Emotionen bei der Arbeit - Rolf Haubl - E-Book

Emotionen bei der Arbeit E-Book

Rolf Haubl

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Beschreibung

Wir alle gehören gleichzeitig mehreren Organisationen an, in denen wir aufgabenspezifische Rollen übernehmen, die wir gestalten und die nicht konfliktfrei zueinander passen. Organisationen werden gegründet, um existenzielle gesellschaftliche Probleme so gut wie möglich zu lösen. Um Lösungswege zu optimieren, benötigen Organisationen ihrerseits Beratung. Für diesen Bedarf haben sich verschiedene professionelle Beratungsformate entwickelt, die helfen, die richtigen Fragen zu stellen, um weiterführende Antworten zu finden. Worin besteht die »primäre Aufgabe« einer bestimmten Organisation bzw. eines bestimmten Rollenträgers? Worin ihr »primäres Risiko«? Was gilt es zu tun, um das Risiko zu verringern und die Aufgabe zu erfüllen? Ist man sich überhaupt über die Situationsdefinition einig? Welcher Rollenträger benötigt welche Ressourcen, um seine primäre Aufgabe hinreichend gut zu erfüllen? Welche stehen ihm tatsächlich zur Verfügung? Welche der fehlenden kann er sich wie aneignen? Rolf Haubl gibt Antworten, in deren Fokus Emotionen als konstitutive Faktoren für das Handeln in Rollen stehen. Er lädt alle theoretisch und praktisch Interessierte dazu ein, sich über ihre Emotionen als Thema professioneller Selbstreflexion zu verständigen.

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BERATEN IN DER ARBEITSWELT

Herausgegeben von

Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

Rolf Haubl

Emotionen bei der Arbeit

Reflexionshilfen für Beratende

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Mushakesa/shutterstock.com

ISBN 978-3-647-90099-5

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage

www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

1Einleitung

2Sozio- und Psychodynamik in Organisationen

Selektion und Sozialisation

Gefahren für die Organisation

Regeln in Organisationen

Latenzschutz

3Rolle und Person

Mitgliedschaft in Organisationen

Rollen- und andere Konflikte

Eine Rolle übernehmen

4Emotionalität und Emotionen

Emotionen

Emotionsregulierung

Emotionsregeln

Perspektivenübernahme, empathische Grundhaltung und Authentizität

5Logik der Emotionen – Fallvignetten

Machtgefühl und gefühlte Ohnmacht

Angst, Furcht und Angstlust

Misstrauen

Neid

Gier und Geiz

Selbstwert und gefühlte Minderwertigkeit

Schamgefühl und Beschämung

Stolz, Hochmut und Arroganz

Langeweile

Schuld und Schuldgefühl

Ärger und Groll

Zorn und Empörung

Rache

Ekel und Verachtung

Enttäuschung

Traurigkeit und Trauer

6Die Emotionen der Beratenden

7Bücher zur Vertiefung

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe wendet sich an erfahrene Berater/-innen und Personalverantwortliche, die Beratung beauftragen, die Lust haben, scheinbar vertraute Positionen neu zu entdecken, neue Positionen kennenzulernen und die auch angeregt werden wollen, eigene zu beziehen. Wir denken aber auch an Kolleginnen und Kollegen in der Aus- und Weiterbildung, die neben dem Bedürfnis, sich Beratungsexpertise anzueignen, verfolgen wollen, was in der Community praktisch, theoretisch und diskursiv en vogue ist. Als weitere Zielgruppe haben wir mit dieser Reihe Beratungsforscher/-innen, die den Dialog mit einer theoretisch aufgeklärten Praxis und einer praxisaffinen Theorie verfolgen und mit gestalten wollen, im Blick.

Theoretische wie konzeptuelle Basics als auch aktuelle Trends werden pointiert, kompakt, aber auch kritisch und kontrovers dargestellt und besprochen. Komprimierende Darstellungen »verstreuten« Wissens als auch theoretische wie konzeptuelle Weiterentwicklungen von Beratungsansätzen sollen hier Platz haben. Die Bände wollen auf je rund 90 Seiten den Leserinnen und Lesern die Option eröffnen, sich mit den Themen intensiver vertraut zu machen als dies bei der Lektüre kleinerer Formate wie Zeitschriftenaufsätzen oder Hand- oder Lehrbuchartikeln möglich ist.

Die Autorinnen und Autoren der Reihe werden Themen bearbeiten, die sie aktuell selbst beschäftigen und umtreiben, die aber auch in der Beratungscommunity Virulenz haben und Aufmerksamkeit finden. So werden die Texte nicht einfach abgehangenes Beratungswissen nochmals offerieren und aufbereiten, sondern sich an den vordersten Linien aktueller und brisanter Themen und Fragestellungen von Beratung in der Arbeitswelt bewegen. Der gemeinsame Fokus liegt dabei auf einer handwerklich fundierten, theoretisch verankerten und gesellschaftlich verantwortlichen Beratung. Die Reihe versteht sich dabei als methoden- und Schulen übergreifend, in der nicht einzelne Positionen prämiert werden, sondern zu einem transdisziplinären und interprofessionellen Dialog in der Beratungsszene angeregt wird.

Wir laden Sie als Leserinnen und Leser dazu ein, sich von der Themenauswahl und der kompakten Qualität der Texte für Ihren Arbeitsalltag in den Feldern Supervision, Coaching und Organisationsberatung inspirieren zu lassen.

Stefan Busse, Rolf Haubl, Heidi Möller

1

Einleitung

Organisationen, inklusive Unternehmen, sind aus unser aller Leben nicht wegzudenken. Jeder von uns ist Mitglied irgendeiner Organisation. Mehr noch: Wir alle gehören immer gleichzeitig mehreren Organisationen an, in denen wir aufgabenspezifische Rollen übernehmen, die wir gestalten müssen, und die nicht immer konfliktfrei zueinanderpassen. Vielen Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben, begegnen wir als Rollenträger: wir ihnen und sie uns.

Organisationen werden gegründet, um existenzielle gesellschaftliche Probleme so gut wie möglich zu lösen. Um Lösungswege zu optimieren, benötigen Organisationen mitunter Beratung. Für diesen Bedarf haben sich verschiedene professionelle Beratungsformate entwickelt, die Organisationen helfen, die richtigen Fragen zu stellen, um weiterführende Antworten zu finden, Fragen wie z. B.:

–Worin besteht die »primäre Aufgabe« einer bestimmten Organisation bzw. eines bestimmten Rollenträgers?

–Was ist das »primäre Risiko« der primären Aufgabe?

–Was gilt es zu tun, um das Risiko zu verringern und die Aufgabe zu erfüllen?

–Ist man sich in der Organisation überhaupt über die Situationsdefinition einig?

Bilden die primäre Aufgabe und das primäre Risiko einen generellen Handlungsrahmen, so kommen Fragen nach den jeweils aktuellen Handlungsbedingungen hinzu:

–In welcher Phase ihres Lebenszyklus ist unsere Organisation? Befindet sie sich »im Aufbruch«? Oder ist sie eine »sterbende Organisation«, die – metaphorisch gesprochen – mit ihrer Trauer kämpft und dabei Gefahr läuft, ihren Blick für die verbleibenden Möglichkeiten zu verlieren?

–Hat unsere Organisation die Zeichen der Zeit richtig erkannt, um sich Erfolg versprechend aufzustellen bzw. sich immer wieder neu zu erfinden? Ist sie bereit, dafür ein paar »heilige Kühe zu schlachten«? Oder hegt sie heimlich die destruktive Phantasie, »in Schönheit unterzugehen«?

–Welcher Rollenträger benötigt welche Ressourcen, um seine primäre Aufgabe hinreichend gut zu erfüllen? Welche stehen ihm tatsächlich zur Verfügung? Welche der fehlenden kann er sich wie beschaffen? Welche Gratifikationen erhält er, die ihn wie motivieren? Wie zufrieden ist er mit dem Gesamtergebnis?

Die Liste der Fragen, die Organisations- und Rollenanalysen vorantreiben, ist lang und lässt sich ohne Weiteres verlängern. In diesem Buch versuche ich mich an vorläufigen Antworten, sozusagen als Vorstufe einer systematischen Theoriebildung. Im Fokus stehen hierbei Emotionen als konstitutive Faktoren für das Handeln in Rollen, wie es in Non-Profit- und Profit-Organisationen zu beobachten ist.

Bis vor nicht allzu langer Zeit galt es in der Wissenschaft, sehr viel weniger in der Praxis, als ausgemacht, die Rationalität allen sozialen Handelns zu betonen. Inzwischen hat sich diese Grundannahme aber längst als rationalistisches Vorurteil erwiesen. Wenn ich vor diesem Hintergrund den Emotionen dennoch eine Logik unterstelle, dann nicht, um sie erneut zu rationalisieren, sondern um herauszustellen, dass sie sich als repetitives Muster menschlichen Erlebens und Handelns rekonstruieren lassen und nachvollziehbar sind.

Das Buch habe ich auf der Suche nach Wissensbeständen geschrieben, die für Beratungsprozesse in der Arbeitswelt (Supervision, Coaching, Organisationsanalyse und -beratung) relevant sind. Ich präsentiere keine Schlussworte, sondern möchte alle theoretisch und praktisch interessierte Beratende1 dazu einladen, sich über ihre emotionalen Erfahrungen als Thema professioneller Selbstreflexion zu verständigen. Es versteht sich dabei nahezu von selbst, dass sich die Emotionen der Klienten bzw. Kunden und die Emotionen der Beratenden wechselseitig beeinflussen. Und dass ein Beratungsprozess zu kurz greift, der nicht auf die Emotionen von allen beteiligten Akteuren achtet und sie nutzt, um zu verstehen, was sich oft unter der Oberfläche offensichtlicher Vorgänge abspielt. Den Blick für dieses zunächst Unsichtbare zu schärfen, ist das Anliegen meines Buchs.

Gefragt, ob das Buch aus einer spezifischen theoretischen Perspektive geschrieben ist – eine naheliegende berechtigte Frage: nein, meinem Selbstverständnis folgend, bringt es unterschiedliche, aber anschlussfähige Denkweisen zusammen. Wer in meiner Darstellung etliche Züge psychodynamischen und sozioanalytischen Denkens ausmacht, der trifft einen zentralen Punkt. Gemessen an dem üblichen wissenschaftlichen Argumentationsprozess, ist das in diesem Buch gewählte Vorgehen vergleichsweise »unsauber«. Man möge mir das nicht als Unfähigkeit auslegen, sondern als Versuch, mein (eklektisches) Wissen, das ich in meiner Beratungspraxis nutze, fasslich zu machen und meinen Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung zu stellen, damit aus vielen subjektiven Wissensbeständen nach und nach intersubjektiv geprüftes Wissen werden kann.

1Wenn möglich wird eine geschlechtsunspezifische Formulierung gewählt, ist dies nicht möglich, wird von »Rollenträgern«, »Akteuren«, »Klienten« usw. gesprochen – diese Formulierungen sind als geschlechtsunspezifische Bezeichnungen zu verstehen.

2

Sozio- und Psychodynamik in Organisationen

Die Begriffe »Organisation« und »Institution« werden von Theorien unterschiedlich definiert und verwendet. Ich setze in meiner Gebrauchsweise zwei Markierungspunkte: Organisationen sind soziale Regelsysteme, die auf Effektivität und Effizienz zielen und deshalb auch Veränderungen als »schöpferische Zerstörung« grundsätzlich gutheißen. Dagegen sind Institutionen soziale Regelsysteme mit einem größeren Beharrungsvermögen, die Stabilität über Effektivität und Effizienz stellen und Veränderungsdruck vermeiden. Favorisieren Institutionen eine identische Reproduktion der tradierten Verhältnisse, so setzen Organisationen auf Innovation. Historisch betrachtet, gehören Institutionen damit eher der Vormoderne und Organisationen eher der Moderne an. Freilich bilden idealtypische Unterscheidungen die soziale Wirklichkeit immer nur annähernd ab, weshalb mit Überschneidungen zwischen Organisationen und Institutionen zu rechnen ist. So sind Regeln in Organisationen immer mehr oder weniger institutionalisiert, was heißt: schnellen Veränderungen entzogen, um keine Destabilisierung des sozialen Systems zu riskieren. Infolgedessen kommt es in Organisationen, um die es hier geht, zu einer Kombination beider Prinzipien: Innovation ja, aber nur dann, wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung nach der Innovation besser ist als zuvor.

Damit gibt es in Organisationen zwei Fälle von Fehlentwicklung: Im ersten Fall werden Praktiken und Verfahren beibehalten, die längst nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen, weil sich die Erfolgsbedingungen der Organisation unbemerkt verändert haben. Im zweiten Fall werden Praktiken und Verfahren so schnell ausgemustert, dass sie keine Chance bekommen, sich zu bewähren.

Stabilisiert sich eine Organisation durch Institutionalisierung, geht das oft auf Kosten eines kontinuierlichen Prozesses reflexiver Realitätsprüfung. Selbstschädigend wird dieser Prozess für Organisationen, wenn Tabuisierungen zu greifen beginnen, so dass wer (offen) für Innovationen eintritt, mit Sanktionen rechnen muss. Auf dem Gipfel einer solchen destruktiven Entwicklung kann eine Organisation ihre Existenz aufs Spiel setzen, um sakrosankte Traditionen nicht in Frage stellen zu müssen.

Selektion und Sozialisation

Organisationen überleben nur, wenn es ihnen gelingt, per Selektion und Sozialisation genügend geeignete Mitglieder zu binden. Selektion erfolgt nicht zufällig, sondern nach geprüfter Eignung; Sozialisation zielt darüber hinaus auf die Herstellung einer hinreichenden Anpassung an die bestehende Organisationskultur.

Jedes neue Mitglied birgt für die Organisation Chancen und Risiken. Denn die Neuen sind potenziell Träger von Innovationen, die von den einen als positive Veränderungen begrüßt, von den anderen aber als negative Veränderungen beklagt werden. Unter Umständen trifft in solchen Situationen ein nostalgisches »früher war alles besser« auf ein manisches »nichts war früher gut«. Gibt es in einer Organisation verschiedene Fraktionen, wird versucht, die neuen Mitglieder schnell zu vereinnahmen. Für welche der Fraktionen entscheiden sie sich? Meist wird dabei von allen Fraktionen suggeriert, es gäbe keine neutrale Position (»Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.«). Die eingespielte Machtkonstellation in einer Organisation kann neue Mitglieder unter Veränderungsdruck setzen. Versuchen sie, neutral zu bleiben, muss mit überraschenden Fall-zu-Fall-Entscheidungen gerechnet werden, die konfliktträchtig sind. Immer wieder kommt es vor, dass eine Fraktion ihre eigenen unbewältigten Zugehörigkeits- und Loyalitätskonflikte austrägt, indem sie diese Konflikte unreflektiert an die Neuen delegiert.

Organisationen, die Nachwuchssorgen haben, können ihre Selektions- und Sozialisationsstandards senken, um nicht »auszusterben«. Allerdings droht ihnen dadurch ein Qualitätsverlust, der die Erfüllung ihrer primären Aufgabe schwächt bzw. ihr primäres Risiko erhöht. Zwischenzeitlich können sie allerdings gegenläufig sogar ihre Standards anheben, um buchstäblich exklusiver zu werden und dadurch ein Versprechen von besonders hoher Qualität in Szene zu setzen, das die Attraktivität für eine Bewerbung von Spitzenkräften steigern soll.

Gefahren für die Organisation

In modernen Gesellschaften ist das maßgebliche Entscheidungsprinzip immer seltener das Prinzip von Befehl und Gehorsam. An seine Stelle tritt das Prinzip des Verhandelns, zumindest als regulative Idee. So gesehen, ist eine Organisation umso moderner, je mehr sie über einen Verhandlungsprozess strukturiert wird, der ihren Mitgliedern hohe Partizipationschancen bietet. Ein solcher Verhandlungsprozess ist idealerweise transparent und sorgt über fortlaufende Evaluationen dafür, dass weniger effektive und effiziente Praktiken und Verfahren samt der sie umsetzenden Rollenträger durch effektivere und effizientere ersetzt werden. Wie gesagt: eine regulative Idee. Ihre Verwirklichung setzt schwache soziale Bindungen voraus. Je schwächer sie aber werden, desto mehr wächst zugleich eine Sehnsucht nach unkündbarer identitätsstiftender Zugehörigkeit, die auf haltbaren Wissensbeständen und verlässlichen Regeln beruht. Kontingenz ist in der Perspektive dieser Sehnsucht keine begrüßte Wahlfreiheit, sondern eine psychische Belastung, was Organisationen langfristig gefährden kann. Neben Organisationen mit schwachen sozialen Bindungen gibt es freilich nach wie vor auch solche, die starke soziale Bindungen anbieten. Ihre Schattenseite sind »gierige Organisationen«, die sich nicht mit einem rollenförmigen Engagement ihrer Mitglieder begnügen, sondern auf eine familienähnliche Vereinnahmung und Verwertung der ganzen Person zielen.

Der Bestand einer Organisation kann ebenfalls gefährdet sein, wenn die primäre Aufgabe und das primäre Risiko nicht im Gleichgewicht sind. Primäre Aufgabe und primäres Risiko haben eine wertrationale und eine zweckrationale Komponente, die ausbalanciert werden müssen, da der Vorrang einer der beiden Orientierungen den Bestand einer Organisation gefährden kann. Zweckrational dominierte Organisationen gehen von den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen aus und machen bei Bedarf pragmatische Abstriche an ihrer Wertorientierung. Wertrational dominierte Organisationen gehen von ihren Werten aus und setzen alles daran, die Ressourcen zu beschaffen, die es braucht, um die Werte zu realisieren.

Riskant sind Organisationen, deren primäre Aufgabe die Realisierung eines absoluten Wertes ist. Solche Organisationen halten auch dann an ihrer Wertorientierung fest, wenn die Ressourcen dauerhaft fehlen. Es kann sogar zu einer Reaktanz kommen. Dann wird der betreffende Wert umso stärker betont, je unwahrscheinlicher seine Realisierung ist. Wenn eine solche Situation entsteht, geraten Organisationsmitglieder, die zweckorientiert-pragmatisch vorgehen, leicht in Verdacht, »Verräter« zu sein. Im Gegenzug wehren sich diese, indem sie in den Verteidigern des Wertes die »Totengräber« der Organisation sehen. Unter solchen Bedingungen wird das, was Organisationsmitglieder tun oder lassen zu einem erbrachten oder verweigerten Loyalitätsbeweis. Alle beobachten sich gegenseitig, wer zu welcher Fraktion gehört. Dass in einem solchen Handlungsrahmen eine Organisation schnell an Handlungsfähigkeit verlieren kann und dadurch ihren Bestand gefährdet, bleibt oftmals lange unbemerkt.

Eine wirksame, aber letztlich wenig konstruktive Bewältigungsstrategie dieses Problems besteht darin, einen Feind im Außen auszumachen, dem die Absicht zugeschrieben wird, der Organisation zu schaden. Gemeinsam bedroht, schließen sich die Fraktionen zu einer Notgemeinschaft zusammen. Oft geht eine solche Einigung aber zu Lasten der Realitätsprüfung. Denn der »Außenfeind« wird gern als ein Stereotyp entworfen, das man für zweifellos wahr und richtig hält. Folglich erscheint jedes Organisationsmitglied, das an dieser Einschätzung zweifelt, als illoyal und wird dementsprechend behandelt.