Entdecke den Schatz in deinem Herzen - Thich Nhat Hanh - E-Book

Entdecke den Schatz in deinem Herzen E-Book

Thich Nhat Hanh

4,8
10,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Einfache Meditationsanleitungen, stimmungsvoll erzählte Geschichten aus dem Leben des Buddha und Erlebnisse aus der eigenen Kindheit des großen Zen-Meisters: Mit diesem Buch wendet sich Thich Nhat Hanh an junge Leser. Unbefangen und frei von jeder religiösen Einflussnahme entdecken Kinder ab 5 die Schätze fernöstlicher Weisheit: Für mehr Entspannung und Achtsamkeit in Familien, Kindergruppen und Schulen.

Mit poetischen Illustrationen hochwertig ausgestattet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 122

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel der Originalausgabe: »A Pebble for Your Pocket: Mindful Stories and Practices for Children and Grown-ups« Published by Plum Blossom Books/Parallax Press, Berkeley/Kalifornien

Inhaltsverzeichnis

EinführungGeschichten
Wer ist der Buddha?Der Einsiedler und die QuelleGegenwärtiger Moment, wundervoller MomentKehre zu dir zurückDer Lotosteich
Copyright

Überall im Kosmos gibt es kostbare Edelsteine,und sie sind auch in jedem von uns.

Ich möchte dir eine Handvoll davon schenken,lieber Freund.

Ja, heute Morgen möchte ich dir eine Handvollschenken, eine Handvoll Diamanten,funkelnd von morgens bis abends.

Jede Minute unseres täglichen Lebens ist ein Diamant,der den Himmel und die Erde enthält,den Sonnenschein und den Fluss.

Thich Nhat Hanh

Einführung

Als ich neun Jahre alt war, sah ich auf dem Umschlag einer Zeitschrift ein Bild des Buddha, wie er friedvoll im Gras sitzt. Und sofort wusste ich, dass ich ebenso friedvoll und glücklich sein wollte. Zwei Jahre später saß ich mit anderen Jungen zu fünft beisammen und wir sprachen darüber, was wir später einmal werden wollten. Wir erforschten viele verschiedene Gebiete; einer der Jungen sagte, er wolle Arzt werden, ein anderer wollte Ingenieur werden und so weiter. Doch nach einer Weile hatten wir das Gefühl, dass nichts uns wirklich zusagte.

Dann sagte mein Bruder Nho: »Ich möchte Mönch werden.« Das war eine ganz neue Idee, doch ich wusste, dass auch ich Mönch werden wollte. Zum Teil wegen des Bildes auf der Zeitschrift.

Ein Junge sagte: »Warum werden wir nicht alle Mönche?« Es war ein Gespräch unter Kindern, doch tatsächlich wurden wir alle fünf Mönche. Einer wurde katholischer Mönch und wir anderen vier wurden buddhistische Mönche. Und heute sind noch immer drei von uns Mönche.

Der Same, Mönch zu werden, war nach unserem Gespräch tief in mich eingepflanzt worden. Ich wollte wirklich Mönch werden, doch wusste ich, dass es schwer für meine Eltern sein würde, das zu akzeptieren, denn das Leben eines Mönchs ist sehr schlicht und sie wollten, dass ihre Kinder die angenehmen Dinge des Lebens genießen sollten. Mir war klar, dass ich sie sorgsam und vorsichtig darauf vorbereiten musste.

Ich führte Tagebuch und von Zeit zu Zeit schrieb ich darin von meinem Wunsch, Mönch zu werden. Eines Tages bat ich meine Mutter, meinem Vater das Tagebuch vorzulesen, damit sie sich an die Idee gewöhnen könnten. Es war zu schwierig für mich, es ihnen direkt zu sagen. Doch auf diese Weise, langsam und Schritt für Schritt, gewann ich die Zustimmung meiner Eltern, und sie erlaubten mir, in den Tempel zu gehen. Mit sechzehn Jahren wurde ich Novize.

Als Mönch verbringe ich viel Zeit damit, dem gegenwärtigen Moment meine Aufmerksamkeit zu schenken. Und auf diese Weise kann jeder leben, ob du nun ein Mönch oder eine Nonne bist oder nicht. Diese Aufmerksamkeit nennt man »Achtsamkeit«. Und um diese Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit drehen sich alle Geschichten in diesem Buch.

Es kann kein Glück und keinen Frieden geben ohne Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet, sich immer wieder daran zu erinnern, zum gegenwärtigen Moment zurückzukehren. Alles, was wir suchen, ist genau hier im gegenwärtigen Moment. Erlauben wir uns, im gegenwärtigen Moment zu sein, dann können wir all die wunderbaren Dinge in uns und um uns herum berühren. Doch erlauben wir uns nicht, im gegenwärtigen Moment zu sein, dann werden wir immer rennen und kämpfen.

Achtsamkeit hilft uns, glücklicher zu leben und die Schönheit der Dinge tiefer zu empfinden. Betrachtest du achtsam den Mond, erscheint er dir sehr viel schöner. Umarmst du achtsam einen anderen Menschen, dann ist er sehr viel wirklicher und wunderbarer für dich. Du kannst still zu dir sagen:

Ich atme ein und spüre, wie lebendig du in meinen Armen bist.

Ich atme aus und bin so glücklich.

Ohne Achtsamkeit bist du nicht wirklich lebendig. Bist du aber achtsam, erscheint alles, was du tust, strahlender, schöner. Betrachtest du achtsam eine Blume, enthüllt sie dir ihre Schönheit. Übst du Achtsamkeit, kannst du glücklich sein und dich an dem erfreuen, was der Moment dir bringt, sowohl an all den wundervollen Dingen in dir – deine Augen, dein Herz, deine Lungen – als auch an all den wundervollen Dingen außerhalb – Sonnenschein, Menschen, Vögel, Bäume. Übst du Achtsamkeit, wirst du herausfinden, dass du weit mehr Gründe hast, glücklich zu sein, als du dir bisher vorstellen konntest.

Achtsamkeit hilft uns auch dabei, unseren Kummer zu heilen. Kommt der Kummer mit Achtsamkeit in Berührung, wird er sich langsam auflösen. Trägst du ihn mit dir herum, ohne um ihn zu wissen, dann wird er dich lange begleiten. Doch bist du dir des Kummers bewusst und umarmst du ihn mit deiner Achtsamkeit, dann wird er sich verwandeln.

Fühlst du Kummer und Schmerz, dann kannst du die Achtsamkeit nutzen, um ihn zärtlich zu halten, so wie eine Mutter ihr weinendes Kind in den Arm nimmt, um es zu beruhigen. Der Schmerz wird sich verwandeln, wenn du ihn auf diese Weise umarmst. Ein weinendes Kind sollte nie allein gelassen werden, dein Schmerz und Kummer auch nicht.

Am frühen Morgen sind die Blütenknospen noch geschlossen, doch wenn die Sonne dann scheint, dringen winzige Sonnenscheinteilchen in die Knospen ein und schon bald kannst du deren Verwandlung sehen. Jede Blüte öffnet sich und zeigt sich der Sonne. Mit unserem Leiden ist es genauso; wenn wir es dem Licht der Achtsamkeit aussetzen, wird es sich wandeln.

Geschichten

Wer ist der Buddha?

Vor einigen Jahren besuchte ich in Indien einen Ort namens Uruvela. Zweitausendsechshundert Jahre früher lebte in der Nähe dieses Ortes ein Mann namens Siddhartha. Siddhartha ist der Mann, der später als Buddha bekannt wurde.

Die Ortschaft Uruvela ist noch immer so, wie sie zu den Zeiten des Buddha war. Es gibt keine großen Gebäude, keine Supermärkte, keine breiten Straßen. Es ist sehr angenehm dort. Auch die Kinder haben sich nicht verändert. Als Siddhartha hier lebte, freundete er sich mit einigen Kindern aus dem Dorf an; sie brachten ihm Essen und kleine, einfache Geschenke.

Ein Fluss fließt ganz nahe am Dorf vorbei. Dort hat Siddhartha meist gebadet. Gras, das Kusha-Gras genannt wird, wächst immer noch an den Flussufern. Es ist dasselbe Gras, das der Buddha von einem der Kinder bekam, um sich daraus ein Kissen zum Sitzen machen zu können. Ich ging bei meinem Besuch dort an diesem Fluss entlang und schnitt etwas von dem Kusha-Gras ab und nahm es mit nach Hause.

Auf der anderen Flussseite ist ein Wald. In diesem Wald saß Siddharta unter einem Baum, genannt Bodhibaum, in Meditation. Unter diesem Baum wurde er zum Buddha.

Ein Buddha ist jemand, der wach ist, der erwacht ist – eine Person, die sich all dessen bewusst ist, was in ihr und um sie herum geschieht, und die tief versteht und liebt. Siddhartha wurde ein vollkommen erwachtes Wesen, ein Buddha. Diesen Buddha haben wir als unseren Lehrer angenommen. Er hat gesagt, dass wir alle Samen des Erwachens in uns tragen und wir alle werdende Buddhas sind.

Ein Schüler von mir hatte als Kind sehr mit der Frage »Wer ist der Buddha?« gerungen. Sein Name war Hu, und dies ist seine Geschichte.

Als Hu sechs oder sieben Jahre alt war, fragte er seinen Vater und seine Mutter, ob er Mönch werden dürfe. Er liebte es, in den buddhistischen Tempel zu gehen. Mit seinen Eltern ging er meist an Neumond-und Vollmondtagen dorthin, um dem Buddha Blumen, Bananen, Mangos und andere exotische Früchte darzubringen.

Hu fühlte sich im Tempel stets freundlich behandelt. Die Menschen, die den Tempel aufsuchten, schienen entspannter und freundlicher zu sein als die Menschen anderswo. Hu merkte auch, dass der leitende Mönch ihn mochte. Jedes Mal bekam Hu eine Banane oder eine Mango. Darum ging Hu so gern in den Tempel.

Eines Tages sagte er: »Mama, ich möchte Mönch werden und im Tempel leben.« Ich glaube, er wollte Mönch werden, weil er so gern Bananen aß. Das kann man ihm nicht übelnehmen. In Vietnam gibt es Bananensorten, die wirklich sehr köstlich schmecken. Obwohl er noch so jung war, entschieden seine Eltern, ihn als Novize im Tempel leben zu lassen. Der leitende Mönch gab Hu eine kleine braune Robe. In seiner hübschen neuen Robe muss er wie ein Baby-Mönch ausgesehen haben.

Hu glaubte als junger Mönch zunächst, dass der Buddha Bananen, Mangos und Mandarinen sehr mochte, denn die Menschen brachten bei jedem Tempelbesuch Bananen, Mangos, Mandarinen und andere Früchte mit und legten sie vor den Buddha. Für Hu konnte das nur Eines bedeuten: Der Buddha mochte diese Früchte sehr.

Eines Abends wartete er im Tempel, bis alle Besucher gegangen waren. Ganz still stand er neben dem Eingang zur Buddha-Halle. Er versicherte sich, dass niemand in seiner Nähe war. Dann schlich er hinein. Die Buddha-Statue war so groß wie ein Mensch. Für Hu war diese Statue der Buddha.

Hu stellte sich vor, dass der Buddha, der den ganzen Tag lang ganz still dasaß, sich, wenn die Halle leer war, eine Banane nehmen würde. Er wartete und wartete in der Hoffnung, beobachten zu können, wie der Buddha sich eine Banane von dem Stapel vor ihm nehmen würde. Lange Zeit wartete er, doch er sah den Buddha nicht nach einer Banane greifen. Er war verblüfft und konnte nicht verstehen, warum der Buddha keine der Bananen aß, die die Leute ihm brachten.

Hu wagte nicht, den leitenden Mönch zu fragen, denn er fürchtete, dieser würde ihn für dumm halten. Tatsächlich geht es uns auch oft so. Wir trauen uns nicht, Fragen zu stellen, aus Angst, dass man uns als dumm bezeichnet. So ging es auch Hu. Und weil er sich nicht zu fragen traute, war er verwirrt. Ich glaube, ich hätte jemanden gefragt. Doch Hu tat es nicht.

Als er älter wurde, erkannte er eines Tages, dass die Buddha-Statue nicht der Buddha ist. Welch wichtige Erkenntnis!

Diese Erkenntnis machte ihn glücklich. Doch sie führte zu einer neuen Frage: »Wenn der Buddha nicht hier ist, wo ist er dann? Wenn der Buddha nicht im Tempel ist, wo ist er?« Jeden Tag sah er, wie sich die Leute im Tempel vor der Statue des Buddha verbeugten. Doch wo war der Buddha?

In Vietnam glauben Menschen, die dem Reinen-Land-Buddhismus folgen, dass der Buddha im Reinen Land im Westen lebt. Eines Tages hörte Hu, wie jemand sagte, das Reine Land sei die Heimat der Buddhas. Das ließ ihn glauben, der Buddha sei im Reinen Land, und diese Vorstellung machte ihn sehr unglücklich. Warum, so überlegte er, hatte sich der Buddha entschieden, so weit von den Menschen entfernt zu leben? Aus dem Gehörten hatte sich für ihn eine neue Frage ergeben.

Ich traf Hu, als er vierzehn war, und er dachte immer noch darüber nach. Ich habe ihm erklärt, dass der Buddha nicht weit von uns entfernt ist. Ich sagte ihm, dass der Buddha in jedem von uns ist. Ein Buddha sein bedeutet, in jedem Moment zu wissen, was in uns und außerhalb von uns geschieht. Buddha ist Liebe und Verstehen und beides tragen wir in unserem Herzen. Das zu hören machte Hu sehr glücklich.

Als Erwachsener wurde Hu Direktor der Schule für Sozialarbeit in Vietnam. Er bildete junge Nonnen und Mönche, junge Männer und Frauen darin aus, die Dörfer wieder aufzubauen, die während des Vietnamkrieges bombardiert worden waren.

Überall, wo du Liebe und Verstehen am Werk siehst, da ist der Buddha. Jeder kann ein Buddha sein. Stell dir nicht vor, der Buddha sei eine Statue oder jemand mit einem kunstvollen Heiligenschein um den Kopf oder jemand, der eine Mönchsrobe trägt. Ein Buddha ist eine Person, der bewusst ist, was in ihr und um sie herum geschieht, und die großes Verständnis und viel Mitgefühl hat. Ob ein Buddha nun ein Mann oder eine Frau, jung oder nicht so jung ist: Ein Buddha ist immer sehr angenehm und sehr frisch.

Die vielen Arme eines Bodhisattva

Nach meiner Erfahrung sind Buddhas und Bodhisattvas hier bei uns, in unserer Mitte. Ein Bodhisattva (man spricht das Wort Bo-di-sat-wa aus) ist ein mitfühlender Mensch, jemand, der sich sehr darum kümmert, anderen Wesen zu helfen – jemand, der gelobt, ein Buddha zu werden.

Bodhisattvas werden als Statuen oder auf Bildern manchmal als Wesen mit vielen Armen gezeigt. Sie werden so dargestellt, weil Bodhisattvas tausend Dinge zur gleichen Zeit tun können. Die Arme eines Bodhisattvas können auch sehr, sehr lang sein, sehr weit reichen und Menschen in weit entfernten Ländern helfen. Mit nur zwei Armen können wir nur ein oder zwei Dinge auf einmal erledigen. Doch als Bodhisattva hast du viele Arme und kannst viele Dinge zur gleichen Zeit tun. Die meiste Zeit sehen wir nicht alle Arme eines Bodhisattva. Man muss sehr aufmerksam sein, um die vielen Arme eines Bodhisattva sehen zu können.

Vielleicht kennst du bereits einen Bodhisattva. Das ist durchaus möglich! Deine Mutter zum Beispiel könnte eine Bodhisattva sein. Sie tut viele Dinge zur gleichen Zeit. Sie braucht einen Arm zum Kochen, nicht wahr? Und zur selben Zeit passt sie auf dich und deine Brüder und Schwestern auf – sie braucht also einen zweiten Arm. Und gleichzeitig muss sie Besorgungen machen, einkaufen. Sie braucht also einen dritten Arm. Und die vielen anderen Dinge, die sie noch tut, erfordern weitere Arme – sie hat vielleicht einen Beruf oder arbeitet ehrenamtlich an deiner Schule. Deine Mutter könnte also eine Bodhisattva sein. Das Gleiche gilt für deinen Vater. Schau dir deine Mutter und deinen Vater genau an, und du wirst sehen, dass sie mehr als zwei Arme haben.

Glaube nicht, Buddhas und Bodhisattvas seien Wesen, die im Himmel existieren. Sie sind hier bei uns. Auch du kannst ein oder eine Bodhisattva sein, wenn du an andere denkst und Dinge tust, die sie glücklich machen.

Bist du wach, bist du ganz da im gegenwärtigen Moment, im Hier und Jetzt, bist auch du ein Buddha. Der einzige Unterschied zwischen dir und dem Buddha ist, dass er ein Vollzeit-Buddha ist und du nur ein Teilzeit-Buddha bist. Du solltest also so leben, dass der Baby-Buddha in dir die Chance hat, zu wachsen. Dann wird der Baby-Buddha Licht in alle Zellen deines Körpers senden, und du wirst beginnen, dieses Licht deinerseits auszustrahlen.

Der Einsiedler und die Quelle

Ich möchte dir gern von meiner Begegnung mit dem Buddha in mir erzählen. Das war, als ich ein Kind war wie du. Ich lebte zu jener Zeit in Nordvietnam in der Provinz Thanh Hoa. Mit neun Jahren sah ich eines Tages auf dem Titelblatt einer Zeitschrift eine Schwarzweiß-Zeichnung vom Buddha. Er saß im Gras, so wunderschön saß er da, und sah sehr friedvoll und glücklich aus. Sein Gesichtsausdruck war entspannt und ruhig und ein leichtes Lächeln lag in seinen Zügen. Ich betrachtete das Bild des Buddha, und auch ich fühlte mich auf einmal sehr friedvoll.

Schon als kleiner Junge hatte ich gemerkt, dass die Menschen in meiner Umgebung gewöhnlich nicht so ruhig und friedvoll waren. Als ich den Buddha sah, wie er so friedvoll und glücklich im Gras saß, da wollte ich werden wie er. Obwohl ich nichts vom Buddha oder seinem Leben wusste – als ich dieses Bild erblickte, liebte ich ihn. Ich verspürte danach den starken Wunsch, jemand zu werden, der so schön und friedvoll dasitzen konnte wie er.

Eines Tages, ich war damals elf, verkündete mein Lehrer in der Schule, dass wir auf der Spitze des Na-Son-Berges ein Picknick machen würden. Ich war noch nie dort gewesen. Der Lehrer erzählte uns, dass dort auf dem Berggipfel ein Einsiedler lebte. Er erklärte uns, dass ein Einsiedler jemand sei, der allein lebte und Tag und Nacht übte, um wie Buddha zu werden. Wie faszinierend! Noch nie hatte ich einen Einsiedler gesehen, und die Aussicht, den Berg hinaufzuklettern und ihn dort zu treffen, versetzte mich in Aufregung.

Am Tag vor unserem Ausflug bereiteten wir das Essen vor, das wir auf unser Picknick mitnehmen wollten. Wir kochten Reis, rollten ihn zu Bällchen zusammen und wickelten die Bällchen in Bananenblätter ein. Wir mischten Sesamkörner, Erdnüsse und Salz, um den Reis dort hineinzutunken. Du hast vielleicht noch nie ein Reisbällchen gegessen, das in Sesamkörner, Erdnüsse und Salz getunkt wurde; ich kann dir sagen, das schmeckt köstlich. Wir kochten auch Wasser zum Trinken ab, denn man konnte das Wasser nicht direkt aus dem Fluss trinken, das war zu gefährlich. Frisches Trinkwasser zu haben ist auch etwas Wundervolles.

Wir waren schließlich hundertfünfzig Schüler aus meiner Schule, die sich auf den Weg machten. Wir teilten uns in Gruppen zu fünft auf. Unsere Picknicksachen hatten wir bei uns, und wir wanderten eine lange Zeit. Es waren sechzehn Kilometer bis zum Fuß des Berges. Von dort aus begannen wir den Aufstieg.

Entlang des Weges waren viele schöne Bäume und Felsen. Doch wir hatten nicht viel Freude daran, weil wir so begierig darauf waren, den Gipfel zu erreichen. Meine Freunde und ich kletterten, so schnell wir konnten – wir rannten praktisch den Berg hoch. Als Kind wusste ich noch nichts über die Freuden der Gehmeditation, wie ich es heute tue – nicht eilen, sondern jeden Schritt, die Blumen, die Bäume, den blauen Himmel und die Gesellschaft der Freundinnen und Freunde genießen.

Als wir den Gipfel schließlich erreichten, waren wir völlig erschöpft. Unterwegs hatten wir all unser Wasser bis auf den letzten Tropfen getrunken. Ich war nun ganz begierig darauf, den Einsiedler zu finden. Wir entdeckten seine Hütte aus Bambus und Stroh. Im Inneren sahen wir eine kleine Bambusliege und einen Bambusaltar, doch es war niemand da. Welche Enttäuschung! Ich vermutete, dass der Einsiedler den Lärm der vielen Jungen, die den Berg hinaufkletterten, gehört haben musste, und da er kein Gerede und keinen Lärm mochte, hatte er sich irgendwo versteckt.

Es war Essenszeit, doch ich hatte kein Interesse, etwas zu essen, weil ich müde und enttäuscht war. Ich dachte mir, dass ich den Einsiedler möglicherweise im Wald antreffen könnte. Als Kind hatte ich viel Hoffnung – alles erschien mir möglich.

Ich verließ also meine Freunde und stieg weiter den Berg hinauf. Im Wald hörte ich das Geräusch tropfenden Wassers. Du hast es vielleicht auch schon einmal gehört. Es ist wie der Klang eines Windspiels oder eines Klaviers, dessen Tasten leicht angeschlagen werden – sehr klar und leicht, wie Kristall. Es war so einladend und friedvoll, dass ich in Richtung dieses lieblichen Klangs weiterkletterte, wobei mich auch mein großer Durst dorthin trieb.

Nach kurzer Zeit kam ich zu einer Quelle. Ich wusste, dass Quellwasser tief aus dem Inneren der Erde kommt. Ein natürlicher Brunnen aus großen, vielfarbigen Steinen umgab die Quelle und bildete einen kleinen Teich. Das Wasser stand sehr hoch und war so klar, dass ich ganz bis auf den Grund sehen konnte. Es sah so frisch und einladend aus, dass ich mich hinkniete, es mit meinen Händen schöpfte und trank. Du kannst dir mein Glück nicht vorstellen. Das Wasser schmeckte so wundervoll süß. Es war so köstlich, so erfrischend! Ich fühlte mich ganz und gar zufrieden. Da war nichts mehr, was ich wollte – selbst der Wunsch, dem Einsiedler zu begegnen, war weg. Es ist das wunderbarste Gefühl, ein Gefühl der Glückseligkeit, wenn du nichts mehr willst oder dir wünschst.

Plötzlich kam es mir vor, als ob ich den Einsiedler vielleicht doch getroffen hatte. Ich stellte mir vor, dass er über magische Kräfte verfügte und sich in die Quelle verwandelt hatte, damit ich ihn treffen konnte, und dass ihm etwas an mir lag. Das machte mich glücklich.

Ich legte mich neben die Quelle auf den Boden und sah in den Himmel hinauf. Ich sah den Ast eines Baumes, der sich gegen den blauen Himmel abhob. Ich war tief entspannt und schlief bald ein. Wie lange ich schlief, weiß ich nicht, vielleicht waren es nur drei oder vier Minuten. Als ich wach wurde, wusste ich zunächst nicht, wo ich war. Dann, als ich den Ast des Baumes sah, den blauen Himmel und den wunderbaren Brunnen, da erinnerte ich mich an alles.

Es war Zeit für mich, zu den anderen Jungen zurückzukehren, bevor sie sich Sorgen um mich machen würden. Ich verabschiedete mich von der Quelle und machte mich auf den Rückweg. Als ich aus dem Wald herauskam, formte sich in meinem Herzen ein Satz. Es war wie ein Gedicht aus nur einer Zeile: »Ich habe das köstlichste Wasser der Welt geschmeckt! « An diese Worte werde ich mich immer erinnern.

Meine Freunde waren froh, mich zu sehen. Sie lachten und redeten laut, aber mir war nicht nach Reden zumute. Ich war noch nicht bereit, ihnen von meiner Erfahrung mit dem Einsiedler und der Quelle zu erzählen. Es war etwas sehr Kostbares und Heiliges geschehen, und ich wollte es für mich behalten. Ich setzte mich auf den Boden und aß von den mitgebrachten Speisen. Der Reis und die Sesamkörner schmeckten so gut. Ich fühlte mich ruhig, glücklich und friedvoll.

Ich traf den Einsiedler in Form einer Quelle. Das Bild der Quelle und das Geräusch des tropfenden Wassers sind auch heute noch lebendig in mir. Auch du hast vielleicht deinen Einsiedler schon getroffen, möglicherweise nicht als Quelle, sondern als etwas ähnlich Schönes. Vielleicht war es ein Felsen, ein Baum, ein Stern oder ein wunderschöner Sonnenuntergang. Der Einsiedler, das ist der Buddha in dir.

Vielleicht bist du deinem Einsiedler auch bisher noch nicht begegnet, doch wenn du genau hinschaust, wird sich dir dein Einsiedler zeigen. Ich habe Kinder gebeten, mir zu schreiben, wenn sie ihrem Einsiedler begegnet sind, und einige haben es getan. Es beglückt mich jedes Mal, die Geschichten ihrer Begegnung mit ihrem Einsiedler zu lesen. Der Einsiedler ist in dir. Tatsächlich sind all die wundervollen Dinge, nach denen du Ausschau hältst – Glück, Frieden und Freude – in dir zu finden. Du brauchst nicht anderswo nach ihnen zu suchen.

Gegenwärtiger Moment, wundervoller Moment

»Das Leben ist nur im Hier und Jetzt verfügbar.«

Das ist eine sehr einfache, aber auch sehr tiefgründige Lehre des Buddha. Wenn jemand uns fragt: »Ist der beste Moment deines Lebens schon gekommen?«, werden vermutlich viele sagen, dass der beste Moment noch nicht gekommen ist. Wir alle neigen zu dem Glauben, der beste Moment unseres Lebens sei noch nicht gekommen, er käme aber sicher bald.

Doch wenn wir immer weiter so leben und darauf warten, dass der beste Moment kommt, wird er nie eintreffen.

Du glaubst vielleicht, dein Glück sei irgendwo anders, dort drüben möglicherweise oder in der Zukunft, doch tatsächlich kannst du das Glück genau jetzt berühren.

Du bist lebendig. Du kannst deine Augen öffnen, den Sonnenschein sehen, die schönen Farben am Himmel, die wundervolle Natur, deine Freundinnen und Freunde, deine Familie.

Dies ist der beste Augenblick deines Lebens!

Der Heute-Tag

Wir kennen viele spezielle Tage. Es gibt einen besonderen Tag, um unsere Mutter zu feiern. Das ist der Muttertag. Es gibt einen besonderen Tag, um an unseren Vater zu denken. Den nennen wir Vatertag. Es gibt einen Neujahrstag, einen Tag der Arbeit, einen Tag der Erde, einen Tag des Kindes und so weiter. Einmal sagte ein junger Besucher in Plum Village, dem Zentrum in Frankreich, in dem ich lebe: »Warum erklären wir nicht heute zum Heute-Tag?« Und alle Kinder stimmten zu, dass wir das Heute feiern und es den Heute-Tag nennen sollten.

An diesem Tag, dem Heute-Tag, denken wir nicht an gestern und nicht an morgen, wir denken nur an heute. Der Heute-Tag ist immer dann, wenn wir glücklich im gegenwärtigen Moment leben. Essen wir, so wissen wir, dass wir essen. Trinken wir Wasser, dann wissen wir, dass es Wasser ist, was wir trinken. Gehen wir, so genießen wir jeden einzelnen Schritt. Spielen wir, dann sind wir wirklich ganz bei unserem Spiel.

Heute ist ein wundervoller Tag. Heute ist der wundervollste Tag. Das bedeutet nicht, dass es gestern nicht auch wundervoll war. Doch gestern ist bereits vorbei. Es bedeutet nicht, dass es morgen nicht auch wundervoll sein wird. Aber wir haben noch nicht morgen. Heute ist der einzige Tag, der uns zur Verfügung steht und um den wir uns gut kümmern können. Darum ist das Heute so wichtig – es ist der wichtigste Tag in unserem Leben.

Entscheide dich also jeden Tag beim Aufwachen dafür, aus diesem Tag den wichtigsten Tag deines Lebens zu machen. Setz dich oder lege dich, bevor du zur Schule losgehst, noch einmal für ein paar Minuten hin und atme langsam ein und aus und genieße dein Einatmen und Ausatmen und lächle dabei. Du bist zufrieden. Du fühlst dich ganz friedvoll. Dies ist eine wunderbare Art, den Tag zu beginnen.

Bewahre dir das während des ganzen Tages; erinnere dich immer wieder daran, zum Atem zurückzukehren und andere Menschen liebevoll anzuschauen, zu lächeln und glücklich über das Geschenk des Lebens zu sein. Wenn du dann sagst: »Einen schönen Tag noch!«, ist das nicht nur dahingesagt, es ist etwas, das wir nicht bloß wünschen, sondern tatsächlich üben.

Unser Essen genießen

Beim Essen denken wir oft an andere Dinge und wissen gar nicht wirklich, was wir essen. Es kann aber sehr viel Vergnügen machen zu wissen, was man isst. Jeden Tag etwas zu essen zu haben ist zudem ein großes Glück. Viele Menschen auf dieser Erde haben überhaupt nichts zu essen. Wir bemühen uns, nur so viel auf den Teller zu tun, wie wir auch aufessen können, weil wir kein Essen vergeuden wollen. Kauen wir die Nahrung langsam, verdauen wir sie besser und können sie mehr genießen. Wenn wir achtsam essen und jeden Bissen genießen, sind wir in besserem Kontakt mit unserem Körper und wissen, wann wir satt sind. Dann überessen wir uns nicht oder nehmen Dinge zu uns, die uns nicht bekommen.

Es ist gut, bei Tisch freundlich miteinander zu sprechen. Du könntest sagen: »Papa, mir geht es so gut. Der Auflauf heute Abend schmeckt wunderbar. Vielen Dank dafür.« Wenn wir so sprechen, fühlen sich alle wohl. Wenn du jemanden bei Tisch rügst oder kritisierst, indem du vorwurfsvoll sagst: »Warum kommst du heute Abend so spät«, dann sind alle unglücklich. Wir wollen so leben, dass das Zusammensein der Familie beim Essen zur glücklichsten Zeit des Tages wird.

Wenn du auf diese Weise beim Essen Glück schaffst, kannst du es auch in anderen Augenblicken des Tages tun, und es ist wunderbar zu wissen, dass man das kann. Du hast die Begabung, in jedem Augenblick Glück zu schaffen.

Betrachte zunächst das Essen, wenn du am Tisch sitzt, damit du weißt, was du zu dir nimmst und in deinen Mund steckst. Ist es eine Mohrrübe, dann erkenne, dass du eine Mohrrübe und nichts anderes isst. Sind es Spaghetti, dann erkenne, dass es Spaghetti sind und nichts anderes – nicht deinen Ärger, nicht deine Gedanken darüber, was du morgen tun wirst.

Es dauert nur eine Sekunde, eine Karotte oder die Spaghetti anzuschauen und zu erkennen, was du gleich essen wirst. »Das ist eine Karotte. « »Das sind Spaghetti.« Das ist sehr wichtig. Wenn du die Nahrung, die du isst, zwar anschaust, sie für dich aber noch nicht wirklich da ist, dann nenne sie bei ihrem Namen: »Karotte« oder »Spaghetti«. Nachdem du sie bei ihrem Namen genannt hast, wird sie sich dir zeigen.

Mit der Zeit wirst du dann das, was du isst, auf eine sehr tiefe Weise erkennen. Dann wirst du eines Tages den Sonnenschein darin sehen, ebenso die Regenwolke und all die anderen Dinge und Menschen, die zusammengekommen sind, damit es diese Spaghetti und diese Karotte vor dir gibt.

Wenn du in diesem Bewusstsein das Essen in den Mund steckst und kaust, dann kaust du etwas Wundervolles. Bist du beim Essen wirklich vollkommen gegenwärtig, isst du mit deinem ganzen Herzen, deinem ganzen Körper, verbindest du dich mit dem gesamten Kosmos. Du hast dann den Sonnenschein, die Wolken, die Erde, Raum und Zeit in deinem Mund. Du bist mit der Wirklichkeit, mit dem Leben selbst, in Berührung.

Nachdem es bei uns in Plum Village Pflaumen gegessen hatte, sagte ein Kind:

»Eines Tages aßen wir Pflaumen und wir untersuchten die Kerne. Mir fielen Dinge auf, die ich nie zuvor bemerkt hatte, wie die verschiedenen Einkerbungen auf jedem Stein. Mir fielen auch die Furchen bei den meisten von ihnen auf. Früher habe ich die Kerne einfach weggeworfen. Einige von uns Kindern konnten sie öffnen, und wir sahen, dass in der Mitte jeweils ein sehr kleiner Samen ist. Es ist wirklich toll. Ich habe noch nie zuvor einen Pflaumenkern geteilt. Das hat mir geholfen, im Moment zu sein. Ich hab ihn nicht einfach weggeworfen und mich umgesehen, was ich als Nächstes tun könnte. Wir haben auch erkannt, dass in jedem Kern tausende Pflaumenbäume sind.«

Kehre zu dir zurück

Eines Tages entschloss ich mich, in die schönen Wälder nahe meiner Einsiedelei, dem Ort, an dem ich lebe, zu gehen. Ich nahm ein belegtes Brot und eine Unterlage zum Sitzen mit und wollte einen ruhigen Tag ganz für mich allein verbringen.

Bevor ich an diesem Morgen die Einsiedelei verließ, hatte ich alle Fenster und Türen geöffnet, damit die Sonne hereinscheinen konnte. Doch am Nachmittag änderte sich das Wetter. Es kam Wind auf und Wolken türmten sich am Himmel. Ich erinnerte mich daran, dass ich meine Einsiedelei mit weit geöffneten Fenstern und Türen verlassen hatte und entschied mich, sofort nach Hause zurückzukehren.

Als ich dort ankam, fand ich die Einsiedelei in einem schrecklichen Zustand vor. Innen war es dunkel und kalt. Der Wind hatte meine Papiere vom Tisch geweht, und sie waren überall auf dem Boden verstreut. Es war alles andere als schön.

Als Erstes schloss ich Fenster und Türen. Dann machte ich Licht und als Drittes entzündete ich ein Feuer im Kamin, um den Raum aufzuwärmen. Als das Feuer brannte, sammelte ich die Papiere vom Boden auf, legte sie auf den Tisch zurück und packte einen Stein darauf.

Dann kehrte ich zum Kamin zurück. Das Feuer brannte sehr schön. Nun gab es Licht und es war warm. Ich saß da und lauschte dem tobenden Wind draußen. Ich stellte mir die Bäume vor, wie sie vom Wind geschüttelt wurden, und ich fühlte mich sehr zufrieden. Es war angenehm, so nah beim Feuer zu sitzen. Ich konnte mein Atmen hören, mein Einatmen und mein Ausatmen, und fühlte mich sehr behaglich.

Es gibt in unserem täglichen Leben Augenblicke, in denen wir uns schrecklich fühlen, leer und kalt, und in denen wir überhaupt nicht glücklich sind. Uns scheint, dass alles schief läuft. Auch du hast in deinem Leben vielleicht schon solche Gefühle kennengelernt. Und wenn wir in diesen Momenten versuchen, die Situation zu verbessern, indem wir etwas tun oder sagen, so scheint doch nichts zu funktionieren und wir denken: »Das ist heute nicht mein Tag.« Und genau so war es um meine Einsiedelei an diesem Tag bestellt.

Das Beste, was wir in einer solchen Situation tun können, ist, zu uns selbst zurückzukehren, zu unserer Einsiedelei, alle Türen und Fenster zu schließen, eine Lampe anzumachen und ein Feuer zu entfachen. Das bedeutet: Du musst innehalten. Du bist nicht länger damit beschäftigt, Dinge anzuschauen, Dinge zu hören oder etwas zu sagen. Du bist zu dir selbst zurückgekehrt und bist eins geworden mit deinem Atmen. Das meine ich mit der Rückkehr in deine Einsiedelei.

Jeder von uns hat eine Einsiedelei – einen Ort, um Zuflucht zu nehmen und zu atmen. Das bedeutet aber nicht, dass du dich damit von der Welt abschneidest. Es bedeutet, dass du mehr mit dir selbst in Berührung kommst. Das Atmen ist dafür gut geeignet. Versuch es. Halte einfach inne, gerade jetzt, in diesem Moment, und nimm dein Einatmen und dein Ausatmen wahr. Sag beim Einatmen zu dir: »Ich atme ein und bin im gegenwärtigen Moment.« Und sag beim Ausatmen zu dir: »Ich atme aus, und es ist ein wundervoller Moment.« Wenn du diese Zeilen wiederholst, kannst du einfach die Worte »gegenwärtiger Moment« beim Einatmen und »wundervoller Moment« beim Ausatmen sagen. Atmest du auf diese Weise, dann wirst du dich wirklich wunderbar fühlen.

So innezuhalten und zu atmen wird achtsames Atmen oder Atemmeditation genannt. Durch achtsames Atmen wird deine Einsiedelei sehr viel behaglicher. Und ist deine Einsiedelei innen behaglich, dann wird auch dein Kontakt mit der Welt außen angenehmer werden.

Wenn du wütend bist

Geschieht etwas Unerfreuliches, wirst du vielleicht sehr ärgerlich oder wütend. Möglicherweise tut oder sagt deine Schwester oder dein Bruder etwas, was du nicht magst. Wenn du sehr wütend bist, willst du gewöhnlich einfach nur die andere Person anschreien oder du willst weinen.

Weil wir uns verletzt fühlen, wollen wir etwas sagen oder tun, um nun unsererseits die andere Person zu verletzen. Wir glauben, wenn wir ihr etwas Gemeines sagen, ginge es uns besser. Doch wenn wir verletzende Worte zurückgeben, wird sich die andere Person etwas noch Gemeineres ausdenken, was sie sagen kann. Und keiner von uns beiden weiß, wie man damit aufhört.

Macht dich jemand ärgerlich oder wütend, ist es besser, nicht mit Worten darauf zu reagieren. Das Erste ist innezuhalten und zum Atem zurückzukehren. Das tue ich immer in einem solchen Fall. Ich sage: »Ich atme ein und weiß, dass ich wütend bin. Ich atme aus und die Wut ist immer noch da.« So mache ich drei oder vier Atemzüge, und dann geschieht normalerweise innerlich eine kleine Veränderung und der Ärger oder die Wut wird etwas weicher.

Wir können lernen, so zu handeln, dass wir weder uns noch die anderen unglücklich machen. Wir können lernen, eine unglückliche Situation in eine freudige zu verwandeln. Das erfordert jedoch einige Übung. Und obwohl wir in der Schule viel lernen, haben wir dort meist nicht die Gelegenheit zu lernen, wie wir glücklich sein und weniger leiden können.

Unsere Wut ist ein Teil von uns. Wir sollten nicht so tun, als wären wir nicht wütend, wenn wir es tatsächlich sind. Was wir lernen müssen, ist, wie wir uns um unsere Wut kümmern können. Das können wir am besten, wenn wir innehalten und zu unserem Atem zurückkehren.

Stell dir deine Wut als deinen kleinen Bruder oder deine kleine Schwester vor. Egal, was dein kleiner Bruder oder deine kleine Schwester auch getan haben mag, du solltest ihn oder sie zärtlich und liebevoll behandeln. Und mit Zärtlichkeit und Liebe solltest du auch deiner Wut begegnen. Wenn du wütend bist, sag:

Einatmend weiß ich, dass ich wütend bin.Ausatmend kümmere ich mich gut um meine Wut.

Während du das sagst und atmest, bist du vielleicht immer noch wütend. Doch du kannst dich sicher fühlen, denn du umarmst deine Wut so, wie eine Mutter ihr weinendes Baby umarmt. Nach einer Weile wirst du ruhiger werden und bist nun in der Lage, deiner Wut zuzulächeln.

Einatmend erkenne ich Wut in mir. Ausatmend lächle ich meiner Wut zu.

Wenn wir uns so um unsere Wut kümmern, sind wir achtsam. Mit der Achtsamkeit ist es so wie mit dem Sonnenschein. Ohne jede Anstrengung bescheint die Sonne alles, und alles ändert sich dadurch. Setzen wir unsere Wut dem Licht der Achtsamkeit aus, wird auch sie sich verändern, wie eine Blume, die sich der Sonne öffnet.

Ein Kieselstein für deine Tasche

Wenn wir während des Tages wütend werden, ist es manchmal schwierig für uns, uns daran zu erinnern, innezuhalten und zu atmen. Ich kenne eine gute Möglichkeit, sich stets daran zu erinnern, innezuhalten und zu atmen, wenn du ärgerlich oder wütend bist. Mach als Erstes einen Spaziergang und such dir einen schönen Kieselstein. Setz dich als Nächstes zu Hause neben den Buddha, falls ihr einen habt, oder setz dich draußen unter einen besonderen Baum oder auf einen speziellen Stein oder geh in dein Zimmer. Sag mit dem Kieselstein in der Hand:

Lieber Buddha,dies ist mein Kieselstein. Ich will mit ihm üben,wenn am Tag Dinge schief laufen.Wann immer ich ärgerlich oder wütend bin,will ich den Stein in meine Hand nehmenund tief atmen. Ich werde das so lange tun,bis ich mich beruhigt habe.

Steck deinen Kieselstein jetzt in deine Tasche und nimm ihn überall mit hin. Wenn dich während des Tages etwas unglücklich macht, nimm den Stein aus der Tasche, atme tief ein und aus und sage zu dir:

Einatmend weiß ich, dass ich wütend bin. Ausatmend kümmere ich mich gut um meine Wut.

Wiederhole das so lange, bis du dich wirklich besser fühlst und du deiner Wut zulächeln kannst.

Gehmeditation

Auch das Gehen ist eine wunderbare Möglichkeit, sich zu beruhigen, wenn man wütend ist. Beim Gehen schenken wir jedem Schritt, den wir machen, Aufmerksamkeit. Wir nehmen wahr, wie jeder Fuß den Boden berührt. Die Erde ist unsere Mutter. Sind wir von Mutter Erde entfernt, werden wir krank. Mit jedem Schritt, den wir machen, berühren wir unsere Mutter, so dass es uns wieder gut geht. Mutter Erde ist großer Schaden zugefügt worden; jetzt ist die Zeit, die Erde mit unseren Füßen zu küssen, mit unserer Liebe.

Höre während des Gehens nicht damit auf, die schönen Dinge um dich herum, über dir oder unter dir wahrzunehmen. Atme ein und aus, um mit diesen wundervollen Dingen in Berührung zu bleiben. In dem Moment, in dem du aufhörst, dir deines Atems bewusst zu sein, verschwinden diese schönen Dinge vielleicht, und Denken und Sorgen füllen erneut deinen Geist aus.

Erlaube dir einfach nur zu sein! Erlaube dir, dich daran zu erfreuen, im gegenwärtigen Moment zu sein. Die Erde ist so schön. Erfreue dich am Planeten Erde. Auch du bist schön, du bist ein Wunder wie die Erde. Auf eine solche Weise zu gehen wird Gehmeditation genannt.

Mach dir klar, dass du beim Gehen nirgends hingehst, und doch hilft dir jeder Schritt dabei anzukommen. Wo anzukommen? Im gegenwärtigen Moment, im Hier und Jetzt. Du brauchst gar nichts anderes, um glücklich zu sein. Einige Kinder haben das in Plum Village so ausgedrückt:

»Gehmeditation bedeutet,dass du alles um dich herum wahrnimmst.Du hörst deinem Atem zu. Wenn du nie achtsam gehst,kann es sein, dass dein ganzes Leben vergeht,ohne dass du es überhaupt merkst. Überleg mal,wie schade es wäre, wenn du durchs Leben gehst undnur daran denkst, was als Nächstes passieren wird,und nie etwas anderes wahrnimmst,gar nicht weißt, wie die Welt überhaupt ist.Das wäre ganz schön traurig.«

»Man braucht viel Geduld, um achtsam zu sein.Bist du achtsam, ist dein Geist voll von den Dingen,die dich umgeben, voll von deinem Atem, du spürst dieSteine unter deinen Füßen, und das ist Achtsamkeit.Du bist im gegenwärtigen Moment, dir ist bewusst,was du tust. Du weißt, dass du gehst unddass du mit Thây gehst.1

Dein Geist kann nicht woanders sein, zum Beispielbeim Nachdenken über das Abendessen. Er ist genau da,wo du bist. Und das ist Gehmeditation.«»Das Besondere an der Gehmeditation ist,dass du alles, was um dich ist, bemerkst.Du nimmst alles in dich auf,wie zum Beispiel den blauen Himmel.Wir können mit vielen,vielen wunderbaren Dingenin Berührung sein.«

Der Lotosteich

Es gibt in Plum Village, dem Ort, an dem ich in Frankreich lebe, einen schönen Lotosteich. Vielleicht kommst du ja eines Tages nach Plum Village und kannst ihn sehen. Im Sommer ist der Teich von Hunderten schöner Lotosblumen bedeckt. Erstaunlich ist, dass alle Lotosblumen des Teiches von einem einzigen winzig kleinen Samen stammen. Ich möchte dir erzählen, wie ein Lotosteich entsteht.

Lotossamen müssen in nasses Erdreich gepflanzt werden. Sie wachsen in trockenem Boden nicht gut. Doch es gibt dabei einen Trick. Wenn du einfach nur einen Samen in den Schlamm einsetzt, wird er nicht keimen, selbst wenn du drei Wochen, fünf Wochen oder zehn Wochen wartest. Doch er wird auch nicht eingehen. Es gibt Lotossamen, die mehr als tausend Jahre alt sind und sich dann noch, eingepflanzt, zu Lotospflanzen entwickeln.

Der Lotossamen keimt nicht, wenn du ihn nur in den Schlamm setzt, denn der Samen braucht zum Keimen etwas Hilfe. Der Lotossamen besteht aus einem Kern mit einer sehr harten Schale drumherum. Damit der Samen keimen kann, muss das Wasser durch die Schale dringen können. Das ist der Trick. Du musst ein kleines Loch in den Samen machen, damit das Wasser hineingelangen kann.

Du kannst die äußere Haut mit einem Messer durchstechen oder mit einem Stein so dagegen reiben, dass eine Öffnung entsteht. Dadurch kann das Wasser zum Samen vordringen. Wenn du den kleinen Samen dann ins Wasser oder in den Schlamm legst, wird er in nur vier oder fünf Tagen keimen und daraus wird dann eine winzige Lotosblume.

Als Erstes werden sich einige kleine Lotosblätter bilden, die schon bald größer werden. Du kannst eine kleine Lotospflanze im Frühling, Sommer oder Herbst draußen in deinem Garten lassen, doch wenn es kalt wird, musst du sie hereinholen, damit sie dort weiterwachsen kann.

Im Frühling kannst du sie wieder ins Freie bringen und in ein größeres Behältnis tun, und die Pflanze wird noch größer werden. In einem Jahr werden sich dann schon etliche Lotosblumen gebildet haben und nach drei Jahren wirst du einen Lotosteich haben, der so groß ist wie der in Plum Village.

Du siehst also, ein großer Lotosteich ist in einem winzigen Samen enthalten. Der winzige Samen enthält alle Vorfahren des Lotos – er enthält ihren Duft und ihre Schönheit sowie ihre Eigenschaften. Wenn der Samen keimt und wächst, bietet er der Welt all diese Geschenke dar.

Jeder von euch ist ein solch wundervoller Samen wie ein Lotossamen. Du siehst etwas größer aus als ein Lotossamen, doch du bist trotzdem ein Samen. In dir gibt es Verständnis und Liebe und viele, viele verschiedene Talente und Begabungen. Von unseren Vorfahren haben wir wundervolle Samen empfangen. Unsere Fähigkeit, Musik zu machen

Copyright © 2010 by Unified Buddhist Church, Inc. All rights reserved Copyright © für die deutsche Ausgabe 2011 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Sabine Fuchs, München Umschlagmotiv: plainpicture/Lonely_Planet Illustrationen: Brigitte Smith

eISBN 978-3-641-06104-3

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter www.koesel.de

www.randomhouse.de

Leseprobe

1

Thich Nhat Hanh wird manchmal auch Thây genannt, das ist vietnamesisch und bedeutet ›Lehrer‹.