge spielte mit ihr. Er stöhnte leise auf. Oder war es Lilly?

Plötzlich schob sie ihn mit beiden Händen von sich. «Nicht so, Hinrich, nicht so. Wenn du wiederkommst ....» Sie wandte sich ab. «Ich muss gehen.»

Sie eilte den Weg zurück zur Bank, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Hinrich schaute ihr nach.

Wenn du wiederkommst …, es klang wie ein Versprechen.

2

«So müsste es gehen.» Karl richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Ich glaube, es ist das erste Mal seit meiner Lehre, dass ich ein Pferd falsch beschlagen habe.» Er grinste. «Wenn sich das herumspricht ...»

Ella schluckte. Sie durfte Karl auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen. Seit Hinrich freiwillig in diesen unseligen Krieg gezogen war, war sie auf seine Hilfe angewiesen. Dabei hatte er mit Michel genug eigene Sorgen.

Er grinste. «Quatsch, das merkt keiner. Aber wenn sie dir den Fuchs wegnehmen, bist du am Ende. Der Braune ist faul und taugt nichts. Um den ist es nicht schade.» Er sah Ella an. «Und was machen wir mit dem Rappen?»

«Um den ist es nicht schade. Der taugt nichts. Genau wie sein Herr.» Sie schluckte. «Soll er doch wie Hinrich in den Krieg ziehen.» Seit vier Wochen war ihr Mann fort und sie hatte nichts von ihm gehört, wusste nicht, ob er noch in Hamburg, in Berlin oder schon an der Front war.

Karl strich ihr über den Arm. «Er ist nicht der Einzige. Viele Männer haben sich freiwillig gemeldet. Nicht nur er.»

«Aber dies hier war sein Traum, nicht meiner.» Tränen schossen Ella in die Augen. Sie wischte sie weg, bevor sie ihre Wange hinunterlaufen konnten. Das Leben war hart, das wusste sie seit vielen Jahren. Doch inzwischen war sie am Ende ihrer Kraft. «Sie haben schon wieder die Abgaben erhöht. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Nur mit Joost allein kann ich den Hof nicht bewirtschaften. Stine hat wenigstens noch ihre Söhne. Die können schon mit anpacken, aber ich bin völlig auf mich gestellt.» Sie schluchzte auf und die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, strömten über ihr Gesicht.

Karl zog sie in seine Arme und strich ihr über den Rücken. «Is god meine Seute, ist gut.»

Sie schmiegte sich kurz an ihn und machte sich dann los. «Verzeih. Es ist einfach zu viel für mich.»

«Ein Schritt nach dem nächsten.» Karl trat zurück und griff nach dem Halfter des Rappen. «Wir können es mit Pfeffer versuchen. In die Fesseln gerieben, wird er närrisch oder lahmt. Dann nehmen sie ihn bestimmt nicht.»

Ella schüttelte den Kopf. «Jeder hier im Koog weiß, dass er ein tolles Pferd ist. Sollen sie ihn doch mitnehmen.»

«Es wird dich keiner verraten.»

«Sei dir da man nicht so sicher.» Ella verzog das Gesicht. «Hinrich hat wenige Freunde hier und ich noch weniger.»

«Okay, dann bringe ich die drei heute Nachmittag zur Sammelstelle.»

Die Musterung der Pferde stand an. Alle bangten, dass das Heer die Tiere beschlagnahmen würde. Seit Kriegsbeginn war die Wirtschaft, das ganze Leben, dem Militär untergeordnet.

Karl strich ihr vorsichtig über den Arm. «In einem täuschst du dich. Hinrich ist ein Schnacker, das wissen alle hier. Dich mögen die Menschen. Sie bewundern dich. Du führst den Hof besser als dein Mann. Du musst nur um Hilfe bitten und sie dann auch annehmen.»

Ella schluckte. «Danke», presste sie hervor.

«Da nicht für. Ich komme morgen früh vorbei und dann schauen wir mal gemeinsam, was vor dem Winter noch unbedingt erledigt werden muss. Das wird schon.» Er lächelte.

Ella rieb sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und lächelte ebenfalls.

* * *

Ella schlug mit der Axt auf das gefrorene Wasser im Bottich vor dem Stall. Wenn es wenigstens schneien würde. Schnee ließ sich schnell schmelzen, doch seit vierzehn Tagen waren auch tagsüber minus zehn Grad und auf allen Wasserbehältern eine dicke Eisschicht.

Die Kühe brüllten im Stall. Das Vieh durstete. Sie griff nach ein paar Eisschollen und warf sie in den mitgebrachten Eimer. Trotz der Handschuhe waren ihre Finger klamm. Auf ihrer Stirn standen Schweißtropfen und die Arme taten ihr weh. Doch sie erhob erneut die Axt und schlug zu.

«Nun lass. Ich mache das schon. Wo ist denn Joost?» Karl trat hinter sie.

«Er liegt mit Fieber im Bett.» Ella ließ die Arme sinken.

Er nahm ihr die Axt aus der Hand. «Geh du das Eis auftauen. Ich bringe dir gleich noch ein paar weitere Eimer.»

Ella stieß die Luft aus. Ohne Karl wäre sie verloren. Er kam jeden Tag vorbei und half ihr bei den schweren Arbeiten. Sie fragte sich, was Anne wohl darüber dachte. Einmal hatte sie ihn gefragt, doch er hatte nur den Kopf geschüttelt und gelächelt.

«War Ernst denn heute nicht hier?»

Ella zuckte mit den Schultern. Christians ältester Sohn kam morgens und half ihr, so gut es ging. Doch auch Stine war allein und brauchte die Hilfe ihrer Söhne. Die fehlende Wasserversorgung war für alle ein Problem. Sie griff nach den Eimern, richtete sich auf und schleppte ihre Last in die Küche.

Johanna saß vor dem Herd auf dem Fußboden. Sie trug zwei Pullover übereinander. Ihre Wangen waren gerötet. Sie wiegte Horst in ihren Armen. «Er ist endlich eingeschlafen», flüsterte sie. «Er hat schon wieder ganz doll gehustet, Mutter.»

Ella strich ihrer Tochter über das Haar und betrachtete besorgt ihren Sohn. Im Sommer hatte der Husten vorübergehend nachgelassen und Horst hatte sich gut entwickelt. Doch seit dem Wintereinbruch ging es ihm wieder schlechter. Er war blass und atmete stoßweise.

Sie nahm Johanna den Kleinen ab und legte ihn auf eine Matratze in der Nähe des Ofens. Seit drei Tagen schliefen sie alle in der Küche, dem einzigen Raum im Haus, der sich einigermaßen heizen ließ.

Sie legte Kohlen nach und goss das Wasser aus dem Topf in den bereitstehenden Eimer. Dann füllte sie die neuen Eisschollen hinein und stellte ihn zurück auf den Herd.

Karl betrat die Küche und strich Johanna über das Haar. «Du warst lange nicht mehr bei uns zum Spielen. Michel vermisst dich schon.»

«Ich vermisse ihn auch, aber ich muss Mutter helfen. Horst ist krank.»

Ella schluckte. Johanna half, wo sie konnte, ohne zu murren und zu klagen. Auch sie hatte früh zu Hause auf dem Hof geholfen, doch ihre Mutter hatte es immer geschafft, daraus ein Spiel zu machen. Ihr gelang das nicht. Sie war oft streng zu Johanna. Die Arbeit und die Sorge um Horst hatten sie hart werden lassen. Gegen sich, aber auch gegen andere. «Es ist auch viel zu kalt. Der Weg ist weit», brummte sie. «Doch du kannst jetzt malen, wenn du möchtest.»

Johanna hob den Kopf. Sie zögerte. «Ich kann auch nach den Kühen schauen. Vielleicht hören sie dann endlich auf zu brüllen. Bestimmt sind sie traurig, weil ich heute noch nicht im Stall war.»

Ella lächelte. Johanna hatte eine Hand für Tiere und tatsächlich schienen sie sich in ihrer Nähe zu beruhigen.

Karl nickte. «Das mach man, Lütte. Ich bringe die Wassereimer in den Stall und du kommst mit. Dann hören sie bestimmt gleich auf zu brüllen.» Er zwinkerte Ella zu und griff nach den Eimern.

Johanna folgte ihm lächelnd.

Ella sah den beiden nach. Horst hustete.

1941

1

Es zischte und die ganze Küche stank nach verbrannter Milch. Ella riss den Kochtopf vom Herd und griff nach einem Lappen. «Deern, kannst du nicht einmal Milch kochen?» Ihre Stimme überschlug sich. Sie schob Aneta, die junge Polin, barsch zur Seite und hob die geballte Faust.

Aneta zuckte zusammen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Johanna schrie auf. «Mutter, was tust du. Aneta hat das doch nicht mit Absicht gemacht.»

Ella ließ den Arm sinken und seufzte. «Geh in den Stall und sammel Eier. Die Milch ist verdorben. Mittagessen ist für dich gestrichen.»

Johanna griff nach Anetas Hand und zog die junge Frau hinter sich her. «Komm», flüsterte sie. «Ich gebe dir etwas von meinen Eiern ab.» Sie sprach gerade so laut, dass Ella sie hören konnte.

Aneta lächelte und strich der Kleinen über die blonden Locken.

«Liebes Kind.» Sie warf Ella einen bösen Blick zu.

Einträchtig verließen die beiden die Küche.

Ella sank auf den Küchenstuhl und verbarg ihr Gesicht in den Händen.

Die polnische Fremdarbeiterin war zu nichts zu gebrauchen. Sie war keine Hilfe, sie war ein drittes Kind. Das Mädchen war erst 14 Jahre alt, aber sie selbst hatte sich in dem Alter schon besser angestellt. Oder täuschte sie sich? Ella seufzte. Aneta war hier, um zu arbeiten, und für nichts anderes.

Vor einem halben Jahr waren die Fremdarbeiter auf die Höfe im Koog gekommen. Eingepfercht in einem Holzkäfig waren sie wie Tiere angeliefert worden. Ella hatte Mitleid gehabt. So ging man nicht mit Menschen um. Doch angeblich hatten sich alle freiwillig gemeldet. Manchmal bezweifelte sie es, denn was war schon freiwillig in dieser schweren Zeit?

Sie seufzte erneut. Die Verteilung auf die Höfe war schwierig gewesen. Fast kam es ihr wie eine Versteigerung vor, nur dass niemand etwas bezahlen musste. Am Ende waren Aneta und Adam bei ihr eingezogen. Anfangs hatte sie gedacht, die beiden wären Bruder und Schwester, doch sie verband nur ihr gemeinsames Schicksal. Mit Adam hatte sie es gut getroffen. Er hatte bereits in Polen in der Landwirtschaft gearbeitet und kannte sich aus. Er war fleißig und kräftig. Einige der Fremdarbeiter waren schon völlig abgemagert und schwach angekommen.

Manchmal war er etwas vorlaut, aber das sah sie ihm nach, denn er hatte oft recht mit seinen Vorschlägen. Nur mit Aneta wurde sie nicht warm. Sie weinte viel, träumte sich durch den Tag und spielte am liebsten mit Johanna. Doch das war nicht ihre Aufgabe. Wenn sie sich wenigstens um Horst kümmern würde. Er war immer noch häufig krank. Aber Aneta wich vor seinem Husten zurück und hielt ihn auf Abstand. Wahrscheinlich hatte sie Angst vor Ansteckung.

«Madame?»

Ella schreckte hoch. Vor ihr stand Jean, der französische Kriegsgefangene, der seit vier Wochen auf dem Hof helfen sollte. Er streckte ihr seine blutende Hand entgegen.

Jean hatte eine Kriegsverletzung, die einfach nicht heilte. Kaum hielt er eine Forke, brach die Verletzung wieder auf. Doch was sollte sie sonst mit ihm anstellen? Für die Arbeit auf dem Hof brauchte sie jede Hand. Da konnte er sich nicht zum Heilen seiner Wunden in die Kammer legen.

Sie verdrehte die Augen und griff nach dem Verbandszeug, das schon auf dem Küchentisch bereitlag. Die Hand sah nicht gut aus. Sie nässte. Auf Jeans Stirn standen Schweißtropfen. Bestimmt hatte er Fieber.

Sie schüttelte den Kopf. «So kannst du nicht arbeiten. Besser, es kommt Luft an die Wunde. Geh in deine Kammer und ruh dich aus.»

«Kammer kalt.» Jean blieb stehen. Er zitterte am ganzen Körper.

Die drei Fremden schliefen im Stall. Dort hatten sie sich provisorisch kleine Verschläge abgeteilt, und trotz der Tiere war es eisig. Als Zuteilung hatten sie nur dünne Decken erhalten, die kaum wärmten. Ella hatte ihnen Bettbezüge gegeben, die sie mit Stroh füllen konnten. Das hielt wenigstens leidlich warm. Mehr konnte sie nicht tun.

Fremdarbeiter und Kriegsgefangene durften nicht im Haus leben. Es war ihnen nicht einmal erlaubt, sich dort aufzuhalten oder gemeinsam mit der Familie zu essen. Darüber setzte sich Ella allerdings hinweg. Was sollte das? Sie konnten ihre Mahlzeiten doch nicht draußen bei den Tieren einnehmen. Von der doppelten Arbeit ganz zu schweigen. Selbstverständlich bekamen sie die gleichen Speisen wie alle anderen. Vielleicht ein bisschen weniger Fleisch, aber genug Kartoffeln und Brot. Schließlich sollten sie etwas leisten. Im Koog litt niemand Hunger.

Ihr Blick fiel auf den Herd. Die Milch war verkocht. Und Milch war knapp. Die Abgabemengen wurden regelmäßig kontrolliert und wer zu wenig lieferte, bekam Ärger. Selbst für die Familie war die Entnahmemenge rationiert und den fremden Arbeitern stand keine Milch zu. Dabei gaben die Kühe jetzt im Winter sowieso schon weniger. Manche streckten die Milch mit Wasser, doch das fiel sehr schnell auf, weil der Fettgehalt ständig überwacht wurde. Für die eigene Käseherstellung blieb nichts mehr übrig. Dabei war sie so stolz auf ihren selbstgemachten Käse nach dem Rezept ihrer Mutter.

Jean stand noch immer vor ihr und klapperte mit den Zähnen.

«Setz dich an den Ofen und wärm dich auf. Bis zum Mittagessen geht das, aber dann ist Schluss.»

Sie steckte den Lappen in den Eimer mit kaltem Wasser und rieb über die verbrannte Milch auf dem Herd. Es zischte. Erschrocken zog sie die Hand zurück.

Ohne ein weiteres Wort setzte sich Jean auf die Ofenbank. Er schloss die Augen und summte leise vor sich hin. Er hatte in Frankreich Musik und Literatur unterrichtet, so viel hatte Ella von ihm erfahren, obwohl er kaum Deutsch sprach. Für die Arbeit auf dem Hof war er jedenfalls nicht geeignet, selbst mit einer gesunden Hand nicht.

«Moin!» Karl betrat die Küche. «Puh, wie riecht es denn hier?»

«Die Polin hat die Milch überkochen lassen.» Ella drehte sich zu ihm um und lächelte.

«Auch das noch.» Karl trat auf sie zu und strich ihr flüchtig über den Arm. «Also keine Milch für uns heute.»