Endspurt - Wolfgang Bosbach - E-Book

Endspurt E-Book

Wolfgang Bosbach

4,7
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wolfgang Bosbach hat etwas zu sagen - notfalls auch gegen die Linie der eigenen Partei. Seine Geradlinigkeit kommt bei den Bürgern an, die im unübersichtlichen und manchmal auch als unehrlich wahrgenommenen Politikbetrieb nach Orientierung suchen. Welche Werte gilt es heute zu bewahren? Können wir christliche Grundwerte auch in einer multikulturellen Gesellschaft noch einfordern - oder wäre das ein Widerspruch? Schaffen wir >>das<< wirklich, oder stehen wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht schon längst an der Grenze von der großen Herausforderung zur Überforderung? Wie soll sich Deutschland in Europa positionieren? Als Zugmaschine, die Entscheidungen vorantreibt, oder soll sich Deutschland eher zurücknehmen, um nicht als zu dominierend wahrgenommen zu werden? Ist Auflehnung gegen Parteidisziplin illoyal - oder gar notwendig? Wie viel eigene Meinung kann und soll sich ein Politiker leisten?

Worauf es ankommt und was ihn antreibt - Wolfgang Bosbach sagt es im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 335

Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
13
5
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Wolfgang Bosbach hat etwas zu sagen – notfalls auch gegen die Linie der eigenen Partei. Seine Geradlinigkeit kommt bei den Bürgern an, die im unübersichtlichen und manchmal auch als unehrlich wahrgenommenen Politikbetrieb nach Orientierung suchen. Welche Werte gilt es heute zu bewahren? Können wir christliche Grundwerte auch noch in einer multikulturellen Gesellschaft einfordern – oder wäre das ein Widerspruch? Schaffen wir »das« wirklich, oder stehen wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht schon längst an der Grenze von der großen Herausforderung zur Überforderung? Wie soll sich Deutschland in Europa positionieren? Als Zugmaschine, die Entscheidungen vorantreibt, oder soll sich Deutschland eher zurücknehmen, um nicht als zu dominierend wahrgenommen zu werden? Ist Auflehnung gegen Parteidisziplin illoyal – oder gar notwendig? Wie viel eigene Meinung kann und soll sich ein Politiker leisten? Und viele Themen mehr.

Wolfgang Bosbach spricht Klartext – über sich und seine eigene Zukunft, über Begegnungen mit Weggefährten und über Politik, wie sie ist und wie sie sein könnte.

Über den Autor/Gesprächspartner

Wolfgang Bosbach, 1952 in Bergisch Gladbach geboren, ist seit 1972 Mitglied der CDU und vertritt den Rheinisch-Bergischen Kreis seit 1994 als stets direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Von 2000 bis 2009 war Bosbach stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, von 2009 bis zu seinem Rücktritt im September 2015 Vorsitzender des Innenaussschusses des Bundestages. Bosbach ist ein scharfer Kritiker der Griechenland- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und gilt auch deshalb innerhalb der Union als unabhängiger Geist und »konservativer Rebell«.

Dr. Hugo Müller-Vogg, 1947 in Mannheim geboren, schrieb 24 Jahre lang für die FAZ, war 13 Jahre lang einer ihrer Herausgeber. Heute ist Müller-Vogg freier Journalist. Er hat zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Themen veröffentlicht, darunter MEIN WEG mit Angela Merkel, OFFEN WILL ICH SEIN – UND NOTFALLS UNBEQUEM mit dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und zuletzt JEDES VOLK HAT DIE REGIERUNG, DIE ES VERDIENT, eine Zwischenbilanz der Großen Koalition.

Wolfgang Bosbach

ENDSPURT

Wie Politik tatsächlich ist – und wie sie sein sollte Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen

Ein Gespräch mit HUGO MÜLLER-VOGG

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2016 by Quadriga in der Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Dr. Stefanie Heinen

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin unter Verwendung eines Motivs von © Manfred Esser, Bergisch Gladbach

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-2937-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

INHALT

Zu diesem Buch

1.

Werte und Motive

2.

Einzelhändler, Rechtsanwalt, Politiker

3.

Zwischen Gewissen und Solidarität

4.

Konservative und CDU

5.

Flüchtlinge

6.

Euro und Europa

7.

Innere Sicherheit

8.

Begegnungen

9.

Demokratie und politisches Engagement

10.

Zu guter Letzt

Quellen- und Literaturhinweise

ZU DIESEM BUCH

Wer sich mit Politik beschäftigt, kennt ihn: Wolfgang Bosbach, einen der bekanntesten CDU-Politiker. Ein Konservativer mit klaren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit, ein leidenschaftlicher Patriot, ein Mann, der Klartext spricht und sich nicht in Sowohl-auch-auch-Floskeln flüchtet, nicht zuletzt ein Rheinländer, dessen Sprachmelodie und dessen Humor selbst kompromisslosen Formulierungen viel von ihrer Schärfe nehmen.

Dieser Abgeordnete ist bekannter als die meisten Minister und Ministerpräsidenten. Weil er allzeit bereit ist, öffentlich Rede und Antwort zu stehen – in Fernsehtalkshows, Hörfunk- und Zeitungsinterviews, als im ganzen Land gefragter Vortragender und Wahlkämpfer, nicht zuletzt auch als wortgewaltiger Redner im Deutschen Bundestag. Man kann sich in der Politik vieles vorstellen – aber nur schwer die deutsche Politik ohne Wolfgang Bosbach.

Als ich gefragt wurde, ob ich ein Interviewbuch mit Wolfgang Bosbach veröffentlichen wolle, sagte ich sofort zu. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Schon deshalb versprach ich mir spannende Gespräche über die Politik im Allgemeinen und die CDU im Besonderen. Ich vermutete zudem, dieses Buch würde so etwas wie ein früher »Aufschlag« des begeisterten Tennisspielers für den Bundestagswahlkampf 2017. Doch es kam anders: Wolfgang Bosbach begründet und erklärt in diesem Buch seinen Abschied als Bundestagsabgeordneter. Für die Wahl 2017 wird er nicht mehr kandidieren. Er legt sich hier eindeutig fest; eine Revision seiner Entscheidung wäre ohne Gesichtsverlust nicht möglich. Offenbar soll niemand aus der CDU auch nur versuchen, ihn umzustimmen.

Obwohl dieses Buch das letzte sein dürfte, an dem Wolfgang Bosbach als Mitglied des Deutschen Bundestags mitgewirkt hat, ist es dennoch kein Abschiedswerk, kein nostalgischer Blick zurück in die Zeit, als – angeblich – noch alles besser war. Nein, Wolfgang Bosbach blickt durchaus in die Zukunft – in die Zukunft Europas wie die des Euro, auf die künftige Sicherheitslage, die Veränderungen, die Deutschland durch eine unkontrol lierte und ungesteuerte Zuwanderung drohen können, in die Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens wie die weitere Entwicklung der CDU, seiner CDU.

Bei unseren Gesprächen ging es bisweilen lebhaft zu; es wurde auch viel gelacht. Denn der angehende Abgeordnete a.D. blickt souverän auf die 22 Jahre seit 1994, seiner ersten Wahl in den Bundestag, zurück. Gut, der Traum vom Innenminister ist nicht in Erfüllung gegangen. Letztlich bringt der loyale, aber nicht zur Selbstverleugnung neigende Innen- und Rechtspolitiker nicht jenes Maß an politischer Flexibilität mit, das die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel von ihren engsten Verbündeten erwartet.

Wolfgang Bosbach geht, aber er geht nicht verbittert oder gar beleidigt. Er ist eher enttäuscht, dass seine CDU offenbar glaubt, auf Persönlichkeiten wie ihn – über 60 Jahre alt, männlich und ohne Migrationshintergrund – verzichten zu können, dass sie Konservative wie ihn eher duldet als stolz in ihren Reihen hat, dass die Parteiführung von den drei Wurzeln der CDU – der christlich-sozialen, der liberalen und der konservativen – Letztere irgendwie verkümmern lässt. Wäre Bosbach heute nicht 64 Jahre alt, sondern zehn, zwanzig Jahre jünger und kerngesund – er wäre der ideale »Mister Conservative« der CDU und könnte dem »Berliner Kreis« mehr Gewicht in den innerparteilichen Meinungsbildungsprozessen verschaffen. Aber diese Last war ihm, wohl auch wegen seiner Krebserkrankung, zu schwer.

So müssen sich Öffentlichkeit und Medien in naher Zukunft an einen Bundestag ohne Wolfgang Bosbach gewöhnen. Und damit an ein Parlament, in dem eine gewichtige Stimme auf dem Feld der Innen- und Rechtspolitik fehlen wird, ebenso ein Streiter für die strikte Einhaltung der einst vereinbarten Euro-Regeln. Dass dieser Vollblutpolitiker sich ganz von der politischen Bühne verabschieden, dass er nicht weiterhin als Mahner und Antreiber zu vernehmen sein wird, das kann man sich nicht vorstellen – das will man sich auch nicht vorstellen.

Dieses Buch gibt wieder, was Wolfgang Bosbach in langen Gesprächen geantwortet und gesagt hat. Der Interviewer selbst fällt kein Urteil über die Hauptperson, über ihre politische Agenda, Erfolge oder Misslungenes. Wolfgang Bosbachs Aussagen zu beurteilen bleibt allein dem Leser überlassen.

Berlin/Bad Homburg, im Juli 2016

Dr.Hugo Müller-Vogg

1. WERTE UND MOTIVE Leider kann ich meiner CDU in einigen wichtigen Punkten nicht mehr folgen.

»… hat sich in den Umfragen der Demoskopen, wer die wichtigen, kompetenten und beliebten Politiker – Merkel und Steinmeier, Schäuble und Seehofer und so fort – seien, etwas ganz und gar Ungewöhnliches ereignet. Der Aufstieg eines Mannes war zu verzeichnen, der in der Politik, wenn sie bedeutend und mithin nachhaltig wird, nichts zu sagen hat. Eines Mannes, der nicht Partei- und nicht Fraktionsvorsitzender ist. Und der auch nicht dem Bundeskabinett angehört. Von Wolfgang Bosbach ist die Rede.

Bosbach ist CDU-Mitglied und gehört dem Bundestag an. Er ist ein politischer Kümmerer. Seinen Wahlkreis vor den Toren Kölns gewinnt er stets mit CSU-vergleichbaren 60-Prozent-Ergebnissen. Bosbach hat schon Merkels Eurokurs widersprochen, was einst ihren damals engsten Mitarbeiter, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, zur Weißglut trieb und zu Wutausbrüchen (›Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen‹) veranlasste. Bosbach widersprach auch Merkels Flüchtlingspolitik des ›Wir schaffen das‹.

Wolfgang Bosbach jedenfalls rückte – aus dem demoskopischen Nichts – auf Platz 3 vor –, hinter Wolfgang Schäuble, dem Elder Statesman des Bundeskabinetts, und Frank-Walter Steinmeier, dem für höchste Staatsämter tauglichen Außenminister. Mithin: Bosbach stand vor Merkel. Dort steht er seit September und noch heute. Nett gemeinte Glückwünsche beschied er halbironisch: ›Hoffentlich gibt das keinen Ärger.‹ Den Ärger hat nicht er, der fröhliche und volksnahe Rheinländer. Den Ärger haben andere.«

Zitat aus: Günter Bannas: Die dementierte Kanzlerin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.2016.

Herr Bosbach, Sie machen seit vier Jahrzehnten mit großer Leidenschaft Politik. Dass Sie seit 2004 einen Herzschrittmacher tragen und seit 2010 an Krebs erkrankt sind, hat Sie offenbar nicht gebremst. Im Gegenteil. Ist Politik für Sie so etwas wie eine Droge? Sind Sie abhängig?

Politik war immer ein wichtiger Teil meines Lebens, aber nie mein ganzes Leben. Zwar kann ich mir ein Leben ganz ohne Politik nur sehr schwer vorstellen, aber das heißt nicht, dass ich nicht loslassen kann. Ich weiß, wann es Zeit wird aufzuhören.

Im Allgemeinen schaffen es nur ganz wenige Politiker, den Zeitpunkt ihres Abschieds selbst zu bestimmen. Die meisten verpassen ihn und werden dann von den Wählern oder den eigenen Parteifreunden in die Wüste geschickt.

(Lacht.) Ich hoffe, dass ich den richtigen Zeitpunkt gefunden habe. Jedenfalls muss meine Kreispartei nicht sagen: »Langsam wird es aber Zeit, dass er aufhört. Wir wissen nur noch nicht, wie man es ihm schonend beibringen kann.« Man sollte in dem Moment aufhören, wenn man selbst das Gefühl hat, nichts mehr bewegen oder verändern zu können, obwohl dringender Handlungsbedarf besteht.

Und der richtige Moment, aus der Politik auszusteigen, ist Ihrer Meinung nach das Ende der laufenden Legislaturperiode im Herbst 2017?

Ja, ich habe meinen Parteifreunden im Rheinisch-Bergischen Kreis bereits gesagt, dass ich bei der Bundestagswahl 2017 nicht mehr antreten werde.

So ganz überraschend dürfte das für Ihre Parteifreunde nicht gewesen sein. Sie hatten ja schon im Sommer 2015 mit Rückzugsgedanken gespielt

Ja, eigentlich war ich schon im Juli 2015 entschlossen, wegen der sogenannten Euro-Rettungspolitik, mein Mandat niederzulegen. Die Parteifreunde zu Hause haben mich aber überzeugt, dass das zu diesem Zeitpunkt keine kluge Entscheidung gewesen wäre. Dafür gab es mindestens zwei wichtige Argumente. Das eine lautete: Du besitzt ein Mandat für vier Jahre und hast früher Abgeordnete kritisiert, die während einer Wahlperiode ihr Mandat niedergelegt haben. Das andere: Du bist 2013 von vielen nicht trotz, sondern wegen deiner Kritik an der Euro-Politik mit einem sehr guten Erststimmenergebnis gewählt worden. Du kannst gerade diese Wähler nicht enttäuschen.

Aber jetzt sind Sie zu der Überzeugung gelangt, 23 Jahre Bundestag sind genug?

Die Argumente meines CDU-Kreisverbandes bezogen sich auf eine Mandatsniederlegung mitten in der Wahlperiode, nicht schon auf die nächste Bundestagswahl. Die Parteifreunde hatten mich dringend gebeten, das Mandat nicht niederzulegen, deshalb habe ich nur den Vorsitz im Innenausschuss abgegeben. Ich wollte mich allerdings auch nicht festlegen, 2017 noch einmal anzutreten; zu diesem Zeitpunkt musste ich mich in diesem Punkt auch noch nicht entscheiden. Die politische Entwicklung seit dieser Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, hat mir dann mit jedem Tag deutlicher gemacht, dass es richtig ist, 2017 nicht erneut zu kandidieren.

Was gab dafür den Ausschlag?

Es gibt nicht nur einen Grund, sondern ein ganzes Bündel von Gründen. Zum einen möchte ich wirklich nicht auf Dauer die Kuh sein, die quer im Stall steht, und als Quertreiber gelten. Unbegreiflich sind für mich auch Vorwürfe, meine Haltung in bestimmten Sachfragen entspringe einer Profilierungssucht oder wäre das Ergebnis unerfüllter Karrierewünsche. Bei solchen Vorwürfen hört für mich der Spaß auf. Da ist das Maß des Erträglichen überschritten.

Außerdem habe ich nicht mehr das Gefühl, dass ich politisch tatsächlich noch etwas bewegen oder verändern kann. Jede politische Haltung, jede Äußerung, die von der Regierungslinie abweicht, wird heute sofort als Anti-Merkel-Kurs und damit als Nachweis der Gegnerschaft zur Kanzlerin dokumentiert. Auf die Idee, dass es mir ausschließlich um die Sache geht, kommt so gut wie niemand.

Ist das nicht etwas übertrieben?

Ein kleines Beispiel von vielen: Ende Mai 2016 habe ich bei der CDU Dissen den Festvortrag anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Stadtpartei gehalten und dort unter anderem geäußert, dass ich mir wünsche, dass die Union eine lebendig diskutierende Volkspartei ist – und bleibt. In diesem Zusammenhang hatte ich wörtlich gesagt: »Alternativen gibt es immer. Die Frage ist, welche Alternative in der politischen Entscheidungsfindung die beste ist. Und darüber muss es in der Demokratie lebendige Diskussionen geben.«

Aus dieser Passage, die eigentlich an Harmlosigkeit und Selbstverständlichkeit kaum zu überbieten ist, hat die Neue Osnabrücker Zeitung die Überschrift gemacht »Bosbach (CDU) attackiert in Dissen Kanzlerin Merkel«. Mit anderen Worten: Allein der Wunsch, dass in der Union über strittige Themen lebendig diskutiert wird, gilt heutzutage schon als Angriff auf die eigene Parteivorsitzende und die Bundeskanzlerin.

Gerne fallen auch Begriffe wie »Rebell« oder – ganz neu im Angebot – »Modernisierungskritiker«. Da muss ich wirklich schmunzeln. So ändern sich die Zeiten. Früher warst du Rebell, wenn du eine revolutionäre Bewegung angeführt hast. Heute bist du ja schon Rebell, wenn du bei deiner Meinung bleibst und wenn man nicht kritiklos jede politische Kursänderung mitmacht, sondern aus inhaltlicher Überzeugung bei dem bleibt, was die Partei zu bestimmten Themen immer gesagt hat. Das gilt anno 2016 als unmodern oder – wenn man viel Pech hat – als reaktionär.

Eigentlich ist die Lage aus meiner Sicht geradezu paradox: In keiner einzigen politischen Frage vertrete ich eine Position, die früher nicht auch einmal die Position meiner Partei war. Wohlgemerkt: war. Wer mir vorwerfen will, dass ich nicht schnell genug in der Lage bin, meine politischen Positionen zu wechseln, der mag das tun. Dieser Vorwurf wäre sogar gerechtfertigt. Mit diesem Vorwurf könnte ich allerdings sehr gut leben.

Welche Rolle spielt Ihre Krebserkrankung bei der Entscheidung, 2017 nicht noch einmal anzutreten?

Wenn man spürt, dass die Kraft nachlässt, fragt man sich, wofür man die noch vorhandene Kraft aufwenden sollte. Und warum immer weiterkämpfen, wenn man sieht, dass die Mehrheit der eigenen Fraktion vieles ganz anders sieht? Ich bedauere es sehr, dass ich in einigen wichtigen Punkten meiner CDU nicht mehr folgen kann. Aber ich möchte nicht wie Don Quijote enden und ständig einen Kampf gegen Windmühlen führen, wenn ich von vornherein weiß, dass ich das, was ich aus Überzeugung für richtig halte, doch nicht durchsetzen kann.

Also, Sisyphos war ja angeblich…

… ein glücklicher Mensch (lacht schallend). Auch wenn Sisyphos ein glücklicher Mensch war, möchte ich nicht für weitere vier oder gar acht Jahre seinen Job machen.

Ich muss nochmal auf Ihre angegriffene Gesundheit zur sprechen kommen. Wenn Sie völlig gesund wären, würden Sie dann auch nicht mehr antreten?

Eine legitime, wenn auch hypothetische Frage. Wahrscheinlich hätte ich auch ohne Krebserkrankung dieselbe Entscheidung getroffen, weil ich nicht auf Dauer einen Spagat zwischen notwendiger Loyalität gegenüber meiner Partei und wachsenden Zweifeln am politischen Kurs der CDU machen möchte. Ich bin 1972 ja nicht durch Zufall oder Versehen Mitglied der CDU geworden, sondern wegen der Überzeugung, dass diese Partei die Probleme dieses Landes besser lösen kann als die politische Konkurrenz. Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert. Aber es hat doch eine gewisse Entfremdung zwischen der CDU und mir stattgefunden, leider in ganz zentralen politischen Fragen. Die Bundesregierung hat beispielsweise kritisiert, dass die EU-Kommission bei der Einlagensicherung von Banken noch nicht einmal eine Folgenabschätzung vorgenommen habe. Da hat sie recht! Wann aber hat die Bundesregierung eine Folgenabschätzung zur derzeitigen Praxis der Aufnahme von Flüchtlingen vorgenommen? Wenn gesagt wird, Deutschland werde sich durch die große Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen ändern, dann würde mich schon interessieren, wie diese gesellschaftlichen Veränderungen denn konkret aussehen sollen. Ich kann mich gut an einen Brief von Charlotte Knobloch erinnern …

… der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland…

… die mit einfachen, aber eindringlichen Worten in etwa sinngemäß formuliert hat: »Ich möchte gar nicht, dass Deutschland sich ändert. Das ist das beste Deutschland, das wir je hatten, mit einer in jeder Hinsicht funktionierenden Demokratie.«

Sie hat offensichtlich Befürchtungen, dass mit der hohen Zahl muslimischer Zuwanderer auch der Antisemitismus bei uns zunehmen könnte. Eine gründliche Debatte, wie sich unsere Gesellschaft durch die unkontrollierte Zuwanderung verändert, mit welchen Folgen für Staat und Gesellschaft, haben wir leider bis zur Stunde nicht geführt.

Sie haben von einer gewissen Entfremdung zwischen Ihnen und Ihrer Partei gesprochen. Wann begann denn dieser Prozess?

Schon am Abend der letzten Bundestagswahl. Das Wahlergebnis war für die Union doch nur auf den ersten Blick großartig. Daher habe ich mich über den grenzenlosen Jubel im Konrad-Adenauer-Haus mehr als nur gewundert. Hatte denn dort niemand bemerkt, dass wir unser wichtigstes Wahlziel – Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition – glatt verfehlt hatten? Nicht nur das: Unser Koalitionspartner FDP war aus dem Parlament herausgeflogen, und es gab im Bundestag plötzlich eine linke parlamentarische Mehrheit – auch wenn die Union mit Abstand stärkste parlamentarische Kraft war. Das war in der vorangegangenen Wahlperiode ganz anders. Über eine linke parlamentarische Mehrheit konnte ich mich noch nie freuen, deshalb hielt sich meine Begeisterung über das Wahlergebnis stark in Grenzen.

Und in der Folgezeit?

Meine Verwunderung setzte sich während der Koalitionsverhandlungen fort. Bei den Verhandlungen über die Innenpolitik habe ich bei mehr als einem Beratungspunkt gemerkt, dass der Kollege Ole Schröder mit mir zwar tapfer für die Positionen der Union gekämpft hat, dass aber andere CDU-Politiker relativ rasch bereit waren, der SPD Zugeständnisse zu machen. Dem am Ende ausgehandelten Koalitionsvertrag konnte man das wahre Kräfteverhältnis im Parlament zwischen Union und SPD nun wirklich nicht ansehen. So großartig die 41,5 Prozent für CDU und CSU waren, die Verhandlungserfolge der Union waren doch sehr überschaubar.

Wenn ich Ihnen so zuhöre, fällt es mir schwer, mir den Politpensionär Bosbach vorzustellen.

(Lacht). Es gibt noch so viele Dinge im Leben, die ich unbedingt machen möchte. Ich habe von der Welt sehr viel noch nicht gesehen und auch familiär zu viel verpasst. Auch Begegnungen mit Freunden kamen in den letzten Jahrzehnten zu kurz. Das möchte ich unbedingt nachholen.

Aber Sie können doch niemals ganz von der Politik lassen.

Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich werde immer ein politisch interessierter und engagierter Mensch bleiben. Aber Politik wird nicht mehr mein Beruf sein, das ist schon ein großer Unterschied.

Was wird der Abgeordnete a.D. Wolfgang Bosbach von 2018 an tun? Werden Sie wieder verstärkt als Anwalt tätig sein? Lassen Sie sich in den Kreisvorstand der CDU im Rheinisch-Bergischen Kreis wählen?

Nein, ich werde mit Sicherheit kein politisches Amt mehr anstreben. Auch wenn es etwas pathetisch klingen mag: 42 Jahre politische Arbeit in der Kommunalpolitik und im Bundestag sind schon ein langer Zeitraum. Es ist doch besser, wenn die Leute sagen: »Schade, dass du aufhörst«, als dass sie stöhnen: »Höchste Zeit, dass der endlich geht.« Es kann also nach 2017 schon sein, dass ich morgens nicht zuerst den politischen Teil der Zeitung lese, sondern den Sportteil. Das ist doch auch eine schöne Perspektive.

Was wird denn Ihre Frau sagen, wenn Sie plötzlich ständig zu Hause sind?

(Lacht.) Es ist ihre große Sorge, dass ich unseren wohlorganisierten Haushalt durcheinanderbringe. Aber die Sorge muss sich Sabine wirklich nicht machen. Gerne würde ich auch meine derzeit reduzierte Anwaltstätigkeit wieder ausweiten.

Dann haben Sie ja Zeit für Ihre Memoiren.

Memoiren werde ich sicher nicht schreiben. Vielleicht ein Buch über meine Erlebnisse in vielen Wahlkämpfen, darunter auch wirklich interessante Erfahrungen, aber auch viele lustige Episoden.

Wie wär’s mit einer Kostprobe?

Politisch trennen die Kollegin Ulla Jelpke von der Linkspartei und mich Welten. Jedenfalls fällt mir im Moment kein Thema ein, wo wir beide mal einer Meinung waren. Bei Delegationsreisen ist sie allerdings eine ausgesprochen angenehme Mitreisende. Bei einer der ersten Reisen in die USA hat sie freimütig bekannt, sie spräche leider nicht fließend Englisch, sie sei daher für eine Übersetzung der Diskussion mit unseren amerikanischen Gastgebern dankbar. Ich habe mich sofort angeboten, als Dolmetscher zu fungieren – und zwar aus gutem Grund. Ich setzte mich neben Ulla Jelpke und übersetzte im Flüsterton. Nach gut zehn Minuten sah sie mich mit großen Augen an und meinte trocken: »Was soll das denn? Also etwas Englisch verstehe ich schon. Und von dem, was Sie da sagen, stimmt noch nicht mal die Hälfte.« Sie hatte mich erwischt. Antwort: »Na ja, das ist zwar keine wörtliche Übersetzung, mehr so eine Art freimütige Interpretation des Gesagten. Ich will ja nicht, dass Sie sich aufregen …« Von da an wurde von ihr wieder professionelle Übersetzungshilfe angefordert.

Auch wenn Sie aus dem Bundestag ausscheiden: »Ihre« Themen wie Flüchtlinge, Euro oder Terrorbekämpfung bleiben.

Diese Themen werden uns erhalten bleiben, ganz sicher.

Und Sie werden sich da nicht mehr zu Wort melden?

Jedenfalls nicht ungefragt. Wenn jemand meine Meinung wissen möchte, werde ich sie freimütig äußern. Vielleicht auch etwas befreiter als jetzt, weil ich dann nicht mehr ständig überlegen muss, welche Konsequenzen meine Äußerungen haben könnten. Mit dem permanenten Spagat zwischen der Meinung der Partei und meiner eigenen ist es dann vorbei.

Im Abgeordneten-Ruhestand haben Sie ja noch mehr Zeit für Talkshows.

(Lacht.) Ich gehe jetzt mal davon aus, dass die Zahl der Einladungen deutlich zurückgehen wird, sobald ich kein politisches Amt mehr innehabe. Dann hätte ich mal Zeit, mir in Ruhe eine Talkshow anzusehen. Das kommt jetzt so gut wie nie vor, weil ich abends aus politischen Gründen dauernd unterwegs bin, und wenn ich dann am späten Abend nach Hause komme, dann müssen die letzten Minuten nicht auch noch der Politik gehören.

Aber denken Sie doch daran, wie häufig etwa Egon Bahr noch im hohen Alter im Fernsehen zu sehen war.

Das ist etwas anders: Egon Bahr, Theo Waigel oder Edmund Stoiber hatten allesamt einmal hohe Staatsämter in Regierungen inne, ich nie.

Noch sind Sie nicht im Ruhestand. Was wäre eigentlich, wenn Ihre Parteifreunde Sie händeringend bitten würden, doch noch einmal anzutreten?

Dann wären diese Bemühungen vergebens. Auch deshalb, weil die CDU deutlich gemacht hat, dass sie dringend einen sogenannten Modernisierungsschub braucht. Da gehören Politiker wie ich eher zu den Auslaufmodellen. Bereits vor zwei Jahren hat Generalsekretär Tauber verkündet, dass die CDU »jünger, bunter, weiblicher« werden soll. So richtig passt das ja wirklich nicht zu mir. Ich werde ständig älter, nicht jünger. Frau werde ich auch nicht mehr, und angesichts meines Geburtsortes Bergisch Gladbach wird man selbst im fernen Berlin nicht behaupten, dass ich einen Migrationshintergrund habe.

Auch wenn Sie den Maßstäben von Herrn Tauber an moderne CDU-Politiker vielleicht nicht ganz entsprechen: Sie werden sich vor Einladungen zu Wahlkampfauftritten kaum retten können. Da werden Sie sicher nicht Nein sagen, oder?

Eigentlich wollte ich mich ja nicht mehr in den Wahlkampftrubel stürzen, aber wenn gute, persönliche Freunde aus der Fraktion darum bitten sollten, könnte ich noch einmal rückfällig werden. Howard Carpendale hat ja auch mehr als eine Abschiedstournee gemacht (lacht).

Und wie geht es bis zum Ende der Wahlperiode weiter?

Genauso wie in den letzten 22 Jahren. Auch wenn ich nicht erneut für den Bundestag kandidiere, werde ich nicht mit angezogener Handbremse arbeiten. Für halbe Sachen habe ich überhaupt kein Talent. Daher gilt für mich bis zum Ende dieser Wahlperiode die Parole »Endspurt«!

Was macht eigentlich den Reiz der Politik aus? Die Möglichkeit zu gestalten? Oder ist es die Macht? Oder befriedigt es, als Person des öffentlichen Lebens erkannt zu werden?

Oft wird uns Politikern Macht zugeschrieben, die aber haben wir höchstens in homöopathischen Dosen. Macht bedeutet Herrschaft, verbunden mit der Fähigkeit, anderen Menschen den eigenen Willen aufzuzwingen. Wann und wo hat man diese Möglichkeit schon in der politischen Praxis?

Der Reiz politischer Arbeit besteht eher darin, ganz konkret an der Zukunftsgestaltung mitwirken zu können. Ganz gleich, ob auf Bundes- oder Landesebene oder in der kommunalen Politik. Und oftmals hat man auch die Chance, Menschen bei der Lösung von Problemen oder in schwierigen Lebenslagen ganz unbürokratisch helfen zu können. Das ist eigentlich der schönste Teil der politischen Arbeit.

Sie beschließen Gesetze, und die sind für alle Bürger verbindlich. Ist das nicht Ausdruck von Macht?

Ja, aber das ist dann die Macht der Verfassungsorgane, des Bundestages und vor allen Dingen des Bundesverfassungsgerichts. Aber der einzelne Abgeordnete kann doch relativ wenig ausrichten. Es ist zunächst einmal eine faszinierende Aufgabe, an der Zukunft des Landes mitgestalten und mitentscheiden zu können. Für mich war es immer sehr wichtig, Menschen in konkreten Situationen wirklich helfen zu können. Manchmal gelingt das beim besten Willen nicht, aber hin und wieder kann man in wirklich schwierigen Situationen helfen. Das macht dann wirklich Freude.

Und wie steht es um die eigene öffentliche Wirkung?

Wer bestreitet, dass es ihm gefällt, wenn man gekannt und erkannt wird, dem glaube ich das nicht. Mir jedenfalls bereitet es immer wieder große Freude, zumal ich fast ausnahmslos gute Erfahrungen gemacht habe. In den letzten zwanzig Jahren waren nur ganz wenige Erlebnisse und Begegnungen dabei, auf die ich gerne verzichtet hätte.

Kein Politiker kann sich um alles kümmern. Hatten Sie, als Sie in den Bundestag gingen, zwei oder drei große Ziele, die Sie unbedingt erreichen wollten? Oder haben sich diese Ziele eher von selbst ergeben?

Ich hatte schon vorher zwölf Jahre für den Bundestagsabgeordneten Franz Heinrich Krey gearbeitet, meinen Vorgänger im Wahlkreis Rheinisch-Bergischer Kreis. Schon Franz Heinrich Krey war achtzehn Jahre lang Mitglied des Innenausschusses und in den letzten Jahren stellvertretender Vorsitzender. Von daher war mir die Arbeit vertraut. Ich wollte unbedingt in seine Fußstapfen treten. Politisch-inhaltlich ging es bis heute im Wesentlichen um zwei Themen: Innere Sicherheit und Zuwanderung. Ich wollte dazu beitragen, Deutschland sicherer zu machen beim Kampf gegen die Kriminalität und den Terror in all seinen Erscheinungsformen. Die öffentliche Berichterstattung konzentriert sich bei uns nach meiner Überzeugung fast ausschließlich auf die Täter und viel zu wenig auf die Opfer und die Schicksale ihrer Angehörigen. Beim Thema Zuwanderung und Integration konnte ich damals allerdings noch nicht ahnen, welche Bedeutung dieses Politikfeld ganz aktuell bekommen würde.

Auch wenn es schwerfällt, sich selbst zu beurteilen: Was hat der Abgeordnete Bosbach erreicht?

Eine wirklich interessante Erfahrung war für mich, dass es auch aus der Opposition heraus möglich ist, durch intensives Verhandeln, insbesondere durch Konzentration auf die Sache, Veränderungen und – aus Sicht der Union – Verbesserungen zu erreichen. Das gelang zum einen beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus infolge der Ereignisse nach dem 11.September 2001 in Verhandlungen mit dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily und dem Chef-Innenpolitiker der Union, dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Das gelang auch bei der Gesetzgebung zur Zuwanderung und Integration nach Abschluss der Arbeit der sogenannten Süssmuth-Kommission. Es war eine besonders harte innenpolitische Auseinandersetzung über die richtige Zuwanderungspolitik, bei der es zu einem Eklat im Bundesrat kam, im Zusammenhang mit dem Abstimmungsverhalten des damaligen brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm.

Bundesratspräsident Klaus Wowereit wollte das brandenburgische Nein nicht anerkennen.

Das war verfassungswidrig und wurde auch vom Verfassungsgericht so bewertet. Jedenfalls habe ich mitgeholfen, einen deutlichen Schwerpunkt bei der Integration zu setzen, insbesondere bei der Implementierung von Sprach- und Integrationskursen, die es bis 2005 in dieser Form nicht gab. Wir hatten einzelne Angebote in den Kommunen, aber bundesweit einheitliche Kurse mit mehr als 600 Unterrichtsstunden mit Pflicht zur Teilnahme und des Nachweises bestimmter Qualitätsstandards gab es bis dahin nicht.

Kann man Ihren Beitrag zur Inneren Sicherheit noch etwas konkretisieren? An welche Gesetze denken Sie?

Insbesondere an die beiden sogenannten Otto-Kataloge nach den Ereignissen vom 11.September 2001 in New York. Es war die richtige Mischung aus Prävention und Repression, kombiniert mit notwendigen Maßnahmen der Organisation und Kooperation der Sicherheitsbehörden. Damals wurde mit einem Schlag deutlich, dass eine hohe Zahl von Sicherheitsbehörden allein noch keine Sicherheit generiert, sondern dass diese nur durch eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit und den Austausch von Daten und Fakten erreicht werden kann. Die Einrichtung des gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums in Berlin-Treptow war mindestens ebenso wichtig wie die übrigen gesetzgeberischen Maßnahmen.

Ich will ein Beispiel herausgreifen, das damals Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen war: die Streichung des sogenannten Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz. Durch die Anschläge vom 11.September 2001 und die Motive der Täter wurde deutlich, dass Religion nicht rechtlich privilegiert werden darf, wenn es nicht mehr um die Freiheit der Religionsausübung, die eigene religiöse Überzeugung des Bürgers, geht, sondern wenn aus religiösem Extremismus heraus schwere Gefahren für die Allgemeinheit drohen.

Es gibt sicher auch Vorhaben, bei denen Sie nicht erreicht haben, was Sie erreichen wollten, wo Sie Niederlagen einstecken mussten.

Mehr als einmal. Ich bin immer wieder überrascht, dass wir jetzt Themen entdecken, die eigentlich schon vor fünfzehn Jahren auf der politischen Tagesordnung standen, und heute so tun, als wenn das gerade revolutionäre Gedanken wären. Zwei Beispiele dazu: Telefonüberwachung und Integration.

Seit Jahren wissen wir, dass wir bei der Überwachung der Telekommunikation technisch an Grenzen stoßen, wenn wir nicht die sogenannte Quellen-TKÜ erlauben. Das wissen die Täter genauso gut wie die Sicherheitsbehörden. Wenn sie besonders raffiniert vorgehen, sind sie im Vorteil gegenüber den Sicherheitsbehörden. Die CDU fordert deshalb seit Jahren eine verfassungsrechtlich zweifelsfreie und praxistaugliche Rechtsgrundlage für die notwendige Quellen-TKÜ. Ohne diese Möglichkeit haben wir eine Schutzlücke. Und warum ausgerechnet direkt nach den Anschlägen vom 11.September die Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen straflos gestellt wurde, ist für mich bis heute völlig unverständlich. Leider konnten wir das bislang nicht wieder ändern.

Quellen-TKÜ? Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge.

Von einer »Quellen-TKÜ« sprechen wir deshalb, weil die Überwachungsmaßnahme an der Quelle des geführten Gespräches andocken muss, also vor der Verschlüsselung des Textes. Das unterscheidet die Quellen-TKÜ von den technisch herkömmlichen Überwachungsmaßnahmen der Telekommunikation.

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, welchen Widerstand es gegen Quellen-TKÜ gibt, obwohl sie schon seit Langem ein unverzichtbares Mittel zur Abwehr oder Verfolgung von schweren Straftaten ist.

Und Ihre Niederlage beim Thema Integration?

Bei der Integration diskutieren wir wieder einmal leidenschaftlich darüber, welche rechtlichen Organisationen wir schaffen und welche finanziellen Anstrengungen wir unternehmen müssen, damit wir das Ziel einer möglichst raschen und gelungenen Integration in unsere Gesellschaft, aber auch in unseren Arbeitsmarkt erreichen können. Schon wieder wird darüber gestritten, ob es bei schuldhafter Verletzung von Integrationspflichten Sanktionen geben darf oder nicht, obwohl die Formulierung »Fördern und Fordern« in der Arbeitsmarktpolitik schon seit vielen Jahren bewährte Praxis ist – warum sollte das beim Thema Integration plötzlich ganz anders sein? Wirklich abwegig ist das Argument, man könne Migranten doch nicht wegen der Nicht-Teilnahme an einem Sprach- und Integrationskurs drohen, wenn derartige Kurse nicht zur Verfügung stünden oder ausgebucht seien. Natürlich kann man das nicht – diese Rechtsfolge hatte der Gesetzgeber aber auch nie beabsichtigt! Es ging immer nur um eine schuldhafte, also vorwerfbare Verletzung von Integrationspflichten. Das Thema stand schon vor vielen, vielen Jahren auf der politischen Tagesordnung, ohne dass wir da wirklich substanzielle Fortschritte erzielt hätten. Musste es wirklich bis zum Jahr 2016 dauern, bis sich hier etwas bewegt?

Sie betreiben Politik mit Leidenschaft. Ist Politik eigentlich Beruf oder Berufung?

Beides. Wenn man Abgeordneter im Landtag, Bundestag oder EU-Parlament ist, dann ist es mehr als nur ein Vollzeitberuf, ohne ein hohes Maß an Leidenschaft geht das nicht. Das ist kein Job wie jeder andere mit 40-Stunden-Woche und regelmäßigen Arbeitszeiten. Abgeordnete haben ja auch keinen beamtenähnlichen Status mit Wiederwahlgarantien bis zum Renteneintritt; wir Bundestagsabgeordnete haben immer nur Verträge mit unseren Wählerinnen und Wählern für vier Jahre. Eine Wahlperiode geht rasend schnell vorbei. Wer sich nicht dem Mandat mit Haut und Haaren verschreibt, wird es schwer haben, wieder nominiert oder gar mit einem guten Ergebnis direkt gewählt zu werden.

Max Weber hat einmal gesagt, die einen leben von der Politik, die anderen für die Politik. Bei Ihnen hat man den Eindruck, Sie gehörten zur zweiten Kategorie.

Ich lebe für die Politik, das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass ich nie nur von der Politik leben wollte. Ich wollte mich von ihr wirtschaftlich nie ganz abhängig machen. Wenn aber Abgeordnete wie ich neben dem Mandat auch noch berufstätig sind, führt das immer wieder zu Debatten über die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten oder über die Höhe der Einkünfte. Es ist immer wieder interessant, dass sich kein Politiker dafür rechtfertigen muss, wenn er in der politikfreien Zeit im Wald spazieren geht, im Kino sitzt oder in der Sauna liegt. Aber wehe dem, der in derselben Zeit arbeitet und dann noch dafür Geld bekommt! Der muss sich immer wieder öffentlich erklären und rechtfertigen.

Der Kreis derer, die von der Politik leben, wächst ständig. Es gibt immer mehr junge Frauen und Männer, die gehen vom Hörsaal in den Plenarsaal. Andere landen im Kabinettssaal, ohne je einen Tag außerhalb der Politik gearbeitet zu haben. Sie alle sind materiell auf ihr Mandat angewiesen, leben ausschließlich von der Politik. Ist das nicht eine beunruhigende Entwicklung?

Es macht schon einen Unterschied, ob man aus einem gut dotierten Beruf kommt oder zum ersten Mal durch die Politik ein überdurchschnittlich hohes Einkommen erzielt. Dass man dieses Einkommen nicht gern wieder verlieren möchte, ist doch sehr verständlich. Allerdings gibt es vieles, was man nicht in der Schule oder auf der Universität lernen kann. Auch berufliche oder private Erfahrungen sind für die politische Arbeit wichtig. Man lernt allerdings nicht nur aus Erfolgen, auch aus Enttäuschungen. Niederlagen wegstecken zu können, aus ihnen zu lernen, auch das gehört zum Leben. Ich glaube schon, dass man seine politische Verantwortung etwas anders sieht oder seine politische Arbeit etwas anders gestaltet, wenn man auch über diese privaten und beruflichen Erfahrungen verfügt. Das ist kein negatives Urteil über junge Leute, die nach der Ausbildung oder schon während des Studiums den Sprung ins Parlament schaffen – da kann ich nur sagen: Respekt, Glückwunsch! Aber ein bisschen Lebens- und Berufserfahrung kann den Politikern und damit auch der Politik nur guttun, und ich bin sicher, dass dies die jungen Kolleginnen und Kollegen ebenso sehen.

Sie hätten wohl außerhalb der Politik deutlich mehr verdienen können. Sie hätten auch ein bequemeres Leben mit mehr Freizeit gehabt, mehr Zeit für Familie und Hobbys. Aber als Anwalt in Bergisch Gladbach wären Sie nie über ihre Heimat hinaus bekanntgeworden. Wie groß war und ist für Sie der Reiz, in der Öffentlichkeit zu agieren?

Richtig ist, dass ich schon als selbständiger Rechtsanwalt ein relativ gutes Einkommen hatte. Mir war immer wichtig, dass ich mir meinen beruflichen Traum erfüllen konnte – zunächst als Supermarktleiter, dann als selbständiger Rechtsanwalt und später als Berufspolitiker. Wahrscheinlich hätte ich als Anwalt mehr verdienen können, doch ich musste auch nie auf etwas verzichten. Das Gefühl, dass ich mich für das Allgemeinwohl aufopfern müsste, hatte ich wirklich zu keinem Zeitpunkt. Ich habe zwar in den vergangenen 22 Jahren im Deutschen Bundestag auch einige Erfahrungen gemacht, auf die ich gut hätte verzichten können, aber die allermeisten Erfahrungen in der Parlamentsarbeit und in der Öffentlichkeit waren wichtig, interessant und vor allem erfreulich.

Manche Ihrer Bundestagskollegen versuchen den Eindruck zu vermitteln, das Mandat bedeute Opfer und Verzicht.

Vielleicht gibt es den ein oder anderen, der sich tatsächlich so darstellt, aber für die Mehrheit gilt das ganz bestimmt nicht. Ich habe mir nie an einem Schaufenster die Nase plattdrücken und denken müssen: »Wie schade, dass ich mir dieses und jenes nicht erlauben kann.« Wichtig war immer, dass ich in meinem Traumberuf arbeiten konnte. Die politische Arbeit war auch mit vielen interessanten Begegnungen verbunden, ich habe viele wunderbare Menschen kennengelernt. Damit meine ich nicht nur sogenannte Promis, sondern auch – wie der Rheinländer so schön sagt – »Lück wie ich un du«, die ich ohne mein Mandat nie kennengelernt hätte.

Können Sie sich eigentlich ein Leben ohne Mikrofone und Kameras vorstellen?

(Lacht schallend.) Gute Frage! Also: noch nicht! Ich muss manchmal über mich selbst lachen, wenn ich das Handy auf »leise« stelle, damit ich nicht gestört werde, aber nach einer Stunde sauer bin, dass noch keiner angerufen hat. So ist es aber!

Sie würden schon sagen, ja, ich bin auch ein bisschen eitel?

Mich freut es auch nach 22 Jahren Bundestag, wenn meine Meinung oder meine Person gefragt ist. Wenn es den Leuten nicht egal ist, was der Abgeordnete Bosbach zu bestimmten Themen sagt.

Ein Blick in den Kalender des Abgeordneten Wolfgang Bosbach

Montag, 25.Januar 2016

10.00 Uhr

Abflug Köln/Bonn

11.10 Uhr

Ankunft Berlin 4U 014

11.45–12.15 Uhr

Terminbesprechung Büro

12.15–13.00 Uhr

Bürgerpost

13.00 Uhr

Teilnahme an Gespräch mit Auslandskorrespondenten wg. Stimmung in der Fraktion Ort: Haupteingang Bundespressekonferenz (Pförtner), dort werden Sie abgeholt

14.00 Uhr

Vertretung im Rechtsausschuss Ort: PLH, 2.600

16.00 Uhr

Interview (live) für RTL u. n-tv wg. Plan A2-Klöckner Ort: RTL, Behrenstr. 19

16.15 Uhr

Interview (live) wg. A 2 Plan-Klöckner, Radio 1 RBB, Volker Wiebrecht moderiert Ort: Sie rufen von RTL aus an

17.00 Uhr

Gespräch mit den Eheleuten Josef und Margot F. aus Niederkrüchten Ort: Büro Bosbach

17.15 Uhr

Interview für Belgisches Fernsehen wg. Flüchtlingskrise Ort: Flur, UdL 71

17.30 Uhr

Übergabe von Förderbescheiden für den Breitbandausbau (Entgegennahme des Förderbescheides für den Rheinisch-Bergischen Kreis) Ort: Erich Klausner Saal, BMVI, Invalidenstr. 44, 10115 Berlin

ab 18.00 Uhr

Ausstellung »Menschen meiner Zeit, die etwas bewegten«, Porträtfotos von Josef Albert Slominski (Sie sind auch dabei) Ort: LV NRW

19.30 Uhr

Landesgruppe NRW Ort: Saal Rheinland, LV NRW

Dienstag, 26.Januar 2016

7.45 Uhr

Interview (live) wg. A 2-Plan Klöckner, Unionsdebatte, RBB Info-Radio, Sabine Dahl moderiert Ort: Sie werden im Hotel angerufen

8.15–9.00 Uhr

»Auf ein Frühstücksei mit …«, Interview für Kolumne in der ZEIT über die Welt/das, was die Welt bewegt, Zeitungsnachrichten der letzten Tage, Moritz von Uslar Ort: Café Einstein, UdL

9.15 Uhr

AG Innen Ort: PLH, 2.300

09.30 Uhr

Einlass

10.30 Uhr

Preisverleihung Sterne des Sports 2015 Ort: DZ Bank, Pariser Platz 3

12.35 Uhr

Interview mit Guy Henderson (auf Deutsch) wg. Plan A2 für CCTV NewsOrt: Büro Bosbach

13.00 Uhr

Interview wg. Portrait zu Thomas de Maizière Ort: Sie werden im Büro angerufen

anschließend

Bearbeitung Bürgerpost

15.00 Uhr

Fraktionssitzung, ggf. Wahlen und Benennungen Ort: RT, Fraktionssitzungssaal

15.45 Uhr

Foto für »Ahnengalerie« Innenausschuss bitte zwei Krawatten zur Auswahl mitbringen

16.00 Uhr

Abfahrt Berlin zur Veranstaltung in Aschersleben mit Frau Brehmer MdB Ort: PLH-West

19.00 Uhr

Rede beim Neujahrsempfang im Wahlkreis von Heike Brehmer MdB in Aschersleben Ort: Bestehornhaus, 06449 Aschersleben

ca. 21.00 Uhr

Rückfahrt nach Berlin

Sie sind nur einer von 630 Abgeordneten, aber viel bekannter als das halbe Kabinett. Was machen Sie anders als die meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die viel darum gäben, wenn sie nur halb so gefragt wären?

Vielleicht ist es die Mischung aus Offenheit und Klartext. Ich habe aus meiner politischen Meinung nie einen Hehl gemacht, auch dann nicht, wenn sie nicht der offiziellen Parteilinie oder der Haltung der Regierung entsprach. Das führt uns zu der Überlegung zurück, was materielle Abhängigkeit von der Politik bedeuten kann. Unabhängigkeit fällt dann leichter, wenn man keine Angst haben muss, nicht mehr gewählt oder aufgestellt zu werden und dadurch auch materielle Verluste zu erleiden.

Ich bemühe mich wirklich darum, meine Gedanken in eine klare Sprache zu fassen, sodass jeder weiß, wofür der Politiker Bosbach steht oder wogegen er kämpft. Es gibt in der Politik zu oft den Versuch, mit Formulierungen wie »einerseits, andererseits« oder »Alles hängt mit allem zusammen« oder auch – das wird immer gerne genommen – »vom Ende her denken« irgendwie über die Runden zu kommen. Die Zuhörer denken: »Das mag ja alles sein, aber wir wollten doch wissen, welche Meinung der Redner selbst hat.« Da muss man sich schon entscheiden. Auch auf die Gefahr hin, dass nicht das komplette Publikum die eigene Meinung teilt. Das gehört zum Berufsrisiko eines Politikers.

Es gibt auch Journalisten, die sich bei Kommentaren gerne in die Floskel »Bleibt abzuwarten« flüchten.

(Lacht.) Ich glaube, die Menschen lieben einen klaren Standpunkt, auch wenn sie diesen selbst nicht unbedingt teilen. Dann ist es vielleicht ein Privileg, dem Kabinett nicht anzugehören, weil man sich freier äußern kann. Ein Beispiel ist meine Haltung zur sogenannten Euro-Rettungspolitik und zu den Hilfspaketen für Griechenland. Wäre ich bei den Abstimmungen seit 2012 Bundesminister gewesen, hätte ich dieses Amt wegen der notwendigen Kabinettdisziplin wohl aufgeben müssen. Aber besser ein Amt aufgeben als seine politische Überzeugung.

Politiker sind nicht sonderlich angesehen.

Ja, das ist leider so.

Dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist laut applaudiert worden, als er von »machtversessenen und machtvergessenen« Politikern und Parteien sprach. Hat Sie persönlich der schlechte Ruf von Politikern jemals gestört?

Ich habe mich über dieses berühmte Zitat deshalb gewundert, weil auch Richard von Weizsäcker ein Politiker war, sich selbst aber wohl nicht gemeint haben wird. Ein ähnliches Phänomen, wenn auch eine Etage tiefer, ist Heinz Buschkowsky, bis April 2015 Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Der wäscht den Politikern ständig den Kopf und erweckt dabei den Eindruck, er sei kein Politiker und auch nie einer gewesen. Auf die Idee muss man erst einmal kommen! Sie können mir glauben: Mir sind sämtliche Urteile über und Vorurteile gegen Politiker bekannt. Nicht alle Vorwürfe, die erhoben werden, sind gerechtfertigt, aber für viele Vorbehalte habe ich auch Verständnis.

Welche Vorbehalte meinen Sie denn?