Emerdale 2: One Side of the Light - Alexandra Flint - E-Book

Emerdale 2: One Side of the Light E-Book

Alexandra Flint

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Beschreibung

Nur wer mit dem Herzen kämpft, kann alles gewinnen

Taylor erwacht im Unterschlupf der Fraktion und glaubt, ihre große Liebe für immer verloren zu haben. Als sie eine zweite Chance bekommt, Jonathan zu retten, zögert sie keine Sekunde. Doch kaum sind die beiden wieder vereint, wartet auch schon die nächste Gefahr: Emerdale will die Weltwirtschaftsausstellung in Tokio für ihre bösen Machenschaften nutzen. Um Emerdale aufzuhalten, greift die Fraktion zu überaus fraglichen Mitteln, die nicht nur Taylor und Jonathan, sondern auch ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen. Schaffen sie es, den bevorstehenden Krieg zu verhindern? Und zu welchem Preis?

//Dies ist der zweite Band der »Emerdale«-Reihe. Alle Romane der mitreißenden Dilogie im Planet!-Verlag:

Band 1: Two Sides of the Dark

Band 2: One Side of the Light//

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Das Buch

Taylor erwacht im Unterschlupf der Fraktion und glaubt, ihre große Liebe für immer verloren zu haben. Als sie eine zweite Chance bekommt, Jonathan zu retten, zögert sie keine Sekunde. Doch kaum sind die beiden wieder vereint, wartet auch schon die nächste Gefahr: Emerdale will die Weltwirtschaftsausstellung in Tokio für ihre bösen Machenschaften nutzen. Um Emerdale aufzuhalten, greift die Fraktion zu überaus fraglichen Mitteln, die nicht nur Taylor und Jonathan, sondern auch ihre Beziehung auf eine harte Probe stellen. Schaffen sie es, Emerdale aufzuhalten? Und zu welchem Preis?

Der finale zweite Band der Emerdale-Dilogie

Die Autorin

© Maximilian J. Dreher

Alexandra Flint veröffentlichte unter dem Namen Alexandra Stückler-Wede bereits mehrere Romane und wurde 1996 in der Nähe von Hannover geboren. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im Herzen von München, wo sie Elektro- und Informationstechnik studierte und sich seit 2021 ganz der Literatur widmet. Ihre ersten Geschichten verfasste Alexandra bereits mit sieben Jahren. Neben dem Schreiben bloggt sie als @alexandra_nordwest auf Instagram über Bücher und das Autorenleben oder reist mit Rucksack und Zelt um die Welt. Zu ihren liebsten Genres gehört alles, was mit fantastischen Welten, tiefen Gefühlen, Spannung und Magie zu tun hat. Genauso wie ihr Herz an dunklen Geheimnissen, verworrenen Schicksalen und Charakteren hängt, die immer wieder über sich hinauswachsen.

Mehr über Alexandra Flint: www.alexandraflint.de

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Mama, weil es ohne dich

keine Scarlett geben würde.

und

Für Larissa, du weißt warum.

PLAYLIST

Vorabbemerkung:

Jedes Kapitel hat seinen eigenen Song, den ich dafür ausgewählt habe. Nicht nur der Text und die tiefere Bedeutung darin, sondern auch die Melodie und Stimmung der Musik drücken aus, was Jo und Taylor in den jeweiligen Situationen durchleben, fühlen und denken.

Friday I’m In Love (Recorded at Spotify Studios NYC) – Phoebe Bridgers

Deep End – Ruelle

Heroes Never Die – UNSECRET, Krigarè

Castle Of Glass – Linkin Park

Ready or Not (feat. Esthero) – Mischa »Book« Chillak, Esthero

Radioactive – Imagine Dragons

Perfectly Imperfect – Declan J Donovan

Team – Lorde

Nice To Meet Ya – Niall Horan

Hope – The Chainsmokers, Winona Oak

Whose Side Are You On – Tommee Profitt, Ruelle

Born For This – The Score

Run Boy Run – Woodkid

Never Tear Us Apart – Bishop Briggs

Adrenaline – X Ambassadors

Sweatshop Boys – Battle Tapes

Letters From The Sky – Civil Twilight

Give Me The Future – Bastille

Too Tired (Don’t Feel A Thing) – Hanne Mjøen

Not Afraid – Eminem

Heat Waves – Glass Animals

I Did Something Bad – Taylor Swift

The Wolf – The Spencer Lee Band

Start A Riot – BANNERS

Believer (Live/Acoustic) – Imagine Dragons

Home – Machine Gun Kelly, X Ambassadors, Bebe Rexha

The Scientist – Coldplay

Brave – Riley Pearce

Game of Survival – Ruelle

Paralyzed – NF

Monsters – Ruelle

Whatever It Takes (Miss Congeniality Remix) – Imagine Dragons

Take Over – Hidden Citizens, Ruelle

Flares – The Script

Courage to Change – Sia

After The Landslide – Matt Simons

AUS TAYLORSERINNERUNGEN

Friday I’m In Love (Recorded at SpotifyStudios NYC) – Phoebe Bridgers

Ich erinnere mich daran, dass ich Hoffnung verspürt habe.

Helle, pure Hoffnung, die einem das Gefühl gibt, alles schaffen zu können.

An Momente, in denen ich wirklich daran geglaubt habe, dass ich, dass wir Dales alle frei sein werden. Zusammen. Nicht länger Gefangene von Emerdale und seinen Experimenten, nicht länger Gefangene unserer andauernden Angst. Endlich leben, statt immer nur zu überleben. Die meisten dieser Augenblicke verdanke ich Jonathan. Diesem besonderen Menschen, der in mein Leben gestolpert ist, als ich am wenigsten damit gerechnet habe. Aber so ist es doch letztlich immer, oder? Jo hat nicht vorher um Erlaubnis gefragt, sondern war plötzlich und unwiderruflich mittendrin. Und ich bin ihm zwischen dem Santa Monica Pier, der Mojave Wüste und dem Meer hoffnungslos verfallen. Seinem Optimismus. Seinem Licht. Seiner bedingungslosen Liebe. Ich war machtlos dagegen. Von Anfang an.

Und das ist bis heute der größte Fehler, den ich jemals begangen habe. Hätte ich Jo nicht an mich herangelassen, hätte ich ihn von mir gestoßen, statt ihn geradewegs in meinen Abgrund zu ziehen, dann wäre nichts von alldem passiert.

Jo wäre niemals zum Flughafenhangar gefahren, um mich zu befreien.

Jo hätte sich in diesem verfluchten Kampf mit Emerdale niemals vor mich geworfen.

Jo hätte niemals diese verdammte Kugel abbekommen, die eigentlich für mich bestimmt war.

Und ich … ich hätte ihn niemals schwer verletzt in dieser Hölle zurücklassen müssen.

Egoistischer Gedanke, ich weiß. Aber bei allem, was mir heilig ist, ich wünschte, ich wäre es auch dort in diesem Hangar gewesen: egoistisch. Egoistisch genug, um nur an Jo und mich zu denken, daran, ihn zu retten, statt mit meinen Freunden zu flüchten, damit alle Dales weiterhin die Chance auf eine Zukunft haben.

Ich wünsche mir so sehr, ich wäre geblieben.

Aber ich bin gegangen. Habe Jo bei seinem besten Freund Vincent gelassen. Zusammen mit den schlimmsten Ungeheuern, die Emerdale zu bieten hat. Und. Bin. Gegangen.

Vermutlich habe ich mich vorhin geirrt, vielleicht – oder sehr wahrscheinlich – ist das hier mein größter Fehler gewesen. Nicht, mich kopfüber in Jonathan Gabriel Luxmore zu verlieben – das ist mit größter Sicherheit das Beste, was mir jemals passiert ist –, sondern ihn zu verlassen.

Also ja, ich erinnere mich an Momente, in denen ich diese beflügelnde, leuchtende Hoffnung verspürt habe. Aber mit dieser Erinnerung ist es genau wie mit allen anderen. Sie verblasst mit jeder Sekunde ein wenig mehr und hier und jetzt kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wie sich diese Hoffnung überhaupt angefühlt hat.

Ich fühle gar nichts mehr.

KAPITEL 1

TAYLOR

Deep End – Ruelle

Irgendwo, irgendwann.

Ich passe auf ihn auf, Tay. Das schwöre ich dir, aber im Gegenzug musst du mir etwas versprechen, okay? Überlebe, Tay. Überlebe, kämpfe und mach es besser. Wir werden uns wiedersehen und dann beenden wir diese Sache. Das hier ist noch lange nicht vorbei. Es hat gerade erst begonnen.

Keuchend sog ich Luft in meine brennende Lunge und riss die Augen auf. Mein Herz trommelte wie wild in meiner Brust, als wollte es mir die Rippen zertrümmern, während mein Blick ziellos über die Umgebung glitt, ohne wirklich etwas zu sehen.

Jo. Wo ist Jo?

Wo sind die anderen?

Der Hangar?

Verwüstung?

Bunte Punkte begannen in der Finsternis vor meinen Augen zu tanzen, brachten meinen Schädel mit jedem Pulsschlag zum Glühen.

Zu viel. Zu viel.

Ich kann nicht atmen.

Stöhnend kniff ich die Lider zusammen und horchte auf das Chaos in meinem Inneren. Es fühlte sich an, als würde jedes meiner Nervenenden in Flammen stehen, gleichzeitig fühlte ich mich … seltsam taub.

Deaktor, spuckte meine innere Stimme aus. Du bist mit diesem Teufelszeug von Emerdale deaktiviert worden.

Emerdale. Bilder eines hoffnungslosen Kampfes schossen viel zu schnell und ungeordnet durch meinen schmerzenden Kopf. Flammen, Tod, Pistolenkugeln. Menschen gingen zu Boden. Blut, Leid, Rebellion – dann helle Augen, die sich in meine gebohrt hatten. Der Schmerz, der darin gelegen hatte, ließ meinen Magen zu einem harten Knoten werden.

Ich liebe dich. Das hätte ich dir schon früher sagen sollen. Ich liebe dich, Taylor.

Ich liebe dich.

Jo.

Mir kam ein Wimmern über die Lippen, dann spürte ich heiße Tränen, die über meine Wangen liefen, sich in meine Haut gruben und in meinen Wunden brannten.

Verdammt noch mal, Jo.

Ich biss die Zähne zusammen und wollte mir über das Gesicht wischen, als ein heftiger Stoß durch mich hindurchging. Ruckartig schaute ich auf, legte den Kopf in den Nacken und stieß im nächsten Moment einen scharfen Fluch aus. Meine Hände waren über mir mit schweren Eisenketten an die Decke gefesselt. Verkrustetes Blut klebte dort, wo die Manschetten auf meiner Haut lagen, als hätte ich mich gewehrt und gegen die Fesseln angekämpft.

Was zum …?

Jo und die Leere, die er in meiner Brust zurückgelassen hatte, rückten in den Hintergrund, als ich mich das erste Mal bewusst umsah – und mich am liebsten übergeben hätte.

Ich war nicht länger im Hangar am Flughafen von Los Angeles, sondern in einem kleinen, kargen Raum, der nur von einer nackten Glühbirne in dämmriges Licht getaucht wurde. Irgendwo tropfte es vernehmlich, das Surren einer starken Lüftung erfüllte die drückende Stille und ich entdeckte weder ein Fenster noch eine Tür oder etwas anderes, das mir Aufschluss über diesen Ort hätte geben können. Bis auf die Lampe, Betonwände und die Ketten, die mich fixierten, war dieses Loch, in das man mich geworfen hatte, leer. Leer, kalt und dunkel. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag unwillkürlich beschleunigte und meine Kehle enger wurde. Ein unangenehmes Prickeln raste durch meine tauben Arme, als würden unzählige kleine Beinchen darüberkrabbeln. Ich erschauderte.

Wo zum Teufel war ich? Was war geschehen?

Panik stieg in mir auf und drohte mich mit jeder Frage, die durch meinen Verstand zuckte, zu überwältigen. Wie war ich in diesen verdammten Raum gekommen? Warum klebte mir meine verdreckte Kleidung kalt und schwer wie eine zweite Haut am Leib? Wo waren die anderen?

Wütend riss ich an der Kette, was einen scharfen Schmerz durch meinen Körper jagte und mich erneut fluchen ließ.

Reiß dich zusammen, Tay! Reiß dich zusammen und denk nach! Woran kannst du dich noch erinnern? Was kannst du tun, um hier rauszukommen?

Ich knurrte meine innere Stimme an und leckte über meine aufgesprungene Lippe. Meine Erinnerungen waren ein verworrenes Netz aus schwarzen Löchern und viel zu grellen Flashbacks, die sich anfühlten, als würde jemand stumme Klingen in meine Eingeweide rammen. Und was den Rest betraf …

Ein weiteres Mal musterte ich mein Verlies, die grauen, feuchten Wände – ich befand mich definitiv unter der Erde. Also doch Emerdale? Es würde zu der Taubheit in meinem Körper passen. Diesem dumpfen Pochen, das der Deaktor jedes Mal durch meine Nervenbahnen trieb. Zu der Leere, dort, wo sonst meine Telekinese saß, und zu diesem Psychospielchen, das sie hier mit mir trieben … das war auch Emerdales Handschrift.

Also hatten wir es nicht aus dem Hangar geschafft? Hayden hatte uns nicht von dort wegteleportiert?

Bilder von saftigem Gras schoben sich vor den Raum. Regen, Schlamm. Ein grasbewachsener Krater, meine Freunde, die bewegungslos dalagen, graue Gewitterwolken über uns.

Tay, bist du okay? Kannst du mich hören? Taylor?!

Ich zuckte zurück, als Haydens warme, angsterfüllte Stimme durch meinen Kopf wehte. Das scharfe Metall der Fesseln biss in meine wunde Haut und ließ frisches Blut aus den Wunden quellen.

»Taylor, wir haben es geschafft!« Hayden kniet über mir, rüttelt an meinen Schultern. Regen läuft ihm über das Gesicht, lässt seine dunklen Haare, die Kleidung an ihm kleben. »Hörst du mich? Komm schon, wach auf, wir haben es geschafft! Wir sind in Sicherheit. Wir alle.«

Tränen schossen mir in die brennenden Augen, der grüne Krater und Haydens goldbraune Iriden verschwammen.

»Du hast gelogen«, antwortete ich dem Hayden aus meiner Erinnerung und schluckte. Wir hatten es ganz offensichtlich nicht geschafft. Ich wusste nicht, was mit den anderen geschehen war, aber ich war wieder genau dort, wo ich vor alledem gestanden hatte. Vor der Flucht aus Emerdale. Vor meiner Zeit in Los Angeles. Vor dem irrationalen Glauben, irgendjemand von uns könnte etwas gegen Emerdale ausrichten.

Ich war wieder eingesperrt. Wieder diesen grausamen Monstern ausgeliefert, die unser Leben in ihren sadistischen Händen hielten.

Die Flucht, der Kampf, unser Verlust … das alles hatte nicht das Geringste geändert. Ganz im Gegenteil, wir hatten nur noch mehr verloren und Jonathan …

Hastig kniff ich die Augen zusammen, um den schmerzhaften Gedanken an ihn zurückzudrängen. An das Blut, das unaufhörlich aus seiner Schusswunde gesickert war, an seine schwache Hand, die mich ein letztes Mal berührt hatte, an seine Worte, die ich niemals würde vergessen können.

Ich liebe dich. Das hätte ich dir schon früher sagen sollen. Ich liebe dich, Taylor.

Noch einmal erlosch das Licht in seinen Augen, noch einmal sah ich ihn sterben. Wieder und wieder, bis ein heiserer, hilfloser Schrei aus mir herausbrach.

»Jo, verdammt!«

Blind vor Schmerz und Wut und Trauer zerrte ich an den Ketten und richtete all meinen Zorn auf das blutbesudelte Eisen. Griff nach meiner betäubten Telekinese und sackte im nächsten Moment keuchend zusammen, als sich scharfe Dornen in meinen Schädel bohrten.

Das war kein gewöhnlicher Deaktor, nicht die übliche Schwere –

Was zur Hölle ist los mit mir?

Vorsichtig tastete ich erneut nach meiner Fähigkeit, die sich zu einem lodernden Inferno in meiner Mitte verwandelt hatte, und spürte, wie mir gleichzeitig eiskalter Schweiß auf die Stirn trat. Die Welt um mich herum begann sich zu drehen …

»Wie oft willst du das noch versuchen, bevor du einsiehst, dass es keinen Sinn hat?«

Die Verbindung zu meiner Telekinese brach abrupt ab, als mich die fremde Stimme in die Realität zurückriss. Suchend glitt mein flackernder Blick durch meine Zelle und blieb an einer dunklen Gestalt hängen. Das Licht der einzelnen Glühbirne schaffte es nicht bis zu ihr, ließ die Person zu Schatten werden.

Ich schluckte gegen die Säure in meiner Kehle an. »Zeig dich!«, forderte ich heiser, als hätte ich tagelang nicht gesprochen. Wie lange war ich schon hier?

Ein leises Lachen wehte zu mir, das dafür sorgte, dass sich mir die Härchen aufstellten. Ich kannte die Stimme nicht, weder von Emerdale noch aus Los Angeles – was hatte das zu bedeuten?

»Wer bist du?!« Furcht färbte meine Worte, als ich ein weiteres Mal an meinen Ketten riss. Es hatte keinen Zweck, ich war dieser Person, wer auch immer sie war, hilflos ausgeliefert.

Wieder ein Lachen, dann kam Bewegung in die Schattengestalt. Ich verengte die Augen, kämpfte gegen die Dunkelheit an, die an den Rändern meines Blickfelds lauerte. Schwere Schuhe traten in den Lichtkegel, eine dunkle Cargohose, ein schwarzes Shirt, das kaum einen Hehl aus den darunterliegenden Muskeln machte, breite Schultern, blonde Haare, blaue Augen – und ein Gesicht, das ich nie zuvor gesehen hatte, nicht viel älter als meins.

»Zufrieden?«, fragte der junge Mann und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein harter, durchdringender Blick schweifte einmal über mich hinweg. Ich fühlte mich nackt und schwach und verabscheute es. »Hier bin ich.«

Ich schob das Kinn nach vorne und streckte die Finger nach meiner Telekinese aus – nur um im nächsten Moment keuchend zurückzuzucken.

Der junge Mann schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Du fügst dir damit nur selbst Schaden zu. Je mehr du dagegen ankämpfst, desto stärker wird der Druck auf deinen Kopf.«

»Was hast du mit mir gemacht?« Meine Stimme klang gefährlich ruhig, doch selbst ich hörte die Panik in jeder einzelnen Silbe. Was hatte dieser Mistkerl mit meinen Fähigkeiten angestellt?

»Ich habe gar nichts gemacht.« Ein dünnes Lächeln schob sich auf seine Lippen. »Sieh es einfach als kleine Sicherheitsmaßnahme an. Wir können schließlich nicht riskieren, dass du die Beherrschung verlierst, Taylor.«

»Woher kennst du meinen Namen?«

Sein Lächeln wurde breiter und entblößte eine Reihe schneeweißer Zähne. »Ich weiß noch eine ganze Menge mehr über dich. Vielleicht sogar mehr als du selbst.«

Ich ballte meine gefesselten Hände zu Fäusten, was ein scharfes Brennen durch meinen Körper jagte. »Wo sind meine Freunde?!«

Der junge Mann warf einen Blick auf die Sportuhr an seinem rechten Handgelenk. »Beim Frühstück, wenn mich nicht alles täuscht.«

Beim Frühstück – was?

Meine Miene musste meine Verwirrung widerspiegeln, denn nur einen Atemzug später fuhr er mit gesenkter Stimme fort: »Du hast mein Wort, es geht ihnen allen gut. Na ja, bis auf diesen düsteren Typen mit dem mörderischen Blick. Der tobt und wütet, weil wir dich hier festhalten. Wir mussten ihn vorübergehend stillstellen.«

Hayden.

Wieder zuckte das Bild des grünen Kraters durch meinen Kopf. Die goldenen Augen meines besten Freundes. Wir sind in Sicherheit.

»Was soll das? Warum bin ich nicht bei ihnen?«

Der Fremde trat näher und strich mit seinem Zeigefinger über meine Wange. »Hast du das denn immer noch nicht verstanden? Du bist anders, Taylor. Gefährlich. Ein unkalkulierbares Risiko, das wir hier unten nicht gebrauchen können.« Sein Finger wanderte weiter zu meiner Emerdalekennung an meinem linken Handgelenk, der Narbe darüber, die dort war, wo früher mein Tracker gesessen hatte. Kalte Faszination zeigte sich in seinen blauen Augen.

Das hier war nicht Emerdale. Das –

Ohne Vorwarnung bohrte er seine Nägel in meine Haut und riss mich grob zu sich, sodass ich den heiseren Schrei nicht länger zurückhalten konnte.

»Denn wir wissen durchaus, wozu du imstande bist, Taylor. Und dass man dich nicht kontrollieren kann.« Sein warmer Atem fuhr über meine verschwitzte Haut.

Ich biss die Zähne zusammen. »Ich habe mich durchaus unter Kontrolle. Nur fällt es mir tatsächlich schwer, mich zusammenzureißen, wenn ich unter Drogen gesetzt und in einem Loch an einem gottverlassenen Ort an die Decke gefesselt werde.«

»Mir gefällt dein düsterer Humor«, gab er zurück und stieß mich von sich, sodass die Ketten leise klirrten. »Und auch wenn es dir vermutlich nichts bedeutet, ich bedauere, dass wir unsere Zusammenarbeit so beginnen müssen. Aber wie gesagt, in dieser Hinsicht sind mir die Hände gebunden.«

Während ich noch mit dem neuen Schmerz kämpfte, sickerten seine Worte nur langsam in meinen angeschlagenen Verstand.

Zusammenarbeit?

Im nächsten Moment riss ich die Augen auf.

»Ah, du hast endlich eins und eins zusammengezählt, was? Ehrlich gesagt hatte ich erwartet, dass das bei deinem Intelligenzquotienten schneller passieren würde.«

Fassungslos starrte ich ihn an und spürte, wie sich ein ganz anderes Gefühl in mir breitmachte: Verwirrung. Hatten Vincent und Hayden nicht gesagt, dass das die Guten waren? Dass sie uns helfen würden und einen Weg kannten, um Emerdale aufzuhalten?

Der junge Mann sah bedauernd auf seine von meinem Blut verschmierten Hände und wischte sie sich an der Hose ab. »Ich hoffe, dass wir unser zukünftiges Miteinander angenehmer gestalten können. Vorausgesetzt, die Ergebnisse sind zufriedenstellend, denn falls nicht …«

Ich spuckte ihm vor die Füße. »Ihr seid nicht besser als Emerdale!«

»Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst, dummes Mädchen«, knurrte er und zog etwas aus seiner hinteren Hosentasche hervor. Eine Spritze. Eine funkelnde Spritze, in der eine rötliche Flüssigkeit schwappte. »Vielleicht sollte ich dich einfach noch etwas länger ruhigstellen. Für alle Fälle.«

»Fahr zur Hölle!«, stieß ich mit bebender Stimme hervor, ohne die Nadel aus den Augen zu lassen. Panisch tastete ich nach meiner Telekinese, beschwor sie, flehte sie an. Doch alles, was ich erreichte, waren neue Nadelstiche, die mir den Atem raubten.

»Du gibst einfach nicht auf, was?« Seine Mundwinkel zuckten. »Ich denke, das hier wird noch richtig interessant.« Dann stieß er die Spritze ohne Vorwarnung in meinen Arm und drückte den Kolben nach unten.

Mir kam ein leises Wimmern über die Lippen, als sich prickelnde Hitze rasend schnell in meinem Körper ausbreitete. »Das wirst du …« Was auch immer ich hatte sagen wollen, erstarb auf meiner Zunge, erstickt von der Droge, die nun ungehindert durch meine Adern rauschte. Der Raum begann sich zu drehen, die Welt unter dicken, schwarzen Flecken zu verschwinden, bis nur noch der junge Mann übrig blieb.

Der junge Mann und seine kalten, harten Augen.

Lächelnd strich er mir eine verschwitzte Haarsträhne hinter mein Ohr. »Willkommen in der Fraktion.«

Mich weckte das Klicken einer Tür, die zurück ins Schloss fiel. Ein leises Geräusch und gleichzeitig unsagbar laut in der durchdringenden Stille, die mich umgab.

Langsam, um das schmerzhafte Pochen in meinem Kopf nicht noch weiter zu befeuern, öffnete ich die Augen und zuckte zurück, als mich nicht wie erwartet die trübe Beleuchtung einer Glühbirne, sondern grelles, kaltweißes Licht blendete.

Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Helligkeit nach all den Stunden, vielleicht sogar Tagen in der Dunkelheit, doch nach und nach nahm der Raum Gestalt an und bekam Konturen. An meiner Lage hatte sich nichts geändert: Ich hing nach wie vor mit über dem Kopf gefesselten Händen in der Mitte der Zelle und meiner noch immer feuchten Kleidung nach zu urteilen, konnte nicht sehr viel Zeit seit meinem letzten Besuch vergangen sein.

»Du bist wach. Sehr gut«, sagte eine mir unbekannte Frauenstimme in meinem Rücken.

Unwillkürlich fuhr ich zusammen und versuchte mich zu drehen, doch die Ketten hielten mich zurück und ich war zu schwach.

»Wer bist du?«, hörte ich mich selbst mit krächzenden Worten fragen und schluckte. Es war wie eine zermürbende Wiederholung des letzten Mals.

Schritte kamen über den Beton näher, leichtfüßig und kalkuliert, dann trat eine Frau in mein Blickfeld. Ich schätzte sie auf Mitte dreißig, vielleicht etwas älter. Sie hatte lange, schwarzbraune Haare, harte, dunkle Augen und eine Klinge in den Händen, die sie beinahe gedankenverloren zwischen den Fingern drehte. Ihre nackten, muskulösen Arme, die aus ihrer schwarzen Lederweste hervorlugten, waren über und über mit kleinen tintenfarbenen Tattoos übersät, mehrere Waffen und Klingen hingen an ihrem Gürtel. Doch das wohl Auffälligste an ihr war die Tatsache, dass ihre gesamte linke Gesichtshälfte sowie Teile ihres Halses und ihrer Schulter mit Brandnarben bedeckt waren, die ein rötlichweißes Muster auf ihrer ansonsten gebräunten Haut hinterlassen hatten.

Wer zur Hölle war das?

Beinahe geduldig ließ sie meine Musterung über sich ergehen, ehe sie das Kinn hob und meinen Blick suchte. »Mein Name ist Linda Speelers und du bist in meiner Organisation.«

Ich verzog das Gesicht. »Die Fraktion.«

»Korrekt.«

»Warum haltet ihr mich gefangen?«

»Nun«, begann Linda und fuhr mit einem Finger über die stumpfe Seite der Klinge, »ich möchte mich für diesen Umstand entschuldigen. Mein Sohn Oliver ist oft etwas übereifrig, wenn es darum geht, die Fraktion zu schützen, aber wie er dir sicherlich bereits mitgeteilt hat, dürfen wir kein Risiko eingehen.«

Oliver – das musste der Mistkerl sein, der mein Willkommenskomitee gewesen war.

»Was für ein Risiko? Wovon sprichst du?«

»Davon, dass es nicht leicht gewesen ist, euch hierherzubekommen.«

Ich stieß hörbar den Atem aus und versuchte, aus meinem löchrigen Gedächtnis schlau zu werden. Waren die Bilder vom Krater und von Hayden real?

»Ihr habt euch gewehrt, du am meisten von allen. Drei meiner Leute sind nach wie vor schwer verletzt, einer davon ist Olivers bester Freund.«

Kopfschüttelnd gab ich mir Mühe, ihre Worte mit meinen Erinnerungen in Einklang zu bringen. Der Hangar, unser Abschied, Haydens Teleportation, der grüne Krater, das Gewitter, eine Gruppe junger Erwachsener, die auf uns zustürmten …

»Aber ich bin mir sehr sicher, dass wir diese anfänglichen Startschwierigkeiten schnell überwinden werden, sobald sich alles geklärt hat.«

Mein Blick ruckte hoch. »Klären? Was gibt es da zu klären? Ihr habt mich betäubt und in dieses Loch gesperrt! Meine Freunde sind sonst wo und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was hier eigentlich vor sich geht!«

Einer ihrer Mundwinkel zuckte. »Oliver wird dir sicher gesagt haben, dass es deinen Freunden gut geht. Wir sind Partner, Taylor. Je früher du das einsiehst, desto besser.«

Ich schnaubte und zuckte zusammen, als meine Lippe dabei wieder aufsprang. »Partner? Wenn unsere Zusammenarbeit so aussieht, dann –«

Unbeeindruckt wischte sie meine Drohung zur Seite und die Klinge wanderte von der einen in die andere Hand, ohne dass sie mich dabei aus den Augen ließ. Bei der Berechnung in ihren Zügen lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Und auch wenn ich kaum etwas über Linda wusste, warnte mich mein Instinkt vor dieser Frau. Vor dem, was in ihrem dunklen Blick lauerte.

»Löse die Ketten, Taylor.«

Perplex blinzelte ich ein paarmal und sah dann von ihrem Gesicht zu der Klinge, mit der sie auf meine Fesseln zeigte.

In mir spannte sich alles an. »Ich habe schon mit eurem ganz persönlichen Gift Bekanntschaft gemacht«, gab ich vorsichtig zurück. In diesem Moment kam mir Linda wie eine Schlange kurz vor dem Angriff vor. Unvorhersehbar, heimtückisch.

Ihre Miene zeigte keinerlei Regung, als sie nur tonlos wiederholte: »Löse die Ketten.«

Ich schüttelte langsam den Kopf, als Linda Schritt für Schritt zurückwich.

»Du bist stark und gleichzeitig ist es deine Stärke, die dir im Weg steht.« Ein beinahe bedauerndes Lächeln auf den Lippen, wandte sie sich ab.

»Was –«, setzte ich an und verstummte, als Linda nur einen Sekundenbruchteil später zu mir herumfuhr und ihre Klinge in meine Richtung schleuderte.

Im grellen Licht funkelnd rauschte sie als tödliches Geschoss auf meine Brust zu …

… und stoppte im nächsten Moment nur wenige Millimeter von meinem Herzen entfernt in der Luft.

Mein Atem entwich mit einem bebenden Keuchen, als ich wie betäubt auf das schwebende Messer starrte. Wie war das möglich? War Linda auch Telekinetikerin oder … in diesem Augenblick spürte ich es. Das vertraute Zupfen. Das leise Wispern meiner Telekinese, das ich schon unzählige Male zuvor gespürt hatte.

Ich hatte es gestoppt.

Ich hatte diese verfluchte Klinge mit meinen Fähigkeiten gestoppt. Aber wie war das möglich? Oliver hatte mir dieses Serum gespritzt, meine Telekinese war blockiert gewesen und mein lädierter Körper hatte nicht annähernd genug Zeit gehabt, das Gift abzubauen.

Mein Kopf ruckte hoch, unterbrach den Blickkontakt zu dem Messer, sodass es mit einem hellen Klirren auf den Boden fiel.

»Löse die Ketten, Taylor«, forderte Linda ein drittes Mal mit kalter Stimme.

Ich presste die Lippen aufeinander, spannte jeden Muskel an und folgte ihrem Befehl. Behutsam tastete ich nach meiner Telekinese und erwartete, auf die lodernden Spitzen zu treffen, die meinen Kopf jedes Mal frittierten, doch alles, was ich fand war … meine Kraft. Uneingeschränkt, stark, bereit, von mir genutzt zu werden. Ohne noch länger zu zögern, riss ich sie zu mir heran und fokussierte die Ketten. Innerhalb eines Wimpernschlags sprangen sie auf, zerbarsten unter der Wucht meiner Telekinese, gaben mich frei, als hätte es die Blockade niemals gegeben.

Einen Herzschlag lang starrte ich Linda an, all die Fragen und Geheimnisse zwischen uns, dann gaben meine zittrigen Beine unter mir nach. Mit einem dumpfen Geräusch schlug ich ungebremst auf dem Beton auf, als mein Gewicht nicht länger von den Ketten gehalten wurde. Bunte Punkte tanzten vor meinen Augen, raubten mir die Sicht, als das Blut heiß und kribbelnd zurück in meine eingeschlafenen Glieder rauschte.

»Ich habe mich also nicht geirrt«, murmelte Linda und ging neben mir in die Hocke. »Das ist interessant.« Nachdenklich musterte sie mich, während sie nach der Klinge griff und sie zurück in ihr Holster steckte.

Ich hustete und hielt mir die Seite. »Was ist hier verflucht noch mal los?«

Linda überging meine Frage geflissentlich und richtete sich wieder auf. »Du solltest dich ausruhen und zu Kräften kommen. Es liegt einiges vor uns und dafür brauche ich dich voll einsatzfähig.« Meine Antwort war ein tödlicher Blick. »Scarlett wird dir dein Zimmer zeigen und dich herumführen. Du wirst sehen, Taylor, es kommt alles so, wie es kommen muss.«

Mühsam stemmte ich mich hoch und schüttelte entschlossen den Kopf. »Wenn du glaubst, ich werde das hier einfach so hinnehmen und dir blind vertrauen, hast du dich geirrt, Linda. Ich will Antworten. Sofort.«

Beiläufig klopfte diese sich etwas Staub von der Hose. »Ich werde dir deine Fragen beantworten. Zu gegebener Zeit. Die Fraktion ist nicht Emerdale.«

Wie ironisch, wenn man bedachte, dass Emerdale mich auch regelmäßig gefesselt und mir sämtliche Informationen vorenthalten hatte.

»Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, ich würde die Art und Weise, wie unsere Zusammenarbeit begonnen hat, bereuen. Du hast mein Wort, dass es von nun an anders laufen wird. Wir geben in der Fraktion aufeinander acht, Taylor, und du bist jetzt ein Teil davon.«

Würde mein Oberkörper nicht so wehtun, hätte ich gelacht. Ohne Linda aus den Augen zu lassen, zwang ich meinen schwachen Körper zurück auf die Beine und taumelte Halt suchend gegen die Wand. »Das kannst du dir sonstwohin … stecken.« Ich hasste es, dass ich so kraftlos war, Telekinese hin oder her.

Linda lächelte und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Dein Organismus hat Großes geleistet. Erlaube dir und ihm etwas Ruhe, der Rest wird sich ergeben. Außerdem bin ich mir sicher, dass du deine Freunde sehen möchtest. Es war nicht leicht, sie zu überzeugen. Sie machen sich große Sorgen um dich.«

Unwillkürlich dachte ich an das, was Oliver über Hayden gesagt hatte, und drückte mich enger an den kalten Beton. »Ich werde das hier nicht vergessen, Linda«, entgegnete ich mit leiser Stimme. »Nichts davon.«

»Ich bin nicht dein Feind.«

»Das wird sich zeigen.«

Noch einen Herzschlag länger starrten wir einander an, dann wandte sich Linda ab und machte ein Handzeichen in Richtung der in der Wand verborgenen Tür.

»Ihr seid hier in Sicherheit, Taylor, ihr alle.«

Ich schnaubte und fixierte die erhabenen Brandnarben auf ihrer Haut. »Du bist verrückt, wenn du glaubst, auch nur einer von uns wäre irgendwo auf dieser gottverlassenen Welt in Sicherheit. Diesen Luxus hat es nie für uns gegeben. Wird es –«

In diesem Moment betrat eine weitere Person die Zelle und ließ jedes einzelne Wort auf meiner Zunge von der einen auf die andere Sekunde zu Staub zerfallen. Dunkelblonde lange Haare, in denen pinke Strähnen blitzten, graue Augen, eine schlanke, zierliche Gestalt …

»Ich übergebe dich jetzt in Scarletts Obhut, ich bin mir sicher, ihr habt einiges zu besprechen.« Lindas Antwort schien von weit her zu kommen, erreichte kaum mein Bewusstsein, während ich absolut unfähig war, den Blick von der jungen Frau zu lösen, die mit verschränkten Armen ein paar Meter entfernt von mir stand.

Ungläubig stolperte ich zurück an die Wand und schüttelte immer wieder den Kopf, als würde das Mädchen dadurch verschwinden. Als würde dadurch irgendetwas von dem hier weniger real werden. In meinen Ohren begann es viel zu schnell und laut zu rauschen, ein hohes Piepen bohrte sich in meinen Schädel.

Das ist nicht real.

Das ist nicht real.

»Hallo, Lila«, sagte das Mädchen mit meiner Stimme. Mit meinem Gesicht.

Mein Spiegelbild.

Mein Zwilling.

KAPITEL 2

JONATHAN

Heroes Never Die – UNSECRET, Krigarè

Los Angeles, USA, 15. Mai

Himmel, Jo. Du bist ein … dummer Idiot.

Ein hohes, elektrisches Piepen.

Ein verfluchter Idiot.

Ein weiteres Piepen. Irgendetwas polterte dumpf.

Du hast mich gerettet, Jo. Auf so viele Art und Weisen.

Ein Piepen folgte auf ein Piepen. Dann eine tiefe Stimme. Harte, knappe Worte. Irgendetwas schlug krachend zu. Das Piepen wurde hektischer. Die Stimme kam näher.

Und ich liebe dich, Jo. Mehr, als ich jemals in meinem Leben jemanden geliebt habe.

Etwas packte mich, drückte meinen Arm. Die tiefe Stimme war jetzt so nah, dass ich sie auf meiner Haut spürte – aber ich verstand sie nicht. Sie schaffte es nicht, die anderen warmen und hellen Worte, die sich wie ein Kokon um mich legten, zu übertönen. Diese Wärme war alles, was ich wollte.

Das Piepen wurde immer lauter und schneller, drohte die vertraute, helle Stimme zu verdrängen.

Nein.

NEIN!

… mehr, als ich jemals in meinem Leben jemanden geliebt habe.

Ein greller Alarm ging los.

Taylor.

Bleib. BLEIB!

Scharf sog ich Luft in meine Lunge – und begann zu würgen, als ich spürte, dass irgendetwas in meinem Hals steckte. Ich konnte nicht atmen. Ich erstickte, würgte, kämpfte. Der Druck auf meine Schultern wurde fester, endlos viele Hände lagen plötzlich auf mir, hielten mich fest, ließen mich nicht los, schoben mich zurück in die Dunkelheit. Panisch riss ich die Augen auf und fand mich unzähligen fremden Gesichtern gegenüber. Grelles Licht blendete mich. Alles tat weh. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht.

»Bleiben Sie ganz ruhig.«

»Gleich wird es besser.«

»Nicht bewegen.«

»Ruhe bewahren und entspannen.«

Ich verdrehte die Augen, als die Schwärze wieder nach mir griff. Taubheit raste als warmes Pochen durch meinen Körper und plötzlich hatte ich das Gefühl zu schweben.

Ich liebe dich, Jo. Kommst du mit mir?

Das Piepen verstummte. Es wurde still. So unendlich still und leicht.

Immer. Ich werde immer mit dir kommen, Taylor.

Irgendwo ergriff ich die warmen Finger der hellen Stimme und ließ mich in die Finsternis führen.

»… weißt du, du hast mir eine Scheißangst eingejagt und diese Mistkerle hier wollten mich nicht zu dir lassen. Verdammte Ärzte. Haben doch keine Ahnung. Wenn die mich noch einmal – Jo?«

Die tiefe Stimme aus meinem Traum kam näher.

Kein Traum, nur Vincent, erinnerte ich mich. Das war Vincent.

»Johnny? Bist du wach?«

War ich das? War ich wach?

Ich blinzelte, holte vorsichtig Luft und scheiterte kläglich. Ein scharfer Schmerz zuckte durch mich hindurch und ließ mich die Augen zusammenkneifen.

»Johnny! Brauchst du Hilfe? Soll ich jemanden holen?«

Mein Husten wurde zu einem anstrengenden, leisen Keuchen, und dann konnte ich endlich atmen. »Bin ich … bin ich tot?« Meine Stimme war heiser und rau, kaum hörbar.

Warme Finger schlossen sich um meine Hand, drückten meine Finger. »Nein, Mann. Das hätte ich nicht zugelassen, du Idiot.«

Warum nannten mich nur alle Idiot? Ich konnte mich nicht erinnern.

Einige schwerfällige Atemzüge lang blieb ich reglos liegen, horchte auf das Rasseln in meiner Brust, spürte das dumpfe Pochen in meiner Mitte, dann öffnete ich langsam die Augen.

Dieses Mal war es viel dunkler um mich herum. Vor dem Fenster war es stockfinster. Das einzige Licht des Raumes kam von der kleinen Lampe neben mir und das Zimmer an sich … Krankenhaus.

Langsam drehte ich den Kopf zur Seite und begegnete Vincents verkniffener Miene. Dunkle Bartstoppeln bedeckten Wangen und Kinn. Beinahe schwarze Schatten lagen unter seinen Augen und die Wangenknochen traten markanter hervor, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Aber was sagte das schon aus? Mein Kopf war das reinste Chaos. Es war unmöglich zu sagen, welche der unzähligen, verschwommenen Bilder in meinem Gedächtnis an welche Stelle gehörten. Da war ein Flugzeughangar, Waffen, Soldaten, Blut … Taylor.

Ich befeuchtete meine Lippen und richtete den Blick an die karge Decke.

»Brauchst du irgendetwas?«

»Wie lange?« Ich entzog Vin meine Hand und fuhr mir übers Gesicht. Meine Haut fühlte sich seltsam klamm und kalt unter meinen kribbelnden Fingerspitzen an. Beinahe wie altes, feuchtes Papier. »Wie lange ist es her?«

»Zehn Tage. Die Ärzte haben dich in ein künstliches Koma gelegt, weil du so viel Blut verloren hast. Die Beatmungsmaschine und den Tubus haben sie vor zwei Tagen entfernt, als du kurz aufgewacht bist«, antwortete Vincent mit tonloser Stimme und lehnte sich auf dem Plastikstuhl zurück. »Sie mussten dich während der Operationen zweimal wiederbeleben, Jo. Allein die OP an deinem Arm …«

Ich schloss die Augen und biss kraftlos die Zähne aufeinander.

Zehn Tage.

»Nachdem du angeschossen worden bist …«, Vin räusperte sich und fuhr dann leiser fort, »und die anderen mit Hayden verschwunden sind … habe ich dich in dem Chaos, das dann gefolgt ist, rausgeschleppt und ins Krankenhaus gefahren.«

Hayden. Die anderen. Chaos. Der Schuss …

Ich habe mich schützend vor Taylor geworfen.

Die Bilder zuckten nun schneller und hektischer durch meinen dröhnenden Schädel. Winzige Momentaufnahmen von Zerstörung, Blut und Schmerz. Ich sah Dinge vor meinen Augen explodieren, Menschen sterben, hörte das Knallen von Waffen, die Schreie von Sterbenden und Verletzten.

Und mittendrin mein Mädchen.

Lory.

Ihr Name schoss wie ein glühender Pfeil durch meinen geschundenen Körper, der sich anfühlte, als wäre er nicht länger ein Teil von mir.

»Zwischendrin dachte ich, ich hätte dich verloren«, sagte Vin nach einer Weile mit belegter Stimme. »Euch alle.«

»Wo sind sie? Wo ist Taylor?« Ich öffnete die Augen und fixierte Vincents müde Züge. »Wo. Ist. Sie?«

Resigniert stieß Vin den Atem aus, stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Vincent.« Ich verfluchte mich dafür, dass ich so kraftlos und heiser klang. So schwach. Dabei durfte ich nicht schwach sein. Ich musste stark sein und ich musste hier verflucht noch mal raus – zu Taylor.

»Sie sind nicht hier.«

»Was soll das heißen?«, krächzte ich. Tränen traten mir in die Augen, die ich wütend wegwischte.

Vin seufzte und strich sich über die raspelkurzen Haare. Dann stützte er sich auf die Lehne des Besucherstuhls.

»Vin, bitte.« Ich musste es hören. Musste hören, dass es ihnen gut ging. Dass sie lebten.

»Sie sind, wo sie sein sollten«, gab er schließlich zurück und sah über seine Schulter, als könnte jeden Moment die Tür aufgestoßen werden.

Ich folgte seinem Blick und zog die Augenbrauen zusammen. Weitere Puzzleteile des großen Ganzen sprangen an die richtigen Stellen: Emerdale war noch da draußen. Es war noch nicht vorbei.

»Hast du etwas von ihnen gehört?« Eine Nachricht von Taylor, für mich?

Vincents Stirn legte sich in Falten, dann schüttelte er knapp den Kopf. »Nicht hier. Zu viele Augen und Ohren – ganz besonders jetzt.« Bei seinen Worten lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. »Konzentriere dich erst mal darauf, wieder auf die Beine zu kommen. Um den Rest kümmern wir uns später«, sagte Vin dann und setzte sich erneut auf den Stuhl, die Ellenbogen auf den Knien abgestützt.

Wäre ich dazu in der Lage gewesen, hätte ich freudlos gelacht. Später? Wie sollte ich mich auf irgendetwas konzentrieren, solange ich nicht wusste, ob es Taylor gut ging? Ob sie und die anderen wirklich in Sicherheit oder direkt in die nächste Falle gelaufen waren?

Ob Lory überhaupt noch lebt …

»Das kann ich nicht«, brachte ich kaum hörbar hervor. »Ich kann nicht hier liegen und abwarten, während sie irgendwo da draußen ist.«

»Johnny …«

»Nein. Taylor war verletzt. Ich muss … ich muss zu ihr, Vin.« Entkräftet von diesen paar Worten holte ich rasselnd Luft und sank tiefer in das Kissen.

Wem willst du hier was vormachen, Johnny? Du bist ein Wrack.

»Das Projektil ist haarscharf an deinem Herz vorbeigeschrammt, verdammte Scheiße! Du wärst fast draufgegangen!« Vincent unterbrach sich und fasste sich an die Nasenwurzel. »Hör zu. Wir verlassen dieses verfluchte Krankenhaus, sobald ich sicher sein kann, dass du nicht im nächsten Moment wieder zusammenbrichst. Bis dahin bleibst du genau hier. Tay ist tough und nicht allein. Sie schafft das. Und vermutlich würde sie exakt dasselbe zu dir sagen.«

Verdammt. Ja, das würde sie.

Entgegen meiner brodelnden Wut verzogen sich meine Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. Elende Verräter.

Es wurde für einige Minuten still zwischen uns. Das Ticken der hässlichen Wanduhr füllte diese Leerstelle, nur unterbrochen von den regelmäßigen Piepsern der Überwachungsmonitore.

»Ist scheiße, wieder hier zu liegen«, sagte ich irgendwann, weil ich das Schweigen nicht mehr aushielt und startete einen zweiten Versuch, mich aufzusetzen. »Nach meinem Autounfall hatte ich gehofft, nie wieder in so einem beschissenen Zimmer aufzuwachen.«

Vincent blickte auf und hob eine Augenbraue. »Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du meinen Befehl ignoriert hast und in den verdammten Hangar gestürmt bist.«

Daher wehte also der Wind.

»Du bist wütend.«

»Ja«, war alles, was Vin erwiderte. Dann stand er auf und begann in dem geräumigen Krankenhauszimmer auf und ab zu gehen. Er wirkte wie ein Tiger in einem zu kleinen Käfig.

»Du hättest dasselbe getan, Vin«, brummte ich heiser. »Außerdem haben wir genug anderen Mist, um den wir uns gerade eher Gedanken machen sollten.«

Vincent hielt abrupt in seiner Bewegung inne und funkelte mich an. »Nein, Johnny. Nicht wir.«

Ich verengte die Augen. »Bitte?«

Er winkte ab und griff nach seiner Lederjacke. »Das klären wir später.«

»Verflucht, wenn du«, ich hustete wieder, »wenn du noch einmal später sagst, dann steige ich aus diesem Bett und werde dir eine runterhauen. Mein voller Ernst.«

Unbeeindruckt schlüpfte Vin in die Jacke und ging zur Tür. »Tay hätte dich nie in diesen Kampf hineinziehen sollen. Du hattest deinen Auftritt und das war’s. Ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht. Du kannst nicht mehr kämpfen – du siehst ja, was dabei herauskommt. Und wenn du ehrlich mit dir bist«, er seufzte und sah mich dann direkt an, »musst du dir selbst eingestehen, dass das nie dein Kampf gewesen ist.« Sprachlos starrte ich ihn an. »Ich hole mir einen Kaffee. Ruf deine Schwester an. Catrice hat in den letzten Tagen bei mir Sturm geklingelt. Das Handy liegt auf dem Tisch.« Mit diesen Worten rauschte er aus meinem privaten Krankenhauszimmer und ließ mich in dem Chaos, das sich mein Leben schimpfte, allein.

Wäre ich dazu in der Lage gewesen, hätte ich auf irgendetwas eingeschlagen. Sicher mit dem eingegipsten Arm.

Du kannst nicht mehr kämpfen. Es ist nie dein Kampf gewesen.

Wie konnte Vin so etwas behaupten? Nach allem, was geschehen war?

Fluchend kniff ich die Augen zusammen und stieß den Atem aus. Als ich sie wieder öffnete, fiel mein Blick auf besagtes Smartphone. Es war nicht dasselbe, mit dem ich vor knapp zwei Wochen eine Nachricht von Emerdale bekommen hatte. Aber es war derselbe nervtötende Vibrationsalarm, der einen eingehenden Anruf ankündigte.

Noch ehe ich es mir anders überlegen konnte, griff ich nach dem Handy und nahm das Telefonat entgegen.

»Sag mir, dass er endlich wach ist!«, forderte eine Frauenstimme so laut, dass ich das Telefon instinktiv ein Stück von meinem Ohr weghielt.

Meine ältere Schwester Catrice wie sie leibt und lebt.

»Er ist wach«, antwortete ich und unterdrückte das Husten, das mir in der Kehle saß.

»Jonathan? Mein Gott! Du bist wirklich wach!«

»Ja, Cat.«

Catrice stieß ein Seufzen aus, das verdächtig nach zurückgehaltenen Tränen klang, dann hörte ich das vertraute Knarzen ihres Bürostuhls. »Ich … wie geht es dir, Jojo?«

Ich atmete leise ein und aus und fixierte das Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Es zeigte den Santa Monica Pier. Den Ort, an dem ich vor ein paar Wochen mit Taylor die schönsten Stunden meines Lebens verbracht hatte.

Großartig.

»Ich lebe«, erwiderte ich vorsichtig. Keine Ahnung, was Vin Catrice erzählt hatte, aber ganz sicher nicht die Wahrheit.

Am anderen Ende der Leitung lachte sie freudlos. »Bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre dir, ich werde dir dein verdammtes Auto wegnehmen.«

Ernsthaft, Vin? Du hast es ihr als Autounfall verkauft?

»Welches der vier?«

»Alle, du Idiot!«

Idiot. Schon wieder. Ich schloss die Augen und lächelte entgegen meiner schlechten Stimmung.

»Als Vincent mir davon erzählt hat, wollte ich mich sofort in das nächstbeste Flugzeug setzen und zu dir fliegen. Sogar Mom und Dad haben sich gemeldet«, fuhr Cat fort, als ich nichts sagte.

»Mom?«

Wieder ein Knarzen. »Sie hat mir einen stundenlangen Vortrag darüber gehalten, dass du nicht länger zurechnungsfähig bist und man dich in Behandlung schicken sollte.«

Mir kam ein ungläubiges Schnauben über die Lippen. »Mom denkt, dass ich den Unfall mit Absicht verursacht habe? Das ist selbst für Moms Verhältnisse überzogen.«

»Ist es das? Nachts allein auf dem Highway 1 mit überhöhter Geschwindigkeit … klingt für mich –«

»Verdammt, Cat!«, fuhr ich sie an. »Es war ein Unfall, okay?«

»Okay.«

»Okay«, wiederholte ich mit belegter Stimme und fuhr meinen rasenden Puls herunter.

Vielen Dank für diese Scheiße, Vin!

»Ich sollte trotzdem zu dir kommen, Jojo. Etwas Zeit mit dir totschlagen. Das haben wir ewig nicht gemacht.«

»Es geht mir gut. Ehrlich. Es ist alles in Ordnung.« Was für ein Heuchler du doch bist, Johnny. »Und du hast bestimmt viel zu tun, Workaholic. Du hast mir doch von der Ausstellung erzählt.«

»Du bist aber wichtiger, Jojo. Du bist mein kleiner Bruder. Wir haben in den letzten Monaten so viel Zeit mit Schweigen verschwendet. Wenn dir etwas passiert wäre …«

»Mir ist aber nichts passiert, Cat«, unterbrach ich sie sanft, aber bestimmt. »Erzähl mir etwas über deine Arbeit.«

»Jonathan … das ist doch gerade wirklich nicht wichtig.«

Unter anderen Umständen hätte ich ihr zugestimmt, doch jetzt war es absolut wichtig, Catrice von mir fernzuhalten. Denn egal, was Vin sagte, dieser Kampf war auch mein Kampf. Er war in dem Moment zu meinem geworden, als ich mich hoffnungslos in das komplizierteste Mädchen der Welt verliebt hatte. »Was war das noch mal für eine Ausstellung? Über Süßigkeiten?«

Cat lachte leise, aber es klang gezwungen. »Nein, keine Süßigkeiten. Es geht um die Weltwirtschaftsausstellung in Tokio im Juli. Und es sind nur noch knapp drei Monate bis dahin.«

»Mensch, wie konnte mir das entfallen?«

Wieder drang ihr Lachen durchs Telefon und dieses Mal klang sie endlich ein wenig entspannter. Ich verabscheute, dass ich unsere neugewonnene Nähe schon wieder mit einer Lüge beginnen musste, aber ich wusste auch, dass ich in dieser Hinsicht keine Wahl hatte. Nicht mit Emerdale im Nacken.

»Du solltest dort hinkommen«, meinte Catrice nach einer Weile. »Sie wird dir gefallen. Und danach könnten wir etwas Geschwisterzeit verbringen. Du hast doch dieses Ferienhaus auf den Malediven. Mal ein bisschen aus dem Alltag rauskommen. Was meinst du?«

Mein Blick fiel auf die Blutergüsse und Schrammen an meinen Armen, auf den dicken Verband um meinen Oberkörper und den Infusionsschlauch in meinem Handrücken.

Das hier war jetzt mein Alltag: Verletzungen, eine streng geheime Forschungsorganisation, die uns jagte und ein Mädchen, um das ich mir mehr Sorgen machte als um mein eigenes Leben. Ein Alltag, dem ich nicht so einfach entfliehen konnte. Resigniert schloss ich die Augen.

»Jojo?«, hakte Cat leise nach. »Bist du noch dran?«

»Ja, ich … das klingt wundervoll«, antwortete ich mit gedämpfter Stimme.

»Versprich mir, dass du dich meldest. Ich organisiere alles für dich – du weißt, ich kann das.«

»Niemand kann das besser als du, Cat.«

Die Tür öffnete sich und Vincent schob sich ins Zimmer. Ohne Kaffee, dafür aber mit einem Gesichtsausdruck, der mir durch Mark und Bein ging. Alle Farbe war aus seinen Zügen gewichen und seine rechte Hand lag dort, wo die Glock verborgen unter seinem Shirt steckte.

»Cat? Ich muss Schluss machen. Die Ärztin will mit mir sprechen«, sagte ich abwesend, ohne Vin aus den Augen zu lassen. Wann war ich so gut im Lügen geworden?

»Erst versprichst du mir etwas: Wir telefonieren regelmäßig. Und keine Unfälle mehr. Such dir meinetwegen einen Chauffeur. Ich meine das ernst, pass bitte auf dich auf.« Ihre Worte drangen kaum zu mir durch. Irgendetwas stimmte nicht. »Ich hab dich lieb, Brüderchen. Hörst du?«

»Ja.« Ich nickte, obwohl sie mich nicht sehen konnte. »Ich dich … ich dich auch.« Dann legte ich auf. Das Handy landete irgendwo zwischen den Falten meiner Bettdecke. »Was ist los, Vin?«

Anstatt einer Antwort lief Vin zum Kleiderschrank und stopfte meine wenigen Sachen ungeordnet in eine Tasche, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.

»Vin! Was ist los?!«

»Wir müssen verschwinden«, presste er zwischen den Zähnen hervor, ohne mich anzuschauen. »Sofort.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich und sorgte dafür, dass meine kaum verheilte Wunde schmerzhaft zu pochen begann. Reflexartig legte ich eine Hand auf den Verband und schlug mit der anderen die Decke zur Seite. »Warum? Was ist passiert?«

Die Tasche landete mit einem dumpfen Aufprall am Boden. Wieder keine Antwort.

Ohne noch länger zu zögern, schaltete ich die Geräte ab, riss mir den Pulsmesser und die Kanüle raus und kämpfte das Feuer, das bei dieser ruckartigen Bewegung durch meinen Körper schoss, resolut zurück. Dafür war jetzt keine Zeit. Keine Zeit für Schwäche. Eine Hand an meinem Verband, die andere am Nachtschrank stand ich auf – und brach im nächsten Moment zusammen.

»Johnny, verdammt!«, stieß Vin hervor und war an meiner Seite, noch ehe ich auf dem Linoleum aufschlagen konnte.

Stöhnend sackte ich gegen ihn. »Ich hatte doch glatt vergessen, dass mir ein Bein fehlt.«

»Hast du den Verstand verloren?« Vin fluchte und verfrachtete mich in einen Rollstuhl, ehe er nach der Tasche griff und sie mir auf den Schoß legte.

Ich biss die Zähne zusammen und drängte die drohende Bewusstlosigkeit zurück. »Sag mir endlich, was Sache ist!«

Vincents braune Augen bohrten sich in meine, dann sackten seine Schultern herab. »Sie sind hier.«

Alles in mir erstarrte.

Sie sind hier. Sie sind hier. Sie sind hier.

»Wer?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort längst kannte. Sie fürchtete. Und obwohl die Panik bereits ihre eisigen Krallen in meine Eingeweide gegraben hatte.

»Emerdale. Emerdale ist hier.«

KAPITEL 3

TAYLOR

Castle Of Glass – Linkin Park

Fraktion, irgendwo in Neuseeland, 15. Mai

Heißes Wasser prasselte auf meine geschundene Haut und ließ mich zusammenzucken. Hastig kniff ich die Lippen aufeinander, um den Schrei, der mir auf der Zunge lag, zurückzuhalten. Es schien keinen Zentimeter meines Körpers zu geben, der nicht brannte und schmerzte. Innerlich wie äußerlich.

Meine Schultern, mein Rücken und die Arme waren von der unnatürlichen Haltung in der Zelle verkrampft. Der Rest von mir ein Kunstwerk aus verheilenden Blutergüssen, Schnitten und Schusswunden. Ich sah aus, als hätte ich eine Begegnung mit einem Vierzigtonner gehabt und dabei den Kürzeren gezogen.

Und das Schlachtfeld in meinem Inneren …

Mit geschlossenen Augen lehnte ich den Kopf an die kühlen Fliesen. Ich wusste, dass die Verletzungen heilen würden. Dank meiner manipulierten Gene schneller, als bei einem gewöhnlichen Menschen, und schon bald wären davon nur noch blasse Narben übrig. Doch was den Rest betraf – die unzähligen unsichtbaren Wunden, die bei jedem Atemzug brannten, mir die Luft raubten – sie würden bleiben, weiterhin schmerzen und vielleicht niemals wieder ganz verschwinden.

Die Angst, die mir Emerdale und nun auch die Fraktion ein weiteres Mal in die Knochen getrieben hatte.

Die Furcht vor der Zukunft.

Die Vorwürfe, die mich von innen heraus auffraßen.

Weil ich ihn nicht hatte retten können. Weil ich alles falsch gemacht hatte. Weil ich ihn in Los Angeles schwer verletzt zurückgelassen hatte.

Jo.

Jo, von dem ich nicht wusste, ob er überhaupt noch am Leben war. Ob Emerdale ihn doch noch in die Hände bekommen und getötet hatte. Ob sie ihn folterten oder Schlimmeres …

Ich liebe dich. Das hätte ich dir schon früher sagen sollen.

Ich liebe dich, Taylor.

Mit einem wütenden Knurren schlug ich gegen die Fliesen und stieß ein Wimmern aus, als ein scharfer Schmerz meinen Arm emporraste. Blut lief an den weißen Kacheln herab und bahnte sich einen Weg in den Abfluss.

Schluchzend starrte ich einen Moment lang entrückt auf den Schaum, das Blut und das Wasser, das um meine Füße herumfloss. Dann rutschte ich an den kalten Fliesen entlang zu Boden und machte mich ganz klein. Umschloss mich selbst mit den Armen, als könnte ich so verschwinden. Als müsste ich mich so nicht länger mit der Ungewissheit und dem Chaos auseinandersetzen, das mich zerriss.

Einen Herzschlag lang wünschte ich mir, Linda hätte mich einfach da unten in diesem Loch gelassen, denn ich hatte keine Ahnung, was ich hier oben tun sollte.

»Ist alles in Ordnung?«

Bei der hellen Stimme krallte ich meine Nägel unwillkürlich tiefer in meine nackte Haut. Noch etwas, mit dem ich mich jetzt nicht auseinandersetzen wollte – konnte.

»Lila?« Scarlett steckte ihren Kopf in die Gemeinschaftsdusche und zog die Augenbrauen zusammen, als sie erst mich und dann das Blut am Boden und auf den Kacheln entdeckte. »Was ist passiert?«

Ich blickte auf und funkelte Scarlett an. Dieses Mädchen, das mein verfluchtes Spiegelbild war. »Taylor. Mein Name ist Taylor.«

Unbeeindruckt von der Härte in meinen Worten warf sie mir ein Handtuch zu und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Fliesen. Ich griff danach und kam irgendwie auf meine wackeligen Beine. »Was willst du, Scarlett?«

»Scar. Mein Name ist Scar«, imitierte sie meine vorigen Worte und hob einen Mundwinkel. »Du solltest das von einem Arzt untersuchen lassen.«

Kurz fiel mein Blick auf meine aufgeplatzte Hand, dann zuckte ich mit den Schultern. »In einer Stunde ist davon nichts mehr zu sehen.«

»Wenn du meinst.« Scars Stirn legte sich in Falten. »Du bist vorhin einfach abgehauen.«

Ich wickelte mich enger in den weichen Frotteestoff und lief an ihr vorbei zu dem Haufen frischer Kleidung. »Du meinst, nachdem ihr mich zwei Tage lang in diesem Loch eingesperrt habt? Entschuldige, dass ich nicht auf höfliche Konversation aus war.«

»Linda hatte gute Gründe dafür und Olli ist –«

»Sicher«, unterbrach ich sie und warf ihr einen Seitenblick zu, der ausreichte, um mich ein weiteres Mal scharf einatmen zu lassen. Wie war das möglich? Wie konnte diese Scarlett mir dermaßen ähnlich sehen?

Ähnlich? Sie könnte deine verdammte Zwillingsschwester sein! Eineiig.

»Warum fragst du nicht einfach?«

Hastig schlüpfte ich in die dunkle Kleidung, die mir Scarlett bereitgelegt hatte, und überging das schmerzhafte Ziehen dabei geflissentlich. »Was soll ich fragen? Wo meine Freunde sind? Wo zum Teufel wir überhaupt sind? Was passiert ist?!«

Scar begegnete meinem hitzigen Blick mit bemerkenswerter Ruhe. »Deine Freunde sind auf Ebene D, dort liegen unter anderem die Cafeteria, die Gemeinschaftsräume und die Bibliothek. Das alles hier ist Teil der Fraktion. Der weitläufige Komplex liegt unterhalb einer verlassenen Bunkeranlage in der Nähe des Forgotten World Highways in Neuseeland – falls dir das etwas sagt. Wir haben euch vor knapp vier Tagen in Auckland aufgegriffen, wo ihr im Krater des Mount Eden gelandet seid und für ziemlich viel Wirbel gesorgt habt. Beinahe wäre uns die örtliche Polizei zuvorgekommen und hätte euch festgenommen. Zumal es nicht leicht war, euch in den Komplex zu bringen. Ihr habt euch gewehrt, als würde euch hier der Tod erwarten.« Ich sah sie sprachlos an. »Und nein, ich spreche nicht von dieser Art Fragen, sondern von der offensichtlichen Verbindung zwischen uns, der du mit erstaunlicher Hartnäckigkeit ausweichst. Hast du Angst vor der Wahrheit, Lila?«

»Taylor«, verbesserte ich sie zähneknirschend und schob mich an ihr vorbei in Richtung Tür. Ich hatte keine Ahnung, wie dieser Komplex aufgebaut war und wo ich hinmusste, aber alles war besser, als noch länger in Scarletts Gesicht schauen zu müssen.

»Du bist ihr sehr ähnlich.«

Ihre Stimme ließ mich innehalten. Angespannt fuhr ich zu ihr herum. »Wem? Linda?«

Scarlett lächelte. »Nein, deiner Mom. Unserer Mom.«

Mein Herz zog sich zusammen und die Gefühle, die ich in den letzten Tagen so mühsam zurückgehalten hatte, drohten jeden Moment meine sorgsam gezogenen Mauern zu sprengen. »Ich habe keine Mutter.«

Sei nicht albern, Tay, jeder hat eine Mutter.

»Ich hatte recht, du hast Angst.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten und funkelte Scarlett herausfordernd an. Von außen mussten wir wirken wie ein lebendig gewordenes, verzerrtes Spiegelbild. Gleich auf der einen und doch völlig unterschiedlich auf der anderen Seite. »Du hast keine Ahnung, wer ich bin oder wovor ich Angst habe.«

»Ich weiß mehr, als du ahnst, und ich weiß auch, dass du unzählige Fragen hast, Taylor. Fragen, die ich dir beantworten kann, wenn du mich lässt.«

Meine Augen begannen zu brennen. »Warum?«, erwiderte ich nur, ohne wirklich zu wissen, worauf sich dieses eine Wort bezog.

»Weil wir nicht deine Feinde sind und hier aufeinander achtgeben. Und weil uns ganz offensichtlich etwas verbindet, das nichts mit Emerdale oder der Fraktion zu tun hat.« Scarlett machte einen vorsichtigen Schritt in meine Richtung, als würde sie befürchten, jede hastige Bewegung könnte mich verschrecken. »Können wir reden? Einfach nur reden?«

Sie irrte sich, in meinem Leben hatte alles mit Emerdale zu tun. Ich starrte sie an und hob dann abwehrend eine Hand, als uns nur noch eine Armlänge voneinander trennte. »Schickt Linda dich?«

»Nein. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.«

»Ich glaube dir nicht.«

Wieder zuckten ihre Mundwinkel in Richtung eines undurchsichtigen Lächelns. »Ich weiß.«

Ein kaltes Prickeln raste meine Wirbelsäule entlang, dort, wo die lange Narbe aus Emerdale parallel zu meinem Rückgrat verlief. Mein Instinkt, meine rationale Seite warnte mich vor Scarlett, davor, auf dieses vertraute Gesicht reinzufallen, doch meine emotionale, verkorkste und völlig überforderte Hälfte … »Du nennst mich Lila.«

Scar nickte. »Das ist dein Name – war dein Name, bevor du dir ganz offensichtlich einen neuen gegeben hast.«

»Du weißt davon.«

Wieder keine Frage und trotzdem nickte Scarlett noch einmal. »Wie gesagt, ich weiß einiges. Nicht alles, aber genug, um dir zumindest ein paar Antworten geben zu können.« Als sie dieses Mal näher kam, hielt ich sie nicht auf. »Ich warte schon sehr lange darauf, dich kennenzulernen – dich wiederzusehen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt.«

Mein Hals wurde eng, die kühle Luft in der Gemeinschaftsdusche mit einem Mal zu stickig und drückend, um atmen zu können.

»Gib mir ein paar Minuten, mehr verlange ich gar nicht.« Ein verräterisches Schimmern trat in ihre grauen Augen. »Lass mich dich kennenlernen, Taylor.«

Ihre Worte ließen mich zurückzucken.

Gib mir die Möglichkeit, dich kennenzulernen, Taylor Welsh. Jos Stimme wehte wie ein Echo aus einem anderen Leben durch meinen Kopf. Schmerzhaft. Vertraut. Bittersüß.

»Taylor?«

Ich hob das Kinn, fing ihren Blick auf, in dem mehr Emotionen lagen, als ich hätte benennen können. Der gleiche brodelnde Gefühlscocktail wie in mir. Ob wir uns gegenseitig in Brand stecken würden?

»Ein paar Minuten«, hörte ich mich im nächsten Moment sagen. Meine Worte gesprochen mit meiner Stimme, meine Entscheidung – und doch fühlte sie sich so an, als hätte ich niemals eine wirkliche Wahl gehabt.

»Sie haben dir eines der guten Zimmer gegeben, sogar mit Privatbad«, bemerkte Scarlett, als sie mich vor die Tür mit der Aufschrift F19 führte und aufschloss. Schwer zu sagen, was ich erwartet hatte, aber ganz sicher keinen hellen, geräumigen Raum, der beinahe gemütlich wirkte. Nicht unter der Erde irgendwo in Neuseeland und ganz sicher nicht in dieser Geheimorganisation, die aktuell ganz vorne in diesem Kampf mitmischte.

Auf der einen Seite des großen Zimmers standen zwei breite Einzelbetten, wovon eines zerwühlt war. Auf der anderen Seite ein breiter Kleiderschrank, ein Tisch mit drei Stühlen, eine Kommode und darüber ein Spiegel mit indirekter Beleuchtung. Alles war in hellen Crème- und Blautönen gehalten und wären da nicht die schweren Kampfstiefel am Boden neben dem benutzten Bett, hätte ich fast glauben können, das hier wäre ein gewöhnliches, modern eingerichtetes Hotel.

»Du teilst dir das Zimmer mit Samira, wenn ich das richtig sehe. Ich hoffe, das ist in Ordnung für dich.«

Das erste Mal, seit wir das Gemeinschaftsbad verlassen hatten, schaute ich Scarlett direkt an. »Ja. Sam und ich … sind Freunde.« Meine Stimme klang seltsam hohl. Ich fühlte mich erschöpft und leer und nicht wie ich selbst. Waren das die Nachwirkungen von dem Gift, das mir dieser Oliver verabreicht hatte?

Scarlett runzelte die Stirn und versenkte die Hände in den Taschen ihrer schwarzen Cargohose. »Vielleicht sollten wir das Gespräch doch verschieben. Du siehst ziemlich fertig aus.«

Ich grinste freudlos und machte einen weiteren Schritt in den Raum hinein. »Vorhin hat dich das auch nicht gestört, als ich nackt in der Dusche saß.«

Ein dunkler Schatten huschte über ihre Züge, dann ging sie zu dem Tisch und ließ sich auf der Kante nieder. »Hör zu, ich verstehe, dass du durch den Wind bist und –«

Ich fuhr zu ihr herum. »Durch den Wind? Hast du eine Ahnung davon, was wir durchgemacht haben?! Was da alles in Los Angeles passiert ist?«

Zu meiner Überraschung schüttelte Scar den Kopf. »Linda hat nicht viel darüber gesprochen, aber ich kann es mir denken. Du und die anderen … ihr wart in keiner guten Verfassung, als wir euch gefunden haben. Und was ich bisher über Emerdale und euch gehört habe …«

Meine Gedanken zuckten zu meinen Freunden. »Geht es ihnen wirklich gut?«

»Ja. Unsere Ärzte haben sich um die Verletzungen gekümmert. Unsere Forschung hier unten in der Fraktion ist der oben um Längen voraus. Sie sind in besten Händen und müssten, wie gesagt, gerade in einem der Gemeinschaftsräume sein oder bei einem der Trainings. Die finden meistens am Vormittag oder abends statt, wenn Olli und die anderen keine Besprechungen haben oder auf Missionen sind.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du kennst dich ziemlich gut aus.«

»Ich habe ja auch den Großteil meines Lebens hier verbracht, da schnappt man das eine oder andere auf.« Scar zwinkerte mir zu und zupfte dann am Saum ihres dunklen Pullovers.

»Wie …? Ich meine … wie bist du hierhergekommen?« Ich befeuchtete meine trockenen Lippen.

»Ich schätze mal genauso, wie du zu Emerdale gekommen bist: Man hat mir nicht unbedingt eine Wahl gelassen.« Sie pustete sich eine ihrer langen Strähnen aus der Stirn. »Als das alles losging, war ich natürlich noch zu jung, um irgendetwas zu verstehen, aber Mom hat es mir später erklärt. Zumindest den Teil, von dem sie wusste.« Nachdenklich begann ich an der frischen Kruste an meinen aufgeschlagenen Knöcheln herumzupulen.

»Als was los ging?«

»Komm schon, wie lange willst du dich noch dagegen wehren, Lil– Taylor? Hast du dich nie gefragt, woher du kommst? Ob es da draußen noch eine Familie gibt, zu der du gehörst?«

Doch, das hatte ich. Unzählige Male. Aber die einzige Antwort, die ich von Theodore, dem Arzt und Wissenschaftler in Emerdale bekommen hatte, war die, dass ich keine Familie mehr besaß. Dass sie tot waren, genauso wie ich für sie gestorben war.

»Oder hast du geglaubt, du wärst in einem Reagenzglas herangezüchtet worden?«, fuhr Scar fort.