Ellen Percy - Therese Huber - E-Book

Ellen Percy E-Book

Therese Huber

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Beschreibung

Ein Frauenleben erzählt anhand von romantischen Schicksalen.

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Seitenzahl: 449

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ellen Percy

Therese Huber

Inhalt:

Therese Huber – Biografie und Bibliografie

Ellen Percy

Vorwort

Erster Theil

Zweiter Theil

Ellen Percy, T. Huber

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849628321

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Therese Huber – Biografie und Bibliografie

Schriftstellerin, Gattin des Schriftstellers Ludwig Ferdinand Huber, geb. 7. Mai 1764 in Göttingen als Tochter des Philologen Heyne, gest. 15. Juni 1829 in Augsburg, verheiratete sich 1785 mit Georg Forster, doch war ihre Ehe bei dem völlig verschiedenen Grundwesen der Gatten keine glückliche, ohne dass es zu einem offenen Bruch gekommen wäre. Therese folgte ihrem Gatten nach Vilnius, später nach Mainz. Als 1792 die französische Invasion in Deutschland begann und Forster im republikanischen Interesse zu wirken anfing, sandte er die Gattin mit den Kindern nach Straßburg und von da nach Neuenburg, wo sie im Hause einer befreundeten Familie Aufnahme fand. Nach dem Tode Forsters verheiratete sie sich mit H. (s. oben). Die Not veranlasste sie zu schriftstellerischen Versuchen, die, sämtlich (»Die Familie Seldorf«, Tübing. 1795, 2 Tle.; »Luise«, Leipz. 1796; »Erzählungen«, Braunschw. 1800–02, 3 Bde.) unter dem Namen ihres Gatten veröffentlicht, zu den bessern ihrer Art gehören. 1804 zum zweiten mal Witwe geworden, lebte sie 10 Jahre lang bei ihrem in Bayern angestellten Schwiegersohn, fortwährend mit literarischen Arbeiten beschäftigt, ging dann nach Stuttgart und übernahm hier 1819 die Redaktion des »Morgenblattes«, die sie mit großem Geschick besorgte. 1824 zog sie nach Augsburg. Ihre späteren Dichtungen (»Erzählungen«, Stuttg. 1820, 2 Bde.; »Hannah«, Leipz. 1821; »Ellen Percy«, das. 1822, 2 Bde.; »Jugendmut«, das. 1824, 2 Bde.; »Die Ehelosen«, das. 1829, 2 Bde.) führen ihren Namen; sie bekunden sämtlich die seine Geistesbildung, den reichen Schatz von Menschenkenntnis und das tiefe Gemüt der Verfasserin. Auch gab sie J. G. Forsters »Briefwechsel nebst einigen Nachrichten von seinem Leben« (Leipz. 1829, 2 Bde.) heraus. Eine Sammlung ihrer »Erzählungen« (Leipz. 1830–33, 6 Bde.) besorgte ihr Sohn. Vgl. Elvers, Vietor Aimé Huber, Bd. 1 (Brem. 1872); L. Geiger, Therese H. Leben und Briefe einer deutschen Frau (Stuttg. 1901).

Ellen Percy

Vorwort

Mein Verleger fürchtet vielleicht, daß er in dieser Erzählung kein Product für die Leihbibliotheken, kein Büchelchen für Toiletten und Theetische herausgibt. Die Mittel, jene zum Ankauf zu ermuthigen, kenne ich nicht; sind es Recensionen, so brauche ich nur zu wünschen, daß Ellen Percy von den edelsten unsrer Recensenten beurtheilt werde – und so viel Selbstüberwindung es uns Recensirten kosten mag, müssen wir doch gestehen, daß es deren gibt und geben kann – um auch diesen, trotz seinem ernsten Titel, empfohlen zu werden. Was aber den Theil meiner Landsmänninnen betrifft, die beim Putz- und Theetisch lesen, so versichre ich Herrn Brockhaus zuversichtlich, für sie ist meine Ellen Percy gemacht. Ich weiß, daß eine große Zahl, ja die Mehrzahl meines Geschlechts in der glänzenden Welt (gaudy World nennt sie der ernste Young), sich nach ernsten Gedanken, tröstenden Ansichten, erhabnen Hoffnungen sehnt; ich habe vielfach erfahren, wie die anscheinend Leichtgesinnte, im einzelnen Gespräch festgehalten, erfreut, erweckt ward, wenn ich zufällig einen geistigen Funken in ihr entzündet hatte, wie mir manches Gesichtchen unter seinem Blumenkranz, manche ältere Frau im Assembleeputz freundlicher zuwinkte, wenn ich Tags zuvor ein wahres, oft ernstes Wort zu ihr gesagt hatte. Diesem Theil meiner Landsmänninnen habe ich Ellen Percy vorzüglich bestimmt. Ich stelle ihnen ein gedankenlos eitles, unbesonnen selbstsüchtiges, vom Glück verzognes Geschöpf dar, das, ohne alle Widerstandskraft im Unglück, ohne alle Fertigkeit zum Erwerb, in Armuth verfällt, aber durch Unglück und Armuth zur Entwicklung seiner moralischen und körperlichen Anlagen geführt, zu innerm Frieden und gesellschaftlichem Wohlstand gelangt. Ihr Leichtsinn verletzt nie die Schaam, der Schmerz um ihre Thorheit wird nie winselnde Reue, ihre Frömmigkeit bleibt von Kopfhängerei fern, ihre Armuth ist nie ein unthätiges Versinken in widrige Hülflosigkeit. – Ellen ist eine edle Natur, die durch harte Schicksale gebildet wird und Andre lehrt, wie sie Schicksale benutzen sollen.

Erster Theil

Selbstschilderung kann sich nie einer absoluten Wahrheit rühmen. Nicht die Gegenstände, wie sie waren, sondern wie sie mir erschienen und auf mich wirkten, stelle ich dar. Aber diese Wahrheit reicht auch hin, da die Folge der Vorstellungen im Gemüthe und ihr Einfluß auf die Handlungen den Werth einer Selbstschilderung und ihren Nutzen für Andere bestimmt. Ermuntere ich eine und die andre meiner Schwestern bei der Selbsterziehung, die sie sich, bei der Erziehung, die sie ihren Kindern geben soll, die Klippen zu meiden zwischen denen mein Lebensschiff kaum dem Untergang entging, so ist es einerlei, ob diese Klippen in Wahrheit diese oder jene Linien bezeichneten, wenn ich nur mit redlichem Geist sie darstelle, wie sie mir vorkamen. Mit diesem redlichen Geiste erzähle ich, wie mich Thorheit ins Unglück stürtzte, und die auch in der Thorheit nie verlorne Reinheit des Willens durch bessre Erkenntniß aus Unglück mich gerettet hat.

Mein Großvater gehörte zu der alten, geschichtlich verehrten Familie der Percy's; als jüngrer Sohn eines jüngern Zweigs derselben war er noch glücklich, nach seiner Heirath mit einem Mädchen ohne allen Namen, die ihm den Haß seiner vornehmen Verwandten zuzog, durch eine kleine Pfarre vor gänzlichem Mangel geschützt zu seyn. Doch dieser ärmliche Schutz rettete nach seinem frühen Tode seine Wittwe und Waisen nicht vor drückender Armuth, und die Percy's mogten nicht ungern sehen, daß ein nicht ebenbürtiger Zweig ihres erhabnen Stammes in Vergessenheit untergehe; denn sie ließen meiner Großmutter keine Unterstützung angedeihen. Diese Umstände legten wohl den Grund zu meines Vaters Verachtung gegen Geburtsvorrechte, die seinen Vater so unbillig drückten, und zu hoher Schätzung eigner Kraft, durch welche er sich, beim Anfang meiner Geschichte, zu einem der Directoren der ostindischen Compagnie emporgearbeitet hatte. Er ist daher auch der Einzige seines Geschlechts, mit dem ich je in Verhältnissen gestanden, und Keiner desselben ward mir bekannt, der mich bewogen hätte, ihn zum Wohlthäter, zum Vorbild, oder zum Freunde zu erwerben. Mein Vater war ein stark gebauter, bräunlicher Mann, mit lebendigem Auge, scharf gezeichneten Runzeln im Augenwinkel und buschichen Braunen. Sein Mund hatte einen arglistigen Zug, der wahrscheinlich schuld daran war, daß ihn das Lächeln mißkleidete; allein da er dieses sehr selten that, war das nicht störend, um so mehr, da ich ihn nur in einem Alter kannte, dem ein gewisser Ernst zukömmt, das er aber mit Rüstigkeit trug. Meine Mutter war ganz andrer Natur: ein zartes, gefühlvolles Wesen, deren wehmüthiges Lächeln bewies, daß ihre Kräfte zum Wohlthun dem liebevollen, glänzenden Blick ihrer Augen nie genügten. Ach! noch sehe ich sie, wenn sie ihre Hand segnend auf mein Haupt legte und mehr flehend wie vertrauend emporblickte! Sie war sich bewußt, daß alle ihre Hingebung nicht ausreichte, mich zu erziehen, und fand doch zuletzt immer wieder ihren Trost in der Ueberzeugung vor Gott, sich gänzlich hingegeben zu haben. Ich weiß nicht, ob ich die Unbändigkeit meines Charakters von frühster Kindheit an einer natürlichen Anlage, oder früh begangnen Fehlern in der Behandlung meiner Wärterin zuschreiben soll? Genug, daß Heftigkeit, Eigenwille, Stolz meine Erziehung vom ersten Augenblick an erschwerten. Die milde Stimmung meiner Mutter verleitete sie zu dem irrigen Schluß, daß Vermeidung jedes Widerspruchs mich der Widersetzlichkeit entheben würde, bis die reifende Vernunft, meinen Willen regelnd, ihm Herrschaft über meine Leidenschaften verliehe. Ohne einen Verstandesschluß lehrte mich nun die Erfahrung das Mittel, jeden meiner fantastischen Einfälle durchzusetzen. Ich weinte bei dem ersten Hinderniß und weinte fort, bis ich das Gewünschte erhielt. Nach meiner Mutter verderblichem Grundsatz, konnte nur die Unmöglichkeit sich mir in den Weg stellen, und wo diese eintrat, kaufte sie durch überwiegenden Ersatz meine Verzeihung für ihr Gesetz; glücklich, wenn mein Eigensinn meiner Fantasie nur erlaubte, in einen solchen Handel zu willigen. Eine Tugend entwickelte diese völlige Abwesenheit des Widerspruchs: eine unverbrüchliche Wahrhaftigkeit meiner Gesinnungen und Gefühle; sie ward mir Bedürfniß gegen mich selbst und gedieh bei reifendem Verstande zu dem Grundsatz, dem ich zuerst die Entwickelung alles Guten zu verdanken hatte.

Ungezügelt in meinen kindischen Wünschen, stets angehört bei meinen kindischen Reden, konnte es nicht fehlen, daß mir hier und da Worte entschlüpften, welche die Vorliebe meiner Mutter und die Schmeichelei meiner Wärterin zu witzigen Einfällen stempelten. Sie wurden den Gästen meiner Mutter wiedererzählt, ihre unbedachtsame Bewunderung steigerte den Begriff, den ich von meiner eignen Wichtigkeit hatte, und reizte mich ganz unvermeidlich, das Talent schneller und witziger Antworten, welches in unserm Geschlecht sich so leicht der Bewunderung zu erfreuen hat, zu entwickeln. Meine Mutter konnte sich nicht enthalten, auch meinen Vater mit meinen Witzfunken bekannt zu machen. Sein ernstes Gesicht erheiterte sich bei solchen Erzählungen, und, abgespannt von seinen Rechnungsübersichten, konnte er wohl bei seiner Rückkehr am Abend sagen: »Fanny, laß mir einen recht guten Bissen zum Abendessen reichen und erhalte Ellen guter Laune, so will ich heute nicht in Club gehen.« – Seine Absicht wurde aber nicht immer erreicht. Meine Mutter that zwar ihr Bestes; mir ging es aber wie vielen ausgebildeten Leuten, denen sich ihr Witz versagt, wenn sie zur Unterhaltung aufgefordert werden: ich machte ihm Langeweile und ward weinend zu Bett geschickt. Gefiel ihm aber mein Geschwätz, so sagte er etwa: Was hilft ihr das? Ja, wäre sie ein Knabe, so sollte sie mir Parlamentsglied werden; aber was hilft ihr als Mädchen der Verstand? – Ich hoffe, sagte meine Mutter schüchtern, er soll sie glücklicher machen. – Pah, rief mein Vater, mit zweimalhunderttausend Pfund braucht sie kein anderes Glück, als sich von früh bis Abend die Zeit zu vertreiben. – Ich hörte diese und manche ähnliche Rede mit an, und es bildete sich in meinem Kopfe eine feste Verbindung zwischen den Begriffen von Zeitvertreib und Glück, zwischen Beschäftigung und Elend, die den Grund zu tausend Irrthümern legte.

Also der Mittelpunct der Bemühung und Sorge eines ganzen Hauses, war meine Zufriedenheit je länger je mehr getrübt. In dem Maaße, wie die Zahl meiner Begriffe zunahm, stieg die Zahl meiner Wünsche, die Beharrlichkeit meines Willens und die Unmöglichkeit der Gewährung. Die Mannichfaltigkeit meiner Genüsse gebar schon in Kinderjahren hie und da die Empfindung der Leere, welche den Satten verfolgt; die Untrüglichkeit, welche ich meinen Aussprüchen beimaß, die Herrschsucht, die ich übte, vereinzelte mich unter meinen Gespielinnen. Von meinem überlegnen Werth überzeugt, schien mir ihre Abneigung eine Rebellion gegen das Recht und die Gerechtigkeit, die ich ihren guten Eigenschaften, meiner Wahrheitsliebe gemäß, widerfahren ließ, und indem ich mir diese auch zur Tugend anrechnete, vermehrte sie meinen Stolz. Nach und nach empfand mein Vater das Nachtheilige in meiner Entwicklung, und er widersetzte sich irgend einem meiner Einfälle mit einer Entschiedenheit als gälte es einen Krieg auf Tod und Leben. Allein nach einer Stunde, einem Tag, ja einer Woche, durch die ich Bitten, Weinen, Schmollen fortgesetzt hatte, gewährte er in einem Anfall von Zorn, was er bis dahin standhaft verweigert hatte; der Sieg war mein, und sein Schwäche versprach mir, daß ein jeder anderer auf eben dem Wege zu erkämpfen sey. Meine gute Mutter, der jeder Mißton in der Außenwelt die Seele zerriß, suchte jeder solchen Widersetzlichkeit von Seiten meines Vaters zuvorzukommen; hatte sie einmal begonnen, so trieb ihre Schüchternheit sie an, durch verdoppelte Milde gegen mich meinen Eigensinn zu entwaffnen, und war die Krisis herbeigekommen, so befriedigte sie schnell meine Wünsche, um deren Gegenstand nicht eine neue Wichtigkeit zu verleihen. Sie mogte oft die endlichen Folgen meiner Verkehrtheiten ahnen; sie bemühte sich oft mein junges Herz zu Gott zu erheben, allein auch bei diesem heiligsten Mittel der Bildung verfehlte sie den Weg. Sie lehrte mich nur immer Gott danken für die Vorzüge, die er mir verliehen, aber machte mich nicht aufmerksam auf die, welche so viele meiner ärmern Mitgeschöpfe vor mir voraushatten, und durch deren Erwerbung ich allein zu Gotteskinde werden konnte.

Endlich war der Augenblick gekommen, wo mein Eigensinn mir eine herbe Strafe bereiten sollte. Ich hatte eben mein neuntes Jahr vollendet, als eine Bekannte meiner Mutter mir eine Einladung sandte, das Schauspiel in ihrer Loge zu besuchen. Eine Erkältung mit Halsweh verbunden hatte mich seit einigen Tagen ins Zimmer gebannt, und dieser Umstand bewog meine Mutter, mich zu Hause zu behalten; unglücklicherweise war die Botschaft in meiner Gegenwart ausgerichtet, und das bestimmteste Verlangen ins Schauspiel zu gehen war die Folge. Meine Mutter wendete vernünftige Vorstellungen an, ich beantwortete sie mit ungestümen Bitten, sie wies sie mit entschädigenden Versprechen ab, ich setzte ihnen lautes Weinen entgegen. – Sorge um meine Gesundheit gab diesesmal meiner Mutter Muth zu beharren, sie befahl meiner Wärterin, mich zu entfernen. – Nun brach meine Unbändigkeit los; ich wehrte mich und erhitzte mich bis zur convulsivischen Heftigkeit, als mein Vater, der dazu kam, die Geduld verlor und zu meiner Mutter sagte: »Das Schreien kann ihrem Hals gefährlicher werden, wie funfzig Schauspiele.« – So wüthend ich war, bemerkte ich doch, daß meiner Mutter diese Aeußerung mißfiel. Mein Vater, der sein Unrecht fühlen mogte, half sich damit, sie anzuklagen, daß ihre Behandlung an meiner Unart schuld sey; sie erwiederte seufzend, daß ich zu meinem eignen Wohl gebändigt werden müßte, worauf er nachläßig sagte: »Pah! bei einem Weibe ist ein Bischen Widerspruchsgeist recht nützlich«, ein Spruch, durch den mancher rohe Ehemann die milde Güte seiner Gattin belohnt. – Dieses Gespräch war für mich nicht verloren; ich schrie noch ausgelassener, wie vorher, bis mein Vater, aus aller Fassung gebracht, mir zurief: »Nun du unbändiges, ausgelassen unartiges Ding, so thu, was du willst, und hör auf zu lärmen.« – Jetzt hatte ich, was ich wollte, ließ mich schnell anziehen und ging ins Theater.

Doch die Folgen waren schrecklich. Kaum war ich wieder nach Haus gekommen, so verfiel ich in ein heftiges Fieber; lange bedrohte mich der Tod. Meine Mutter, meine geliebte, engelgute Mutter, die allein die Empfindung der Liebe in mir erweckte, deren Milde bei aller meiner Unbändigkeit den Begriff von Tugend in mir wach erhielt, deren unaussprechliche Güte doch eine Ahnung von Gewissen in mir begründete, wich nicht von meinem Lager. Sie opferte ihre Gesundheit auf, um mein Leben zu erhalten. Ich genaß; aber nach einigen Monaten war die Abnahme ihrer Kräfte unverkennbar, nur ich allein verstand deren drohende Bedeutung nicht; und doch – wenn ich sie von meinem endlosen Geschwätz, meinen lärmenden Spielen gänzlich erschöpft sah, konnte mich der Anblick so ergreifen, daß ich unbewußt meine jauchzende Stimme zu sanften Tönen herabstimmte und auf den Zehen um ihren Sopha einherschlich. Auch das längste Menschenleben kann nicht das Andenken der himmlischen Freundlichkeit schwächen, mit der sie diese kleinen Beweise meiner Achtsamkeit aufnahm. Bald wurde mein beständiger Aufenthalt in ihrem Zimmer täglich auf wenige Stunden eingeschränkt, dann brachte man mich nur noch früh zu ihr, wo ihre Kräfte in einiger Spannung waren, und Abends, um ihren Segen zu empfangen, und endlich – verflossen drei Tage, in denen mir ihr Anblick gänzlich entzogen blieb. Ungeduldig hatte ich sie zu sehen begehrt, leichtsinnig hatte ich mich durch nichtige Kurzweil davon abwenden lassen, als mir der Befehl gemeldet ward, zu ihr zu kommen. Mit kindischer Fröhlichkeit sprang ich in ihr Zimmer. Doch wie schnell verstummte meine Freude, da mich meine Mutter mit laut ausbrechendem Weinen in ihre schwachen Arme schloß, mehrmals versuchte sie zu sprechen, aber ihre Wehmuth verhinderte sie. Da trat ein fremder, ernsthafter Mann, der aufmerksam auf sie blickend am Bette stand, herzu und wollte mich, mit der Bemerkung: »die Kranke schade sich« von ihr wegnehmen. Die Furcht, mich fortführen zu sehen, belebte meiner Mutter schwindende Kräfte, sie sagte mit gebrochner, schwacher Stimme: »Komm, meine Ellen, komm, falte deine kleinen Hände und bitte Gott, daß wir uns wiedersehen mögen!« Ich verstand den Sinn ihrer Worte nicht, aber wie ich sonst, wenn sie mich beten ließ, zu thun gewohnt war, kniete ich nieder, legte meine gefalteten Hände auf ihre Knie und betete: Guter Gott, laß mich meine Mutter wiedersehen! Zweimal ließ sie mich diese Worte wiederholen, legte dann ihre gefalteten Hände auf mein Haupt und gab mir mit innigen, heißen Gebeten, in leisem Geflüster ihren letzten Segen. Nur eine der Bitten, die sie in diesem Augenblick zu Gott sprach, ist in meinem Gedächtniß geblieben; anfangs aus Verwundrung, weil ihr Sinn mir unbegreiflich war, späterhin ward sie durch die Umstände mit unwiderstehlichem Nachdruck in mir aufgefrischt: »Sey, o mein Gott! betete sie, gütiger, wie ihre irdischen Verwandten, sey ihr ein Vater, wenn du gleich durch Züchtigung dich also erweisest!« – Noch Manches sagte sie, das mein Leichtsinn bald vergaß, bis ihr erneutes Schluchzen den fremden Mann wieder herbeizog, um mich zu entfernen, welches ich mir denn auch, von der Traurigkeit des Auftritts ermüdet, ziemlich gern gefallen ließ. Noch einmal drückte sie mich an ihr Herz; wie die Thüre hinter mir sich zuschloß, hörte ich noch einmal den leisen Schrei ihres Schmerzens, und auf ewig war für mich ihre Stimme verhallt.

Den folgenden Tag bat ich umsonst, meine Mutter zu sehen. Noch einen, und die Leute eilten traurig und geschäftig um mich her, die Dienstboten sahen mich verstört und mitleidig an, ein und der andre weilte mit einem Ausruf des Bedauerns bei meinen kindischen Spielen. Ein Augenblick von langer Weile brachte mich darauf, meinen Willen, zu meiner Mutter gebracht zu werden, bestimmt durchzusetzen. Meine Wärterin suchte mich abzuweisen, mit Zögern entdeckte sie mir die traurige Wahrheit; allein gewohnt, durch Täuschung jeder Art beschwichtigt zu werden, wollte ich ihr gar nicht glauben, bis ihr betrübtes Gesicht mich aufmerksam machte, worauf ich ihrer Obhut entsprang und ungestüm zu dem Zimmer meiner Mutter entfloh.

Ihre Thür, die sonst bei meinem ersten Zuruf aufsprang, blieb verschlossen, allein der Schlüssel stack im Schloß, und auf meinen Versuch ließ sie sich öffnen. Alles hatte sich hier seit meiner letzten Anwesenheit sonderbar verändert: still, leer, aufgeräumt, unheimlich kam es mir vor. Ihre Bettvorhänge waren zurückgebunden, ihr Lager sorgfältig geordnet, und doch schien sie unter dem leichten Tuche zu ruhen. Ich zog es hastig hinweg, ihr blasses Antlitz bot sich mir dar. – Mutter, Mutter, wach auf! rief ich, erschrocken, daß ihr Lächeln mich nicht empfing; ich legte meine Hand an das liebe Gesicht, das ihrem Schmeicheln noch nie widerstanden, – es war kalt, wie Marmor; aber noch immer den Tod nicht erkennend stieg ich auf das Bett und schloß das fühllose Todtenbild in meine Arme. – Da scheuchte ein Schreckensgeschrei mich empor – es war meine Wärterin, die mir nachgefolgt war, und der Abscheu, mit dem sie mich am starren Busen der Mutter erblickte, belehrte mich endlich von meinem Unglück. Mein Schmerz kannte keine Grenzen; der Eigensinn, der mich auf jedem meiner Einfälle beharren machte, wies auch jetzt jeden Versuch ab, mich von der Todten zu entfernen. Mein Geschrei versammelte die ganze Familie, es zog zuletzt auch meinen Vater herbei, der mich mit Gewalt in mein Zimmer zu tragen gebot.

Die Natur forderte endlich Erholung von einem so ausgelassenen Schmerz, und ein tiefer Schlaf gewährte sie ihr bald. Am nächsten Morgen erregte zwar die erwachende Erinnerung aufs neue mein Klaggeschrei, allein es ward schwächer und schwächer. Der Anblick der Trauerkleidung zerstreute mich auch, und bald kehrte meine Traurigkeit nur anfallsweise zurück. Die Stellen, wo ich sonst meine gute Mutter zu sehen gewohnt war, konnten wohl noch oft schmerzvoll ihr Andenken erneuern; nur mit Widerwillen ließ ich mich in das Gesellschaftszimmer führen, wo nun Niemand mehr für meinen Zeitvertreib sorgte; und zog meine ungefällige Laune mir Vorwürfe zu, so lehnte ich mein Gesicht mit lauten Klagen auf das Polster, wo sie ehemals ihren Sitz hatte. Mein Vater fand diese Schmerzausbrüche bei der Erholungszeit, die er sich der tiefen Trauer wegen Anstands halber im Ostindischen Hause auf vierzehn Tage verschafft hatte, sehr störend. Da mit meiner guten Mutter Tod der einzige Einfluß, der meine Halsstarrigkeit zu beugen vermogte, dahin war, ward er täglich mit Klagen über meinen Uebermuth belästigt. Anfangs versuchte er sein Ansehn bei mir geltend zu machen, allein da ihm dieses gänzlich mißlang, beschloß er mich in eine der vornehmsten Erziehungsanstalten zu thun. Da er gar nicht darauf Anspruch machte, in das Geheimniß der feinsten Erziehung eingeweiht zu seyn, überließ er diesen Gegenstand unumschränkt dem Walten der Madame Dupré, der Directorin des Instituts; seine einzige Erinnerung war nur die, keine Kosten dabei zu sparen. – Und diese hat man redlich beobachtet. Ich verließ das jetzt mir so traurige Vaterhaus ohne große Betrübniß; die Aussicht, fortan mit Gespielinnen meines Alters zu leben, überwog die ängstliche Erwartung, in Zukunft unter fremder Aufsicht zu stehen. 

Mein Empfang in dem Institute war schmeichelhaft; kaum den Aufseherinnen vorgestellt, hörte ich die eine derselben zu der andern sagen: welche reizende Gespielin sie für Lady Marie du Bourgh seyn wird! – Gewiß! antwortete die andre, ein paar liebenswürdige Kinder! – Die erste sah mich prüfend an und erwiederte Etwas, wovon ich nur die Worte: »nicht zu vergleichen« verstand. Das Gespräch ward fortgesetzt, ich hörte aber nur die, welche ich schon für meine Widersacherin hielt, emphatisch die Ausdrücke sagen: »ein vornehmes Ansehen – Zartheit – adeliches Wesen«; und das währte so fort, bis nach kurzer Zeit Lady Marie ins Zimmer trat. Ich konnte über die Zusammenstellung, die man von uns beiden gemacht hatte, nur geschmeichelt seyn, denn sie war das liebreizendste Kind, das ich jemals gesehen. Die Damen riefen sie herbei, uns mit einander bekannt zu machen – sie verweigerte anfangs, unter dem Vorwand, sich von dem Schneider einen Ueberrock anpassen zu lassen, zu gehorchen, nur nach einem strengen Befehl von meiner Vertheidigerin trat sie mit schmollendem Munde herzu. Die Aufseherin schien absichtlich ihre Ungeduld auf's äußerste zu steigern, indem sie es ihr lange unmöglich machte, das Zimmer zu verlassen. Wir mußten gegenseitig unser Alter aufsagen. – Lady Marie war zwei Jahre älter, wie ich; wir mußten uns gegeneinander messen – ich war etwas größer, wie sie. – Mit Groll verließ sie endlich das Zimmer. Ich sah sie erst in der Schule wieder, wo wir in derselben Classe dieselben Aufgaben hatten. – Mein Bestreben über sie zu siegen war aufgeregt, die üble Laune zerstreute sie, so ward am Ende der Lehrstunden meine Arbeit gelobt, die ihre getadelt; und was als edler Wettstreit zu unsrer Bildung hätte benutzt werden sollen, streute in unsere Herzen den Samen unwürdiger Empfindungen aus.

Nachdem die Lehrstunden geschlossen waren, überließ man uns einiger Erholung, wo ich dann aus Stolz und Schüchternheit ganz vereinzelt von meinem Sitz aus die sich willkürlich bildenden fröhlichen Haufen meiner Gespielinnen betrachtete. Lady Marie flüsterte eine Zeit lang mit ein paar ihrer Vertrautern, dann ging sie, wie von ungefähr, nahe an mir vorbei und fragte hochmüthig: Ich bitte, Miß Percy, gehören Sie zu des Herzogs von Northumberland Familie? – Nein, antwortete ich. – Zu welchen Percy's gehören Sie denn? – Mein Vater ist ein reicher ostindischer Kaufmann in Bloomberry square, erwiederte ich, überzeugt, daß ich mich durch diese Nachricht sehr wichtig machen würde; allein ganz im Gegentheil fragte Lady Marie weiter: Nun wer war denn Ihr Großvater? denn einen Großvater müssen Sie doch gehabt haben? – Dabei sah sie, für ihren Einfall Lob ärntend, um sich her. Ich war aber wirklich in dem Fall, von meinem Großvater gar nichts zu wissen; aus Verdruß und Einfalt sagte ich: Ich weiß nicht, wer er war, doch ein Herzog kann er nicht gewesen seyn, denn ich hörte meinen Vater oft sagen, er habe bei seinem Eintritt in die Welt nicht fünf Schillinge gehabt. – Die kleinen Mädchen hielten noch einige lose Reden, die mich ziemlich aufbrachten, bis Lady Marie mir endlich noch ins Gesicht sah und ein unmäßiges Gelächter begann. Jetzt war meine Fassung zu Ende. – Mit viel mehr Muth als Zierlichkeit versetzte ich ihr die derbste Ohrfeige, über welche meine Gegnerin in ein unmäßiges Geschrei ausbrach, indeß ihre Gespielinnen starr von Erstaunen und Schrecken umherstanden. Man kann sich denken, was für ein Auflauf entstand! Lady Mariens Unart ward zwar getadelt, allein für meine rauhe Selbstvertheidigung sollte ich um Verzeihung bitten; das verweigerte ich hartnäckig, und nach den heftigsten Auftritten wurde ich zum Einsperren abgeführt. Drei Tage lang beharrte ich in meinem Entschluß; am vierten trieb mich Langeweile und Einsamkeit, der Aufseherin, die sich gleich bei meinem Eintritt in das Haus zu meinen Gunsten erklärt hatte, einen Vergleich anzubieten. Ich forderte, Lady Marie solle sich für ihre Unverschämtheit entschuldigen, so wolle ich mein Unrecht wegen der ertheilten Ohrfeige bekennen. Allein die Reihe, eigensinnig zu seyn, war jetzt an Lady Marie. So ging der fünfte Tag hin, nach welchem man mir, die Haft als Strafe anrechnend, mich ohne alle Bedingung in Freiheit setzte. Von der Zeit an war die entschiedenste Abneigung zwischen Lady Marie und mir ausgesprochen; nach und nach theilte sie die ganze Pension; alle unsre Gespielinnen mußten es mit einer oder der andern von uns beiden halten, – eine Trennung, wie die der Whigs und Torys fand statt.

Die letzte meiner Gefährtinnen, die sich für meine Partei erklärte, war Miß Julie Arnold, die Tochter eines kürzlich verstorbnen Seeassecuranz-Mäklers. Da der gute Mann sich selbst nicht im Stande sah, seiner Familie Glanz zu geben, gründete er seine Hoffnung auf die Zukunft seines einzigen Sohnes. Um es diesem zu erleichtern, vermachte er ihm, zum Nachtheil seiner Tochter, fast sein gänzliches, ziemlich ansehnliches Vermögen. Der junge Arnold, welchem die Sorge für seine Schwester dennoch oblag, hielt es fürs beste, ihr durch eine glänzende Erziehung Ansprüche an eine gute Versorgung zu verschaffen, und in dieser Absicht kam sie in unsre Pension. Die Natur hatte diesem Mädchen alle Eigenschaften zugetheilt, die zum Emporkommen durch Abhängigkeit erforderlich sind: Biegsamkeit des Charakters, Leichtigkeit im Umgang, ein Talent sich unbefangen anzustellen, keck zu schmeicheln, ein ungezwungnes Betragen, ein kaltes Herz und dabei nur gerade so viel äußre Annehmlichkeit, wie dazu gehört, nirgend zu mißfallen und doch nie Eifersucht auf sich zu ziehen; das waren die Bestandtheile ihres Wesens. Schon als Kind drängte sie sich unter die vornehmeren Gespielinnen, man liebte sie nicht allgemein, wollte sie aber einer Einzelnen gefallen, so gelang es ihr gewiß. Diese Julie schwankte lange zwischen mir und Lady Marie; ja wie es gegen die Vacanz zuging, und diese sie einlud, sie auf das Landgut ihres Vaters, des Herzogs von C., zu begleiten, sprach sie sich eine Zeit lang gänzlich zu ihren Gunsten aus; allein wenige Tage vor der bestimmten Abreise ließ Laune Lady Marie plötzlich eine Begleiterin ihres Standes wählen, und von nun an war Miß Julie mein treuer Bundesgenoß. Von meinem ersten Denken an gewohnt, Alles mit Heftigkeit zu erfassen, ward meine Liebe zu ihr bald ausschließend. Wir halfen uns gegenseitig in allen Vorfällen: ich trug ihr Neuigkeiten zu, und sie mir Confect, ich machte ihre Aufsätze, und sie half mir bei meinem Putz; doch der größere Vortheil blieb auf meiner Seite; meine ungezähmte Offenherzigkeit, auf die frühe Gewohnheit, Alles sagen zu dürfen und für nichts gestraft zu werden gegründet, zog mir bei den künstlichen Verhältnissen der Pensionswelt beständige Unannehmlichkeiten zu; kam es dann zur Anklage und ich stand auf dem Puncte, mich geduldig der Strafe zu unterwerfen, so wußte Julie durch einen unerwarteten Flug ihrer Einbildungskraft den Sachbestand in ein andres Licht zu stellen, so daß ich der Strafe entging. Hätte sie ihre List für eine Andere verwandt, so würde ich sie vielleicht richtig zu beurtheilen gewußt haben, allein für mich geübt, erregte sie anfangs meine Dankbarkeit und endlich meine Bewunderung.

Sieben Jahre meines Lebens gingen darauf hin, alle die schimmernden Talente zu erlernen, welche die glänzende Gesellschaft als einzige Vorzüge erkennt. Für keines bezeigte ich so viel Anlage, wie für die Tonkunst; keines entwickelte ich auch mit so vielem Fleiß, wozu mir der Wunsch, Lady Marie zu übertreffen, Beharrlichkeit gab. Sieben Stunden des Tages, die ich unausgesetzt darauf verwendete, brachten mich dahin, im Spiel auf dem Flügel und im Gesang so vollkommen zu werden, wie Tonkünstler, die von der Gunst des Publicums abhängen, zu seyn sich bestreben. – Sieben Stunden des Tages hatte ich der Musik gewidmet, indeß nicht einmal der Gedanke in mir aufgestiegen war, daß es Seelenkräfte gäbe, deren Entwicklung mein Wohl für Zeit und Ewigkeit begründete. – Nach und nach erwachte das Verlangen in mir, in eine Welt zu treten, in der ich mir bei meinen Vorzügen so vielen Beifall versprach. Daß ich reich war, wußte ich, daß ich hübsch war, vermuthete ich – ungeduldig erwartete ich den Augenblick, den Scepter der Schönheit, für den ich mich bestimmt hielt, zu schwingen. In dem Sommer, wo ich mein sechzehntes Jahr beschloß, verließ Lady Marie unser Institut, um ihre Mutter, die Herzogin von C., nach einigen Badeorten zu begleiten. Die Nachrichten, welche sie ihren Vertrauten von der Herrlichkeit ihrer neuen Lebensweise gab, vermehrten den Eifer, mit dem ich in meinen Vater drang, mich zu sich zu nehmen, solchergestalt, daß der nächste Winter zu meiner Entlassung aus der Pension festgesetzt ward.

Mein Vater nahm bei meiner Rückkehr in sein Haus eine gänzliche Aenderung seiner Lebensweise vor. Seit zwanzig Jahren hatte er, die kurze Ruhezeit nach meiner Mutter Tode ausgenommen, seine Tage auf der Börse oder in dem ostindischen Hause zugebracht. Der Freitag und Samstag, die er auf seiner Villa in Richmond verlebte, unterbrachen allein seine Geschäfte; nun er mich aber an die Spitze seines Haushalts stellte, übergab er den größten Theil seiner Handelsgeschäfte, sich einen ansehnlichen Theil des Gewinnstes vorbehaltend, einem jungen Kaufmann, und den Besitz der Muße mit dem Genuß derselben verwechselnd, nahm er sich vor, fortan sein Leben zu genießen. In den Weihnachtsfeiertagen verließ ich meine Pension, von Miß Julie Arnold, die ich mir auf einige Wochen zur Gesellschafterin ausgebeten hatte, begleitet. Ihre Pensionszeit war mit der meinigen zugleich geschlossen, und diese Einladung ihr, bei der Unsicherheit ihrer Verhältnisse, sehr gelegen. Mein Vater empfing mich in Richmond, wo wir den eigentlichen Eintritt der Wintervergnügungen abwarten sollten. Zu meiner Ueberraschung fand ich eine zweite Gesellschafterin vor, deren Persönlichkeit mit meinen Planen von glänzender Zukunft nicht so gut übereinzustimmen schien, wie die meiner jungen Gefährtin. Dieses war Miß Elisabeth Mortimer, eine vertraute Jugendfreundin meiner theuern Mutter, die durch rauhe Schicksale belehrt, ihren Geist zu einer Reinheit, ihr Herz zu einer Frömmigkeit gebildet hatte, die ich damals gar nicht zu begreifen im Stande war. Eines Versprechens eingedenk, das sie meiner Mutter einst gegeben: den Ruf, mir nützlich zu seyn, wenn mein Vater ihn einst an sie ergehen lassen würde, nicht auszuschlagen, verließ sie ihre ruhige Hütte in der Nähe von Greenwich, in der sie fromm und wohlthätig lebte, glücklich bei dem Gedanken, ihre Sorge für mich sey ein Band, das sie mit der geliebten Todten jenseit des Grabes vereinte. Noch jetzt glüht meine Wange vor Schaam bei dem Geständniß, daß ich ihre Liebe mit unwürdigem Muthwillen erwiederte. Ihre einfachen Sitten waren der Gegenstand unsers heimlichen Gespöttes, ihre Frömmigkeit nannten wir Methodisterei, ihre würdige Matronenkleidung schien uns allen Begriffen des feinen Tons zu widerstreben, und wie wir hörten, daß sie in ihrer stillen Heimath jeden Abend im Gebet mit ihrer treuen Dienstmagd – der sie jetzt auch ihren kleinen Haushalt übergeben hatte – beschloß, nahmen wir uns fest vor, uns der Einführung einer solchen »abergläubischen Sitte«, im Fall sie diese versuchen möchte, zu widersetzen. Doch dazu zeigte sie nicht die geringste Neigung, überhaupt legte sie uns in keiner Hinsicht Zwang auf; es schien, als sey sie von der siegenden Wahrheit ihrer Denkart so überzeugt, daß sie einzig die Wirkung der Zeit auf unsern Verstand, und ihres milden Beispiels auf unsre Gewohnheiten abzuwarten gedachte. Ihr angenehmes Betragen wandelte bald unser Mißbehagen an ihrem Beruf in minder gehässige Empfindungen um; allein weit entfernt, Miß Mortimers Werth schätzen zu können, machten wir sie zum Gegenstand unsrer kindischen Possen. Da wir ihr leicht anzuregendes Mitleid wahrgenommen hatten, erfanden wir Unglücksfälle, durch deren Erzählung sie augenblicklich zu Hülfleistungen aufgefordert, Meilen weit durch den Schnee ging, um den Leidenden Linderung zu bringen; wir versteckten ihre Andachtsbücher, entwendeten ihr Kinderkleidung und Wäsche, welche sie für Arme bereit hielt, und klebten Karikaturen in ihren Kirchstuhl. Ich weiß nicht, ob sie je errieth, daß wir es waren, denen sie diese unwürdigen Scherze zuzuschreiben hätte; nie wenigstens richtete sie einen Vorwurf an uns; sie ertrug sie mit sanfter Würde, ein mitleidiges Lächeln war alles, was sie sich erlaubte; und ward sie einmal durch einen unsrer übermüthigen Streiche in wirkliche Verlegenheit gesetzt, so war sie die Erste, herzlich über ihre eigne Lage zu lachen. Dieser verächtliche Leichtsinn kurzweilte uns lange Zeit, bis ein sehr ernster Vorfall mich so erschütterte, daß ich, ohne Miß Juliens festere Beharrlichkeit, wahrscheinlich meinen unwürdigen Muthwillen auf immer eingestellt hätte.

Wir wurden eines Tages zu einem benachbarten Gutsbesitzer gebeten, einem Wittwer mit ein paar ausgelassnen Söhnen und leichtsinnigen Töchtern, Miß Arnolds vorgezognen Bekannten. Mein Vater war anderweitig versagt und bat Miß Mortimer, uns zu begleiten; das war aber uns nicht gelegen, wir hatten eine lärmende Abendlustbarkeit vor, bei der uns dieser würdigen Frau Gegenwart störte, und versuchten alle Mittel, ihr den Besuch zu verleiden. Wir gossen ihr eine Tasse Thee auf ihr bestes Seidenkleid – sie bemerkte sanftmüthig, daß ein schlechteres ihr dieselben Dienste leisten würde; wir drangen in sie, Confituren zu genießen, in Hoffnung, daß sie ihr ein so heftiges Zahnweh erregen sollten, daß es sie am Mitgehen verhindern müßte – sie versagte sich dieselben. Wir erzählten eine gräßliche Räubergeschichte, die auf dem vorhabenden Wege gestern geschehen seyn sollte; sie meinte: um so weniger würden die Räuber sich heute auf demselben Wege betreten lassen. Nun ergriff ich ein andres Mittel – ich beredete den Kutscher, vorzugeben, daß die Berline einer Ausbesserung bedürfe, allein mein Vater entschied kurz und gut, daß wir mit Miß Mortimer oder gar nicht gehen sollten. – Es ward also beschlossen, ich müßte sie im Curricle fahren, und Miß Arnold nebst einem jungen Herrn von denen, die sich schon um die reiche Miß Percy zu versammeln anfingen, sollten uns zu Pferde begleiten. Jetzt glaubte ich die schönste Gelegenheit zu haben, meinen Muthwillen zu üben. Ich kannte die Furchtsamkeit der wackern Miß Mortimer; sobald wir daher meinem Vater, der uns vom Fenster nachsah, aus den Augen waren, gab ich unsern Begleitern zu Pferd ein Zeichen, und hin ging es in fliegendem Galopp. Schadenfroh sah ich Miß Mortimer erbleichen und ängstlich auf den Weg sehen; wie sie aber mit der sanftesten Anmuth sagte: »Liebe Miß Ellen, wär's nicht besser, etwas vorsichtiger zu seyn?« konnte ich ihr nicht widerstehen, ich wollte die Pferde anhalten; in diesem Augenblick ritt uns aber unser junger Begleiter vor und gab meinen Pferden im Vorbeisprengen einen Peitschenhieb. – Nun trotzten die aufgereizten Thiere meiner Anstrengung sie zu halten, sie sprengten davon, und nach wenigen Secunden rannten sie eine anständig gekleidete Frau, die nicht schnell genug über den Weg eilen konnte, zu Boden. Von der Schuld des Mordes rettete mich ein Fremder, der aus der Nähe herbeieilte und mit starkem Arme die Zügel ergriff. Die Pferde rückten das leichte Fuhrwerk widerstrebend zurück und warfen es um. Erschrocken eilte uns der Fremde zu Hülfe, indeß unsre Begleiter, in tollem Muthe voransprengend, gar nichts von dieser Begebenheit bemerkten. Wir waren beide nicht verletzt, und Miß Mortimer, sobald sie wieder aufrecht stand, eilte mit dem Fremden zu der ohne Besinnung im Wege liegenden Frau. Ich stand bewegungslos, meinen Blick auf ihre Bemühungen, sie zum Leben zu bringen, geheftet – endlich schlug sie die Augen auf – eine Zentnerlast fiel mir vom Herzen. Ich brach in Thränen aus, allein mein Stolz bewog mich, sie zu verbergen und mit dem Schein stolzer Fassung meine Befehle bei dem Aufrichten unsers verunglückten Fahrzeugs zu geben. Nach wenigen Minuten war die mißhandelte Frau im Stande, sich, von Miß Mortimer und dem Fremden unterstützt, in ihre nur funfzig Schritt entfernte Hütte zu begeben. Sie war nicht wesentlich verwundet; die Pferde waren, ohne sie zu berühren, über sie hinweggesetzt; nur der Schrecken und der Fall hatte die Arme des Bewußtseyns beraubt. Wie Miß Mortimer nach einer sehr kleinen Weile zurückkam, schlug sie mir vor, unsre Lustpartie auf zugeben und zurückzukehren. Die Furcht, den Tag mit ihr allein zubringen zu müssen, bewog mich, auf die Fortsetzung unsers Weges zu dringen; indem sie dem Fremden uns zu begleiten erlaubte, willigte sie ein zu Fuße weiter zu gehen. Schmollend ging ich neben ihnen her und hatte alle Muße, unsern Begleiter, den mir Miß Mortimer als ihren alten Bekannten, Herrn Maitland, vorstellte, zu beobachten. Er besaß eine athletisch große Gestalt, wenig Anmuth, ziemlich regelmäßige Züge und das glanzvollste Auge, das ich je sah. Hübsch zu seyn, verhinderte ihn eine gewisse gutgebildete Breitschultrigkeit, die wir Engländer unsern schottischen Nachbarn gern Schuld geben. Sein Lächeln war höchst anmuthig und zeigte die schönsten Zähne, allein der Ernst schien ihm gewöhnlicher; seine Stimme war voll, männlich und sanft; an seiner Sprache – doch er sprach nicht viel – würde ich, wenn sie gleich etwas Fremdes hatte, nicht den Schottländer erkannt haben, und diese Sprache war edel, kräftig, zuweilen zierlich, sie borgte aber von seinen Bewegungen keinen Beistand, denn diese blieben ruhig und kalt. Vielleicht war es aus gewohnter Abneigung, mit Fremden zu sprechen, vielleicht entfernte ihn auch das nachtheilige Licht von mir, in dem ich mich gezeigt hatte; genug, daß er, einzig Miß Mortimer unterhaltend, sich mit mir nicht mehr beschäftigte, als die strengste Höflichkeit ihm gebot, und dadurch mir, die ich darauf rechnete, die Huldigung jedes Mannes zu gewinnen, auf's höchste mißfiel.

Bei unserm Eintritt in Herrn Vancouvers Hause umringten uns die jungen Leute mit lautem Jauchzen, vor allen Miß Julie, die mich triumphirend um den Preis der mit ihr eingegangenen Wette, wer zuerst ankommen würde, erinnerte. Ich warf ihr verdrießlich und mit einem harten Vorwurf über unsern Unfall, den ich ihrem Voraneilen zuschrieb, meinen Geldbeutel hin, sie beschuldigte ihren Begleiter, Beide stritten zusammen über ihren Antheil an dem Vorfall, und der Tag ging in solcher Verstimmung hin, daß ich froh war, die Stunde der Abreise eintreten zu sehen. Mein Herz war viel zu ungebildet, um Unrecht einzugestehen, und die Langmuth, mit der Miß Mortimer mir jeden Vorwurf ersparte, erwärmte es nicht. Doch am Abend, wie ich dem ehrwürdigen Mädchen gute Nacht wünschte, entwischten mir die Worte: »Gott sey Dank, daß der Tag vorüber ist!« – Sie ergriff mit einer Wärme, die sie mir noch nie gezeigt hatte, meine Hand und sagte: »Schenken Sie mir morgen eine Stunde, liebe Ellen, ich will sorgen, daß sie Ihnen angenehmer verfließe.« Ich wußte ihr für ihre Nachsicht keinen Dank, denn ich hatte mirs mit Hülfe der Miß Arnold nun einmal in den Kopf gesetzt, daß sie kein Recht habe, mich zu meistern; allein ihr Wesen war bei dieser Bitte so mild, so einnehmend, daß ich höflich ihrer Einladung zu folgen versprach. Nach dem Frühstück, als Miß Arnold, einige Kaufläden zu besuchen, in die Stadt fuhr, forderte mich Miß Mortimer zu einem Spaziergang auf. Nach der Richtung des Wegs, den sie einschlug, errieth ich sogleich, daß sie mich zu der Hütte der Frau führte, welche meine Thorheit gestern in so augenscheinliche Lebensgefahr gebracht hatte; nur die Schaam hielt mich ab, auf der Stelle umzukehren, und mit einer bittern Empfindung, mich von einer Tugendlehre bedroht zu sehen, trat ich in das Haus. Ich fand es nicht ärmlich noch trostbedürftig; einige Bücher, reinliches Geräth, die größte Sauberkeit zeugten von einem geordneten hinreichenden Hausstand. Meine Begleiterin unterhielt sich mit der Matrone, die am Feuerheerd mit Spinnen beschäftigt war; und um meine Verlegenheit zu verbergen, nahm ich die Liebkosungen eines Windspiels an, das bequem auf einem gepolsterten Stuhl der Hausfrau gegenüber gelegen, bald nach unserm Eintritt herabgesprungen war und sich mir genaht hatte. Anfangs beschnupperte es mich nachdenklich, blickte mich an, wedelte mit dem Schwanz, dann setzte es seine Vorderfüße auf meine Knie und gab seine herzliche Freude zu verstehen. Mir selbst schien das Thier auch nicht unbekannt, ich freute mich seiner Freundlichkeit, die auch von den beiden Frauen bemerkt ward. »Ich habe Ihnen Miß Percy mitgebracht«, sprach jetzt Miß Mortimer, zu der Alten gewendet. Diese rief aber mit freudigem Erstaunen: Miß Percy? O da hat das treue Thier die Tochter seiner Herrin besser wiedererkannt, wie ich! – Guter Fidele, du sahst sie doch auch nicht mehr seit ... Hier verstummte ihre Stimme in Thränen, und bei dem Namen meiner Mutter zu wärmern Gefühlen erwacht, fragte ich nun mit Theilnahme nach der Bewandniß, die es mit diesem Hunde hätte, dessen ich mich von der letzten Lebenszeit meiner Mutter her jetzt wieder entsann. Frau Wells, die Bewohnerin dieser Hütte, war einst von der geliebten Verklärten, die ihre wohlthätigen Handlungen mit reiner evangelischer Demuth der Welt entzog, aus der bittersten Armuth gerettet worden. Sie hatte ihr Arbeit verschafft, sie hatte wöchentlich mehreremale einige Stunden in ihrer Hütte zugebracht, um ihren Töchtern Kleider machen und Tamburstickerei zu lehren; und so hatten diese drei Menschen es ihr zu danken, daß ihnen der Segen des Fleißes ein hinreichendes Auskommen verschaffte. Fidele war von meiner Mutter in ihrem letzten Lebensjahr als ein besonders schönes ganz junges Thierchen angenommen worden; ich erinnerte mich, wie er, vielleicht durch Einwirkung der Stille ihres Krankenzimmers und ihrer steten sanften Gegenwart, schon damals wegen seiner leisen Sprünge und milden Lustigkeit bewundert ward. Dennoch setzte ich mirs in den Kopf, mich vor dem beweglichen Geschöpf zu fürchten, was meinem Vater, dem mein Geschrei bei seinem Anblick verhaßt war, nach meiner Mutter Tod bewog, ihn zu entfernen. In der Ueberzeugung, ihn am besten bei der Frau Wells zu versorgen, deren Anhänglichkeit an die Verewigte ihm bekannt war, ward Fidele ihr übergeben, und die Liebe, mit der sie ihn gepflegt hatte, bewies, wie theuer meiner Mutter Andenken ihr war. Ich hörte mit Beschämung ihrer Erzählung zu. Wie erschien ich dieser Frau neben dem, was meine Mutter für sie gethan hatte! Mir ward das Herz nicht leichter, wie wir bald darauf den Heimweg antraten, sondern mein Gefühl trieb mich, unter dem Vorwand, mein Taschentuch vergessen zu haben, zurückzugehen und Frau Wells, indem ich ihr meinen Geldbeutel anbot, schüchtern um die Rückgabe des Hundes zu bitten. Sie gestand mir ein Recht auf Fidele, als ehemaliges Eigenthum meiner Mutter, zu und versprach ihn mir durch ihre Tochter zu senden, allein mein Geld wies sie zu meiner großen Beschämung zurück.

Wie ich wieder zu Miß Mortimer zurückkam, machte sie einige Bemerkungen über die Verdienste meiner Mutter, die ich fühllos genug gewesen wäre, in einem andern Augenblick als einen stillschweigenden Vorwurf meines Unwerths übelzunehmen, in diesem Moment war aber die schlimme Rinde meines Herzens gespalten, ich hörte sie mit Seufzen an, bat sie aber nach wenigen Minuten, mich heute nicht weiter mit diesen Gegenständen zu unterhalten, weil sie mich schon ganz trübsinnig gemacht hätten. Vielleicht würde der wehmüthig verwundernde Blick meiner würdigen Begleiterin noch länger auf meinem Antlitz geruht haben, hätte nicht Herr Maitland, der eben an dem Gartenhag abstieg, unsre Unterredung unterbrochen. Er wollte sich auch nach dem Befinden der Frau Wells erkundigen; wie er aber hörte, daß ihr Unfall ohne alle Folgen geblieben sey, gab er sein Pferd seinem Reitknecht und begleitete uns, oder vielmehr Miß Mortimer – denn mit mir sprach er nur grade so viel, wie die Höflichkeit aufs strengste fordern kann – nach Hause. Mein Vater stand an der Thüre des Parks; so wie Herr Maitland sich nahte, kam er ihm einige Schritte entgegen, reichte ihm die Hand und bewillkommte ihn mit einer Achtung, die ich ihn noch gegen Niemand bezeigen sah. Noch erstaunter, wie über diese Begrüßung, hörte ich, daß er ihn zum Mittagessen einlud, welches Herr Maitland auch nach einiger Weigerung annahm. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, ob ich während der Mahlzeit auf seine Gespräche im geringsten gemerkt habe. Nach Tisch, während er sich mit meinem Vater und Miß Mortimer unterhielt, führte ich am andern Ende des Zimmers, recht wie die ungezogne Jugend es sich herausnimmt, mit Miß Arnold und dem jungen Vancouvers ein Gespräch, das eben so laut wie gehaltlos, mehr wie einmal, obgleich vergebens, meines Vaters Ermahnungen auf sich zog. Miß Mortimer suchte unsern Verein zu stören, indem sie mehrmals die Rede an mich richtete; allein ich antwortete ihr so kurz, theilnahmelos und zerstreut, daß ihre Absicht nicht erreicht ward.

Nachdem sich unsre Gäste entfernt hatten, stellte sich mein Vater mit sehr ernstem Gesicht vor das Caminfeuer und sprach, seinen strengen Blick auf mich, die in einem fernen Fenster stand, gerichtet: »Miß Percy, Ihr heutiges Betragen hat mir mißfallen. Ich habe Ihnen die Wirthin eines reichen Hauses zu machen aufgetragen und wünsche, daß Sie es für Ihre Pflicht halten, meine Gäste gut zu behandeln – alle meine Gäste.« – Eine allgemeine Stille herrschte, und mein Vater verließ das Zimmer. Nun brachen meine Klagen aus. Miß Julie unterstützte mich und wagte es, meines Vaters Forderung lächerlich zu finden. Miß Mortimer sprach in ganz verschiedenem Tone; sie bewies mir alles Ernstes, daß er ein Recht zu ihr habe, besonders aber, wenn es einen Mann von Herrn Maitlands Werth beträfe, sey sie höchst billig. Ich lachte eben so höhnisch wie übermüthig auf. Von Herrn Maitlands Werth? Mein Vater und Miß Mortimer wünschen wohl gar, daß es mir gelingen möchte, des Gliedermannes Eroberung zu machen! rief ich aus. – Miß Julie bewunderte meinen Einfall mit lautem Gelächter. »Herrn Maitlands Eroberung?« wiederholte Miß Mortimer und sah mir mit ruhigem Ernst ins Gesicht; nein, wahrlich, liebes Kind, so weit versteigen sich meine Erwartungen nicht; Herrn Maitland! rief sie nochmals, indem sie, wie im Selbstgespräch, auf ihr Strickzeug sah, nein, das wär' ein abgeschmackter Einfall.

Bei diesen Worten fühlte sich meine Eitelkeit gekränkt. Ich bildete mir ein, Herr Maitland würde doch nicht der erste Hagestolz seyn, der eine siebzehnjährige Erbin unterjochte, und es entstand die Lust in mir, meine Macht zu versuchen. Bei Herrn Maitlands nächstem Besuch bemühte ich mich ihn in ein Gespräch zu ziehen; es gelang mir sehr gut; allein ich nahm nach einer halben Stunde wahr, daß ich in dieser ganzen Zeit weder Unsinn gesagt, noch dessen gehört hatte. Ein zweiter Versuch lief eben so ab; – um seine Aufmerksamkeit zu fesseln, mußte ich vernünftig seyn. – Nach einem dritten, der nicht besser gelang, gab ich meine Bemühungen auf, überzeugt, daß Herr Maitland gar keiner Anerkennung von Liebenswürdigkeit, noch einiges Einflusses derselben auf sein Herz fähig sey. Dessen ungeachtet schritt unsre Bekanntschaft fort; wenn es mir an andern Gesellschaftern gebrach, konnte ich eine halbe Stunde ganz angenehm mit ihm verplaudern. Er war gelehrt, es fehlte ihm nie an Gegenständen seiner stets ernsten Unterhaltung; sein Ausdruck war oft spruchreich und ward durch seine leise, ruhige Stimme noch anziehender. Seine Steifheit, mit der er zu viel Höflichkeit verband, als daß sie wie Stolz hätte aussehen können, und zu viel festes Wesen, um durch sie schüchtern zu scheinen, nahm den Charakter nationeller Zurückhaltung an, und seine Bekannten waren ihr nicht mehr abgeneigt, wenn sie ihn vermocht hatten, sie gegen Einen von ihnen abzulegen. Mich schmeichelte es nicht wenig, da ich bemerkte, daß sie sich gegen mich verlor, indeß er sie gegen Miß Arnold fortsetzte, um so mehr, da sein ganzes Wesen mir den Begriff strenger Redlichkeit, die von keinem äußern Vorzug gebeugt wurde, einflößte. Diese mir ertheilte Auszeichnung ward hingegen von dem Vorzug, den er fortwährend Miß Mortimer erzeigte, völlig aufgewogen, ja mein Bewundrungshunger war so groß, daß ich mich durch diesen Vorzug, obschon Herr Maitland über dreißig Jahr alt schien, zu Zeiten wirklich gequält fand.

Seine Besuche wurden gegen das Ende unsers Aufenthalts in Sedly Park häufiger; allein weder seine Gesellschaft, noch die mehrerer anderer, mir viel wohlgefälligerer Männer, konnte meine Ungeduld, in die Stadt einzuziehen, vermindern. Endlich hörte ich, daß Lady Maria de Burgh schon jetzt als die herrschende Schönheit des Winters anerkannt sey. Ich stand bei Anhörung dieser Nachricht eben vor einem großen Spiegel; mit einem zuversichtlichen Blick auf meine Gestalt gedachte ich der Miniaturreize meiner Nebenbuhlerin und flog zu meinem Vater, ihn um die Beschleunigung seiner Abreise zu bitten. Er hatte sie aber schon auf den vierzehnten Jenner angesetzt, und bis dahin mußte ich meine Ungeduld zähmen.

Ein glänzender Ball bei der Gräfin *** sollte mich endlich in die große Welt einführen. Nach einer lang besprochenen Wahl, ob mein Putz an diesem wichtigen Abend reich oder einfach, leicht oder prächtig seyn sollte, bestimmten mich die kostbaren Diamanten meiner Mutter, die mein Vater, mit manchen neuen vervollständigt, aufs glänzendste hatte fassen lassen, und die günstige Meinung, die ich von der Höhe meines Wuchses besaß, das Letztere zu wählen. Strahlend von Juwelen, Jugend und Erwartung, trat ich zur Stunde des Balls in das Besuchzimmer, wo nebst mehrern Herrn, die sich an mein Gefolg zu reihen gedachten, Herr Maitland mich als mein Begleiter erwartete. Allgemeiner Beifall empfing mich; allein er gnügte mir nicht, bis ich Herrn Maitland, den Miß Julie auf die Schönheit meiner Juwelen aufmerksam machte, sagen hörte: »wer Miß Percy erblickt, wird ihre Juwelen nicht mehr bemerken.« Ich war unfein und keck genug, diese gar nicht an mich gerichteten Worte aufzufassen, und rief: Sehr verbunden, Herr Maitland! Eine Schmeichelei von Ihnen ist etwas so Seltnes, wie ein Königin Annens Pence, der, ohne mehr werth zu seyn, als ein andrer, einzig ist, weil sie nur Einmal prägen ließ. – »Der Pence war nicht zum Umlauf bestimmt, antwortete er trocken, er fiel aber einem Kind in die Hand, das ihn nicht für sich zu behalten verstand.« – Das Wort »Kind« mußte mich heute, wo ich zum ersten Mal als erwachsenes Mädchen in die große Welt zu treten im Begriff war, ganz besonders kränken. Thränen traten mir in die Augen, und mit sehr herabgestimmtem Muth stieg ich mit Miß Arnold und meinem strengen Mahner in den Wagen. Mit dem Ausruf der Bewunderung, der mir beim Eintritt in die gedrängtvollen Säle entgegentönte, kehrte mein Leichtsinn zurück, ich verließ auf das unverbindlichste Herrn Maitlands Arm, um mich von einem meiner gefälligern Bekannten zu einem Stuhle führen zu lassen, und vermied, nach Jenem, der finster und nachdenkend neben mir Platz genommen hatte, mich umzusehen. Nach einigen Minuten, in denen mich der Glanz und die Fröhlichkeit des Schauspiels um mich her völlig zerstreut hatten, theilte sich das Gedränge, und ich erblickte Lady Marie, die mit Sylphen-Leichtigkeit die Reihen durchflog. Nie hatte sich ihre zarte Gestalt so vortheilhaft gezeigt, wie in der leichten, weißen, schön drappirten Hülle, die sie umgab; ihr goldnes Haar, schmucklos in Locken und Flechten geordnet, bildete die schönste Kopfform. – Ich ward zweifelhaft, ob meine Juwelen der vortheilhafteste Putz seyn, den ich hätte wählen können. Nach beendigtem Tanz schritt die Lady auf einen Stuhl zu, den in demselben Augenblick ein sehr schöner junger Mann mit zierlicher Grobheit einnahm und, nachlässig ihre Rede anhörend, sein schönes Bein betrachtete, seine Finger ein paarmal durch sein, mit anmuthiger Nachlässigkeit gelocktes Haar zog und sich dann, in eine bequeme Stellung zurechtgerückt, umhersah. Jetzt fielen seine Augen auf mich; lebhaft sagte er seiner Nachbarin einige Worte, die sie mit einem verächtlichen Aufwerfen des Kopfes beantwortete, er sprang auf, schien in einem augenblicklichen Wortwechsel mit ihr, und sie ließ sich dann, halb wider Willen, von ihm auf mich zuführen. Nach einigen sehr kalten Worten von Wiedererkennen sagte sie, mir ihren Begleiter vorstellend: Mein Bruder, Lord Friedrich de Burgh, und wendete uns, ohne Miß Juliens demüthige Begrüßung mit einem Blick zu beehren, den Rücken. Diese kränkende Vernachlässigung war mir ein Ruf, die Beschützerin zu spielen. Ich faßte sogleich Miß Juliens Arm und ging, von Lord Friedrich begleitet, im Saal umher.

Unter seinen modigen Mitgesellen konnte Lord Friedrich noch für kurzweilig und mußte für einen der hübschesten angesehen werden. Ich nahm an Lady Mariens Blicken wahr, daß seine Aufmerksamkeit auf mich ihr im höchsten Grade mißfiel, und machte mir ein Fest daraus, durch die kleinen Künste, die Eitelkeit uns lehrt, ihn neben mir festzuhalten. Nach einiger Zeit forderte er mich zu einem Walzer auf; dieser Tanz ward dazumal noch für eine kaum gebührliche Dreistigkeit gehalten; ich weigerte mich lange, allein ein höhnisch mißbilligender Blick, den Lady Marie eben auf ihren lebhaft in mich dringenden Bruder warf, bethörte mich, und ohne es eigentlich beschlossen zu haben, stand ich mit ihm mitten im Saale. Alles wich zurück, ich sah Aller Augen auf mich gerichtet, ein lähmendes Gefühl von Schaam ergoß sich durch meine Sinne, allein es war zu spät; in unseeligem Wirbel flog ich dahin, das oft unfein ausgedrückte Lob der Männer betäubte meine schmerzhafte Verwirrung, ich drang mir selbst die Ueberzeugung auf, der Tanz sey für mich schuldlos, und zwang mich, einen freien Blick auf die Umstehenden zu werfen. Da trafen meine Augen auf Herrn Maitland, dessen Blick mit Mißfallen und unendlicher Wehmuth mich betrachtete. O ich sah nie ein Auge, das so stechendes Mißfallen auszudrücken im Stande war! Ich ward bis zur Ohnmacht von ihm getroffen und eilte, mich durch den Haufen drängend, in den fernsten Winkel des Saals. Ein Kreis von Beileidbezeugenden – denn man hielt meine plötzliche Beendigung des Tanzes für eine Unpäßlichkeit – versammelte sich um mich; Herr Maitland nahte sich gesetzt und fragte: ob ich mich nach Haus zu begeben gesonnen sey? – Aufgebracht über die Störung, mit der er meine Thorheit erschreckt, beleidigt über die Gleichgültigkeit, mit welcher er der Umstehenden Sorge gar nicht zu theilen würdigte, antwortete ich nachlässig: daran wär' in den nächsten Paar Stunden gar nicht zu denken, und schlenderte an Lord Friedrichs Arm den Saal hinab. Endlich um fünf Uhr, erschöpft von der Anstrengung, fröhlich zu scheinen, indeß Heiterkeit fern von mir war, von Lärm und von Thorheit übersättigt, verließ ich den Ball. Herr Maitland führte mich bis an den Wagen, wo er ernst und kalt seinen Abschied nahm. Oede in Kopf und Herzen, so müde, daß ich meinem schlaftrunknen Kammermädchen kaum, mich auszukleiden, Zeit ließ, ohne einen Gedanken an den Allwaltenden, dem ich von jedem meiner Tage Rechenschaft zu geben bereit seyn sollte, eilte ich in mein Bett.