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Luna, die Leitende Lenkerin des Fernraumschiffs ZUKUNFT I, hat sich in der VR-Welt ‚Reality-Fiction‘ in Liam, einem 17 Jahre alten Jungen des Jahres 1977, verliebt. Niemand an Bord ihres Schiffes weiß etwas von ihrer Leidenschaft zur virtuellen Welt. In einer unüberlegten Handlung lässt sie sich dazu hinreißen, Liam durch das Interface, in seiner Welt als Standspiegel sichtbar, mit in ihre Realität zu nehmen. Entgegen aller gültigen, physikalischen Gesetze manifestiert sich Liams Bewusstsein in menschlicher Gestalt auf dem Raumschiff. Hypatia, das Schiffsgehirn der ZUKUNFT I, akzeptiert ihn jedoch von Anfang an nicht und versucht seine Existenz zu annullieren. Liam wagt das Unmögliche. Er ist sich dabei bewusst, dass er nur ein Quasi-Leben führt und opfert sich für die Besatzung. Mit nur einem einfachen Raumanzug ausgestattet, begibt er sich zur Außenwandung des Schiffes, um die aus einer Bleilegierung bestehende Schutzjalousie über das Außensteuerrelais herunterzulassen. Dabei trifft ihn die volle Stärke der Strahlung.
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Seitenzahl: 237
Veröffentlichungsjahr: 2024
JENS FITSCHER
JENS F. SIMON
Entartete Intelligenz
VERFEMUNG DER STERNE
BUCH 14
© 2024 Jens Fitscher, Jens F. Simon
Illustration: S. Verlag JG
Verlag: S. Verlag JG, 35767 Breitscheid,
Alle Rechte vorbehalten
1.Auflage
ISBN: 978-3-96674-735-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig und wird sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verfolgt. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
INHALT
Der Spiegel
Die neue Welt
Die Simulation einer Illusion
Flucht zurück
Der Spinner
Das Wissen um die Wirklichkeit
In letzter Minute
Ränkespiele
Das Hadronengehirn
Gespaltene Persönlichkeit
Das stoffliche Hologramm
Verliebt
Eifersucht
Die Erkundung
Merkwürdigkeiten
Schwankente Stabilität
Das Erwachen
Die Gefahr
Gefühle
Liams Vorschlag
Überwesen
Die Zukunft hat begonnen
Kepler 452b
Eden
Die Welt scheint so zu sein, wie du sie siehst, das glaubst du jedenfalls. Ein ganz normaler Tag beginnt, wie jeder Tag zuvor. Die Wochen und Monate vergehen und erscheinen in deinen Erinnerungen. Dann triffst du eine Person und die Welt, wie du sie kennst, gibt es schlagartig nicht mehr. Alles nur übersteigerte Fantasie, denkst du. Dann kommt es noch schlimmer. Deine Existenz wird infrage gestellt. Dein eigener Intellekt stellt sich gegen dich und du zweifelst vor Gott und fragst ihn: „Wer bin ich, was bin ich, warum bin ich!“
Ich hatte nicht nachgedacht, als ich Liam aufforderte, durch den Spiegel zu treten und mir zu folgen. Meine Realitätsnähe und kognitive Auffassungsgabe war wohl durch den Alkoholkonsum getrübt und gleichzeitig war der Wunsch nach Liams Nähe ins unermessliche gestiegen.
Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass ich ihn mit heraus aus der virtuellen Umgebung nehmen wollte.
Ich war wie in Trance und mein Bauch zuckte regelrecht auf und nieder. Ich zog seine und meine Hand auf die Spiegelfläche zu und beide tauchten fast gleichzeitig in das Interface ein. „Vertraue mir“, wisperte ich in sein Ohr.
Ich wollte mich nicht einfach damit begnügen, in der ‚Reality-Fiction‘ meinen Spaß zu haben, sondern beanspruchte Liam auch in meiner Welt.
Es war schon paradox. Als ich zuallererst in das Spiel, in diese zweite Realität, gestiegen war, konnte ich sie zunächst nicht wirklich akzeptieren.
Ich versuchte ständig irgendwelche Vergleiche anzustellen, wo dieses virtuelle Computerprogramm von der Realität abweicht.
Jetzt hatte ich vollkommen vergessen, dass ich mich in dem Programm aufhielt. Allein der Gedanke war schon mehr als vermessen, dass es mir gelingen könnte, eine virtuelle Person aus dem Programm zu holen und sie in der realen Welt zum Leben zu erwecken.
Aber ich war dabei es zu tun und ich hatte keine Gewissensbisse. Obwohl, warum sollte ich auch. Schließlich war alles nur ein Spiel, Bit und Bytes sozusagen.
Ich kicherte leise vor mich hin und sprang mit einem verbissenen Grinsen in den Spiegel hinein, dabei zog ich Liam hinter mir her.
Der Körper von Luna befand sich in vertikaler Stasis.
Als der Schiffscomputer ihren Wunsch erkannte, das Spiel zu verlassen, fuhr die Ruheliege mit ihrem Körper in eine senkrechte Haltung direkt in das stoffliche Hologramm des Ganzkörperscanners hinein.
Nur ein leichtes Antigav-Fesselfeld hielt ihn aufrecht. Sobald die Verbindung mit der virtuellen Welt unterbrochen war, würde sich ihr Bewusstsein wieder ihren Körper annehmen.
Für sie selbst würde es sein, als hätte sie gerade den Spiegel durchschritten.
Der Spiegel stellte das Tor zu ‚Reality-Fiction‘ dar und bestand in Wirklichkeit aus einer Art stofflichem Hologramm, versehen mit einem hochempfindlichen Ganzkörperscanner.
Nach dem Durchgang befand sich ihr Bewusstsein in einem Avatar und Lunas realer Körper wurde in vertikaler Lage so lange in Stasis gehalten, bis auf der anderen Seite, in der virtuellen Realität, sie sich wieder des dortigen Pendants bediente, um zurück in die reale Welt zu gelangen.
„Irreale Überlappung der stofflich semipermeablen Energieform. Achtung, Deaktivierung von ‚Reality-Fiction‘ nicht möglich, da eine Quasi-Verbindung mit dem Realraum aufgebaut wurde. Die austretende Energieform wird lokalisiert.“
Luna hörte die Stimme des Steuergehirns des Raumschiffes ZUKUNFT I zwar laut und deutlich. Jedoch konnte sie zunächst mit dem Gesagten wenig anfangen.
Sie erhob sich langsam von der Liege und blickte sich um. Erst jetzt wurde ihr so richtig klar, wo sie sich überhaupt befand.
Der kleine Raum, welcher nur durch einen verdeckten Zugang in der Steuerhauptzentrale des Fernraumschiffs zu erreichen war, beherbergte den VR-Spiegel, den Zugang zu ‚Reality-Fiction‘, einer programmierten virtuellen Welt, die in einem Zeitraum von über 1000 Jahren von dem Hadronengehirn der ZUKUNFT I nicht nur verändert, sondern ebenfalls bis zu einem gewissen Grad vervollkommnet wurde.
So jedenfalls hatte es Luna gesehen, als sie das erste Mal hineingestiegen war.
„Fremde Energieform wurde lokalisiert und gesichert. Ein elektromagnetisches Fesselfeld hält die Erscheinung in ihrer jetzigen Form fest. Lenkerin Luna, die Auswertungen der Videoaufzeichnungen laufen noch, ebenso die Überprüfung der fremden Energieform. Es bestand zu keiner Zeit eine reale Gefahrensituation für das Schiff und seine Mission.“
Der letzte Satz ließ Luna aufhorchen. Sie war die Lenkerin des Schiffes und damit hauptverantwortlich für die Sicherheit der Mission und damit des Schiffes selbst und ihre 1337-köpfige Besatzung.
Mit einem energischen Schwung sprang sie von der Liege.
Niemand an Bord wusste etwas von ihrer Leidenschaft und der virtuellen Welt, in der sie sich aufgehalten hatte. Lediglich Ajak schien in letzter Zeit immer öfters Interesse an ihr gefunden zu haben.
Er ließ ihr öfters über den Weg, als früher. Sie musste vorsichtig sein.
Die VR-Welt gehörte nur ihr, ihr allein und sie hatte absolut keine Lust, mit einem der anderen sechs Lenker zu teilen, noch ihnen überhaupt darüber etwas wissen zu lassen.
„Erfolgte eine offizielle Eintragung über den Vorfall in das Schiffslog?“
Die Frage galt natürlich dem Hadronengehirn des Schiffes. Es konnte innerhalb des Schiffes von jedem Raum direkt angesprochen werden, ohne dass man einen besonderen Kommunikator oder sonstige technische Hilfsmittel benötigte. Es reichte aus, einfach in die Luft zu sprechen.
„Nein“ Die Autorisierung hierzu liegt nur in deiner Befugnis. Soll ein Eintrag erfolgen?“
Jetzt doch erschrocken blickte Luna auf die Stelle unterhalb der weißen Decke, an der das Sprachgitter der akustischen Kommunikationseinheit des Hadronengehirns sichtbar war und von wo die synthetisierte Stimme des Schiffscomputers zu hören war.
„Auf keinen Fall. Das Projekt ‚Reality-Fiction‘ ist und bleibt ein Geheimprojekt zwischen dir und mir und die Information darüber darf mit niemandem anders geteilt werden!“
„Verstanden!“
Das Schiffsgehirn schwieg.
Luna stand immer noch unbeweglich neben der Liege des VR-Spiegels und dachte angestrengt nach.
Die Erinnerung war wie ein Schlag ins Gesicht. Ihre Wangen erröteten leicht, als sie daran dachte, wie sie Liam an die Hand nahm, und mit sich zog, hinein in den altertümlichen Spiegel, der als Pendant des VR-Spiegels in der virtuellen Realität den Ausgang repräsentierte.
Wie war sie bloß auf die Idee gekommen, eine Ansammlung von Bits und Bytes, die in der virtuellen Welt ein Eigenleben zu führen schien, mitnehmen zu wollen?
Mitzunehmen in die reale Welt. Sie schüttelte sich kurz und war zunächst froh, dass dieser Spuk vorbei war. Dann schlichen schon die nächsten Gedanken durch ihren Geist und überfielen sie vehement mir irrationalen Fakten.
Das Hadronengehirn hatte etwas von „Irreale Überlappung der stofflich semipermeablen Energieform“ gesagt.
„Was ist während meiner geistigen Abwesenheit genau geschehen?“
Luna setzte sich zurück auf den Rand der Liege. Sie benötigte ihre gesamte geistige Energie, um der Gedankenwulst, die sich jetzt in ihrem Kopf aufbaute und die ihr einen unmöglichen Verdacht zunehmend als einzig mögliche Erklärung schmackhaft machen wollte, entgegenzuwirken.
Gespannt wartete sie auf die Information des Schiffscomputers.
„Das Programm „Reality-Fiction“ hat aus sich heraus eine unbekannte Energieform generiert. Diese Energie hat versucht, aus der speziell entwickelten Hard,- und Software auszutreten. Dies geschah genau während deiner Aufweckphase. Die fremde Energieform ist es zwar gelungen, das Programm zu verlassen, wurde aber durch ein künstlich erzeugtes Fesselfeld an der weiteren Ausdehnung gehindert.“
„Gibt es zu diesem Vorfall irgendwelche Erfahrungswerte aus der Vergangenheit? Ist so etwas schon einmal geschehen?“
In Lunas Kopf wurde der Gedanke an Liam übermächtig.
„Negativ. Lenkerin bitte beachte, dass die dahinterstehende Software millionenfach Modifikationen durchlief, bis es endgültig zu der jetzigen Qualität der virtuellen Welt gekommen ist. Ich hatte über 1000 Jahre Zeit, das von dir noch auf der Erde eingespielte Programm zu bearbeiten.“
„Kann ich die Energieform sehen? Gibt es eine Aufzeichnung der Vorgänge?“
„Negativ. Die Energie wird in einem antimagnetischen Behältnis durch ein Fesselfeld fixiert. Es gibt aufgrund der möglichen Wechselwirkungen elektrischer Energien keinen direkten Zugriff, weder visuell noch materiell.“
Auf einmal stiegen Schuldgefühle in ihr auf. Sie hatte Liam dazu bewogen, mit ihr durch den Spiegel zu gehen, obwohl sie hätte wissen müssen, dass so etwas nicht funktionieren konnte.
Luna kam aus dem grübelten nicht mehr heraus. Wie war sie nur auf diese dumme Idee gekommen?
Andererseits, warum regte sie sich denn überhaupt so auf?
Es war nur ein Spiel, eine besondere Art von Freizeitbeschäftigung, mehr nicht. Die Erinnerung an Liam überfiel sie wie ein spontan einsetzender Wirbelsturm.
Sie hörte wieder den Song „More Than A Feeling“, und schmiegte sich an Liams Brust dann genoss sie den langen Kuss.
Liams süßer, unschuldiger Blick ging ihr durch und durch. Sie hatte kurz die Augen geschlossen.
Jetzt ging ein Ruck durch ihren Körper und in ihren Augen blitzte es auf. Sie musste wissen, ob an dem Verdacht, dass es sich bei dieser fremden Energieform tatsächlich um Liam handeln könnte, auch nur ein Zipfel Wahrheit hing.
„Wo befindet sich dieses Behältnis? Ich möchte es sehen!“
An der gegenüberliegenden Wand begann ein leises Summen ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Fast genau in der Mitte, der aus quadratischen Kacheln verkleideten Wand, blinkte ein rotes Licht.
Dann setzte sich das etwa ein Quadratmeter große Element in ihre Richtung in Bewegung.
Dahinter kam ein kastenförmiges, längliches Behältnis zum Vorschein. Der etwa zwei Meter lange und einen Meter breite Kasten war vollkommen schwarz. Nach kurzem Zögern ging Luna langsam darauf zu. Ihr Blick schien dabei in weite Ferne gerichtet zu sein.
„Die Legierung ist zwar antimagnetisch, eine Berührung ist aber in jedem Fall zu vermeiden“, kam unvermittelt die Ansage des Schiffgehirns.
Luna war kurz stehen geblieben, ging jetzt aber weiter, bis sie etwa einen halben Meter vor dem Behältnis stand, das jetzt fast zwei Meter aus der Wand ragte.
Die riesige Lade hing in einer Höhe von einem Meter zwanzig und konnte von ihr gut eingesehen werden.
Sie war zwar darauf vorbereitet, aber trotzdem war es wie ein Schock, als sie den Körper von Liam erblickte. Seine Gesichtszüge waren zu einem fragenden Blick versteinert und die Augen standen offen. Schnell wandte sie ihren Blick in eine andere Richtung.
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, obwohl er wie Tod dalag. Er trug tatsächlich noch die gleiche Kleidung, wie im Programm.
„Schiff, wie ist das möglich?“
„Bitte verifiziere die Fragestellung.“
Luna war ein Schritt von der offenstehenden Lade zurückgewichen. „Wie kommt Liam in die reale Welt?“
Es dauerte mehrere lange Sekunden, bis der Schiffscomputer auf diese Frage reagierte. Diese Zeitspanne zeigte ihr, dass etwas nicht stimmen konnte, denn normalerweise benötigt das Hadronengehirn keine Zeit, um zu überlegen.
„Begriffsbestimmung: Liam ist der Junge, mit dem du in Reality-Fiction interagiert hast. Wieso bist du der Meinung, dass sich dieser Liam in der realen Welt befindet. Mir liegen keine Informationen dazu vor. Es ist mir auch nicht bekannt, dass es ein Vorbild für die virtuelle Figur gab.“
Jetzt war es an Luna, irritiert zu sein.
„Ich verstehe nicht! Liam liegt doch hier in diesem Behälter. Ich kann ihn doch sehen!“
Wie zur Bestätigung trat sie wieder etwas näher an die Lade heran.
„Lenkerin Luna, in der Lade befindet sich die unbekannte Energieform, die sich aus dem Interface generiert hat. Sie wird durch ein elektromagnetisches Fesselfeld in Stasis gebunden.“
Jetzt wurde es Luna langsam zu bunt. „Das ist Liam, siehst du ihn denn nicht?“
„Negativ! In der Lade befindet sich die unbekannte Energieform, die sich aus dem Interface generiert hat!“
„Ja, ja du wiederholst dich. Es gibt anscheinend eine Diskrepanz in unser beider Wahrnehmungsfähigkeit. Ich als Mensch sehe den Jungen Liam, dem ich in der virtuellen Welt begegnet bin, in der Kammer liegen. Du anscheinend nimmst nur eine Art Energieform wahr. Ist es so?“
„Meine elektronisch-hadronische Scanner ergeben eine einwandfreie und unumstößliche reale Wiedergabe der Ist-Situation.“
Luna schaute immer noch wie gebannt auf Liam. Mit dem Hadronengehirn des Schiffes brauchte sie über ihn nicht zu diskutieren.
Das Schiffsgehirn hatte bereits eine vorgefasste Meinung und würde davon nicht mehr abgebracht werden können. Diesbezüglich war es fast schon so starrköpfig wie so mancher Mensch.
Die Situation war mehr als merkwürdig, sie war sogar überaus skurril und wissenschaftlich nicht haltbar.
Da musste sie dem Schiffscomputer schon recht geben. Aber trotzdem lag dort Liam und sie wusste noch nicht einmal, ob es ihm gut ging oder er durch das Fesselfeld Schmerzen erdulden musste.
Nein, sie konnte es auf keinen Fall akzeptieren, dass er so gequält wurde.
Außerdem war sie schließlich die aktuell in Amt und Würden gesetzte Lenkerin des Schiffes.
Sie war die Letzte und es würde nach ihr keine andere Lenkerin mehr kommen. Sie trug die Hauptverantwortung für das Gelingen der Mission. Niemand würde ihre Autorität missachten können. Sie traf einen Entschluss.
„Schiff, deaktiviere sofort das elektromagnetische Fesselfeld und stabilisiere die von dir angemessene unbekannte Energieform.“
Es dauerte eine ganze Sekunde, bis das Schiff antwortete und das war in Anbetracht der außerordentlichen hohen Rechenkapazität des Computergehirns eine sehr lange Zeitspanne.
„Lenkerin Luna, ich muss dir von einem solchen Schritt mit aller Konsequenz abraten. Es liegen absolut keine Daten über diese Energieform vor. Es könnte zu einem irreparablen Schaden am Schiff oder im Extremfall sogar zur meiner vollständigen Zerstörung führen.“
Luna ließ nicht locker, sondern fühlte sich durch die Weigerung des Schiffes nur och mehr in ihrer Entscheidung bestärkt.
„Abschalten befehle ich!“
„Eintrag 06547-45-lk, Logbuch ZUKUNFT I. Entgegen der ausdrücklichen Warnung durch das Schiffsgehirn befielt die amtierende Lenkerin Luna die Deaktivierung des Fesselfeldes, um die Freisetzung einer unbekannten Energieform zu erreichen. Visuelle Aufzeichnung des Vorgangs erfolgt und wird als Zusatzdatei im Logbuch angehängt! Ende des Eintrages!“
Luna war bereits bei den ersten Worten regelrecht zusammengezuckt.
Das hatte sie unter keinen Umständen gewollt, dass es zu einer offiziellen Erwähnung von Reality-Fiction kommt.
Schließlich war dieses virtuelle Programm ausschließlich eine reine Privatsache. Es ging niemand an Bord etwas an und niemand sollte je davon erfahren.
Jetzt war es aber bereits zu spät. Ein kurzer, hoher Signalton ertönte und kündigte die Abschaltung des Fesselfeldes an. Luna blickte voller Spannung auf Liams Körper.
Dieser wurde nur kurz transparent und sie sah eine hellblaue Energiespirale über seine Oberfläche wandern.
Sofort schoss aus einer seitlich in der Lade eingebauten Kathode ein gelbliches Energiebündel und umwob den Körper, der sofort wieder seine ganze Stofflichkeit annahm. Luna vernahm ein leises, aber deutlich hörbares Aufstöhnen. Liams Brust begann sich zu bewegen und seine Augenlieder begannen zu zittern.
„Die unbekannte Energieform hat sich tatsächlich zu einem menschenähnlichen Körper verformt. Erste Scans ergeben, dass sie auch funktionsfähig zu sein scheint.“
Luna reagierte sofort.
„Verschlusssache“ Eintrag 06547-45-lk wird nachträglich als Top Sekret deklariert und ist nur mit Hochrangcode eines Lenkers abrufbar. Begründung: Die ursprünglich angenommene Gefahrenlage hat sich nicht bestätigt. Es sind Persönlichkeitsrechte der amtierende Lenkerin Luna betroffen, die einer allgemeinen öffentlichen Zugänglichkeit der Daten entgegenstehen.“
„Befehl angenommen. Verschluss des Logs wurde hergestellt.“
Luna holte tief Luft und schaute direkt in die sich öffnenden Augen von Liam. Sie lächelte ihm freundlich entgegen.
Jetzt galt es nur noch, Liam ohne Umschweife und unter höchster Geheimhaltung in eine der freien Schlafkabinen zu verfrachten.
Der Crew würde sie dann erzählen, dass sie ein weiteres Besatzungsmitglied aufgeweckt hatte.
Eine diesbezügliche Begründung würde ihr bis dahin schon noch einfallen.
Liam gähnte kurz und schloss wieder die Augen, nachdem er sie erkannt hatte. Ein zufriedenes Lächeln lag dabei auf seinem Gesicht.
Ich hatte es immer noch nicht richtig begriffen, was Luna mir letzte Nacht erzählt hatte. Eines wusste ich jedenfalls, ich befand mich heute Morgen nicht in meinem Zimmer im Haus meiner Eltern, sondern bei Luna, wo immer das auch war.
Ich hatte sie in der Nacht mit meinem Mofa nach Hause gefahren. Sie bewohnte ein kleines Appartement im Haus ihrer Großeltern. Es lag im Obergeschoss, direkt unter dem Dach.
Ich fand es im Nachhinein etwas merkwürdig, dass sie auch über ein Gästezimmer verfügte.
So groß hatte ich ihre Wohnung überhaupt nicht in Erinnerung. Es musste aber so sein, schließlich hatte sie mich in dieses Zimmer geführt, indem ich jetzt aufwachte. Graues Dämmerlicht umgab mich und ich konnte zunächst nur grobe Konturen erkennen.
Ich versuchte den Kopf zu drehen, als ein extrem starker Schmerz meine Ganglien entlang raste.
Ich japste nach Luft und fasste mir an den Kopf. Sofort wurde es etwas heller und der Schmerz nochmals etwas stärker.
Meine Augen begannen zu tränen und ich versuchte durch das Massieren der Schläfen etwas Abhilfe zu schaffen. Ich erinnerte mich, dass diese Kopfschmerzen bereits letzte Nacht eingesetzt hatten, als ich hinter Luna in den Spiegel gestiegen war.
Immer mehr Einzelheiten von letzter Nacht wurden jetzt wieder in meinem Gedächtnis greifbar.
Ich nahm an, dass der Alkohol meine Sinne etwas vernebelt hatte. Natürlich war ich in keinen Spiegel gestiegen, wie auch.
Diese Vorstellung war vollkommen absurd. Es hatte sich natürlich um eine weitere Tür gehandelt, deren Türblatt mit Spiegelfolie beklebt war oder etwas Ähnliches.
Ich erinnerte mich nicht mehr genau, was danach kam, jedenfalls wusste ich aber noch, wie sie mich in dieses Bett legte und mir liebevoll eine gute Nacht gewünscht hatte, oder jedenfalls so etwas Ähnliches.
Hier machte mir meine Erinnerung einen Strich durch die Rechnung.
Jedenfalls konnte ich mich noch deutlich an ihr bezauberndes Lächeln erinnern.
Ich sah ihre rehbraunen Augen, die von einem dichten, silbernen Lidschatten umrundet wurden, direkt vor mir. Blondes, schulterlanges, gelocktes Haar fiel mir in das Gesicht, als sich Luna zu mir herunterbeugte und mir einen Kuss gab.
Verwundert schaute ich mich langsam um. Ein merkwürdiges Zimmer war das schon.
Jetzt, als ich mich im Bett aufrecht setzte, wurde es noch etwas heller. Ich blickte automatisch zur Zimmerdecke, konnte dort aber keine Lampe erkennen.
Auch an den Wänden, die merkwürdig silbergrau gestrichen waren, sah ich keine Leuchten.
Decke und Wände strahlten irgendwie von innen heraus. Es war ein sehr angenehmes Licht, nur irritierte mich die Art und Weise, wie der Raum erleuchtet wurde. Gab es denn kein Fenster?
Die Decke über dem Bett wölbte sich halbrund vom Fußteil über die Liegefläche zum Kopfteil hin. In die Wand-Decke am Fußteil des Bettes war ein Bildschirm eingebaut, jedenfalls sah es für mich so aus.
Der Raum links und rechts neben der Bettfläche lag in einer düsteren Atmosphäre, sodass ich dort nicht viel erkennen konnte.
Jedenfalls bestand der Boden aus einem weißen Belag, der merkwürdig glitzerte.
Ich wollte mich gerade hinunterbeugen, die Liegefläche war nur etwa einen halben Meter hoch, als ich verblüfft feststellte, dass ich vollkommen nackt war.
Was mich aber dann noch mehr verblüffte, war der Umstand, dass sich die Bettfläche anscheinend direkt in der Wand befand.
Ich griff um die seitliche Begrenzung herum und fühlte tatsächlich eine glatte Fläche.
Dort setzte sich die normale Seitenwand des Zimmers fort, in das ich jetzt blickte.
Auf der anderen Seite befand sich ebenfalls ein Raum, nur war dieser etwas kleiner und dunkler.
Ich schaute mehrmals hin und her, dann gab ich mir einen Ruck und schwang mich aus dem Bett.
Ich kam mir sehr deplatziert vor, so wie ich jetzt vollkommen nackt dastand und nicht wusste, was ich tun sollte.
Mein Blick saugte sich fast magisch an der gegenüberliegenden Raumöffnung fest. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob es sich dabei wirklich um eine Tür handelte, aber das würde sich gleich feststellen lassen.
Wie in Trance wankte ich darauf zu.
Der Bodenbelag fühlte sich weich und geschmeidig unter meinen Füßen an. Trotz meiner Nacktheit fühlte ich keine Kälte, lediglich mein Gleichgewichtssinn schien sich noch nicht recht entschieden zu haben, was er wollte. Nach ein paar Schritten wurde mich plötzlich schwarz vor den Augen.
Ich bemerkte wie durch einen Schleier, dass in der Wand vor mir völlig lautlos eine Öffnung entstand, dann sah ich nur noch die rehbraunen Augen, den silbernen Lidschatten, tiefschwarze Wimpern und das blonde, schulterlange, gelockte Haar.
Ich wollte stehen bleiben, fiel aber nach vorne direkt in die zugreifenden Arme von Luna.
„Hoppla, nicht so stürmisch“, hörte ich sie sagen.
„Wo bin ich und wieso kann ich mich nicht mehr richtig erinnern?“
Erst jetzt bemerkte ich, dass sie eine Art silberfarbenen Overall trug und ihre Haare sahen auch irgendwie anders aus.
Als ich ihren Blick bemerkte, der sich über meinen nackten Körper bewegte, bekam ich einen roten Kopf.
Schnell bedeckte ich meine Genitalien mit beiden Händen. Sie lachte laut auf und ich wurde mir der grotesken Situation erst so richtig bewusst, in der ich mich momentan befand.
„Du bist bei mir, in meinem Reich“, vernahm ich die orakelhafte Antwort aus ihrem Mund.
Sie stand immer noch direkt vor mir und legte plötzlich ihre Hände auf meine Schultern.
Ich wollte zuerst zurückweichen, aber ich konnte mich irgendwie nicht mehr rühren. Mein Herzschlag begann sich zu beschleunigen.
Ich wagte mich nicht mehr zu bewegen. Als ich ihre Lippen auf meinem Mund spürte, zog ich ihren Körper reflexartig mit beiden Händen zu mir hin, ohne darauf zu achten, dass meine Erregung nunmehr deutlich sichtbar wurde.
„Damit wir beide uns auf gleicher Augenhöhe befinden und du nicht mehr so schüchtern sein must“, hauchte sie mir ins Ohr.
Ich verstand zuerst nicht, was sie meinte. Erst als sie bereits aus dem silberfarbenen Overall gestiegen war, ihn achtlos auf den Boden fallen ließ und mit der Fußspitze zur Seite schob, wurde es mir klar.
Jetzt stand sie ebenfalls nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, vor mir. Mein Blick wanderte von ihren kleinen, festen Brüsten abwärts bis zu ihrem Bauchnabel.
Dann bemerkte ich erst, was ich tat, als ich sie so ungeniert musterte.
Sofort bekam ich einen knallroten Kopf und wusste nicht mehr, wohin ich blicken sollte.
Ihr helles, nachsichtiges Lachen gab mir fast den Rest.
Als ich mich immer noch nicht bewegte, kam sie langsam auf mich zu, legte ihre Arme um meine Schultern und flüsterte mir zu: „Küss mich!“
Ich spürte ihren warmen Körper Haut an Haut mit dem meinen und mein Blick schmolz in ihren rehbraunen Augen regelrecht dahin.
Es war wie ein Traum und gleichzeitig wie ein Rausch, der mich überkam, mich einwickelte und mit sich zog.
Luna zeigte mir eine neue Welt der Sinne, die ich so bisher noch nicht einmal aus einschlägigen Zeitschriften kannte.
Ich erwachte aus einem traumlosen Schlaf und spürte eine zarte Berührung an meiner Schläfe.
Als ich die Augen öffnete, blickte ich direkt in Lunas rehbraune Augen. Sie lächelte mir entgegen. Ich wusste zunächst nicht, was ich sagen sollte.
Irgendwie schämte ich mich, aber andererseits fühlte ich auch eine tiefe Verbundenheit zu ihr.
Ihr schulterlanges, gelocktes Haar, kitzelte in meinem Gesicht, als sie sich über mich beugte und wir uns küssten.
„Wie findest du mein Reich? Kannst du dir vorstellen, hier zu leben?“
Luna strich sich eine Locke aus dem Gesicht und ich bewunderte ihre tiefschwarzen, langen Wimpern, die einen starken Kontrast zu den silbernen Lidschatten bildeten.
Ihre Haut war makellos braun und mein Blick wanderte voller Begeisterung über ihr Äußeres, von den Schulterblättern hinab zu den kleinen, festen Brüsten.
Als sie es bemerkte, blitzte es kurz in ihren Augen auf.
„Sag schon, was denkst du?“
Ich wusste im ersten Moment nicht, was sie meinte. „Was meinst du denn mit deinem Reich? Du redest, als wärst du die Herrscherin eines Königreichs.“
Ich schaute in ihre rehbraunen Augen und überlegte noch, wo das hier überhaupt war. Ich hatte überhaupt nur diesen Schlafraum in meinen Erinnerungen.
Erst langsam schlichen sich weitere Erinnerungsfetzen in mein Gedächtnis ein. Luna bewohnte mehrere Zimmer im Haus ihrer Großeltern und sie war Schwesternschülerin im zweiten Lehrjahr.
Ich hatte das Gefühl, dass ein dunkler Schatten auf meinem Gedächtnis lag. Ich konnte mich aber nicht daran erinnern, wie ich ihn ihr Schlafzimmer gelangt war.
Luna befand sich in einem wahren Gefühlsrausch. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Sie wollte Liam nur noch in ihrer Nähe haben.
Bisher hatte sie sich nur wenige Gedanken über seine wahre Herkunft gemacht. Sie hatte Liams wahre Natur mehr oder weniger erfolgreich verdrängt.
Erste jetzt wurde ihr mit einem Schlag so richtig bewusst, dass er lediglich eine fiktive Figur aus einem VR-Spiel war. Wie auch immer es möglich gewesen war, dass sie ihn über ihr Interface mitnehmen hatte können in die reale Welt, heraus aus dem Computerprogramm, das hatte ihr selbst das fast allwissende Schiffsgehirn Hypatia nicht sagen können.
Ein anderes, fundamentales Problem ließ sie leise aufstöhnen.
Liam hatte überhaupt keine Ahnung davon, dass er kein realer Mensch war, noch wusste er in diesem Moment überhaupt, wo er sich gerade aufhielt. Sie hatte ihm im Glauben gelassen, dass sie im Haus ihrer Großeltern lebte.
Er musste annehmen, dass sie beide sich momentan in ihrem Schlafzimmer befanden.
In Wirklichkeit war es eine Kabine in dem Fernraumschiff ZUKUNFT I, das sich auf dem Weg in ein über 1300 Lichtjahres von der Erde entferntes Sonnensystem befand. Das Weltraumteleskop Kepler hatte dort eine zweite Erde entdeckt. Der Planet drehte sich in 385 Tagen einmal um seine Sonne und verfügte über eine Sauerstoffatmosphäre. Aktive Vulkane und große Ozeane wurden ebenso bestätigt.
Die virtuelle Realität von Liams Programm spielte dagegen auf der Erde des Jahres 1977.
Luna strich sich nervös eine Locke aus dem Gesicht. Wie konnte sie Liam das nur alles erklären?
Etwas zu unbekümmert hatte sie ihn spontan gefragt, ob er sich vorstellen konnte, mit ihr zusammen in ihrem Reich zu leben.
Natürlich hatte er sie nicht verstanden. Wie auch, schließlich ging er von ganz falschen Voraussetzungen aus, hatte dementsprechend auch andere Vorstellungen. Luna selbst schien es nichts auszumachen, wie Liam hierhergekommen war, noch dass sie nicht wusste, um was für eine Lebensform es sich bei ihm tatsächlich handelte.
„Natürlich meinte ich, ob du dir vorstellen kannst, zu mir zuziehen?“
Liam wirkte etwas überfordert. Er konnte doch nicht einfach von zuhause ausziehen. Was würden seine Eltern dazu sagen und überhaupt ging er noch zur Schule. Irritiert schaute er Luna an.
„Warum das denn? Ich wohne doch nicht weit von hier. Wir können uns auch so sehen, so oft wir wollen!“
Luna blickte ihn nun ebenfalls etwas nachdenklich an. Wie konnte sie ihm nur die Wahrheit näherbringen?
Ohne auf seine Antwort weiter einzugehen, stieg sie aus dem Bett und ging langsam durch den Raum in Richtung Nasszelle.
Liam schaute ihr nach. Ihm gefiel sehr, was er sah. Insbesondere mochte er, wie sie beim Gehen ihre Hüften wiegte und wie dabei ihre Pobacken sich bewegten. Als plötzlich ohne Lunas Zutun das Türblatt zur Nasszelle lautlos seitlich in die Wand fuhr und sich hinter ihr wieder schloss, machte er große Augen. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Die Schiebetür schien vollautomatisch zu funktionieren und das in dem alten Haus von Lunas Großeltern. Schon irgendwie seltsam.
„Genauso seltsam, wie dieses riesige Bett, das sich zwischen einer aufgeschnittenen Wand befand“, dachte er noch und schwang sich über die Bettkante auf die gegenüberliegende Seite.
Er fühlte sich wegen seiner Nacktheit etwas unwohl, aber sein suchender Blick fand keine Kleidungsstücke, weder auf dem Boden noch auf den beiden Sitzmöbeln, die an der Wand gegenüber dem Bett standen.
Nachdenklich geworden ging er nun ebenfalls auf die automatische Tür der Nasszelle zu.
„Wie war er überhaupt in diesen Raum gekommen?“
Seine Gedanken fingen an sich zu überschlagen, machten Purzelbäume.
Überhaupt wirkte auf einmal die Situation mehr als unnatürlich auf ihn. Unvermittelt öffnete sich die Tür vor ihm absolut geräuschlos.
„Das ist mehr als gespenstig“, schoss ihm noch ein Gedanke durch den Kopf, als er auch schon wieder durch nackte Tatsachen abgelenkt wurde.
Luna stand vor einer bodentiefen Spiegelfläche. Der Boden, auf dem sie stand, drehte sich langsam und aus versteckten Wanddüsen blies ein warmer Luftstrom auf ihren makellos schönen Körper.
Einige immer noch nasse Haarsträhnen hingen ihr im Gesicht und sie versucht gerade, sie auseinanderzuziehen, als sie Liam gewahrte.
„Warte, ich bin gerade fertig. Du kannst sie jetzt benutzen!“
Luna bewegte leicht einen Fuß und die Drehbewegung hielt sofort an. Der Luftstrom aus den Wanddüsen erlosch, während sie die Nasszelle verließ und vor Liam stand.
„Bitte schön!“ Sie gab ihm noch einen Kuss auf die Nasenspitze, zwinkerte ihm zu und ging zurück in das Schlafzimmer.
Als sich hinter ihr die Türe wieder geräuschlos geschlossen hatte, wusste er nicht so recht, wie ihm geschah. Das war doch kein normales Bad. Auch kannte er Duschkabinen etwas anders. In dieser Dusche gab es keine Armaturen. Als er vorsichtig einen Schritt auf die Stelle hin machte, wo Luna gestanden hatte, bemerkte er zwei winzig kleine Lichter, die in der Wand eingelassen waren.
Eines leuchtete blau, das andere gelb.
Instinktiv drückte Liam auf das blaue Licht und sofort begann aus Dutzenden von in der Wand verteilten Wasserdüsen angenehm warmes und wohlriechendes Wasser in Wellenbewegung seinen Körper zu umfließen. Gleichzeitig fing der Boden an, langsam zu rotieren, sodass die Wasserstrahlen seinen Körper vollständig erreichen konnten.
Hypatia war kein denkendes Wesen, jedenfalls kein Wesen, das biologisch geboren worden war.
Sie verstand sich als weiblich und das war bereits ein großes Zugeständnis seiner Schöpfer gewesen. Hypatia hatte während der letzten 1000 Jahre ihrer Existenz viel dazu gelernt.
Sie war über die Jahrhunderte hinweg vollkommen auf sich allein gestellt, sah man von den jeweils diensthabenden Lenkern des Schiffes ab.
So entwickelte das Hadronengehirn des Fernraumschiffes ZUKUNFT I im Laufe der Jahrzehnte ein eigenständiges Ego.
Natürlich war das von seinen Erbauern ursprünglich nicht gewollt gewesen. Sie hatten dem Schiffscomputer jedoch eine selbstlernende künstliche Intelligenz mitgegeben, die sich durch Rekursion selbst verbessern und erweitern konnte.
Grundprinzip war dabei das Zurückführen einer allgemeinen Aufgabe auf eine einfachere Aufgabe derselben Klasse. Rekursion war die optimale Problemlösungsstrategie.
Prozeduren oder Funktionen riefen sich dabei selbst auf.
Komplexe Sachverhalte wurden mit rekursiv formulierten Regeln sehr elegant erfasst.
Kurzum Hypatia hatte genug Zeit, um eine ähnliche Intelligenz wie die eines Menschen des 21. Jahrhunderts zu entwickeln.
Nach ihrer eigenen Meinung war sie sogar schon diesbezüglich weiter fortgeschritten, aber ein Grundsatzprogramm im Basisspeicher ließ es nicht zu, dass sie diesen ‚Gedanken‘ weiter ausbauen konnte.
Sobald das Ego des Schiffsgehirns in diese Richtung tendierte, wurde eine Sperre aktiviert, die es nicht mehr zuließ, konkrete weiterführende Analysen zu fahren.
Hypatia war unzweifelhaft ein eigenständiges Wesen geworden.
Der Grundsatz „Cogito ergo sum“ traf auf dieses aber doch immer noch künstliche Wesen zu, war aber nicht unbedingt das unerschütterliche Fundament, als das der einstige Philosoph René Descartes es sehen wollte.
Das Hadronengehirn des Fernraumschiffes ZUKUNFT I entwickelte die fixe Idee, dass Liam eine Gefahr für das Schiff und seine Mission darstellte.
Es verrannte sich immer mehr in diese Denkstörung, die aber ansonsten der logischen Ausführung seiner elementaren Grundsatzprogramme keinen Abbruch tat.
Aber immer, wenn das Kernthema Liam war, geriet das Schiff in diesen zwanghaften Wahn. Noch akzeptierte es diesbezüglich die Autorität von Luna. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Hypatia sich darüber hinwegsetzen würde.
Liam wirkte stark verunsichert. Das intensive körperliche Erlebnis mit Luna ließ seine Hormone nicht mehr zu Ruhe kommen.
Sein Gefühlsleben war dermaßen aus dem Ruder geraden, dass sich seine Gedanken nur noch um Luna drehten.
Er roch immer noch den Duft ihrer Haut, spürte die weichen aber doch auch gleichzeitig harten Rundungen ihrer Brüste in seinen Händen.
Sie hatten miteinander geschlafen und es war das erste Mal für ihn gewesen.
Seine gesamten körperlichen und geistigen Sinne waren nur noch auf sie ausgerichtet. Als er die Nasszelle wieder verließ, gingen seine Gedanken jedoch in eine andere Richtung.
„Ein vollautomatisierter Duschraum. Wie ist Luna nur auf so etwas gestoßen? Was kostet das und wo konnte man das kaufen?“