Emile oder über die Erziehung (Band 1&2) - Jean-Jacques Rousseau - E-Book

Emile oder über die Erziehung (Band 1&2) E-Book

Jean Jacques Rousseau

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Beschreibung

Jean-Jacques Rousseaus Werk 'Emile oder über die Erziehung' ist ein Meisterwerk der pädagogischen Literatur. In diesem zweibändigen Werk beschreibt der Autor den fiktiven Charakter Emile, dessen Erziehung Rousseau als ideales Modell für eine natürliche und freie Erziehung betrachtet. Der Stil des Buches ist klar und einfühlsam, wobei Rousseau sowohl philosophische als auch praktische Ratschläge zur Erziehung von Kindern gibt. Das Werk ist geprägt von Rousseaus Überzeugung, dass die Natur das beste Vorbild für die Erziehung sein sollte, und seine Kritik an den konventionellen Erziehungsmethoden seiner Zeit. 'Emile oder über die Erziehung' wird oft als eines der einflussreichsten Werke in der Geschichte der Erziehung angesehen und hat bis heute starken Einfluss auf pädagogische Konzepte weltweit.

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Jean-Jacques Rousseau

Emile oder über die Erziehung

(Band 1&2)

Bildungsroman: Pädagogische Prinzipien

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1092-3

Inhaltsverzeichnis

Erster Band
Vorrede
Erstes Buch
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Zweiter Band
Viertes Buch.
Erster Grundsatz
Zweiter Grundsatz
Dritter Grundsatz
Glaubensbekenntniß des savoyischen Vicars.
Fünftes Buch.
Sophie oder das Weib
Reisen.

Erster Band

Inhaltsverzeichnis

Frei aus dem Fran zösischen übersetzt von H. Denhardt.

Vorrede

Inhaltsverzeichnis

Diese Sammlung von Betrachtungen und Beobachtungen, ohne Ordnung und fast ohne strenge Reihenfolge, wurde einer guten denkenden Mutter1 zu Liebe begonnen. Anfänglich hatte ich nur eine Abhandlung von wenigen Seiten beabsichtigt; da mich mein Gegenstand jedoch wider Willen fortriß, so schwoll diese Abhandlung allmählich zu einem förmlichen Werke an, das unzweifelhaft zu umfangreich ist, wenn man sein Augenmerk nur auf den Inhalt richtet, aber im Hinblick auf den Stoff, den es behandelt, trotzdem nicht ausführlich genug. Ich habe lange geschwankt es zu veröffentlichen, und bei der Ausarbeitung hat mich oft das Gefühl überschlichen, daß die Abfassung einiger Broschüren noch keine hinreichende Bürgschaft für den Beruf darbietet, ein Buch zu schreiben. Nach vergeblichen Bemühungen etwas Besseres zu leisten, glaube ich es so, wie es ist, vorlegen zu müssen, überzeugt, daß es von Wichtigkeit ist, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu lenken, und daß, sollten sich auch meine Gedanken als falsch herausstellen, ich doch meine Zeit nicht völlig verloren habe, wenn auf meine Veranlassung hin bei Anderen richtige rege werden. Ein Mann, welcher seine Blätter aus seiner Zurückgezogenheit unter das Publikum streut, ohne empfehlende Reclame, ohne Partei, welche ihre Verteidigung übernimmt, ja selbst ohne zu wissen, was man darüber denkt oder spricht, braucht nicht zu fürchten, daß man, wenn er sich irrt, seine Irrthümer ohne strenge Prüfung für wahr anerkennen werde.

Ueber die Wichtigkeit einer guten Erziehung werde ich wenig Worte verlieren, auch werde ich mich nicht bei dem Beweise aushalten, daß die jetzt übliche nur einen schädlichen Einfluß ausübt. Tausend Andere haben es vor mir gethan, und es ist nicht nach meinem Geschmacke, ein Buch mit allbekannten Dingen anzufüllen. Ich werde lediglich darauf hinweisen, daß sich gegen die eingeführte Praxis längst ein allgemeiner Schrei erhoben hat, ohne daß Jemand sich dem unterzieht, mit Reformvorschlägen hervorzutreten. Die Literatur und Wissenschaft unsres Jahrhunderts läuft weit mehr darauf hinaus zu zerstören als aufzubauen. Man kritisirt mit dem absprechenden Tone eines Meisters; um Vorschläge zu machen, muß man jedoch einen andern anschlagen, an welchem die philosophische Erhabenheit weniger Gefallen findet. Trotz so vieler Schriften, welche alle vorgeblich den allgemeinen Nutzen bezwecken, ist doch gerade die Kunst, welche den größten Nutzen gewährt, die Kunst Menschen zu bilden, noch immer vergessen. Mein Thema war trotz Lockes Buch völlig neu und ich befürchte sehr, daß dasselbe es auch noch nach dem meinigen bleiben wird.

Man kennt und versteht die Kinderwelt durchaus nicht; je weiter man die falschen Ideen,, welche man von derselben hegt, verfolgt, desto weiter verirrt man sich. Die Weisesten behandeln mit Vorliebe das den Menschen Wissenswürdigste, ohne dabei auf die Lern- und Begriffsfähigkeit der Kinder Rücksicht zu nehmen. Sie suchen stets schon den Mann im Kinde, ohne an den kindlichen Zustand zu denken, aus dem der Mann sich erst allmählich entwickelt. Und gerade das Studium dieses Zustandes habe ich mir am angelegensten sein lassen, damit, wenn auch meine ganze Methode wunderlich und falsch sein sollte, man doch immer aus meinen Beobachtungen Nutzen schöpfen könnte. Ich kann vielleicht über das, was zu thun ist, unklare Vorstellungen haben, allein den Körper, an dem zu operiren ist, glaube ich gut gesehen und beobachtet zu haben. Fangt also an eure Zöglinge besser zu studiren, denn ganz sicher kennt ihr sie noch gar nicht. Wolan denn, leset ihr dies Buch von diesem Gesichtspunkte aus, so wird, wie ich glaube, die Lectüre für euch nicht ohne Nutzen sein.

Was nun den Theil anlangt, den man den systematischen nennen wird und der hier nichts Anderes als den Gang der Natur schildert, so wird gerade dieser das Kopfschütteln des Lesers am meisten hervorrufen. Von hier aus wird man auch unzweifelhaft die Angriffe auf mich richten, und vielleicht hat man nicht Unrecht. Man wird weniger eine Abhandlung über Erziehung als die Träumereien eines Phantasten über Erziehung zu lesen glauben. Was ist dabei zu thun? Ich schreibe ja nicht über die Ideen Andrer, sondern über die meinigen. In meinen Augen erscheint Alles anders als in denen anderer Leute; schon längst hat man mir das vorgeworfen. Aber hängt es etwa von mir ab, mir andere Augen zu geben und mir andere Ideen anzueignen? Nein. Es hängt von mir ab, nicht eigensinnig auf meinem Kopfe zu bestehen, mich allein nicht für klüger als die ganze Welt zu halten; es hängt von mir ab, nicht etwa meine Ansicht zu wechseln, wol aber der meinigen nicht unbedingt zu trauen: das ist Alles, was ich thun kann, und was ich wirklich thue. Wenn ich bisweilen einen absprechenden Ton annehme, so geschieht das keineswegs, um den Leser damit zu blenden, es geschieht vielmehr, um mit ihm so zu sprechen, wie ich denke. Warum soll ich meine Ideen, an deren Wichtigkeit ich für meinen Theil nicht im Geringsten zweifle, unter der Form des Zweifels zur Prüfung vorlegen? Ich schreibe genau, was in meinem Geiste vorgeht.

Indem ich meine Ansicht freimüthig darthue, bin ich so weit davon entfernt dieselbe von vornherein als eine ausgemachte Wahrheit hinzustellen, daß ich stets meine Gründe hinzufüge, damit man dieselben erwäge und mich danach beurtheile: aber obgleich ich meine Ideen durchaus nicht hartnäckig vertheidigen will, so halte ich mich doch nicht weniger für verpflichtet, sie zur Prüfung vorzulegen, denn die Grundsätze, hinsichtlich deren ich von den Ansichten Anderer völlig abweiche, sind durchaus nicht gleichgiltig. Sie gehören zu denjenigen, deren Wahrheit oder Unrichtigkeit zu kennen von höchster Wichtigkeit ist, und welche das Glück oder Unglück des menschlichen Geschlechts begründen.

Bringe nur Ausführbares zum Vorschlag, wiederholt man mir unaufhörlich. Das ist dasselbe, als ob man zu mir sagte: Schlage vor das zu thun, was man thut, oder schlage wenigstens etwas Gutes vor, das sich mit dem bestehenden Schlechten vereinigen läßt. Ein solches Project ist in Bezug auf bestimmte Gegenstände noch weit wunderlicher als meine Vorschläge, denn in dieser Vermischung verschlechtert sich das Gute, während sich das Schlechte nicht bessert. Ich würde lieber die einmal eingeführte Methode im Ganzen unverrückt beibehalten, als mir eine gute nur halb aneignen: es würde im Menschen dadurch ein geringerer Widerspruch hervorgerufen werden, weil er nicht nach zwei entgegengesetzten Zielen zu streben vermag. Väter und Mütter, das Ausführbare wollt ihr ja ausführen. Darf ich für euch einstehen?

Bei jedem Plan ist Zweierlei zu erwägen: erstens die absolute Güte des Plans und an zweiter Stelle die Leichtigkeit der Ausführung.

In ersterer Hinsicht genügt, um die Zulässigkeit und Ausführbarkeit des Plans an und für sich darzuthun, daß das in ihm vorhandene Gute in der Natur der Sache liegt, hier zum Beispiel, daß die vorgeschlagene Erziehung dem Menschen entsprechend und dem menschlichen Herzen völlig angemessen ist.

Die zweite Erwägung hängt von den in bestimmten Lagen gegebenen Verhältnissen ab, von in Bezug auf die Sache zufälligen Verhältnissen, welche mithin nicht nothwendig sind und bis ins Unendliche variiren können. So kann eine Erziehungsweise in der Schweiz ausführbar sein und in Frankreich nicht; eine andere kann sich bei den Bürgern bewähren und wieder eine andere unter den höhern Classen. Die mehr oder weniger große Leichtigkeit der Ausführung hängt von tausenderlei Umständen ab, die sich unmöglich anders als in einer besonderen Anpassung der Methode auf dieses oder jenes Land, auf diesen oder jenen Stand genau beschreiben lassen. Nun, alle diese besondern Variationen, die zu meinem Thema nicht wesentlich gehören, habe ich in meinem Plan nicht ausgenommen. Mögen sich Andere damit befassen, wenn sie wollen, Jeder mit Rücksicht auf das Land oder den Staat, welchen er im Auge hat. Mir genügt, daß man überall, wo Menschen geboren werden, aus ihnen das, was ich vorschlage, machen kann, und daß, wenn man aus ihnen das, was ich vorschlage, gemacht, man das ihnen selbst wie Anderen Heilsamste gethan hat. Wenn ich dies Versprechen nicht erfülle, dann habe ich unzweifelhaft Unrecht; wenn ich es aber erfülle, würde man auch Unrecht haben mehr von mir zu, verlangen; denn ich verspreche nur dieses.

1 Frau von Chenonceaux

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöpfers hervorgeht; Alles entartet unter den Händen des Menschen. Er zwingt ein Land die Producte eines andren hervorzubringen, einen Baum die Früchte eines andern zu tragen; er vermischt und vermengt die Klimata, die Elemente, die Jahreszeiten; er verstümmelt seinen Hund, sein Pferd, seinen Sklaven; er stürzt Alles um, er verunstaltet Alles; er liebt das Unförmliche, die Mißgestalten; nichts will er so, wie es die Natur gebildet hat, nicht einmal den Menschen; man muß ihn wie ein Schulpferd für ihn abrichten; man muß ihn wie einen Baum seines Gartens nach der Mode des Tages biegen.

Sonst würde aber Alles noch schlechter gehen, und unser Geschlecht ist ein Feind alles halben Wesens. In dem Zustande, in welchem sich die Dinge nunmehr befinden, würde ein von seiner Geburt an sich unter den andern selbst überlassener Mensch der verunstaltetste und verderbteste von allen sein. Die Vorurtheile, der äußere Einfluß, der Zwang, das Beispiel, alle die socialen Verhältnisse, in welche wir uns versunken befinden, würden die Natur in ihm ersticken, ohne ihm einen Ersatz dafür zu bieten. Es würde ihr wie einem jungen Baume ergehen, den der Zufall mitten auf einem Wege aufschießen läßt und den die Wanderer bald zum Welken bringen, indem sie ihn von allen Seiten stoßen und nach allen Richtungen biegen.

An dich wende ich mich, zärtliche und vorsorgliche Mutter,2 die du dich von der großen Straße fern zu halten und das wachsende Bäumchen vor dem Widerstreit der menschlichen Meinungen zu bewahren verstandest! Pflege, begieße die junge Pflanze, ehe sie abstirbt; ihre Früchte werden dereinst deine Wonne sein. Bilde frühzeitig einen Schutzwall um die Seele deines Kindes; ein Anderer kann den Umfang desselben bestimmen, du selber aber mußt die Schranken setzen.3

Man veredelt die Pflanzen durch die Zucht und die Menschen durch die Erziehung. Wurde der Mensch gleich groß und stark geboren, so würde ihm seine ausgebildete Gestalt und seine Kraft jedenfalls so lange unnütz sein, bis er gelernt hätte sich ihrer zu bedienen; sie würden ihm sogar schädlich sein, indem sie die Anderen abhielten an seinen Beistand zu denken;4 und sich selbst überlassen, würde er in Elend dahinsterben, bevor er seine Bedürfnisse kennen gelernt hätte. Man klagt über den Zustand der Kindheit; man begreift nicht, daß das menschliche Geschlecht schon ausgestorben wäre, hätte der Mensch nicht als Kind das Leben begonnen.

Wir werden schwach geboren und deshalb sind uns Kräfte nöthig; wir werden, von Allem entblößt, geboren, und deshalb ist uns Hilfe nöthig; wir werden mit unentwickelten Anlagen geboren, und deshalb ist uns Verstand und Urtheilskraft nöthig. Alles, was uns bei unserer Geburt fehlt, und was uns, wenn wir erwachsen sind, nöthig ist, wird uns durch die Erziehung gegeben.

Diese Erziehung geht von der Natur, oder von den Menschen, oder von den Dingen aus. Die innere Entwickelung unsrer Fähigkeiten und unsrer Organe ist die Erziehung der Natur; die Anwendung, welche man uns von diesen entwickelten Fähigkeiten und Organen machen lehrt, ist die Erziehung der Menschen; und in dem Gewinne eigner Erfahrungen in Bezug auf die Gegenstände, welche auf uns einwirken, besteht die Erziehung der Dinge.

Jeder von uns wird also durch dreierlei Lehrer gebildet. Der Schüler, in welchem sich ihre verschiedenen Lehren entgegen arbeiten, wird schlecht erzogen, und wird nie zu einer inneren Harmonie gelangen. Derjenige dagegen, bei welchem sie alle auf die nämlichen Punkte gerichtet sind und die nämlichen Zwecke erstreben, erreicht allein sein Ziel und lebt in voller Harmonie. Dieser allein ist gut erzogen.5

Nun aber hängt von diesen drei verschiedenen Erziehungsarten die der Natur gar nicht, die der Dinge nur in gewisser Hinsicht von uns ab. Die der Menschen ist die einzige, die wirklich in unsrer Gewalt steht, indeß ist auch dies nur voraussetzungsweise der Fall, denn wer kann wol die Hoffnung hegen, die Gespräche und Handlungen aller derer, die ein Kind umgeben, ganz und gar zu leiten?

Insofern also die Erziehung eine Kunst ist, kann sie fast unmöglich zu einem günstigen Resultate führen, weil das zu ihrem Erfolge notwendige Zusammenwirken in Niemandes Gewalt steht. Höchstens kann man sich dem Ziele durch viel Mühe und Sorgfalt mehr oder weniger nähern, um es aber wirklich zu erreichen, dazu gehört viel Glück.

Was ist das für ein Ziel? Es ist das der Natur selbst; das ist soeben bewiesen. Da das Zusammenwirken der drei Arten zu einer vollkommenen Erziehung nothwendig ist, so muß man nach derjenigen, zu welcher wir nichts beizutragen vermögen, die beiden andern richten. Allein vielleicht knüpft sich an das Wort Natur ein zu allgemeiner Sinn; ich will ihn deshalb hier festzustellen suchen.

Natur, sagt man uns, ist nur Gewöhnung.6

Was heißt das? Gibt es nicht etwa Gewohnheiten, welche man nur gezwungen annimmt und welche die Natur niemals ersticken? So verhält es sich zum Beispiel mit der Gewöhnung der Pflanzen, deren aufrechte Richtung man gewaltsam verändert. Die wieder ihrer Freiheit zurückgegebene Pflanze behält zwar die Neigung, die sie gezwungener Weise angenommen hat; aber der in ihr kreisende Saft hat deshalb seine ursprüngliche Richtung nicht aufgegeben, und wenn die Pflanze zu wachsen fortfährt, so kehren die neuen Triebe zu der senkrechten Richtung zurück. Eben so verhält es sich mit den Neigungen der Menschen. So lange man in den nämlichen Verhältnissen verharrt, kann man diejenigen, welche der Gewohnheit entspringen, selbst wenn sie unsrer innersten Natur widerstreben, bewahren, sobald aber die Lage wechselt, schwächt sich die Gewohnheit ab und das natürliche Wesen kommt wieder zum Vorschein. Die Erziehung ist sicherlich nur Gewöhnung. Gibt es nun aber nicht Leute, welche ihre Erziehung vergessen und verlieren, und andere, welche sie bewahren? Woher kommt dieser Unterschied? Muß man die Benennung Natur auf die der Natur conformen Gewöhnungen beschränken, so kann man sich dieses Hinundhergerede ersparen.

Mit Empfindungsvermögen werden wir geboren und von unsrer Geburt an sind wir den Einwirkungen der Gegenstände, die uns umgeben, in verschiedener Weise ausgesetzt. Sobald wir uns der erhaltenen Eindrücke, so zu sagen, bewußt werden, bildet sich in uns die Neigung die Gegenstände, welche sie hervorbringen, aufzusuchen oder zu fliehen, zuerst je nachdem sie angenehm oder unangenehm sind, später je nach der Uebereinstimmung oder dem Mangel an Uebereinstimmung, die wir zwischen uns und diesen Gegenständen finden, und endlich je nach den Urtheilen, die wir über dieselben nach der Vorstellung von Glück und Vollkommenheit fällen, welche uns die Vernunft gibt. Diese Neigungen oder Abneigungen erweitern und verstärken sich in dem Maße, wie wir empfänglicher und aufgeklärter werden; aber durch unsre Gewohnheiten beschränkt, werden sie sich unseren Ansichten mehr oder weniger anschließen. Vor dieser Aenderung sind sie das, was ich in uns die Natur nenne.

Auf diese ursprünglichen Neigungen müßte man also Alles zurückführen; und das würde möglich sein, wenn unsere drei Erziehungsarten nur verschieden wären: was aber soll man thun, wenn sie widerstreitend sind, wenn man, anstatt einen Menschen für sich selbst zu erziehen, ihn für die andren erziehen will? Dann ist die Uebereinstimmung unmöglich. Gezwungen, die Natur oder die socialen Einrichtungen zu bekämpfen, hat man sich zu entscheiden, ob man einen Menschen oder einen Bürger bilden will; denn beides kann man nicht zugleich thun.

Jede nur einen Theil umfassende Gesellschaft sondert sich, wenn sie strenge und fest geeinet ist, von der großen ab. Jeder Patriot ist gegen die Fremden abstoßend: in seinen Augen sind sie nur Menschen, sind sie nichts.7

Dieser Uebelstand ist unvermeidlich, ist aber ohne Bedeutung. Die Hauptsache ist, den Leuten, mit welchen man zusammen lebt, eine freundliche Gesinnung zu beweisen. Dem Auslande gegenüber war der Spartaner ehrgeizig, habgierig, ungerecht; aber Uneigennützigkeit, Billigkeit, Eintracht herrschten innerhalb seiner Mauern. Nehmt euch vor diesen Kosmopoliten in Acht, die in ihren Schriften aus weiter Ferne Pflichten herholen, deren Erfüllung sie in Bezug auf ihre eigne Umgebung verächtlich zurückweisen. Ein solcher Philosoph liebt die Tartaren, um dessen überhoben zu sein, seine Nachbarn zu lieben.

Der natürliche Mensch ist ein Ganzes für sich; er ist die numerische Einheit, das absolute Ganze, das nur zu sich selbst oder zu seines Gleichen in Beziehung steht. Der bürgerliche Mensch ist nur eine gebrochene Einheit, welche es mit ihrem Nenner hält, und deren Werth in ihrer Beziehung zu dem Ganzen liegt, welches den socialen Körper bildet. Die guten socialen Einrichtungen vermögen den Menschen am ehesten seiner Natur zu entkleiden, ihm seine absolute Existenz zu rauben, um ihm dafür eine relative zu geben, und das Ich in die allgemeine Einheit zu versetzen, so daß sich jeder Einzelne nicht mehr für eine Einheit, sondern für einen Theil der Einheit hält und nur noch in dem Ganzen wahrnehmbar ist. Ein römischer Bürger war nicht Cajus, nicht Lucius, er war ein Römer; sogar das Vaterland liebte er mit Ausschluß seiner eigenen Persönlichkeit. Regulus gab sich für einen Karthager aus, als ob er das Eigenthum seiner Besieger geworden wäre. In seiner Eigenschaft als Fremder weigerte er sich seinen Sitz im römischen Senate einzunehmen; ein Karthager mußte es ihm erst befehlen. Er wurde unwillig darüber, daß man ihm das Leben retten wollte. Seine Ansicht drang durch, und jubelnd kehrte er zurück, um einen qualvollen Tod zu sterben. Das scheint mir freilich den Menschen, die wir kennen, nicht sehr ähnlich zu sehen.

Der Lacedämonier Phedaretes bewirbt sich um Aufnahme in den Rath der Dreihundert; er wird verworfen; voller Freude, daß es in Sparta dreihundert bessere Männer als ihn gibt, geht er wieder nach Hause.8

Ich nehme diese Aeußerung für wahr an, und es ist alle Ursache vorhanden, sie dafür zu halten. Fürwahr, ein echter Bürger!

Eine Spartanerin hatte fünf Söhne bei dem Heere, und harrte auf Nachrichten über die Schlacht. Ein Helote langt an; zitternd fragt sie ihn darnach. »Deine fünf Söhne sind gefallen.« »Verächtlicher Sklave, habe ich dich danach gefragt?« »Wir haben den Sieg erfochten!« Die Mutter läuft zum Tempel und danket den Göttern.9]

Fürwahr, eine echte Bürgerin!

Wer in der bürgerlichen Ordnung den Naturgefühlen den Vorrang einräumen will, der weiß nicht, was er will. Stets im Widerspruch mit sich selbst, stets zwischen seinen Trieben und Pflichten hin und her schwankend, wird er nie ein echter Mensch noch ein echter Bürger sein. Er wird weder sich noch Andern zum Vortheil gereichen. Er wird einer dieser Dutzendmenschen unserer Tage, ein Franzose, ein Engländer, ein Spießbürger, er wird nichts sein.

Um etwas zu sein, um stets sich selbst treu und in sich eins zu sein, muß man handeln wie man spricht, muß man stets über die Partei, die man zu ergreifen, laut zu ergreifen hat, entschieden sein und beständig zu ihr halten. Ich erwarte, daß man mir ein solches Wunderkind zeige, um zu erfahren ob es ein Mensch oder ein Staatsbürger ist, oder wie dasselbe es anfängt, um Beides zugleich zu sein.

Aus diesen einander nothwendig entgegengesetzten Zielen ergeben sich zwei sich widersprechende Erziehungsweisen: eine öffentliche oder staatliche und gemeinsame und eine besondere und häusliche.

Wollt ihr euch eine Vorstellung von der öffentlichen Erziehung machen, so leset die Republik Plato's. Es ist kein politisches Werk, wie die sich einbilden, welche die Bücher nur nach den Titeln beurtheilen: es ist vielmehr die beste Abhandlung über Erziehung, die je geschrieben ist.

Wenn man auf ein Utopienland aller möglichen Träumereien hinweisen will, so führt man regelmäßig Plato's Erziehung an. Hätte aber Lykurg die seinige nur zu Papier gebracht, so würde sie mir noch wunderlicher vorkommen. Plato hat nur das Herz des Menschen geläutert. Lykurg hat ihn seiner Natur beraubt.

Die öffentliche Erziehung existirt nicht mehr und kann nicht mehr existiren, weil da, wo es kein Vaterland mehr gibt, es auch keine Bürger mehr geben kann. Diese beiden Wörter »Vaterland« und »Bürger« müssen aus den modernen Sprachen gestrichen werden. Den Grund kenne ich sehr wohl, will ihn aber nicht aussprechen, es ist für mein Thema von keiner Bedeutung.

Diese lächerlichen Anstalten, welche man Collegien10 nennt, kann ich nicht als öffentliche Erziehungsanstalten anerkennen. Eben so wenig rechne ich die Erziehung der Welt zu der öffentlichen, weil diese Erziehung dadurch, daß sie nach zwei entgegengesetzten Zielen strebt, beide verfehlt. Sie ist nur im Stande Zwitterwesen zu bilden, die Alles beständig auf Andere zu beziehen scheinen und doch nur Alles auf sich allein beziehen. Nun aber täuschen diese Gaukeleien, weil sie ein Gemeingut Aller sind, Niemanden. Es ist lauter verlorene Mühe.

Aus diesen Widersprüchen entsteht leider auch der, welchen wir unaufhörlich in uns selbst empfinden. Fortgerissen von der Natur und von den Menschen nach entgegengesetzten Richtungen, gezwungen uns zwischen diesen verschiedenen Antrieben zu theilen, schlagen wir einen Mittelweg ein, der weder zu dem einen noch zu dem anderen Ziele führt. Auf diese Weise während unseres ganzen Lebens in ununterbrochenem Kampfe mit uns selbst und hin und her schwankend, beschließen wir es, ohne es zu einer innern Harmonie gebracht und uns oder Anderen zum Nutzen gereicht zu haben.

Es bleibt nur noch die häusliche Erziehung oder die der Natur übrig. Aber was soll ein Mensch, der einzig und allein für sich erzogen ist, den andern werden? Wenn sich vielleicht das doppelte Ziel, welches man sich vorsetzt, in ein einziges zusammenziehen ließe, so würde man durch Beseitigung der Widersprüche in dem Menschen ein großes Hinderniß zu seinem Glücke aus dem Wege räumen. Man müßte, um darüber zu urtheilen, ihn ganz ausgebildet sehen; man müßte seine Neigungen beobachtet, seine Fortschritte gesehen, seinen Lebensgang verfolgt haben; mit einem Worte: man müßte den natürlichen Menschen kennen. Ich glaube, daß man nach Lectüre dieser Schrift einen guten Anfang zu diesen Forschungen gemacht haben wird.

Was haben wir nun zu thun, um diesen ausgezeichneten Menschen zu bilden? Unzweifelhaft viel: nämlich zu verhüten, daß etwas geschieht. Wenn es sich nur darum handelt, gegen den Wind zu segeln, so lavirt man; ist aber das Meer bewegt und man will auf der Stelle bleiben, so muß man den Anker auswerfen. Nimm dich wol in Acht, junger Pilot, daß dein Ankertau nicht nachlasse und dein Anker nicht schleppe und das Schifflein nicht forttreibt, ehe du dich dessen versiehst.

In der gesellschaftlichen Ordnung, wo alle Stellen genau bestimmt sind, muß Jeder für die seinige erzogen werden. Wenn ein für seine Stelle gebildetes Individuum dieselbe aufgibt, taugt es zu nichts mehr. Die Erziehung ist nur in so weit von Vortheil, als das Vermögen der Eltern mit dem Berufe in Übereinstimmung steht, zu welchem sie ihr Kind bestimmen; in jedem anderen Falle ist sie dem Zögling nur schädlich, und wäre es auch nur durch die vorgefaßten Meinungen, welche sie ihm eingeflößt hat. In Aegypten, wo der Sohn genöthigt war, sich dem Stande seines Vaters zu widmen, hatte die Erziehung wenigstens ein sicheres Ziel; unter uns jedoch, wo nur die Rangstufen bleiben und die Menschen unaufhörlich wechseln, weiß Niemand, ob er nicht, wenn er seinen Sohn für die seinige erzieht, demselben schadet.

In der natürlichen Ordnung, in der die Menschen alle gleich sind, ist ihr gemeinsamer Beruf, zuerst und vor Allem Mensch zu sein und wer für diesen gut erzogen ist, kann diejenigen, welche mit demselben in Einklang stehen, nicht schlecht erfüllen. Ob man meinen Zögling für die militairische, kirchliche oder richterliche Laufbahn bestimmt, darauf kommt wenig an. Bevor die Eltern ihn für einen Beruf bestimmen, beruft die Natur ihn zum menschlichen Leben. Die Kunst zu leben soll er von mir lernen.11 Wenn er aus meinen Händen hervorgeht, wird er freilich, das gebe ich zu, weder Richter, noch Soldat, noch Priester sein, er wird zuerst Mensch sein. Alles, was ein Mensch sein muß, das Alles wird er, wenn es darauf ankommt, eben so gut wie irgend Jemand sein können, und das Schicksal wird ihn vergeblich seinen Platz wechseln lassen, er wird immer an dem seinigen sein. Occupavi te, fortuna, atque cepi; omnesque aditus tuos interclusi, ut ad me aspirare non posses.12

Unser wahres Studium ist das der menschlichen Natur. Wer unter uns die Freuden und Leiden dieses Lebens am besten zu ertragen versteht, der ist meines Erachtens am besten erzogen, woraus folgt, daß die wahre Erziehung weniger in Lehren als in Uebungen besteht. Wir beginnen unsere Bildung mit dem Beginn unseres Lebens. Unsere Erziehung beginnt zugleich mit uns; unser erster Lehrer ist unsere Amme. Auch hatte das Wort »Erziehung« bei den Alten einen anderen Sinn, als den wir damit verbinden. Es bedeutete die Aufziehung. Educit obstetrix, sagt Varronius; educat nutrix, instituit paedagogus, docet magister. Daher sind die Aufziehung, die Erziehung, der Unterricht drei in ihrem Ziele eben so verschiedene Dinge, wie die Wärterin, der Erzieher und der Lehrer. Aber diese Unterscheidungen gereichen zu keinem Vortheile und um gut erzogen zu werden, darf das Kind nur einem einzigen Führer folgen.

Wir müssen unsere Gesichtspunkte deshalb verallgemeinern und in unserm Zögling lediglich den Menschen an sich, den allen Wechselfällen des menschlichen Lebens ausgesetzten Menschen betrachten. Wenn die Menschen durch die Geburt an den Boden eines Landes gefesselt wären, wenn die nämliche Jahreszeit das ganze Jahr hindurch dauerte, wenn Jeder im unveränderlichen Besitze seines Vermögens bliebe, so würde die eingeführte Methode in gewisser Hinsicht gut sein; das für seinen besonderen Stand erzogene Kind würde, da es denselben niemals aufgäbe, auch nie den Schwierigkeiten eines andern ausgesetzt sein. Aber kann man wol, in Anbetracht der Wandelbarkeit der menschlichen Dinge, in Anbetracht des unruhigen und nivellirenden Geistes dieses Jahrhunderts, welcher in jeder Generation einen allgemeinen Umsturz herbeiführt, kann man wol, frage ich, eine thörichtere Methode ersinnen als die, ein Kind so zu erziehen, als ob es einst nie aus der Thüre zu kommen brauchte, als ob es unaufhörlich von den Seinigen umgeben sein würde? Wenn der Unglückliche sich nur einen Schritt über den Boden erhebt, wenn er eine einzige Stufe hinabsteigt, ist er verloren. Dadurch lehrt man ihn nicht den Schmerz ertragen, sondern übt ihn vielmehr denselben zu empfinden.

Man denkt nur an die Erhaltung seines Kindes; das ist nicht genug; man muß es auch lehren sich erhalten, wenn es ein Mann geworden ist; die Schicksalsfrage ertragen, sich über Ueberfluß und Mangel hinwegsetzen und im Nothfalle auf Islands Eisfeldern oder auf dem brennenden Felsen Maltas leben. Vergebens wendet ihr Vorsichtsmaßregeln an, um es gegen den Tod zu schützen, es wird doch einmal sterben müssen; und wenn sein Tod auch nicht das Werk eurer Pflege und Verzärtelung sein sollte, so würden sie gleichwol schlecht angewandt sein.13

Es kommt nicht sowol darauf an, es gegen den Tod zu schützen, als vielmehr darauf, ihm die Kunst zu leben beizubringen. Leben heißt nicht athmen, sondern handeln, es heißt sich unsrer Organe, unsrer Sinne, unsrer Fähigkeiten, kurz sich aller derjenigen Theile von uns zu bedienen, die uns die Empfindung unseres Daseins verleihen. Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat. Mancher stieg erst im Alter von hundert Jahren in die Grube, der seit seiner Geburt wie todt war. Besser wäre es für ihn gewesen, er wäre in früher Jugend gestorben und hätte wenigstens bis zum Eintritt seines Todes gelebt.

Unsre ganze Weisheit besteht darin, daß wir uns von sclavischen Vorurtheilen leiten lassen; alle unsere Gewohnheiten legen uns nur Zwang, Beschränkung und Fesseln auf. Jeder Bürgerliche wird in der Knechtschaft geboren, lebt und stirbt darin: bei seiner Geburt schnürt man ihn in ein Wickelband; bei seinem Tode sperrt man ihn in einen Sarg; so lange er die menschliche Gestalt bewahrt, ist und bleibt er durch unsere Einrichtungen gefesselt. Man erzählt sich, daß sich manche Hebammen nicht scheuen, dem Kopfe der neugeborenen Kinder durch Zusammenpressen eine angemessenere Form zu geben: und man gestattet es! Unsere Köpfe sollten so, wie sie aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sind, nichts taugen! Man müßte sie äußerlich erst durch die Hebammen und innerlich durch die Philosophen modeln! Die Caraiben sind um die Hälfte glücklicher als wir.

»Kaum hat das Kind den Schooß der Mutter verlassen und kaum genießt es die Freiheit seine Glieder zu bewegen und zu dehnen, so fesselt man es von Neuem. Man wickelt es in Windeln, man legt es mit unbeweglichem Kopfe und ausgestreckten Beinen hin, während die Aermchen an den Körper angedrückt sind; es wird in Linnen eingehüllt und in alle mögliche Wickelbänder eingeschnürt, daß es seine Lage nicht verändern kann. Noch glücklich, wenn man es nicht bis zu dem Grade zusammengeschnürt hat, daß es dadurch am Athemholen behindert ist, und wenn man die Vorsicht beobachtet hat, es auf die Seite zu legen, damit das aus dem Munde fließende Wasser von selbst hinabfließen kann, denn es würde nicht die freie Bewegung haben, den Kopf auf die Seite zu wenden, um das Ausfließen zu erleichtern.«14

Das neugeborene Kind hat das Bedürfniß seine Glieder auszustrecken und zu bewegen, um sie aus der Erstarrung zu reißen, in der sie sich, in einen Knäuel zusammengezogen, so lange befunden haben. Man streckt sie aus, das ist wahr, aber man verhindert sie, sich zu bewegen; sogar den Kopf steckt man in Kinderhäubchen: man scheint zu befürchten, daß es Lebenszeichen verrathen könne.

Auf diese Weise findet der Trieb der inneren Theile eines Körpers, welcher im Wachsthum begriffen ist, an den Bewegungen, welche er von demselben verlangt, ein unübersteigliches Hinderniß. Das Kind macht fortwährend vergebliche Anstrengungen, welche seine Kräfte erschöpfen oder ihre Zunahme aufhalten. Im Mutterschooße war es weniger beengt, eingeschränkt, zusammengepreßt als in seinen Windeln. Ich sehe den Vortheil nicht ein, den es durch seine Geburt gewonnen hat.

Die Unthätigkeit und der Zwang, worin man die Glieder eines Kindes erhält, haben den einzigen Erfolg, daß sie den Kreislauf des Blutes und der Säfte stören, die Kräftigung und das Wachsthum des Kindes hemmen und seine Gesundheit untergraben. In den Gegenden, wo dergleichen überspannte Vorsichtsmaßregeln nicht zur Anwendung kommen, sind die Menschen sämmtlich groß, stark und wohlgebildet.15 Die Länder, in denen man die Kinder einzuwickeln pflegt, wimmeln förmlich von Bucklichen, Hinkenden, Krummbeinigen, Skrophulösen, Verkrüppelten, kurzum von Mißgestalten jeglicher Art. Aus Furcht, die Körper durch freie Bewegung Verkrüppelungen auszusetzen, beeilt man sich, dieselben Verkrüppelungen durch Einschnürung und Zusammenpressung hervorzurufen. Lieber möchte man die Kinder gleich lähmen, um sie nur ja abzuhalten, selbst die Schuld an ihrer Verkrüppelung zu tragen.

Läßt sich nicht annehmen, daß ein so grausamer Zwang einen bedeutenden Einfluß auf ihr Gemüth, wie auf ihr Temperament ausüben muß? Ihre erste Empfindung ist eine schmerzliche und peinliche; selbst an den nöthigsten Bewegungen finden sie sich behindert; unglücklicher als ein in Fesseln liegender Verbrecher, machen sie vergebliche Anstrengungen, werden allmählich böse und schreien. Mit Thränen, sagt ihr, erblicken sie das Licht der Welt. Ich glaube es wol; von ihrer Geburt an tretet ihr der natürlichen Entwicklung derselben entgegen; Fesseln sind die ersten Gaben, die ihr in ihre Wiege legt; nur Qualen bereitet ihr ihnen mit der Sorge, die ihr für sie tragt. Sollten sie, da ihnen nur der freie Gebrauch ihrer Stimme übrig geblieben ist, sich derselben nicht bedienen, um ihre Klagen auszudrücken? Ihr klägliches Geschrei verkündet euch das Leid, das ihr ihnen zufügt. Wäret ihr in ähnlicher Weise geknebelt, dann würdet ihr fürwahr ein noch weit lauteres Geschrei erschallen lassen.

Woher stammt diese unvernünftige Sitte? Von einer unnatürlichen Mode. Seitdem die Mütter, ihrer ersten Pflicht uneingedenk, ihre Kinder nicht mehr selbst stillen wollten, mußte man sie Miethlingen, bezahlten Frauenzimmern überlassen, in denen selbstverständlich die Stimme der Natur den fremden Kindern gegenüber, zu deren Müttern man sie auf solche Weise bestellt, schwieg, und die daher nur darauf ausgingen, sich so viel Mühe wie möglich zu ersparen. Ein seiner Freiheit überlassenes Kind würde unaufhörliche Überwachung erheischen, ist es jedoch wohl eingebunden, so wirft man es in einen Winkel, ohne sich um sein Geschrei zu kümmern. Sind nur keine offenbaren Beweise für die Nachlässigkeit der Amme vorhanden, bricht sich nur der Säugling nicht Arme und Beine, was kommt dann im Uebrigen darauf an, ob er umkommt oder sich siech und elend durchs Leben schleppt? Zum Unheil seines ganzen Körpers schützt man seine Gliedmaßen, und was auch immer geschehen mag, die Amme steht völlig schuldlos da.

Wissen jedoch diese liebenswürdigen Mütter, welche sich, der Last der Kindererziehung überhoben, fröhlich den Vergnügungen des Stadtlebens hingeben, wissen sie wol, welcher Behandlung das Kind in seinem Steckkissen auf dem Lande ausgesetzt ist? Bei der geringsten Abhaltung hängt die Amme es wie einen Bündel Flicken an einen Nagel, und so lange dieselbe, ohne sich zu überstürzen, ihr Geschäft besorgt, so lange muß das unglückliche Wesen in dieser qualvollen Lage ausharren. Alle, die man in diesem Zustande traf, hatten ein dunkelrothes Gesicht; da die stark zusammengepreßte Brust die nöthige Circulation des Blutes nicht zuließ, stieg es nach dem Kopfe. Wenn man das arme gemißhandelte Kind für sehr ruhig hielt, so lag das allein daran, daß es nicht mehr Kraft zu schreien hatte. Mir ist unbekannt, wie viel Stunden ein Kind, ohne zu sterben, in diesem Zustande zu bleiben vermag, aber ich bezweifle, daß es lange geschehen kann. Darin liegt, sollte ich meinen, einer der größten Vortheile des Einschnürens.

Man behauptet, die ihrer Freiheit überlassenen Kinder könnten ihnen schädliche Lagen einnehmen und unwillkürlich Bewegungen machen, die die Kraft und schöne Form ihrer Glieder zu gefährden im Stande wären. Das sind nichts wie hohle Redensarten unserer heutigen Afterweisheit, welche noch nie in der Erfahrung ihre Bestätigung gefunden haben. Unter jener Menge von Kindern, welche bei Völkern, die sich rühmen können verständiger als wir zu handeln, in dem freien Gebrauche ihrer Glieder aufgezogen werden, sieht man kein einziges, welches sich Schaden thäte oder durch eigene Schuld verkrüppelte; bei ihrer zarten Jugend fehlt es ihren Bewegungen noch an jener Kraft, die sie allein gefährlich machen könnte, und nehmen sie auch auf kurze Zeit eine unnatürliche Lage ein, so zwingt sie doch der Schmerz, dieselbe bald wieder zu ändern.

Wir sind noch nie auf den Einfall gerathen, die jungen Hunde oder Katzen in ein Stechkissen einzuschnüren: zeigt sich aber wol, daß diese Vernachlässigung irgend einen Nachtheil für sie herbeiführt? Die Kinder sind schwerfälliger, das stelle ich nicht in Abrede; dafür sind sie aber auch verhältnißmäßig schwächer. Sie vermögen sich ja kaum zu rühren, wie sollten sie sich also Schaden zufügen können? Legte man sie auf den Rücken, so würden sie, außer Stande sich umzuwenden, in dieser Lage wie die Schildkröte sterben müssen.

Aber noch nicht zufrieden damit, daß sie ihre Kinder nicht mehr stillen, gehen die Frauen in ihren Wünschen sogar so weit, gar keine Kinder mehr zu bekommen: die Folge davon ist nur zu natürlich. Sind der Mutter ihre Pflichten erst lästig, dann findet man auch bald Mittel, sie gänzlich von sich abzuschütteln. Man wünscht seine eheliche Pflicht so zu erfüllen, daß man keine Frucht zu befürchten braucht, um sich beständig dem Genusse hingeben zu können, und mißbraucht den zur Vermehrung des Geschlechts eingepflanzten Trieb. Diese Unsitte, an welche sich noch andere Ursachen der Entvölkerung reihen, deutet uns das Schicksal an, welches Europa bevorsteht. Die Wissenschaften, die Künste, die Philosophie und die Sitten, welche es hervorruft und erzeugt, werden es früher oder später in eine Wüste verwandeln. Es wird von wilden Thieren bewohnt werden: der Unterschied hinsichtlich seiner Bevölkerung wird nicht sehr in die Augen fallen.

Zu wiederholten Malen habe ich Gelegenheit gehabt die kleinen Kunstgriffe junger Frauen zu beobachten, welche sich stellen, als ob sie ihre Kinder selbst stillen wollen. Sie verstehen es so vortrefflich einzurichten, daß sie nur dem Zwange nachzugeben scheinen, wenn sie von ihrem Vorhaben abstehen; unendlich fein wissen sie es so zu drehen, daß die Gatten, die Aerzte, besonders aber die Mütter, Einspruch dagegen erheben müssen. Wehe dem Manne, der es wagen sollte zu gestatten, daß seine Frau ihr Kind selbst stillte; er wäre ein verlorener Mann! Man würde ihn überall als einen Mörder verschreien, der sie aus dem Wege räumen wolle. Kluge Gatten, ihr müßt die väterliche Liebe dem Frieden zum Opfer bringen. Ein glücklicher Umstand ist es, daß man auf dem Lande doch Frauen findet, die enthaltsamer als die eurigen sind. Ein noch glücklicherer Umstand würde es für euch sein, wenn eure Frauen die Zeit, welche sie dadurch gewinnen, nicht mit Anderen vertändeln.

Die Pflicht der Frauen ihren Kindern gegenüber ist keinem Zweifel unterworfen; weil sie sich derselben jedoch entziehen, so läßt sich die Frage auswerfen, ob es für die Kinder einerlei sei, von der mütterlichen Milch oder der einer anderen Frau genährt zu werden. Da die Entscheidung über diese Frage einzig und allein den Aerzten16 zukömmt, halte ich sie für endgiltig und offenbar zu Gunsten der Frauen entschieden. Auch meiner Ueberzeugung nach ist es unbestritten besser, daß das Kind die Milch einer gesunden Amme, als die einer verdorbenen Mutter trinkt, sobald sich nur irgend wie die Entstehung eines neuen Uebels aus dem Blute, dem es sein Dasein zu verdanken hat, befürchten ließe.

Soll denn aber diese Frage nur von der physischen Seite aus betrachtet werden? Und bedarf denn das Kind weniger der treuen Pflege einer Mutter als ihrer Brust? Andere Frauen, Thiere sogar, werden ihm die Milch, welche sie ihm entzieht, geben können, für die mütterliche Sorgfalt findet sich jedoch kein Ersatz. Wer ein fremdes Kind statt seines eigenen nährt, kann nur eine schlechte Mutter sein; wie sollte eine solche nun eine gute Amme sein? Sie wird es werden können, aber freilich nur langsam; die Gewohnheit wird allmählich die Natur verändern müssen, und das schlecht gepflegte Kind wird hundertmal umkommen können, ehe seine Amme die Zärtlichkeit einer Mutter für dasselbe empfindet.

Aber sogar wenn diese günstige Wendung endlich eintritt, dient sie nur zur Quelle eines neuen Uebelstandes, der allein schon jeder fühlenden Frau den Muth rauben sollte, ihr Kind von einer andern säugen zu lassen, der nämlich, daß sie das heilige Mutterrecht theilen oder vielmehr ganz auf dasselbe verzichten muß, mit ansehen muß, wie ihr Kind eine fremde Frau eben so sehr oder gar noch mehr liebt als sie; empfinden muß, daß die Zärtlichkeit, welche es seiner eigenen Mutter bewahrt hat, nur eine Art Gnade ist, während die, welche es seiner Pflegemutter erzeigt, mehr den Charakter einer schuldigen Dankbarkeit an sich trägt: denn schulde ich, wo ich mütterliche Sorgfalt erfahren habe, nicht kindliche Anhänglichkeit?

In eigentümlicher Weise sucht man diesem Uebelstande abzuhelfen; man flößt nämlich den Kindern Geringschätzung gegen ihre Ammen ein, indem man dieselben auf die Stufe gewöhnlicher Mägde herabdrückt. Wenn die Dienste der Amme nicht mehr erforderlich sind, so entzieht man das Kind ihrer Pflege oder verabschiedet sie. Man nimmt sie schlecht auf, um sie von einem öfteren Besuche ihres Säuglings zurückzuschrecken. Nach Verlauf weniger Jahre sieht er sie nicht mehr, kennt er sie nicht mehr. Die Mutter, welche glaubt, den Platz derselben im Herzen des Kindes einnehmen zu können und sich einbildet ihre frühere Vernachlässigung durch ihre Grausamkeit wieder gut zu machen, gibt sich einer Täuschung hin. Anstatt einen verdorbenen Säugling in ein zärtliches Kind zu verwandeln, übt sie ihn vielmehr in der Undankbarkeit; sie hat ihm ein Beispiel gegeben, woraus er lernen wird, dereinst diejenige, welche ihm das Leben gab, mit derselben Geringschätzung zu behandeln, wie diejenige, die ihn mit ihrer Milch genährt hat.

Gern würde ich bei diesem Punkte noch länger verweilen, wenn es nur nicht so entmuthigend wäre, nützliche Gedanken immer und immer vergeblich zu wiederholen. Weit mehr, als man denkt, steht damit im engsten Zusammenhange. Wollt ihr, daß Jedermann wieder seiner ersten und heiligsten Pflicht eingedenk sei, nun dann beginnt bei den Müttern; ihr werdet über die Veränderungen erstaunen, welche ihr damit bewirkt. Aus dieser ersten Verderbniß ist nach und nach alles übrige Unheil hervorgegangen: alle sittliche Ordnung leidet darunter; die Natürlichkeit erlischt in Aller Herzen, das Innere der Häuser verliert an Leben, das ergreifende Schauspiel einer heranwachsenden Familie vermag keine Anziehung mehr auf die Männer auszuüben, flößt den Fremden keine Achtung ein; man erweist der Mutter, deren Kinder man nicht sieht, weniger Rücksicht. Das innige Familienleben lockert sich; die Gewohnheit verstärkt die Bande des Blutes nicht mehr; es gibt keine Väter, keine Mütter, keine Kinder, keine Brüder, keine Schwestern mehr; kaum kennen sich alle untereinander, wie sollten sie sich also lieben? Jeder denkt nur an sich. Wenn das Haus nur eine traurige Einöde ist, dann muß man seinen Vergnügungen wol außerhalb desselben nachgehen.

Wenn sich jedoch die Mütter dazu verstehen, ihre Kinder selbst zu nähren, so werden sich die Sitten von selbst bessern, werden die natürlichen Gefühle in Aller Herzen wieder erwachen; der Staat wird sich wieder bevölkern; schon diese erste Folge, diese Folge allein, wird Alles wieder vereinigen. Der Reiz des Familienlebens ist das beste Gegengift gegen den Verfall der Sitten. Der fröhliche Lärm der Kinder, den man für störend und lästig hält, wird mit der Zeit angenehm; er macht Vater und Mutter einander unentbehrlicher, einander lieber; er knüpft das eheliche Band, das sie vereinigt, enger und fester. Wenn ein Geist gegenseitiger inniger und lebhafter Zuneigung die Familienglieder aneinander kettet, dann bilden die häuslichen Sorgen die liebste Beschäftigung der Frau und den angenehmsten Zeitvertreib des Mannes. Auf diese Weise würde schon die Beseitigung dieses einzigen Fehlers bald eine allgemeine Besserung herbeiführen, würde die Natur bald wieder in alle ihre Rechte eintreten. Mögen die Frauen nur erst wieder Mütter werden, dann werden die Männer auch bald wieder Väter und Gatten sein.

Aber leider sind das verlorene und überflüssige Worte! Nicht einmal der Ueberdruß an den weltlichen Vergnügungen führt zu den geschilderten Freuden zurück. Die Frauen haben aufgehört Mütter zu sein und werden es nie wieder werden, weil sie es nicht mehr sein wollen. Schon wenn sie es wollten, würden sie es kaum im Stande sein. Da heute zu Tage einmal die grade entgegengesetzte Sitte die Oberhand gewonnen hat, würde jede, die den Versuch wagte, den Widerspruch aller derer zu bekämpfen haben, mit denen sie in Berührung kommt, sind sie doch Alle gegen ein Beispiel verbündet, das die Einen nicht gegeben haben und die Andern nicht befolgen wollen.

Gleichwol finden sich bisweilen noch junge Frauen von unverdorbener Natur, die in diesem Punkte der Herrschaft der Mode und dem Geschrei ihres Geschlechts zu trotzen wagen und mit tugendhafter Unerschrockenheit diese so süße Pflicht erfüllen, die ihnen die Natur auferlegt. Wären doch die verlockenden Güter, die denen zu Theil werden, welche sich dieser Pflicht hingeben, im Stande ihre Zahl zu vermehren! Unter Hinweis auf Schlußfolgerungen, die sich schon aus dem geringsten Nachdenken ergeben, und auf Beobachtungen, deren Nichtigkeit mir bisher Niemand hat in Abrede stellen können, wage ich es, diesen ihren Mutterberuf so treu erfüllenden Frauen eine aufrichtige und beharrliche Zuneigung ihrer Männer, eine wahrhaft kindliche Zärtlichkeit ihrer Söhne und Töchter, die allgemeine Hochachtung und Wertschätzung, glückliche Niederkünfte ohne Unfälle und Folgen, eine feste und kräftige Gesundheit und endlich das Glück zu verheißen, sich dereinst von ihren eigenen Töchtern nachgeahmt und als Vorbild für die anderer Eltern hingestellt zu sehen.

Keine Mutter, kein Kind! Zwischen ihnen sind die Pflichten gegenseitig, und werden sie von der einen Seite schlecht erfüllt, so werden sie auch von der anderen vernachlässigt. Das Kind muß seine Mutter lieben, noch ehe es weiß, daß ihm dies die Pflicht gebietet. Wird die Stimme des Blutes nicht durch Gewährung und treue Abwartung gestärkt und gesteigert, so erlischt sie schon in den frühesten Jahren, und das Herz stirbt, so zu sagen, noch ehe es geboren wird. Schon von den ersten Schritten an sagen wir uns von der Natur los.

Zu demselben Resultate gelangen wir jedoch auch auf dem entgegengesetzten Wege, dann nämlich, wenn eine Frau ihre Muttersorgen, anstatt sie zu vernachlässigen, übertreibt, wenn sie ihr Kind vergöttert, wenn sie seine Schwäche vermehrt und nährt, um es nicht zum Gefühle derselben gelangen zu lassen, und wenn sie in der Hoffnung es den Naturgesetzen entziehen zu können, alle schmerzlichen Berührungen von ihm fern hält, ohne zu bedenken, daß sie dasselbe grade dadurch, daß sie es für den Augenblick vor geringem Ungemach behütet, für die Zukunft nur um so größeren Unfällen und Gefahren aussetzt, und wie barbarisch eine Vorsicht ist, die nur den Erfolg haben kann, ihm auch unter den Mühen und Arbeiten, die das Mannesalter erheischt, die Schwäche des Kindesalters zu erhalten. Thetis tauchte, nach der Sage, ihren Sohn, um ihn unverwundbar zu machen, in die Fluten des Styx. Diese Allegorie ist schön und deutlich. Die grausamen Mütter, von denen ich rede, handeln anders: dadurch daß sie ihre Kinder in die Weichlichkeit eintauchen, härten sie sie nicht gegen die Leiden ab, sondern machen sie erst recht empfänglich für dieselben, öffnen ihre Poren allerlei Uebeln, denen sie sicherlich als Erwachsene zum Opfer fallen werden.17

Die erste Regel ist, die Natur zu beobachten und dem Wege zu folgen, den sie vorzeichnet. Sie übt stetig und ununterbrochen die Kinder; sie härtet ihren Körper durch die mannigfaltigsten Prüfungen ab; sie macht sie schon früh mit Schmerzen und Beschwerden vertraut. Das Zahnen setzt sie fieberhaften Erscheinungen aus, heftiges Leibschneiden ruft bei ihnen krampfartige Zufälle hervor, anhaltender Husten droht sie zu ersticken; die Würmer quälen sie; Vollblütigkeit verdirbt ihre Säfte, Magensäure belästigt sie und ruft gefährlichen Ausschlag hervor. Fast das ganze erste Lebensalter ist eine Reihe von Krankheiten und Gefahren; die Hälfte aller Kinder, die geboren werden, stirbt noch vor dem achten Lebensjahre. Im Kampfe mit diesen Prüfungen gewinnt aber das Kind Kräfte, und versteht es erst einmal das Leben richtig anzuwenden, so wird auch der Lebensgrund fester und gesicherter.

So lautet die einfache Regel der Natur. Warum handelt ihr derselben zuwider? Begreift ihr nicht, daß ihr in dem vergeblichen Wahne, sie zu verbessern, ihr Werk zerstört, daß ihr den Erfolg ihrer Bestrebungen vereitelt? Auch äußerlich das thun, was sie innerlich thut, haltet ihr für eine Verdoppelung der Gefahr, und doch ist es gerade im Gegentheil eine Ablenkung, eine Abschwächung derselben. Die Erfahrung lehrt, daß von den verzärtelten Kindern eine ungleich größere Anzahl stirbt als von den übrigen. Wenn man nur nicht über das Maaß ihrer Kräfte hinausgeht, so läuft man bei entsprechender Anstrengung derselben weniger Gefahr als bei übertriebener Schonung. Uebt sie also mit Rücksicht auf die Schicksalsschläge, welche sie einst zu ertragen haben werden. Härtet ihre Körper gegen die Rauheit der Jahreszeiten, der Klimate, der Elemente, gegen Hunger, Durst und Strapazen ab; tauchet sie in die Fluten des Styx. Vor Annahme einer andern festen Gewohnheit kann man den Körper gefahrlos an das, was man wünscht und bezweckt, gewöhnen; hat sich jedoch erst eine gewisse Festigkeit herausgebildet, dann ist jeder Wechsel, jede Veränderung mit Gefahren verknüpft. Ein Kind vermag Veränderungen zu ertragen, die ein Mann nicht ertragen könnte: die noch weichen und geschmeidigen Fibern des Erstern nehmen ohne große Mühe jede beliebige Biegung an, die des Mannes dagegen verändern, da sie steifer geworden sind, nur noch mit Anwendung von Gewalt die einmal angenommene Richtung. Man kann deshalb wol ein Kind abhärten und stark machen, ohne sein Leben und seine Gesundheit auf das Spiel zu setzen, und selbst wenn eine Gefahr mit unterlaufen sollte, so dürfte man nicht den geringsten Anstand nehmen. Da es nun einmal dem menschlichen Leben unauflöslich anhaftende Gefahren sind, kann man da wol besser thun, als sie grade der Lebensperiode vorzubehalten, wo sie am wenigsten schädlich sind?

Je älter das Kind, desto kostbarer wird sein Leben. Zu dem Werthe seiner eigenen Persönlichkeit tritt noch der der Sorgen und Pflege, die es gekostet hat, hinzu. Ein je größerer Theil seines Lebens schon verstrichen ist, desto lebhafter erwacht in ihm das Todesgefühl. Der Gedanke an die Zukunft des Kindes muß demnach bei der Sorge für seine irdische Erhaltung hauptsächlich vorherrschend sein, man muß, ehe es so weit gelangt ist, dasselbe gegen die Uebel der Jugend waffnen; denn wenn sich der Werth des Lebens bis zu dem Alter erhöht, wo man dasselbe nutzbar zu machen versteht, welche Thorheit ist es dann nicht, der Kindheit einige Uebel zu ersparen, da man sie im Alter der Vernunft dadurch vermehrt? Sind das die Lehren des Meisters?

Das Loos der Menschheit bringt es nun einmal mit sich, daß uns jede Lebenszeit Leiden auferlegt. Sogar die Sorge für die bloße Erhaltung ist mit Mühseligkeiten verbunden. Von Glück hat zu sagen, wer in seiner Jugend nur die physischen Uebel kennen lernt, Uebel, die weit weniger qualvoll sind, weit weniger schmerzen als die übrigen, und auch weit seltner uns zum Lebensüberdruß treiben. Nicht um den Schmerzen der Gicht zu entfliehen, tödtet man sich; schwerlich vermögen andere als Seelenleiden uns zur Verzweiflung zu bringen. Wir beklagen das Loos der Kindheit und sollten eher unser eigenes beklagen. Unser größtes Uebel bereiten wir uns selbst.

Mit Weinen tritt das Kind in die Welt; unter Weinen verfließt seine erste Kindheit. Bald wiegt, bald liebkost man es, um es zum Schweigen zu bringen. Entweder thun wir ihm den Willen, oder wir verlangen, daß es uns den Willen thut; entweder unterwerfen wir uns seinen Launen oder wir unterwerfen es den unsrigen; einen Mittelweg scheint man nicht zu kennen; es muß Befehle ertheilen oder annehmen. Auf diese Weise eignet es sich zuerst die Begriffe von Herrschaft und Knechtschaft an. Noch ehe es sprechen kann, gebietet es schon; ehe es handelnd auftreten kann, gehorcht es, ja bisweilen züchtigt man es, noch ehe es seinen Fehler einzusehen, oder vielmehr, ehe es solche zu begehen im Stande ist. Dadurch flößt man seinem jungen Herzen schon frühzeitig Leidenschaften ein, die man nachher der Natur zur Last legt, und nachdem man sich förmlich Mühe gegeben hat, das Kind unartig zu machen, beschwert man sich darüber es so zu finden.

In dieser Weise bringt ein Kind sechs oder sieben Jahre unter den Händen der Frauen zu, ein Opfer ihrer und seiner eigenen Launenhaftigkeit, und nachdem man ihm dies und das beigebracht hat, das heißt nachdem man sein Gedächtniß mit Worten, die ihm unverständlich geblieben sind, oder mit allerlei nichtsnutzigen Dingen, überladen, nachdem man sein natürliches Wesen durch Leidenschaften, die man künstlich in ihm geweckt und genährt, völlig erstickt hat, überläßt man dies Kunstproduct einer verschrobenen Erziehung den Händen eines Lehrers, der sich alle Mühe gibt die vorgefundenen künstlichen Keime zu entwickeln und auszubilden, der es Alles lehrt, nur nicht sich selbst zu erkennen, nur nicht seiner selbst Herr zu sein, nur nicht die Kunst zu leben und sich glücklich zu machen. Wenn nun endlich dieses Kind, Sklave und Tyrann in einer Person, voller Wissen und doch verstandesschwach, eben so kraftlos an Körper wie an Geist, in die Welt hinausgeschleudert wird, wenn es in derselben seine Verschrobenheit, seinen Stolz und alle seine Fehler offen zur Schau trägt, so erfüllt uns ein solcher Anblick mit aufrichtiger Trauer über das menschliche Elend und die menschliche Verkehrtheit. Aber man täuscht sich: das ist lediglich der Mensch unserer Einbildung; der Mensch, wie er aus der Hand der Natur hervorgegangen ist, zeigt uns ein anderes Bild.

Verlangt ihr nun, daß er seine ursprüngliche Form bewahre, so erhaltet sie gleich von dem Augenblicke an, wo er zur Welt kommt. Unmittelbar nach der Geburt müßt ihr euch seiner bemächtigen, und verzichtet ja auf seine Erziehung nicht, bevor er erwachsen ist. Wie die Mutter die eigentliche Amme ist, so ist der Vater der eigentliche Lehrer. Sie müssen in Bezug auf das Ineinandergreifen ihrer Thätigkeiten, so wie in Bezug auf das zu befolgende System in völligem Einverständnis sein; aus den Händen des Einen muß das Kind in die des Andern übergehen. Es wird von einem vernünftigen, wenn auch, was die Kenntnisse anlangt, etwas beschränkten Vater besser als von dem geschicktesten Lehrer der Welt erzogen werden, denn der Eifer wird das Talent eher als das Talent den Eifer ersetzen.

Allein die leidigen Geschäfte, die amtlichen Obliegenheiten, die Pflichten – – – Ach, die Pflichten! Die Vaterpflicht ist also gewiß die allerletzte?18

Es setzt uns durchaus nicht in Erstaunen, daß ein Mann, dessen Frau es verschmäht hat, die Frucht ihrer Vereinigung zu nähren, es nun auch seinerseits verschmäht, dieselbe zu erziehen. Es gibt kein fesselnderes Bild als das der Familie; aber ein einziger häßlicher Zug entstellt alle übrigen. Wenn die Mutter sich mit Rücksicht auf ihre wankende Gesundheit außer Stande fühlt, ihren Kindern die Brust zu geben, so wird den Vater die Ueberlast von Geschäften abhalten, ihr Lehrer zu sein. Die Kinder, aus der Heimath entfernt, in Erziehungsanstalten, in Klöstern, in Schulen untergebracht, werden die Liebe zum väterlichen Hause auf Andere übertragen oder, um mich richtiger auszudrücken, ohne eine Spur von Anhänglichkeit und Zuneigung für irgend Jemand zurückkehren. Brüder und Schwestern werden sich kaum kennen. Bei besonderen feierlichen Zusammenkünften werden sie sich zwar mit ausgesuchtester Höflichkeit entgegenkommen, aber sich doch fremd gegenüberstehen. Sobald zwischen den Eltern keine aufrichtige Zuneigung mehr besteht, sobald der Familienkreis nicht mehr die Würze des Lebens ausmacht, muß man wol in lockren Sitten seinen Ersatz suchen. So geistesschwach ist gewiß Niemand, daß er nicht den logischen Zusammenhang aller dieser Uebelstände einsehen sollte!

Durch Zeugung und Ernährung seiner Kinder kommt ein Vater nur dem dritten Theile der an ihn herantretenden Pflichten nach. Seinem Geschlechte schuldet er Menschen, der Gesellschaft schuldet er gesellige und umgängliche Menschen, dem Staate schuldet er Bürger. Wer diese dreifache Schuld abzutragen vermag und es nicht thut, macht sich schuldig und noch schuldiger vielleicht, wenn er sie nur zur Hälfte abträgt. Wer die Pflichten eines Vaters nicht zu erfüllen vermag, hat auch kein Recht es zu sein. Keine Armuth, keine Arbeit, keine menschliche Rücksicht irgend welcher Art kann ihn davon lossprechen, seine Kinder zu ernähren und sie selbst zu erziehen. Schenket mir Glauben, liebe Leser! Ich sage es einem Jeden, der noch Gefühl hat und so heilige Pflichten verabsäumt, voraus, daß er seine Fehler lange bitterlich wird beweinen müssen, ohne je Trost zu finden.19

Was thut nun aber dieser reiche Mann, dieser so mit Geschäften überladene Familienvater, daß er sich, wie er überall vorgibt, leider abgehalten sieht, seinen Kindern seine volle Fürsorge zu widmen? Er bezahlt einen andern Mann, um die Pflichten, die ihm selbst zu beschwerlich sind, zu übernehmen. Feile Seele! Bildest du dir ein, deinem Sohne für Geld einen zweiten Vater geben zu können? Täusche dich nicht; nicht einmal einen Lehrer gibst du ihm auf diese Weise, es ist nur ein Knecht. Bald wird er einen zweiten aus ihm machen.

Man spricht viel über die Eigenschaften eines guten Erziehers. Als die erste und vornehmlichste, welche allein schon die Voraussetzung vieler andrer ist, würde ich verlangen, daß er kein bloßer Miethling ist. Es gibt Berufsarten, die so edel sind, daß man sich, wenn man sie zum Lohnerwerb herabwürdigt, ihrer unwerth macht: ein solcher ist der Beruf des Vaterlandsvertheidigers und eben so der des Erziehers. – Wer soll also mein Kind erziehen? – Ich habe es dir schon gesagt, du selbst. – Ich kann es nicht! – Du kannst es nicht! Nun, so suche dir einen Freund zu erwerben; ich wüßte sonst nicht, wie dir zu helfen ist.

Ein Erzieher! O welch eine erhabene Seele! Fürwahr, um einen Menschen zu bilden, muß man entweder Vater oder mehr als ein Mann sein. Und ein solches Amt vertrauet ihr ruhig Miethlingen an!

Je mehr man darüber nachdenkt, auf desto mehr neue Schwierigkeiten stößt man. Der Erzieher hätte für seinen Zögling, die Diener hätten für ihren Herrn erzogen werden müssen, Alle, die ihm nahe kommen, hätten die Eindrücke, welche sie ihm mittheilen sollen, empfangen müssen. Von Erziehung zu Erziehung müßte man bis zu den frühesten Uranfängen zurückgehen. Wie ist es möglich, daß ein Kind von Jemandem gut erzogen wird, der selbst nicht gut erzogen ist?

Sollte sich ein solcher seltener Sterblicher nicht auffinden lassen? Ich weiß es nicht. Wer will sich vermessen zu bestimmen, bis zu welcher Höhe der Tugend sich selbst in dieser Zeit der Erniedrigung eine menschliche Seele emporzuschwingen vermag? Allein nehmen wir einmal an, dieser Wundermann sei entdeckt. Bei der Erwägung und Feststellung seiner Obliegenheiten werden wir einsehen, was er sein soll. Im Voraus halte ich es für selbstverständlich, daß ein Vater, der den ganzen Werth eines guten Erziehers zu schätzen wüßte, sich dazu entschließen würde, auf einen solchen zu verzichten; denn er würde mehr Zeit und Mühe daran setzen müssen, ihn sich zu verschaffen als selbst einer zu werden. Will er sich deshalb nach einem Freunde umsehen, so möge er lieber seinen Sohn dazu erziehen; dann ist er der Mühe überhoben, ihn anderwärts zu suchen, und die Natur hat schon die Hälfte des Werkes ausgerichtet.

Jemand, von dem mir nichts weiter als sein Rang bekannt ist, hat mir die Erziehung seines Sohnes anvertrauen wollen. Unstreitig hat er mir dadurch eine große Ehre erwiesen; allein anstatt sich über meinen ablehnenden Bescheid zu beschweren, hat er vielmehr alle Ursache mir über die gehegten Bedenken seine volle Zufriedenheit zu erkennen zu geben. Hätte ich sein Anerbieten angenommen und meine Methode hätte sich als irrthümlich herausgestellt, so wäre meine Erziehung mißlungen gewesen; hatte ich dagegen glückliche Resultate erzielt, so wäre es noch schlimmer gewesen. Sein Sohn hätte auf seine Titel verzichtet, er hätte nicht mehr Prinz sein wollen.

Ich bin von der Größe der Pflichten eines Erziehers zu sehr durchdrungen und fühle meine Unfähigkeit in zu hohem Grade, um je ein solches Amt anzunehmen, von welcher Seite es mir auch immer angetragen werden möge, und selbst das Interesse der Freundschaft würde für mich nur ein neuer Beweggrund der Ablehnung sein. Ich bin überzeugt, daß sich nach Lectüre dieses Buches nur Wenige versucht fühlen werden, mir ein solches Anerbieten zu machen, und ich bitte diejenigen, welche sich etwa doch dazu verstehen könnten, sich keine vergebliche Mühe zu geben. Der Versuch, den ich in früherer Zeit mit der Erziehungskunst gemacht, hat mir den genügenden Beweis geliefert, daß ich mich nicht für dieselben eigne, und meine äußere Lage würde mir die Ausübung desselben auch dann unmöglich machen, wenn es mir an der nöthigen Befähigung nicht gebräche. Diese öffentliche Erklärung glaubte ich denen schuldig zu sein, welche eine zu geringe Meinung von mir zu liegen scheinen, um mich für aufrichtig und fester Entschlüsse fähig zu halten.

Außer Staude die schwerere Aufgabe zu lösen, will ich mich wenigstens an die leichtere heranwagen; nach dem Beispiele so vieler Anderer will ich nicht die Hand ans Werk legen, sondern an die Feder, und anstatt das Erforderliche zu thun, will ich mich es zu sagen bemühen.

Ich weiß recht wohl, daß die Verfasser bei ähnlichen Unternehmungen in ihren Systemen, mit deren praktischer Ausführung sie sich nicht zu befassen brauchen, mit der größten Seelenruhe und in der oberflächlichsten Weise viel prächtig klingende, aber ganz unpraktische Vorschriften zu machen pflegen, und daß, weil sie es an der Besprechung der Einzelheiten und an den nöthigen Beispielen fehlen lassen, selbst das Ausführbare so lange ohne Nutzen bleibt, bis sie die Ausführbarkeit gezeigt haben.

Um mich nun nicht ähnlichen Vorwürfen auszusetzen, bin ich auf den Ausweg verfallen, mir einen imaginären Zögling zu geben, mich selbst mit dem Alter, der Gesundheit, den Kenntnissen und allen Fähigkeiten ausgerüstet zu denken, die dazu gehören seine Erziehung zu leiten, und endlich dieselbe von seiner Geburt an bis zu dem Augenblicke fortzuführen, wo er, in der Vollkraft seines Mannesalters, im Stand ist ohne fremde Führung durch das Leben zu schreiten. Diese Methode halte ich für ganz besonders geeignet, einen Schriftsteller, der seiner selber nicht ganz sicher ist, davon zurückzuhalten, sich in utopistische Träumereien zu verlieren; denn sobald er von der herkömmlichen Erziehungsweise abweicht, braucht er nur die seinige an seinem Zöglinge der Probe zu unterwerfen. Dann wird er, oder der Leser statt seiner, bald herausfühlen, ob er der stetigen Entwickelung der Kindheit und dem natürlichen Gange des menschlichen Herzens folgt.

Und das zu thun bin ich unter allen Schwierigkeiten, die sich mir entgegenstellten, aufrichtig bestrebt gewesen. Um mein Buch nicht unnützerweise noch umfangreicher zu machen, habe ich mich damit begnügt, diejenigen Grundsätze aufzustellen, deren Wahrheit unanfechtbar ist. Was dagegen die Regeln anlangt, die noch erst des Beweises bedürfen, so habe ich sie alle auf meinen Emil oder auf andere Beispiele angewandt und die Ausführbarkeit meiner Behauptungen an Einzelheiten weitläufig nachgewiesen. Diesen Plan habe ich mich wenigstens inne zu halten bemüht, in wie weit es mir gelungen ist, möge der Leser selbst beurtheilen.

Der Grund, weshalb ich anfangs wenig von Emil gesprochen habe, liegt darin, daß meine Hauptgrundsätze der Erziehung, in so schroffem Gegensatze sie auch zu den jetzt giltigen stehen, so klar überzeugend sind, daß ihnen schwerlich ein vernünftiger Mensch seine Zustimmung wird versagen können. Allein je weiter mein Werk fortschreitet, desto unähnlicher wird mein Zögling, der ja ganz anders als die einigen geleitet ist, einem gewöhnlichen Kinde: er bedarf einer ganz besonderen, nur für ihn bestimmten Leitung. Fortan erscheint er aber häufiger auf dem Schauplatze und zuletzt verliere ich ihn auch nicht einen einzigen Augenblick aus dem Gesicht, bis er schließlich, was er auch dazu sagen möge, meiner nicht im Geringsten mehr bedarf.

Ich will hier nicht von den Eigenschaften eines guten Erziehers reden: ich setze sie stillschweigend voraus, so wie, daß ich mich ihres Besitzes zu erfreuen habe. Der Leser dieses Werkes wird sehen, mit welcher Freigebigkeit ich mich bedacht habe.

Der allgemeinen Ansicht entgegen will ich mir nur die