Entscheidung fürs Leben - Margot Berger - E-Book

Entscheidung fürs Leben E-Book

Margot Berger

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Beschreibung

Hannah traut ihren Augen nicht, als die das Inserat entdeckt. Nach drei Monaten intensiver Suche ist das die erste Anzeige, die sie begeistert. Und als sie den großen Braunen sieht, schließt sie das Pferd sofort in ihr Herz. Doch schon bald scheint ihr Traum vom Dressurreiten zu platzen ...

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Margot Berger

Entscheidung fürs Leben

Eine wahre Pferdegeschichte

Weitere Arena Taschenbücher in dieser Ausstattung:

Jutta Beyrichen, Der Ruf der Pferde (Band 50471)Andrea Wandel, Lea – Im Galopp ins Reiterglück (Band 50472)Antje Babendererde, Talitha Running Horse (Band 50473)Anna Sewell, Black Beauty (Band 50474)

Eine Auswahl weiterer Titel von Margot Berger:

Kein Abschied für immer (Band 50559)Blindes Vertrauen (Band 50558)Auf der Suche nach Calido (Band 50556)Schwere Zeiten für Julia (Band 50557)Letzte Chance für Jana (Band 50370)Freunde, Tag für Tag (Band 50139)

 

 

Margot Berger,begann ihre Journalistenlaufbahn als Redakteurinbei großen Tageszeitungen und Frauenzeitschriften.Die begeisterte Reiterin und Pferdeexpertin lebte und arbeiteteals selbstständige Journalistin und Buchautorinin Hamburg.

 

 

Erzählt nach einer wahren Geschichte.Die Namen von Personen und Ortenwurden geändert.

2. Auflage als Sonderausgabe im Taschenbuchprogramm 2014© 2009 Arena Verlag GmbH, WürzburgAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: Frauke Schneider unter Verwendungeines Fotos von © olgaru79: ShutterstockUmschlagtypografie: knaus. büro für konzeptionelleund visuelle identitäten, WürzburgISSN 0518-4002ISBN 978-3-401-80366-1

www.arena-verlag.dewww.wahre-pferdegeschichten.deBesuche das Forum »Wahre Pferdegeschichtenvon Margot Berger« unter:forum.arena-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

 

 

 

1.

Mail von: [email protected]

an: [email protected]

Datum: Donnerstag, 08. Mai, 17:30

Betreff: Traumpferd

Hi Sara,

heute ist ein perfekter Tag!

Ich muss dir jetzt einfach schreiben, sonst überlebe ich die nächsten zehn Minuten nicht, bis Papa mit dem Pferdehänger vorfährt. Kapiert??? Ja, ich habe IHN endlich gefunden! Gleich holen wir ihn ab. Wenn ich noch lange auf meinen Vater warten muss, kriege ich einen Schaden! Er besorgt gerade den Hänger von Lehmsahls Reitstall.

Letzte Woche konnte ich dir einfach nicht mailen, weil ich Stress hatte. Positiven!!!

Am Samstag stand im Pferdefreund die Anzeige meines Lebens. »Achtjähriger Wallach, ideal für Umsteiger von Pony auf Großpferd, zu verkaufen.« Das Foto von ihm – ich war hin und weg. Ich wusste sofort: Das ist er! Ein Brauner. Total schöner Kopf. Ach Sara … zum Verlieben. Und seine Augen! »Ausdrucksstark« stand dabei und das trifft es genau. Danilo heißt er. Geht Dressur, springt auch. Dreitausendfünfhundert Euro. Noch unter Papas Schmerzgrenze. Von privat. Ich muss mich ständig kneifen, um sicher zu sein, dass ich nicht träume.

Hannah beugte sich über die Tastatur und betrachtete das Foto in der ausgeschnittenen Anzeige, die am Rand des Bildschirms klebte. Nein, bei Danilos Beschreibung übertrieb sie wirklich nicht: Unbestreitbar besaß er mehr Ausstrahlung als alle Pferde, die sie kannte. Er hatte das gewisse Etwas. Selbst ihren Eltern war das aufgefallen, obwohl sie sonst nur glänzende Augen bekamen, wenn sie sich Sportboote ansahen.

Was Sara wohl dachte, wenn sie diese Mail las, am anderen Ende der Welt, in einem Internet-Café irgendwo an der australischen Küste?

Garantiert riss ihre Freundin jubelnd die Arme hoch. Um gleich darauf lauthals zu jammern, weil sie beim Kauf schrecklich gern dabei gewesen wäre. Warum musste Sara ausgerechnet jetzt in Sydney stecken? Beim Schüleraustausch? So weit weg! Nicht mal telefonieren konnten sie, viel zu teuer.

Vor Saras Abreise in den Osterferien waren sie immer gemeinsam auf die Suche gegangen, von Lasbeck aus, ihrem Heimatort an der Elbe. Lüneburg, Celle, Hannover, Braunschweig, Schwerin, Magdeburg – alle halbwegs erreichbaren Ställe mit Verkaufspferden hatten sie abgeklappert. Nie war das richtige Pferd dabei gewesen. Zu jung, zu alt, zu untrainiert, zu aufgedreht, zu langsam, zu klein.

Für viertausend Euro hatten sie keinen Wallach gefunden, der dressurmäßig zu gebrauchen war. Und für die Dressur wollte Hannah ihr Pferd schließlich einsetzen.

Sie lehnte sich über den Schreibtisch. Von ihrem Fenster im Erdgeschoss konnte sie über den Ginsterweg bis zur Hauptstraße sehen. Ein blauer Motorroller bog ein, der Fahrer stoppte vor der Gartentür, nahm den Helm ab und schüttelte seine kinnlangen braunen Haare. Lukas, ihr Bruder, der vom Zivildienst in der Seniorenanlage heimkehrte.

Hannah klopfte an die Scheibe und winkte ihm zu. Außer Lukas’ Roller erspähte sie nur die Autos der Nachbarn, aber nicht den silbernen Passat ihres Vaters.

Sie seufzte ungeduldig und tippte weiter.

Zum Verrücktwerden, dass du nicht hier bist, Sara. Jetzt, wo es ernst wird, hätte ich gern Tipps von dir gehabt. Meine Eltern haben ja leider keine Ahnung von Pferden. Vorgestern, bei meinem dritten Besuch bei Danilo, ist wenigstens deine Frau Kling aus unserem Stall mitgefahren. Sie findet, dass er superschöne Gänge hat. Und wenn sie das schon sagt! Du weißt ja, wie kritisch Frau Kling ist. Ich soll zur Sicherheit eine Ankaufsuntersuchung vom Tierarzt machen lassen, meint sie. Papa denkt, das ist Quatsch. Ich auch. Was kann ein Achtjähriger denn schon haben? War immer kerngesund, sagte der Besitzer …

Hannah lehnte sich zurück und dachte mit Herzklopfen daran, wie sie bei den Proberitten auf Danilo gesessen hatte. Himmel, war das ein Unterschied zu den Ponys in ihrem Reitstall! Im Gelände ging Danilo genauso locker wie in der Reithalle. Er ließ sich problemlos stellen und biegen, bei der leisesten Zügelhilfe wendete er auf den Zirkel ab. In einer Stunde gehörte er ihr für immer. Wahnsinn. So ein Pferd verkaufte normalerweise niemand. Ihr Glück, dass die Besitzer in den nächsten Wochen ein Baby erwarteten und daher keine Zeit mehr für das Pferd hatten.

Ach, Sara, komm zurück, damit wir reiten können …

Hannah

PS: Big kiss von Ricco. Er vermisst dich sehr. Sonntags, mittwochs und freitags – also an deinen Reittagen – äugt er nachmittags ständig zur Einfahrt. Auch Frau Kling jammert dir nach. So eine Reitbeteiligung wie dich findet sie für ihren Ricco nicht wieder. Sie zählt schon die Tage bis zu deiner Rückkehr im Dezember, sagt sie. Und ich erst!!! Papa hupt. Hilfe, es geht los! Melde mich später!

Hannah schickte die Mail ab und fuhr den Computer runter. Bevor sie aus ihrem Zimmer stürmte, schnappte sie sich die Platte mit Kuchen, den sie gestern gebacken hatte. Sie wollte heute mit ihren Stallfreunden feiern. Die würden Augen machen! Keiner von ihnen ahnte, dass Hannah gleich ein neues Pferd in den Stall brachte.

Im Vorbeigehen schnell ein Blick in den Flurspiegel. Ihr schulterlanges Haar hatte die gleiche Farbe wie Danilos. Rotbraun. War das nicht ein Wink des Schicksals? Und war es nicht ebenso eine Fügung, dass Herr Schneider, Danilos Eigentümer, ausgerechnet sie als neue Besitzerin wollte? Dabei hatte es genügend andere Interessenten gegeben.

»Am liebsten würde ich Danilo an dich verkaufen, weil er bei dir bestimmt optimal aufgehoben ist.« Gleich beim ersten Besuch hatte Herr Schneider das zu Hannah gesagt. »Wir geben das Pferd unter Wert weg, aber bei uns geht Platz vor Preis. Danilo soll es gut haben.«

Wenn das kein Kompliment war! Ein erfahrener Reiter traute ihr zu, sein Pferd gut zu versorgen, obwohl sie erst fünfzehn war. Herr Schneider war in Ordnung. Sicher wäre er beleidigt, wenn sie Danilo vom Tierarzt durchchecken lassen würde. Das wirkte ja, als misstraute sie ihm – wo er so große Stücke auf sie hielt.

Nach einer halben Stunde Fahrt auf der Landstraße Richtung Hannover stellte Hannahs Vater das Gespann auf der Einfahrt vor Schneiders Haus ab, das sie ohne Navi gefunden hatten.

Heute ist mein großer Tag, dachte Hannah feierlich, als sie die Beifahrertür aufdrückte und in die Sonne blinzelte. Wenn wir gleich vom Hof fahren, gehört mir ein echtes Dressurpferd. Dann geht es los zu Turnieren.

Im Sommer wollte sie mit Danilo einiges abräumen. Jetzt war die beste Zeit, denn auf vielen Turnierplätzen waren Talentsucher unterwegs.

Wie lange hatte sie darauf gewartet! Ein neuer Lebensabschnitt begann.

»Mit einem entsprechenden Pferd kannst du dich weiterentwickeln«, hatte Jo Lehmsahl versichert, dem der Reiterhof in Lasbeck gehörte. »Du hast Talent. Wenn du eine Reihe von L-Platzierungen schaffst, kannst du sogar in den Juniorenkader kommen.«

»Hast du das Geld, Papa?«, fragte Hannah, als sie die Stufen zur Haustür hochstieg.

Ihr Vater klopfte mit der Hand auf seine Hosentasche. »Hier steckt der Umschlag. Fünfunddreißig Hunderteuroscheine.« Er zwinkerte ihr zu. »Wenn ich mir vorstelle, dass Mama und ich dafür ein kleines Boot aus zweiter Hand kaufen könnten … na ja, fast.«

»Oh Papa«, stöhnte Hannah und drückte zum zweiten Mal auf den Klingelknopf, »ihr habt doch eins!«

»Schon gut, es war ja nur ein Gedanke. Ist doch alles längst besprochen: Bis zu viertausend Euro sind gerade noch drin. Hauptsache, es kommen nicht später tausend neue Kosten dazu.«

Er schüttelte sich. »Pferde! Niemals werde ich begreifen, dass du dich auf diese riesigen Tiere setzt. Kein Mensch brächte mich je auf einen Pferderücken.«

Hannah seufzte. Für ihre Eltern gab es nur Wassersport. Mit Tieren hatten sie nichts im Sinn. Nicht mal ein Meerschweinchen hatte Hannah als Kind bekommen. Echte Schwerstarbeit war es gewesen, ihre Eltern davon zu überzeugen, dass sie ein Pferd brauchte. Aber ihr Reitlehrer Jo Lehmsahl hatte sie hervorragend unterstützt.

Weil auf ihr erneutes Klingeln niemand erschien, legte Thomas Wahler die Hände an den Mund und rief laut über den Hof: »Hallo, Familie Schneider, die Wahlers sind da.«

Von hinten antwortete die kräftige Stimme von Herrn Schneider: »Sie finden uns im Stall. Einfach links am Haus entlanggehen.«

Den Weg kannten sie von den letzten Besuchen. Am Hoftor duckten sie sich unter den quer angebrachten Stahlrohren hindurch und gingen am Haus vorbei zum kleinen Stall. Drei Pferde drehten ihnen die Köpfe zu, allesamt Braune, an deren Boxen Namensschilder ihrer Besitzer genagelt waren.

Danilo stand vor seiner geöffneten Boxentür angebunden. Ein auffallend schöner Brauner, stattlich, mit viel Ausstrahlung. Hannahs Herz schlug schneller. Gleich auf den ersten Blick machte Danilo etwas her. In der Sonne schimmerte sein Sommerfell in goldenem Rotbraun. Die Hufe glänzten frisch gewaschen und gefettet. Mit aufmerksam aufgestellten Ohren blickte das Pferd ihr entgegen.

Ob Danilo ahnte, dass sein Leben sich heute änderte?

»Na, dann will ich mal etwas zum Anstoßen aus dem Kühlschrank holen«, sagte Frau Schneider gut gelaunt. Wie bei den letzten Besuchen trug die werdende Mutter ein weites gerafftes Longshirt über der Hose.

Danilo betrachtete Hannah aus dunklen Augen und schien abzuwägen, wie gut er sie kannte.

Sie blieb vor ihm stehen und flüsterte: »Gleich heißt du Danilo Wahler.«

Sofort drehte er seine Ohren Hannah zu, als wollte er ihre Stimme auffangen und einordnen. Dann unterzog er sie einer genauen Prüfung. Mit Nüstern und geschürzten Lippen schnoberte Danilo über ihr fransig geschnittenes Haar, über Schultern und Hüften bis nach unten über die Jeans zu den Turnschuhen und wieder den ganzen Weg zurück. Als Danilo seine Begutachtung abgeschlossen hatte, wirkte er sehr zufrieden: Er senkte den Kopf und rieb seine Nase sachte an Hannahs Händen.

Er erkannte sie bereits nach drei Besuchen! Was für ein Gefühl!

»Du sollst nun wirklich und wahrhaftig das Pferd meines Lebens sein«, murmelte Hannah und streichelte seine Nüstern. »Für immer und ewig.«

Sie würden eine lange Zeit zusammen verbringen, fünfzehn oder zwanzig Jahre, wenn alles gut lief. Es war wie ein Wunder. Ab heute trug sie die Verantwortung für ein eigenes Pferd.

Vor Freude hätte Hannah auf dem Hof Rad schlagen können, singen, schreien, jubeln, so sehr fieberte sie der aufregenden neuen Zeit mit Danilo entgegen. Wenn nur diese ganze Abwicklung, der Kaufvertrag nicht wäre, das war nur lästig. Kostete bloß Zeit. Hannah war froh, dass ihr Vater es übernahm, mit dem bisherigen Besitzer die nötigen Details zu besprechen.

Mit einer Handvoll Papieren setzten sich die Männer auf die Bank am Paddock. Aus dem Augenwinkel sah Hannah, dass ihr Vater etwas unterschrieb und danach Geldscheine hinblätterte.

Hannah schob eine Hand unter Danilos Schopf und rubbelte liebevoll seine Stirn, was der Braune mit halb geschlossenen Augen genoss. Sogar seine Oberlippe zuckte, ein Zeichen, dass er sich wohlfühlte.

Vom ersten Moment an hatte Hannah sich zu Danilo hingezogen gefühlt. Mit dem Reiten klappte es sowieso. Alle wichtigen Dressurlektionen beherrschte Danilo, sogar Achtmeter-Volten im Trab. Gemeinsam konnten sie viel erreichen.

Die Männer schüttelten sich die Hände und schlenderten plaudernd zu Hannah herüber. Feierlich überreichte ihr Vater ihr die Mappe mit dem Equidenpass, gewissermaßen Danilos Personalausweis.

»Gratuliere dir, meine Große.« Er nahm Hannahs Kopf in beide Hände und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Du besitzt jetzt ein eigenes Pferd.«

Hannah schloss die Augen und drückte die Mappe an sich.

»Vielen, vielen Dank. Ihr seid echt klasse Eltern.«

Ihr Vater streckte eine Hand vor und berührte vorsichtig und mit langem Arm Danilos Mähne.

»Papa, was ist los? Du traust dich an ein Pferd heran?«

»Sehen Sie, er mag Sie, Herr Wahler.« Sofort griff Herr Schneider die Situation auf. »Wenn Ihre Tochter mal ausfällt – krank, Klassenfahrt und so weiter –, könnten Sie ihn notfalls versorgen.«

»Das hatte ich eigentlich nicht vor«, murmelte Herr Wahler und zog seine Hand schnell zurück.

Von der Terrasse näherte sich Frau Schneider. Auf den Händen balancierte sie ein Tablett mit vier Sektflöten, die sie an alle aushändigte.

»Ich bin so froh, dass unser Danilo in gute Hände kommt.«

Nach kurzem Zögern und Blickkontakt mit ihrem Vater nahm Hannah ein Sektglas entgegen, wobei seine Augen ihr sagten: »Aber nur nippen.«

Lächelnd prostete Herr Schneider Hannah zu.

»Wenn es dir recht ist, würden wir Danilo gern ab und zu besuchen. Wir hängen sehr an unserem Pferd. Aber Beruf, Baby und ein Pferd – das wird einfach zu viel.«

Hannah nickte. »Kommen Sie, wann Sie wollen. Sie wissen ja, ich reite bei Jo Lehmsahl in Lasbeck. Und bringen Sie das Baby mit.«

Sie konnte sich vorstellen, wie schwer es für die Schneiders war, ihr geliebtes Pferd herzugeben.

»Auf erfolgreiche Stunden im Sattel«, sagte Frau Schneider fröhlich und leerte das Glas.

Komisch, dass sie Sekt trinkt, obwohl sie schwanger ist, dachte Hannah flüchtig. Aber sie schüttelte den Gedanken ab. Das ging sie nichts an.

Auf der Rückfahrt drehte Hannah sich immerzu nach hinten, um durch die Sichtscheibe im Hänger zu verfolgen, ob Danilo ruhig stand.

Beiläufig ließ ihr Vater fallen: »Übrigens konnte ich noch handeln. Dreitausenddreihundert habe ich bezahlt. Zweihundert weniger als Herr Schneider zu Anfang verlangt hat. Da kann man nicht meckern.«

Hannah lachte auf.

»Darüber freut sich mein Vater mehr als über das ganze Pferd. Ich kenne dich doch. Und den Tierarzt haben wir auch gespart. Ach, Papa, ich glaube, wir haben richtig Glück gehabt.«

Selig lehnte Hannah sich zurück. Nur ein paar Meter hinter ihr stand ihr erstes eigenes Pferd. Das einzige, was ihr zum wunschlosen Glück fehlte, war Sara an ihrer Seite, um diese kostbaren Momente mit ihr zu teilen.

»Ganz nebenbei, Hannah …«, bemerkte ihr Vater, als auf der rechten Seite die ersten roten Dächer von Lasbeck auftauchten, »… du weißt schon, dass du es gut hast? Nur wenige Mädchen in deinem Alter besitzen ein eigenes Pferd. In Lehmsahls Stall bist du die Einzige.«

Hannah seufzte glücklich. »Klar, Papa.«

Als ob ich das nicht wüsste …

Gleich am Ortseingang lag der große Reiterhof von Jo Lehmsahl. Umsichtig lenkte Thomas Wahler das Gespann in den lang gestreckten Innenhof und fuhr im Schritttempo an üppigen Fliederhecken vorbei, die jetzt im Mai blasslila blühten.

Zum Gehöft gehörte das gemütliche Backsteinhaus, von wildem Wein berankt. Dahinter gruppierten sich einige niedrige Nebengebäude und eine hohe Scheune aus verblichenem Holz, die Jo Lehmsahl in eine Reithalle verwandelt hatte. Die Pferdeställe lagen in einem umgebauten Kuhstall dem Wohnhaus gegenüber. Während die Privatpferde in Einzelboxen standen, mit Türen zum Hof, deren obere Flügel stets geöffnet waren, lebten die Ponys und Norweger der Reitschule in zwei geräumigen Laufställen.

Unter dem vorgezogenen Dachüberstand standen zwei angebundene Norweger, Fylker und Narvik, daneben einige kleine Ponys, die gerade von zwei Reitermädchen geputzt wurden.

Als der Wagen auf den Innenhof rollte, linste Hannah durch die Seitenscheibe und erkannte beim Vorüberfahren Melinda und Nele. Die dünnen, quirligen Zwölfjährigen gehörten zum harten Kern im Stall und halfen in jeder freien Minute. Überrascht winkten sie Hannah zu, als sie sie im Passat erkannten.

Im Außenspiegel beobachtete Hannah, wie Nele und Melinda ihre Arme in die Seiten stützten und dem Hänger nachstarrten. Die beiden würden sich gleich nicht wieder einkriegen! Im Stall hatte Hannah bisher eisern geschwiegen. Kein Wort verraten, dass sie Danilo kaufen wollte – außer gegenüber Frau Kling.

Kaum hatte ihr Vater vor der verwitterten Backsteinmauer am Ende des Hofs geparkt, sprang Hannah aus dem Wagen. Sie beeilte sich, Danilo vom Hänger zu holen, bevor alle zusammenliefen und ihr Pferd beim Ausladen so irritierten, dass es nicht von der Rampe ging.

»Willkommen zu Hause«, flüsterte sie, als sie ihn aus dem Innenraum abholte.

Willig folgte Danilo ihr am Strick, trat vorsichtig rückwärts und erreichte, ohne zu stocken, das Ende der Rampe. Aber nach den ersten Metern auf dem fremden Hof regte er sich doch auf. Mit bebenden Nüstern tippelte er nach rechts und links, riss die Augen auf und musterte die unbekannte Umgebung.

Ein halbes Dutzend Reitermädchen rannte über den Hof herbei, um den neuen Stallbewohner in Augenschein zu nehmen. Danilo zuckte zusammen und blieb stehen, als die Gruppe auf ihn zulief.

Melinda und Nele erreichten Hannah als erste.

»Ist das etwa deiner?«, stieß Nele atemlos hervor.

Hannah nickte strahlend. Ja, Danilo war eindrucksvoll, wie er so dastand. Sie platzte fast vor Stolz und strich ihm in Besitzerfreude über die Backe.

»Wie findet ihr Danilo?«

Nele seufzte bewundernd und trat ein paar Schritte zurück, um Danilo von allen Seiten ansehen zu können.

»Ist der schön! Und du hast uns nichts verraten.«

»Ich wollte erst ganz sicher sein«, sagte Hannah.

Melinda nickte verständnisvoll. »Wow, hast du es gut! Jetzt kannst du ständig auf Turniere gehen. Und ich muss schon froh sein, wenn Herr Lehmsahl mich einmal im Jahr mit einem Schulpferd starten lässt. Vielleicht klappt es dieses Jahr mit Fylker in Hitzacker.«

Stöhnend fuhr Melinda sich durchs Haar. »Wenn ich doch erst fünfzehn wäre wie du – dann kriege ich nämlich auch ein eigenes Pferd.«

Hannah lächelte. »Heute kannst du zumindest schon mal mit mir feiern. Im Kofferraum liegen zwei Marmorkuchen. Hab ich zur Feier des Tages gebacken.«

Danilo hob den Kopf, beäugte die Norweger kurz und wieherte gellend über den Hof. Dann zerrte er am Strick, zog Hannah zur anderen Seite, um Kontakt zu den Großpferden aufzunehmen, zu dem Württemberger Wallach Ricco und zu zwei Füchsen, Moritz und Westfalenstolz, die ihre Hälse aus den Boxen reckten.

»Schon gut, Danilo, ich wollte dich sowieso zu den Pferden bringen. Jetzt kommst du in dein neues Zuhause.«

Hannah führte ihr Pferd in die vorderste Box, wo es sich sofort zur Tür umwandte und mit großen Augen um sich spähte.

In der Nachbarbox drehte Ricco Kreise in der Einstreu, die ganze Zeit schon, seitdem er Danilo auf dem Hof gesichtet hatte. Aufgeregt warf er den Kopf hin und her. Auch Westfalenstolz, zwei Boxen weiter, regte sich auf und der dicke Moritz daneben polterte mit dem Huf gegen die Wände. Sein kurzes Schnauben schallte laut über den Hof.

»Lernt euch in Ruhe kennen«, sagte Hannah. »Ich komme bald wieder.«

Während Danilo Zeit hatte, seine Box zu beschnuppern, schaffte Hannah mit den Ponymädchen Campingbänke und Klapptische auf den Hof, um dort ihren Kuchen zu spendieren. Schnell wuchs die Gruppe an den Tischen an. Kuchen roch jeder auf zehn Pferdelängen Entfernung. Auch ein paar erwachsene Reiter kamen und gratulierten.

Auf einige hätte Hannah gern verzichtet. Auf Hauptfeldwebel Seibel zum Beispiel, einen hageren Mann mit dünnem Haar und ewig durchgedrücktem Kreuz, den sie alle nur »Hauptfeld« nannten.

Hannah verzog das Gesicht, als er sich näherte und auf die Bank fallen ließ. Sie fand Seibel schwer einschätzbar, mal wirkte er gehemmt, mal wurde er laut. Fast jeden Nachmittag erschien der Hauptfeld bei seinem Pferd Westfalenstolz. Hannah wusste nie, worüber sie mit ihm reden sollte. Nur wenn das Gespräch auf Pferdezucht, Abstammung und Blutlinien kam, taute er auf, oder wenn man ihn auf den neuesten Brückenpanzer ansprach.

Gut, der Hauptfeld war nicht gerade ein Unterhaltungskracher, aber wenigstens tratschte er nicht wie Frau Ziller, die sensationslüsterne Sparkassenangestellte. Zu Hannahs Verdruss ließ es sich nicht verhindern, dass die massige blonde Frau sich in ihre Nähe setzte.

»Schnell, macht euch breit! Die Ziller!«, wisperte Melinda zwar noch und stieß ihre Nachbarinnen an, aber da war es schon zu spät und das ausladende Ziller-Hinterteil quetschte sich auf die schmale Bank.

Unwillig grunzte Hannah und verschluckte sich fast an den Kuchenkrümeln.

Diese Frau konnte einem mit wenigen Worten jede Freude verderben. Immer wusste die Ziller alles besser. Prahlte ständig mit ihren Pferdekenntnissen. Dabei musste man sich nur ihren total überfütterten Mecklenburger angucken und wusste schon, wie wenig Ahnung sie hatte. Der arme Moritz platzte fast, weil sie unentwegt etwas in ihn hineinstopfte! Aber trotzdem fand die Ziller an jedem anderen Pferd und jedem Reiter etwas auszusetzen.