Elvira und der magische Brunnen von Geistwasser - Martina Kast - E-Book

Elvira und der magische Brunnen von Geistwasser E-Book

Martina Kast

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Beschreibung

Kurz vor ihrem 13. Geburtstag plagen Elvira plötzlich immer wiederkehrende Albträume von einem Brunnen. Ihre Eltern schieben das einfach auf die Hormone! Als dann auch noch ein Umzug ansteht, steht ihr ganzes Leben Kopf. Ihre Gefühlswelt explodiert regelrecht. Aber das ist nicht alles, denn auf einmal passieren merkwürdige Dinge, die sich Elvira nicht erklären kann. In ihrer neuen Heimat Geistwasser scheint sich das noch zu verschlimmern. Sie ahnt nicht, welches großes Geheimnis ihre Eltern hüten, das auch sie betrifft. Geistwasser wird zu Elviras Bestimmung! Ein abenteuerliches und magisches Jahr liegt vor ihr. Neue Freunde, eine seltsame Schule, sprechendes Wasser und unheimliche Nachrichten bestimmen den Alltag der Jugendlichen, der auf einmal durch Magie geprägt wird. Kann Elvira herausfinden, was es damit auf sich hat und das Rätsel lösen, bevor es zu spät ist?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Edition Paashaas Verlag

Autor: Martina Kast

Cover-Motive: Pixabay Cover designed by Michael Frädrich

Korrektur: Nina Sock Lektorat: Manuela Klumpjan

©Edition Paashaas Verlag, Hattingen,

www.verlag-epv.de

Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-154-0

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Elvira

und der magische Brunnen von Geistwasser

Fantasy-Roman

Vorwort

Nicht in einer Million Jahren hätte Elvira erahnen können, was ihr Leben in der Zukunft für sie bereithielt. Sie führte ein bislang ganz normales Leben mit ihren Eltern. Sie ging zur Schule, hatte Freunde und bis auf den Traum, der sie schon länger verfolgte, ging es ihr prima. Ausgerechnet ein Brunnen war es, der ihr irgendwie Angst machte. Sie konnte sich selten an etwas aus ihrem Traum erinnern, dennoch wusste sie, dass da etwas unheimlich war – irgendwie bedrohlich. Schließlich fragte Elvira ihre Eltern, was es mit diesem Traum auf sich haben könnte. Die hatten eine nur unzureichende Erklärung: Das käme von den Hormonen und dass sie sich keine Sorgen machen musste. Die Träume würden sicher bald aufhören. Doch sie hörten nicht auf. Oft blieb ein ungutes Gefühl zurück, wenn sie wieder einmal in der Nacht aufschreckte und sich beobachtet fühlte. Elvira fragte sich, ob diese Träume ihr etwas sagen wollten. Nur was? Waren sie so etwas wie Vorahnungen? Allein die Vorstellung, dass es so sein könnte, trieb ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunter.

Ansonsten lebte Elvira ein ganz normales Teenagerleben. Sie schimpfte über zu viele Hausaufgaben, blöde Lehrer und lästige Hausarbeit oder lachte, kicherte und war albern, ging gern in die Bibliothek und wollte auf keinen Fall mehr als Kind angesehen werden. Es war ein meist harmonisches und glückliches Leben. Bis eines Tages …

Schlechte Nachrichten

Elvira war verzweifelt. Sie fand es einfach nicht fair, dass sie umziehen musste. Warum um alles in der Welt konnten Eltern alles bestimmen? Papa hatte einen neuen Job, Mama fand es toll und niemand interessierte sich dafür, wie sie sich damit fühlte. Sie hatte doch Freunde hier und ihre Schule, und außerdem fand sie es toll hier. Sie liebte die örtliche Bibliothek, in der sie sehr oft zu Gast war, um sich neue Bücher auszuleihen, oder in Büchern zu stöbern. Das alles sollte sie nun hinter sich lassen. Ihre Eltern hielten das ernsthaft für eine gute Nachricht und servierten sie ihr beim Abendessen zum Nachtisch. Ihr Papa würde dann mehr Geld verdienen. Sie hätten es dann besser. Außerdem wollte Mama dann auch wieder arbeiten gehen – als Krankenschwester, so wie früher, bevor sie, Elvira, geboren wurde. Sie wäre nun groß genug, um ab und zu alleine zurechtzukommen. Warum auch immer – ihre Eltern schienen tatsächlich der Meinung zu sein, dass sie ihr einen Gefallen damit taten.

Doch was war denn an dem Leben verkehrt, das sie bisher geführt hatten?! Sie waren doch immer glücklich, auch wenn sie nicht jeden Wunsch erfüllt bekam und ihre Sachen nicht mehr so ganz in Mode waren. Sie hatte sich nie darüber beklagt. Es beeindruckte sie überhaupt nicht, dass ihr neues Zimmer größer wäre und sie aufs Land ziehen würden. Ihre Eltern malten ihr aus, wie toll es sein würde, in eine kleinere Schule zu gehen und die vielen Tiere, die sie nun hautnah erleben konnte, statt sie nur im Fernsehen oder in Büchern zu sehen. Man versprach ihr sogar, dass es dort eine coole Bibliothek gibt. Viele nette Leute, jeder kennt jeden und alles in der Nähe – Bla Bla Bla. So viele Infos in so wenig Zeit. Wieso erzählten sie ihr überhaupt alles, wenn sie eh nicht gefragt wurde, ob sie das wollte? Elvira wurde ganz schwindelig von den neuen Nachrichten und ihren eigenen Gedanken und Gefühlen, die sie gerade zu überrennen schienen.

„Ach ja – fast hätte ich vergessen zu sagen, wann es losgeht“, bemerkte ihre Mutter wie nebenbei.

Elvira, die gerade aufstehen wollte, lehnte sich mit einem Seufzen wieder zurück. „Und wann ist es so weit? Wann habt ihr beschlossen, ist mein Leben zu Ende?“ Sie rollte genervt mit den Augen und erwartete ihren Todesstoß.

„Sei mal nicht so theatralisch. Es wird alles super – ehrlich. Schon in den Sommerferien geht es los. Ist das nicht toll? Dann kannst du dich noch ein bisschen eingewöhnen, bevor die Schule wieder losgeht. Vielleicht lernst du ja auch schon ein paar deiner neuen Klassenkameraden kennen. Wäre das nicht fantastisch?“

Während die braunen Augen ihrer Mama ein reines Freuden-Feuerwerk versprühten, dachte Elvira, sie würde ersticken. Mit einem Mal war alle Luft aus ihren Lungen gewichen und neue Luft schien es keine mehr zu geben. Sie fühlte sich, als wäre sie unter Wasser. Sie sah, dass ihr Papa noch etwas sagte, aber sie verstand kein Wort. Der runde Küchentisch, an dem sie immer noch saßen, wuchs auf eine lächerliche Art und Weise. Ihre Eltern waren plötzlich so weit weg von ihr, dass sie unmöglich verstehen konnte, was ihr Papa da redete. Ihre Eltern strahlten sie glücklich über den Tisch hinweg an.

Langsam schrumpfte der Tisch wieder, aber etwas anderes wuchs dafür. Ihre Wut. Sie fühlte sich übergangen, überrannt, enttäuscht und ihres Lebens beraubt.

„... alles nur zu deinem Besten.“ Damit beendete ihr Papa seine Ansprache, von der Elvira nur den letzten halben Satz gehört hatte. Dann loderte die Wut in ihr auf. Sie kochte hoch und platzte schließlich aus ihr heraus. Sie sprang wie von Nadeln gestochen von ihrem Stuhl auf. Ihre braune Lockenpracht schien elektrisiert zu sein, denn ihre Haare sahen plötzlich so aus, als wäre ihr der Föhn explodiert. Nun blitzten ihre Augen und sprühten Funken – nur, dass ihre Augen nicht vor Freude, sondern vor Wut glühten. Sie funkelte ihre Eltern böse an.

„Was habt ihr euch nur dabei gedacht? Was bitte soll daran toll sein, umzuziehen? Ich muss meine Freunde, meine Schulkameraden und überhaupt alles verlassen. Ihr zerstört mein Leben. Herzlichen Dank auch!“ Elvira spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie sah ihren Eltern ins Gesicht und wusste selbst nicht, was sie jetzt für eine Reaktion von ihnen erwartete. Sie sah in die erstarrten, ungläubigen Gesichter.

Als ihre Mama nach einer gefühlten Ewigkeit ihre Sprache wiedergefunden hatte und mit: „Aber, Ellimaus, wir ...“ ansetzte, musste Elvira an sich halten. Wie konnte ihre Mutter es wagen ihr jetzt mit Ellimaus zu kommen? Sie hasste diese Verniedlichung ihres Namens. Sie war doch keine drei Jahre mehr. Sie schnaubte regelrecht vor Wut und ließ ein paar Laute aus ihrer Kehle dringen, die das deutlich zum Ausdruck brachten. Dann drehte sie sich um und verließ die Küche, um in ihr Zimmer zu flüchten.

Ihr Papa rief noch ein: „Elvira, bitte! Jetzt bleib doch noch kurz“, hinter ihr her.

Aber sie hatte nicht vor, zu bleiben. Sie knallte ihre Zimmertüre hinter sich zu, bevor ihre Eltern noch irgendetwas sagen konnten. Sie wollte nichts mehr hören. Sie riss das Kopfkissen vom Bett, schmiss sich bäuchlings auf die Matratze und deckte mit dem Kissen ihren Kopf zu. Dann weinte sie vor lauter Wut und Verzweiflung, bis sie einschlief.

Wie so oft in den letzten Monaten hatte Elvira den wiederkehrenden Traum von einem Ort, den sie nicht kannte. Ein Brunnen, leises Flüstern, ein schemenhaftes Gesicht und ein Buch.

Während Elvira in ihrem Zimmer verschwand und die zugeschmissene Zimmertüre mehr als deutlich sagte, lasst mich alle in Ruhe, saßen die Eltern etwas ratlos und schockiert am Tisch und sahen sich an. Keiner wusste, was er sagen sollte. Sie hatten sich diese Überraschung anders vorgestellt. Sie dachten, dass sich ihre Tochter freuen würde. Natürlich hatten sie damit gerechnet, dass es ihr schwerfallen würde, ihre Freunde zu verlassen. Aber, dass Elvira so aus dem Häuschen sein würde – niemals. Elviras Papa nahm die Hand seiner Frau in die seinen und streichelte ihr mit dem Daumen zärtlich und beruhigend über den Handrücken. Er war ganz nah an seine Frau herangerückt. Er spürte, wie sie zitterte und legte einen Arm um sie, während er mit der anderen Hand weiter die ihre hielt. Sie lehnte sich seufzend an ihn. Dankbar für seine Nähe, seine Wärme und die Kraft, die er ihr in diesem Moment schenkte.

„Glaubst du, dass wir das Richtige tun?“, fragte sie ihren Mann leise und neigte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen konnte. Er sah ihren fragenden, bittenden Blick und lächelte sie an.

„Natürlich. Jetzt mach dir nicht so viele Gedanken. Wir können nicht erwarten, dass sie sofort Feuer und Flamme ist. Schließlich haben wir das alles ja von langer Hand geplant und uns darauf vorbereitet, aber Elvira wurde von uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Vielleicht hätten wir Elvira doch besser vorbereiten sollen. Als sie uns von den komischen Träumen erzählte, wäre eine Möglichkeit gewesen. Stattdessen haben wir ihr nur gesagt, dass es normal ist, wenn man in die Pubertät kommt, weil da alle Hormone durcheinander sind.“ Eine kleine Weile war es ganz still in der Wohnung. Nur die Küchenuhr tickte weiter vor sich hin und klang in der Stille viel lauter als gewöhnlich.

„Ich glaube, du hast recht, mein Schatz. Lassen wir ihr ein wenig Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Lass uns jetzt zu Bett gehen. Du musst morgen wieder früh raus und der Tag war anstrengend und aufregend genug.“

Elviras Mama lächelte Thomas, ihren Mann an. Er küsste sie auf die Stirn, bevor sie sich von ihm löste.

„Ja, lass uns schlafen gehen und sehen, was der Tag morgen bringt.“ Sie räumten noch gemeinsam die Küche auf und unterhielten sich dabei über Belanglosigkeiten. Als sie beide im Bett lagen, war die Stimmung wieder gelassen. So kehrte an diesem Abend sehr viel früher Ruhe ein als sonst.

Miese Laune und widerspenstige Haare

Am nächsten Morgen fühlte sich Elvira, als hätte sie ein Bus überfahren. Da sie mit dem Kopf unter statt auf dem Kopfkissen gelegen hatte, war sie etwas verspannt im Nacken. Außerdem hatte sie einen total ekligen Geschmack im Mund, weil sie ihre Zähne nicht geputzt hatte, bevor sie ins Bett gegangen war. Und sie hatte sich natürlich auch nicht umgezogen, als sie sich am Abend frustriert und heulend ins Bett fallen ließ. Der seltsame Traum, den sie hatte, hing ihr auch noch etwas nach. Bruchstückhaft ploppten Bilder davon vor ihrem geistigen Auge auf. Was hatte es nur immer mit dem Brunnen in ihren Träumen auf sich? Neuerdings war da auch immer jemand bei ihr. Waren das ihre Freunde? Aber was sollten die mit dem Brunnen zu tun haben? Elvira setzte sich auf die Bettkante und überlegte, ob der Tag noch schlimmer werden könnte, als der Morgen begann. Sie hörte ihre Mutter aus der Küche nach ihr rufen. Sie sollte sich beeilen. Das Frühstück wartete, was der Schulbus sicher nicht tun würde. Also raffte Elvira sich mit einem lang gezogenem „Jaaahaaa“ auf und suchte sich schnell ein paar frische Klamotten aus dem Schrank, mit denen sie ins Badezimmer verschwand. Sie hatte keine Lust, zu Fuß in die Schule zu laufen. Deshalb beeilte sie sich mit Waschen, Umziehen und Zähneputzen. Wie sie ihre unbändige Lockenmähne heute Morgen unter Kontrolle bekommen sollte, wusste sie allerdings nicht. Sie sah ungläubig, mit der Bürste in der Hand, in den Spiegel. Das bekam man nicht in ein paar Minuten hin. Da war sie sich sicher. Sie legte die Bürste weg und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Ähnlich wie mit einem Kamm. Dann nahm sie sich ein Haargummi aus dem Badezimmerschrank und band damit die Haare zusammen. Fertig. Das musste reichen. Sie schnappte sich noch schnell ihre Schultasche aus ihrem Zimmer gegenüber und eilte in die Küche, wo das Frühstück auf sie wartete. Eine Scheibe Brot mit Honig und ein warmer Kakao. Das Schulbrot lag auch schon bereit.

Ihre Mutter begrüßte sie mit einem fröhlichen: „Guten Morgen, mein Schatz.“

Elvira nuschelte auch einen Guten-Morgen-Gruß, packte das Schulbrot ein und parkte den Schulrucksack neben ihrem Stuhl. Sie setzte sich, biss zweimal ein großes Stück vom Brot ab und spülte die großen Happen mit Kakao herunter. Dann sprang sie auf, ließ das halbe Frühstück stehen und schulterte die Schultasche.

„Bleib doch noch einen Moment, ich ...“, setzte ihre Mama an. Aber Elvira unterbrach sie mitten im Satz: „Keine Zeit. Ich muss los.“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz herum und war auch schon aus der Küche raus. Sekunden später hörte ihre Mama die Haustüre auf und gleich darauf wieder zu gehen. Heute Morgen war ihr nicht danach, zu reden. Sie hatte leichte Kopfschmerzen und musste erst mal selbst mit all den Informationen fertig werden. Die Freude, ihre Freunde gleich in der Schule zu treffen, hielt sich in Grenzen. Was würden die wohl sagen? In ein paar Wochen würde es Abschied nehmen heißen – wie erklärte man seinen Freunden das?

Elvira nahm das morgendliche Gedränge im Schulbus gar nicht wahr. Zu sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt. Am liebsten würde sie die Schule schwänzen und in die Bibliothek gehen. Da war es immer so schön leise. Sie konnte dort ihre Gedanken besser sortieren oder in fremde Welten abtauchen. Aber das würden ihre Eltern sicher nicht so toll finden. Um zusätzlichen Ärger zu vermeiden, entschied sie sich, in die Schule zu gehen. Allerdings trödelte sie nach dem Aussteigen, auf dem Weg zur Schule, unnötig lange herum. Es war gar nicht so weit, von der Haltestelle zu Fuß in die Schule. Höchstens fünf Minuten. Normalerweise schaffte sie es auch in drei, damit sie noch ein paar Minuten mehr Zeit hatte, um mit ihren Freunden zu reden. Die wohnten in der Nähe der Schule und brauchten nicht mit dem Bus fahren. Dafür war sie heute zum ersten Mal dankbar. So hatte sie noch etwas Zeit, ihre schlechte Nachricht bekannt zu geben. Alle Kinder stürmten an diesem Tag, mehr oder weniger schnell, an ihr vorbei. Irgendwann war sie alleine auf dem Weg. Erst als sie die Schulglocke hörte, beeilte sie sich etwas. Sie wollte ja nicht viel zu spät kommen. Nur gerade so spät, dass ihre Freunde schon in der Klasse waren, wenn sie eintraf.

Fast wäre Elvira ihren Freunden doch noch über den Weg gelaufen. Scheinbar hatten sie auf Elvira gewartet, denn sie waren die letzten, die die Schultreppe zum Haupteingang hoch gingen. Sie konnte sich gerade noch hinter der Schulmauer verstecken, die den Schulhof einfasste, als Sonja sich noch einmal umdrehte. Sie schien sicher sein zu wollen, dass ihre Freundin wirklich nicht da war. Aber dann verschwand auch sie hinter der großen Schulpforte. Elvira schlich die letzten Meter zum Gebäude. Die Treppe schien der Mount Everest zu sein, und die Türe ließ sich so schwer öffnen, als wäre sie aus Blei. Ihr Herz fühlte sich ebenso schwer an. Aber sie ging weiter. Ein paar einzelne Schüler rannten noch über den Flur. Man konnte die Kinder aus jeder Richtung lachen und rufen hören. Die Lehrer waren offensichtlich noch nicht alle in ihren Klassenzimmern angekommen. Elvira musste noch in den ersten Stock. Sie zog sich am Treppengeländer hoch, weil sie das Gefühl hatte, keine Kraft mehr in den Beinen zu haben. Oben angekommen, bog sie nach rechts in den Gang ab. Dort befanden sich drei Klassenzimmer. Alle drei waren geschlossen und leise. Das hieß, dass die Lehrer schon in den Klassen waren und der Unterricht begann. Sie ging zur mittleren Tür und klopfte leise an, bevor sie das Zimmer betrat. Sie entschuldigte sich für ihr Zuspätkommen beim Lehrer und setzte sich an ihren Platz. Dabei vermied Elvira jeden Augenkontakt zu ihren Freunden. Sie war so unendlich traurig und befürchtete, dass sie heulen musste, wenn sie ihnen jetzt in die Augen sah. Einerseits würde sie am liebsten sofort mit der Nachricht herausplatzen, aber sie wusste, das war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. Dabei würde ihr der Zuspruch ihrer Freunde sicher guttun. Sie fühlte sich nicht nur traurig, sondern auch zerrissen. Jetzt bereute sie es fast, extra zu spät gekommen zu sein. Aber wie hätte sie das Unglück in fünf Minuten erklären sollen? Doch sie hätte es sicher nicht für sich behalten können, wenn sie Sonja und Marvin vor der Schule begegnet wäre. Ihre Eltern waren so unfair, so gemein! Elvira war ganz in sich und ihren Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkte, dass der Lehrer mit ihr redete. Sie saß an ihrem Pult, den Kopf auf den Händen abgestützt und sah aus dem Fenster, an dem sie saß.

Inzwischen stand Herr Mohn vor ihrem Pult und schnipste ungeduldig mit den Fingern vor ihrem Gesicht herum, während er sie mit ihrem Namen ansprach. „Elvira, Elvira, ... Elvira? ... Elvira!“

Das letzte Elvira schmetterte er ihr regelrecht entgegen und sein Gesicht wurde so rot wie sein Name – Mohn. Sie schreckte auf und stammelte etwas von Entschuldigung, ja bitte und keine Ahnung. Sie hatte keinen Plan, was Herr Mohn von ihr wollte. War sie etwa eingeschlafen?

Die ganze Klasse kicherte und lachte.

„Es ist dir vielleicht entgangen, aber wir haben hier Unterricht. Gibt es einen speziellen Grund heute zu spät zu kommen und offensichtlich während der Stunde vor sich hin zu träumen? Ist mein Unterricht zu langweilig für dich?“ Sein Blick war fordernd und verriet, wie verärgert er war. Sein Ton verriet es ebenfalls.

Da es Elvira die Sprache verschlagen hatte, wandte sich Herr Mohn mit scharfem Ton und einem Blick, der keine Missverständnisse zuließ, an die Klasse. Er drehte sich einmal, langsam, um sich selbst und sah jeden Schüler an, während er fragte, ob jemand Lust auf Strafarbeit hat. Natürlich hatte niemand Lust auf eine Strafarbeit und schon gar keine von ihm. Herr Mohn war dafür bekannt, dass seine Strafarbeiten wirklich hart waren. Also verstummte die Klasse.

„Also?“ Herr Mohn sah wieder Elvira an und erwartete eine Antwort.

„Entschuldigung, Herr Mohn. Es wird sicher nicht mehr vorkommen.“ Sie hatte immer noch keine Ahnung, was er eigentlich von ihr gewollt hatte, und wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie konnte ja schlecht mit der Wahrheit herausrücken. Die ging niemanden was an, also fast niemanden.

Der Lehrer schnappte nach Luft, um eine Antwort oder Frage zu stellen, aber niemand würde erfahren, was es war, da die Schulglocke die große Pause ankündigte. Alle sprangen auf, schoben die Stühle geräuschvoll über den Boden, lachten und redeten laut los. Elvira blieb eingeschüchtert sitzen und sah ihren Lehrer fragend an.

„Ab mit dir in die Pause“, sagte er schließlich, drehte sich kopfschüttelnd um und marschierte zum Lehrerpult, um seine Tasche einzupacken und ins Lehrerzimmer zu gehen. Elvira konnte es nicht erwarten, in die Pause zu kommen und stürmte los. Sie lief durch die Klasse und bog um die Ecke, um in den Flur zu kommen. Dabei stieß sie fast mit Sonja und Marvin zusammen, die neben der Türe gewartet hatten.

„Kommt mit, es ist wichtig.“ Elvira zog Sonja am T-Shirt und winkte Marvin beschwörend, ihr zu folgen. Dann rannte sie weiter und ihre Freunde hinterher.

Die Freunde versteckten sich im Musikzimmer, das selten besetzt und immer offen war. So hatten sie einen Ort, an dem sie sich ungestört unterhalten konnten. Elvira musste ihre Neuigkeit loswerden und platzte damit heraus, kaum, dass sie alle saßen. Sonja und Marvin hatten nicht mal Zeit zu fragen, was heute mit ihr los war.

„Meine Eltern haben beschlossen, umzuziehen. Sie haben es mir gestern erst gesagt. Ist das nicht unfair? Die bestimmen einfach. Ich will gar nicht weg. Ich könnte – argh! ...“ Elvira schnaubte wütend.

Ihren Freunden blieb, im wahrsten Sinne des Wortes, die Spucke weg. Sie starrten Elvira an, als käme sie von einem anderen Stern.

„Nun sagt doch was. Bitte. Die Pause ist gleich rum, und wir müssen zurück in die Klasse.“

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, hauchte Sonja.

Marvin brachte nur ein knappes „Wow“ heraus.

„Was mache ich denn jetzt? Ihr müsst mir helfen. Ich will doch gar nicht weg.“ Elvira war den Tränen nahe.

„Wir brauchen einen Plan“, meldete sich Marvin zu Wort und sah aus, als würde er bereits über einen nachdenken.

„Ja, einen Plan!“, riefen die Mädchen gleichzeitig aus.

Aber bevor sie das Thema vertiefen konnten, klingelte es erneut. Die Pause war vorbei.

Den Rest der Schulzeit sprachen sie nicht mehr viel darüber. Erst als die Schule vorbei war, trafen sie sich vor dem Gebäude, um zu überlegen, was sie tun könnten. Elvira hatte fünfzehn Minuten Zeit, bis ihr Bus kam. Sie gingen direkt zur Bushaltestelle, damit Elvira nicht den Bus verpasste, falls sie die Zeit vergaßen beim Pläne schmieden. Aber bevor sie über Pläne redeten, empörten sich Sonja und Marvin. Sie waren mit Elvira einer Meinung. Es war unfair und gemein, dass sie gezwungen wurde, irgendwo anders zu leben als hier bei ihnen. Und dann schon so bald. Gerade mal vier Wochen noch. Also würden sie nur noch eine Woche zusammen in die Schule gehen. Nur noch so wenig Zeit.

„Abhauen. Von zu Hause weglaufen. Jawohl.“ Marvin war voll und ganz von seiner Idee überzeugt.

„Überleg doch mal, du Hohlkopf“, sagte Sonja und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Ey“, beschwerte der sich und rieb sich die getroffene Stelle.

„Man, wenn sie abhaut, wo soll sie denn dann hin? Dann kann sie auch nicht mehr mit uns auf die Schule und muss sich verstecken. Sie soll ja bei uns bleiben, oder?“

„Äh ... ja. Du hast recht. Es war eine blöde Idee“, sagte er zerknirscht, weil er seine Idee nun selbst doof fand.

Aber ihnen wollte einfach nicht die richtige Idee kommen. Was sollte man als Kind auch schon ausrichten? Die Erwachsenen taten, was sie wollten, und Kinder mussten das tun, was ihnen gesagt wurde.

Die beste Idee kam ihnen, kurz bevor der Bus kam. Dieses Mal war es Sonjas Idee. Sie schlug vor, dass Elvira bei einem von ihnen wohnen könnte. Dann müsste sie nicht umziehen und könnte weiter mit ihnen zur Schule gehen. Sie könnten Freunde bleiben und Zeit miteinander verbringen, so wie immer. Diese Idee klang plausibel Sowohl Sonja als auch Marvin versprachen, später ihre Eltern zu fragen. Elvira wollte ihren Eltern auch davon erzählen. Vielleicht würden die Eltern es zulassen. Dieser Gedanke beflügelte alle drei. Sie verabschiedeten sich fröhlich und guter Dinge. Elvira saß eine Minute später schon im Bus, auf dem Weg nach Hause. Ihre Eltern wären vielleicht sogar froh über diesen Vorschlag. So konnten sie arbeiten gehen und brauchten sich nicht um sie kümmern. Sie würde sie eben in den Ferien besuchen oder am Wochenende. Schon wieder versank Elvira in ihren Gedanken und hätte fast die Haltestelle verpasst, an der sie aussteigen musste.

Der Rest des Tages zog sich für Elvira wie Kaugummi dahin. Sie hatte ihrer Mama von dem Plan noch nichts erzählt. Sie wollte es ihren Eltern beim Abendbrot erzählen, so wie diese es auch getan hatten. Aber nicht, weil sie sich rächen wollte, sondern weil dann alle zusammen am Tisch saßen. Damit sie nicht vor Ungeduld schon vorher bei ihrer Mama damit herausplatzte, hielt sie sich fast nur in ihrem Zimmer auf und machte Hausaufgaben, malte und las. Schließlich drehte sie ihre Anlage auf. Das hob ihre Stimmung sonst auch immer. Aber ihr war weder zum Mitsingen noch zum Tanzen zumute. Sie konnte sich noch nicht recht freuen, denn sie hatte keine Ahnung, was ihre Eltern zu dem Vorschlag sagen würden.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie auf jeden Fall verlieren würde. Wenn ihre Eltern froh wären, dass sie hierblieb, dann wäre sie irgendwie ziemlich enttäuscht und traurig. Würden die Eltern sich weigern und sie auf jeden Fall mitnehmen wollen, musste sie ihre Freunde verlassen und wäre genauso traurig. Elvira saß auf der Bettkante und überlegte hin und her. Sie wusste selbst nicht, was sie wollte. Ein Blick auf den Wecker neben ihrem Bett verriet ihr, dass es immer noch eine ganze Stunde dauerte, bis es Abendessen gab. Sie strich sich eine ihrer braunen Locken aus dem Gesicht, die ihr permanent über dem linken Auge hing. Sie hatte sich heute Mittag extra viel Zeit gelassen, ihre Haare zu kämmen, damit sie das Haargummi nicht mehr brauchte. Nun ärgerte sie diese Locke. Als hätte sie nicht schon genug Probleme. Schließlich wurde sie sauer. Sauer auf sich und auf ihre Eltern, aber auch auf ihre Haare, die tierisch nervten. Am liebsten hätte sie einfach nur laut geschrien. Ihren ganzen Frust, ihre Angst, ihre Wut wollten erneut aus ihr herausplatzen.

Doch dann fing es an, auf der Haut zu kribbeln. Haare auf den Armen, den Beinen und auch die auf ihrem Kopf, stellten sich auf. Sie saß augenblicklich ganz still da. Sie hatte keine Ahnung, was da mit ihr passierte, aber es fühlte sich an, als wäre die ganze Luft statisch aufgeladen. Mit großen Augen starrte sie auf ihre Arme, deren Haare sichtbar senkrecht standen. Ihr Körper kribbelte überall, ihr Herz schlug vor lauter Aufregung viel schneller als sonst. Elvira konnte es nicht fassen. Was passierte mit ihr? Die aufsteigende Angst vor dieser ungewohnten Situation ließ sie aufspringen und sich die Arme reiben, als wären dort tatsächlich hunderte Ameisen. Sie griff sich an den Kopf, um sich dort zu kratzen, denn das Kribbeln fühlte sich dort wie ein Jucken an. Sie erkannte, dass ihre Haare tatsächlich abstanden, als hätte jemand mit einem Luftballon daran gerieben.

„Ma? Ma?!“ Während sie aus dem Zimmer stürmte, rief sie immer wieder nach ihrer Mama, die sie liebevoll Ma nannte. Sie wäre fast mit ihr zusammengestoßen, da ihre Mama sich natürlich schnurstracks und eilig auf dem Weg zu ihrer Tochter machte, die offensichtlich Hilfe brauchte. Elvira sah hinter sich, als hätte sie Angst, verfolgt zu werden. Gerade noch rechtzeitig drehte sie sich um und konnte anhalten, bevor sie in ihre Mama reinrannte.

„Um Himmels Willen – Elvira! Was ist denn los?! Du bist ja total aufgewühlt.“

„Ma, komm mit in die Küche – schnell.“ Elvira schnappte sich eine Hand ihrer Mama und zog sie in die Küche. Dann schloss sie die Türe hinter sich und stellte sich mit dem Rücken dagegen. Was auch immer das gerade war – Elvira wollte sicher gehen, dass ihnen nichts in die Küche folgen konnte.

Sylvia, so hieß Elviras Mama, war in heller Aufregung und wollte auf der Stelle von ihrer Tochter wissen, was geschehen war. Wieso rannte ihre Tochter wie von der Tarantel gestochen aus ihrem Zimmer und zog sie zurück in die Küche? Jetzt stand sie völlig außer Atem an der Tür, als würde dahinter ein Einbrecher stehen. Sie verstand gar nichts mehr. „Würdest du mir mal erklären, was hier vor sich geht? Was um alles in der Welt ...“

„Ma, in meinem Zimmer stimmt etwas nicht. Irgendwas passiert da drinnen. Mir haben plötzlich alle Haare zu Berge gestanden. Verstehst du? Alle! Auch die auf meinem Kopf“, platzte Elvira in die Frage ihrer Mama hinein.

„Ist jemand in deinem Zimmer, haben wir einen Einbrecher in der Wohnung?“ Sylvia schlug schockiert die Hände vors Gesicht. „Wir müssen die Polizei benachrichtigen – oder Papa – nein am besten beides. Schnell, wir müssen hier raus“, stotterte Sylvia vor sich hin und lief planlos durch die Küche.

„Ma! Mama! Da ist niemand.“ Elvira verstand überhaupt nicht, was ihre Mama da gerade veranstaltete. Sie hatte überhaupt nicht von einem Einbrecher, oder so, geredet. Sie ging zu ihrer Mama und hielt sie am Arm fest. „Ma, hör mir zu – da ist niemand. Beruhige dich.“

Sylvia sah ihre Tochter ein paar Sekunden mit leerem Blick an, aber dann schien sie zu verstehen. „Da ist überhaupt niemand?“

---ENDE DER LESEPROBE---