Eloise 2: Inmitten der Dunkelheit - Jessica Wismar - E-Book

Eloise 2: Inmitten der Dunkelheit E-Book

Jessica Wismar

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Beschreibung

**Steh für deine Liebe ein und verändere die Welt** Seit Eloise hinter den Mauern des Feindes lebt, ist ihr Alltag scheinbar leichter geworden: Es gibt genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Zudem hat sie den Mann, der sie einst enttarnte, lieben gelernt. Dennoch ist ihnen beiden bewusst, dass jenseits ihrer geordneten Welt nach wie vor Elend und Hunger herrschen, und sie haben trotz ihres so bequemen neuen Lebens ein gemeinsames Ziel: das Licht der Hoffnung zu den Ärmsten zurückzubringen und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Doch gegen eine Macht aufzubegehren, die keiner Kontrolle unterliegt, ist äußerst gefährlich – nicht nur für die beiden. »Die rote Königin« meets »Robin Hood«  Jessica Wismar hat mit Eloise eine starke und entschlossene Heldin erschaffen, die bereit ist, für ihre Überzeugungen alles zu riskieren. Dieser Fantasy-Liebesroman ist ein Muss für alle, die gern packende und zugleich romantische Buchserien lesen. //Alle Bände der düster-romantischen Fantasy-Serie »Eloise« bei Impress: -- Eloise 1: Hinter den Mauern des Feindes  -- Eloise 2: Inmitten der Dunkelheit -- Eloise: Sammelband zur düster-romantischen Fantasy-Serie//

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Impress

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Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Jessica Wismar

Eloise 2: Inmitten der Dunkelheit

**Steh für deine Liebe ein und verändere die Welt**Seit Eloise hinter den Mauern des Feindes lebt, ist ihr Alltag scheinbar leichter geworden: Es gibt genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Zudem hat sie den Mann, der sie einst enttarnte, lieben gelernt. Dennoch ist ihnen beiden bewusst, dass jenseits ihrer geordneten Welt nach wie vor Elend und Hunger herrschen, und sie haben trotz ihres so bequemen neuen Lebens ein gemeinsames Ziel: das Licht der Hoffnung zu den Ärmsten zurückzubringen und Gerechtigkeit wiederherzustellen. Doch gegen eine Macht aufzubegehren, die keiner Kontrolle unterliegt, ist äußerst gefährlich – nicht nur für die beiden.

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Vita

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Personenverzeichnis

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© Annika Kitzmann

Neujahr 1990 wurde Jessica Wismar als zweite von vier Töchtern geboren. Was mit dreizehn Jahren als emotionales Ventil diente, wurde über die Jahre zu einer Leidenschaft und Texte, die zunächst nur für sie selbst bestimmt waren, dürfen jetzt auch andere begeistern. Als Mittlere war es für Jessica schon immer wichtig auch die andere Seite zu verstehen, was sie in ihre Charaktere einfließen lässt. Dadurch werden die Figuren facettenreich, was einen bis zum letzten Wort mitfiebern lässt.

Ich widme dieses Buch den Kindern unserer Welt, die täglich um Dinge kämpfen müssen, die für uns selbstverständlich sind.

Grundsätze eines wahren Gläubigen

Ein wahrer Gläubiger kennt die Schrift, um dem Herrn dienen zu können.

Ein wahrer Gläubiger handelt nach dem Glauben und spricht nicht nur die Worte des Glaubens.

Ein wahrer Gläubiger sucht andere Gläubige, wenn er zweifelt, um zurück zum Glauben zu finden.

Ein wahrer Gläubiger betet täglich. Er wäscht sich vor dem Gebet, um in sich einzukehren und ausgesuchte Worte an den Herrn zu richten. Er reinigt Körper und Geist, ehe er das Wort an den Herrn richtet.

Ein wahrer Gläubiger kennt die Strafe der Sünde, damit er die Sünde nie begehen mag.

Ein wahrer Gläubiger kennt die Sünden und gibt sein Bestes, sie jeden Tag seines Lebens zu meiden.

Ein wahrer Gläubiger gibt mehr, als er nimmt. Er teilt sein Brot.

Ein wahrer Gläubiger sieht das Leid und bekämpft es mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen.

Ein wahrer Gläubiger muss Unrecht bekämpfen, wenn er es sieht. Er ist für den Schutz und die Sicherheit der anderen Gläubigen verantwortlich, denn nur als Gemeinschaft kann der Glaube überleben.

Ein wahrer Gläubiger liebt seinen Nächsten wie sein eigen Fleisch und Blut. Er handelt aus Barmherzigkeit und nie aus Rache, Zorn oder Hass.

Ein wahrer Gläubiger darf sich selbst niemals über einen anderen erheben. In eine erhöhte Position kann er nur von einem Rat mehrerer Vertreter erhoben werden.

Ein wahrer Gläubiger folgt seinem Gewissen. Er muss den Grundsätzen folgen und sie zum Guten einsetzen. Dazu darf er die Augen vor der Wahrheit nicht verschließen und mag sie auch noch so bitter sein.

Ein paar Worterklärungen:

Praktika: weibliche Praktikumsteilnehmerin

Praktikus: männlicher Praktikumsteilnehmer

Das Praktikum durchläuft man, um die vier Häuser kennenzulernen und herauszufinden, in welches Haus man als Referendar/in eintreten möchte.

Referendari: Mehrzahl der Auszubildenden eines Hauses

Referendar: männlicher Auszubildender

Referendarin: weibliche Auszubildende

Anwärter/in: Status, bevor man alt genug ist Referendar/in zu werden. Man hat sich aber schon für ein Haus entschieden. Beim Haus der Krieger muss man eine Aufnahmeprüfung bestehen, um vom Anwärter zum Referendar zu werden.

Kapitel 1

Als Kas ihr von diesem Ort erzählt hatte, hatte sich automatisch ein Bild in ihrem Kopf entwickelt. Dieses Bild, stellte sie jetzt fest, war maßgeblich von dem Wort Kammer geprägt und bildete nicht annähernd ab, was dieser Raum tatsächlich war.

Nun stand Elli vor der offenen doppelflügeligen Holztür. Sie allein war bestimmt drei Menschen hoch. So viel massives Holz musste unglaublich schwer sein. Elli strich über das alte abgegriffene Material. Es fühlte sich faszinierend glatt und doch nicht ebenmäßig an. Mit abgerundeten Erhebungen und aufklaffenden Rillen zeugte es von vielen Jahren der Nutzung, aber statt verblasst zu sein, hatte es einen tiefdunklen, beinahe rotbraunen Ton angenommen. Sie hatte noch nie dermaßen dunkles Holz gesehen.

Elli trat einen Schritt in die Kammer der Worte und hob den Blick hinauf. Höher und höher, sodass sie ihren Hinterkopf auf ihrem eigenen Rücken spürte. Der Raum war gigantisch und, soweit sie es überblicken konnte, in den unteren Etagen eckig und oben rund. Vermutlich war es ein rechteckiges Gebäude, auf das oben eine runde Kuppel gesetzt worden war.

Je höher ihr Blick wanderte, desto weiter klappte ihr Kiefer herunter. Das waren fünf Stockwerke. Zwei im eckigen Bereich der Kammer und dann nochmal drei in der Kuppel, die ein Glasdach trug. Das Licht in dieser Kammer stammte von dort oben. Jedes Stockwerk hatte ein Geländer aus massivem Stein. Die kreisrunde Mitte unter der Kuppel war ohne Stockwerke. Stand man im Erdgeschoss unter der Kuppel, konnte man bis hinaus in den Himmel sehen. Das Glasdach war ein Mosaik aus rechteckigen, in schwarze Linien eingefassten Scheiben. Elli war erstaunt, dass sie lichtdurchlässig waren und nicht vollkommen verdreckt.

»Guten Morgen, Praktika«, grüßte ein Mann halbherzig und richtete seinen Blick wieder auf das Blatt in seiner Hand. Er trug eine graue, ärmellose Robe mit V-Ausschnitt und musste daher ein Referendar sein. Sie trugen grau, hatte ihr Kas gesagt, bis sie die Abschlussprüfung ihres Hauses absolviert hatten. Dieser Referendar war noch recht jung, er hatte etwas weichere Züge, nicht ganz so kantig wie ältere Männer. Die Haut des Referendars war hell, vermutlich verließ er diese Kammer nicht oft. So stark wie die Sonne draußen brannte, würde jeder braun werden, der den Schutz eines Daches verließ. Die Haut des jungen Mannes war aber so hell, dass er sofort einen Sonnenbrand bekommen würde. Seine missmutigen Züge zeigten ihr deutlich, dass er keine Lust hatte, seine Zeit mit ihr zu verschwenden.

»Guten Morgen, Referendar. Ich freue mich das Praktikum im Haus der Worte zu beginnen.« Elli lächelte ihn freundlich an und bemühte sich trotz seiner genervten Attitüde höflich zu erscheinen.

»Meister Nerion hat mich geschickt dich in das Praktikum einzuweisen«, informierter er sie. Dann wandte er sich ab und ging einfach los, ohne seinen Namen zu nennen oder ihr zu sagen, sie solle ihm folgen. Dennoch folgte sie ihm.

Sie wollte ja nicht aufmüpfig sein. Sie wusste, dass ihre Taten allesamt auf Kas zurückfielen, und sie wusste, dass sie sich ein Standing erarbeiten musste, da sie sonst nie erreichen würde, was sie sich vorgenommen hatte, weiterhin der Sache dienen. Also lieber freundlich sein und Unfreundlichkeit mit offenen Armen begegnen. Weder er noch sie konnten etwas dafür, dass ihn Meister Nerion zu einer Aufgabe verdonnert hatte, die er nicht mochte. Und mit einem freundlichen Lächeln fielen ungeliebte Aufgaben allen leichter.

Elli folgte beschwingten Schrittes dem Referendar nach links durch hohe Regalreihen hindurch. Der Saum seiner Robe streifte knapp über den Steinfließen und sammelte den Staub auf, sodass er eine dunkle Färbung hatte. Der Duft der zahllosen Bücher umschloss Elli und sie musste kurz ihre Augen schließen, weil sie sich gegenüber dem schier unerschöpflichen Wissen in dieser riesigen Kammer winzig klein und unwissend fühlte. Allein die tausenden Worte, an denen sie mit einem einzigen Schritt vorbeiging, machten sie ehrfürchtig.

»Das Praktikum beginnt mit vier Tagen allgemeiner Grundbildung. Dann drei Tage individuelles Training, um dich auf den Stand zu bringen, auf dem die Meister dich gebrauchen können. Danach gehst du je eine Woche in das Ausbildungsfeld der drei Meister. Meister Nerion wird der zweite sein. Der erste wird Meister Sarkan sein. Meister Sarkan ist der Meister der Segen. Meister Nerion ist der Meister der Sprachen. Bei ihm sind alle Praktikumsteilnehmer eigentlich unnütz. Immerhin gibt es im Grunde niemanden, der bereits alte Sprachen spricht. Ich habe nie einen Praktikumsteilnehmer erlebt, der Meister Nerion nützlich gewesen wäre.« Er stieß ein amüsiertes Schnauben aus. »Zuletzt wirst du bei Meister Limno dienen. Meister Limno ist versiert im geschriebenen Wort«, ratterte der Referendar herunter, wobei er seinen Kopf nur ab und zu im Gehen leicht über seine Schulter neigte, damit sie ihn besser verstand. Es war beinahe witzig, wie er immer am Anfang eines Satzes seinen Kopf über die linke Schulter drehte, um etwas mehr zu ihr zu sprechen.

Elli versuchte sich alles zu merken und fand es wirklich spannend, was sie alles lernen würde. Sie musste sich unbedingt die Namen merken und zur Not Kas danach fragen. Sie musste glänzen. Dass man hier von Straßenmädchen nicht viel hielt, hatte sie ja schon häufiger mitbekommen. Davon abgesehen bekamen die Armen der Bevölkerung keine Bildung, weil sie sie sich schlicht nicht leisten konnten. Ein Vorurteil, das ausnahmsweise mal auf die Mehrheit und nicht die Minderheit zutraf.

Schnellen Schrittes eilten sie durch die Regalreihen bis an die linke Hauswand. Elli musste immer mal wieder zwei rennende Schritte einbauen, weil ihre Beine deutlich kürzer als die des Referendars waren und sie Mühe hatte, mit ihm mitzuhalten. Sie traten zwischen zwei Regalreihen in einen offenen Bereich. Hier standen Pulte in fünf Reihen à sieben Tische. Der Kerl stellte sie vor eines davon und schlug eine scheinbar beliebige Seite des Buches auf, das auf dem Pult bereitlag. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zeigte mit dem Kinn auf das Buch.

»So. Ich habe dich an der Backe, also mach schön brav, was ich dir sage, dann wirst du die Meister vielleicht nicht restlos enttäuschen.«

Nett. Elli rümpfte innerlich die Nase.

»Für alle drei Meister musst du die Grundstruktur von Worten kennen. Jedes Wort ist aus Buchstaben aufgebaut. Siehst du das?«, er zeigte wahllos auf eine Stelle der Seite.

Elli lugte in das Buche, hatte aber keine Ahnung, worauf genau er zeigte. Er sah ja selbst nicht einmal hin. Wie wollte er da den Buchstaben oder das Wort treffen, den er ihr angeblich gerade zeigte?

»Das sind Buchstaben. Es gibt gar nicht so viele.« Herablassendes Augenbrauenhochziehen. »Also keine Sorge. In sieben Tagen wirst du sie alle können«, versprach er, als wäre sie komplett dämlich. Wow.

»Wir fangen vorne an.« Jetzt sah er zum ersten Mal selbst auf das Buch. »Das ist ein a. Siehst du? So sieht ein a aus«, tippte er immer wieder auf den Buchstaben. »Finde alle as auf der Seite. Das reicht erstmal. Damit wirst du eine Weile beschäftigt sein.« Er stieß ein arrogantes Schnauben aus, das an ein Lachen heranreichte.

Elli starrte den Referendar fassungslos an. War das sein Ernst? Sie musterte ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen, doch da ging er schon davon und ließ sie allein. So ein arroganter Schnösel.

Sie runzelte die Stirn. Bisher war es immer gut gewesen, unterschätzt zu werden. Na gut, dann würde sie das jetzt erst einmal so stehen lassen. Sie trat an das Pult und legte ihre Arme zu beiden Seiten des dicken Wälzers auf der schrägstehenden Holzplatte ab und studierte die aufgeschlagene Doppelseite akribisch. 437 as auf beiden Seiten zusammen, sofern sie die großen auch mitzählte, die er ihr ja gar nicht gezeigt hatte. Sie schaute auf und suchte den sichtbaren Bereich nach ihm ab, doch der Kerl war nirgends zu sehen. Weder bei den Pulten noch in den Regalreihen, die von diesem Bereich aus einsehbar waren.

Elli zuckte mit den Schultern und beugte sich über die Doppelseite. Sie las die Worte nun zum ersten Mal und war schnell frustriert, da sie sie schon kannte. Das war das Buch des Glaubens. Na toll. Jetzt konnte sie sich nicht einmal die Zeit mit Lesen vertreiben.

Elli lehnte sich schon zurück, als ihr klar wurde, dass das Buch zu dick war, um nur das Buch des Glaubens zu sein. Sie beugte sich über das Werk und begann weiter nach hinten zu blättern, wo sie Worte in einer anderen Sprache entdeckte. Sie las einige Worte, doch sie ergaben in ihrem Kopf keinen Sinn. Daraufhin blätterte sie weiter, vielleicht war ja noch mehr in diesem Wälzer. Das Rascheln der großen pergamentartigen Seite trieb ihr eine sanfte Gänsehaut über ihre Arme. Im hintersten Teil des Buches fand sie schließlich eine Sprache, die sie kannte: Alt-Vandalisch. Elli blätterte zum Anfang des Kapitels und begann zu lesen. Sie brauchte einige Anläufe, bis sie sich hineinfand, war dann allerdings so vertieft, dass sie nichts um sich herum wahrnahm.

Hier stand eine Geschichte beschrieben, die einer im Buch des wahren Glaubens sehr ähnlich war. Die Grundstruktur der Geschichte war gleich, sogar die Namen glichen einander. Nur spielte sie an einem anderen Ort und die Moral war ein wenig anders aufgebaut. In dieser Version ging es darum, immer sein Bestes zu geben. Die Variante, die sie aus dem Buch des Glaubens kannte, zielte darauf ab, dass das Beste zu geben manchmal nicht ausreichte. Ob diese Geschichte der Ursprung der im Buch des wahren Glaubens war? Konnte das sein? Hatte man einfach nur alte Geschichten etwas umgedichtet? Das wäre unfassbar, da man davon ausging, dass die Geschichten im Buch des wahren Glaubens von den ersten Erleuchteten geschrieben und im Grunde auch erlebt worden waren. Alt-Vandalisch war aber schon vor der großen Katastrophe eine ausgestorbene Sprache gewesen.

»Was tust du da?«, schrie sie jemand plötzlich an.

Bevor sie es richtig wahrnehmen konnte, wurde sie gepackt und zurückgerissen. Es klatsche brennend auf ihrer Wange, als ihr eine Hand ins Gesicht schlug. Sie unterdrücke ihren Impuls, ihre Hand an die Wange zu heben, denn das wäre ein Zeichen der Schwäche und dort draußen konnte Schwäche einen umbringen. Stattdessen ballte sie nur ihre Hände an ihren Seiten zu Fäusten und ließ sie sofort wieder locker hängen.

»Ezra!«, fuhr eine tiefe, raue Stimme den Kerl an. Dieser drückte sein Kreuz durch und stand stramm, funkelte sie aber aus zornigen Augen an.

»Omni Tespian.« Der Referendar – Ezra, wenn sie es richtig mitbekommen hatte – neigte seinen Kopf respektvoll in die Richtung des anderen Mannes. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und legte arrogant die Arme vor seiner Brust übereinander. Er verschränkte die Arme nicht richtig, sondern legte die Unterarme aneinander und umfasst sie mit seinen Händen.

»Verzeih, Schwester Eloise. Er wird schwer bestraft werden«, versprach ihr der Mann, der eingegriffen hatte. Seine Anrede ließ sie zum ersten Mal ihren Blick von ihrem Angreifer abwenden und den großen Mann ansehen. Er trug eine purpurfarbene Robe und hatte ergrautes Haar. Die silbergraue Mähne tat dem Eindruck eines mächtigen Mannes, den seine Körpergröße und seine Ausstrahlung erweckten, keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie verstärkte ihn, als wäre er ein stählerner Löwe. Er wirkte kräftig und mächtig. Ihr Blick fiel auf den Taillengurt, der mit silbernen Fäden bestickt war und neben dem Symbol des Hauses der Worte auch einen Stern trug. Das Zeichen des Omnis.

»Omni?«, japste Ezra.

»Schweig, du Idiot!«

»Aber sie ist ein Straßenmädchen«, beschwerte sich Ezra und zeigte dabei mit ausgestrecktem Arm anklagend auf sie. »Meister Nerion sagte, ich muss sie vorbereiten. Sie hat meine Anweisung missachtet, sie muss lernen, dass sie das nicht darf. Unsere Werke sind von unschätzbarem Wert, Omni. Das habt Ihr mir selbst mit denselben Methoden beigebracht«, rechtfertigte Ezra sein Handeln. Er verstand die Ungerechtigkeit der Situation eindeutig nicht.

»Ich hatte Nerion angewiesen sie anzulernen. Weshalb ist er nicht hier?«, wollte der Omni nun etwas lauter und mit zusammengezogenen Augenbrauen wütend wissen.

»Omni Tespian, wenn es die üblichen Gepflogenheiten sind, dass ein Referendar eine Praktika einführt, dann sollte für mich keine Ausnahme gemacht werden«, mischte sich Elli ein.

»Schweig! Du darfst einen Omni nur ansprechen, wenn du die Erlaubnis hast«, maßregelte Ezra sie sofort.

»Stimmt das, Bruder Tespian?«, verlangte Elli von Tespian eine Bestätigung und verschränkte ebenfalls die Arme vor ihrer Brust. Sie zog auffordernd ihre Augenbrauen hoch und fixierte den alten Löwen. Was sollte dieses übertrieben hierarchische Gebaren? Das war doch Unfug.

Nun zuckte der Omni selbst etwas zusammen. Sie wusste nicht, wieso sie die Macht hatte, einen anderen Omni Unbehagen spüren zu lassen, aber sie würde sich darüber sicher nicht beschweren.

»Im Haus der Worte wird es so gehandhabt. Da sonst übereifrige Referendari allzu oft ihre Meister von ihrer Arbeit abhalten, für die sie meist volle Konzentration brauchen«, erklärte Tespian mit eingezogenem Kopf.

»Das ergibt Sinn.« Sie nickte und ließ ihr Arme entspannt wieder hängen.

Der Omni schien sich ebenfalls zu entspannen. Was zur Hölle war denn mit dem los? Er hatte ganz klar ihr Urteil abgewartet und ihre Worte hatten ihn entspannt. Elli verstand nicht, wieso ihn interessierte, was sie dachte.

»Omni!«, rief Ezra mit zornfunkelnden Augen, hochrotem Gesicht und geballten Fäusten. Elli sah dem Referendar an, dass er dringend etwas sagen wollte.

Tespian seufzte auf und ließ die Schultern sinken. Er hob genervt die Hand in Ezras Richtung. »Sprich, Bruder Ezra.«

»Omni, ich verstehe nicht. Die Praktika hat sich nun in jeder erdenklichen Weise respektlos verhalten, wieso wird sie nicht gemaßregelt? Sie sollte zurechtgewiesen werden. Sie hat meine Anweisung nicht erfüllt. Omni, sie hat –«

Tespian hob Einhalt gebietend seine Hand und Ezra schwieg sofort. Allerdings atmete er etwas heftiger und seine Hände waren immer noch an seinen Seiten zu Fäusten geballt.

»Was war denn deine Aufgabe?«, fragte er nun an sie gewandt.

»Ich sollte die as einer Doppelseite zählen«, berichtete sie bereitwillig.

Tespian sah nun Ezra zornfunkelnd an. »Diese Aufgabe hätte ich auch nicht erfüllt«, verkündete der Omni.

»Aber das ist die übliche Vorgehensweise«, verteidigte sich Ezra.

»Wenn jemand nicht lesen kann, ja«, blaffte Tespian und Ezras Augen weiteten sich ungläubig. Er drehte sich zu Elli und starrte sie an. Seine Hände waren nun keine Fäuste mehr und seine Stirn warf mehr Falten, als sie bei einem jungen Mann erwartet hatte.

»Ich habe die Aufgabe erfüllt. Es waren 437 as, wenn man die großen mitzählt«, erklärte sie ruhig in die Stille zwischen den beiden Männern.

»Aber …«, Ezra öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch an Land. Für ihn schien eine Welt zusammen zu brechen. »Du bist ein Straßenmädchen!«

»Stimmt. Deshalb wusste ich nicht, dass ich nicht durch das Buch blättern durfte. Ich dachte, da ich meine Aufgabe erfüllt hatte, wäre es doch unnütz, sich zu langweilen. Dann ist mir aufgefallen, dass es die Schriften des wahren Glaubens sind, die ich kenne, aber dann fiel mir auf, dass das Buch zu dick war für die Schriften und habe weitergeblättert.«

Ezra quietschte. Das war ein seltsamer Laut, den sie eher einem Vogel als einem Menschen zugeordnet hätte.

Es musste daran liegen, dass sie die stoische Haltung der Krieger inzwischen gewöhnt war. Ezra benahm sich wie ein Mädchen der Reichen im Westviertel. Welcher Mann quietschte bitte? Egal wie überrascht, schockiert oder erschrocken er war. Elli schnaubte innerlich. Auf der Straße quietschte niemand. Aber sie war hier nicht auf der Straße, also würde sie sich wohl an ein ganz anderes Verhalten gewöhnen müssen.

»Merkst du jetzt, wie groß dein Fehler war, Referendar?«, fragte Tespian erzieherisch.

»Ja, Omni.« Ezra neigte betreten seinen Kopf und faltete seine Hände mit gestreckten Armen vor seinem Körper. Die Hierarchie war hier im Orden wirklich allgegenwärtig, selbst im Haus der Worte, wo Elli sie nicht so demonstrativ präsent erwartet hätte. Ezra lugte halb nach oben und musterte sie verwirrt. Ja sie war etwas, von dem er nicht geglaubt hatte, dass es existierte. Aber er übertrieb etwas. Sie war nur ein gebildetes Straßenmädchen, kein Monster aus einer Horrorgeschichte.

»Offenbar ist die Nachricht, dass du lesen kannst, nicht bis an Ezras Ohren gelangt. Ich hoffe, du siehst ihm seine Unwissenheit nach«, bat Tespian. Der Omni stand aufrecht vor ihr und strahlte permanent eine gewisse Würde aus. Er wirkte trotz gehobenem Kinn nicht arrogant, nur erhaben. Elli konnte gar nicht sagen, woher dieser Eindruck kam.

»Natürlich. Aber woher wusstest du es?« Elli dachte schon an Kas, der es Tespian vielleicht gesagt hatte. Aber das würde sie wundern.

»Von Bruder Sarkan.«

»Bruder Sarkan hat unseren Segen gesprochen«, erinnerte sie sich. Dabei hatte sie einen Vers vorgelesen. Offenbar war es ihm aufgefallen. Die Erkenntnis brachte ein Lächeln auf ihre Lippen. »Er muss scharfe Augen haben.«

»Wie alle Meister meines Hauses.« Der Omni musterte sie sehr intensiv. »Es sah gerade so aus, als hättest du gelesen.«

Sie blickte zu ihm auf. »Ich habe es versucht«, bestätigte sie.

Der Omni trat einen Schritt näher und linste in das Buch. »Schwester Eloise, welche Sprache ist das?«, wollte er wissen.

»Alt-Vandalisch«, antwortete sie und trat näher an das Buch. Sie hätte gerne über das raue Papier gestrichen, aber Ezra hatte erklärt, wie wertvoll die Werke waren, also verkniff sie es sich.

Der Referendar sog laut die Luft ein und wurde kreidebleich. Sie schien ihn auf allen Ebenen zu schockieren.

»Woher kannst du diese Sprache?«, fragte Tespian argwöhnisch.

Elli schaute auf. Sein Ton hatte sie überrascht. Wieso war es für ihn so seltsam, dass sie eine andere Sprache lesen konnte, wenn sie lesen und schreiben konnte?

»Ihr habt in der Halle der offenen Tage einige Werke ausgestellt. Neben den Worten des wahren Glaubens liegen dort Bücher auf Alt-Vandalisch, Walisisch und Orio-Gotisch. So habe ich es gelernt«, erklärte sie.

»Alleine?«, japste Ezra.

»Wie denn sonst?«, fragte sie suggestiv.

»Mit einem Mentor zum Beispiel«, schlug der Omni vor.

Oh ja, stimmt, das war auch eine Möglichkeit. Keine, die für ein Straßenmädchen bestand, aber klar, dass sie für die Ordensmitglieder die logischere war. Sie hatte schon oft den Eindruck gehabt, dass die Ordensmauer die Welt teilte und die beiden Welten voneinander nicht die geringste Ahnung hatten.

»Nein, leider nicht. Dann könnte ich die Sprachen vielleicht wirklich«, wurde ihr klar. Sie könnte die Sprachen sprechen und nicht nur durch ein Gefühl verstehen, was in der Sprache geschrieben stand, wenn ihr jemand geholfen hätte. Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich stach ihr immer wieder ins Auge, weil sie so unfair war. Aber das war ein Kampf, der warten musste. Für Gleichheit zwischen verschiedenen Gruppen der Menschen konnte sie oder wahrscheinlicher jemand anderes kämpfen, wenn sie den Kampf für ihre Sache gewonnen hatte. Denn bevor man arm und reich, Mann und Frau, Gläubigem und Ungläubigem Gleichheit schenken konnte, mussten erst einmal alle Menschen Rechte bekommen. Vorher fehlte die Basis für den Kampf.

»Durch Besuche am Offentag habe ich mir über Monate hinweg einfach nur einzelne Worte erschlossen und begonnen einzelne Passagen zu übersetzen. Da einige dieser Werke aber in Glaskästen stehen, konnte ich oft nur eine Doppelseite versuchen zu übersetzen. Deshalb ist meine Kenntnis dieser Sprachen leider sehr rudimentär«, gestand sie.

»Monate? Wie lange kommst du denn schon zum Offentag?«, fragte Ezra verwirrt.

»Seit ich dreizehn bin«, antwortete sie ruhig.

Ezra bekam große Augen. Na, wenigstens diesmal kein Japsen.

»Nun, Schwester Eloise, vielleicht sollten wir gemeinsam durch die Gänge schlendern und du erzählst mir etwas mehr über dich. Damit wir morgen nicht denselben Fehler begehen wie heute«, schlug Tespian vor und warf Ezra einen vernichtenden Blick zu.

»Das ist freundlich von dir, aber ich möchte keine Sonderbehandlung, nur weil ich Kastors Frau bin«, lehnte sie das Angebot ab und nun schien Ezra beinahe ohnmächtig zu werden. Elli schmunzelte innerlich.

Der Omni haderte kurz. »In Ordnung. Ezra scheint ja jetzt aufgeklärt zu sein und wird sicher keine solchen sinnlosen Aufgaben mehr stellen, nicht wahr?«, betonte der Omni die letzten zwei Worte in Ezras Richtung.

»Natürlich, Omni«, beeilte Ezra sich zu sagen und stand sehr stramm.

Elli musste schmunzeln. Der arme Kerl.

»Dann überlasse ich sie dir, Referendar«, erklärte der Omni ernst und Ezra verbeugte sich. Tespian sah einmal abwägend zwischen ihnen hin und her und ging dann davon. Mit ausholenden Schritten und wehender purpurner Robe verschwand der einnehmende Mann zwischen den Regalreihen.

»Wie viel Orio-Gotisch beherrschst du?«, wollte Ezra von der Seite wissen.

»Geht so. Wieso?« Elli drehte sich zu ihm um.

»Meine Abschlussarbeit dreht sich um die Übersetzung eines Orio-Gotischen Textes. Komm, ich zeige sie dir«, erklärte er wie ausgewechselt. Er wirkte gar nicht mehr genervt und auch nicht mehr herablassend. Eher, als wäre ihre Anwesenheit eine Ehre. Er zeigte in die entgegengesetzte Richtung, in die Tespian gerade verschwunden war, und schaute sie freundlich an.

»Dann los.« Sie ging Seite an Seite mit ihm von den Pulten weg.

***

Kastor saß an seinem Schreibtisch und ging mit Kagar einige Schriftrollen durch. Es waren Berichte von Patrouillen außerhalb der Stadt. Nichts weiter Auffälliges. Gerade ging er den Bericht von Vapor durch und biss seine Zähne fest aufeinander.

»Unerfreuliche Nachrichten?«, fragte Kagar mit gehobenem Kopf. Sein erster Mann hatte die Schriftrolle, die er gerade gelesen hatte, beiseitegelegt.

»Zehn Auspeitschungen im Namen des Glaubens«, erklärte Kastor möglichst emotionslos.

»Für?«, hakte Kagar nach.

»Alles gute Gründe, es erscheint mir nur wenig plausibel …«

»Kas«, ermahnte ihn Kagar für den Ton, der eindeutig verriet, dass Kas dahinter mehr vermutete.

»Ich bin Omni, ich habe die Pflicht, auffälligen Vorkommnissen nachzugehen«, rechtfertigte sich Kastor. Er wusste selbst, dass er sich mit der Suche nach Fehlverhalten unter den Inquisitoren auf gefährlichem Terrain bewegte.

Kagar seufzte. »Soll ich versuchen einen Mann einzuschleusen?«

Kas sah auf und erstaunt in die Augen seines Freundes. Mit so einem Vorschlag hatte er nicht gerechnet. »Das wird ein sehr gefährlicher Auftrag«, gab er zu bedenken.

Kagar schnaubte nur und hielt Kas auffordernd die ausgestreckte Hand über den Tisch entgegen.

Alles klar, Kagar wusste das selbst und scheute den Auftrag nicht. Er wollte nun die Namen der Verdächtigten wissen, weshalb Kas ihm das Blatt in die geöffnete Hand legte.

Es klopfte. Damit die Person vor der Tür keine Chance hatte zu erfahren, worüber sie sprachen, nickte Kastor nur und Kagar steckte das Blatt stillschweigend in die Tasche an seiner Robe. Dann wurde die Tür auch schon geöffnet und Eric trat ein. »Omni Tespian wünscht eingelassen zu werden, Omni«, erklärte der Junge, der unausgesprochen zu Kastors Verfügung abgestellt worden war. So gingen sie oft mit Jungs um, die sich für das Haus der Krieger entschieden hatten, aber noch zu jung für die Ausbildung waren. Kas hatte vor seiner Ausbildung auch solche Dienste geleistet.

Kastor nickte und Eric trat beiseite, um Tespian einzulassen. Der Omni der Worte war ihn noch nie besuchen gekommen. Daher war sein Besuch jetzt sehr seltsam und konnte im Grunde nur mit Elli zu tun haben. Sie war schließlich heute zu ihm ins Praktikum gegangen. Kastor spannte sich automatisch an.

Tespian trat ein und sah unerfreulich ernst aus mit seinen hinter dem Rücken verschränkten Armen. Tespian blieb nahe der Tür stehen. Dann schaute er vielsagend zu Kagar. Kagar suchte seinen Blick und Kastor entließ ihn mit einem kurzen Nicken. Kagar nahm Eric mit hinaus, der neugierig zwischen ihnen hin und hergeschaut hatte. Dann fiel die Tür ins Schloss und Tespian seufzte resignierend auf, wobei seine angespannten Schultern herabsanken.

»Du kannst dir denken, dass ich wegen deiner Frau hier bin«, leitete Tespian ein und kam zu Kastor an den Schreibtisch, blieb allerdings stehen.

Kastor wies auf den Stuhl seinem gegenüber. Tespian nahm Platz, blieb aber auf der Kante der Sitzfläche sitzen. Sein Blick sah beinahe schuldbewusst aus. Etwas, was Kastor noch nie an diesem Löwen von einem Mann gesehen hatte.

Tespian schluckte schwer. »Ich muss dir gestehen, ein Referendar hat sie heute geschlagen.«

Kastor ballte seine Hand zur Faust und spürte heißen Zorn in sich aufwallen.

»Ich wollte, dass du es von mir erfährst. Es gibt natürlich keine Entschuldigung dafür und wenn du eine Strafe forderst, wird er sie erhalten. Er wusste schlicht nicht, wer sie ist«, beeilte Tespian sich zu erklären, als er einen Blick auf Kastors Faust geworfen hatte.

»War sie denn ungehorsam?«, brachte Kastor zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. Er konnte seinen Zorn kaum zügeln.

»Nein. Noch ein Missverständnis. Der Referendar wusste leider auch nicht, was sie kann, und deutete ihren Fleiß als Ungehorsam«, erklärte Tespian seufzend und senkte sein Kinn. »Ich fand, du solltest es von mir erfahren. Wenn sie heute zu dir kommt, wirst du es sehen, aber ich wollte es dir selbst sagen.«

»Sehen?« Jetzt hielt es ihn nicht mehr. Kastor knallte mit der flachen Hand auf den Tisch und funkelte Tespian an. Er sprang auf und marschierte dann einfach los.

»Kastor, bitte, was wird das?«, fragte Tespian, der an seine Seite geeilt kam.

»Ich hole meine Frau. Offenbar ist sie in deinem Haus ja nicht sicher«, warf er seinem ehemaligen Mentor vor und stürmte in den Flur, um hinüber ins Haus der Worte zu eilen.

»Ich bitte dich. Es war ein dummes Missverständnis. Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach der andere Omni, der Kas eilig folgte.

»Es hätte schon nicht dieses eine Mal vorkommen dürfen«, schmetterte Kastor Tespians Einwand ab, während er ins Treppenhaus einbog und immer zwei steinerne, ausgetretene Stufen auf einmal nahm.

»Kastor, ich bitte dich. Diese Geste könnte einen Spalt zwischen unseren Häusern entstehen lassen. Das können wir wirklich nicht gebrauchen«, erinnerte ihn Tespian leicht keuchend.

Kastor wirbelte am Fuß der Treppe herum. »Ich habe geschworen sie zu beschützen. Das ist keine drei Tage her, du warst dabei! Und schon wird sie geschlagen«, betonte er aufgebracht.

»Es war nur eine Ohrfeige und sie hat es sehr locker aufgenommen.«

»Weil sie stark ist. Aber du hast nicht die geringste Ahnung, was sie da draußen alles erleiden musste. Ich habe ihr geschworen, dass sie jetzt in Sicherheit ist und sie nie wieder Schmerzen leiden muss. Erst hat mich Vapor zu einem Lügner gemacht und jetzt dein bescheuerter Referendar«, knurrte ihn Kas zornig, aber leise an. Sein Versagen bei ihrem Schutz und Vapors Grenzüberschreitung waren Dinge, die wirklich nicht jeder wissen musste.

»Also stimmen die Gerüchte?« Tespian trat eine Stufe tiefer, um leiser sprechen zu können.

»Welche Gerüchte?«, fragte Kas ebenso leise aber angespannt.

»Dass Vapor sie, direkt nachdem er sie dir gegeben hat, gezüchtigt hat, damit sie weiß, was ihr bei einer Sünde blüht«, forschte Tespian nach und sah ihm dabei sehr aufmerksam in die Augen.

Kastor wusste, dass Tespian den Hass darin lesen würde, den er empfand. Keiner war so aufmerksam und wissend wie der Omni der Worte. Kas entfloh dieser Konfrontation und stürmte weiter, quer durch das Erdgeschoss und hinaus auf den Platz zwischen den Häusern des Ordens. Diesmal hielt ihn Tespian nicht auf, sondern folgte ihm einfach nur mit wenig Abstand. Kas stürmte über den Kiesplatz ins Haus der Worte und dann direkt in die Kammer der Worte. Er hielt suchend inne.

»Wo ist sie?«

»Ich glaube, sie ist mit Ezra im Studierwerk«, meinte Tespian und zeigte mit dem Kopf nach oben.

Kas marschierte zu den Treppen hinüber. Er eilte zwischen zwei Regalreihen durch und nahm dann immer zwei Stufen auf einmal. Im zweiten Stock war das Studierwerk angelegt. Hier konnten alle Referendari an ihren jeweiligen Arbeiten brüten. Er ging an einigen Reihen dieser voneinander abgetrennten Arbeitsbereiche vorbei, ehe er Elli neben einem Kerl in grauer Robe an einem Pult stehend entdeckte.

Elli zeigte auf etwas in dem Buch vor ihnen und der Referendar nickte und zeigte dann auf eine andere Stelle. Sie unterhielten sich leise. Er kam auf sie zu und als würde sie ihn spüren, hob sie ihren Blick, als er noch einige Meter entfernt war. Sie lächelte warm und das Lächeln erreichte ihre Augen. Es war echt und es galt ihm.

Er war schneller bei ihr, als er für möglich gehalten hatte, und umfasste zärtlich ihre Schultern. Er sah sie aufgewühlt an und strich dann über die leichte Schwellung auf ihrem Wangenknochen. Er sah, dass sie fest geschlagen worden war, und der Zorn kehrte zurück. Doch dann nahm sie seine Hand von ihrer Wange und küsste seine Finger.

»Alles in Ordnung«, flüsterte sie und sah ihm warm in die Augen. Wie so oft versank er in den braunen Kreisen, die ihm inzwischen sehr viel bedeuteten.

»Du wurdest verletzt«, brachte er mühsam beherrscht heraus und sah im Augenwinkel den Kerl in der grauen Robe ganz klein werden. Er wich sogar einen Schritt zurück. Vermutlich der Täter.

»Sieh mich an, Kas«, forderte sie, da er dabei war, den kleinen Wicht anzufunkeln. Sie legte eine Hand an seine Wange, um ihre Forderung noch zu unterstützen.

»Es ist gut. Es war ein Missverständnis und wird nicht wieder vorkommen«, versprach sie, als er sie wieder ansah.

»Wenn ich ihn auspeitschen lasse nicht. Dann wissen alle, was ihnen blüht, wenn sie Hand an dich legen«, knurrte er laut genug, damit der Mistkerl es hören konnte.

»Kas.« Sie lachte. Ein Geräusch, das ihn wie immer tief durchfuhr. »Ezra glaubt noch, du meinst das Ernst.«

»Meine ich ja auch«, beharrte er.

»Schatz«, flüsterte sie liebevoll. »Mir ist nichts passiert.«

Er schluckte schwer. Sie neigte sich vor und er kam ihr sofort entgegen. Sie küssten sich liebevoll und die Zärtlichkeit zwischen ihnen durchfuhr ihn wie immer bis ins tiefste seines Herzens. Als sie ihre Lippen voneinander lösten, legte er seine Stirn an ihre.

»Ich hatte versprochen, dass dir nichts passiert«, brachte er gequält heraus.

»Und mir ist ja auch nichts passiert. Bei dem Praktikum in unserem Haus werde ich weit häufiger blaue Flecken und Schrammen davontragen.«

»Ich sollte dir das Praktikum verbieten«, entschied er mürrisch.

»Das wagst du nicht«, drohte sie scherzhaft.

»Möglich«, brummelte er.

»Ist es jetzt wieder gut?«

Er zog sie noch einmal fest an sich. »Ich möchte dich nicht mehr aus den Augen lassen«, gestand er leise flüsternd in ihr Haar.

Sie lösten sich wieder voneinander und Elli streichelte nochmal seine Wange. »Ezra wird auf mich aufpassen und dafür sorgen, dass mir nichts passiert, solange ich hier bin. Als Strafe für seine Geste gegen mich. Wie klingt das?«, fragte sie ihn und Kas presste seine Lippen zusammen.

Das war ein guter Vorschlag, aber er wollte nicht zustimmen. Er wollte diesen Wicht anders lehren, dass er sie nicht anzurühren hatte. »Vernünftig. Entsetzlich vernünftig«, grummelte er und sie schenkte ihm dafür ein wunderschönes Lachen. Sie beruhigte ihn.

Er seufzte resigniert auf und küsste sie abschließend auf die Stirn, ehe er sie aus seinen Armen entließ. Dann funkelte er Ezra an. Der Referendar neigte sofort respektvoll seinen Kopf.

»Ich schwöre, ich werde dafür sorgen, dass ihr kein Leid widerfährt. Ich nehme diese Strafe gerne an. Ich weiche ihr nicht von der Seite«, schwor er feierlich.

Kastor brummte nur.

»Kas«, ermahnte sie ihn spielerisch und knuffte ihn.

»In Ordnung, Bruder Ezra. Sollte ihr dennoch ein Schmerz zugefügt werden, werde ich dich dafür zur Rechenschaft ziehen«, drohte er.

»Sofern mir der Schmerz unverdient zugefügt wurde«, schränkte sie ein. Sicher dachte sie an Vapor und Kas war prompt wieder überhaupt nicht bereit sie aus den Augen zu lassen.

»Natürlich, Omni.« Ezra nickte pflichtbewusst, behielt aber seine gebeugte, unterwürfige Haltung bei. Gut so!

»Zufrieden?«, fragte sie sanft und berührte ihn am Arm.

»Ich wäre zufrieden, wenn ich dich jetzt mit in mein Bett nehmen könnte«, entgegnete er offen. Er würde ihr immer ehrlich antworten.

Elli errötete kleidsam und lachte zärtlich. »Nach dem Praktikum«, versprach sie und Lust durchzuckte ihn prompt. Sie hatten jetzt drei Nächte lang das Bett geteilt. Das erste Mal hatte er versaut. Die Lust hatte ihn so gequält, dass er nur wenige Momente durchgehalten hatte. Zu kurz, um ihr Lust zu schenken. Doch sie hatte erklärt, dass das nur normal sei und sie beide Übung bräuchten. Es stellte sich heraus, dass seine Frau recht behalten sollte. Der Sex war inzwischen unfassbar gut. Wann immer er an ihren nackten Körper dachte, wurde er hungrig. Das waren oft nicht wirklich günstige Moment, wie jetzt gerade auch.

»Ich arbeite dann mal weiter«, meinte sie und drückte seine Hand.

Er nickte nur und blieb an Ort und Stelle stehen.

Elli hatte sich schon halb abgewandte, blieb jetzt aber stehen und musterte ihn. Sie schmunzelte und schüttelte ihren Kopf, wodurch ihre braunen Haare in ihr Gesicht fielen. »Geh schon. Mir geht’s gut«, versprach sie und schob ihn mit leichtem Druck gegen seine Schulter von sich.

Es kostete ihn Überwindung, doch dann wandte er sich schließlich ab, um in Tespians dunkle Augen zu blicken, die ihn ernst musterten. »Von meinem Büro aus hat man einen ganz guten Blick auf das Studierwerk und ich möchte sowieso noch einige Dinge mit dir besprechen«, schlug der andere Omni vor.

Kas zögerte kurz, dann nickte er und folgte dem älteren Omni ein Stockwerk höher. Sie betraten den warmen Raum und Kas trat an die Glasfront, die hinunter zum Studierwerk lag. Er entdeckte Elli, wie sie mit Ezra über etwas diskutierte und Ezra sich fleißig Notizen machte. Sie strich sich gerade eine ihrer Strähnen hinters Ohr und fasste ihre Haare zu einem Knoten in ihrem Nacken zusammen.

»Ich kenne dich nun schon fast dein Leben lang, Kastor«, begann Tespian hinter ihm und Kas schwante nichts Gutes.

»Korrekt.«

»Und ich sehe mehr als andere«, erinnerte ihn Tespian an bestimmte Fähigkeiten, die der Omni in ausgeprägtem Maße hatte.

»Wieder korrekt.«

»Kas, ist sie eine Begabte?«, wollte Tespian wissen.

Kastor wirbelte herum. Er starrte den anderen Omni einfach nur an. Nie sprachen sie so etwas aus.

»Was soll das? Soll ich dich fragen, ob du ein Begabter bist?«, blaffte Kastor. Immerhin war die ausgeprägte Fähigkeit, den anderen wie ein offenes Buch zu lesen, nichts, was Tespian in jahrelangem Training gelernt hatte. Er war ein Begabter. Aber das wurde innerhalb der Mauern nie ausgesprochen. Nie!

»Also ja«, Tespian nickte, als wäre es nur die Bestätigung, dass sie eine Frau war.

»Das habe ich nicht gesagt!«

»Ich bitte dich. Es ist ja nicht so, als wäre das ein Drama.«

Kastor musterte ihn und drehte sich nun ganz zu ihm um. Er richtete sich bewusst auf. »Wusstest du, dass man Begabte draußen jagt?«, fragte er trocken. Er musste Tespian klar machen, dass er die Klappe halten sollte.

»Der Orden des Lichts holt sie von der Straße. Das Jagen zu nennen, ist vielleicht ein wenig dramatisch, meinst du nicht?«, fragte Tespian amüsiert.

»Nicht der Orden, Tespian. Die Unbegabten jagen sie. Sie quälen und töten Begabte. Also sei verdammt vorsichtig mit deinen Worten.«

Tespians Augen weiteten sich, sonst erstarrte der Mann.

Kas drehte sich wieder zur Scheibe und blickte hinunter. Sein ehemaliger Mentor schwieg. Er schien zu überlegen.

»Was kann sie noch alles?« Tespian lief zur Glasfront und trat neben ihn, die Hände hinterm Rücken verschränkt.

»Ich weiß es nicht«, gestand er.

»Wieso weißt du es nicht? Ihr beide wirkt sehr vertraut.«

»Wir kennen uns seit einer Woche. Ich kann noch gar nicht alles über sie wissen«, machte er Tespian und auch sich selbst klar.

»Wie weit reicht ihre Gabe?«

»Was glaubst du denn, dass ihre Gabe ist?«, hakte Kas vorsichtig nach. Er wollte nicht zu viel verraten, aber Tespian fing jede Nuance auf und hob daher erstaunt den Kopf in seine Richtung. »Sie hat sich selbst drei Sprachen beigebracht, einfach nur dadurch, dass sie Bücher in diesen Sprachen studiert hat. Ich denke, sie hat eine Gabe für Sprachen.« Er löste sich von der Glasfront und wandte sich Kas wieder zu.

»Welche Sprachen?« Kas musterte seine Frau. Sie war so umwerfend und er hatte schon viel von ihr entdeckt. Da vergaß er gerne Mal, dass er immer noch verdammt wenig über sie wusste.

»Alt-Vandalisch, Walisisch und Orio-Gotisch.«

»Hast du geprüft, wie viel sie wirklich kann?«

»Nein. Ich hielt es sofort für eine Gabe und dachte, ich gehe vorsichtig vor. Schrittweise im Laufe des Praktikums«, erklärte Tespian.

Kas nickte. »Ich denke, du wirst feststellen, dass sie keine Gabe in dieser Richtung hat.«

»Aber Kas«, begehrte Tespian auf. »Sie kommt von der Straße. Wie sonst sollte sie so etwas lernen können?«

Kas drehte sich zu Tespian um und sah ihn an. Beinahe hätte er einfach seine Ansichten preisgegeben. Aber er hatte Angst davor, darauf offen zu antworten. Wenn er zu viel sagte, würde Tespian sofort wissen, wer sie wirklich war. Er sollte schweigen. Aber dann wüsste sein alter Lehrer, dass er etwas verbarg. Verdammt, er hätte sich nicht auf dieses Gespräch einlassen sollen. Und er musste Elli warnen. Sie durfte ihm auch nicht zu viel erzählen. Vermutlich hatte Kas Tespian mit seinem bisherigen Verhalten bereits auf eine Fährte gelenkt.

Tespian sah natürlich den Konflikt in Kastor. Wie immer. »Ich wünschte, du könntest mir vertrauen, alter Freund.«

»Das wünschte ich auch«, gestand Kas.

Der andere Omni nickte. »Du weißt, dass ich jetzt nicht lockerlassen werde.«

»Wieso?«

»Weil Offenheit und Ehrlichkeit deine beiden stärksten Charakterzüge sind. Ich nehme nicht einfach hin, dass deine Gefühle für sie dich dazu bringen, dich selbst zu verraten.«

Kas legte seinen Kopf schief und musterte Tespian genau. »Du hast recht … und doch liegst du falsch, mein Freund.« Er richtete sich auf und sah seinen alten Mentor ruhig an. Je weniger er preisgab, desto besser. »Das ist, glaube ich, noch nie vorgekommen. Sieh besser hin, was den Grund für mein Handeln betrifft. Es sind nicht meine Gefühle für sie«, stellte er klar und begegnete Tespians forschendem Blick.

Dieser kniff seine Augen zusammen, als suchte er intensiv nach etwas. Dann trat Erkenntnis in seinen Blick und sein Mund öffnete sich vor Erstaunen. »Das stimmt«, stellte er fest.

Kas nickte. Er betrachtete wieder seine Frau, die über ein Buch gebeugt dastand. Die Strähnen ihres weichen Haares lösten sich aus dem Knoten in ihrem Nacken und fielen um ihr Gesicht. »Sei … bei allem, was du herausfinden wirst, sei einfach so fair und warne mich vor, ehe du etwas tust«, bat Kastor.

Tespian musterte ihn von der Seite. Doch Kastor ließ seine Schultern hängen und wandte sich ab. Tespian hatte Blut geleckt und würde jetzt alles über Elli herausfinden, was er konnte, daran würde Kastor nichts ändern können. Das machte ihm Angst. Er wusste nicht, wie Tespian zu Ellis Vergangenheit stehen würde. Er wusste nicht, ob Tespian die Hintergründe ausreichen würden, um sie als die Frau zu sehen, die sie eigentlich war. Das wusste er einfach nicht. Wenn nicht, würde Tespian sie als die Ketzerin entlarven, die sie in den Augen des Ordens fälschlicherweise war.

Bevor er mehr preisgeben konnte, ging Kastor einfach und ließ einen sich sehr wundernden Tespian allein zurück.

Kapitel 2

»Also heißt es eher ›Woher wir kamen‹ und nicht ›Wohin wir kamen‹«, schloss Ezra.

»Sieht so aus.« Elli nickte.

Sie standen nun schon den dritten Tag gemeinsam an Ezras Pult im Studierwerk und durchforsteten endlos viele Schriften, um eine Übersetzung eines Textes anzufertigen. Das Pult war zwar groß, sodass drei Bücher gleichzeitig darauf Platz hatten, aber dennoch reichte das oft nicht für ihre Arbeit aus. Daher lagerte Elli die Schriften auf dem Pult nebenan aus. Sie musste dafür zwar immer um das Trennregal zwischen den Pulten herumgehen, aber sie brauchten einfach mehr Platz. Sie ging hinüber und holte eine Schriftrolle, die eine Karte eines Teils der damaligen Welt zeigte.

»Das verändert den Sinn komplett«, murmelte Ezra und blätterte seine Aufzeichnungen durch.

Elli legte die Karte über eines der Bücher auf Ezras Pult und zeigte mit dem Finger auf einen Stadtnamen. »Der Text spricht von Hazara als Ort, woher sie kamen. Wenn sie von dort kamen und nicht dorthin gingen, wohin sind sie dann gegangen?«, fragte sie nachdenklich und ließ ihren Blick rund um Hazara schweifen.

»Egal ob nach Westen oder Süden, dann wären sie den Vandalen begegnet. Nach Osten hätten sie auf Waliser treffen müssen«, überlegte Ezra laut, während er sich zu Elli über die Karte beugte.

Elli nickte und fuhr die Karte entlang. »Nach Norden zu gehen, wäre eigentlich Unsinn. Sieh dir nur den Bergpass an. Der muss so kurz nach der Katastrophe komplett voller Eis gewesen sein«, bemerkte sie.

»Vielleicht erfahren wir es noch.« Ezra tippte mit vor Neugier funkelnden Augen auf das Buch, das neben seinem Text zahlreiche weitere beinhaltete, die noch zu übersetzen waren.

»Vielleicht.« Elli zuckte mit den Schultern und ließ die Karte los, die sich daraufhin halb wieder einrollte.

»Du scheinst nicht so von dieser Frage gefesselt zu sein«, bemerkte Ezra.

»Stimmt.«

»Wieso?«

Elli seufzte und schaute durch die große Glaskuppel hinaus in den blauen Himmel. »Weißt du, Ezra, es ist natürlich interessant, was damals passiert ist, aber wir haben heute so viele Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssten, dass mir die Ruhe fehlt, um wirklich neugierig zu sein«, gestand sie und sah den Referendar wieder an.

Ezra runzelte seine Stirn in Unverständnis. »Was denn für Probleme?«

Sie verzog ihre Lippen. »Lass mich raten, du warst nie außerhalb der Mauern.«

»Doch, klar. Ich komme aus dem Westviertel.«

So hatte Elli das sicher nicht gemeint. Aber eigentlich war klar, dass er mit seiner Sicht auf die Welt sie falsch verstanden hatte. Sie hatte ja begriffen, dass das Leben hier ein anderes war. »Dann kennst du die Probleme, von denen ich spreche, wahrscheinlich gar nicht. Ich komme aus den Armenvierteln. Ich bin dort aufgewachsen und habe bis vor kurzem da gelebt. Es gibt viele Probleme dort draußen und der Orden könnte so viel tun.«

»Der Orden? Aber der Orden tut doch schon viel.«

»Wirklich? Was tut dein Haus?«, fragte sie herausfordernd.

»Mein Haus? Na, wie jedes Haus schickt es die Nicolaner, die für Ordnung sorgen«, erklärte er wie auswendig gelernt.

Elli nickte. Genau diese Antwort hatte sie erwartet. Weil sie nicht sahen, dass sie im Grunde nichts taten. »Das ist doch nicht helfen. Der Glauben lebt Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Nicolaner bestrafen bloß jene, die eine Sünde begangen haben. Aber wer hilft denen, die keine Sünde begangen haben? Den Gehorsamen, egal ob wahrhaft gläubig oder nicht? Ich sag es dir, Ezra. Ich war draußen. Niemand hilft ihnen.«

Ezra schüttelte leicht seinen Kopf. Er zog sein Kinn zurück und stieß die Zunge leicht zwischen seinen Lippen durch. Er mochte nicht, was sie sagte. »Und was könnten wir in deinen Augen tun?«, fragte er schließlich nach.

»Unterrichten«, schlug sie vor.

»Was denn?«

»Lesen und schreiben. Die Kinder hätten etwas zu tun und würden nicht mehr auf der Straße herumlungern müssen. Man könnte sie früh Barmherzigkeit und Nächstenliebe lehren. Wenn sie von uns ausgebildet werden würden, könnten sie in die Dienste des Ordens treten und der Gemeinschaft helfen. Sie hätten Betten, in denen sie schlafen könnten, und zu essen. Sie müssten nicht verhungern oder stehlen, um zu überleben. Sie müssten nicht ihre Körper verkaufen, um essen bezahlen zu können.«

Elli schmückte ihre Vorstellung etwas aus, um gute Argumente für ein Ordensmitglied zu nennen. Ihr war egal, ob die Kinder dann für den Orden Dienste leisteten, wenn sie älter waren, Hauptsache, sie mussten nicht mehr so grausam leiden. Kinder sollten Kinder sein dürfen, spielen und lachen. Nicht an Hunger sterben oder ihre Körper verkaufen müssen.

Ezra sah sie aus großen, staunenden Augen und mit leicht geöffnetem Mund an.

»Außerdem könnten wir wahre Gläubige sein, wenn wir ihnen die Worte geben und zeigen, wie es ist, danach zu handeln. Wir könnten ihnen zeigen, wie Barmherzigkeit aussieht. Dass der Orden nicht nur die Worte spricht, sondern auch danach handelt«, führte sie ihre Schlussfolgerungen weiter. Immerhin sollte der Orden genau das tun. Sie rühmten sich immer, wahre Gläubige zu sein, drehten die Worte aber nur so, wie es ihnen in den Kram passte. Elli glaubte, dass es bei vielen reine Gewohnheit und schlicht unreflektiertes Handeln war, genau wie bei Ezra. Das machte es aber nicht weniger falsch, nur nachvollziehbar.

»Es wird einen Grund geben, Schwester Eloise. Ich bin mir sicher, die Omni haben bereits über solche Ideen nachgedacht«, versicherte er ihr. Sie sah genau, wie es in ihm arbeitete.

»Vermutlich hast du recht.«

Sie musste nicht weiter in ihn vordringen. Sie hatte bereits einen Konflikt in ihm ausgelöst und ihn zum Nachdenken gebracht. Zu intensiv zu argumentieren, würde zu Abneigung führen. Sie hatte sieben Jahre lang Zeit gehabt zu lernen, wie Veränderung funktionierte. Man brauchte unfassbar viel Geduld, wenn man etwas bewegen wollte. Die Bewegung war so langsam, dass man oft glaubte, es würde sich gar nichts bewegen. Aber Elli hatte gelernt, dass es nur so gut funktionierte, und oft gesehen, dass schnelle Bewegung nicht richtig durchdacht war, dann auf Widerstand traf und rückgängig gemacht wurde. Grundlegende Veränderungen brauchten Zeit, auch wenn ihr manchmal die Geduld ausging, weil das Leiden ja in dieser Zeit munter weiterging.

»Schwester Eloise, deine Zeit ist längst um«, brach Omni Tespian, der plötzlich direkt vor ihr stand, in ihre Gedanken ein. »In deinem Haus wird gleich zu Abend gegessen. Ich bin mir sicher, Omni Kastor wird nicht froh sein, wenn wir dich davon abhalten.«

»Danke. Ich mache mich sofort auf den Weg.« Elli stand auf, rollte die Karte ordentlich ein und legte die Bücher auf einen Stapel. »Bis Morgen, Ezra«, verabschiedete sie sich und winkte im Gehen.

Als sie davoneilte, hörte sie Tespian noch fragen: »Und, Ezra, gibt es neue Erkenntnisse?«

Das würde den Referendar sicher freuen. Die Aufmerksamkeit seines Omnis an einem Tag, an dem er einen großen Fehler in seiner Arbeit korrigiert hatte. Das war bestimmt toll für ihn. Elli schmunzelte und eilte aus der Kammer der Worte, die mehr einem Palast der Worte gleichkam.

***

Die nächsten zwei Tage verliefen sehr ruhig. Sie arbeitete mit Ezra weiter an der Übersetzung. Gemeinsam kamen sie schnell voran. Doch Elli hatte ein seltsames Gefühl, ein Kribbeln in ihrem Nacken, als würde sie beobachtet werden. Es dauerte die gesamten zwei Tage, bis sie endlich eins und eins zusammenzählte. Heute, am fünften Tag ihres Praktikums, wusste sie, wonach sie Ausschau halten musste. Und tatsächlich dauerte es keine Stunde, da entdeckte sie Tespian das erste Mal. Gegen Mittag hatte sie ihn vier Mal wie zufällig zwischen den Regalen stehen sehen. Was für ein Schauspieler. Sie war unaufmerksam geworden. Vor ihrer Zeit hinter den Mauern, als sie als Ketzerin gejagt worden war, hätte sie viel früher bemerkt, dass man sie beobachtete.

Scheinbar in Gedanken schlenderte sie zu der Regalreihe, hinter der sie ihn vermutete, und zog ein Werk aus der Regalwand. Sie schlug es an einer beliebigen Stelle auf, sah hinein und murmelte leise, aber für ihn sicher hörbar. »Hör auf dich zu verstecken, Tespian.«

Erst herrschte Stille. Vermutlich versuchte er vorzugeben, dass er gar nicht da war, und wollte sich auf diese Weise der Konfrontation entziehen, doch sie verharrte und lauschte mit angehaltenem Atem. In der Ferne hörte sie Papier rascheln und das scharrende Geräusch von Schritten über Steinfließen unten im Erdgeschoss. Aber in ihrer direkten Umgebung war es mucksmäuschenstill.

Er würde sich spätestens durch Schritte verraten und das war ihm sicher auch klar. Sie lauschte und hielt durch. Geduld hatte sie lernen müssen, sie war der wertvollste Begleiter, den man haben konnte. Sie hatte oft ausharren müssen, unsicher, ob das Warten sich auszahlen würde. Da es das aber sehr oft getan hatte, harrte sie auch jetzt stur aus.

Schließlich hörte sie seine Schritte und Triumphgefühl breitete sich in ihr aus. Sie schlug das Buch zu und stellte es zurück an seinen Platz. Dann sah sie ihn um das Regal herumkommen und sie wachsam mustern. Er blieb nur wenige Meter von ihr entfernt stehen. Nahe genug, um leise sprechen zu können, aber weit genug entfernt, um einen Sicherheitsabstand zu ihr zu wahren.

Tespian baute sich zu seiner vollen respekteinflößenden Erscheinung auf und musterte sie mit scheinbar strengem Blick, aber seine seitlich am Taillengurt herumfummelnden Fingerspitzen verrieten ihn. Er war nicht halb so selbstsicher, wie er ihr weismachen wollte.

»Einfach nur Tespian?«, machte er sie auf ihre Formlosigkeit aufmerksam.

»Du bist wohl kaum in deiner Rolle als Omni hier. Du beobachtest mich nun schon seit vier Tagen zwischen den Regalen hindurch«, eröffnete sie das Gespräch und lehnte sie sich damit weit aus dem Fenster. Sie wusste nicht wirklich, wann er damit angefangen hatte. Aber Elli hatte dieses Gefühl eben schon länger gehabt und war sich sicher, dass er sie schon lange beobachtete. Natürlich spielte sie mit dem Feuer, aber das war okay, denn Tespian tat das ebenso. Sie hatte auch einen gewissen Rang. Als Kastors Frau war sie Omnessa des Hauses der Krieger.

Er würde gleich in Erklärungsnot kommen. Deshalb konnte er es sich auch nicht leisten, als Omni hier zu sein.

Tespian musterte sie mit einem Funkeln in den Augen. Er war eindeutig neugierig. Etwas hatte sein Interesse geweckt, etwas an ihr. Nur hatte Elli nicht den blassesten Schimmer, was das sein sollte.

»Nun, Schwester Eloise.« Er öffnete seine Hand in ihre Richtung und bedeutete ihr mit dem Gespräch zu beginnen.

»Wieso beobachtest du mich?«, verlangte sie zu erfahren.

»Wieso nicht?«, fragte er amüsiert.

»Weich mir nicht aus!« Sie musste autoritär auftreten, wenn sie etwas erreichen wollte. Er war ein Mann in einer Machtposition und ihrer Erfahrung nach respektierten diese nur Autorität und Stärke.

Tespian schmunzelte unerwartet. »Also bist du schon mal nicht eingeschüchtert«, sagte er mehr zu sich als zu ihr. Er testete sie, spielte mit ihr. Das würde interessant werden. Elli musste auf der Hut sein.

»Wieso sollte ich?« Elli lächelte ihn entspannt und leicht herablassend an. Das würde er sicher von einer Omnessa erwarten, dass sie arrogant und herablassend reagierte.

»Ich bin ein Omni. Ich bin älter«, schlug er zwei Gründe vor.

»Und ich bin eine Omnessa. Haben wir jetzt genug geprotzt?«

Tespians Mundwinkel zuckte amüsiert. Er ging zu der Regalwand rechts von sich und berührte die Buchrücken dort, als würde er nach einem bestimmten Titel suchen. »Ich war neugierig auf dich«, lenkte er ein, ohne sie anzusehen.

Elli fokussierte ihn nur weiter und rührte sich sonst nicht. Es war immer besser, weniger preiszugeben, als man könnte. Je weniger man reagierte, desto unsicherer machte das das Gegenüber.

»Ich wollte herausfinden, ob du begabt bist. Dein Mann war in dieser Hinsicht entsetzlich verschwiegen«, räumte Tespian schließlich ein und Elli stellten sich die Nackenhaare auf.

»Begabt?«

»Ja, begabt.«

»Was soll das sein?«

Nun stutzte Tespian und drehte sich wieder ganz zu ihr. Er musterte sie interessiert von oben bis unten, sodass Elli das Gefühl hatte, vollkommen entblößt zu sein, als könnte er wirklich in sie hineinblicken. Das war ein beunruhigender Gedanke.

»Du weißt sehr wohl, was ich meine, Schwester Eloise«, stellte er fest, als wüsste er es wirklich.

Elli senkte ihr Kinn und funkelte ihn an. »Ich habe eine Ahnung, was du meinst, aber draußen nennen wir sie nicht begabt, sondern defekt«, räumte sie ein. Nah an der Wahrheit zu bleiben, war schon immer die beste Lüge gewesen.

Tespian durchbohrte sie wieder, als würde er nach etwas suchen, das er in ihrem Blick finden konnte. Eine Gänsehaut breitete sich ihren Rücken hinunter aus und kroch über ihre Arme.

»Du sprichst die Wahrheit und tust es auch nicht. Du bist ein einziges Rätsel«, stellte er mit einem leisen Lachen in der Stimme fest. Was amüsierte ihn denn bitte? Und überhaupt, seine Worte waren einfach nur verwirrend. Er trat ihr gegenüber auf, als wüsste er einfach durch ansehen, ob sie log oder die Wahrheit sagte … konnte das sein?

»Ich habe nicht gelogen«, beharrte sie fest und das war schließlich auch wahr.

Tespian runzelte seine Stirn und schien ein wenig unsicher. Das war ein neuer Ausdruck, wie sie feststellen musste. Er war beim Beobachten ertappt worden und das hatte ihn nicht im Mindesten verunsichert. Das sollte ihn doch verunsichern, oder nicht?

»Defekt ist ein reichlich unangebrachtes Wort«, meinte Tespian leicht tadelnd und lenkte von dem seltsamen Wortwechsel über die Wahrheit ab.

»Ich weiß nicht«, räumte sie ein und zuckte absichtlich desinteressiert mit den Schultern, wobei sie ihre verschränkten Arme löste.

»Es klingt kaputt und negativ.«

»Das stimmt. Weshalb man draußen auch dieses Wort wählt.«

Erst hatte Tespian etwas sagen wollen, doch jetzt schloss er den Mund und sein warmer Gesichtsausdruck war auf einmal sehr ernst und verschlossen.

»Sag das nochmal«, flüsterte er und wirkte angespannt.

»Wieso?«, wollte sie wissen. Er hatte sie doch verstanden.

»Ich meinte, Hass aus deinen Worten herausgehört zu haben.«

»Sicher kein Hass. Hass ist an dieser Stelle unangebracht«, winkte sie ab und wollte es jetzt doch wissen. Sie musste ihn ein wenig provozieren und es so ausdrücken, dass man es unterschiedlich interpretieren konnte. Sie wusste nicht wieso, aber sie spielten hier ein Katz-und-Maus-Spiel und noch war nicht klar, wer von ihnen die Maus war. Elli mochte es, für die Maus gehalten zu werden. Das half, den Gegner zu überrumpeln. Allerdings war sie sich noch nicht sicher, ob Tespian wirklich ihr Gegner war.

»Ich würde es eher Zorn, vielleicht Abscheu nennen«, ergänzte sie emotionslos, als er sich schon entspannte.

Tespian wirkte ungläubig und fokussierte sie wieder mit diesem Blick. Sie war sich immer sicherer, dass dieser Blick mehr war, als einfach nur ein Blick.

Elli legte ihren Kopf schräg und musterte ihn. »Du hast deine Bücher noch nie verlassen, oder, Tespian? Du warst nie draußen und weißt daher nicht, wie man dort mit Defekten umgeht. Oder Begabten, wie du sie nennst. Denn wüsstest du es, hättest du mich nie gefragt.«

»Schmerz«, flüsterte Tespian und Elli war sich jetzt sicher, dass Tespian zu gut darin war, ihre Stimmung zu erfassen, unnatürlich gut.

»Oh ja, großer Tespian. Schmerz«, bestätigte sie und trat näher an ihn heran. So nah, dass sie leicht zu ihm auf- und er zu ihr herabsehen musste. »Ich habe zugesehen, wie ein Begabter entdeckt wurde. Wie er gejagt wurde. Durch die Gassen getrieben, Tag und Nacht, bis sie ihn hatten. Wie sie ihn quälten. Wie sie ihn erst aushungerten. Ich sah, wie sie ihm seine Zunge herausschnitten, weil man seiner Haut keine Wunden zufügen konnte. Sah, wie sie ein Messer in seinen Mund steckten und es drehten und drehten, bis er nicht einmal mehr vor Schmerz schrie, und dann sah ich, wie sie ihn an seinem eigenen Blut ertrinken ließen. Fragt niemals wieder ein Kind der Straße, ob es begabt ist. Denn Begabte müssen den Tod fürchten.«

Tespian starrte sie aus großen Augen an. Sie nahm wieder Abstand und musterte ihn ruhig mit gehobenem Kinn. Er wirkte zu geschockt, um etwas zu sagen, also wollte sie sich wieder umdrehen und zurück zu Ezra gehen. Doch dann stellte er fest: »Das war die Wahrheit.«

»Woher willst du das wissen?«, zischte Elli halb umgedreht und funkelte ihn an. Nun war sie sich ganz sicher. Seine seltsam treffenden Feststellungen in diesem Gespräch. Er war ein Begabter. Irgendwie schien er zu wissen, wann sie die Wahrheit sprach. Eine sehr gefährliche Gabe, sowohl für ihn als auch für sie. Sicher wusste er mehr, als er wissen wollte. Sie stellte sich das Leben mit dieser Gabe nicht schön vor. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb er sich in die Bücher verkroch. Bücher konnten einen schließlich nicht anlügen.

»Was für ein Glück für dich, dass du hinter den Mauern groß geworden bist«, ätzte sie. »Der Junge, er war erst acht Jahre alt.«

»Du bist erstaunlich.«

Elli zog eine Augenbraue hoch.

»Es scheint, als hättest du gerade herausgefunden, dass ich begabt bin«, mutmaßte er.

Elli nickte nur verhalten. Er hatte einfach gar nicht auf die Geschichte über den Jungen reagiert. Sicher, er war geschockt gewesen. Aber er hätte wenigstens etwas Mitgefühl zeigen können. Natürlich wusste Elli nicht, was er wirklich dachte oder fühlte, aber er verhielt sich wie ein kaltes ignorantes Arschloch.

»Das bedeutet, dass Kastor es dir nicht gesagt hat«, stellte er fest.

Das war wohl so. Warum, konnte sie nur erahnen. Je nachdem, wie ausgeprägt Tespians Gabe war, hätte er sofort bemerkt, dass sie ihm gegenüber vorsichtig war. Er hätte dann gewusst, dass sie etwas zu verbergen hatte. Wahrscheinlich hatte ihr Kas deshalb nichts gesagt und vermutlich gut daran getan. Jetzt allerdings wusste sie es und musste vorsichtig sein. Nicht zu vorsichtig, aber vorsichtig. Das würde hier sehr interessant und gleichzeitig gefährlich werden. Tespian durfte nicht herausfinden, wer sie gewesen war, bevor sie Kas geheiratet hatte. Am besten nie und frühestens, wenn er sie besser kannte und ihr vielleicht sogar vertraute und in ihr sehen konnte, was sie gewesen war und nicht, was die Inquisition ihr angedichtet hatte. So gesehen konnte Tespian auch ein unglaublicher Gewinn sein.

»Ich sehe keine negativen Gefühle für deinen Mann, obwohl er dich im Ungewissen gelassen hat«, stellte Tespian fest und schien sich darüber zu wundern.

»Wieso sollte ich? Ich vertraue Kas und bin sicher, er wird gute Gründe gehabt haben.«

»Die uneingeschränkte Wahrheit. Du wirst immer interessanter«, murmelte er wieder mehr zu sich als zu ihr. Elli hatte das Gefühl wie eine Kuriosität betrachtet zu werden. Er drang mit seiner Gabe einfach in ihre intimsten Gefühle ein, das ging ihr zu weit.

»Ich denke, ich beende das Gespräch an dieser Stelle.« Ihre Worte unterstreichend, wandte sie sich ab.

»Wieso?«, fragte er überrascht.