Kein Abschied für immer - Margot Berger - E-Book

Kein Abschied für immer E-Book

Margot Berger

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Beschreibung

Nirgendwo scheinen Katastrophen weiter weg zu sein als auf dem idyllischen Clausenhof an der Nordsee. Tessa ist ganz aufgeregt: Ihre heiß geliebte Fjordstute Lika erwartet ihr erstes Fohlen. Doch von einer Minute zur anderen wirft ein dramatisches Ereignis Tessa aus der Bahn. Verzweifelt sucht sie Hilfe im Internet …

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Margot Berger

Kein Abschied für immer

Eine wahre Pferdegeschichte

Weitere Titel von Margot Berger bei Arena (Auswahl) In der Reihe „Eine wahre Pferdegeschichte“:FreundschaftsprobeVerhängnisvoller VerdachtLetzte Chance für JanaAuf der Suche nach CalidoEntscheidung fürs LebenSchwere Zeiten für JuliaBlindes VertrauenFreunde, Tag für Tag (Sammelband)

In der Reihe „Pepper und Flo“:Ein Wunschpferd kommt selten alleinFerien auf der SommerweideRitt ins AbenteuerPepper in Gefahr

 

 

 

 

Margot Berger begann ihre Journalistenlaufbahn als Redakteurin bei großen Tageszeitungen und Frauenzeitschriften. Die begeisterte Reiterin und Pferdeexpertin lebte und arbeitete als selbstständige Journalistin und Buchautorin in Hamburg.

 

Erzählt nach einer wahren Geschichte.Die Namen von Personen und Ortenwurden geändert.

 

 

1. Auflage als Arena-Taschenbuch 2014 © 2010 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Frauke Schneider unter Verwendung eines Fotos von www.slawik.com Umschlagtypografie: knaus. büro für konzeptionelle und visuelle identitäten, Würzburg ISSN 0518-4002 ISBN 978-3-401-80384-5

www.arena-verlag.dewww.wahre-pferdegeschichten.deBesuch das Forum „Wahre Pferdegeschichten von Margot Berger“ unter:forum.arena-verlag.de

1. Kapitel

Ein Fohlen.

Eigentlich müsste Tessa sich doch wahnsinnig auf das Fjordkind freuen, das auf dem Clausenhof erwartet wurde. Jedes andere vierzehnjährige Mädchen würde halb verrückt werden vor Begeisterung. Helene aus ihrer Klasse zum Beispiel. Nur sie, Tessa Clausen, Besitzerin der Stute Lika, kämpfte mit zerrissenen Gefühlen.

Seufzend hob Tessa das verschlossene Fohlen-Notfallpaket an, das ihr Vater auf den Gang vor die Boxen gestellt hatte.

Sie hatte ihre Gründe, dem Fohlen mit gewissen Bedenken entgegenzusehen. Berechtigte Gründe, wie sie fand. Tessa fürchtete, dass Lika nach der Geburt nichts mehr von ihr wissen wollte, weil ihr dann das Fohlen wichtiger war als ihre Menschenfreundin. So etwas kam bei jungen Stuten vor. Und das nicht selten.

Tessa stützte den Karton auf ihre Hüftknochen.

»Ganz schön schwer«, murmelte sie vor sich hin. Sie trug das Paket in den Erker hinüber, wo das Futter für die drei Fjordstuten des Clausenhofs lagerte. Die Packung enthielt lebenswichtige Trockenmilch, Flasche und Sauger für die ersten Tage eines neugeborenen Fohlens. Eine Notration – falls es Probleme geben sollte.

»SOS-Fohlenrettung«, stand in Leuchtschrift auf dem Deckel. Die roten Buchstaben sprangen Tessa an.

Wenn sie das Paket tatsächlich öffnen musste, war bei der Geburt etwas schiefgegangen. Entweder mit dem Fohlen oder mit ihrer geliebten Lika. Und das war das Letzte, woran sie denken wollte.

Tessa griff nach einer Satteldecke und warf sie über den Karton. Warum sollte sie sich jedes Mal beim Futterholen diese Alarm-Aufschrift antun?

Wenn doch erst alles vorbei wäre!

Draußen wieherte Lika vom Paddock.

Hol mich endlich rein, hörte Tessa aus der ungeduldigen Pferdestimme.

Tessa formte ihre Hände vor dem Mund zum Trichter und rief durch die Stallgasse nach draußen: »Ich komme gleich, Süße.«

Ob Lika ahnte, dass sie bald ein Fohlen zur Welt bringen würde? Schließlich war es ihr erstes.

Mit dem Fuß schob Tessa das Rettungspaket samt Decke zwischen zwei Futtertüten. Sosehr sie sich um Lika sorgte – dieser Karton war in ihren Augen eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme.

Meine Güte, dachte Tessa, während sie einen Putzeimer aus der Ecke angelte, Lika ist doch ein robustes Fjordpferd. Fjordpferde bekommen ihre Fohlen fast von allein. Da braucht man keine Nuckelflaschen für den Notfall und kein Milchpulver.

Noch nie war auf dem Clausenhof etwas passiert. Problemlos hatten die Fjordpferde in den letzten zehn Jahren ein halbes Dutzend Fohlen auf die Welt gebracht.

Tessas Eltern, Astrid und Jan Clausen, betrieben die kleine Pferdezucht im Hinterland der Nordsee nur als Hobby. Weil sie Spaß an Fjordpferden hatten. Angestellt war ihr Vater bei den Stadtwerken in Flensburg, ihre Mutter arbeitete bei einem Pflegedienst.

Tessa ließ Wasser in den Eimer laufen und machte sich in Likas Box zu schaffen. Mit einem rauen Schwamm rubbelte sie die Metallstangen sauber und hing dabei ihren Gedanken nach.

Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich jemals eine Abfohlbox für Lika herrichten müsste.

Sie war absolut dagegen gewesen, ihre Stute Lika decken zu lassen.

Von den drei Fjordstuten auf dem Clausenhof waren bisher immer nur Tove und Jenta zum Züchten eingesetzt worden. Lika nie, denn die Stute gehörte Tessa allein. Darüber hatte es keine Diskussionen gegeben.

Bis zum letzten Frühjahr, als ihr Vater überraschend mit diesem Vorschlag gekommen war. Tessa erinnerte sich genau an dieses schicksalhafte Gespräch, fast wörtlich sogar . . .

»Unsere Tove ist allmählich zu alt zum Züchten. Sie braucht Ruhe. Aber mit Jenta würden wir gern noch einige Jahre weiterzüchten. Wir haben in den letzten Jahren so viel Glück mit unseren Fohlen gehabt. Alle waren gesund und haben gute Besitzer gefunden.«

»Wo ist das Problem?«, fragte Tessa argwöhnisch. Sie ahnte, worauf ihr Vater hinauswollte, und im nächsten Moment sprach er ihre Befürchtung auch schon aus.

»Wenn Jenta allein gedeckt wird, haben wir nur ein einziges Fohlen auf dem Hof.«

Tessa schwieg.

»Das würde bedeuten«, fuhr Tessas Vater fort, »Jentas Fohlen müsste ohne Spielgefährten aufwachsen.«

In Tessas Kopf schrillten Alarmsirenen.

»Soll das heißen – ihr wollt Lika auch decken lassen? Damit ihr ein zweites Fohlen habt?«

»Du hast doch Pferdeverstand, Tessa. Du willst doch bestimmt nicht, dass Jentas Fohlen ausschließlich zwischen erwachsenen Pferden groß wird. Du weißt selbst, wie öde es sein kann, ein Einzelkind zu sein.«

»Aber mein Schatz gehört mir, Papa! Das habt ihr mir fest versprochen. Lika ist doch praktisch meine Schwester.«

»Stimmt genau. Und das bleibt auch so. Aber als du Lika bekamst, warst du sechs. Ein kleines Mädchen. Und wenn das Fohlen da sein wird, wirst du bald fünfzehn. Vielleicht hast du dann schon einen Freund und willst von Lika gar nichts mehr wissen.«

Bei der Bemerkung hatte er Tessa zugezwinkert.

»Pah. Als ob es jemals irgendein Junge mit Lika aufnehmen könnte«, hatte sie damals protestiert. Das meinte sie heute noch haargenau so.

Tessa warf den Schwamm in den Eimer zurück und tastete die Boxenwände nach herausstehenden Splittern oder verborgenen Rissen ab, an denen sich die Pferde verletzen könnten. Eine Abfohlbox musste absolut perfekt und sicher sein.

Mit Engelszungen hatte ihr Vater damals auf sie eingeredet, um sie zu überzeugen.

»Wir brauchen wirklich ein zweites Fohlen, Tessa. Lika ist jetzt neun Jahre alt. Das beste Alter für das erste Fohlen. Und denk doch mal, aus deiner Lika entsteht ein winziges neues Pferd. Dann hast du nicht nur eine Lika, sondern praktisch anderthalb.«

Für Likas Fohlen hatten ihre Eltern bereits die Anfrage einer Reiterfreundin aus Kiel. Daniela, eine junge Mathelehrerin, war ganz verrückt nach einem hellfalben Fjordpferd mit weißer Mähne wie Lika. Schon lange wollte Daniela ein Fohlen von ihr, aber Tessa hatte sich immer taub gestellt, wenn das Gespräch darauf kam. Schließlich hatte sie bei Jenta erlebt, wie rasch sich ein Schmusepferd in einen eifersüchtigen Drachen verwandeln kann, sobald es ein Fohlen hat. Wenn Lika sich nun genauso aufführte? Eine unerträgliche Vorstellung.

Letzten Endes hatte Tessa aber doch eingewilligt und vor einem Jahr mit ihren Eltern den passenden Deckhengst ausgesucht. Wenn auch mit ungutem Gefühl. Eifersucht nagte an Tessa. Eifersucht auf das Fohlen, noch bevor es auf der Welt war.

Ihre Gefühle hatte Tessa nur Lika anvertraut. Mit flüsternder Stimme natürlich, fast tonlos, damit es niemand aus der Familie mitbekam.

»Ich habe Angst, dass dein Fohlen wichtiger für dich wird als ich. Dass ich plötzlich überflüssig bin. Findest du das egoistisch?«

Lika hatte ihr aufmerksam zugehört, noch einen Moment nachgelauscht, als Tessa ausgeredet hatte, wie sie das immer tat. Dann hatte sie ihre samtigen Nüstern in Tessas Halsbeuge gedrückt, mit einem ganz zarten Grummeln. Kaum wahrnehmbar, aber deutlich genug, dass Tessa ein warmer Schauer über den Rücken lief. Diese vertraute kleine Geste hatte ihr genügt, um zu verstehen, was ihre Stute ihr sagen wollte:

Du bist meine beste Freundin. Für immer und ewig.

Und trotzdem – ein Rest Zweifel blieb. Wirklich aufatmen würde sie erst, wenn der Tag der Geburt überstanden war. Und Lika hoffentlich die Alte geblieben war.

Tessa lockerte das Stroh, das auf der Stallgasse bereitlag, mit der Heugabel und warf es in die Box. Sie rechnete jetzt jeden Tag mit der Geburt. Erwartet hatten sie das Fohlen bereits im Februar und am heutigen Sonntag stand schon der erste März auf dem Kalender.

Jentas Fohlen Jordbär war vor gut einer Woche gekommen. Zu Tessas großem Erstaunen benahm Jenta sich dieses Mal kein bisschen eklig.

Tessa stellte die Forke zurück und klopfte sich den Staub von der Hose. Das Bett für Lika war gemacht.

»Ich komme«, rief Tessa nach draußen.

Als sie ins Freie trat, stand Lika am Gattertor und rempelte mit der Brust gegen die Stahlrohre. Kaum erblickte die Stute Tessa, begannen ihre Augen zu leuchten. Dann senkte Lika den Kopf und schnaubte.

Über Tessas Gesicht huschte ein Lächeln. Immer noch, nach neun Jahren, freute sie sich wie am ersten Tag, wenn sie ihr Pferd sah. Liebevoll drückte sie Lika einen Kuss auf die Wange.

»Drinnen ist jetzt alles schön sauber für dich.«

Tessa öffnete das Gatter und fasste ins Stallhalfter.

Behutsam schnoberte Lika über ihren Arm und wühlte ihre Nase in Tessas Handfläche, als suchte sie etwas.

»Du willst Melonenstücke? Aber Lika, woher soll ich die denn jetzt nehmen?«

Wie charmant Lika gucken konnte, wenn sie den Kopf schief legte. Sie wusste genau, mit welchem Blick sie jeden herumkriegte. Tessa musste lachen.

»Morgen wieder! Versprochen.«

Sie führte ihre hochtragende Stute über den Hof am Hühnerschuppen entlang, in dem ein Dutzend brauner Hennen aufgeplustert auf dem Wiem saß.

Den kleinen Pferdestall aus rotem Backstein, den Tessa nun betrat, hatte noch ihr Großvater gebaut.

»Denk immer daran, Lika, wir bleiben die besten Freunde«, sagte Tessa. »Auch, wenn dein Fohlen da ist. Ich brauche dich doch.«

Keine Angst, Tessa, wir gehören zusammen.

Tessa lächelte. Diese stille Zwiesprache zwischen ihr und ihrem Pferd war einfach wunderbar. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, dass sich daran etwas ändern konnte.

Tessa betrachtete Lika aufmerksam. Täuschte sie sich oder bewegte sich Lika schwerfälliger als sonst? Ungleichmäßig klapperten ihre Hufe auf der gepflasterten Stallgasse.

Aus der ersten Box lugte das kleine Hengstfohlen Jordbär hinter Jentas Brust hervor.

»Du bekommst bald jemanden zum Spielen«, rief Tessa ihm über die Schulter zu.

Jordbär stieß ein vorsichtiges helles Wiehern aus. Es klang, als wollte er den zukünftigen Spielkameraden schon mal an seine Stimme gewöhnen.

Im Weitergehen beschwor Tessa ihre Stute weiter. Sie konnte einfach nicht anders.

»Scheuch mich bloß nicht weg, Lika, wenn du Mutter bist. Ich würde wahnsinnig werden. Auch wenn ich weiß, dass du nur dein Fohlen verteidigen willst.« Sie seufzte. »Ach Lika, ich hätte dich so gern ganz für mich behalten. Ohne Fohlen.«

Tessa wusste, dass dieser Gedanke egoistisch war. Ihre Eltern zogen junge Pferde mit viel Begeisterung und Engagement groß. Und sie genossen die regelmäßigen Züchtertreffen in Schleswig-Holstein. Hier an der Nordseeküste gab es sonst nicht viel Abwechslung. Auch nicht für Tessa. Manchmal fühlte sie sich schon sehr von der Welt abgeschieden. Wenn sie schon allein an den Schulweg dachte! Jeden Tag musste sie vom Hof über Feldwege und durch Wiesen zur Schulbushaltestelle laufen. Von da fuhr sie eine halbe Stunde mit dem Bus nach Niebüll zum Gymnasium. Viele ihrer Mitschüler wohnten wie sie verstreut in Nordfriesland, in kleinen Ortschaften nahe der Küste. Außerhalb der Schulzeiten fuhren kaum Busse. So traf Tessa ihre Leute fast ausschließlich in der Schule. Nur Helene aus ihrer Klasse kam ab und zu zum Reiten. Allerdings wohnte sie auch ein ganzes Stück entfernt und war darauf angewiesen, dass ihre Eltern sie herfuhren und abholten. Was natürlich nicht so oft klappte. Und in letzter Zeit war sie gar nicht mehr gekommen.

Doch zum Glück gab es ja das Internet. Über eine Schülerplattform war Tessa mit 350 Leuten vernetzt. Täglich tauschten sie untereinander Infos aus. Das Internet war Tessas zweites Zuhause.

Tessa warf einen Kontrollblick in die Box. Als Lika sich über den Trog hermachte, holte sie ihren Laptop aus der Futterkammer und setzte sich auf die Holzbank vor Likas Box. Ihr Vater hatte extra für Tessa im Stall ein verschlossenes Notebookfach getischlert, damit die Katzen Minka und Sammy ihre Pfoten von der Neoprenhülle ließen.

Während Lika mit Fressen beschäftigt war, loggte Tessa sich ins Schülerportal ein, rief ihre Benachrichtigungen auf und bestätigte zwei Freundschaftsanfragen. Seit man auf dem Clausenhof täglich mit der Geburt rechnete, besaß Tessa einen nagelneuen Stick für mobiles Surfen. So konnte sie auch im Stall an den Computer und musste nicht jedes Mal ins Haus zurück.

Echt toll von Mama, dass sie mir diesen Surfstick spendiert hat.

Dabei hielt Astrid Clausen eigentlich nicht viel vom Internet. Tessa grinste in sich hinein. Ihre Mutter meinte, Tessa sollte mehr Realkontakte haben. Den Ausdruck benutzte sie natürlich nicht, weil sie ihn gar nicht kannte, sondern Astrid Clausen sagte: »Wäre gut, Tessa, wenn du dich nach der Schule häufiger mit Mädchen aus deiner Klasse treffen würdest. Sonst wirst du hier draußen am Ende noch ein pferdeverrückter Einsiedler. Warum war eigentlich Helene schon so lange nicht mehr hier? Muss ich mir Sorgen machen?«

Tessa blätterte durch die Profilseiten. Erwachsene machten sich einfach zu viele Gedanken wegen jeder Kleinigkeit. Das sah man ja an dem Notfallpaket. Und die Sorge ihrer Eltern, sie könnte zum E-Junkie werden und nur noch im Netz hängen, hielt Tessa für absurd. Dazu war ihr die Zeit mit Lika viel zu kostbar.

Und was Helene betraf – die hatte Tessa einfach nur extrem mit Fragen nach dem Fohlen genervt. »Wann kommt es denn endlich? Ich verstehe nicht, warum du dich nicht wie verrückt freust. So eine kleine Maus ist doch viel süßer als ein erwachsenes Pony.«

Als ob irgendein anderes Pferd jemals an Lika heranreichen könnte!

»Du mit deiner Fohlen-Meise, das ist doch krank«, hatte Tessa irgendwann gestöhnt. »Lika ist wichtiger für mich als alles andere. Du kapierst das einfach nicht.« Irgendwie bereute sie ihre zickigen Worte inzwischen. Sie wusste genau, dass sie Helene damit vor den Kopf gestoßen hatte. Aber sie hatte das Gerede einfach nicht mehr ausgehalten.

Mit geübtem Blick überflog Tessa die eingestellten Neuigkeiten. Es gab einige gute Fotoalben und Videos. Routiniert schrieb sie kurze Kommentare. Das machte ihr eigentlich Spaß. Aber heute war sie nicht so richtig bei der Sache, Tessas Gedanken waren bei Lika.

Obwohl sie an nichts anderes denken konnte als an die bevorstehende Geburt, erwähnte Tessa im Schülerportal kein Wort davon.

Sie war nämlich ein gebranntes Kind, was private Einträge anging . . .

Vor gut einem Jahr, als Tessa neu zu dem Schülernetzwerk gestoßen war, hatte sie in ihrer Begeisterung Fotos von Lika auf ihre Seite gestellt und von ihrem Pferd geschwärmt. Gleich am nächsten Tag bekam sie die Quittung für ihre Arglosigkeit: Einige Mitglieder der Plattform machten auf dem Schulhof spöttische Bemerkungen.

»Wo ist denn deine kleine Schwester?«

»Wieso? Welche Schwester?«

»Na, deine Stute. Steht doch in deinem Profil, dass sie für dich wie eine Schwester ist. Ziemlich kindisch in deinem Alter, meinst du nicht?«

Tief getroffen war Tessa zu Hause sofort zu ihrem Computer gerannt, um alles über Pferde aus ihrem Profil herauszunehmen.

2. Kapitel

Der rote Backstein des Clausenhofs schimmerte blau im Abendlicht, als Tessa zum Wohnhaus hinüberlief. Ein kalter Windstoß fegte ihr entgegen.

Ohne die wichtigen Utensilien, die man bei einer Geburt braucht, wollte Tessa keine Minute länger im Stall bleiben.

Seit einer Stunde kam Lika ihr verändert vor. In sich gekehrt. So als wüsste sie nicht genau, was mit ihr los war. Außerdem war Tessa aufgefallen, dass Lika häufiger als sonst in der Box umherwanderte. Alles Anzeichen für die bevorstehende Fohlengeburt.

Fröstelnd zog Tessa die Schultern hoch. Seit Wochen schien die Wintersonne zwar tagsüber, aber abends war es noch immer empfindlich kühl.

Mit einem kühnen Sprung nahm Tessa die kurze Außentreppe und beeilte sich, in den Flur zu kommen. Die Tür zum Wohnzimmer stand offen.

Die strohblonden Köpfe ihrer Eltern beugten sich über ein halbes Dutzend Ordner, die auf dem Esszimmertisch zu einem Stapel aufgebaut waren. Ihre Mutter füllte ein Formular aus.

»Ihr Armen«, sagte Tessa. »Steuererklärung?«

Astrid Clausen sah auf und nickte mit kraus gezogener Nase. »Leider. Sonst wären wir schon längst bei Lika im Stall. Denkst du, dass wir kommen sollten? Dann brechen wir natürlich sofort ab.«

Tessa winkte ab.

»Nicht nötig. Alles gut. Aber lange dauert es nicht mehr. Lika wandert dauernd umher. Ich bleibe bei ihr. Ich wollte nur schnell den Geburtskoffer holen.«

»Gut. Hätte ich auch vorgeschlagen«, sagte ihr Vater. »Den Koffer werden wir wohl heute noch brauchen. So sehe ich das auch.«

»Stell dein Handy an, Papa. Dann muss ich nicht extra zurück, wenn es losgeht.«

Ihr Vater kramte sein Mobilgerät unter den Ordnern hervor und hielt es in die Höhe.

»Ist an.« Er steckte es in die Brusttasche seines karierten Holzfällerhemdes und klopfte darauf. »Das Vibrieren jagt mich hoch, wenn du eine SMS schickst. Übrigens schlage ich vor, dass wir uns später mit der Wache abwechseln. Sonst schläfst du noch vor Likas Box ein.«

Tessa verzog das Gesicht.

»Einschlafen? Pah! Niemals.«

Obwohl Tessa am Montag zur Frühstunde musste, wollte sie unter allen Umständen die ganze Nacht bei Lika wachen.